PROJEKTBERICHT - NETZWERKMEDIZIN - IMPULSE FÜR DEUTSCHLAND AUS DEN USA - STIFTUNG MÜNCH - Stiftung Münch
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JULI 2015 STIFTUNG MÜNCH PROJEKTBERICHT NETZWERKMEDIZIN – IMPULSE FÜR DEUTSCHLAND AUS DEN USA
ABSTRACT Das US Gesundheitssystem wird häufig aufgrund seiner Auch wenn es in den meisten Fällen für eine abschließende bestenfalls durchschnittlichen Qualität bei zugleich ho- Bewertung noch zu früh ist, lassen sich die ersten Erkennt- hen Kosten kritisiert. Dennoch lohnt sich ein differenzier- nisse schlaglichtartig zu zehn Impulsen verdichten: ter Blick. Die aus der starken Fragmentierung des Systems entstehenden Probleme eröffnen zahlreiche Ansatzpunkte Mehr Experimente zulassen. für Experimente mit neuen Versorgungs- und Vergütungs- Unternehmerische Freiheit sichern. formen. Zugleich treffen viele der in den USA vorliegenden Vergütungssystem flexibilisieren. Probleme auch auf Deutschland zu: Kostendruck, Brüche in Qualitätsmessung fördern. der Kontinuität der Versorgung, Qualitätsdefizite, die Ge- Finanzielle Anreize für Electronic Health Records fahr impliziter Rationierung, unzureichende IT-Infrastruk- setzen. tur, um nur einige zu nennen. Patienten gezielt durch das Versorgungssystem steuern. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, herauszuarbeiten, in- Regionale Cluster fördern. wiefern aus den Erfahrungen in den USA Impulse für eine Konzentrierte Strukturen vermeiden. Reform des deutschen Gesundheitswesens abgeleitet wer- Blockade der Selbstverwaltung durchbrechen. den können, die sich am Konzept der Netzwerkmedizin ori- Zu starke Fragmentierung verhindern. entiert. Hierzu werden zentrale Reformelemente des Pati- ent Protection and Affordable Care Acts (ACA) skizziert und Auf absehbare Zeit lohnt es sich, die Entwicklungen in die ersten vorliegenden Ergebnisse diskutiert. den USA weiter zu verfolgen und die Ergebnisse einer kritischen Analyse zu unterziehen. Positive wie negative Im Fokus stehen Affordable Care Organizations, Patient Erfahrungen können dabei die Diskussion in Deutsch- Centered Medical Homes, Episode Based Payment Systems land bereichern. Ziel muss es sein, Offenheit für Impulse und die an Electronic Health Records ausgerichtete IT-Inf- von außen zuzulassen, ohne dabei die Stärken des eige- rastruktur. nen Systems in Gefahr zu bringen. 2 Stiftung Münch | Projektbericht
INDEX 1 Die USA als Testlabor für neue Versorgungsstrukturen.....................4 1.1 Die USA als Vorbild?...................................................5 1.2 Netzwerkmedizin als Vision...................................6 1.3 Impulse für Deutschland ........................................ 7 2 Struktur der Leistungserbringung in den USA vor ACA ..................................... 9 3 Komponenten des Patient Protection and Affordable Care Act (ACA) ................. 10 3.1 Allgemein . .................................................................. 11 3.2 Accountable Care Organisations ....................... 12 3.3 Patient Centered Medical Homes ...................... 15 3.4 Episode Based Payment System . ...................... 15 3.5 Electronic Health Records ................................... 16 4 Effekte des ACA auf die Versorgungsstruktur ...................................... 17 4.1 Allgemeiner Stand der Forschung zum ACA ....18 4.2 Accountable Care Organizations ........................18 4.3 Patient Centered Medical Homes .......................19 4.4 Episode Based Payment Systems ....................20 4.5 Electronic Health Records ....................................21 4.6 Strukturelle Veränderungen ................................21 5 Impulse für Netzwerkmedizin in Deutschland ................................................ 22 6 Fazit .............................................................. 26 Literaturverzeichnis .................................................... 28 IN ZUSAMMENARBEIT MIT: Stiftung Münch | Projektbericht 3
1. DIE USA ALS TESTLABOR FÜR NEUE VERSORGUNGS- STRUKTUREN 4 Stiftung Münch | Projektbericht
1.1 DIE USA ALS VORBILD? aggressive efforts in the history of the nation to address the problems of the delivery system. Perhaps a fairer cri- Der Ansatz, in den USA nach positiven Impulsen für die ticism of the law is that it tried to do too much — that Versorgungsstruktur im deutschen Gesundheitswesen zu it launched too many divergent experiments and lacks a suchen, erscheint zunächst fragwürdig. Kaum ein Gesund- coherent strategy.” heitssystem wird derart häufig als Negativbeispiel heran- gezogen wie das amerikanische: Dies findet vor dem Hintergrund statt, dass das „Eine“ amerikanische Gesundheitssystem nicht exisiert. Viel- Zu teuer bei mittelmäßiger Qualität und erhebliche Defizite mehr erzeugen diverse parallel existierende Versicherungs- beim Zugang lauten, typische Argumente (Squires 2012). systeme ein höchst ineffizientes, da extrem fragmentiertes Auch wenn sich in den letzten Jahren an einigen Stellen Ganzes (Smith und Medalia 2014). Medicare, das im Verbesserungen eingestellt haben – insbesondere was den Wesentlichen die Versorgung der älteren Bevölkerung Versicherungsschutz angeht (Carman et al. 2015) – trifft übernimmt, ist eine staatliche Krankenversicherung auf diese Kritik im Wesentlichen sicher zu. Dennoch – oder Bundesebene und stellt für viele Leistungserbringer den besser: gerade deswegen – lohnt sich jedoch der Blick in wichtigsten Kostenträger dar. die USA, denn der große Druck an den unzähligen Bruch- und Problemstellen hat dazu geführt, dass eine noch grö- Medicaid übernimmt vereinfacht gesprochen den Versiche- ßere Anzahl an Versuchen unternommen wurde, diese zu rungsschutz für Teile der armen Bevölkerung und wird von den beheben. Mit dem Affordable Care Act (ACA), der weitrei- einzelnen Bundesstaaten verantwortet. Um die Versorgung chenden unter der Präsidentschaft von Barack Obama auf aktiver Mitglieder der Armed Forces kümmert sich das Mili- den Weg gebrachten Gesundheitsreform, wurden zahlrei- tary Health System des Verteidigungsministeriums in eige- che weitere Impulse gesetzt. Das Ergebnis ist ein Schatz nen Einrichtungen. Aus dem Militärdienst ausgeschiedene an Versorgungsexperimenten oder, wie Blumenthal et Veteranen werden hingegen von der Veterans Health Admi- al. (2015) es formulieren: “A careful examination of the nistration versorgt – ebenfalls inklusive eines eigenen Leis- law, however, shows that it constitutes one of the most tungserbringernetzes. Hinzu kommen weitere Subsysteme BEVÖLKERUNG NACH VERSICHERUNGS- SCHUTZ IM JAHR 2013 ARBEITGEBERGEBUNDENE VERISCHERUNG INDIVIDUALVERSICHERUNG MEDICARE MEDICAID MILITÄR, VETERANEN ETC. GANZJÄHRIG OHNE VERSICHERUNGSSCHUTZ Abbildung 1: Bevölkerung nach Versicherungschutz im Jahr 2013 Quelle: Smith und Medalia (2014), U.S.Census Bureau Stiftung Münch | Projektbericht 5
