Rechtsprechung (hrr-strafrecht.de) - Urteil vom 28. Januar 2021 (OLG München)

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Rechtsprechung (hrr-strafrecht.de)
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 315
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: HRRS 2021 Nr. 315, Rn. X

                     BGH 3 StR 564/19 - Urteil vom 28. Januar 2021 (OLG München)
BGHSt; regelmäßig kein Verfahrenshindernis der funktionellen Immunität bei von einem ausländischen
nachrangigen Hoheitsträger in Ausübung seiner hoheitlichen Tätigkeit im Ausland zum Nachteil von nicht
inländischen Personen begangen Kriegsverbrechen (deutsche Gerichtsbarkeit; funktionelle und personelle
Immunität); allgemeine Regel des Völkergewohnheitsrechts (Ermittlung der Staatenpraxis; Entscheidung
des BVerfG); Kriegsverbrechen der grausamen oder unmenschlichen Behandlung einer zu schützenden
Person (Erheblichkeit; Folter; Konkurrenzen mit Körperverletzung und Nötigung nach nationalem
Strafrecht).

Art. 25 GG; § 20 Abs. 2 GVG; § 8 Abs. 1 Nr. 3, Nr. 9 VStGB; Art. 100 Abs. 2 GG; § 224 StGB; § 240 StGB; §
52 StGB; Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut

                                                 Leitsätze

1. Nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts ist die strafrechtliche Ahndung von Kriegsverbrechen der
Folter und der in schwerwiegender Weise entwürdigenden oder erniedrigenden Behandlung sowie wegen
damit zugleich verwirklichter allgemeiner Straftatbestände wie gefährlicher Körperverletzung und Nötigung
durch ein inländisches Gericht nicht wegen des Verfahrenshindernisses der funktionellen Immunität
ausgeschlossen, wenn die Taten von einem ausländischen nachrangigen Hoheitsträger in Ausübung seiner
hoheitlichen Tätigkeit im Ausland zum Nachteil von nicht inländischen Personen begangen wurden. (BGHSt)

2. Zu den Voraussetzungen des Kriegsverbrechens der Folter. (BGHSt)

3. Die deutsche Gerichtsbarkeit ist eine allgemeine Verfahrensvoraussetzung; ihr Bestehen sowie ihre
Grenzen sind als Rechtsfragen in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen und zu
berücksichtigen. Soweit eine völkergewohnheitsrechtliche Immunität gegeben ist, ist eine solche generell
beachtlich, unabhängig davon, ob sich dies aus § 20 Abs. 2 GVG oder direkt aus Art. 25 GG ergibt.
(Bearbeiter)

4. Ein Staat ist angesichts der souveränen Gleichheit der Staaten zumindest in Bezug auf Hoheitsakte (acta
iure imperii) grundsätzlich keiner fremden staatlichen Gerichtsbarkeit unterworfen. Daraus kann sich auch
eine funktionelle Immunität für natürliche Personen als Ausfluss der Staatenimmunität ergeben, da ein Staat
regelmäßig nur durch solche handeln kann. Eine andere Beurteilung ergibt sich bei der individuellen
strafrechtlichen Verantwortlichkeit einer natürlichen Person für Kriegsverbrechen, die sie als in der
Staatsorganisation nicht besonders herausgehobener Hoheitsträger eines fremden Staates begangen
haben soll. Eine in einem solchen Fall zu erwägende funktionelle Immunität ist von anderen Immunitäten,
insbesondere der personellen (ratione personae), zu unterscheiden. (Bearbeiter)

5. Eine allgemeine Regel des Völkergewohnheitsrechts im Sinne des Art. 38 Abs. 1 Buchst. b IGH-Statut ist
eine Regel, die von einer gefestigten Praxis zahlreicher, aber nicht notwendigerweise aller Staaten
(„consuetudo“ oder „usus“) in der Überzeugung einer völkerrechtlichen Verpflichtung („opinio iuris sive
necessitatis“) getragen wird. An ihre Feststellung sind wegen der darin zum Ausdruck kommenden
grundsätzlichen Verpflichtung aller Staaten hohe Anforderungen zu stellen. Insofern gilt:

a) Zur Ermittlung der Staatenpraxis kann auf das Verhalten der für den völkerrechtlichen Verkehr nach
internationalem oder nationalem Recht zuständigen Staatsorgane, regelmäßig die Regierung oder das
Staatsoberhaupt, abzustellen sein. Die Staatenpraxis kann sich daneben aber auch aus den Akten anderer
Staatsorgane wie solchen des Gesetzgebers oder der Gerichte ergeben, soweit ihr Verhalten unmittelbar
völkerrechtlich erheblich ist.

b) Bei der Ermittlung der Staatenpraxis ist den neueren Rechtsentwicklungen auf internationaler Ebene
Rechnung zu tragen, die durch fortschreitende Differenzierung und eine Zunahme der anerkannten
Völkerrechtssubjekte gekennzeichnet sind. Deshalb verdienen die Handlungen von Organen internationaler
Organisationen (vor allem internationaler Gerichte) besondere Aufmerksamkeit. Zudem können die
Entscheidungen nationaler Gerichte insbesondere dort berücksichtigt werden, wo, wie im Bereich der
gerichtlichen Immunität fremder Staaten, das innerstaatliche Recht den nationalen Gerichten die

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unmittelbare Anwendung von Völkerrecht gestattet. Ferner können die Arbeiten der
Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen Indiz für das Bestehen einer Rechtsüberzeugung sein.
(Bearbeiter)

6. Gemäß Art. 100 Abs. 2 GG ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, wenn in
einem Rechtsstreit zweifelhaft ist, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und
ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt. Insofern gilt:

a) Der Begriff des Rechtsstreites im Sinne der Vorschrift ist weit auszulegen und umfasst jedes gerichtliche
Verfahren. Ihrer Gewährleistungsfunktion zugunsten der allgemeinen Regeln des Völkerrechts wäre nicht
Genüge getan, wenn der Begriff „Rechtsstreit“ eng gefasst, beispielsweise auf kontradiktorische Verfahren
begrenzt würde. Vorlagen sind selbst dann zulässig, wenn die völkerrechtliche Regel ihrem Inhalt nach nicht
geeignet ist, unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen zu erzeugen, sondern sich nur an Staaten
oder ihre Organe als Normadressaten wendet.

b) Eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 2 GG ist regelmäßig bereits geboten, wenn das erkennende Gericht bei
der Prüfung der Frage, ob und mit welcher Tragweite eine allgemeine Regel des Völkerrechts gilt, auf
ernstzunehmende Zweifel stößt, mag das Gericht selbst auch keine Zweifel haben. Nicht das erkennende
Gericht, sondern nur das Bundesverfassungsgericht hat die Befugnis, vorhandene Zweifel selbst
aufzuklären. Ernstzunehmende Zweifel an dem Bestehen oder der Tragweite einer allgemeinen Regel des
Völkerrechts bestehen dann, wenn das Gericht von der Meinung eines Verfassungsorgans oder von den
Entscheidungen hoher deutscher, ausländischer oder internationaler Gerichte oder von den Lehren
anerkannter Autoren der Völkerrechtswissenschaft abwiche.

c) Derartige Zweifel sind zudem dann anzunehmen, wenn es keine einschlägige höchstrichterliche
Rechtsprechung zu den vorgelegten Fragen gibt und die Judikatur internationaler Gerichte dazu nicht in
entscheidender Weise Stellung nimmt. Ferner sind über den Wortlaut hinaus Fragen statthaft, die sich nicht
auf die Existenz, sondern nur auf die Tragweite einer Völkerrechtsregel beziehen; die Bedeutung, die Art. 25
GG den allgemeinen Regeln des Völkerrechts beimisst, fordert eine einheitliche Rechtsprechung auch über
ihre Tragweite. Dies bedeutet, dass das Verfahren nach Art. 100 Abs. 2 GG auch der Auslegung und
Konkretisierung allgemeiner Regeln des Völkerrechts mit ihrer regelmäßig geringen Regelungsdichte dienen
kann. (Bearbeiter)

