REGRESSANSPRÜCHE DER SOZIALVERSICHERUNGSTRÄGER - PRAXISHANDBUCH FÜR DIE REGULIERUNG

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Stefan Möhlenkamp

LITERATUREMPFEHLUNG: REGRESS SVT

           REGRESSANSPRÜCHE DER
         SOZIALVERSICHERUNGSTRÄGER
       PRAXISHANDBUCH FÜR DIE REGULIERUNG
                              Stefan Möhlenkamp

Kollege Möhlenkamp aus unserem Hause – bekannt durch viele Seminare, Vorträge
und Veröffentlichungen – hat ein Buch geschrieben mit dem Titel
„Regressansprüche der Sozialversicherungsträger‟. Dieses Praxishandbuch ist vor
wenigen Tagen im Verlag Versicherungswirtschaft erschienen (ISBN
978-3-96329-361-0). Darüber freuen wir uns sehr.

Kompakt und praxisorientiert mit zahlreichen Rechtsprechungshinweisen werden
darin alle rechtlichen Probleme des SVT-Regresses erörtert. Auf mehr als 130
Seiten wird dem Leser ein Kompendium der aktuellen Rechtsprechung an die Hand
gegeben. Neben den Voraussetzungen der §§ 116, 119 SGB X, §§ 110, 111 SGB VII
werden alle für die Rechtsanwendung und Regulierungspraxis relevanten
Rechtsfragen behandelt. Ausführlich und klar strukturiert. Anhand von
Beispielsfällen aus der Rechtsprechung werden die Grundlagen ebenso behandelt
wie die Besonderheiten. Die Ausführungen zu den Haftungsprivilegien der §§ 104
ff. SGB VII, zur sog. Wie-Beschäftigung, zu Sonderrechtsverhältnissen, zur
gestörten Gesamtschuld, zur Bindungswirkung nach § 108 SGB VII, zu
Teilungsabkommen etc. geben eine wertvolle Hilfestellung für SachbearbeiterInnen
der Versicherer und Sozialversicherungsträger sowie AnwältInnen.

Einen Link zum Inhaltsverzeichnis finden Sie hier:

Für Rückfragen und weitere Informationen wenden Sie sich bitte gern an uns.

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Dr. Ingo Schmidt

UNFALL AUF GEMEINSAMER BETRIEBSSTÄTTE

Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 13.11.2020, 4 U 165/20

Leitsatz
Eine gemeinsame Betriebsstätte nach § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII liegt vor, wenn
ein Fleischermeister die Tötung eines Mastbullen auf dem Gelände eines
Landwirtschaftsbetriebes vornimmt und er dabei mit einer Schusswaffe einen
Angestellten des Landwirtschaftsbetriebs verletzt, der von seinem Arbeitgeber zur
Anwesenheit bei der Schlachtung eingeteilt worden war und der bei dem Vorgang
Hilfestellung geleistet hat bzw. leisten sollte.

Zum Fall
Der Kläger, Angestellter eines Landwirtschaftsbetriebs, verfolgt gegen den
Beklagten Schadensersatzansprüche sowie Schmerzensgeld wegen eines Unfalles
im Rahmen einer Schlachtung.
Am 18.08.2016 hat der Beklagte, ein selbständiger Fleischermeister, den bei der
Schlachtung eines Rinderbullen anwesenden Kläger mit einem Pistolenschuss
schwer verletzt. Die mitgeführte Waffe, für die der Kläger keine waffenrechtliche
Erlaubnis besaß, diente dazu, das Tier zu betäuben bzw. zu töten.
Nachdem der Kläger das Tor zum Fangstand geöffnet hatte und das Tier
hingebracht wurde, betäubte der Beklagte das aggressive Tier. Anschließend fiel
ihm die geladene Pistole auf den Boden, woraufhin sich ein Schuss löste, wodurch
der Kläger verletzt wurde.

