BESETZT Die Befreite Universität Berlin im Streik
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74 BESETZT - Die Befreite Universität Berlin im Streik BESETZT Die Befreite Universität Berlin im Streik Thomas Schwarz (1989) Über der Garderobe der Rostlaube der B*freiten Uni- Erster Akt versität Berlin prangt in stolzen Lettern das Wort „BE- Kubat-Dreieck, Heckel-Eck und eine SETZT“. Über dem Eingang der Hochschule der Künste Geheimkommission wölbt sich in einem roten Halbkreis dieselbe Überschrift in Form eines „Toiletten-Besetzt-Zeichens“. Am Top des Besetzungen haben in Berlin eine längere Tradition. Im Gebäudes flattert eine riesige Piratenflagge. Über dem Sommer 1988 ist das 5 Wochen lang besetzte Kubat-Drei- TU-Portal hängt ein Transparent mit der Aufschrift „Bas- eck über die Grenzen Berlins hinaus bekannt geworden. tille der Akademie“ und fordert 200 Jahre nach der fran- Davon angeregt haben die StudentInnen an der FU zur zösischen Revolution zum Sturm auf die Universität auf. selben Zeit den Hinterhof der Rost- und Silberlaube be- Bilder aus dem Wintersemester an den Berliner Unis, das setzt und in Heckel-Eck umbenannt. Die Aktion war ein nicht stattgefunden hat. Jahrelang aufgestauter Unmut Protest gegen die konservative Modernisierungspolitik an über die konservative Politik hatte sich Anfang Dezember der Uni. ausgehend von der FU-Berlin entladen. Innerhalb kur- zer Zeit stellten die StudentInnen UNiMUTig die ganze Im April 1987 hatte der Akademische Senat der FU unter Uni und gelegentlich auch die halbe Stadt auf den Kopf. der Regie von Unipräsident Heckelmann auf Anweisung Die StudentInnen traten mit dem Anspruch an, nicht nur des damaligen CDU-Wissenschaftssenators Turner eine einfach Hochschulpolitik zu machen, sondern mischten ‚Strukturkommission‘ (Struko) eingesetzt. Dort wurden auch allgemeinpolitisch, zum Beispiel im Wahlkampf unter Ausschluß der Öffentlichkeit die Strukturplanun- zum Berliner Abgeordnetenhaus mit. Die Streikwelle gen für die ‚Freie Universität der 90er Jahre‘ ausgearbei- erreichte, vom Berliner UNiMUT angeregt, auch andere tet. Die Dominanz der Rechten in den entscheidenden Universitätsstädte. Die folgende Geschichte des Streiks Planungsgremien hatte Auswirkungen. Die scheinbar un- informiert über die wichtigsten Phasen und zentrale For- sachliche Zerschneidung und Neukombination von Fach- derungen der Streikbewegung an der B*freiten Univer- bereichen entpuppte sich als politisches Tendenzstück. sität. Ein Résumé will dieser Artikel nicht bieten. Denn Das Strickmuster, das die Strukturplanungen durchzog, viele Forderungen aus dem Wintersemester sind noch blitzte im Abschlußbericht der Struko verräterisch auf. In nicht erfüllt worden. Für sie gilt es im Sommersemester der alten Struktur gebe es zu wenig „interfachliche Kon- weiterzukämpfen. Erst dann ziehen wir Bilanz. trolle“. Ist’s eine Komödie oder eine Tragödie? Damit war nun keineswegs gemeint, daß interdisziplinäre Das Berlinstück in sieben Akten Arbeit an der Uni angestrebt werden sollte, sondern die politische Kontrolle von als ‚links‘ eingestuften Fach-
75 bereichen. Diese sollten mit rechten Fachbereichen zu- Zweiter Akt sammengelegt werden, dergestalt, daß rechte Professo- Studentische Basisbewegung in der Offensive ralmehrheiten in den Fachbereichsgremien künftig linke Ansätze überlagern. Die Auswirkungen auf Berufungs- Am 29.11.1988 verkündete ein abgenudelter Waschzettel, verfahren und Geldvergabe für Projekte kritischer Wis- dem das Entsetzen und die Eile, mit dem er produziert senschaftlerInnen waren absehbar. Es war damit zu rech- worden ist, förmlich anzusehen ist, mit krakeligen Buch- nen, daß die ins Haus stehenden Kürzungen finanzieller staben: „Das LAI ist besetzt“. Der Damm, mit dem die und personeller Art zu ihren Lasten gehen sollten. Konservativen die Uni eingemauert hatten, zeigte schnell springende Risse. Die