Prompter und schneller Lieferservice: Eine Kultur für sich
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LEBEN Service © Quickcall Prompter und schneller Lieferservice: Eine Kultur für sich Wie lange warten Sie auf das Essen, das Sie telefonisch bestellt haben? Wer einmal erfahren hat, wie blitzschnell in Korea alles ins Haus geliefert wird, der glaubt schon nach knapp über fünf Minuten, dass der Lieferant sich wohl verspätet. Erfahren Sie etwas über die Hintergründe und Gegebenheiten, die dazu geführt haben, dass Korea auf Basis eines prompten Lieferservicesystems und gut ausgebauten Transportnetzwerkes zu einem „Land mit höchster Reaktionsschnelligkeit“ wurde. Song Doyoung Professor für Kulturanthropologie, Hanyang University 82 Koreana | Winter 2008
B esucher aus dem Ausland, die zum ersten Mal nach jetzt noch erleichtert auf, wenn er sich an den letzten Elterntag Korea kommen, staunen über das rasche Tempo der (Elterntag: 8. Mai) erinnert. Als einziger Sohn wurde er stets koreanischen Gesellschaft. Auf den breiten Straßen in von seinen Eltern mit Liebe überschüttet. Aber am Elterntag der Stadtmitte warten Dutzende von Motorradfahrern einer fällt ihm auf der Arbeit erst nach einem halben Tag ein, was hinter dem anderen darauf, dass die Ampel endlich grün wird für ein Tag es ist. Schon zu spät! Eigentlich hätte er am letzten und durch die Gassen flitzen Motorräder, die Essen ausliefern. Wochenende seine Eltern besuchen und gratulieren müssen. Lieferwagen mit dem Logo der Lieferfirmen sind den ganzen Aber von Seoul bis zu seinem Heimatort in der Provinz dauert Tag von morgens früh bis spät in die Nacht damit beschäftigt, es mehr als drei Stunden mit dem Zug. die verpackten Waren hierhin und dorthin zu liefern. Woher in B schaut auf die Uhr. Zum Glück ist der Tag noch nicht ganz aller Welt kommt diese unablässige Geschäftigkeit? vorbei. Die Zeit reicht gerade noch für einen Blumengruß an die Eltern. Aber wie? Er fährt den Computer hoch und geht ins Lieferservice als fester Bestandteil des Alltags Internet. Auf der Webseite für Blumenversand wählt er aus A (31) arbeitet in der Projekt-Abteilung einer Werbeagentur. Im dem elektronischen Katalog einen schön dekorierten Korb Konkurrenzkampf mit anderen Agenturen gibt es nichts Wich- roter Nelken, der traditionellen Blume für den Elterntag. Er tigeres, als die Deadline für die Einreichung der Projektvor- bestätigt den Preis, wählt einen Satz für die Gratulationskarte, schläge einzuhalten. Ist die Frist einmal abgelaufen, nehmen gibt die Adresse seiner Eltern und die gewünschte Lieferzeit die Werbekunden kein Projekt mehr an. Wenn irgend möglich, ein und klickt auf „Bestätigen“. Innerhalb von einer Stunde gibt man bis zur letzten Sekunde sein Bestes, um dem Pro- kommt bei seinen Eltern ein Blumenkorb an, der detailgetreu jektplan den letzten Schliff für den Erfolg zu verleihen. Dafür der Abbildung auf der Webseite entspricht. Gegen Feierabend zählt jede Sekunde. In diesem Fall ist es auch äußerst wich- rufen seine Eltern an und bedanken sich voller Freude für den tig, Informationen zu sammeln und zu verwalten. Manchmal Blumengruß. erhält man noch neue Informationen, wenn das Projekt kurz Das Lieferservicesystem gehört schon seit langem als fester vor dem Abschluss steht. Sollte man in diesem Fall die bereits Bestandteil zum Alltag der Koreaner. Es ermöglicht, jederzeit geleistete Arbeit in den Papierkorb werfen und auf Basis der und überall per Telefon oder übers Internet alles Mögliche zu neuen Informationen noch einmal von vorn anfangen? Die Ant- bestellen und ins Haus liefern zu lassen und wird von allen wort ist „Ja“, wenn auch nur die geringste Möglichkeit besteht, nutzbringend in Anspruch genommen. Berufstätige, die am dass es zeitlich noch machbar ist. Es gilt, einige Stunden, Morgen nicht genügend Zeit haben, um ein ordentliches Früh- Minuten und Sekunden zu gewinnen. stück