PULS/CE 35 - Max Planck Institute for Chemical Ecology
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PULS/CE 35 Public Understanding of Life Sciences / Chemical Ecology Foto: Franziska Eberl Newsletter Mai 2020 Räuber mit eigenem Entgiftungsmechanismus Die chemische Abwehr von Pflanzen wirkt nicht nur auf das Wachstum von Pflan- zenfressern, sondern indirekt auch auf die nächsten Konsumenten in der Nahrungs- kette. Eine neue Studie zeigt, dass Pflanzenfresser, aber auch ihre Räuber, wirksame Mechanismen entwickelt haben, um mit Pflanzengiften umzugehen ... S. 3 Manipulativer Meeresparasit Ein parasitischer Pilz kann den Stoffwechsel einzelliger Algen für eigene Zwecke so manipulieren, dass kleine bioaktive Stoffe gebildet werden, die der Pilz für seine eigene Ausbreitung nutzt. Gleichzeitig wird die Vermehrung der Algen verhindert und der Algenteppich schrumpft schließlich und stirbt ... S. 4 Aber bitte mit Sporen! Pappelblätter mit Pilzbefall schmecken Schwammspinnerraupen besonders gut. Besonders die jungen Larven des Schädlings werten ihren Speiseplan durch die pilzliche Nahrung auf: Sie entwickeln sich schneller und verpuppen sich einige Tage früher als Raupen, die nur Blattgewebe verspeisen ... S. 5
PULS/CE 35 2 Newsletter Mai 2020 | Editorial Zu diesem Zeitpunkt war die Arbeit von zu Hause nicht nur von der Generalverwaltung angeordnet worden, sie wurde für Eltern notwendig, da alle Schulen geschlossen worden waren. Die Service- gruppen und die meisten Abteilungen wurden in getrennte Teams mit sich nicht überschneidenden Arbeitszeiten aufgeteilt, sodass eine mögliche Infektion eines Mitglieds die wichtigen Aktivitä- ten des anderen Teams nicht völlig zum Erliegen bringen würde. Das Gewächshaus wurde vorü- bergehend für Nicht-Gewächshauspersonal ge- schlossen. Die IT-Gruppe richtete ein System für den Zugriff auf die Büro-Computer von zu Hause Institut im Krisenmodus aus ein. Die Verwaltung war in der Lage, die meisten Einkaufs- und Gehaltsabrechnungsvor- gänge im Home Office durchzuführen. Die For- Eine Person an der Bushaltestelle am Während ich dies schreibe, werden in Deutsch- schungskoordinatorin Karin Groten und die Refe- Beutenberg Campus. Jena war die land langsam die Beschränkungen gelockert, die rentin für Öffentlichkeitsarbeit Angela Overmeyer erste Stadt in Deutschland, in der bei wegen der Ausbreitung des Coronavirus einge- informierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Nutzung öffentlicher Verkehrs- führt wurden. Die letzten drei Monate scheinen ständig über die neuesten Verfügungen der Stadt mittel und in Geschäften oder bei der wie Jahre, denn an jedem Tag gab es neue Ent- Jena und des Landes Thüringen. Ian und Gundega Arbeit das Tragen eine Mund-Nasen- wicklungen. Aber die gute Nachricht ist, dass un- Baldwin waren zur Vorbereitung der Feldsaison Bedeckung Pflicht wurde. Das Plakat ser Institut die Situation bisher sehr gut gemeis- nach Utah gereist. Doch dann wurden Reisebe- ruft zur Solidarität auf, denn „Es ist tert hat, dank der unglaublichen Teamarbeit und schränkungen verhängt und der Rest der Abtei- für uns alle schwierig.