7. Die Erheblichkeit, die das Kriegsverbrechen der grausamen oder unmenschlichen Behandlung einer zu
schützenden Person gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB voraussetzt, verlangt ein hinreichend großes Maß der
durch die Tathandlung verursachten Beeinträchtigung und dient nicht allein dazu, Bagatellfälle aus dem
Anwendungsbereich auszuscheiden. Sie ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles zu beurteilen,
insbesondere der Art der Handlung sowie ihres Kontextes. Bezugspunkt der Erheblichkeitsprüfung sind die
körperlichen oder seelischen Schäden oder Leiden. (Bearbeiter)

8. Verwirklicht ein Täter durch sein Verhalten sowohl Tatbestände des allgemeinen Strafrechts als auch
einen Tatbestand des Völkerstrafgesetzbuchs, so gelten die allgemeinen Konkurrenzregeln. Wird durch eine
Handlung neben einer (gefährlichen) Körperverletzung und einer (versuchten) Nötigung das
Kriegsverbrechen der Folter begangen, steht dieses zu den genannten Delikten des nationalen Strafrechts
regelmäßig im Verhältnis der Tateinheit. (Bearbeiter)

                                             Entscheidungstenor

   Auf die Revision des Generalbundesanwalts wird das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 26. Juli
   2019

   im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Kriegsverbrechens gegen Personen durch Folter in
   Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, mit Nötigung und mit versuchter Nötigung sowie des
   Kriegsverbrechens gegen Personen durch entwürdigende oder erniedrigende Behandlung schuldig ist;

   aufgehoben im Ausspruch über die Einzelstrafen im Fall II. B. 1 der Urteilsgründe und über die Gesamtstrafe;
   jedoch bleiben die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.

   Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
   Rechtsmittels des Generalbundesanwalts, an einen anderen Strafsenat des Oberlandesgerichts
   zurückverwiesen.

   Die weitergehende Revision des Generalbundesanwalts und die Revision des Angeklagten werden verworfen.

   Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

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Gründe

Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen, davon in einem Fall 1
in Tateinheit mit Nötigung und in zwei Fällen in Tateinheit mit versuchter Nötigung, sowie wegen eines
Kriegsverbrechens gegen Personen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung der
Strafe hat es zur Bewährung ausgesetzt. Der Angeklagte und zu dessen Lasten der Generalbundesanwalt wenden
sich mit ihren jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen gegen das Urteil. Das Rechtsmittel des
Generalbundesanwalts, der eine Verurteilung des Angeklagten auch wegen des Kriegsverbrechens der Folter und die
Aufhebung des gesamten Strafausspruchs erstrebt, hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen
ist es ebenso wie die Revision des Angeklagten unbegründet.

A.

Das Oberlandesgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:                           2

I. Der Angeklagte war als Oberleutnant der afghanischen Armee auf einem ihrer Stützpunkte tätig. Er bemerkte Ende 3
2013/Anfang 2014, dass drei Gefangene, deren Hände gefesselt und deren Augen mit Tüchern verbunden waren, zu
der Kaserne gebracht wurden. In deren Nähe hatten Aufständische am Vortag eine Gruppe von Soldaten
beschossen. Der Angeklagte hörte Schreie aus dem Büro des stellvertretenden Kommandeurs, in das die
Gefangenen geleitet worden waren, und begab sich dorthin. Als er eintrat, schlug der stellvertretende Kommandeur
mit einem etwa ein Meter langen, zolldicken Stück eines Wasserschlauchs auf die in landestypischer Weise auf dem
Boden sitzenden - weiterhin mit Fesseln und Augenbinden versehenen - Gefangenen ein. Auf dessen Bitten schrieb
der Angeklagte die folgende, durch einen weiteren Soldaten gefilmte Vernehmung mit. Ihr Ziel war es, Informationen
über einen Anführer und Waffenverstecke der Taliban zu erhalten. Bei der Befragung wirkten der Angeklagte und der
stellvertretende Kommandeur aufgrund eines gemeinsamen Entschlusses zusammen, mittels Drohungen und leichter
bis mittelgradiger Gewaltanwendung Aussagen der Gefangenen zu erlangen.

Der Mittäter drohte dem ersten Gefangenen, er werde ihn „zerreißen“. Der Angeklagte sagte zu diesem auf Dari, er 4
werde ihn „an Strom anschließen“, was der Mittäter den Paschtu sprechenden Gefangenen übersetzte. Der
Angeklagte zog dem an die Zimmerwand gelehnten Gefangenen an den Haaren und schlug dessen Kopf in schneller
Folge vier Mal gegen die Holzwand. Der andere Offizier versetzte ihm mit den losen Enden eines mittig gefalteten
Wasserschlauchs zwei Schläge von oben auf den Kopf.

Dem zweiten Gefangenen zog der Angeklagte darauf rund dreißig Sekunden an den Haaren und forderte ihn zu einem 5
Eingeständnis auf. Als ein weiterer im Raum befindlicher Soldat erklärte, er habe den Gefangenen in dem Haus
festgenommen, von dem die Raketen abgeschossen worden seien, schluchzte der Gefangene. Der Angeklagte
versetzte diesem einen leichten Schlag mit der flachen Hand ins Gesicht und wies ihn an, das Weinen zu beenden.

Der stellvertretende Kommandeur schlug sodann dem dritten Gefangenen jeweils zwei Mal mit dem Handrücken 6
gegen den Stirnbereich, zog ihn an der Schulter zu Boden und schlug ihm mit der Faust von oben auf den Kopf.
Nachdem der Angegangene eine Frage beantwortet und sich wiederaufgerichtet hatte, wurde er schließlich mit der
flachen Hand ins Gesicht geschlagen. Anders als die beiden anderen Gefangenen machte er daraufhin wegen der
Misshandlungen Angaben zum Aufenthaltsort von Taliban und Waffen.

Als ein Sicherheitsoffizier hinzukam und die Gefangenen abholte, endete die über vierminütige Befragung. Die 7
Schläge wurden insgesamt mit leichter bis mittlerer Intensität ausgeführt und waren geeignet, leichte bis mittelgradige
Schmerzen hervorzurufen. Die Misshandlungen mit dem Wasserschlauch waren allenfalls geeignet, Hautrötungen auf
der Kopfoberseite und leichte Schmerzen zu erzeugen. Äußere Verletzungen oder psychische Folgeschäden waren
nicht festzustellen.

II. Im ersten Quartal des Jahres 2014 fand der Angeklagte nach einem Feuergefecht den Leichnam eines gesuchten, 8
hochrangigen Talibankommandeurs. Er sollte den Körper auf Befehl seines Vorgesetzten zu einem Metzger bringen
und ordnete den Abtransport mit einem Militärfahrzeug an. Dabei wurde die Leiche so auf das Heck des Fahrzeugs
vom Typ Humvee gelegt, dass Arme und Beine nach unten baumelten. Die anschließende Fahrt wurde in Kenntnis
des Angeklagten gefilmt. Vor Fahrtbeginn versetzte ein Polizist dem Toten drei Faustschläge; mit dessen Arm führte
der Angeklagte eine winkende Geste aus. Während der Fahrt schlugen der Polizist und ein auf dem Fahrzeugdach
sitzender Soldat mehrfach mit einem Sturmgewehr auf die Leiche ein. Bei einem kurzen Stopp hielt der Angeklagte
einen Fleischerhaken an die Leiche.

Letztlich ließ er sie zu einem rund drei Meter hohen Schutzwall fahren und zog ihr eine Seilschlinge um den Hals, an 9
der sie auf sein Geheiß sowie mit seiner Unterstützung hinaufgezogen und an einem Metallgitter befestigt wurde.
Sodann erklärte er in einer gefilmten Ansprache, sie hätten die Leiche „wie die von einem Esel mitgenommen und hier
erhängt"; wenn sie wieder solche Leute ertappten, die ihre Leute attackierten, würden sie sie töten. Bei dem

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Aufhängen an dem Schutzwall kam es ihm und den von ihm Befehligten darauf an, den Getöteten wie eine Trophäe zu
präsentieren und in seiner über den Tod hinausreichenden Ehre herabzuwürdigen sowie durch die unzutreffende
Behauptung, er habe den Talibanführer selbst getötet, sein berufliches Fortkommen zu fördern.