LAI-StudentInnen zogen agitie- Die Semesterferien kamen, und der Widerstand gegen die rend durch die Hörsäle. Das Ergebnis: Die studentische Struko schien sich zu verlaufen. Der Allgemeine Studen- Vollversammlung am 1.12. platzte aus allen Nähten. Wei- tInnenausschuß (AStA) arbeitete in dieser Zeit engagiert tere sechs Institute folgen. Am 2.12. sind 17, am 2.12. sind und routiniert an der Form der Protestmaßnahmen gegen 22 Institute besetzt. Am 4.12. demonstrieren an die 4 000 die Feierlichkeiten zum 40-jahrigen FU-Jubiläum. Die StudentInnen gegen die universitätsoffizielle 40-Jahres- StudentInnen gingen davon aus, daß sich die Konserva- feier, die nur unter polizeilicher Abschirmung durchge- tiven auf der offiziellen Geburtstagsfeier am 4.12.1988 im führt werden kann. Die Nullnummer der Streikzeitung Audimax vor ausgesuchtem Publikum selbst beweihräu- der B*freiten Universität Berlin, die ‚BESETZT‘ vom chern wollten. Sie selbst sahen keinen „Grund zum Jubel“, 5.12.1988 kann feststellen: „Die täglich […] stattfinden- setzten für den 1.12. eine studentische Vollversammlung den Uni-Vollversammlungen geraten zur mächtigen Ma- und für den 4.12. einen ‚akademischen Schmähakt‘ als nifestation des studentischen Willens zur Rückeroberung Protestkundgebung an. Niemand dachte im Ernst daran, der Uni“. daß sich im Wintersemester eine breite StudentInnenbe- wegung entwickeln könnte. Zu oft schon waren derartige Am 7.12.1988 meldet das neue Blatt: „Alle 36 Institute Erwartungshaltungen frustriert worden. sind besetzt und es werden über 300 selbstbestimmte Seminare durchgeführt. Unsere selbstbestimmte Uni ist Die Strukturpläne für die ‚Freie Universität der 90er Jah- Wirklichkeit“. Das Tempo der StudentInnenbewegung re‘ waren mittlerweile im inneruniversitären Gremien- ist schlicht atemberaubend. Am 10.12. wird unter dem dschungel teils revidiert worden. Noch aber standen die Motto „Wir lassen uns nicht spalten“ eindrucksvoll mit Entscheidungen des obersten universitären Gremiums, 10 000 TeilnehmerInnen für den Zusammenhalt von des Kuratoriums, aus. Über das Kuratorium konnte der Gesellschafts- und Naturwissenschaften in der Berliner CDU/FDP Senat mit fünf dort vertretenen Senatoren di- Innenstadt demonstriert. Am 13.12. demonstrieren an die rekt in die Unipolitik hineinregieren. Dies war die Stelle, 30 000 SchülerInnen und StudentInnen aller Hochschu- wo auf der politischen Ebene die konservative Hegemonie len Berlins in einem symbolischen Sternmarsch zum Rat- in der Stadt direkt auf die Uni durchschlug. Hier war die haus Schöneberg ihre gemeinsame Stärke. Autonomie der Hochschule direkt angreifbar. In seinen Novembersitzungen macht das Kuratorium Nägel mit Die PolitikerInnen versuchen, die Forderungen der Stu- Köpfen. Vor allem kleine, gesellschaftswissenschaftliche dentInnenbewegung als rein materielle zu interpretieren. Institute wurden mit einer willkürlichen Stellenstrei- In der Tat spielen wir auf dieser Ebene die 100 Milliarden, chungs-, Zerschneidungs- und Zusammenlegungsoffen- die dieser Staat für den Jäger 90 auszugeben bereit ist, ge- sive überzogen. Am Montag, den 28.11.1988 war schließ- gen die paar Millionen „Weihnachtsgeld“ aus, die jetzt auf lich das Lateinamerikainstitut (LAI) an der Reihe. den heißen Stein der Uni getröpfelt werden sollen (BE- SETZT Nr. 10, 16.12.88). Insgesamt aber geht es um mehr. Dort wird seit Jahren mit interdisziplinärem Anspruch gearbeitet. Per Kuratoriumsdekret sollte nun der sprach- Die Streikbewegung an der B*freiten Universität hat ihre liche Bereich der Lateinamerikanistik aus diesem For- Ursachen im jahrelang erduldeten Ausbau des Studiums schungszusammenhang herausgerissen werden und dem zu einem Unterwerfungsritual. Von Seiten des CDU-Se- romanischen Seminar untergeordnet werden. Zu diesem nats wurde massiv in die Berufungspolitik der Uni hin- Zeitpunkt hatten die StudentInnen der betroffenen Fächer