“ Plakate in der der selbstlosen Kooperation aller Beteiligten. Der lung konnte sich ihnen nicht anzuschließen. Bei ganzen Stadt baten darum, sich an erste Schock war, dass die lang geplante Sitzung einer Mitarbeiterin in Jena wurde zehn Tage nach die neuen Vorschriften zu halten, z.B. des Wissenschaftlichen Fachbeirats vom 11. bis ihrem letzten Besuch im Institut eine Infektion mit sich bei Symptomen an die Hotline der 13. März abgesagt wurde. Wir begannen sofort dem Coronavirus festgestellt. Zum Glück erholte Stadt zu wenden, von Hamsterkäufen mit den Planungen für eine mögliche Schließung sie sich wieder und infizierte keine weiteren Mit- abzusehen oder zu Hause zu bleiben, des Instituts, indem wir Prioritätenlisten von arbeiter. Wir können uns glücklich schätzen, dass wie es viele taten, um im Home Office Pflanzen und Insektenkulturen erstellten, die die Stadt Jena sofort entsprechende restrikti- zu arbeiten. Foto: Angela Overmeyer aufrechterhalten werden mussten. Unsere Vor- ve Maßnahmen ergriff: Sie war die erste Stadt bereitungen wurden in einem Pandemieplan für in Deutschland, die das Tragen von Masken im unser Institut formalisiert. Wir bildeten ein Kri- öffentlichen Nahverkehr und in Geschäften vor- senteam, dem Vertreterinnen und Vertreter aller schrieb. Das Institut nimmt jetzt immer mehr For- Servicegruppen und Abteilungen angehörten. schungsaktivitäten auf. Ich bin sehr froh über den In der ersten Sitzung am 16. März formulierte Geist der Teamarbeit und der Kooperation, mit das Team einen konkreten Plan zur Reduzierung dessen Hilfe wir diese Krise überstehen konnten. der Aktivitäten im Institut und unsere Reaktion für den Fall, dass sich eine Mitarbeiterin oder David Heckel mit Mund-Nasen-Schutz. ein Mitarbeiter mit dem Coronavirus infizierte. David Heckel, Managing Director
PULS/CE 3 22 PULS/CE 353 Research Highlight | Newsletter Mai 2020 Räuber mit eigenem Entgiftungsmechanismus Pflanzenfressende Insekten müssen die chemi- Isothiocyanate gebildet hatten. Die Bildung des sche Verteidigung von Pflanzen überwinden. Zu Enzyms ist jedoch auch mit Kosten verbunden, chemischen Pflanzenabwehrstoffen gehören die denn Kohlmottenlarven entwickeln sich besser Senfölglykoside, die von allen Kreuzblütenge- auf Pflanzen, die keine Senfölglykoside bilden. wächsen, wie Kohlgemüse, Brokkoli und Meerret- tich, gebildet werden. Diese Verbindungen wer- Die Raupe der Kohlmotte ist Teil der Nahrungs- den leicht in giftige Isothiocyanate umgewandelt. kette, denn sie fällt räuberischen Insekten, wie Einige Pflanzenfresser besitzen daher Mecha- etwa Florfliegenlarven, zum Opfer. Florfliegen- nismen, um die Bildung von Isothiocyanaten zu larven sind gefräßige Räuber und werden auch verhindern, darunter auch die Kohlmotte, ein auf als Nützlinge in der biologischen Schädlingsbe- Kohl und verwandte Arten spezialisierter Schäd- kämpfung eingesetzt. Daher wollten die Forscher Im Würgegriff: Die Larve einer Grünen ling. Ein Forschungsteam aus der Abteilung Bio- herausfinden, wie sich die Abwehrstoffe der Florfliege (Chrysoperla carnea, rechts) chemie konnte jetzt zeigen, dass die Umwandlung Pflanze auf Räuber, die solche Raupen vertilgen, attackiert die Raupe einer Kohlmotte der Senfölglykoside mit Hilfe eines bestimmten auswirken. Zu ihrer großen Überraschung zeigten (Plutella xylostella). Das räuberische Enzyms tatsächlich als Entgiftungsmechanismus sich Florfliegenlarven vollkommen unbeeinträch- Insekt, das auch als Nützling in für Wachstum, Überleben und Vermehrung des tigt davon, ob ihre Beute giftige Senfölglykoside der biologischen Bekämpfung des Schädlings wichtig ist. Kohlmottenlarven, die an