In einem Bescheid der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft gegenüber dem
Beklagten wird festgestellt, dass es sich bei dem Vorfall um einen Arbeitsunfall des
Klägers i.S.d. § 8 Abs. 1 SGB VII handelt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, dass dem
Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 1 BGB der Haftungsausschluss aus § 106 Abs.
3 Alt. 3 i.V.m. §§ 104 f. SGB VII entgegenstehe.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger die geltend gemachten Ansprüche weiter.

Entscheidung

Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Ansprüche des Klägers
sind ausgeschlossen.

1. Zunächst stellte das Oberlandesgericht fest, dass Zivilgerichte nach § 108 Abs.
   1 SGB VII an unanfechtbare Entscheidungen der Unfallversicherungsträger und
   der Sozialgerichte gebunden
   sind. Dies gilt hinsichtlich der Frage, ob ein Versicherungsfall vorliegt.
   Die Frage, ob eine gemeinsame Betriebsstätte gegeben ist, ist allerdings kein
   Tatbestandsmerkmal des Versicherungsfalles, weshalb insoweit eine
   Entscheidung der Zivilgerichte möglich ist und das Verfahren nicht nach § 108
   Abs. 2 SGB VII ausgesetzt werden musste.

2. Sodann fasst das Gericht die rechtlichen Grundsätze der Haftungsprivilegierung
   auf einer gemeinsamen Betriebsstätte zusammen:
   Erleidet ein Geschädigter, der gesetzlich unfallversichert ist, bei seiner Tätigkeit
   einen Arbeitsunfall i.S.d. § 8, § 7 Abs. 1 SGB VII, sind nach § 104 Abs. 1 S. 1 SGB
   VII Unternehmer zum Ersatz des Personenschadens ihrer Beschäftigten nur
   unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet. Dieses Haftungsprivileg wird
   auf weitere Unternehmen gem. § 106 Abs. 3 SGB VII erweitert. Folglich steht
   einem geschädigten Versicherten bei Vorliegen der in § 106 SGB VII normierten
   Voraussetzungen kein Anspruch aus z.B. unerlaubter Handlung gem. § 823 BGB
   zu.
Ein Haftungsausschluss ist nach § 106 Abs. 3 Alt. SGB VII gegeben, wenn
  Versicherte mehrerer Unternehmen vorübergehend betriebliche Tätigkeiten auf
  einer gemeinsamen Betriebsstätte verrichten und dabei einen Arbeitsunfall
  erleiden.
  Eine gemeinsame Betriebsstätte liegt vor, wenn ein bewusstes Miteinander im
  Arbeitsablauf gegeben ist, das zwar nicht eine rechtliche Verfestigung oder
  ausdrückliche Vereinbarung verlangt, aber zumindest ein aufeinander
  bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstellt.
  Eine Arbeitsverknüpfung bzw. Verbindung zwischen den Tätigkeiten in der
  konkreten Unfallsituation muss gegeben sein. Eine solche Verbindung ist nur
  bei betrieblichen Aktivitäten gegeben, die im faktischen Miteinander der
  Beteiligten aufeinander bezogen, miteinander verknüpft oder auf gegenseitige
  Ergänzung bzw. Unterstützung ausgerichtet sind. Wenn die Beteiligten bei
  versicherten Tätigkeiten, die eigentlich nebeneinander laufen, aufgrund
  äußerer Umstände sich ablaufbedingt in die Quere kommen müssen, liegt
  allerdings eine gemeinsame Betriebsstätte vor.
  Parallele Tätigkeiten, bloße Arbeitsberührungen oder die gleichzeitige
  Anwesenheit auf einem Betriebsgelände genügen hingegen nicht.
  Dabei trägt derjenige, der sich auf den Haftungsausschluss beruft, die
  Darlegungs- und Beweislast, dass eine gemeinsame Betriebsstätte gegeben ist.