einregiert. Exemplarisch dafür steht der Fall ‚Wipper- nichts mehr zu verlieren. Die defensiven Versuche, mit mann‘. Argumenten auf die Gremienpolitik Einfluß zu nehmen, Der kritische Faschismusforscher stand auf Platz 1 einer mußten als samt und sonders gescheitert betrachtet wer- Berufungsliste auf eine Professur am Fachbereich Ge- den. Ab jetzt ging die studentische Basisbewegung in die schichtswissenschaften. Die Wahl von Wissenschafts- Offensive. senator Turner, der in letzter Instanz über Berufungen entscheiden konnte, fiel aber auf einen unbekannten New- Der Versuch der Stärkung der Romanistik im sprach- comer, der auf Platz 3 der Liste stand. lichen Bereich fügt sich in die hochschulpolitischen Konzepte, die Diepgen und Turner mit ihrem Sinn für Die Folgen der systematischen und sträflichen Vernach- kapitalistische Zweckrationalität angesichts der Krise an lässigung kritischer Aufarbeitung der Vergangenheit in den Hochschulen Mitte Dezember herausgaben. Dort ver- Berlin zeigen sich jetzt: Eine neofaschistische Partei, die sprachen sie „verstärkte Förderung der Sprachausbildung sogenannten Republikaner, ist ins Abgeordnetenhaus ge- in […] Französisch, Spanisch und Italienisch im Hinblick wählt worden. Deshalb ist die Forderung nach Faschis- auf den europäischen Binnenmarkt 1992“. musforschung zum wichtigen Kampfziel des StudentIn- nenstreiks avanciert. Auch am Fachbereich Politische Wissenschaften schlug der Wissenschaftssenator zu. An-
76 BESETZT - Die Befreite Universität Berlin im Streik statt Margit Mayer auf Platz 1 der Berufungsliste zu wäh- Dritter Akt len, entschied er sich für den Drittplazierten: ein Schlag KultuRRevolution an der Uni ins Gesicht der feministischen Wissenschaft. Bis Weihnachten hatte sich die Universität zunehmend Dieser Politik traten die StudentInnen nun mit ihrer For- verwandelt. Das Kampffeld ‚Universität‘ wurde auch auf derung nach Quotenregelung zur systematischen Beset- der symbolischen Ebene neu besetzt. Den HistorikerIn- zung von Professuren mit Frauen entgegen. Sie haben nen war es zu dumm geworden, daß ihr Institut ausge- vom patriarchalisch-dominierten Wissenschaftsbetrieb rechnet den Namen des ersten Rektors der FU, Friedrich genug. Berufungspolitik und Umstrukturierungspläne an Meinecke, tragen sollte. Sie kündigten Meinecke fristlos. den Berliner Hochschulen, die hier in letzter Instanz se- Dessen Vergangenheitsbewältigung hatte darin bestan- natsgesteuert sind, ließen den Ruf nach „Autonomie der den, die nationalsozialistische Diktatur als „Deutsche Hochschule“ laut werden. Aber auch aus dem Versagen Katastrophe“ zu bezeichnen und sie damit zu naturalisie- der Uni-Gremien wurden Konsequenzen gezogen: ren. Er hatte dem deutschen Volk alternativ dazu die Aus- übung von Ersatzreligion anempfohlen. Es sollte in der Die unbrauchbaren Ergebnisse der konspirativ tagenden Kirche „Goethegemeinden“ bilden, um den „deutschen Strukturkommission entzogen der undemokratischen Ar- Geist zu retten“. Die HistorikerInnen, die ganz andere beitsweise solcher Instanzen die Legitimationsgrundlage. Vorstellungen von kritischer Faschismusforschung ha- Angesichts der verheerenden Auswirkungen der Gremi- ben, setzten mit einer Umbenennung des FMI andere Ak- enbeschlüsse auf die StudentInnen in den Fachbereichen zente. Sie nannten sich fortan nach dem volkstümlichen verloren die dort festgeschriebenen Professoralmehrhei- Vitalienbruder und Seeräuber ‚Klaus Störtebeker‘. Auch ten das Vertrauen endgültig. die anderen Institute hoben neue und alte Namen aus der Im Rahmen der Strukturreform sollte auch das Psycholo- Taufe. Die JuristInnen benannten ihr Institut nach Karl gische Institut zerstört werden. Dort existierten auf Fach- Liebknecht, der im Dezember 1914 als einziger Reichs- bereichsebene noch von Profs unabhängige studentische tagsabgeordneter seine Zustimmung zu den Kriegskredi- TutorInnen. Daneben gab es ein