enthielt oder nicht. Zwar wachsen Florfliegen et- weltweit gefürchteten Kohlschädlings Kreuzblütlern fressen, bilden vermehrt ein Ent- was schlechter, wenn sie nur die giftigen Raupen eingesetzt wird, kann pflanzliche giftungsenzym, während Larven, die das Enzym als Nahrungsquelle haben; das beeinträchtigt Abwehrstoffe, die es mit seiner Beute nicht mehr produzieren können, in ihrer Entwick- aber nicht ihre Fitness und ändert auch nichts an konsumiert, erfolgreich entgiften. lung beeinträchtigt sind, wenn sie an Pflanzen ihrer Wahl der Beute. Weitere Untersuchungen Foto: Anna Schroll fressen, die Senfölglykoside in ihren Blättern zeigten nämlich, dass auch Florfliegen in der Lage bilden: Sie wachsen schlechter und überleben sind, die giftigen Pflanzenstoffe unschädlich zu Links unten: Ruo Sun und Daniel Gid- seltener. Eine chemische Analyse ergab, dass machen. Dabei nutzen sie allerdings einen ande- dings Vassão suchen eine Arabidop- sich in diesen Raupen große Mengen der giftigen ren Entgiftungsmechanismus als die Kohlmotten. sis-Pflanze nach Schädlingen, den Raupen der Kohlmotte, ab. Auch die Die Studie zeigt, dass sich Kohlmotten nur dann Modellpflanze zählt zu den Kreuzblü- erfolgreich an Kohlpflanzen entwickeln, wenn sie tengewächsen. Foto: Anna Schroll Senfölglykoside entgiften. Da räuberische Flor- fliegen diese Substanzen selbst entgiften können, Originalveröffentlichung: könnten zukünftige Bemühungen, die Kohlmotte Sun, R., Jiang, X., Reichelt, M., zu bekämpfen, einen integrierten Ansatz verfol- Gershenzon, J., Pandit, S. S., Giddings gen: den Entgiftungsmechanismus des Schäd- Vassão, D. (2019). Tritrophic metabo- lings gezielt stören und gleichzeitig Nützlinge wie lism of plant chemical defenses and die Florfliege einsetzen, die sich nachweislich its effects on herbivore and predator nicht davon beeinträchtigen lässt, ob Kohlmotten performance. eLife. doi:10.7554/ Senfölglykoside entgiften oder nicht. [AO/KG] eLife.51029
PULS/CE 35 4 Newsletter Mai 2020 | Research Highlight Manipulativer Meeresparasit im Meer chemische Signalstoffe produzieren, die an der Verteidigung, Paarung und Kommunikation zwischen Lebewesen beteiligt sind. Um solche Substanzen zu identifizieren, haben Forscherin- nen und Forscher im Labor ein System etabliert, bei dem der Eipilz Lagenisma coscinodisci unter kontrollierten Bedingungen eine marine Kieselal- ge infiziert. Sie stellten fest, dass während des Infektionsprozesses zwei neue Substanzen, so- genannte Carboline, aus der Klasse der Alkaloide neu gebildet werden. Insbesondere eine der bei- den reichert sich nach Befall mit dem Eipilz stark an. Allerdings nutzten die Carboline nur dem Ei- pilz, schadeten jedoch der Alge: Ihr Wachstum wurde gebremst und die Infektion breitete sich dadurch schneller in der Algenpopulation aus. Marine Vallet und Tim Baumeister Immer wieder kann es in Ozeanen zu einer Mas- In weiteren Studien möchte das Forschungsteam untersuchen chemische Interkationen senvermehrung von Algen kommen. Dadurch herausfinden, wie sich Kieselalgen gegenüber ei- in Planktongemeinschaften. Die meist werden viele andere Lebewesen anlockt, die nem Angriff dieser Erreger wehren, denn es ist einzelligen Lebewesen werden in spe- manchmal das Ende der gesamten Algenpopula- bekannt, dass nicht alle Kieselalgenarten glei- ziellen Behältern kultiviert. Mit Hilfe tion herbeiführen können. Der