vorzubereiten, nutzen den Frühstückslieferservice. Man Darf man bei einem solchen Kampf mit der Zeit den neuen braucht lediglich diesen Service zu ordern und schon wird Projektplan einfach mit der Post schicken? Auf keinen Fall! jeden Morgen zur gewünschten Zeit ein fertiges Frühstück Die Gefahr, die gesetzte Frist zu überschreiten, ist zu groß. Per mit warmem Reis ins Haus geliefert. Dieser günstige und Post oder über die großen Haus-zu-Haus-Lieferfirmen dauert praktische Service erfreut sich vor allem bei alleine lebenden es wenigstens ein bis zwei Tage. Aber A und seine Kollegen Berufstätigen großer Beliebtheit. Viele lassen sich für ihre können die Unterlagen auch nicht persönlich zum Kunden Gesundheit und Schönheit Milch, Jogurt oder Gemüsesaft ins bringen. Denn nach Abschluss des einen Projektplans türmen Büro liefern. An hektischen Tagen, an denen die Zeit nicht für sich bereits wieder andere Arbeiten vor ihnen auf. Was ist in eine reguläre Mittagspause reicht, lässt man das Mittagessen dieser Situation zu tun? Die Koreaner greifen zum Telefon. ins Büro kommen. Das ist aber noch nicht alles. Nach Feier- Dann kommen nämlich die Motorroller und Motorräder der abend ruft man zu Hause die Reinigung an, dann kommt gleich Schnelllieferdienste, die als „Quick-Service“ bekannt sind, jemand, um die Sachen abzuholen. Die gereinigten Kleidungs- angedüst. Sie liefern innerhalb von etwa 40 Minuten alles Mög- stücke werden am nächsten Tag geliefert, bevor man zur liche überallhin in die Stadt. Ist die dringende Lieferung zuge- Arbeit muss. Auch die Mühe des Lebensmitteleinkaufes kann stellt, erhält der Kunde eine Kurzmitteilung auf sein Handy. man sich sparen, denn per Internet kann man alle Lebensmit- Kein Wunder, dass die Leute von den superschnellen Kurier- tel bestellen und gleich liefern lassen. Es ist keine Übertrei- diensten begeistert sind. bung, zu sagen, dass man vom Sofa im Wohnzimmer aus alles B (27) arbeitet seit zwei Jahren für eine Firma. Er atmet auch über den Lieferservice erledigen kann. Spitzensystem für blitzschnelle Lieferung Der Motorrad-Kurierdienst sorgt für prompte Auslieferung Wenn jemand zum ersten Mal den koreanischen Expressku- überallhin in Seoul. Dieser Express-Service ist zwar teurer als rierdienst, den so genannten „Quick-Service“, in Anspruch der reguläre Postweg oder andere Haus-zu-Haus-Lieferdienste, nimmt und fünf Minuten nach dem Telefonanruf der „Quick- dafür gewährleistet er aber auch eine schnellere Zustellung, was dem vom Tempo geprägten Lebensstil Service-Man“ vor der Tür steht, ist er über das Tempo der Koreaner entgegenkommt. erstaunt. Wie ist ein so schneller und genauer Service mög- Winter 2008 | Koreana 83
lich? Die Antwort ist beim Transport-System zu suchen. Waren an die Kunden geliefert werden. Besonders ist jedoch, Stellen Sie sich einmal vor, Sie sind der oben vorgestellte dass in Korea bei den Lieferdienstleistungen „von Schnellig- Mitarbeiter A einer Werbeagentur und müssen ganz dringend keit das Leben abhängt“. So erklärte der Besitzer eines chi- dem Kunden den Projektplan schicken. Den Quick-Service nesischen Restaurants in einem Universitätsviertel der Stadt kann man per Telefon oder Internet bestellen, Sie entscheiden sogar, dass das bestellte Essen umsonst sei, wenn es nicht sich fürs Telefon. Sie wählen die Nummer der Quick-Service- innerhalb von fünf Minuten geliefert würde. Sein Spitzname Firma und werden mit einem freundlichen Telefonisten ist „Blitz“ und sein blitzschneller Lieferservice wurde landes- verbunden. Sie nennen ihm die Kundennummer, unter der weit bekannt. Die Koreaner sind an solch schnellen Service Firmenadresse, Telefonnummer usw. bereits gespeichert gewöhnt. Wann und wie ist es zu diesem Phänomen gekom- sind. Nachdem Sie Lieferobjekt und Zustelladresse spezifiziert men? haben, wählen Sie unter den drei Transport-Optionen „drin- Anfang des 20. Jahrhunderts beschrieb ein Europäer