Mitbestimmungsmodell, ten verweigert hatte. Der Name steht für eine Diskurs- das auf Drittelparität basierte. Jetzt verlangen die Stu- technik gegen Krieg: Bildung gegen Jäger 90. dentInnen offensiv die uniweite, projektorientierte Aus- gestaltung autonomer Tutorien. Was die Mitbestimmung Das Otto-Suhr-Institut der PolitologInnen verwandelte angebt: Sie ist zum zentralen Streikziel geworden. Dem sich ins Ingrid-Strobl-Institut (ISI), das geographische In- entgegen streben das Hochschulrahmengesetz und das stitut ins Ulla-Penselin-Institut (UPI). Die Stoßrichtung Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1973. Dort wurde der neuen Namen ist eine gegen Gen- und Reprotechnik, festgelegt, daß HochschullehrerInnen bei Gremienent- gegen die auch Ingrid und Ulla kämpfen. Zudem bekun- scheidungen, die Fragen der Lehre betreffen, mindestens deten die Studis so Solidarität mit den nach §129a inhaf- die Hälfte der Stimmen, bei Abstimmungen über For- tierten Frauen. schungsorganisation und Berufungen gar die Mehrheit haben müssen. Nun wird von uns ein viertelparitätisches An der TU signalisierte der Fachbereich Umwelttechnik Mitbestimmungsmodell angestrebt, in dem die funktio- internationale Solidarität, als er den Namen ‚Chico-Men- nalen Gruppen der Profs, der sonstigen und wissenschaft- des-Institut‘ übernahm. Der brasilianische Umweltschüt- lichen MitarbeiterInnen und der StudentInnen gleichbe- zer war von Großgrundbesitzern erschossen worden. Der rechtigt an einem Tisch sitzen sollen. Vom neuen Senat neue Name verweist auf die ökologische Notwendigkeit wird erwartet, daß er schleunigst das Berliner Hochschul- der Rettung des Regenwaldes. Die ChemikerInnen tauf- gesetz dementsprechend novelliert und auf Bundesebene ten sich ‚Siggi-Möwe-Institut‘. Schon der Autor des Ar- Initiative zur Neugestaltung des Hochschulrahmengeset- tikels, der dies in der BESETZT Nr. 11 annoncierte, gab zes ergreift. zunächst zu, möglicherweise „kulturell nicht ganz auf der Höhe zu sein“. Dann enthüllte er die diskurstaktische In sozialpolitischer Hinsicht werden die StudentInnen Stoßrichtung des Namens: Siggi Möwe ist der „welterste an drei Punkten hart getroffen. Die Blümsche Gesund- Hausmeister, nach dem ein organisch-chemisches Institut heitsdeform sieht ab dem vierzehnten Semester eine benannt wurde“. Dies fügte sich nahtlos in den Rahmen Verdoppelung der Krankenkassenbeiträge vor. Die Mie- der studentischen Forderung nach viertelparitätischer tenpolitik des CDU-Senats sorgt mit der Aufhebung der Mitbestimmung in den Gremien, auch für die Gruppe der Mietpreisbindung für ein rapide wachsendes Mietenni- ‚sonstigen Beschäftigten‘. veau. Der BAföG-Kahlschlag war noch vor der Wende von der SPD mit der Teilumstellung auf Darlehensbasis Der kulturelle Bruch zwischen Freier und B*freiter Uni- eingeleitet worden. Nach der Machtübernahme durch versität wurde mit diesen Umbenennungen symbolisiert. die Kohl-Regierung wurde die BAföG-Politik Mittel zur Die Denormalisierung an der Uni nahm schwer einzu- Regulierung der StudentInnenzahlen. Im Rahmen ihrer grenzende Dimensionen an. Die Trennung zwischen Sparpolitik sollte die Vergabe von BAföG nur noch als Privatsphäre und Studium wurde aufgelöst. Viele Studis Darlehen die Unter- und Mittelschichten vom Studium schliefen nicht in ihren Betten, sondern in den besetzten ausschließen und die StudentInnenzahlen senken. Die so- Instituten. Tische und Stühle standen nicht mehr in den zialpolitischen Vorstellungen der StudentInnen hingegen Seminarräumen, sondern blockierten Eingangstüren. zielen auf die Einführung eines Mindesteinkommens. ‚Streikcafés‘ boten einer ungezwungenen Kommunika- Auf dieser Basis soll es jedem/r problemlos möglich sein, tion Raum. Die täglich erscheinende Videozeitung lockte Bildungsinstitutionen bis bin zur Uni, die dann eine Vol- fernsehsüchtige StubenhockerInnen in die Uni. xuni sein wird, zu nutzen.