beispielsweise für die Versorgung von Kindern (z. B. SCHIP). Blick darauf, dass die Herausforderungen im Grunde sehr Der privatwirtschaftlich verantwortete Versicherungsmarkt ähnlich sind. In beiden Ländern gilt, dass während auf lässt sich wiederum in die primär üblichen Krankenversiche- der einen Seite nahezu alles medizinisch und technisch rungsverträge, die über den Arbeitgeber für die Beschäftigten Denkbare zur Verfügung steht, sich auf der anderen Seite abgeschlossen werden, sowie die auf Personenebene viele Patienten mit einer völlig anderen Realität konfron- geschlossenen Einzelverträge unterscheiden. Jeder dieser tiert sehen, die durch Wartezeiten, ausbaufähige Qualität Bereiche differenziert sich weiter aus, so zum Beispiel in und implizite Rationierung geprägt wird. In beiden Län- unterschiedliche Optionen für kleinere, mittlere und große dern gibt es großen öffentlichen Druck, dem entgegenzu- Unternehmen. Hinzu kommt die nach wie vor hohe Zahl an wirken. US Bürgern ohne Versicherungsschutz – weder staatlich noch privat (Silberman et al. 2008). Im Hinblick auf die Versorgungsstrukturen gibt es neben den Unterschieden auch Gemeinsamkeiten. So sind in bei- Die Systeme sind dabei nicht komplementär ausgelegt, viel- den Ländern öffentliche, private not-for-profit und private mehr stehen sie meist weitestgehend unverbunden neben- for-profit Krankenhäuser wichtige Bestandteile der Versor- einander, zum Teil sich überlappend, zum Teil mit Lücken, die gung. Probleme liegen bei der Sicherstellung der Versor- für den Einzelnen fatale ökonomische und gesundheitliche gung im ländlichen Raum und viele Staaten praktizieren Folgen haben können. Unzureichender Versicherungs- vor diesem Hintergrund eine staatliche Krankenhauspla- schutz, beispielsweise durch hohe Zuzahlungen, stellt ein nung (Maier und Schmid 2009). weiteres gravierendes Problem dar (Schoen et al. 2014). Im Ergebnis kommt es auf verschiedenen Ebenen zu systembe- In diesem Kontext ist auch zu betonen, dass das amerika- dingter, impliziter Rationierung, die nur bei entsprechender nische Gesundheitssystem nicht im Geringsten weniger Zahlungsfähigkeit umgangen werden kann. stark reguliert ist als das deutsche. Auch prägen in weiten Teilen die staatlichen Versicherungszweige – insb. Me- Diese Situation stellt auch die Leistungserbringer vor große dicare – beispielsweise die Abrechnungspraxis weitaus Herausforderungen, sind doch unzählige verschiedene mehr, als der private Versicherungsmarkt. Medicare stellt Abrechnungsmodalitäten zu beachten und in vielen Fällen letztlich auch das Einfallstor für die Versorgungsstruktu- auch zu verhandeln. Dazu kommt der Umgang mit nicht ren betreffende Gesundheitspolitik auf Bundesebene dar, bezahlten Krankenhausrechnungen. Der daraus resultie- da über die Vergütung gezielt Anreize gesetzt werden kön- rende Verwaltungsaufwand erklärt zumindest einen Teil der nen. Ein, die Innovationsfähigkeit des amerikanischen Sys- Kostenunterschiede zwischen den USA und Deutschland tems sicherlich beförderndes Element ist das Fehlen einer (Himmler und Jugl 2015). Selbstverwaltung nach deutschem Muster. Des Weiteren kommen für die Kostenträger neben vielen anderen Faktoren hohe Ausgaben durch die Inanspruch- 1.2 NETZWERKMEDIZIN ALS VISION nahme der Notaufnahmen für Bagatellkrankheiten oder zu späte Erstkontakte aufgrund eines unzureichenden Ver- Das Konzept der Netzwerkmedizin (Münch und Scheytt sicherungsschutzes (The Kaiser Comission on Medicaid 2014) setzt an den von ihren Vordenkern wahrgenommenen and the Uninsured 2014). Die Fragmentierung des Versiche- Defiziten des deutschen Gesundheitswesens an. Ressourcen rungssystems wirkt sich auch auf die Versorgung aus, so werden demnach verschwendet, da Patienten auf dafür dass sich discontinuity of care – also Brüche im Behand- ungeeigneten Versorgungsstufen diagnostiziert und be- lungsverlauf – als ein weiteres zentrales Problem auftut handelt werden – beispielsweise Bagatellkrankheiten in (Shih et al. 2008). der Notaufnahme eines Universitätskrankenhauses oder komplexe neurologische Indikationen in einem kleinen Diese Probleme und – gerade auch was den Versicherungs- Krankenhaus der Grundversorgung. Dies erhöht das schutz betrifft – gravierende systembedingte Unterschiede Risiko fehlerhafter Diagnosen, unnötig teurer Versorgung zwischen den USA und Deutschland, verstellen häufig den und mangelhafter Qualität. Zugleich verhindern Brüche 6 Stiftung Münch | Projektbericht
entlang des Versorgungspfades einen schnellen Infor- stehen. Verschiedene Nebenbedingungen werden für ein mationsfluss und Leistungserbringer mit ineffizienten gesellschafts- und gesundheitspolitisch positiv zu bewer- Organisationsstrukturen können die u.a. demographisch tendes Gesamtergebnis als notwendig erachtet. Hierzu bedingte Mehrnachfrage kaum bewältigen. Die dem So- gehört eine aktive und prominente Rolle von Patienten- lidargedanken verpflichtet Gesetzliche Krankenversiche- rechtsvertretern, die ein Gegengewicht zum allein durch rung (GKV) kann die finanziellen Ressourcen, die für die seine Größe bereits mächtigen Leistungserbringer darstellen. Finanzierung des von den Patienten erwarteten Versor- Ferner muss sichergestellt werden, dass es mehrere, mit- gungsniveaus im Rahmen der gewachsenen Versorgungs- einander in Konkurrenz stehende Netzwerke dieses Typs strukturen benötigt würden, nicht generieren. gibt. Abschließend erscheint ein derart radikales Konzept Im Ergebnis kommt es zu impliziter Rationierung durch nur umsetzbar, wenn es aus einem unternehmerischen lange Wartezeiten und ungleichen Zugangsmöglich- Impetus heraus – also in bewusstem Kontrast zur gesund- keiten zu Gesundheitsleistungen zwischen GKV- und heitspolitischen Planung – entsteht und die hierfür not- PKV-Versicherten. Unter dem Stichwort Zweiklassenme- wendigen Freiräume eingeräumt werden. dizin wird dies öffentlich beklagt. Substantielle Lösungs- vorschläge werden dadurch jedoch nicht generiert. 