3. In dem zur Entscheidung gestellten Sachverhalt hat der Inhaber des
   landwirtschaftlichen Betriebs den Beklagten zur Schlachtung des Tieres und
   den Kläger für den darauffolgenden Transport beauftragt.
   Die Beteiligten haben ihre Handlungen deshalb aufeinander abgestimmt und
   bei der Schlachtung zusammengewirkt. So hat u.a. der Kläger selbst den
   Fangstand geöffnet, in den der Bulle von weiteren Kollegen hineingebracht
   wurde.
   In der konkreten Situation hatte sich auch eine Gefahrengemeinschaft gebildet.
   Denn es bestand eine wechselseitige Gefährdungslage zum einen durch den
   Zustand des aggressiven Tieres für den Beklagten und zum anderen durch den
   beabsichtigten Tötungsvorgang mit der Schusswaffe für den Kläger. Es konnte
   sich auch keiner sicher sein, ob der Schuss erfolgreich das Tier getötet bzw.
   zumindest hinreichend betäubt hatte oder ob weitere Sicherungsmaßnahmen
   aller Anwesenden erforderlich gewesen wären.

4. Die Argumente des Klägers, weshalb der Beklagte nicht haftungsprivilegiert sei,
   verfingen nicht.
   Soweit er die Ansicht vertrat, bei dem Schuss nur vor Ort gewesen zu sein,
   ohne in der Situation mitgewirkt zu haben, berücksichtige er nicht, dass bei der
   Schlachtung gerade das Ineinandergreifen der Abläufe der Beschäftigten des
   Landwirtschaftsbetriebs und des Beklagten beim gesamten
   Schlachtungsvorgang maßgeblich gewesen sei. Die Mithilfe bei der Schlachtung
   habe gerade zu den ausdrücklich zugewiesenen Aufgaben des Klägers als
   Vorarbeiter gehört. Das Öffnen des Fanggestells, in dem das zu tötende Tier
erschossen werden sollte, stellte sich als wesentliches Mitwirken dar, auch
    deshalb, weil es Auswirkung auf das Verhalten des Tieres hatte. Daher war der
    Kläger nicht nur zufällig in der Nähe.
    Soweit der Kläger auf Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 01. Februar
    2011 – VI ZR 227/09 –, vom 10. Mai 2011 – VI ZR 152/10 – und vom 11. Oktober
    2011 – VI ZR 248/10 – abstellte, waren diese nicht vergleichbar. Denn in den
    dort zu entscheidenden Sachverhalten waren die Handlungen des Schädigers
    und des Geschädigten gerade nicht oder noch nicht aufeinander bezogen bzw.
    die voneinander unabhängigen eigenen Tätigkeiten erfolgten lediglich parallel.

5. Wegen des Vorliegens einer gemeinsamen Betriebsstätte ist die Haftung des
   Beklagten gemäß § 106 SGB VII ausgeschlossen.

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Jochen Zilius

WAS GENAU MEINEN DIE GERICHTE MIT DER
SUBSTANTIIERTEN DARLEGUNG EINES BAU- ODER
WERKMANGELS?

BGH, Urteil vom 04.11.2020 – VII ZR 261/18

Leitsätze

Es genügt dem hinreichend bestimmten Mangelbeseitigungsverlangen und der
schlüssigen Darlegung des Mangels im Prozess, wenn die Erscheinungen, die auf
vertragswidrige Abweichungen zurückzuführen sind, deutlich beschrieben werden.
Die Mangelursachen im Einzelnen sind nicht zu bezeichnen (Symptomtheorie).

Sachverhalt

Die Klägerin (Wohnungseigentümergemeinschaft) begehrt von der Beklagten
(Bauträgerin) die Mängelbeseitigung an fünf von der Beklagten errichteten
Gebäuden. Gerügt werden u.a. ein falsches Gefälle der Blechabdeckung und ein
unzureichender Überstand der Dachrandverblechung. Die Parteien einigten sich
schließlich im Wege eines Vergleichs und vereinbarten, dass die Klägerin gegen
Zahlung eines Abgeltungsbetrags auf Mängelansprüche verzichtet.