zugrundeliegende chermaßen anfällig sind. Das ist nur eine von vie- von hochauflösenden spektrometri- Mechanismus war jedoch bislang unbekannt. len Fragen, wie Kieselalgen mit ihrer Umwelt in- schen Methoden zur Trennung und Be- Forscherinnen und Forscher um den Max-Planck- teragieren und welche Signalstoffe sie abgeben, stimmung von kleinen Substanzen aus Fellow Georg Pohnert zeigten nun, dass ein auf die es eine Antwort zu finden gilt. [KG/AO] komplexen Mischungen kombiniert mit krankheitserregender Pilz den Stoffwechsel ein- Mikroskopie gelang es den Forschern, zelliger Algen für eigene Zwecke verändert. Es die von einer Algenzelle produzierten werden kleine bioaktive Stoffe gebildet, die der Substanzen zu identifizieren. Foto: Pilz für seine eigene Ausbreitung nutzt, während Angela Overmeyer, MPI-CE die Vermehrung der Algen verhindert wird und der Algenteppich schließlich schrumpft und stirbt. Originalveröffentlichung: Vallet, M., Eipilze sind dafür bekannt, dass sie viele gefährli- Baumeister, T. U. H., Kaftan, F., Grabe, che Krankheiten verursachen. Auch Meeresalgen V., Buaya, A., Thines, M., Svatoš, A., werden von ihnen befallen, doch die Beziehungen Gesunde (links) und infizierte (rechts) Kieselalge Cosci- Pohnert, G. (2019). The oomycete zwischen diesen Kleinstlebewesen und Algen nodiscus granii: Ein parasitischer Eipilz hat in der rechten Lagenisma coscinodisci hijacks host sind noch wenig erforscht. Bislang ist kaum et- Zelle alle Nährstoffe ausgesaugt und den Stoffwechsel alkaloid synthesis during infection of was darüber bekannt, warum manche Arten sich der Alge verändert, um seine eigene Fortpflanzungsform, a marine diatom. Nature Communica- erst stark vermehren und dann wieder verschwin- das Sporangium, bilden zu können. Aufnahme: Marine tions. 10: 4938 den. Eine Hypothese ist, dass Mikroorganismen Vallet, MPI-CE
PULS/CE 5 22 PULS/CE 35 Research Highlight | Newsletter Mai 2020 Aber bitte mit Sporen! Schwammspinnerraupen sind als Generalisten bekannt, sie haben also keine besonderen Vor- lieben für bestimmte Pflanzen, sondern fressen an den Blättern vieler Laubbäume und Sträucher. In den vergangenen Jahren gab es auch in deut- schen Wäldern immer wieder Massenvermehrun- gen dieses Schädlings. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Abteilung Biochemie hatten beobachtet, dass Raupen von den Düften pilzbe- fallener Pappeln angezogen werden, und stellten sich daher folgende Fragen: Würden die Raupen kranke Pappelblätter auch lieber fressen? Haben sie einen Vorteil davon? Und wenn ja, welche che- mischen Stoffe sind dafür verantwortlich? Insekten haben könnten, als bislang angenom- Die Raupe eines Schwammspinners men. Weitere Untersuchungen sollen jetzt klären, (Lymantria dispar) macht sich über die Fraßexperimente, bei denen Schwammspinner- wie weit verbreitet die pilzliche Nahrung bei an- Sporen des Rostpilzes Melampsora raupen Blätter mit und ohne Pilzbefall zur Aus- deren pflanzenfressenden Insektenarten ist und larici-populina her, der sich auf einem wahl angeboten wurden, ergaben eine eindeuti- welchen Einfluss die Ernährung mit Blättern und Pappelblatt ausgebreitet hat. Die neue ge Vorliebe der Raupen für pilzbefallene Blätter. Pilzen auf das Immunsystem von Insekten hat. Studie zeigt, dass der Schädling kein Im frühen Raupenstadium fraßen sie sogar erst Möglicherweise hat diese Nahrungsnische auch