III. In Afghanistan bestand zu den Tatzeitpunkten ein „seit Jahresende 2001 andauernder Krieg in Form eines 10
nichtinternationalen bewaffneten Konfliktes“ zwischen den durch internationale Truppen unterstützten afghanischen
Regierungsstreitkräften einerseits sowie Taliban und weiteren nichtstaatlichen bewaffneten Gruppierungen
andererseits.

B.

Einer Entscheidung in der Sache steht nicht das von Amts wegen zu prüfende (dazu unter I.) Verfahrenshindernis der 11
funktionellen Immunität entgegen. Nach dem Völkergewohnheitsrecht sind - frühere - militärische Hoheitsträger wie
der Angeklagte in Bezug auf Kriegsverbrechen nicht von der deutschen Strafgerichtsbarkeit befreit (II.). Da insofern
keine ernstzunehmenden Zweifel bestehen, kann der Senat hierüber befinden, ohne zuvor eine Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichtes einzuholen (III.). Folglich bedarf es keiner Klärung, ob eine funktionelle Immunität aus
anderen Gründen ausgeschlossen wäre (IV.). Auch im Übrigen ist die deutsche Strafgerichtsbarkeit eröffnet (V.).

I. Der Senat hat über das Vorliegen einer etwaigen Immunität zu entscheiden, obwohl sie im vorliegenden Verfahren 12
nicht geltend gemacht worden ist. Die deutsche Gerichtsbarkeit ist eine allgemeine Verfahrensvoraussetzung; ihr
Bestehen sowie ihre Grenzen sind als Rechtsfragen in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen und zu
berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Dezember 1977 - 2 BvM 1/76, BVerfGE 46, 342, 359; BGH,
Urteile vom 3. März 2016 - 4 StR 496/15, StV 2017, 103 Rn. 20; vom 19. Dezember 2017 - XI ZR 796/16, BGHZ
217, 153 Rn. 15). Soweit eine völkergewohnheitsrechtliche Immunität gegeben ist, ist eine solche generell beachtlich,
unabhängig davon, ob sich dies aus § 20 Abs. 2 GVG (vgl. Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 20 Rn. 2 ff.;
MüKoZPO/Zimmermann, 5. Aufl., § 20 GVG Rn. 9 f.) oder direkt aus Art. 25 GG ergibt (vgl. zu § 20 GVG aF BGH,
Urteil vom 26. September 1978 - VI ZR 267/76, NJW 1979, 1101; s. auch Verbalnote der Ständigen Vertretung der
Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen vom 6. April 2017, 190/2017).

II. Nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts ist die strafrechtliche Ahndung von Kriegsverbrechen der Folter 13
und der in schwerwiegender Weise entwürdigenden oder erniedrigenden Behandlung sowie wegen damit zugleich
verwirklichter allgemeiner Straftatbestände wie gefährlicher Körperverletzung und Nötigung durch ein inländisches
Gericht nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Taten durch einen ausländischen nachrangigen Hoheitsträger in
Ausübung seiner hoheitlichen Tätigkeit im Ausland zum Nachteil von nicht inländischen Personen begangen wurden.
Im Einzelnen:

1. Eine allgemeine Regel des Völkergewohnheitsrechts im Sinne des Art. 38 Abs. 1 Buchst. b IGHStatut ist eine 14
Regel, die von einer gefestigten Praxis zahlreicher, aber nicht notwendigerweise aller Staaten („consuetudo“ oder
„usus“) in der Überzeugung einer völkerrechtlichen Verpflichtung („opinio iuris sive necessitatis“) getragen wird
(BVerfG, Beschluss vom 3. Juli 2019 - 2 BvR 824/15 u.a., NJW 2019, 2761 Rn. 32 mwN; vgl. auch IGH, Urteil vom
3. Februar 2012 - 1031 - Deutschland / Italien - I.C.J. Reports 2012, 99 Rn. 55). An ihre Feststellung sind wegen der
darin zum Ausdruck kommenden grundsätzlichen Verpflichtung aller Staaten hohe Anforderungen zu stellen (BVerfG,
Beschluss vom 3. Juli 2019 - 2 BvR 824/15 u.a., aaO Rn. 31 mwN).

Zur Ermittlung der Staatenpraxis kann auf das Verhalten der für den völkerrechtlichen Verkehr nach internationalem 15
oder nationalem Recht zuständigen Staatsorgane, regelmäßig die Regierung oder das Staatsoberhaupt, abzustellen
sein. Die Staatenpraxis kann sich daneben aber auch aus den Akten anderer Staatsorgane wie solchen des
Gesetzgebers oder der Gerichte ergeben, soweit ihr Verhalten unmittelbar völkerrechtlich erheblich ist (BVerfG,
Beschluss vom 5. November 2003 - 2 BvR 1506/03, BVerfGE 109, 38, 54 mwN). Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts gilt zwar weiter, dass richterliche Entscheidungen, wie auch völkerrechtliche
Lehrmeinungen, nur als Hilfsmittel für die Klärung von Völkergewohnheitsrecht heranzuziehen sind. Allerdings ist bei
der Ermittlung der Staatenpraxis den neueren Rechtsentwicklungen auf internationaler Ebene Rechnung zu tragen,
die durch fortschreitende Differenzierung und eine Zunahme der anerkannten Völkerrechtssubjekte gekennzeichnet
sind. Deshalb verdienen die Handlungen von Organen internationaler Organisationen und vor allem internationaler
Gerichte besondere Aufmerksamkeit (BVerfG, Beschluss vom 5. November 2003 - 2 BvR 1506/03, aaO). Zudem
können die Entscheidungen nationaler Gerichte insbesondere dort berücksichtigt werden, wo, wie im Bereich der
gerichtlichen Immunität fremder Staaten, das innerstaatliche Recht den nationalen Gerichten die unmittelbare
Anwendung von Völkerrecht gestattet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Dezember 1977 - 2 BvM 1/76, BVerfGE 46,
342, 367 f.). Ferner können die Arbeiten der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen Indiz für das Bestehen
einer Rechtsüberzeugung sein (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. Mai 2007 - 2 BvM 1/03, BVerfGE 118, 124, 136 f.;
vom 6. Dezember 2006 - 2 BvM 9/03, BVerfGE 117, 141, 161).

2. Unter Heranziehung der dargelegten Maßstäbe steht nach dem Völkergewohnheitsrecht einer nationalen 16

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Strafverfolgung wegen Kriegsverbrechen keine allgemeine funktionelle Immunität ratione materiae von nachrangigen
Hoheitsträgern, insbesondere Soldaten, anderer Staaten entgegen.

a) Im Ausgangspunkt geklärt ist, dass ein Staat angesichts der souveränen Gleichheit der Staaten zumindest in 17
Bezug auf Hoheitsakte (acta iure imperii) grundsätzlich keiner fremden staatlichen Gerichtsbarkeit unterworfen ist
(vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 27. Oktober 2020 - 2 BvR 558/19, juris Rn. 18 f.; vom 6. Mai 2020 - 2 BvR 331/18,
NJW 2020, 3647 Rn. 18 ff.; IGH, Urteil vom 3. Februar 2012 - 1031 - Deutschland / Italien - I.C.J. Reports 2012, 99
Rn. 53 ff.; BGH, Urteil vom 19. Dezember 2017 - XI ZR 796/16, BGHZ 217, 153 Rn. 16 ff.; Steinberger, State
Immunity in EPIL Bd. 4, 615, 619; Isensee/Kirchhof/F. Becker, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl., § 230 Rn. 81).
Daraus kann sich auch eine funktionelle Immunität für natürliche Personen als Ausfluss der Staatenimmunität
ergeben, da ein Staat regelmäßig nur durch solche handeln kann (s. EGMR, Urteil vom 14. Januar 2014 - 34356/06
u.a. - Jones u.a. / Vereinigtes Königreich - ECHR 2014-I, 1 Rn. 202 ff.; BGH, Urteil vom 26. September 1978 - VI
ZR 267/76, NJW 1979, 1101; IStGHJ, Urteil vom 29. Oktober 1997 - IT-95-14-AR 108 - Blaskic - Rn. 41;
Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 20 Rn. 3). Allerdings ist hier Gegenstand des Verfahrens und Bezugspunkt der
etwaigen Immunität nicht das hoheitliche Handeln eines fremden, an dem Gerichtsverfahren nicht beteiligten Staates
im Allgemeinen, sondern die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit einer natürlichen Person für
Kriegsverbrechen, die sie als in der Staatsorganisation nicht besonders herausgehobener Hoheitsträger eines
fremden Staates begangen haben soll. Eine in einem solchen Fall zu erwägende funktionelle Immunität ist von
anderen Immunitäten, insbesondere der personellen (ratione personae), zu unterscheiden. Gleiches gilt für den
Ausschluss der zivilrechtlichen Haftung.