77 Rost- und Silberlaube während des Streiks. © Umbruch-Archiv. Die Universitätsgremien wurden konsequent zum patriarchalischer Strukturen und faschistischer Vergan- Schweigen gebracht. Blockaden und Sprengungen ver- genheit in Uni und Gesellschaft, aber auch Technologie- hinderten deren Sitzungen. folgenabschätzung wurden gemeinsam betrieben. Die Uni bekam indes Farbe. Slogans und Graffitis über- Koordiniert wurde die StudentInnenbewegung nicht vom wucherten die trostlose Atmosphäre der Betonuni. Ein AStA, sondern von einer neuen, basisdemokratischen Gang der Silberlaube hat sich unter dem Motto „Macht Institution, dem Besetzungsrat: Jedes Institut besaß eine die ganze Uni bunt“ in ein unibuntistisches Gemälde ver- Stimme. Es holte sich dort eine Beschlußvorlage ab und wandelt. ließ sie auf dem Fachbereichsplenum diskutieren und ab- stimmen. Das weitere Procedere sah vor, zwei Delegier- Die Fantasie der StudentInnen, lange aufgestaut und ein- te, ausgestattet mit einem imperativen Mandat, in den gezwängt, war explodiert. Die Stoßwelle der Detonation geschlechterparitätisch-quotierten B*Rat zurückzuschi- erreichte schnell die Stadt. Die Wartesäle der U-Bahnhö- cken. EineR der Delegierten rotierte nach dem zweiten fe wurden zu Vorlesungssälen, zu Seminar- und Übungs- Besuch im B*Rat raus, um eineR NachrückerIn Platz räumen für schrilles Theater umfunktioniert. Musik- zu machen. Auf diese Weise sollte die Transparenz der studentInnen übten unüberhörbar, KunststudentInnen zentralen Ebene für möglichst viele StudentInnen, die so malten unübersehbar. Der Grad der Aufmerksamkeit, den selbst aktiv am Entscheidungsprozeß teilnehmen konn- die StudentInnenbewegung in den Medien und in der Öf- ten, gewährleistet werden. fentlichkeit genoß, schwoll rasch an. Die basisdemokratischen Verkehrsformen brauchten Zeit An der TU wuchs trotz aller Bemühungen des repressiven und zogen auch schon mal bissigen Spott auf sich: „Die Staatsapparates immer wieder ein autonomer Zebrastrei- Anzahl der Räte in der Befreiten Uni steht in reziprok fen nach, und zwar genau da, wo auf der Straße des 17. proportionalem Verhältnis zur Anzahl sinnvoller Ent- Juni die Autokultur mit ihrem dubiosen Freiheitsbegriff scheidungen“ war in der BESETZT Nr. 16 vom 12.12.88 hegemonial war. Was die BullInnen wiederholt mühsam zu lesen. Mit Inhaltsrat, Presserat, Kulturrat, berlinwei- wegschrubbten, markierte wenig später wieder, wie von tem ‚Rat der Räte‘, Sondierungsrat und Berlin-Kommissi- Zauberhand, einen Fußgängerüberweg. on entstand nach und nach ein neuer Gremiendschungel. Eine der kultuRRevolutionärsten Errungenschaften des Streiks waren die ‚Autonomen Seminare‘, ohne den re- Vierter Akt pressiv-zensierenden Scharfblick von ProfessorInnen. ‚UNiMUT‘ Auffällig häufig standen in ihnen die Themen ‚Interdis- ziplinarität‘, ‚Feminismus‘ und ‚Faschismus‘ im Vorder- Die zarteste Versuchung seit es internationale Kongresse grund. Sie sind ein Indikator dafür, welcher Typus und gibt welche Themen von Wissenschaft als gesellschaftlich re- levant erachtet werden. In der Regel waren die Seminare Am 17.12.1988 wurde in der BESETZT Nr.11 angekün- interdiskursiv angelegt: Natur- und Gesellschaftswissen- digt, daß vom 6. bis 9. Januar ein Kongreß durchgeführt schaftlerInnen sollten sich koppeln. Die Untersuchung werde, der in die „neugeschaffenen Strukturen“ der