reiner Pflanzenfresser ist, sondern die Pilzsporen auf der Blattoberfläche, bevor sie Auswirkungen auf die Abwehr der Insekten ge- auch eine Vorliebe für nährstoffreiche Blattgewebe konsumierten. Raupen, die Pilze genüber ihren Feinden, wie etwa parasitoiden Pilze hat. Foto: Franziska Eberl, MPI-CE verspeisten, entwickelten sich schneller und ver- Wespen. Die Rolle von Mikroorganismen bei den puppten sich auch früher. Sie haben damit einen Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und Insek- Unten: Franziska Eberl. Die Erstautorin Vorteil gegenüber ihren Geschwistern, die gesun- ten wurde lange unterschätzt. Dieses Versäumnis der Studie erhält in diesem Jahr den de Blätter fressen. Hier spielen vermutlich wich- gilt es jetzt nachzuholen. [AO/KG] Wissenschaftspreis des Beutenberg tige Nährstoffe, wie Aminosäuren, Stickstoff und Campus für die beste Dissertation. B-Vitamine, eine Rolle, die in kranken Blättern Foto: privat höher konzentriert waren. Originalveröffentlichung: Eberl, F., Die Beobachtung, dass ein als Pflanzenfresser Fernandez de Bobadilla, M., Hammer- klassifiziertes Insekt - zumindest im frühen Rau- bacher, A., Reichelt, M., Gershenzon, penstadium - ein Pilzfresser ist, war für das For- J., Unsicker, S., (2020). Herbivory schungsteam die eigentliche Überraschung. Die meets fungivory: Insect herbivores Ergebnisse legen die Vermutung nahe, dass auf feed on plant pathogenic fungi for their Pflanzen lebende Mikroorganismen eine viel grö- own benefit. Ecology Letters. DOI: ßere Rolle bei der Ko-Evolution von Pflanzen und 10.1111/ele.13506
PULS/CE 35 6 Newsletter Mai 2020 | IMPRS Projekt Wie einige Pflanzen zu Fleischfressern wurden Pflanzen, die Insekten fressen, haben sich im lich dieselbe Signalkaskade und dieselben Gene Pflanzenreich mehrfach unabhängig voneinander wie bei der Verteidigung gegen Pflanzenfresser. entwickelt. Fleischfressende Pflanzen gehören 2. möchte ich aus ökologischer Sicht verstehen, sogar vier verschiedenen Ordnungen von Pflanzen wie das Anlocken der Beute funktioniert. Dafür an. Sie sind daher ideale Modelle, um die unab- untersuche ich direkte Interaktionen zwischen hängige Entstehung ähnlicher Merkmale im Evo- Tieren und Pflanzen. Mittels eines multidisziplinä- lutionsprozess zu untersuchen. Alle fleischfres- ren Ansatzes werden verschiedene Aspekte des senden oder „karnivoren“ Pflanzen wachsen auf Lockmechanismus analysiert, z.B. in Verhaltens- nährstoffarmen Böden. Sie verdauen Insekten, studien mit einem Modell-Beute-Organismus, um diesen Mangel auszugleichen. Ihre Beute bau- der Weberameise Polyrhachis dives. 3. möchte en sie mit Hilfe von Enzymen unter extrazellulären ich herausfinden, wie Karnivorie die Evolution Bedingungen ab, die man als eine Art „äußeren von extrafloralem Nektar und dessen chemi- Magen“ bezeichnen kann. scher Zusammensetzung beeinflusst hat. Bei nicht-fleischfressenden Pflanzen vermittelt dieser Oben: Alberto Dávila Lara unter- Insektenfressende Pflanzen haben verschiedene Nektar, der außerhalb von Blüten gebildet wird, sucht die Kannenpflanze Nepenthes Strategien entwickelt, um ihre Beute anzulo- symbiotische Beziehungen zwischen Pflanzen und x ventrata. Er interessiert sich vor cken, zu fangen, zu töten, zu verdauen und die Ameisen: Pflanzen bieten Ameisen zuckerhaltigen allem für die Physiologie dieser freigesetzten Nährstoffe aufzunehmen. Jeder Nektar an