b) Es besteht eine allgemeine Staatenpraxis dahin, dass bei der aufgezeigten Sachlage eine Strafverfolgung durch 18
ein nationales Gericht möglich ist. Staatliche Organe und Gerichte haben vielfach fremde Hoheitsträger wegen
Kriegsverbrechen, Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafrechtlich verfolgt und verurteilt.

Da diese eine Immunität ablehnenden Entscheidungen von großer Anzahl und erheblicher Bedeutung sind, fällt es im 19
Ergebnis nicht ins Gewicht, dass der Nachweis einer Immunität gewährenden und mithin regelmäßig zu keinen
Gerichtsverfahren führenden Übung unter Umständen schwerer fallen kann als das Auffinden solcher Erkenntnisse,
die ein Strafverfolgungshindernis verneinen und zu einer Verurteilung gelangen. Im Übrigen wäre selbst bei einer von
Immunität ausgehenden Praxis damit zu rechnen, dass es wegen deren Nichtbeachtung oder Anwendungszweifeln im
Einzelfall zu Gerichtsentscheidungen kommt, die sie bestätigen. Solche Aussprüche sind indes nicht ersichtlich. Im
Gegenteil wurde die innerstaatliche Gerichtsbarkeit regelmäßig als gegeben erachtet.

aa) Beispielsweise wurden zahlreiche Verantwortliche des nationalsozialistischen Regimes nicht nur durch den 20
internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg, sondern auch durch Strafgerichte anderer Staaten verurteilt (vgl. etwa
UNWCC, Law Reports of Trials of War Criminals, Bd. VII, 1 ff., 23 ff.; Bd. XIII, 70 ff.; Bd. XIV, 23 ff.; Bulletin
Criminel Cour de Cassation Chambre criminelle N. 239 [1983]; CanLII 129 (SCC), [1994] 1 SCR 701).

bb) Ähnliches gilt für die Ahndung von Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien. So wurden etwa in Deutschland - 21
neben anderen - ein Angehöriger der örtlichen serbischen Streitkräfte und der Leiter einer örtlichen Polizeistation
wegen Beihilfe zum Völkermord sowie weiterer Delikte verurteilt (s. BGH, Beschluss vom 21. Februar 2001 - 3 StR
244/00, NJW 2001, 2732; BayObLG, Urteile vom 23. Mai 1997 - 3 St 20/96, NJW 1998, 392; vom 15. Dezember
1999 - 6 St 1/99). Im Übrigen stand der Verurteilung eines ruandischen Bürgermeisters wegen Völkermords dessen
frühere Position ebenfalls nicht entgegen (s. BGH, Urteil vom 21. Mai 2015 - 3 StR 575/14, JZ 2016, 103; OLG
Frankfurt, Urteil vom 29. Dezember 2015 3 StE 4/10 1/15, juris).

cc) Ergänzend lassen sich weitere Verfahren vor nationalen Gerichten wegen Straftaten anführen, bei welchen die 22
Angeklagten im Tatzeitraum Hoheitsträger waren (vgl. insbesondere die sogleich unter c) cc) aufgeführten
Entscheidungen). In den letzten Jahren wurden beispielsweise mehrere ehemalige Angehörige der irakischen Armee
durch europäische Gerichte wegen Kriegsverbrechen verurteilt (s. zu einzelnen Beispielen Barthe, Journal of
International Criminal Justice 16 [2018], 663, 665 ff.).

c) Neben der entsprechenden einhelligen Staatenpraxis existiert eine allgemeine Überzeugung, dass nach dem 23
Völkerrecht - sofern eine funktionelle Immunität fremder Hoheitsträger gleich welchen Ranges für hoheitliches
Handeln anzunehmen sein sollte - jedenfalls die Strafverfolgung niederrangiger Hoheitsträger wegen
Kriegsverbrechen oder bestimmter anderer die Weltgemeinschaft als Ganzes betreffender Delikte durch nationale
Gerichte zulässig ist (vgl. allgemein zur Inanspruchnahme des Einzelnen durch das Völkerstrafrecht BVerfG,
Beschluss vom 18. November 2020 - 2 BvR 477/17, JZ 2021, 142 Rn. 18).

aa) Der zu den „Nürnberger Prinzipien“ gezählte Art. 7 des Statuts des Internationalen Militärgerichtshofs vom 8. 24
August 1945 sah ausdrücklich vor, dass die amtliche Stellung eines Angeklagten, sei es als Oberhaupt eines Staates
oder als verantwortlicher Beamter in einer Regierungsabteilung, nicht als Strafausschließungsgrund oder
Strafmilderungsgrund gelten solle. Er setzte damit ersichtlich die Gerichtsbarkeit über die genannten Personen in

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Bezug auf die der Zuständigkeit des Gerichtshofs unterfallenden Verbrechen - Verbrechen gegen den Frieden,
Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 6 des Statuts) - voraus. Wenngleich der Gerichtshof
ausschließlich zur Aburteilung und Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher der europäischen Achse gebildet wurde (Art.
1 des Statuts; zur besonderen staatsrechtlichen Situation Deutschlands nach dem Krieg BVerfG, Urteil vom 29. Juli
1952 - 2 BvE 3/51, BVerfGE 1, 351, 367; Beschluss vom 21. Oktober 1987 - 2 BvR 373/83, BVerfGE 77, 137, 154;
s. auch Art. 107 VN-Charta), sind die durch das Statut anerkannten Prinzipien bereits im Jahr 1946 durch die
Generalversammlung der Vereinten Nationen bekräftigt (UN Doc. A/RES/95[I]) und im Folgenden vermehrt als
allgemeine Grundsätze herangezogen worden (vgl. zur Unbeachtlichkeit der staatlichen Funktion bei
Kriegsverbrechen auch US Department of the Army, Field Manual FM 27-10, The Law of Land Warfare vom 18. Juli
1956, Nr. 510). Beispielsweise sind sie bei der Schaffung des Römischen Statuts des Internationalen
Strafgerichtshofs mit bedacht worden (s. BT-Drucks. 14/2682 S. 100, 101; Kirsch, Wash. U. Global Stud. Law
Review 6 [2007], 501; zum Ausgangspunkt für die Herausbildung einer internationalen Strafjustiz für Verbrechen
gegen die Humanität auch BVerfG, Urteil vom 28. Juli 2005 - 2 BvR 2236/04, BVerfGE 113, 273, 297).

bb) Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (s. UN Doc. S/RES/827 [1993]; BVerfG, 25
Beschluss vom 12. Dezember 2000 - 2 BvR 1290/99, NJW 2001, 1848, 1853) hat angenommen, dass für die
Begehung von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord Verantwortliche sich selbst
dann nicht auf die Immunität von nationaler oder internationaler Gerichtsbarkeit berufen könnten, wenn sie die
Verbrechen in Ausübung ihrer staatlichen Funktion begangen hätten (IStGHJ, Urteil vom 29. Oktober 1997 - IT-95-
14-AR 108 - Blaskic - Rn. 41; vgl. auch IStGHJ, Urteil vom 10. Dezember 1998 - IT-95-17/1-T - Furundzija - Rn.
140). Obschon demgegenüber der Internationale Strafgerichtshof im Zusammenhang mit Immunitätsfragen
internationale Gerichte, die im Interesse der internationalen Gemeinschaft als Ganzes handelten, von nationaler
Rechtsprechung im Interesse eines einzelnen Staates abgegrenzt hat (daran anschließend Sondergerichtshof für
Sierra Leone, Entscheidung vom 31. Mai 2004 - SCSL-2003-01-I - Taylor - Rn. 51), hat er sich nicht dazu geäußert,
ob für Kriegsverbrechen vor nationalen Gerichten funktionelle Immunität bestehe (s. IStGH, Urteil vom 6. Mai 2019 -
ICC-02/05-01/09 OA2 - Al Bashir - Rn. 113; dazu etwa Chaitidou, ZIS 2019, 567, 574 ff.; s. allgemein auch Bericht
des Generalsekretärs der Vereinten Nationen vom 3. Mai 1993, UN Doc. S/25704 Rn. 55).

cc) Nationale Gerichte haben vielfach kein Hindernis gesehen, über Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die 26
Menschlichkeit oder Völkermord zu entscheiden.