Mittlerweile streiten die Parteien erneut und zwar diesmal über die Reichweite des
Vergleichs. Denn die Klägerin macht nun Mängel geltend, die nach Auffassung der
Beklagten schon mit dem Vergleich erledigt worden seien. Das angerufene
Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die dagegen
gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen und ausgeführt, die Mängel seien
klägerseits schon nicht schlüssig vorgetragen worden. Denn Baumängel seien so
konkret zu bezeichnen, dass die Gegenseite weiß und nachvollziehen kann, was
von ihr an Abhilfe zu erwarten ist. Der Beschreibung der Mängel fehle es an einem
Ort und einem exakten äußeren Erscheinungsbild. Bezüglich des falschen Gefälles
der Blechabdeckung müsse vorgetragen werden, welcher Maßstab geschuldet ist,
welche konkreten Mangelfolgen sich daraus ergeben und wo sich die
Durchfeuchtungen befinden. Bezüglich der Dachrandverblechung fehlten
Ausführungen, in welcher Weise diese mangelhaft ist und ob eine Abweichung von
der vertraglichen Sollbeschaffenheit vorliegt. Weiterhin enthalte der klägerische
Vortrag keine Abgrenzung zu den Mängeln, die von dem Vergleich erfasst sind. Das
Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen hat die Klägerin
Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt.

Entscheidung

Die Nichtzulassungsbeschwerde war erfolgreich! Hierzu hat der Bundesgerichtshof
ausgeführt, die Auslegung des Berufungsgerichtes verstoße gegen das Gebot auf
rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG, denn dadurch seien die
Substantiierungsanforderungen überspannt und infolgedessen die dargelegten
Mängel nicht für ausreichend erachtet worden. Dementgegen müsse der Besteller
im Prozess lediglich ein hinreichend bestimmtes Mangelbeseitigungsverhalten
sowie den Mangel schlüssig darlegen. Hierzu sei es aber ausreichend, wenn die
Mangelerscheinungen, die auf vertragswidrige Abweichungen zurückzuführen sind,
deutlich beschrieben werden. Die einzelnen Mangelursachen müssten hingegen
nach Maßgabe der Symptomtheorie nicht dargelegt werden. Für den Einwand einer
etwaig erfolgten Abgeltung der Mängel durch den Vergleich sei nicht die Klägerin,
sondern die Beklagte darlegungspflichtig.

Anmerkung

Schon fast traditionell neigen die Instanzgerichte dazu, die Anforderungen an die
Substantiierung eines Vortrags zu überspannen und infolgedessen
Beweisaufnahmen nicht durchführen; oftmals werden solche Entscheidung von
höheren Instanzen wieder kassiert. Richtig ist aber auch, dass insbesondere die
Darlegung von Baumängeln häufig unzureichend erfolgt. Hierzu ist zu
vergegenwärtigen, dass die entscheidenden Richter – in aller Regel – die in Rede
stehenden Mängel nicht aus unmittelbar eigener Anschauung kennen, sondern
nach Aktenlage entscheiden (müssen). Aus diesem Grunde leuchtet es ohne
Weiteres ein, dass Mängel oder Mangelsymptome anschaulich und erschöpfend
unter genauen Ortsangaben zu beschreiben sind. Negativbeispiele aus der Praxis
wie „der Dachanschluss ist undicht‟ , „die PV-Anlage ist defekt‟ oder „die
Verfugung außen ist mangelhaft‟ reichen regelmäßig nicht aus, denn hierunter
kann sich kein Außenstehender etwas vorstellen, zudem dürfte es auch an der
hinreichenden Bestimmtheit einer solchen Mangelrüge fehlen.

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Michael Peus

DSGVO: KEIN SCHADENSERSATZ IN
BAGATELLFÄLLEN

LG Köln, Urteil vom 07.10.2020 – 28 O 71/20

Leitsätze (d. Verf.)