1.3 IMPULSE FÜR DEUTSCHLAND Das Konzept der Netzwerkmedizin nimmt nun genau dies für sich in Anspruch. Durch eine gezielte Optimierung der Ziel dieses Beitrags ist es weder, das amerikanische Ge- Versorgungsstrukturen und die Ausschöpfung von Ratio- sundheitssystem in seiner Gesamtheit zu bewerten noch nalisierungspotentialen soll Rationierung vermieden werden. die Tragfähigkeit des Konzepts der Netzwerkmedizin zur Im Kern geht es um die Entwicklung von gestuften Versor- Lösung der Probleme im deutschen Gesundheitswesen gungskonzepten, in denen ambulante Medizinische Ver- auszuloten. Vielmehr soll untersucht werden, inwiefern sorgungszentren, Portalkliniken und Maximalversorger ein in den USA Versorgungsstrukturen existieren bzw. durch abgestimmtes Versorgungsnetz aufspannen. den ACA angestoßen wurden, die Elementen der oben skiz- zierten Netzwerkmedizin nahekommen. Dabei ist sowohl Erste Anlaufstelle für einen Patienten ist der ambulan- auf die Anreize zur Schaffung derartiger Versorgungs- te Zugangspunkt, der jedoch durch entsprechende digitale strukturen einzugehen als auch auf die vorliegenden bzw. Vernetzung bei Bedarf auf die diagnostischen Kapazitäten der sich abzeichnenden Erfahrungen mit diesen Ansätzen. In nachgelagerten Versorgungsstufen direkt zugreifen kann. einer kritischen Würdigung soll abschließend diskutiert Dies erhöht die diagnostische Qualität beim Erstkontakt werden, inwiefern hieraus Impulse für die weitere Ent- und ermöglicht eine zielgenaue Weitervermittlung des Pa- wicklung der deutschen Versorgungsstruktur abgeleitet tienten an den fachlich geeigneten Spezialisten auf der an- werden können. gemessenen Versorgungsstufe. Im folgenden Kapitel wird zunächst die Ausgangslage Eine elektronische Patientenakte stellt sicher, dass jederzeit der Versorgungsstruktur in den USA vor dem ACA skiz- auf alle vorliegenden Untersuchungsergebnisse zugegrif- ziert. Die Kernelemente des ACA sowie ausgewählte, das fen werden kann - unabhängig davon, in welchem Teil des Konzept der Netzwerkmedizin tangierende Teilbereiche Netzwerkes sich der Patient bewegt. Die Behandlungspfade werden in Kapitel 3 behandelt. Hierzu zählen insbesonde- sind aufeinander abgestimmt und stellen sicher, dass eine re Anreize durch innovative Vergütungsvarianten sowie effiziente Verteilung der Ressourcen erfolgt. Den Zugang sonstige Anreize zur Integration der Leistungserbringung zu den garantierten Leistungen des bundesweit präsenten und der digitalen Vernetzung durch Electronic Health Re- Netzwerkes – beispielsweise keine Wartezeiten für notwen- cords. Kapitel 4 beleuchtet kritisch den Erfolg dieser Maß- dige Großgerätediagnostik – ermöglichen dem Patienten nahmen im amerikanischen Kontext. In Kapitel 5 erfolgt Zusatzversicherungen, die von privaten Versicherungsun- schließlich die Analyse hinsichtlich möglicher Impulse ternehmen angeboten werden und komplementär zur im für Netzwerkmedizin in Deutschland. Kapitel 6 schließt Kostenerstattungsprinzip abgewickelten GKV-Komponente mit einem kurzen Fazit. Stiftung Münch | Projektbericht 7
2. STRUKTUR DER LEISTUNGS- ERBRINGUNG IN DEN USA VOR ACA 8 Stiftung Münch | Projektbericht
Typischerweise wird die Leistungserbringung in den USA und eine zunehmende Aversion der Versicherten gegen die von niedergelassenen Allgemein- und Fachärzten sowie radikale Beschneidung ihrer Wahlfreiheit führten letztlich durch Krankenhäuser durchgeführt. Die niedergelassenen zum sogenannten Managed Care Backlash. Fachärzte sind im weiteren Sinne als Belegärzte in den Krankenhäusern tätig, die selbst keine Fachärzte direkt Dieser hatte die Konsequenz, dass außerhalb von Kalifornien anstellen. Formen der Kooperation und Integration unter- heute nur noch wenige derartige HMOs anzutreffen sind. liegen in den USA jedoch schon immer einer starken Dy- Andererseits gilt zugleich „any care is managed care“, d. h. namik, sodass das „Standardmodell“ die Realität kaum hin- auch wenn die starke Integration von Versicherung und reichend beschreibt. Mittlerweile gehen beispielsweise mehr Leistungserbringung in weiten Teilen gescheitert ist, sind und mehr Krankenhäuser dazu über, Ärzte direkt anzu- nahezu alle Versicherungsverträge mit Anreizen gekoppelt, stellen. Die ambulante fachärztliche Versorgung findet die Versicherte beispielsweise durch reduzierte Zuzahlun- dann über die den stationären Einrichtungen angeschlos- gen belohnen, wenn sie innerhalb des mit dem Versiche- senen Out Patient Clinics statt. Hinzu kommt, dass es diverse rer kontrahierenden Netzwerks Leistungen in Anspruch Varianten ärztlicher Verbünde gibt, die von eher losen Asso- nehmen. Über die Höhe der Selbstbeteiligung und den Grad ziationen wie Independent Practice Associations (IPA) bis der in Kauf genommenen Beschränkungen lässt sich so die hin zu geschlossenen Medical Groups mit einem starken Versicherungsprämie gravierend beeinflussen. rechtlichen und ökonomischen Integrationsgrad gehen. Im Zuge des Managed Care Booms kam es zu einer mas- Gruppen mit hohem Organisationsgrad und eigenem recht- siven horizontalen und vertikalen Konsolidierungswelle. lichen Träger sind elementare Kooperationspartner oder Hierfür waren verschiedene Gründe ausschlaggebend: So auch Akquisitionsziele für stationäre Leistungserbringer. musste man, um ein attraktiver Vertragspartner für Versi- Letztere sind meist Teil eines lokalen oder regionalen Hos- cherungsunternehmen zu sein, in einer bestimmten Region pital Systems oder einer überregionalen Krankenhausket- eine möglichst große Abdeckung erreichen. Ferner machen te, wobei die Hospital-Systems präsenter sind. Über die es Varianten, die mit der Übernahme eines höheren Kosten- letzten Jahrzehnte haben sich immer wieder Trends abge- risikos einhergehen, notwendig, größere Fallzahlen zu gene- wechselt, die einmal eine starke Ausdehnung vollständig rieren, um dieses zu minimieren. Nicht zuletzt war bei den vertikaler Integration brachten (Hospital-Systems kauften Verhandlungen Marktmacht ein zentrales Argument: Hat- Ärztenetzwerke auf), die dann wieder von einer Auflösung ten Leistungserbringer hinreichend weit fusioniert, sodass dieser Strukturen gefolgt wurde und vice versa (Cutler und ohne sie in einer Region vom Versicherer keine flächende- Scott Morton 2013; Bazzoli et al. 2004). ckende Versorgung angeboten werden konnte, stärkte dies die Verhandlungsposition gegenüber den Versicherern gra- Eine der prägnantesten Entwicklungen stellten in diesem vierend. Unabhängig von den konkreten vertraglichen Aus- Kontext Aufstieg und Fall von Managed Care Konzepten gestaltungen spielen Verhandlungen zwischen Versiche- in den 1980ern und 1990ern dar. Versicherer begannen rern und Leistungserbringern über Leistungsumfänge und stark Einfluss auf die Leistungserbringung zu nehmen, Vergütungsformen eine zentrale Rolle (Bazzoli et al. 2004). um Kosten zu drücken und die so generierte Marge selbst verbuchen zu können. In der konsequentesten Umsetzung der Staff-Model Health Maintenance Organisation (HMO) waren die Krankenhäuser sowie die zugehörigen Ärzte- netzwerke Eigentum der Versicherer. Patienten durften Leistungen nur innerhalb der HMO in Anspruch nehmen und wurden mit einem minimierten Leistungsportfolio konfrontiert. Verschiedenste Exzesse dieses Modells (z. B. Vorenthaltung notwendiger medizinischer Leistungen) Stiftung Münch | Projektbericht 9
3. KOMPONENTEN DES PATIENT PROTECTION AND AFFORDABLE CARE ACT (ACA) 10 Stiftung Münch | Projektbericht