(1) Der Oberste Gerichtshof von Israel hat mit ausführlicher Begründung und unter Heranziehung der „Nürnberger 27
Prinzipien“ angenommen, dass die „Act of State"-Doktrin einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit wegen Verstößen
gegen das Völkerrecht, insbesondere bei internationalen Verbrechen wie Verbrechen gegen die Menschlichkeit, nicht
entgegenstehe (Supreme Court, Urteil vom 29. Mai 1962 - Eichmann - International Law Reports 36 [1968], 277,
308 ff.). Auch wenn der Gerichtshof in diesem Zusammenhang nicht explizit die Immunität fremder Hoheitsträger
erörtert hat (vgl. zur „act of state doctrine“ BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 1996 - 2 BvR 1851/94 u.a., BVerfGE
95, 96, 129 mwN), wird aus seiner Entscheidung und deren Begründung deutlich, dass im Ergebnis das Handeln als
Hoheitsträger ein Strafverfahren vor einem fremden nationalen Gericht nicht hindert.

(2) Der niederländische Hohe Rat hat sich in einem die Strafverfolgung wegen Folter betreffenden Verfahren nicht mit 28
der Frage der Immunität auseinandergesetzt (Hoge Raad, Urteil vom 18. September 2001 - 749/01 CW 2323,
Netherlands Yearbook of International Law 32 [2001], 282 ff.), nachdem die Vorinstanz eine Immunität mit der
Begründung abgelehnt hatte, dass die Begehung solch besonders schwerer Straftaten nicht als Teil der hoheitlichen
Aufgaben angesehen werden könne (Gerichtshof Amsterdam, Urteil vom 20. November 2000 - R 97/163/12 Sv u.a.,
Netherlands Yearbook of International Law 32 [2001], 266 ff.; insgesamt dazu Zegveld, Netherlands Yearbook of
International Law 32 [2001], 98, 113 ff.). In einem späteren Verfahren hat er mit Blick auf die niederländische
Rechtslage die Immunität eines Verurteilten für Taten verneint, die dieser in hoheitlicher Funktion in Afghanistan
begangen hatte (Hoge Raad, Urteil vom 8. Juli 2008 - 07/10063, International Law in Domestic Courts 1071 [NL
2008]).

(3) Der belgische Kassationshof hat im Ergebnis einem Militärangehörigen in einem Strafverfahren wegen schwerer 29
Verletzungen humanitären Völkerrechts anders als einem Staats- oder Regierungschef keine Immunität zuerkannt
(Cour de cassation de Belgium, Beschluss vom 12. Februar 2003 - P.02.1139.F, Journal Tribunaux 2003, 243, 246 f.
[International Legal Materials 42 , 596]; s. dazu Rau, HuVI 2003, 92; d’Argent, Journal Tribunaux 2003, 247,
250 ff.).

(4) Das spanische Verfassungsgericht hat sich in einem Fall, der unter anderem Vorwürfe des Völkermordes und der 30
Folter gegen frühere ausländische Hoheitsträger zum Gegenstand hatte, nicht mit dem Problem der Immunität,
sondern mit der Frage der nationalen Gerichtsbarkeit befasst und diese - anders als die beanstandete Entscheidung -
im konkreten Fall zumindest teilweise angenommen (Tribunal Constitutional, Urteil vom 26. September 2005 -
237/2005, Boletin Oficial del Estado 2005 Nr. 258 - 17753 -, 45 [International Law in Domestic Courts 137 ]; zur vorangehenden Entscheidung des Tribunal Supremo s. Benavides, International Legal Materials 42

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[2003], 683, 684 f.).

(5) Der italienische Kassationshof ist in einem Strafverfahren, das die Tötung und Verletzung italienischer 31
Staatsangehöriger durch einen US-amerikanischen Soldaten in Bagdad betraf, im Ergebnis davon ausgegangen,
dass sich die Staatenimmunität nicht auf völkerrechtliche Verbrechen beziehe (Suprema Corte di Cassazione,
Beschluss vom 24. Juli 2008 - 31171/2008, International Law in Domestic Courts 1085 [IT 2008]; dazu
Tondini/Bertolin, Quaderni Constituzionali 28 [2008], 897).

(6) Das Schweizerische Bundesgericht ist - in einem einen früheren Verteidigungsminister betreffenden Verfahren - 32
nach näheren Ausführungen zu dem Schluss gekommen, dass eine einhellige klare Antwort auf die Frage, ob sich die
Immunität ratione materiae auf alle in hoheitlicher Funktion begangenen Handlungen beziehe und dabei die
vorgeworfenen schweren Verletzungen humanitären Rechts zu beachten seien, zwar nicht möglich sei. Allerdings
scheide es in solchen Konstellationen aus, sich auf eine funktionelle Immunität zu berufen (Bundesgericht, Beschluss
vom 25. Juli 2012 - BB.2011.140, Arrêts du Tribunal Pénal Fédéral Suisse 2012, 97, 113 f.).

(7) Der französische Kassationshof hat mehrfach zugrunde gelegt, dass prinzipiell eine Immunität für Handlungen von 33
Hoheitsträgern in Ausübung staatlicher, nicht privatwirtschaftlicher Gewalt bestehe, davon aber Ausnahmen nach den
Regeln zwingenden Völkerrechts bestehen könnten (Cour de cassation, Entscheidung vom 16. Oktober 2018 - 16-
84.436, Bulletin des arrêts de la chambre criminelle 2018, 560, 563; s. auch Cour de cassation, Entscheidungen vom
19. März 2013 - 12-81.676, Bulletin des arrêts de la chambre criminelle 2013, 124; vom 23. November 2004 - 04-
84.265, Bulletin criminel 2004, 1096; vom 13. März 2001 - 00-87.215, Bulletin criminel 2001, 218).

(8) Der Senat selbst hat in einer früheren Entscheidung zunächst auf sich beruhen lassen, ob der Grundsatz der 34
Staatenimmunität mit gleicher Geltungskraft wie im Zivilprozessrecht „für die Strafverfolgung Bedeutung hat und
fremde Staatsorgane über den Kreis der sogenannte persönliche Immunität genießenden Personen
(Staatsoberhäupter, Diplomaten) hinaus schützt“ (BGH, Urteil vom 30. Juli 1993 - 3 StR 347/92, BGHSt 39, 260,
263; vgl. auch Beschluss vom 29. Mai 1991 - StB 11/91, NJW 1991, 2498, 2499). Indes hat er im Folgenden
mehrfach keinen Anlass gesehen, diese Frage ausdrücklich aufzugreifen, und die Strafverfolgung (früherer) fremder
Hoheitsträger durch deutsche Gerichte wegen Delikten nach dem Völkerstrafgesetzbuch oder zuvor nach § 220a
StGB aF ohne weiteres unbeanstandet gelassen (s. BGH, Urteil vom 21. Mai 2015 - 3 StR 575/14, JZ 2016, 103
[Völkermord unter Beteiligung eines ruandischen Bürgermeisters]; Beschlüsse vom 21. Februar 2001 - 3 StR 244/00,
NJW 2001, 2732 [Beihilfe zum Völkermord durch den Leiter einer örtlichen Polizeistation in Bosnien-Herzegowina];
vom 6. Juni 2019 - StB 14/19, BGHSt 64, 89; vom 5. September 2019 - AK 47/19, juris Rn. 7 ff.; vom 9. Oktober
2019 - AK 54/19, juris [Folterungen durch Geheimdienstmitarbeiter in Syrien]; vom 16. Mai 2019 - AK 23/19, juris [in
dieser Sache]).