78 BESETZT - Die Befreite Universität Berlin im Streik b*freiten Universitäten Berlins einführen sollte. Rasch lesungsbeginn am 9.1. den Zugang zu den Lehrveranstal- konkretisierte sich das Projekt. Es wurde international tungen zu ermöglichen. Am 8.1. schritt die Medi-VV er- angelegt und erhielt den Titel „UNiMUT – Alternativen neut zum Hammelsprung. Das Ergebnis der Abstimmung zur Fremdbestimmung“ (BESETZT Nr. 12, 19.12.88). war denkbar knapp: Von 2 567 Medis stimmten 1 231 für, 1 276 aber gegen Beendigung des Streiks. Die Blockaden Die Absichten, die mit dem Kongreß verfolgt wurden, sind gingen also weiter, aber unter neuen Bedingungen. schnell umrissen: Die „Zusammenführung“ der „jüngs- ten europaweiten Proteste“ an den Unis wurde angestrebt. Presserat und AStA kommentierten in einem Telex die Andere Unis sollten, durch den Berliner Widerstand an- Ereignisse vom „schwarzen Montag unseres Streiks“: geregt, „auf den Geschmack kommen“. Die LIEBLINGS- ZEITUNG (LZ), die berlinweite Streikzeitung aller „die polizei ging gegen die blockierenden studentinnen Hochschulen und Schulen, erläuterte noch einmal die mit brutalsten knüppeleinsäten vor, um streikbrechern Funktionen des Kongresses. Er sollte als „Ausgangspunkt den zugang zu den gebaeuden freizumachen. bis 16 uhr für eine bundesweite Neu- bzw. Wiederbesetzungswelle gab es weit über 100 verletzte und über 80 festnahmen. der Universitäten dienen“. Der „Austausch“ mit Gewerk- vor der anatomie wurde ein demonstrant von einem poli- schaften und Frauengruppen sollte koordiniert werden, zeifahrzeug überrollt – mit diesem sollten streikbrecher um „universitären mit gesamtgesellschaftlichem Wider- zu ihren kursen gefahren werden.“ stand zu koppeln“. (LZ Nr. 2, 30.12.88). Die Auseinandersetzungen zogen sich über mehrere Tage Am Freitag, den 6. Januar 1989, war es schließlich so weit. hinweg. Die BESETZT vom 18.1.89 setzte zum Vergleich Etwa 6 000 Leute, schätzte die BESETZT (Nr. 16, 8.1.89), an: „Jetzt ist es auch in Berlin so weit, wie in El Salva- waren gekommen, darunter in der Tat viel internationales dor: die Bullen werden auf den Campus geschickt“. Doch Publikum. Die als Chaoten verschrienen BesetzerInnen schon war klar, daß sich der CDU-Senat hier eine „mo- hatten der Welt vor laufenden Kameras bewiesen, daß sie ralische Niederlage“ eingehandelt hatte. Am Donnerstag die Simulation der bürgerlichen Verkehrsform ‚Kongreß‘ schließlich zog sich die Polizei zurück. Die BlockiererIn- perfekt beherrschen. Feierlich wurde der Kongreß mit nen fielen sich in die Arme. Die LZ Nr. 6 vom 13.1.89 einer Podiumsdiskussion zum Thema „Universität und wertete: Gesellschaft“ eröffnet. Am Samstag stand das Thema „Natürlich ein Sieg – ein teuer bezahlter. Aber wir haben „Feministische Wissenschaftskritik“ auf der Tagesord- nur die Repression zurückgeschlagen, unsere Forderun- nung, am Sonntag das Thema „Alternativen zur Fremd- gen warten noch immer auf Erfüllung.