3.1 ALLGEMEIN rern erfolgt. Zudem ist jeder Amerikaner, der finanziell dazu in der Lage ist, dazu verpflichtet (mandate) substantiellen Kran- Das amerikanische Gesundheitswesen ist durch eine kenversicherungsschutz zu erwerben oder aber eine spür- Koexistenz verschiedener Systeme charakterisiert, in bare Steuerstrafe zu zahlen. Dies soll vor allem verhindern, der eine ganzheitliche, sinnvolle Gesundheitspolitik nur dass risikoarme Bevölkerungsschichten, deren erwartete schwer umzusetzen ist. An einer Verwirklichung einer Gesundheitsausgaben weit unter der durchschnittlichen solchen Politik ist Präsident Clinton in den 90er Jahren Prämie liegen, aus dem Versicherungsmarkt austreten. Für trotz einer Mehrheit in Kongress und Senat gescheitert. den privaten Krankenversicherungsmarkt sind zudem neu Dies macht die Verabschiedung des ACA im Jahr 2010 geschaffene Subventionen essentiell. Diese sollen für einen ohne eine demokratische Mehrheit im Senat umso be- Großteil der Bevölkerung nicht nur die Prämien erschwing- eindruckender. Der Patient Protection and Affordable Care lich machen, sondern auch vor einer zu hohen Selbstbe- Act (ACA) wurde nach langer politischer Diskussion im teiligung schützen. Individuen und Familien, die zwischen März 2010 verabschiedet und bildet die größte Reform 133% und 400% der Armutsgrenze liegen, erhalten ge- des amerikanischen Gesundheitssystems seit der Ein- staffelte Subventionen, falls sie nicht anderweitig über führung von Medicare und Medicaid. Der über 800 Sei- Medicare/Medicaid oder über den Arbeitgeber versichert ten lange Gesetzestext adressiert verschiedene Bereiche sind. Die Subventionen können dann an den neu kreierten der Gesundheitsversorgung, von Krankenversicherung Versicherungsmärkten zum Kauf von Versicherungsverträ- und Bürokratieabbau über Effizienz und Qualität der Ver- gen verwendet werden (McDonough 2011). Diejenigen, die sorgung bis hin zu Prävention und Anforderungen an die sich unter 133% des Armutsniveaus befinden, sind nach Beschäftigten im Gesundheitswesen. dem ACA über Medicaid versichert, solange der betreffen- de Staat einer Medicaid Expansion zugestimmt hat (United Die genannte Fragmentierung des Systems ist vermut- States Congress 2010). lich auch eine Ursache der zwei drängendsten Probleme im amerikanischen Gesundheitswesen, die der ACA lösen Trotz Medicaid Expansion und den Versicherungssubven soll. Zum einen soll der weitere Anstieg des international tionen soll das Gesetz von 2010 bis 2019 das staatliche De- unerreichten Ausgabenniveaus gedämpft werden, zum fizit um 143 Milliarden Dollar reduzieren (Congressional anderen soll die Anzahl der Nichtversicherten und Unter- Budget Office 2010). Durch administrative Vereinheitlichun- versicherten gesenkt werden, die sich vor der Reform auf gen, Maßnahmen gegen Missbrauch von Medicare und Me- 47 bzw. 32 Millionen Amerikaner belaufen haben (Schoen dicaid, Einsatz von Generika, Abbau von Subventionen für et al. 2014). Medicare Advantage Plans und Reduzierung von Medicare Vergütungen wird das Ausgabenniveau abgesenkt. Um das Die ersten Kapitel des ACAs befassen sich mit verschiedenen Ausgabenwachstum zu verringern, wurde zum einen die so- Instrumenten, die den Krankenversicherungsschutz der genannte Cadillac Steuer eingeführt, die das Halten von zu amerikanischen Bürger erhöhen sollen. Der heterogene teuren Versicherungsplänen und damit Überversicherung Versicherungsmarkt mit seinen unterschiedlichen Regel- bestraft. Zum anderen soll der durch den ACA geschaffene werken in den verschiedenen Staaten wird durch bundes- Wettbewerb an den Versicherungsmärkten zu Einsparun- weite Vorgaben stärker vereinheitlicht und Onlineplattformen gen führen. Es wurden zudem Institutionen, wie das „Pa- – die sogenannten Exchanges oder Health Insurance Market tient-Centered Outcomes Research Institute“, das „In- Places – erhöhen die Transparenz. Elementar ist auch das dependent Payment Advisory Board“ und das „Center for „guaranteed issue“, das mit dem in Deutschland bekann- Medicare & Medicaid Innovation“ (CMMI) geschaffen, die ten Kontrahierungszwang zu vergleichen ist. Versicherer eine effizientere Gesundheitsversorgung vorantreiben sollen müssen Interessenten aufnehmen, die gewisse Kriterien (Orszag und Emanuel 2010; Zuckerman und Holahan 2012). erfüllen und können nicht mehr aufgrund von bestehenden Erkrankungen den Versicherungsschutz verwehren. Eine Das größte Potential, das Wachstum der Gesundheitsausga- individuelle Risikoadjustierung findet nicht statt, weshalb ben zu reduzieren und dabei auch die Versorgungsqualität ein Ausgleich der Risikostruktur zwischen den Versiche- zu verbessern, liegt vermutlich allerdings in dem Teil, der Stiftung Münch | Projektbericht 11
mit „Payment & Delivery System Reform“ zusammengefasst werden kann und durch verstärkte Integration der Versor- gung, Setzung entsprechender Anreize und den Einsatz von Informationstechnologie gekennzeichnet ist. Dafür bein- haltet der ACA einen bunten Strauß an Neuerungen und Instrumenten, von denen die wichtigsten im Folgenden dargestellt werden. Aufgrund der starken Fragmentierung des Systems ist allerdings zu beachten, dass deren Anwen- dung und damit auch deren Einfluss zunächst meist auf Teilbereiche beschränkt ist. IT-INFRASTRUKTUR Electronic Health Records Accountable Care Organisations Patient Centered Medical Homes VERSORGUNGS- REFORM Center for Medicare and Medicaid Innovation INNOVATIONEN Patient-Centered Episode Based Payment ANREGEN UND VERGÜTUNGS Outcomes Research Pay for Performance EVALUIEREN Institute REFORM Value Based Purchasing Independent Patient Advisory Board Abbildung: Hauptbestandteile der Payment and Delivery System Reform Quelle: Eigene Darstellung Im Folgenden soll nun zunächst auf zwei der Versor- kooperieren oder diese in ihr System integrieren. Als gungsreform zuzurechnende Innovationen eingegangen Beispiel für verschiedene Ansätze, wie mit den neuen werden: Accountable Care Organisationen (ACO) und Pa- Versorgungsstrukturen kompatible Vergütungsformen tient Centered Medical Homes (PCMH). ACOs stellen dabei aussehen können, folgt darauf eine kurze Erläuterung den breitesten Ansatz dar, der die größte Integrationstiefe der Episode Based Payments, welche die noch immer besitzt, und potentiell vom Maximalversorger bis zum nie- weit verbreitete Einzelleistungsvergütung ablösen sol- dergelassenen Physiotherapeuten alle Leistungserbringer len. Abschließend wird auf die konsequente Förderung unter einem strukturellen Dach vereinen kann. PCMH set- von Electronic Health Records (EHR) eingegangen. Die- zen hingegen an der Primärversorgung der Patienten an und se stellen ein notwendiges Bindeglied für die effiziente sollen eine Screening-, Koordinations- und Lotsenfunktion Kooperation verschiedener Leistungserbringer dar. Auch erfüllen. Eine weitergehende Integration zum Beispiel in viele der innovativen Versorgungsansätze oder Vergü- den Bereich der stationären Versorgung ist nicht vor- tungssysteme sind ohne eine derartige IT-Infrastruktur gesehen. Natürlich kann eine ACO aber auch mit PCMH nicht umsetzbar. 12 Stiftung Münch | Projektbericht