dd) Die Arbeiten der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen aus jüngerer Zeit zur strafrechtlichen Immunität 35
sind noch nicht abgeschlossen (zur Bedeutung der Völkerrechtskommission BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember
2006 - 2 BvM 9/03, BVerfGE 117, 141, 161; s. auch IGH, Urteil vom 3. Februar 2012 - 1031 - Deutschland / Italien -
I.C.J. Reports 2012, 99 Rn. 56). Aus ihnen lässt sich gegenwärtig zumindest eine funktionelle Immunität auch bei
Kriegsverbrechen gewährende völkerrechtliche Regel nicht herleiten. Sie ändern daher nicht die durch einheitliche
Übung und Überzeugung belegte allgemeine Regel des Völkergewohnheitsrechts, dass jedenfalls die Strafverfolgung
fremder niederrangiger Hoheitsträger wegen Kriegsverbrechen oder bestimmter anderer die Völkergemeinschaft als
Ganzes betreffender Delikte durch nationale Gerichte zulässig ist.

Die Völkerrechtskommission hat im Juli 2007 das Thema der Immunität staatlicher Hoheitsträger von ausländischer 36
Strafgerichtsbarkeit in ihr Arbeitsprogramm aufgenommen (s. Yearbook of the International Law Commission 2007,
Volume II Part 2 Rn. 376; grundlegend auch Memorandum des Sekretariats der Generalversammlung vom 31. März
2008, UN Doc. A/CN.4/596) und sich im Folgenden ebenso wie das Sechste Komitee der Generalversammlung der
Vereinten Nationen regelmäßig damit befasst. Der zunächst hierzu bestimmte Sonderberichterstatter hat die Meinung
vertreten, dass die für Ausnahmen von der Immunität herangezogenen Gründe nicht überzeugten und eine einheitliche
Staatenpraxis dazu fehle (s. etwa Kolodkin, Second report on immunity of State officials from foreign criminal
jurisdiction, UN Doc. A/CN.4/631, 425). Demgegenüber hat die anschließend betraute Sonderberichterstatterin der
Völkerrechtskommission nach einer Untersuchung der Rechtspraxis eine klare Entwicklung dahin erkannt, die
Begehung internationaler Verbrechen als Grenze für die Annahme der Immunität staatlicher Hoheitsträger zu
bewerten (Escobar Hernández, Fifth report on immunity of State officials from foreign criminal jurisdiction, UN Doc.
A/CN.4/701, 73 f.), und in Betracht gezogen, dies als Regel des Völkergewohnheitsrechts anzusehen (aaO S. 78). In
ihrem folgenden Bericht hat sie jedoch festgehalten, dass die Frage von Begrenzungen oder Ausnahmen von der
Immunität der kontroverseste und politisch sensibelste Gesichtspunkt sei (Escobar Hernández, Sixth report on
immunity of State officials from foreign criminal jurisdiction, UN Doc. A/CN.4/722, 5; vgl. kritisch etwa Nolte,
A/CN.4/SR.3365, 3 ff.). Die im Sechsten Komitee der Generalversammlung dazu geäußerten Meinungen der
Staatenvertreter hat sie dahin zusammengefasst, dass nach der Ansicht zweier Staaten internationale Verbrechen
niemals als Ausübung staatlicher Hoheitsmacht gewertet werden könnten, ein Staat eine Immunitätsbeschränkung als

                                                         7/14
bereits bestehendes Völkergewohnheitsrecht annehme, zehn Staaten eine Entwicklung dahin sähen, während elf
Staaten das Bestehen entsprechenden Völkergewohnheitsrechts verneinten und acht weitere - darunter auch
Deutschland - nicht einmal eine Tendenz dahin bejahten (UN Doc. A/CN.4/722, 6 f.; vgl. zur weiteren Entwicklung die
anschließenden beiden Berichte UN Doc. A/CN.4/729, 4 f., 7; A/CN.4/739; zusammenfassend Kittichaisaree, The
Obligation to Extradite or Prosecute, 2018, 254 ff.; Ascensio/Bonafe, RGDIP 122 [2018], 821 ff.; s. auch
Ambos/Kreß, Rome Statute of the International Criminal Court, 4. Aufl., Art. 98 Rn. 65 ff.).

Obwohl dies vordergründig darauf hindeuten könnte, dass die Mehrheit der sich äußernden Staaten eine funktionelle 37
Immunität selbst bei Kriegsverbrechen für gegeben erachtet, ist dies bei näherer Betrachtung nicht allgemein der Fall.
Beispielhaft ist insoweit die Auffassung herauszugreifen, die Deutschland offiziell im Sechsten Komitee der
Generalversammlung im Oktober 2017 vertreten hat. Zwar werden dort dem fünften Bericht der zweiten
Sonderberichterstatterin erhebliche methodologische Fehler vorgehalten. Allerdings hat die Vertreterin Deutschlands
zudem darauf hingewiesen, dass der Grundsatz der individuellen Verantwortlichkeit für internationale Verbrechen eine
große Errungenschaft sei und Deutschland Bemühungen zuverlässig unterstütze, Straftäter wegen internationaler
Verbrechen vor Gericht zu bringen (s. General Assembly, Official Records, UN Doc. A/C.6/72/SR.24, 13). Die
alsdann im Einzelnen geäußerte Kritik richtet sich etwa gegen die in dem Entwurf vorgesehene Liste bestimmter
Verbrechen, bei denen keine Immunität bestehe; während das im Römischen Statut genannte Verbrechen der
Aggression nicht aufgeführt sei, sei das Verbrechen der Apartheid enthalten. Angesichts solcher Vorbehalte kann aus
der Ablehnung des Entwurfs nicht der Schluss gezogen werden, aus Sicht Deutschlands sei keine der in ihm
enthaltenen Regelungen völkergewohnheitsrechtlich anerkannt, zumal bereits die im Vorjahr abgegebene
Stellungnahme Ausnahmen von der Immunität in festumrissenen Fällen befürwortete (vgl. General Assembly, Official
Records, UN Doc. A/C.6/71/SR.29, 4). Für ein solches Verständnis sprechen ebenfalls anschließende Äußerungen
des Bundespräsidenten (vgl. Rede zum 75. Jahrestag des Beginns der Nürnberger Prozesse am 20. November
2020) und des Außenministers als Teil der Bundesregierung (s. BTPlPr. 19/185 S. 23289). Diese gehen ersichtlich
nicht davon aus, einer nationalen Strafverfolgung wegen Kriegsverbrechen stehe eine funktionelle Immunität
entgegen.