“ bestimmung? – Widerstand gegen Herrschaft“. Diese Woche hatte bei den Streikenden immense Kräfte Die Kontaktaufnahme „zwischen studentischem und au- verzehrt. Die inhaltliche Arbeit in den Autonomen Se- ßeruniversitärem Widerstand“ war zwar erfolgreich. Die minaren war zum Erliegen gekommen. Demobilisierend LZ Nr. 5 vom 9.1.89 aber kommentierte, am politischen wirkte auch, daß die Medis in einer neuen VV nicht die Erfolg der Veranstaltung zweifelnd: „Diese Zusammen- erforderliche Mehrheit für eine Fortsetzung des Streiks arbeit muß jetzt praktisch werden“. Für den Montag war erreichten. zum Kongreßschluß eigentlich ein Aktionstag geplant. Die „drei medizinischen Fachbereiche erhalten bereits Alles konzentrierte sich jetzt aber auf die Ereignisse am die Hälfte aller Gelder“ an der B*FU. „Vom Rest erhal- Fachbereich Medizin. Die spielerische Leichtigkeit und ten die anderen Naturwissenschaften ein Drittel und die der Enthusiasmus, mit dem die StudentInnenbewegung ‚sonstigen‘ werden mit einem Sechstel bedient“ (LZ Nr. aufgebrochen war, war mit einem Schlag dahin. 8, 27.1.89). Die ZahnmedizinerInnen waren bereits am 16.12.88 wieder aus dem Streik ausgeschieden. Die Ve- Fünfter Akt terinärmedizinerInnen brachen den Streik am 12.1.89 ab. Die Polizei auf dem Campus Am 21.1. scherte der Fachbereich Chemie aus. Obwohl die Mehrzahl der Fachbereiche (FBs) mit zumeist recht pas- Am 11.12.1988 noch hatten auf einer Fachbereichsvoll- sablen Mehrheiten den Streik fortführte – bei der Abstim- versammlung von 2 074 MedizinerInnen 82,8 % für mung mit Deutschmark war die Streikfront eingebrochen. eine Fortsetzung des Streiks gestimmt. Die solidarische In der BESETZT Nr. 25 vom 21.1. fragte eine AutorIn, ob Teilnahme der NaturwissenschaftlerInnen am Unistreik nun das „Ende der Basisdemokratie?!“ erreicht sei? Denn: brachte für die anderen Fachbereiche einen Mobilisie- „An den FBs, in denen die Urabstimmung eine Mehrheit rungsschub. Doch dann wurde es für die Medis ernst. In fand, herrscht beklemmende Leere“. der BESETZT Nr. 7 vom 13.12.88 meldeten sie, daß sie immer noch „Streikbrecher vom Betreten der Lehrveran- Sechter Akt staltungen abhalten“ müssen. Doch trotz der „zeitaufwen- Die Wahlen zum Abgeordnetenhaus digen Blockaden“ lagen auch schon die „ersten Termine für autonome Seminare vor“, so daß es auch mit der „in- Die Hoffnung vieler StudentInnen konzentrierte sich jetzt haltlichen Arbeit vorwärts“ ging. auf die Wahlen zum Abgeordnetenhaus am 29.1.1989. Von Am 3.1.89 jedoch räumte ein „Rollkommando der Bullen einer Abwahl des CDU-FDP-Senats versprach mensch die Physiologie und Biochemie“ von den BesetzerInnen, sich eine gravierende Änderung der Mehrheitsverhält- die dort auch in den Weihnachtsferien geblieben waren. nisse im Kuratorium, dem sturen Uni-Gremium, dem die Die BESETZT vom 4.1. titelte: „MEDIS ENTSETZT“. verheerenden Strukturbeschlüsse zu verdanken waren. Die Polizei riegelte das Gelände um die medizinischen Noch einmal mobilisierte die StudentInnenbewegung in Institute weiträumig ab, um StreikbrecherInnen bei Vor- einer ‚berlinweiten Aktionswoche‘ letzte Reserven. Mit