3.2 ACCOUNTABLE CARE den 90er Jahren ist, dass Patienten ohne ihr aktives Zutun, prospektiv auf Grundlage ihres Leistungsgeschehens den ORGANISATIONS ACOs zugeordnet werden, dabei aber nicht in der Wahl ih- Accountable Care Organisations (ACO) sind Netzwerke res Leistungserbringers eingeschränkt werden (Berenson von Ärzten, Krankenhäusern und anderen zugelassenen und Burton 2012; Casalino 2014). Die Versicherer haben al- Leistungserbringern, die für Qualität und Kosten des ge- lerdings die Möglichkeit, entsprechende Anreize zu setzen, samten Versorgungsgeschehens für eine bestimmte Pati- indem sie die Höhe der Zuzahlungen für die Inanspruch- entenpopulation verantwortlich sind. Dies stellt insofern nahme von Leistungserbringer innerhalb bzw. außerhalb eine Neuerung dar, als das bisherige System vor allem einer ACO entsprechend staffeln. durch eine mengentreibende, reine fee-for-service (FFS) Vergütung und starre sektorale Grenzen geprägt ist. Ei- ACOs können dabei unterschiedlichste Organisationsformen nige wenige, aber prominente Ausnahmen stellen hierbei annehmen, die sich aus der Eigentümerstruktur – einzelner Leistungserbringer wie die Mayo Clinic oder Weiterent- Eigentümer vs. mehrere Eigentümer – und dem Ausmaß wicklungen der klassischen HMOs wie Geisinger Health der Integration ergeben, wobei die ACO sowohl von Kraken- Systems dar, die als voll integrierte Versorger das gesam- häusern, Ärztenetzten als auch von sonstigen Leistungser- te Behandlungsspektrum abdecken und schon länger al- bringern geführt werden können. Wie in Tabelle 1 zusammen- ternative Vergütungsansätze verfolgen. gefasst, lassen sich die ACOs dabei in sechs Grundtypen einordnen (Muhlestein et al. 2014): So gibt es voll integrierte ACOs können als eigene rechtliche Einheit firmieren, sie Versorgungssysteme, den Archetyp der ACOs, die einen können jedoch auch lediglich als virtuelle Organisationen Großteil des Versorgungsspektrum abdecken, eine domi- kooperierender Akteure existieren. Leistungserbringer in nante Rolle im lokalen Markt spielen, an einer langfristigen der ACO können unter Einhaltung gewisser Qualitätsstan- Mehrwert generierenden Gesundheitsversorgung orientiert dards finanziell von Kosteneinsparungen bezogen auf die sind, dabei das Kostenrisiko übernehmen und verstärkt auf gesamte Behandlungsepisode profitieren. Dabei gibt es ver- umfassende IT-Lösungen setzen. schiedene Formen, wie dieser Anreiz zu erhöhter Integra- tion gesetzt wird. Im Medicare System z. B. erhalten ACOs Daneben existieren unabhängige Arztgruppen ACOs, bei durch das Shared Savings Programm zusätzlich zur Ein- denen überwiegend Hausärzte lose miteinander koope- zelleistungsvergütung einen Bonus, falls ein bestimmtes rieren, mit dem Ziel, die Mindestanforderungen für das Kostenziel erreicht wird. Die ACO erhält zwischen 50 und Medicare Shared Savings Program (MSSP) zu erfüllen. Der 60 Prozent der eingesparten Kosten einer Behandlungsepi- dritte Typ, Arztgruppen Allianzen, unterscheiden sich von sode, wobei der Bonus auf 10 bis 15 Prozent des Kostenziels den unabhängige Arztgruppen ACOs nur dadurch, dass hier gedeckelt ist. auch Fachärzte mit einbezogen werden. Bei den erweiter- ten Arztgruppen ACOs handelt es sich um eine Verbindung Eine Modifizierung dieses Modells sind Shared Risk von niedergelassenen Ärzten, die mit anderen Versor- Verträge, bei denen die Leistungserbringer zwar auch von gungsstufen, hauptsächlich Krankenhäusern, kooperiert Kosteneinsparungen profitieren, aber auch das Kostenrisi- und durch multiple Eigentümerschaft gekennzeichnet ist. ko tragen, indem sie bei Überschreitung eines Kostenziels Unabhängige Krankenhaus ACOs haben dagegen nur ein Strafzahlungen zu leisten haben. Die Zahlungen sind abge- alleinstehendes Krankenhaus als Eigentümer, wobei aller- staffelt und die ACO übernimmt nicht die volle Kostenver- dings auch ambulante Leistungen durch Kooperationen mit antwortung, wie es z. B. bei einem reinen Capitation Modell niedergelassenen Ärzten erbracht werden können. Diese der Fall wäre. Die daran teilnehmenden ACOs werden in Art der ACO bietet allerdings oft keine spezialisierte Medizin Anlehnung an das entsprechende Programm Pioneer ACOs an und wurde oft mit dem Ziel gegründet, dem Kranken- genannt. Parallel wird auch mit sogenannten Partial Capita- haus einen stetigen Patientenstrom zu sichern, um sich tion Modellen experimentiert, bei denen Einzelleistungs- gegen größere Hospital Systems behaupten zu können. vergütung und eine pauschale Vergütung pro Patient kom- Krankenhaus Allianz ACOs haben wiederum mehrere Eigen- biniert werden. Ein großer Unterschied zu den HMOs aus tümer mit oft mehreren, kleinen Krankenhäusern, die Stiftung Münch | Projektbericht 13
zusammen mit niedergelassenen Leistungserbringern ver- CMMI soll das Versorgungsgeschehen sowie Qualität und mehrt in ländlichen Gebieten tätig sind. Dort haben diese eine Kosten der verschiedenen ACO Formen evaluieren, um große Patientenbasis auf deren Grundlage die ACO das letztendlich die wirksamste Variante zu ermitteln, die dann finanzielle Risiko gut glätten können. Unter anderem das anschließend weiter gefördert werden soll. ACO TYP LEISTUNGSERBRINGER EIGENTÜMERSCHAFT ZIELE Krankenhäuser, Nieder- Multiple Eigentümerschaft Langfristige Generierung von VOLL INTEGRIERTES gelassene Ärzte, Langzeit dominant, vereinzelt ledig- Mehrwert für Patienten VERSORGUNGSSYSTEM pflege, sonstige Leistungser- lich ein Eigentümer bringer Zugriff auf Vergütung des UNABHÄNGIGES Erbringer medizinischer Ein Ärztenetz ist alleiniger MSSP (Medicare Shared ARZTGRUPPEN ACO Grundleistungen Eigentümer der ACO Savings Program) ARZTGRUPPEN Angebot einer ambulanten Haus- und Fachärzte Mehrere Ärztenetze ALLIANZEN ACO Vollversorgung Schaffung eines Zusatz- ERWEITERTE Ärzte in Kooperation mit Überwiegend multiple Eigen- nutzens ohne zu hohem ARZTGRUPPEN ACO zumindest einer Kliniken tümerschaft Integrationsgrad Krankenhaus bzw. Kranken- UNABHÄNGIGE haussystem; Ambulante Krankenhaus alleiniger Sicherung des Patienten- KRANKENHAUS ACO Leistungserbringer als Eigentümer stroms für das Krankenhaus Kooperationspartner Krankenhäuser mit eigenen Schaffung einer breiten KRANKENHAUSALLIANZ Ärztenetzen bzw. Koope- Mehrere Eigentümer Patientenbasis zur Risiko- ACO rationen mit ambulanten glättung Leistungserbringern 14 Stiftung Münch | Projektbericht
