Prof. Dr. Laurent Gautier, Centre Interlangues Texte Image Langage (UBFC-Dijon, EA 4182)
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Linguistic Landscape geht digital: „Virtuelle sprachliche Landschaften“ auf Instagram am Beispiel der Weinstraßen in zwei mehrsprachigen Regionen (Elsass, Südtirol) Romanistentag 2021 Sektion « Linguistic Landscapes in der Romania: Zwischen Regionalisierung und Globalisierung » 4.-7. Oktober 2021 Augsburg/Online Prof. Dr. Laurent Gautier, Centre Interlangues Texte Image Langage (UBFC-Dijon, EA 4182)
Gliederung 1. Kontextualisierung 2. Problemstellung und theoretischer Rahmen 3. Korpus 4. Exemplarische Beispielanalysen 5. Rück- und Ausblick 2
1. Kontextualisierung Linguistic Landscape und sensorische Linguistik (1) • Sensorische Linguistik als neues Forschungsparadigma? • Folge des steigenden Interesses seitens von Linguisten für den Bereich Kulinaristik, cf. Lavric / Konzett (2009), Gautier / Lavric (2015) • Gründung einer AILA-Fokusgruppe The Linguistics of Food:. „Building on an increasing global interest in food and eating studies, the network will enable a focus on the cultural and social interactional issues around food, incorporating all forms of applied linguistic research.“ (AILA-Homepage) • Ergiebiges Terrain für die Theoriebildung in mehreren linguistischen Disziplinen: (kognitive) Semantik und Lexik, Metaphernforschung, Textlinguistik, Gesprächsanalyse, interaktionale Linguistik, und nicht zuletzt die Onomastik =>LL? 3
Linguistic Landscape und sensorische Linguistik (3) • Produktiver Bereich für „traditionelle“ LL-Momentaufnahmen: Straßenschilder (Topo- + Ökonyme) Ladenschilder (Geschäftsnamen) Allg. (humorvolle) Plakate Speisetafel 5
Wein als ideales Produkt für eine soziolinguistische und – kulturelle Diskursanalyse • Wein als bio-kulturelles Produkt (Bach 2017, 2018, 2020) ⟹ Symbole lokaler/regionaler Identitäten in Europa • Wein als kulturelles Produkt, das diskursiv konstruiert wird ⟹ Diskussion auf den soz. Netzwerken, um Eindrücke, Erlebnisse rund um Weinverkostung zu teilen => #bottlebattle als Form digitaler LL • Wein als „transnationales“ kulturelles Produkt ⟹ Weintourismus als internationaler Marketingbegriff => LL-relevant 6
Welcher Platz für Wein in der LL? Verkehrsschilder (Toponyme) Weingüter (Ökonyme) Weinkarten (Ökonyme) (Humorvolle) Plakate 7
Von der realen zur virtuellen Linguistic Landscape • Übertragung des LL-Begriffs auf Internet, und insbesondere soz. Netzwerke, mit zwei unterschiedlichen Ausprägungen: • Bilder von traditionellen LL-Elementen, die auf Twitter, Facebook, Instagram mit oder ohne Begleittext gepostet werden • Bilder, insbesondere auf Instagram, mit Begleittext, insbesondere mit technisch-diskursiven Operatoren, die dann eine virtuelle sprachliche Landschaft schaffen (Hiipala et al. 2019) => Medienlinguistik, Geographie, Soziologie, urban and rural studies => #juratourisme-Projekt 8
2. Problemstellung und theoretischer Rahmen Was kann uns die Erforschung weinbezogener virtueller LLs auf Instagram (bzw. Twitter) lehren? • Auf diskursiver Ebene: wie werden bestimmte Identitäten (z.B. Experte/Laie/Liebhaber) konstruiert? • Auf soziolinguistischer Ebene: welche Sprachen werden dabei verwendet, insbesondere im Falle mehrsprachiger Weinregionen (hier: Elsass und Südtirol)? • Auf internetlinguistischer Ebene: inwieweit tragen die technisch- diskursiven Operatoren zur Bildung bestimmter „Gemeinschaften“? – Automatisierte Datensammlung über die Twitter-API (vgl. 3) – Technische Operatoren als Ausgangspunkt der Datensammlung und der Analyse – Einbeziehung der verfügbaren Metadaten 9
Fokus auf Twitter: Technische Zeichen als pragma-semantische Operatoren (Thimm/Dang-Anh/Einspänner 2012)