79 © Umbruch-Archiv. phantasievollen Aktionen in der Stadt sollte das Wähler- Prügel. Zwar konnte die Sitzung verhindert werden, aber volk noch einmal kräftig gegen den CDU-FDP-Senat auf- nur um den Preis großer Verbitterung beim Kern der Ak- gehetzt werden. tivistInnen: „Wo wart ihr, die ihr so vehement über die Streikbrecher herzieht? Ihr seid verantwortlich für das, Am 27.1. rief die LZ Nr. 8 agitatorisch zur ‚Jubelpara- was in Lankwitz passiert ist […]. Die Sache ist gelaufen. de‘ zum Rathaus Schöneberg auf: „Zu einer Jubelpara- Wahrscheinlich findet sich das nächste Mal dann keiner de passen keine tristen Farben, UNIBUNTISMUS heißt mehr, der für Euch seinen Kopf hinhält“. Am Mittwoch, unsere Devise“. Schließlich kamen laut LZ Nr. 9 „20 000 den 5.2.1989, war es schließlich so weit. Die Sitzung des DemonstrantInnen“. Manche schmollten auch nach dem Akademischen Senats „konnte nicht verhindert werden“ Motto „Wahlen können sowieso nix verändern“. (BESETZT Nr. 35, 17.2.89). Ein Mißtrauensantrag gegen Heckelmann fand keine Mehrheit. Die BESETZT-Redak- Dann der Wahltag: Die Regierungskoalition ist abgewählt tion gab ihrem Blatt einen neuen Namen. Sie kündigte an, worden. Trotz rechnerischer SPD-AL-Mehrheit kam kei- solange ENTSETZT zu bleiben, „bis die StudentInnen- ne Freude auf, denn die Republikaner konnten mit einem bewegung wieder in der Offensive ist“ (ENTSETZT Nr. haarsträubenden Erfolg ins Abgeordnetenbaus einziehen. 1, 3.3.1989). Die vorlesungsfeie Zeit brachte das Ende der Hochschulpolitisch bedeutet das auch, daß im neuen Ku- Besetzung. ratorium auch ein „Vertreter der Republikaner“ sitzt. (BE- SETZT Nr. 29, 1.2.89). Seit Samstag, den 25.2.1989, bestimmte die Unileitung wieder, wann Rost- und Silberlaube geöffnet sind. Nach Siebter Akt und nach wurden kleinere, noch besetzte Institute ge- Erdrutsch räumt. Die Schlösser wurden ausgewechselt. Zuletzt wollte die Polizei am Samstag, den 4.3.89, das ISI ent- Nach der Wahl verlor die StudentInnenbewegung erd- setzen. Dort, im Keller der Ihnestraße 22 ereignete sich rutschartig an Stärke. Der B*Rat begann, „an zu geringer dann auch der Treppenwitz der Streikgeschichte. Die Be- Beteiligung der BEs“ (Besetzungseinbeiten) (BESETZT setzerInnen waren (vom Weltgeist informiert?) schon in Nr. 29, 1.2.89) zu kranken. Ein geplanter ‚Tag der offenen der Nacht zuvor abgezogen. Tür‘, an dem das Volk die Uni zur Volxuni machen soll- te, konnte nicht durchgeführt werden. Viele Besetzungen Daß sich die StudentInnenbewegung in den Semesterfe- wurden unkoordiniert und ohne einen taktisch-geplanten rien scheinbar aufgelöst hat, hat wenig zu bedeuten. Ge- Rückzug aus der Uni abgebrochen. rade ein Streik an der Uni kann sowieso nur zyklologisch gekoppelt an die Vorlesungszeit stattfinden. Wenn die Erschreckend war auch, was sich am „Tatort Lankwitz“ StudentInnenbewegung im Sommersemester wieder an- (BESETZT Nr. 30, 2.2.89) abspielte. Elf Institute hatten treten sollte, dann ist sie auch gewachsen. Gewachsen um im B*Rat für eine „Verhinderung“ der Sitzung des Akade- Erfahrung in kultuRRevolutionärem Elan, in Basisdemo- mischen Senats in Lankwitz gestimmt. Schließlich stan- kratie und – hoffentlich – im Ausarbeiten von politischen den sich dort 20 bis 30 BullInnen und etwa genausoviele Kampfzielen. StudentInnen gegenüber. Letztere bezogen auch prompt
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