3.3 PATIENT CENTERED MEDICAL HOMES zur Erbringung medizinischer Grundversorgung ist die großflächige Förderung der PCMH die wichtigste Neuerung Ein weiteres Versorgungsmodell, das in gewissen Teilbe- durch den ACA, um die unzulängliche Primärversorgung in reichen bereits in den 90er Jahren eingeführt wurde, ist den USA zu verbessern. das Patient Centered Medical Home (PCMH). Auch wenn es sehr unterschiedliche Formen des PCMH gibt, lässt sich der Idealtyp wie folgt beschreiben: Patientenzentrierung, 3.4 EPISODE BASED PAYMENT SYSTEM erleichterter Zugang sowie eine stabile, langfristige und persönliche Beziehung zu einem Arzt, der die Versorgung Eine weitere Neuerung durch den ACA, die zu einer stärke- lenkt und organisiert. Prävention allgemein und die The- ren Integration führen kann, ist die Einführung von Epi- matik chronischer Erkrankungen spielen dabei eine zentra- sode Based Payments, die den im stationären Sektor be- le Rolle (Davis et al. 2011). reits existierenden DRGs ähneln. Der Unterschied besteht allerdings darin, dass die Behandlungsepisode breiter Im Gegensatz zu den ACOs besteht eine Organisationseinheit definiert wird und über sektorale Grenzen hinweg geht. hier überwiegend aus einem Team mit einem niedergelas- Für festgelegte klinische Episoden erhalten die an der senen, für die Primärversorgung verantwortlichen Arzt im Leistungserbringung beteiligten Akteure einen Pauschal- Zentrum und nicht aus einem Netzwerk von Leistungser- betrag von den Versicherungen. Wie bei den ACOs tragen bringern, welches das gesamte Behandlungsspektrum ab- die Leistungserbringer damit das finanzielle Risiko, falls die deckt (Edwards et al. 2014). Das PCMH Team kann neben Kosten über der Pauschale liegen. Sie können aber auch Ärzten und Pflegern auch Ernährungsberater, Pharmako- von Kosteneinsparungen profitieren (Hussey et al. 2011). logen und Sozialarbeiter umfassen. Der integrative Aspekt Eine Behandlungsepisode könnte z. B. alle mit eine Knie- dieser Versorgungsform besteht in dieser interdisziplinären, endoprothese zusammenhängenden Schritte umfas- ganzheitlichen Herangehensweise an die Primärversorgung, sen. Die Episode und damit die entsprechende Pauschale die Gesundheitsförderung und Prävention mit einschließt. umfassen sowohl mehrere Tage vorstationärer Behand- Des Weiteren sollen die PCMH die Koordination des Ver- lung, den stationären Aufenthalt als auch die darauf fol- sorgungsgeschehens übernehmen. Die Organisation des genden 30 Tage in der Rehabilitation. Der Anreiz für die Übergangs von ambulanter zu stationärer Versorgung, vom Leistungserbringer liegt damit darin, durch eine höhere Krankenhaus zu Rehabilitation oder Langzeitpflege, sowie Kooperation, Koordination und Integration der Versor- die Berücksichtigung familiärer Umstände liegt im Aufga- gung Effizienzpotentiale zu realisieren und wie bei den benbereich der PCMH (Davis et al. 2011; National Conference ACOs gemeinsam von den Kosteneinsparungen zu profi- of State Legislatures 2012). tieren (Mechanic 2011). Die Bündelung der Vergütung kann dabei entweder auf eine bestimmte Prozedur oder Um das Ziel der PCMH – verbesserte Qualität bei zumindest auf eine medizinische Indikation bezogen werden, wobei gleich bleibenden Kosten – zu erreichen, müssen ent- sich hier insbesondere chronische Erkrankungen anbieten sprechende Formen der Vergütung angewendet werden, dürften. welche die Behandlung und zusätzlich vorgehaltene Infra- struktur abbilden und z. B. aus einem Mix aus Einzelleis- Die Schwierigkeiten der Episode Based Payments liegen tungsvergütung und einer Pauschale pro eingeschriebe- darin, eine Episode klar und sinnvoll zu definieren, eine nem Patient bestehen. Die Bundesstaaten wurden durch angemessene Pauschale zu kalkulieren sowie sicher zu den ACA befähigt, Vergütungssysteme für PCMH zu ent- stellen, dass keine Einsparungen auf Kosten der Behand wickeln, die dann im Medicaid Sektor angewendet wer- lungsqualität erfolgen. Schon vor dem ACA wurde in ein- den sollen. Ferner ist eine zielgenaue Outcome-Messung zelnen Staaten bezogen auf wenige Indikationen mit ge- nötig, um die Behandlungsqualität sicher zu stellen. Für bündelten Vergütungen experimentiert, wobei durchaus viele der genannten Aspekte ist zudem essentiell, dass eine Kosteneinsparungen bei gleichbleibender oder sogar funktionierende IT Infrastruktur aufgebaut und vorgehalten verbesserter Qualität zu beobachten waren (Korda und wird (Fields et al. 2010). Neben neuen finanziellen Anreizen Eldridge 2011). Stiftung Münch | Projektbericht 15
3.5 ELECTRONIC HEALTH RECORDS Act sind geschätzte 30 Mrd. Dollar, die von 2011 bis 2017 bereitgestellt werden und den Leistungserbringern zu Gute Mit der großflächigen Einführung einer einheitlichen IT kommen, sobald diese Electronic Health Records (EHR) ein- Infrastruktur im Gesundheitswesen wird schon lange die führen und benutzen. Außerdem sollen Leistungserbringer Hoffnung auf Kosteneinsparungen und Qualitätsverbesser ab 2015 finanzielle Einbußen erleiden, falls sie keine EHR ungen verbunden (Terry 2013). Die oben vorgestellten Ver- verwenden. sorgungsformen mit ihren komplexen Vergütungsmecha- nismen und Qualitätsanforderungen machen den Aufbau Darüber hinaus werden nicht unerhebliche Mittel bereitge- einer IT-Infrastruktur mit einer elektronischen Patienten- stellt, um Unterstützungssysteme und regionale IT Zentren akte als Kernbestandteil unerlässlich. Fehlanreize und zu bilden, die den Leistungserbringern bei der Implemen- die auf Ebene des einzelnen Leistungserbringers durch- tierung und Verwendung der EHR zur Seite stehen (Blu- aus rationale Strategie, die weitere Entwicklung erst menthal 2009). Durch die genannten Maßnahmen wurde abzuwarten, verhinderten jedoch lange Zeit entscheidende die Implementierung von EHR vorangetrieben. Ob sich die Fortschritte bei ihrer Verbreitung (Christensen und Rem- erhofften Effekte von EHR auf die Gesundheitsversorgung ler 2009). Als Vorgriff auf den ACA und als Teil des Reco- einstellen, hängt vor allem von zwei Faktoren ab: Erstens very Acts, dem Konjunkturpaket von 2009, wurde deshalb muss die Zertifizierung von EHR, die unter der Bundes ein milliardenschweres Paket geschnürt, das die Verbreit behörde ONCHIT erfolgt, zu anwenderfreundlichen und ung von Gesundheits-IT vorantreiben sollte (Schmid und sinnvoll einsetzbaren Patientenakten führen. Zweitens Schmidt 2014; Korda und Eldridge 2011). Unter dem Begriff müssen diese dann auch in einem substantiellen Umfang HITECH Act werden verschiedene Maßnahmen gebün- in der Praxis verwendet werden. Dies soll dadurch sicher- delt. Eine davon ist die Stärkung einer bereits unter der gestellt werden, dass die finanziellen Mittel nur fließen, Präsidentschaft von G. W. Bush geschaffenen Bundesbe- wenn „meaningful use“ der EHR nachgewiesen wird, d.h. hörde, der ONCHIT, welche die Führung und Koordinati- sukzessiv steigende Anforderungen an den Umfang, die on der Implementierung von bundesweiter, kompatibler Leistungsfähigkeit und die Interoperabilität der IT erfüllt Gesundheits-IT übernehmen soll. Herzstück des HITECH werden (Buntin et al. 2010). 16 Stiftung Münch | Projektbericht