seinen gend“, „normal“ und „ermäßigt“ die Dringend-Lieferung. Sie ersten Eindruck von Korea mit „Land der Morgenstille“. Die ist zwar etwas teurer, aber auch entsprechend schneller. Koreaner von damals, die meist weiße Baumwollkleidung tru- Nach der Auftragsannahme stellt die Quick-Service-Zentrale gen, bewegten sich mit einer gewissen Behäbigkeit, ließen sich durch GPS-System fest, wo sich die einzelnen Quick-Service- immer genügend Zeit und hatten mit dem eiligen und hek- Mitarbeiter befinden und schicken denjenigen los, der sich tischen Leben der modernen Zeit nichts tun. Ihr Bewusstsein in der Nähe der Abholadresse befindet. Der Quick-Service- von Zeit und Distanz war relativ und entspannt. Sie verabrede- Kurier, der durch sein PDA über Ihren Auftrag informiert ist, ten sich, sich zu treffen, „nachdem das Essen verdaut ist“ oder kommt so schnell wie möglich mit dem Motorrad und macht beschrieben den Weg zum Nachbarbezirk als „eine Distanz sich nach Entgegennahme des Lieferobjekts sofort auf den von etwa einer Zigarettenlänge“. Solche Redewendungen wur- Weg zur Zieladresse. Über die Navigationsfunktion seines PDA den sehr häufig verwendet. empfängt er Verkehrsinformationen in Echtzeit und kann so Aber im Jahr 1950 brach der Koreakrieg, die schmerzhafte verstopfte Straßen meiden. Tragödie des Landes, aus. Folgende Szenen waren allzu dra- Hat er seinen Auftrag erfolgreich erledigt, gibt er per PDA eine matisch: Menschen, die sich direkt nach der Explosion einer entsprechende Meldung an die Zentrale, die wiederum den Brücke über dem Han-Fluss auf die Brückenpfeiler retten. Kunden per Kurzmitteilung aufs Handy darüber informiert. Menschen, die darum kämpfen, noch auf das Schiff zu gelan- In der SMS werden sogar Empfangszeit und Name des Emp- gen, das als letztes mit dem Knall der Kanonen im Hinter- fängers angegeben. Das alles hat nicht mal eine Stunde in grund aus dem Hafen ausläuft. Menschen, die des schieren Anspruch genommen. Überlebens willen auf der Flucht um einen Platz auf dem Zugdach kämpfen. All die Millionen Menschen, die auf der Reaktionsschnelle: Flucht auch nur einen Schritt zu langsam waren, verloren ihre Triebkraft der Informationsgesellschaft Familien für ewig. Hier teilte sich das Schicksal für diejenigen, Wie konnte die Kultur des Lieferservice im Alltag der Korea- die es schafften, auf Schiff oder Zug zu fliehen, und diejenigen, ner Fuß fassen? Lieferdienste sind zurzeit nicht nur in Korea, die zurückblieben. sondern auch in vielen anderen Ländern gut entwickelt. Die Südkorea erzielte in den 50 Jahren nach dem Koreakrieg ein Zunahme von Online-Einkaufszentren trägt weltweit zur Bele- Wirtschaftswachstum, das weltweit erstaunlich ist. Für das bung des Transportservices bei, über den die online gekauften ressourcenarme Land war die Entwicklung von Humanres- 1 Ein Quick-Service-Kurier übergibt ein heil überbrachtes Dokument an den Empfänger. Mit dem jüngsten Anstieg der Quick-Service-Unternehmen wird auch eine breitere Palette von Dienstleistungen angeboten. 2 Koreas lange Tradition, an den hohen Feiertagen wie dem Erntedankfest Chuseok oder Seollal, Neujahr nach Lunarkalender, Geschenke auszutauschen, führt in der Zeit vor den Feiertagen zu einem explosionsartigen Anstieg der zu liefernden Pakete. Quick-Service-Kuriere nehmen im Logistik-Center eines Kaufhauses auszuliefernde Pakete in Empfang. 1 84 Koreana | Winter 2008
Blitzschnelle Lieferung und Transportnetzwerke. Die koreanische Kultur der Tür-zu-Tür-Lieferung entstand auf Grund des psychischen Drucks der Menschen, in der Nachkriegszeit auf den Trümmern ihrer Existenz irgendwie zu überleben und erfolgreich zu sein. Die so entwickelte Sensibilität der Koreaner für das Tempo fungiert im 21. Jahrhundert, in dem die ganze Welt Service vernetzt ist und die frühzeitige © Yonhapnews Sicherstellung von Informationen © Quickcall überlebenswichtig ist, 2 als besonderer Vorteil.