und als Gegenleistung schützen die fleischfressenden Pflanze. In Süd- einzelne Schritt hat physiologische, molekula- Ameisen quasi als „Bodyguards“ die Pflanzen vor ostasien, wo sie beheimatet ist, wird re, ökologische und evolutionäre Aspekte, die Fressfeinden. Bei Kannenpflanzen ist extrafloraler sie seit langer Zeit in der Volksmedi- bislang noch nicht hinreichend verstanden sind. Nektar vermutlich am Beutefang beteiligt. Eine zin verwendet. Sie ist daher auch als Um diese Lücke zu schließen, untersuchen wir Analyse der chemischen Zusammensetzung des natürliche Quelle für Pharmazeutika die Kannenpflanze Nepenthes x ventrata, die Nektars soll klären, ob er als Köder fungiert oder interessant. Außerdem ist sie ein zur Ordnung der Nelkenartigen (Caryophyllales) für die indirekte Pflanzenabwehr produziert wird. ausgezeichnetes Modell, um zu gehört. Bei dieser Pflanze von den Philippinen Alberto Dávila Lara verstehen, warum die Evolution ähn- handelt es sich um das Ergebnis einer natürlichen liche Eigenschaften von Lebewesen Kreuzung zwischen Nepenthes alata und Nepen- unabhängig voneinander hervorge- thes ventricosa. In meiner Forschung widme ich bracht hat. Foto: Sandra Werner mich drei Hauptthemen: 1. möchte ich aus phy- siologischer Perspektive nachvollziehen, wie sich Unten rechts: Der Fangmechanismus Karnivorie aus den Abwehrmechanismen der der Kannenpflanze funktioniert wie Pflanze gegenüber Fressfeinden entwickelt hat. eine Fallgrube. Ob Nektartröpfchen am Fleischfressende Pflanzen nutzen wahrschein- Kannenrand dabei helfen, Weberamei- Alberto Dávila Lara kommt aus Nicaragua. Er ist Doktorand der International Max Planck sen anzulocken, ist Gegenstand der Research School und seine Forschung wird vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) finanziert. In seinem Projekt in der Forschungsgruppe Physiologie der pflanzlichen Untersuchungen. Foto: Alberto Dávila Verteidigung unter der Leitung von Axel Mithöfer untersucht er die Physiologie, Ökologie Lara, MPI-CE und Evolution von fleischfressenden Kannenpflanzen.
7 PULS/CE 35 News | Newsletter Mai 2020 Die Wehrhaftigkeit von Meerretticherdflöhen hängt von ihrer Futter- pflanze und ihrem Entwicklungsstadium ab Meerretticherdflöhe nutzen Pflanzenabwehrstof- sind, aber das Enzym, das für die Umwandlung fe, sogenannte Senfölglykoside, aus ihrer pflanz- in giftige Substanzen benötigt wird, nicht immer lichen Nahrung zur Verteidigung gegen Räuber. aktiv ist. Während Larven den Angriff durch ei- Dazu speichern sie enorme Mengen dieser un- nen Räuber, wie der Asiatischen Marienkäferlar- giftigen Substanzen im Körper und besitzen, wie ve, erfolgreich abwehren können, werden Puppen auch ihre Futterpflanze selbst, ein Enzym, das gefressen, da sie keine nennenswerte Enzymakti- Senfölglykoside in giftige Senföle umwandelt. vität aufweisen. [AO/KG] Theresa Sporer untersucht, wie sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Meerretticherdflöhe mithilfe von Forschungsgruppe Sequestrierung und Entgif- Originalveröffentlichung: Sporer, T., Körnig, J., Beran, F. Abwehrstoffen ihrer Futterpflanze da- tung in Insekten haben herausgefunden, dass (2020). Ontogenetic differences in the chemical defence gegen wehren, von Räubern gefressen die Pflanzenabwehrstoffe zwar in allen Lebens- of flea beetles influence their predation risk. Functional zu werden. Foto: Anna Schroll stadien