4. EFFEKTE DES ACA AUF DIE VERSORGUNGS- STRUKTUR Stiftung Stiftung Münch Münch | Projektbericht 17
4.1 ALLGEMEINER STAND DER Versicherungsschutzes nicht zu einer Vereinheitlichung des Systems führen. Während die Zahl der Nichtver- FORSCHUNG ZUM ACA sicherten reduziert wird, bleibt die Fragmentierung Obwohl bereits fünf Jahre seit Verabschiedung des ACA bestehen. Dies stellt eines der Zugeständnisse an die vergangen sind, ist kaum abschließend einzuschätzen, ob politische Durchsetzbarkeit des Reformprojekts dar. einzelne Reformbestandteile erfolgreich waren. Dies liegt Die Nachteile dieser Fragmentierung für die Leistungs vor allem daran, dass einige der Instrumente und Ver- erbringer – insbesondere der hohe administrative Auf- sorgungsformen erst seit relativ kurzer Zeit tatsächlich wand – bleiben bestehen. angewendet werden und dadurch eine umfassende quali- tative und quantitative Analyse noch nicht möglich ist. Die folgenden Ausführungen basieren deshalb oft auf Schätz 4.2 ACCOUNTABLE CARE ungen und Tendenzen. ORGANIZATIONS Als gesichert kann die erhöhte Verfügbarkeit von Kranken Was die Versorgungs- und Vergütungsmodelle betrifft, ist versicherungsschutz angesehen werden. Bis Februar 2015 vor allem die Entwicklung der ACOs hervorzuheben. Nimmt haben 11,7 Millionen Amerikaner eine Krankenversicher man die verschiedenen Formen der ACOs zusammen, ung über die neu geschaffenen Exchanges erworben, wobei wurden bis Ende 2014 im Medicare Bereich 424 derartige die meisten Käufer Subventionen erhalten haben. Durch Organisationen gegründet. Diese bestehen aus circa 40.000 die Medicaid Erweiterung und sonstige Regelungen beläuft Leistungserbringern, die für die Gesundheitsversorgung sich die Zahl der durch den ACA versicherten Personen auf von knapp acht Millionen Amerikanern verantwortlich über 30 Millionen. sind. Da viele dieser Personen vorher allerdings bereits über Verschiedene Studien deuten derzeit auf moderat po- anderweitigen Krankenversicherungsschutz verfügten, sitive Effekte bezüglich Kriterien wie Patientenzufrie- wird die Nettozunahme an Versicherten auf zwischen 7 denheit und Behandlungsqualität hin. Auch scheinen und 16 Millionen geschätzt, was einer anderen Schätzung zumindest geringe Einsparungen hinsichtlich der Medicare nach einer Abnahme des Anteils der Nichtversicher- Behandlungskosten möglich, wobei allerdings in vielen ten von ungefähr 20 auf 16 Prozent entspricht (Blument- Kalkulationen die Investitions- und Administrationskosten hal et al. 2015). Bezogen auf die Kostenentwicklung im der Leistungserbringern und Kostenträger nicht berück- amerikanischen Gesundheitswesen lassen sich keine sichtigt werden. Neben den Medicare ACOs existieren hun- allgemeingültigen Schlüsse ziehen. Das Wachstum der derte ACO-ähnliche Verträge mit privaten Versicherern, für Gesundheitsausgaben von 2010 bis 2013 hat sich im welche die Studienlage jedoch noch weniger aussagekräf- Vergleich zu den Vorjahren zwar verlangsamt, doch tig ist. ist davon auszugehen, dass dies eher ein Resultat der Wirtschaftskrise ist und nicht dem ACA zugeschrieben Ein starker Treiber für diese privaten ACOs ist der durch werden kann (Centers for Medicare & Medicaid Services verschiedene Maßnahmen des ACA weiter zunehmen- 2014). de Druck auf die Rendite der privaten Versicherungen, die deshalb versuchen, ein größeren Teil des finanziellen Im Medicare-Bereich, lässt sich die Abschwächung des Risikos auf die Leistungserbringer zu übertragen (Sha- Ausgabentrends allerdings auch durch die Einschnitte bei lowitz 2013; McWilliams et al. 2015; Casalino 2014; Cavan- der Vergütung von Gesundheitsleistungen erklären. augh 2014; Blumenthal et al. 2015). Wie Casalino (2014) Unter anderem deswegen wird prognostiziert, dass die hervorhebt, ist allerdings nur ein Teil der ACOs öko- Medicare Ausgaben im Jahr 2020 um 200 Mrd. Dollar nomisch erfolgreich. Einige der Pioneer ACOs haben niedriger sein werden, als noch 2010 prognostiziert sich aus dem Projekt zurückgezogen und sind vorerst wurde (Blumenthal et al. 2015). Es bleibt festzuhalten, in das Shared Savings Programm gewechselt, andere dass die durchaus umfassenden Reformen im Bereich des renommierte Health Systems nahmen von Anfang an 18 Stiftung Münch | Projektbericht
nicht Teil. Casalino sieht vor diesem Hintergrund zwei daran, dass selbst unter den diversen existierenden Gefahren: innovativen Primärversorgungsformen lediglich 40% als PCMH zertifiziert sind. Noch scheint die Akkreditierung Zum einen, dass die ACOs scheitern, da insgesamt zu we- als PCMH nicht attraktiv genug und die Anforderungen nige Verträge abgeschlossen werden, sie sich also nicht der Zertifizierung – zumindest aus Sicht der Leistungs durchsetzen können. Zum anderen, dass ACOs erfolgreich erbringer – zu hoch zu sein (Hahn et al. 2014). Mit Stand sind, allerdings aus den „falschen“ Gründen. Letztere seien 2013 war auch die Zahl der evaluierten PCMH Projekte noch in der im Folgenden noch näher ausgeführten Anhäufung zu klein, um belastbare Aussagen zum ökonomischen Er- von Marktmacht vollständig integrierter Systeme zu sehen, folg zu machen. Es zeigten sich allerdings starke Indizien die sich in der Vergangenheit in starken Preissteigerungen für eine zumindest moderate Verbesserung im Bereich der niedergeschlagen hat. Patientenzufriedenheit und der Prävention (Jackson et al. 2013). Von den oben skizzierten Varianten möglicher ACO Ausprä- gungen erscheinen jene am erfolgreichsten, die von einem Zugleich gibt es mittlerweile einzelne, umfangreich doku- großen Universitätsklinikum koordiniert werden. „Virtu- mentierte und analysierte Beispiele, wie die von Geisinger elle“ ACOs (d. h. Kooperationen zwischen den Leistungs- Health Systems unter dem Begriff ProvenHealthNavigator erbringern) sind zwar möglich, scheinen aber deutlich (PHN) etablierten Medical Homes (Maeng et al. 2015). Hier schwerer implementierenbar zu sein als real integrierte koordinieren in den Praxen situierte Case Manager sekto- Organisationen. renübergreifend die Versorgung der Patienten. Dabei wird ein populationsbezogener Ansatz verfolgt, in welchem auf Insbesondere Fragen wie die Aufteilung der erreichten Basis von Abrechnungs- und Behandlungsdaten Hoch Einsparungen sind hier kritisch. Solange die fee-for- risikopatienten identifiziert und gezielt angesprochen wer- service Komponente nach wie vor eine zentrale Rolle spielt, den. Im Hintergrund steht ein umfangreiches EHR System, bestehen ferner starke Anreize, die einer Reduktion des das die notwendigen Daten standortübergreifend