1 Ein Quick-Service-Kurier mit einer vollen Ladung zuzustellender Waren. Um Staus zu umgehen und eine prompte Zustellung zu gewährleis- ten, checkt er sein GPS-Gerät, das ihm in Echtzeit einen Überblick über die Verkehrslage bietet. 2 Die Quick-Service-Kuriere lassen sich auch nicht von den Unbilden des Wetters abhalten. Die Zuver- lässigkeit des Motorrad-basierten koreanischen Express-Liefersystems grenzt schon ans Erstaunliche. © Ahn Hong-beom 1 sourcen der einzige Weg zu überleben. Gleichzeitig war es in Korea, das eine hohe Bevölkerungsdichte aufwies, überaus wichtig, die zwischenmenschlichen Bezie- hungen sicherzustellen und zu pflegen. Nichts wurde von selbst erreicht. Es gab viel zu tun und auch viele Beziehungen zu pflegen. Es war eine Zeit, in der in Korea allgemein das Bewusstsein herrschte, zu spät mit der Entwicklung begonnen und entsprechend nie genügend Zeit zu haben. Vor diesem historischen Hinter- grund ist es zu verstehen, dass die Koreaner eine besondere Sensibilität für die Geschwindigkeit entwickelt haben und innerhalb eines halben Jahrhunderts aus dem „Land der Morgenstille“ „Dynamic Korea“ wurde. ws © Yonhapne Die Reaktionsschnelle der Koreaner entwickelte sich durch die Erfahrung des 2 Kriegs und den psychischen Druck, unter dem die Menschen in der Nachkriegs- zeit standen, aus dem Nichts etwas zu schaffen und erfolgreich zu sein. Unnötige Prozeduren wurden minimiert, für Formalitäten wendete man weniger Energie auf und legte stattdessen den Schwerpunkt auf die Agilität, was den Koreanern den Ruf „übereilig“ zu sein einbrachte, ein Negativbild, das ihnen eine ganze Weile als typisch anhaftete. Aber die so entwickelte Sensibilität der Koreaner für das Tempo fungiert im 21. Jahrhundert, in dem die ganze Welt vernetzt ist und die frühzeitige Sicherstellung von Informationen überlebenswichtig ist, als besonde- rer Vorteil. Im Informationszeitalter ist die Schnelligkeit die größte Wettbewerbs- fähigkeit und nur diejenigen, die mit diesem raschen Tempo Schritt halten können, können überleben. Die Koreaner akzeptieren ohne Vorbehalt die sich schnell wandelnden neuen Technologien und verändern sich selbst auch aktiv. Es scheint, dass die koreanische Agilität gut zum digitalen Umfeld des 21. Jahrhunderts passt. Alvin Toffler, ein renommierter Futurologe, nannte als Hauptmerkmal der Kore- aner „die Geschwindigkeit“. Der rasche Lieferservice sei das beste Beispiel für die koreanische „Geschwindigkeit“, die als unabdingbarer Wachstumsmotor für Korea gilt. Die Quick-Serivce-Kuriere sind auch in diesem Moment in den kore- anischen Großstädten unterwegs, um dem rasanten Tempo der koreanischen Gesellschaft zu folgen und den geschäftigen Alltagsrhythmus der Koreaner zu unterstützen. 86 Koreana | Winter 2008
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