1. Bagatellfälle sind in der Regel nicht von dem Schadensersatzanspruch aus Art.
   82 DSGVO erfasst.

2. Zur Bemessung eines Schadensersatzes gem. Art. 82 DSGVO können die
   Kriterien des Art. 83 Abs. 2 DSGVO herangezogen werden.
Sachverhalt

Die Beklagte versendete versehentlich Duplikate eines sechsseitigen
Kontoauszuges der Klägerin – die bei der Beklagten ein Girokonto unterhielt –
anstatt an die Rechtsanwaltskanzlei U an Herrn Rechtsanwalt T. Hiervon erfuhr die
Klägerin durch einen Brief der Rechtsanwaltskanzlei U. Rechtsanwalt T vertrat in
einer Erbstreitigkeit des verstorbenen Vaters der Klägerin im Jahre 2015 die
Gegenseite. Die Klägerin trug vor, dass diese Erbstreitigkeit für sie sehr belastend
gewesen sei und der von der Rechtsanwaltskanzlei U erhaltene Brief sie an die
schreckliche Zeit erinnert habe, was sie zutiefst verletzt und traurig gemacht habe.
Dieses Gefühl halte bis heute an. Weiterhin sei es unerträglich, dass gerade
Rechtsanwalt T Informationen über ihren Kontostand erhalten habe. Die Klägerin
bekomme bei dem Thema Herzrasen, sei nervös und fange an zu zittern und zu
weinen.

Die Klägerin verlangt daraufhin von der Beklagten u.a. die Zahlung eines
Schmerzensgeldes gem. Art. 82 DSGVO in Höhe von 25.000€.

Entscheidung

Grundsätzlich kann nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO im Falle eines Verstoßes
Schadensersatz verlangt werden. Für die Bemessung können die Kriterien des Art.
83 Abs. 2 DSGVO, z.B. Art, Schwere, Dauer und Umfang des Verstoßes sowie Art,
Umfang oder Zweck der Verarbeitung und die betroffenen Kategorien der
persönlichen Daten herangezogen werden.

Im vorliegenden Fall handelt sich nach Art, Dauer, Schwere und Umfang des
Verstoßes jedoch nur um einen Bagatellfall, der auch unter Berücksichtigung der
weiteren Umstände des Einzelfalls kein Schmerzensgeld nach Art. 82 DSGVO
rechtfertigen kann. Der Verstoß war nur einmalig und der Kontoauszug umfasste
nur wenige Seiten. Zudem hatte die Klägerin nicht dargelegt, dass Rechtanwalt T
auch Kenntnis vom Inhalt des Schreibens erlangt hat. Hiergegen sprachen der
Eingangsstempel der Kanzlei U sowie ein durchgestrichenes Adressfeld.

Eine Zuerkennung von Schmerzensgeld auch in Bagatellfällen kann nach Ansicht
des LG Köln zu einer übermäßigen Geltendmachung von Ansprüchen nach Art. 82
DSGVO führen, was dessen Sinn und Zweck widersprechen würde.

Die Klägerin steht daher trotz einer subjektiv empfundenen Belastung kein
Schadensersatzanspruch gem. Art. 82 DSGVO zu.

Anmerkung
Aufgrund der mit Art. 82 DSGVO beabsichtigten abschreckenden Wirkung können
nach dem LG Köln jedoch insb. bei einer fehlenden Kommerzialisierung hin und
wieder ausnahmsweise auch Bagatellfälle vom Schadensersatzanspruch nach Art.
82 DSGVO erfasst sein.

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Dr. Harald Scholz

POPULÄRE RECHTSIRRTÜMER AM BAU – OHNE
WARTUNGSVERTRAG NUR ZWEI JAHRE GEWÄHR?