des Meerretticherdflohs nachweisbar Ecology, doi: 10.1111/1365-2435.13548 Die Larve des Meerretticherdflohs (Phyllotreta armoraciae, links) ist gut gegen die räuberische Asiatische Marienkäferlarve (Harmonia axyridis, rechts), geschützt. Foto: Benjamin Fabian, MPI-CE Süßkartoffel warnt ihre Nachbarn bei Befall durch einen einzigen Duftstoff Verschiedene Süßkartoffelsorten, die unter glei- mechanismus nicht auf die befallene Pflanze be- chen Bedingungen im Feld wachsen, weisen grenzt ist, sondern auch benachbarte, noch nicht auffällige Unterschiede bei Fraßschäden und befallene Süßkartoffeln wappnen kann. Die Er- Insektenbefall auf. Die Sorte Tainong 57 zeigte gebnisse sind von großem landwirtschaftlichem schon in früheren Studien im Vergleich zur Sorte Interesse, denn durch den konsequenten Anbau Tainong 66 eine höhere Resistenz gegen Pflanzen- von resistenten Sorten wie Tainong 57 könnte schädlinge im Feld. Bei Befall ist ein Duft wahr- man den durch Pflanzenfresser entstehenden Studienleiter Axel Mithöfer und nehmbar, der von den verwundeten Blättern aus- Schaden auf natürliche Weise reduzieren [KG/AO] Erstautorin Anja Meents begutachten geht. Dieser über die Luft verbreitete Duft kann eine Süßkartoffelpflanze der Sorte ausreichend sein, um in den Pflanzen Abwehr- Originalveröffentlichung: Meents, A. K., Chen, S.-P., Rei- Tainong 57. Bei Insektenbefall geben mechanismen gegen pflanzenfressende Insekten chelt, M., Lu, H.-H., Bartram, S., Yeh, K.-W., Mithöfer, A. die Blätter dieser Süßkartoffelsorte auszulösen. Wissenschaftlerinnen und Wissen- (2019). Volatile DMNT systemically induces jasmonate- einen Duftstoff ab, der ausreicht, um schaftler der Forschungsgruppe Physiologie der independent direct anti-herbivore defense in leaves Nachbarpflanzen in Alarmbereitschaft pflanzlichen Verteidigung haben den Duftstoff of sweet potato (Ipomoea batatas) plants. Scientific zu versetzen. Foto: Angela Overmeyer, identifiziert und zeigen, dass der Verteidigungs- Reports, 9, 17431 MPI-CE
PULS/CE 35 8 Newsletter Mai 2020 | News Wie aus einer Minze Katzenminze wurde Katzenminze ist für ihre berauschende Wirkung Genom zweier Arten der Katzenminze, die beide auf Katzen bekannt. Dafür verantwortlich ist der Nepetalacton bilden, mit dem der nahe verwand- Duftstoff Nepetalacton, ein flüchtiges Iridoid, ten Heilpflanze Ysop, die weder Nepetalacton, das die Pflanze produziert. Ein internationales noch andere Iridoide produziert. Dieser Vergleich, Forschungsteam unter Beteiligung der Abteilung die Nachbildung des Erbguts von Vorfahren der Naturstoffbiosynthese von Sarah O‘Connor fand Katzenminze sowie umfassende Stammbaum- Die Katzenminze gibt den Duft- jetzt mittels Genomanalysen heraus, dass die Fä- Analysen ermöglichten die Bestimmung der zeit- stoff Nepetalacton ab, der bei bei higkeit, Iridoide zu bilden, bei den Vorfahren der lichen Abfolge der Ereignisse, die zur Entstehung geschlechtsreifen Katzen eine Art Katzenminzen im Laufe der Evolution schon verlo- der Nepetalacton-Biosynthese führten. [AO/KG] Rausch auslöst: Riechen die Katzen an ren gegangen war. Die Nepetalacton-Biosynthe- den Pflanzen, werden sie regelrecht se in der Katzenminze ist also das Resultat einer Originalveröffentlichung: Lichman, B. R., Godden, G. T., „high“, wälzen sich am Boden und zei- „wiederholten Evolution“, allerdings mit dem Un- Hamilton, J. P., Palmer, L., Kamileen, M. O., Zhao, D., Vail- gen