Hashtags: von der Verschlagwortung zur „Aussage“-Bildung „Wenn Foucault schreibt, dass eine Aussage ‚immer zu einer Folge oder einer Menge gehört“ und es darum gehe, die ‚Korrelationen mit anderen Aussagen‘ präzise herauszuarbeiten, könnte man sogar sagen, dass diese intellektuelle Anstrengung des Historikers heute von den Automatismen der Datenorganisation über Soziale Medien und von # im Besonderen übernommen worden ist. Vor 50 Jahren war eine arbeitsreiche Umwälzung der Archive und ihrer angestammten Kategorien wir ‚Autor‘ und ‚Werk‘ notwendig, um eine neue Analysekategorie wie die ‚Aussage‘ zu erhalten; bei Twitter und Instagram genügt ein Klick, um eine Ordnung der Beiträge über ein Schlagwort, nicht über den Verfasser oder das ‚Werk‘ seines Profils zu erlangen.“ (Bernard 2018, 20, Hvrhg von mir, LG) => Technisch-bedingte Herausforderungen (Affordances): Kürze (Inhaltskomprimierung) + Erkennungsfunktion 11
3. Korpus • An der Maison des Sciences de l‘Homme von Arnaud Millereux entwickeltes Tool • Automatisierte Datensammlung über die Twitter bzw. Instagram-API: #, @ oder freie Buchstabenfolgen • Vollständige Annotation im JSON-Format • Ausgangskorpus: – Auswahl an offiziellen Accounts (z.B. @routedesvinsdeprovence @altoadigewines) => Launch “offizieller“ Hashtags + Verlinkung anderer Behörden/Stellen – Auswahl an Hashtags #weinstrasseelsass #routedesvinsdalsace #weinstrassesüdtirol #stradadelvinoaltoadige) => periodisch aktualisierte Liste (z.B. Hinzufügung neuer # je nach Aktualität und Produktivität) 12
4. Exemplarische Beispielanalysen Haupttendenzen • Entpersonalisierte, standadisierte Bilder, sowohl von offiziellen Accounts (Winzerverbänden, Tourismusorganisationen) als auch von individuellen Usern • Ziemlich loses Verhältnis zwischen Text und Bild: Bild als Eyecatcher + Textblock + Hashtagblock • Deutliche Tendenz zu Marketing- bzw. Werbungszwecken: positiv konnotierte Äußerungen, Dominanz der expressiven und appellativen Sprachfunktionen • Hochfrequente, aber limitierte Mehrsprachigkeit: Dt. + It. / Frz. + Dt., Englisch fast systematisch vorhanden, keine Spuren von Dialekt (technische Einschränkung) • 3 Hauptthemen: Weintourismus, Weinsensorik, Hedonismus 13
Umgang mit Mehrsprachigkeit • Zwei Ebenen sind zu unterscheiden: – Begleittext: meistens einsprachig, oder mit kurzer Übersetzung in der anderen Sprache + Englisch – Hashtagblock: systematisch mit einer geschlossenen Liste von # in beiden Sprachen + Englisch: • Geographische Bezeichnungen zur Lokalisierung des Bildes • Marketingorientierte # zur Indexierung und Auffindbarkeit der Posts => deutliche Tendenz zur Bildung von Insidergemeinschaften 14
Tourismus-Werbung und - Marketing • Wohl die Hauptfunktion der Posts und die deutlichste Beziehung zur tourismusbezogenen LL in der realen Welt – Standardisierte „schöne“ Bilder + Bilder von “realen“ LL- Aufnahmen – Standardisierter #-Block: geographische Bezeichnungen + appellative # – Systematische Mehrsprachigkeit 15
Weinsensorik • Besonders interessante Dimension: echte Weinkommentare nach dem üblichen Fachtextmuster: – Fokus liegt bei sensorischen Deskriptoren im Blocktext – Deutliche Tendenz zur Userprofilierung als Liebhaber oder gar Experte – Systematisch einsprachig • Standardisierter #-Block: geschlossenes Repertoire von (internationalen) # zur Gemeinschaftsbildung 16
Hedonistische Dimension • Zusatz zu den anderen Dimensionen: Weinsensorik/Tourismus + hedonistische „Schlussfolgerung“ • Expressive + appellative Funktionen im Vordergrund • Viele Emojis • #-Block am wenigsten standardisiert: weg von der Gemeinschaftsbildung zur subjektiven Expressivität 17
5. Rück- und Ausblick • Vorläufige Ergebnisse • Dominanz des zweiten Typs von virtueller LL: Bilder mit Begleittext, insbesondere technisch-diskursiven Operatoren, die eine virtuelle sprachliche Landschaft schaffen • Umgang mit Mehrsprachigkeit hängt vom Posttyp und von den Textteilen ab • Hang zur Standardisierung, im Besonderen im #-Block Þ Im Mittelpunkt steht die Bildung von Gemeinschaften • Desiderata • Systematische Quantifizierung • Bessere automatische Sprachidentifizierung, insbesondere für Dialektelemente • Triangulation mit den anderen technisch-diskursiven Operatoren (wichtig für die Gemeinschaften) • Analyse der Interaktionen in den Threads 18
Vielen Dank für Ihre Aufmersamkeit! Prof. Dr. Laurent Gautier (laurent.gautier@u-bourgogne.fr) 19
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