Ohne Wartungsvertrag nur zwei Jahre Gewährleistung – dieses Wissen ist in
Fachkreisen, die sich mit der Montage von Heizungs-, Lüftungs-, MSR- oder
Elektroanlagen befassen, sehr verbreitet. Im überraschenden Gegensatz dazu
steht die Tatsache, dass es fast gar keine gerichtlichen Entscheidungen zu diesem
Themenkreis gibt.
Also stellt sich wieder einmal die Frage: Mythos oder Wahrheit?

Die Antwort ist allerdings grundsätzlich schnell gegeben: § 13 Abs. 4 Ziffer 2 VOB/B
regelt die Sache, wenn es dort heißt:

      Ist für Teile von maschinellen und elektrotechnischen/elektronischen
      Anlagen, bei denen die Wartung Einfluss auf Sicherheit und
      Funktionsfähigkeit hat, nichts anderes vereinbart, beträgt für diese
      Anlagenteile die Verjährungsfrist für Mängelansprüche (…) 2 Jahre, wenn der
      Auftraggeber sich dafür entschieden hat, dem Auftragnehmer die Wartung
      für die Dauer der Verjährungsfrist nicht zu übertragen.

Also Wahrheit! Der Teufel steckt, wie so oft, auch hier wieder einmal im Detail.
Zerlegt man den langen Satz in seine Bestandteile, muss man also
berücksichtigen:

Abweichende Regelungen

Ohne Einbeziehung der VOB/B in einen Vertrag gilt die ganze Regelung nicht. Nach
BGB sind solche Installationen entweder Bauvertrag (fünf Jahre) oder gelegentlich
Werkvertrag an einer Sache (zwei Jahre). Auch bei Geltung der VOB/B kann ohne
weiteres eine abweichende Regelung vereinbart sein.

Wartungsbedürftige Teile

Es muss sich außerdem um Teile von maschinellen oder
elektrotechnischen/elektronischen Anlagen handeln. Das bekommen die Techniker
meistens gut definiert. Eine verkürzte Gewährleistungsfrist gibt es aber nur für
wartungsbedürftige Teile. Auch das ist eine technische Frage. Zur Beantwortung
würde ich z.B. in gängige Wartungsvereinbarungen der verschiedenen Gewerke
hineinschauen; dafür gibt es auch Verbandsempfehlungen. Dort sind für gängige
Anlagen die wartungsbedürftigen Teile aufgeführt. Die anderen, nicht
wartungsbedürftigen Teile (z. B. regelmäßig die Leitungen) haben keine verkürzte
Gewährleistungsfrist. Meiner Meinung nach gilt das auch für solche Mängel, die
zwar an wartungsbedürftigen Anlagenteilen auftreten, die aber durch die Wartung
überhaupt nicht beeinflusst werden können (z.B. Materialfehler, gegen die Wartung
nichts ausrichtet).

Entschluss des Auftraggebers gegen Wartungsvertrag

Voraussetzung ist außerdem, dass der Auftraggeber sich dagegen entschieden hat,
dem Auftragnehmer die Wartung für die Dauer der Verjährungsfrist zu übertragen.
Diese Übertragung kann schon im Bauvertrag enthalten sein oder durch einen
separaten Wartungsvertrag geschehen.

Will der AG keinen Wartungsvertrag oder beauftragt er mit der Wartung ein drittes
Unternehmen, dann kommt die Verkürzung der Verjährungsfrist zum Zuge.
Kann der AG sich eigentlich gar nicht „entschließen‟, weil der AN ihm keine
Wartung anbieten möchte, gilt die Verkürzung trotz fehlenden Wartungsvertrages
nicht.