ee) Der ganz überwiegende Teil der wissenschaftlichen Literatur lehnt funktionelle Immunitäten bei 38
Völkerrechtsverbrechen zumindest mit Blick auf nachgeordnete Hoheitsträger - wenn auch mit teils unterschiedlichen
Begründungsansätzen und Differenzierungen - ab (vgl. etwa MüKoStGB/Ambos, 4. Aufl., Vor § 3 Rn. 135 ff.;
Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 811; Ambos/Kreß, Rome Statute of the International Criminal Court,
4. Aufl., Art. 98 Rn. 31; Triffterer/Ambos/Burchard, Rome Statute of the International Criminal Court, 3. Aufl., Art. 27
Rn. 16; Folz/Soppe, NStZ 1996, 576, 578 f.; Talmon in Paulus u.a., Internationales, nationales und privates Recht:
Hybridisierung der Rechtsordnungen? Immunität, 2014, 313, 324 ff.; Tomuschat in Paulus u.a., Internationales,
nationales und privates Recht: Hybridisierung der Rechtsordnungen? Immunität, 2014, 405; Mettraux/Dugard/du
Plessis, International Criminal Law Review 18 [2018], 577, 593 ff.; Cassese u.a., Cassese’s International Criminal
Law, 3. Aufl., 240 ff.; Pedretti, Immunity of Heads of State and State Officials for International Crimes, 2013, 190,
307 f.; dezidiert Kreicker, Völkerrechtliche 38 Exemtionen, 2007, 219; ders., JR 2015, 298 ff.; ambivalent bei
„normalen Staatsorganen“ Dörr, AVR 41 [2003], 201, 218 f.). Die demgegenüber geäußerten Bedenken (s.
beispielsweise Fox/Webb, The Law of State Immunity, 3. überarbeitete Aufl., 570 ff.; van der Wilt in
Ruys/Angelet/Ferro, The Cambridge Handbook of Immunities and International Law, 2019, 595, 605; Wuerth, AJIL
106 [2012], 731; Huang, Chinese Journal of International Law 2014, 1; Murphy, American Journal of International
Law Unbound 112 [2018], 4; vgl. auch van Alebeek in Ruys/Angelet/Ferro, The Cambridge Handbook of Immunities
and International Law, 2019, 496, 517 f.; d’Argent/Lesaffre, The Cambridge Handbook of Immunities and
International Law, 2019, 614) stützen sich nicht auf eine allgemeine Überzeugung einer Mehrheit der Staaten oder
entsprechende Praxis.

d) Dass in anderen Zusammenhängen eine Immunität für den Staat handelnder Personen angenommen wurde, betrifft 39
nicht die hier entscheidungserhebliche Frage der funktionellen Immunität nachrangiger Hoheitsträger. Eine
gegebenenfalls auch in Strafverfahren wegen Kriegsverbrechen bestehende Immunität bestimmter herausgehobener
staatlicher Repräsentanten berührt die gegen den Angeklagten erhobenen Anklagevorwürfe ebenso wenig wie eine
etwaige Immunität in Zivilverfahren.

aa) Zwar ist anerkannt, dass bestimmte Inhaber hochrangiger Staatsämter wie Staatsoberhäupter, Regierungschefs 40
oder Außenminister Immunität von der Strafgerichtsbarkeit anderer Staaten genießen (vgl. etwa IGH, Urteil vom 14.
Februar 2002 - 837 - Kongo / Belgien - I.C.J. Reports 2002, 3 Rn. 51 [s. auch EuGRZ 2003, 563]; BGH, Beschluss
vom 14. Dezember 1984 - 2 ARs 252/84, BGHSt 33, 97, 98). Allerdings handelt es sich hierbei zunächst um die
sogenannte persönliche Immunität (s. BGH, Urteil vom 30. Juli 1993 - 3 StR 347/92, BGHSt 39, 260, 263), die sich -
unabhängig von den sonstigen Voraussetzungen und ihrem Umfang - grundsätzlich nicht auf niederrangige staatliche
Hoheitsträger erstreckt. Selbst wenn dabei auch Aspekte der Immunität ratione materiae in Rede stehen, lassen
Konstellationen, die Staatsoberhäupter, Regierungschefs oder Außenminister betreffen (vgl. beispielsweise Supreme
Court of Appeal [Südafrika], Urteil vom 15. März 2016 - 867/15, Rn. 84; Verfügung des Generalbundesanwalts vom
24. Juni 2005 - 3 ARP 654/03-2), keine maßgeblichen Rückschlüsse auf die hier zu prüfende funktionelle Immunität
eines Militärangehörigen zu.

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bb) Ähnliches gilt für Entscheidungen zur Immunität in Zivilverfahren.                                             41

Soweit etwa der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Rahmen von Beschwerden, die sich gegen die 42
Erfolglosigkeit von Schadensersatzklagen wegen Folter richteten, die Gewährung von Immunität ratione materiae für
dienstliche Handlungen staatlicher Hoheitsträger in Zivilverfahren wegen Foltervorwürfen hingenommen hat, hat er
zum einen ausdrücklich bedacht, dass es nicht um die strafrechtliche Verantwortung für Folter, sondern um die
Staatenimmunität in einem zivilrechtlichen Schadensersatzverfahren gehe (EGMR, Urteil vom 21. November 2001 -
35763/97 - Al Adsani / Vereinigtes Königreich - ECHR 2001-XI, 79 Rn. 61 [EuGRZ 2002, 403]). Zum anderen hat er
darauf hingewiesen, dass die Sache angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen im Völkerrecht weiter beobachtet
werden müsse (EGMR, Urteil vom 14. Januar 2014 - 34356/06 u.a. - Jones u.a. / Vereinigtes Königreich - ECHR
2014-I, 1 Rn. 215; vgl. dazu Kloth, AVR 52 [2014], 256, 278).

Der Internationale Gerichtshof hat im Zusammenhang mit der Immunität des Staates in Schadensersatzverfahren 43
ebenfalls nachdrücklich hervorgehoben, nicht über die Frage zu entscheiden, ob und gegebenenfalls in welchem
Umfang Immunität in Strafverfahren gegen einen staatlichen Hoheitsträger zu beachten sein kann (IGH, Urteil vom 3.
Februar 2012 - 1031 - Deutschland / Italien -, I.C.J. Reports 2012, 99 Rn. 91). Seine grundlegenden Erwägungen
dazu, dass weder der Vorwurf schwerer Verletzungen des humanitären Völkerrechts und des Rechts im bewaffneten
Konflikt noch der Verstoß gegen zwingendes Völkerrecht (ius cogens) zum Verlust der Immunität führe, sind mithin
nicht ohne Weiteres auf Strafverfahren anwendbar.

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (s. beispielsweise BVerfG, Beschlüsse vom 6. Mai 2020 - 2 BvR 44
331/18, NJW 2020, 3647 Rn. 14 ff.; vom 17. März 2014 - 2 BvR 736/13, NJW 2014, 1723 Rn. 20 mwN; vom 6.
Dezember 2006 - 2 BvM 9/03, BVerfGE 117, 141; vom 15. Februar 2006 - 2 BvR 1476/03, BVerfGK 7, 303, 307)
und des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa BGH, Urteile vom 26. Juni 2003 - III ZR 245/98, BGHZ 155, 279, 283; vom
19. Dezember 2017 - XI ZR 796/16, BGHZ 217, 153 Rn. 15 ff. mwN) zur Immunität in Zivilverfahren enthalten
ebenfalls keine Ausführungen zur Reichweite der funktionellen Immunität in Strafverfahren.

cc) Auch sonst hat das Bundesverfassungsgericht zu einer solchen Immunität noch keine Entscheidung getroffen.      45

Soweit es allgemein darauf hingewiesen hat, dass „Ausnahmen von der Immunität für Fälle von Kriegsverbrechen, 46
völkerrechtlichen Verbrechen und Verstöße gegen völkerrechtliches ius cogens diskutiert“ würden, hat es sich damit
nicht weiter befasst, da die Entscheidung nicht die aus der Staatenimmunität „fließende Immunität von staatlichen
Organen, insbesondere von Regierungsmitgliedern," sondern die davon zu unterscheidende diplomatische Immunität
zum Gegenstand hatte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 1997 - 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68, 84 f.). Es hat
ferner ausgeführt, die Staatenimmunität greife nur ein, wenn der Staat als solcher Partei des gerichtlichen Verfahrens
sei; eine gerichtliche Entscheidung über Hoheitsakte anderer Staaten im Rahmen von Vorfragen sei völkerrechtlich
nicht verboten (BVerfG aaO S. 90). Für Diplomaten sei neben dem Recht der diplomatischen Immunität gerade kein
Rückgriff auf eine allgemeine Organimmunität möglich (BVerfG aaO S. 91 mwN).

Darüber hinaus ist das Bundesverfassungsgericht ebenfalls davon ausgegangen, dass eine Immunität von 47
Hoheitsträgern nicht generell uneingeschränkt gilt, sondern etwa der Tatvorwurf von Belang sein kann. So besteht
keine allgemeine Regel des Völkerrechts, nach der sich Spione, die von dem von der Spionage betroffenen Staat
strafrechtlich verfolgt werden, auf die Grundsätze der Staatenimmunität berufen können (BVerfG, Beschluss vom 15.
Mai 1995 - 2 BvL 19/91 u.a., BVerfGE 92, 277, 321).