ungewöhnlich verspielte Verhal- terschied, dass sich dieses Iridoid in der chemi- lancourt, B., Wood, J. C., Sun, M., Kinser, T. J., Henry, L. tensweisen. Foto: Phil Robinson, John schen Struktur, den Eigenschaften sowie seiner K., Rodriguez-Lopez, C., Dudareva, N., Soltis, D. E., Soltis, Innes Centre, Norwich, Großbritannien ökologischen Funktion von anderen chemischen P. S., Buell, C. R., O’Connor, S. E. (2020). The evolutiona- Verbindungen aus dieser Stoffgruppe grundle- ry origins of the cat attractant nepetalactone in catnip. gend unterscheidet. Die Forscher verglichen das Science Advances, DOI: 10.1126/sciadv.aba0721 Forschende aus Jena und Schweden untersuchen den Einfluss von menschengemachten Umweltveränderungen auf Insekten Die von Menschen verursachten Umweltverän- ethologie, die Pheromonforschungsgruppe an der derungen wirken sich auch auf Insekten aus. Die Universität Lund und die Forschungsgruppe Che- Max-Planck-Gesellschaft, die Universität Lund mische Ökologie der Abteilung Pflanzenschutz- und die Schwedische Universität für Agrarwis- biologie an der Schwedischen Universität für Torbjorn von Schantz, Vizekanzler der senschaften wollen deshalb in dem neuen Max Agrarwissenschaften. Die drei Partner ergänzen Universität Lund, Martin Stratmann, Planck Center “next Generation Insect Chemical sich ideal: Ob Pflanzenfresser (Borkenkäfer und Präsident der Max-Planck-Gesell- Ecology” zusammenarbeiten und die Wechselwir- Motten), Blutfresser (Mücken) oder die Essig- schaft, und Maria Knutson Wedel, kungen zwischen Insekten, Klima und Menschen fliege – die Forschenden bringen ihr Fachwissen Vizekanzlerin der Schwedischen erforschen. Gemeinsam wollen sie herausfinden, zu unterschiedlichen Insektenarten ein. Alle drei Universität für Agrarwissenschaften, wie Klimawandel, Treibhausgase und Luftver- Forschungsorganisationen finanzieren das Center unterzeichnen die Vereinbarung für schmutzung die chemische Kommunikation von mit jeweils 500.000 EUR pro Jahr. 17 neue Nach- das neue Max Planck Center „next Insekten beeinflussen. Der offizielle Startschuss wuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaft- Generation Insect Chemical Ecology“ für die Partnerschaft erfolgte am 27. Januar 2020 ler werden am Max Planck Center forschen. Sie (nGICE). Im Hintergrund: Bill Hansson, im schwedischen Alnarp. Am Max Planck Cen- werden jeweils an einer der drei Einrichtungen Leiter der Abteilung Evolutionäre Neu- ter sind drei Forschungsgruppen beteiligt: Das hauptsächlich arbeiten, können gleichzeitig aber roethologie und einer der nGICE-Co- Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in auf die Infrastruktur und die Expertise der ande- Direktoren. Foto: Mårten Svensson Jena mit seiner Abteilung Evolutionäre Neuro- ren Gruppen zurückgreifen. [AO] www.ice.mpg.de Impressum: PULS/CE erscheint zweimal jährlich auf der Homepage des MPI für chemische Ökologie und kann auch kostenlos abonniert werden. Die Verteilung erfolgt elektronisch als PDF, auf Wunsch werden gedruckte Exemplare verschickt. Herausgeber: MPI-CE, Jena. Geschäftsführender Direktor: Prof. Dr. David G. Heckel (viSdP). Redaktion: Dr. Karin Groten, Forschungskoordination • Angela Overmeyer M.A., Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ISSN: 2191-7507 (Print), 2191-7639 (Online)
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