zugäng- Fallvolumens entgegenwirken. So interpretiert Shalowitz lich macht, populationsbezogene Auswertungen ermög- (2013) die bisher vorliegenden Ergebnisse dahingehend, licht und teambasierte Behandlungspfade unterstützt. dass die Präsenz eines Krankenhauses in einer ACO eher ein Hindernis für die Realisierung von Einsparpotentialen Die Vergütung erfolgt neben einer klassischen fee-for-ser- darstellt, da Krankenhäuser in der Regel nach wie vor ein vice Komponente über erfolgsabhängige Komponenten, stark volumenorientiertes Geschäftsmodell verfolgen. Noch die neben den erreichten Einsparungen auch Qualitäts- weitestgehend ungeklärt ist die Frage, wie sich die Situa- und Patientenzufriedenheitsindikatoren berücksich- tion entwickeln wird, wenn nach den ersten durch Effizienz- tigen. Verschiedene Auswertungen konnten für dieses steigerungen realisierten Einsparungen weitere Erfolge nur Beispiel eine deutlich wahrnehmbare Kostenreduktion deutlich langsamer zu erzielen sind. Manche Beobachter dokumentieren. Den größten Beitrag dazu lieferten Ein- befürchten insbesondere für die Shared Savings Program- sparungen durch vermiedene oder kürzere stationäre Auf- me, dass bei einem Nachziehen der Benchmark kurzfristig enthalte. Aber auch in anderen Kostenkategorien, wie den kaum weitere verteilbare Einsparungen erreichbar sind. Ausgaben für Arzneimittel, wurden Kosten reduziert. Die inhärente Präventionslogik zeigt sich dadurch, dass über eine zunehmende Dauer der Mitgliedschaft in ei- 4.3 PATIENT CENTERED nem Geisinger Medical Home die realisierten Einsparun- MEDICAL HOMES gen zunehmen. Dabei haben nicht nur Praxen, die zum Geisinger Health System gehören, den PHN implementiert, Was die PCMH angeht, scheinen für eine Implementie- sondern auch Independent Physician Practices. Alle Pra- rung in der Breite noch einige Hürden zu bestehen. Ende xen versorgen nicht nur Geisinger Patienten, sondern im 2013 waren einer nationalen Studie zufolge nur 5% der Mittel 70% Patienten anderer Versicherer. Letztere wurden Primärversorger als PCMH anerkannt. Das liegt auch in die vorangehenden Analysen naturgemäß nicht einbe- Stiftung Münch | Projektbericht 19
zogen, profitieren aber in Teilen von den durch den PHN des Leistungsvolumens bis Ende 2016 nicht mehr über etablierten Strukturen in den teilnehmenden Praxen. Be- fee-for-service Modelle abrechnet. 2018 soll die 50% Mar- stimmte Elemente, wie der Zugang zu den Case-Managern, ke überschritten werden und die dann noch existierenden stehen allerdings ausschließlich den Teilnehmern am fee-for-service Komponenten sollen beinahe vollständig an PHN offen. Geisinger selbst hat nach einer Startphase aus- Qualitätskriterien angekoppelt werden (Cutler 2015). Cutler schließlich mit Medicare Patienten das Modell auch auf und Ghosh (2012) gehen ferner davon aus, dass es für das den Rest der Versicherten ausgeweitet. Einsparpotential nachrangig ist, ob die Bündelung auf Epi- sodenebene oder Patientenebene erfolgt, obwohl erstge- Als Nebenprodukt generieren die Experimente mit PCMH nannte Option den Anreiz zur Maximierung der Anzahl an wertvolle Erfahrungen für Multipayer Ansätze, d. h. Behandlungsepisoden nicht verringert. Kooperationen verschiedener Kostenträger zum Abschluss von Verträgen mit Leistungserbringern, die innovative Ver- sorgungsformen anbieten. So wurden zwischen 2008 und 4.5 ELECTRONIC HEALTH RECORDS 2014 siebzehn Multipayer Kooperationen für PCMHs umge- setzt und umfangreich dokumentiert (Takach et al. 2015). Die Verbreitung und der sinnvolle Einsatz von EHR sind unter anderem durch den Recovery Act sowie den ACA Zusammenfassend ist noch unsicher, ob durch die zu- stark angestiegen. Von 2007 bis 2012 hat sich der Anteil der sätzlichen ACA Mittel für PCMH durch Medicaid deren Arztpraxen mit einer vollfunktionsfähigen EHR von 4 auf Verbreitung entscheidend gefördert werden kann. Bereits 24% erhöht, wobei der Anstieg seit 2009 bedeutend höher vor dieser zusätzlichen Förderung konnten PCMH eta- ausgefallen ist (Hsiao et al. 2014). Auch im stationären Be- bliert werden, die ökonomisch erfolgreich waren. Aller- reich sprang die Durchdringung zumindest mit grundlegen- dings scheint dies primär großen und zumeist integrierten den EHR von 9 Prozent im Jahr 2008 auf 44 Prozent im Jahr Health Systems zu gelingen (Jackson et al. 2013), die nicht 2012. Allerdings konnten nur 17 Prozent der Einrichtungen nur entsprechende Anfangsinvestitionen leisten können, einen umfassenden EHR vorweisen, wobei jedoch ein deut- sondern auch die nötigen Managementressourcen besit- lich positiver Trend vorlag. Insbesondere die drohenden zen. Eine systematische Analyse der Erfolgsfaktoren liegt Kürzungen von Medicare Zahlungen scheinen einen star- nach heutigem Stand noch nicht vor. ken Anreiz darzustellen und haben eine in diesem Bereich vorher nicht bekannte Dynamik entfacht. Im Rahmen der Implementierung mussten allerdings mehrfach Deadlines 4.4 EPISODE BASED PAYMENT SYSTEMS für die Erfüllung der meaningful use Kriterien verschoben werden. Zudem wurden insbesondere Anforderungen, wel- Episode Based Payment Systems scheinen zunehmend che die Interoperabilität betreffen, eher abgeschwächt. angenommen zu werden, da bereits fast 7000 Leistungs- erbringer an einer Art der gebündelten Vergütung teil- Der veranschlagte Zeitrahmen erscheint rückblickend als nehmen. Allerdings gibt es hierzu bisher kaum belastbare vermutlich zu ambitioniert und beschleunigte zudem die Studien, sodass eine weiterführende Bewertung über die Konsolidierung der Anbieter weiter. So sahen sich viele Zahlen der amtlichen Statistik hinaus derzeit noch nicht insbesondere kleinere Anbieter von der schnell ansteigen- möglich ist (Blumenthal et al. 2015). Es zeichnet sich jedoch den Nachfrage bei gleichzeitiger Knappheit an Fachperso- im Kontext der bereits beschriebenen ACOs ab, dass der- nal überfordert. Zugleich haben Krankenhäuser eine starke artige Vergütungsformen an Bedeutung gewinnen und die Präferenz für etablierte Systeme mit minimalen Implemen- noch dominierenden fee-for-service Varianten sukzessive tierungsrisiken. Beide Aspekte haben ferner bewirkt, dass ergänzen bzw. ersetzen werden. Ferner dürfte wiederum in der Tendenz eher auf ältere Systemarchitekturen zu- durch Medicare Policy Reformen ein starker Impuls in den rückgegriffen wurde, statt die Gelegenheit für die Verbrei- gesamten Markt erfolgen. So wird von Seiten des Gesund- tung innovativer Systeme zu nutzen, welche die heute be- heitsministeriums angestrebt, dass Medicare – mithin der reits existierenden technischen Möglichkeiten vollständig größte Kostenträger des US-Gesundheitssystems – 30% ausschöpfen (Schmid und Schmidt 2014). 20 Stiftung Münch | Projektbericht
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