3. Es bedarf keiner Ausführungen dazu, inwieweit eine funktionelle Immunität einer Strafverfolgung allein wegen 48
allgemeiner Straftaten entgegenstünde, wie sie etwa das Oberlandesgericht hinsichtlich der Misshandlung der
Gefangenen angenommen hat. Denn die dem Angeklagten zur Last gelegten Taten betreffen Kriegsverbrechen nach §
8 VStGB, und entsprechende völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Verbrechen liegen tatsächlich vor (dazu im
Einzelnen unten zu C. I. 1 und D. I).

Da mithin das Verfahrenshindernis der Immunität nicht besteht, ist der angeklagte Lebenssachverhalt in rechtlicher 49
Hinsicht umfassend zu prüfen (vgl. zum Schuldspruch wegen tateinheitlich begangener allgemeiner Straftaten BGH,
Beschluss vom 21. Februar 2001 - 3 StR 244/00, NJW 2001, 2732). Dies ergibt sich auch daraus, dass allgemeine
nationalstaatliche Straftatbestände Kriegsverbrechen erfassen und diese mithin als „gewöhnliche Verbrechen“
kriminalisiert sein können (vgl. dazu BT-Drucks. 14/8524 S. 12; zur Antifolterkonvention BT-Drucks. 11/5459 S. 24 f.).

III. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 2 GG ist nicht erforderlich, da keine 50
Zweifel im Sinne dieser Vorschrift über die entscheidungserhebliche Frage bestehen, ob aufgrund einer als
Bestandteil des Bundesrechts geltenden, unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugenden Regel des
Völkerrechts eine innerstaatliche Strafverfolgung des Angeklagten als ehemaligen Hoheitsträgers eines anderen

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Staates für in seinem Heimatstaat begangene hoheitliche Handlungen ausgeschlossen ist, wenn es sich bei diesen
Handlungen um Kriegsverbrechen handelt.

1. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist gemäß Art. 100 Abs. 2 GG einzuholen, wenn in einem 51
Rechtsstreit zweifelhaft ist, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie
unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Art. 25 GG).

a) Der Begriff des Rechtsstreites im Sinne der Vorschrift ist weit auszulegen und umfasst jedes gerichtliche 52
Verfahren. Ihrer Gewährleistungsfunktion zugunsten der allgemeinen Regeln des Völkerrechts wäre nicht Genüge
getan, wenn der Begriff „Rechtsstreit“ eng gefasst, beispielsweise auf kontradiktorische Verfahren begrenzt würde
(BVerfG, Beschluss vom 31. März 1987 - 2 BvM 2/86, BVerfGE 75, 1, 11).

b) Vorlagen sind selbst dann zulässig, wenn die völkerrechtliche Regel ihrem Inhalt nach nicht geeignet ist, unmittelbar 53
Rechte und Pflichten für den Einzelnen zu erzeugen, sondern sich nur an Staaten oder ihre Organe als
Normadressaten wendet (BVerfG, Beschlüsse vom 13. Dezember 1977 - 2 BvM 1/76, BVerfGE 46, 342, 362 f.; vom
12. April 1983 - 2 BvR 678/81 u.a., BVerfGE 64, 1, 14 mwN).

c) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 2 GG bereits dann 54
geboten, wenn das erkennende Gericht bei der Prüfung der Frage, ob und mit welcher Tragweite eine allgemeine
Regel des Völkerrechts gilt, auf ernstzunehmende Zweifel stößt, mag das Gericht selbst auch keine Zweifel haben.
Nicht das erkennende Gericht, sondern nur das Bundesverfassungsgericht hat die Befugnis, vorhandene Zweifel
selbst aufzuklären. Ernstzunehmende Zweifel an dem Bestehen oder der Tragweite einer allgemeinen Regel des
Völkerrechts bestehen dann, wenn das Gericht von der Meinung eines Verfassungsorgans oder von den
Entscheidungen hoher deutscher, ausländischer oder internationaler Gerichte oder von den Lehren anerkannter
Autoren der Völkerrechtswissenschaft abwiche (BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 2011 - 2 BvR 2984/09,
BVerfGK 19, 122 Rn. 128 mwN).

Derartige Zweifel sind zudem dann anzunehmen, wenn es keine einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung zu 55
den vorgelegten Fragen gibt und die Judikatur internationaler Gerichte dazu nicht in entscheidender Weise Stellung
nimmt (s. BVerfG, Beschluss vom 8. Mai 2007 - 2 BvM 1/03, BVerfGE 118, 124, 133; vgl. auch BVerfG, Beschluss
vom 12. April 1983 - 2 BvR 678/81 u.a., BVerfGE 64, 1, 14 ff.). Ferner sind über den Wortlaut hinaus Fragen
statthaft, die sich nicht auf die Existenz, sondern nur auf die Tragweite einer Völkerrechtsregel beziehen; die
Bedeutung, die Art. 25 GG den allgemeinen Regeln des Völkerrechts beimisst, fordert eine einheitliche
Rechtsprechung auch über ihre Tragweite. Dies bedeutet, dass das Verfahren nach Art. 100 Abs. 2 GG auch der
Auslegung und Konkretisierung allgemeiner Regeln des Völkerrechts mit ihrer regelmäßig geringen Regelungsdichte
dienen kann (BVerfG, Beschluss vom 30. Januar 2008 - 2 BvR 793/07, BVerfGK 13, 246, 250 mwN).

2. Daran gemessen bestehen ungeachtet einzelner in der Völkerrechtswissenschaft geäußerter abweichender 56
Ansichten keine durch das Bundesverfassungsgericht zu klärenden Zweifel in Bezug auf die entscheidungserhebliche
Frage, ob der nationalen Strafverfolgung des Angeklagten eine funktionelle Immunität entgegensteht.

Der Senat weicht mit seiner Entscheidung weder von der Meinung eines Verfassungsorgans noch von der 57
Entscheidung hoher deutscher, ausländischer oder internationaler Gerichte ab, sondern steht in Einklang mit solchen.
Wie bereits im Einzelnen dargelegt, ist von den genannten Instanzen in keinem Fall angenommen worden,
Strafverfahren gegen Militärangehörige oder sonstige nachgeordnete Hoheitsträger wegen Kriegsverbrechen durch
ein nationales Gericht seien nach dem Völkergewohnheitsrecht ausgeschlossen. In den Konstellationen, in denen
eine entsprechende Problemlage bestand, ist vielmehr die Möglichkeit einer Strafverfolgung als gegeben erachtet
worden.

Ergänzend kommt hinzu, dass das Bundesverfassungsgericht jüngst mit einem vergleichbaren Sachverhalt im 58
Zusammenhang mit einem Strafverfahren gegen mutmaßliche ehemalige Mitarbeiter des syrischen Allgemeinen
Geheimdienstes wegen Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch im Syrienkonflikt befasst war. Dieses Verfahren
hatte zwar im Kern nicht die hier maßgebliche Rechtsfrage, sondern einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung zum Gegenstand, die es Journalisten ermöglichen sollte, das Prozessgeschehen auf Arabisch zu
verfolgen. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht immerhin als einen Grund für die große öffentliche
Aufmerksamkeit den Umstand herangezogen, dass die Bundesrepublik eine Gerichtszuständigkeit für sich
beansprucht, die nach allgemeinen Grundsätzen nicht bestünde, sondern die gerade dem besonderen, die
internationale Gemeinschaft als Ganze berührenden Charakter der infrage stehenden Straftaten geschuldet ist; die
Problematik der Immunität hat es nicht angeführt (s. BVerfG, Beschluss vom 18. August 2020 - 1 BvR 1918/20, NJW
2020, 3166 Rn. 11).

Vor dem insgesamt aufgezeigten Hintergrund reichen danach vereinzelte Stimmen im völkerrechtlichen Schrifttum, 59

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