Zweifelsfragen

Und dann gibt es noch die Zweifelsfragen in der Mitte: Was ist, wenn der AN die
Wartung nur zu „Mondpreisen‟ anbietet? Als Jurist würde ich entscheiden: Wenn
ich eine Strategie erkennen kann, dass man gar keinen Wartungsauftrag
bekommen will, erreicht man so keine Verkürzung der Gewährleistungsfrist. Aber
dafür reicht es noch nicht, dass man teurer ist als andere Anbieter.
Was ist, wenn der AG nur die Wartung für einzelne Anlagenteile in die Hände des
AN gibt und nicht für das Gesamtgewerk? Hier meine ich, dass genau für diese
Anlagenteile keine Verkürzung der Verjährungsfrist gilt: Jedes Teil, welches durch
den AN gewartet wird, verdient eine längere Verjährung.
Was ist wenn der AG den Wartungsvertrag nur für ein Jahr abschließt und/oder
wieder kündigt? Grundsätzlich muss die Wartung für die volle Dauer der
Verjährung übertragen werden. Ein zu kurzer Vertrag reicht nicht. Bei der
Kündigung würde der Jurist vielleicht differenzieren: Hat der AN die Fortführung
durch sein Verhalten unzumutbar gemacht, sollte er wohl nicht von einer
Verkürzung der Verjährung profitieren. Außerhalb dessen aber wird der Zweck der
regelmäßigen Wartung eben nicht erreicht und die Anlage ist anfälliger. Das soll
mit einer kürzeren Verjährungsfrist korrespondieren.

Fazit

Der Weg zur verkürzten Verjährung ist dornig, aber es gibt ihn. Oft funktioniert
zum Glück in der Praxis, was auch der Gedanke hinter der Regelung ist: Das
Erfordernis einer regelmäßigen Wartung wird erkannt und dem AN in Auftrag
gegeben. Dafür gibt es die volle Gewährleistung.

In den anderen Fällen – alle Beispiele entstammen der Praxis – entstehen aber
nach wie vor Unsicherheiten. Die Regelung lässt Spielräume, über die man von Fall
zu Fall nachdenken muss.

   DR. HARALD SCHOLZ

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift tab -
Technik am Bau

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Stefan Möhlenkamp

KLASSIKER: AUFFAHRUNFALL NACH
FAHRSTREIFENWECHSEL
OLG Zweibrücken, Urteil vom 02.12.2020, Az.: 1 U 108/19

Entscheidung zur Haftungsverteilung und Anscheinsbeweis

Wechselt ein Fahrzeugführer mit dem von ihm geführten PKW impulsiv auf die
Überholspur der BAB, um eine Kollision mit einem unvermittelt auf die Autobahn
auffahrenden PKW zu vermeiden, und kommt es auf der Überholspur der BAB zu
einem Auffahrunfall zwischen dem die Fahrspur wechselnden Verkehrsteilnehmer
und einem auf der linken Fahrspur (deutlich schneller) fahrenden Fahrzeug, dessen
Fahrer nicht mehr rechtzeitig abzubremsen vermag, haftet der auf die BAB
Auffahrende maßgeblich für den entstandenen Schaden. Das gilt auch dann, wenn
es zu keiner Berührung mit dem auf die BAB auffahrenden Fahrzeug kam. Zu
Lasten des Auffahrenden besteht der Anschein, den bevorrechtigten Verkehr nicht
hinreichend beachtet zu haben und sorgfaltswidrig auf die BAB aufgefahren zu
sein. Aufgrund der Atypizität des Geschehens besteht weder zulasten des die
Fahrspur auf der BAB Wechselnden noch zulasten des Auffahrenden der Anschein,
sorgfaltswidrig gefahren zu sein. Bei der Abwägung der Haftungsanteile ist in
einem ersten Schritt die Quote in jedem der Rechtsverhältnisse getrennt zu
ermitteln. In einem zweiten Schritt ist sodann im Rahmen einer Gesamtschau die
Gesamtquote zu ermitteln. Der Innenausgleich zwischen mehreren Schädigern ist
davon getrennt durchzuführen.

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Dr. Harald Scholz

FASSADENSCHALLSCHUTZ IM FERTIGHAUS
Fassadenschallschutz im Fertighaus – Welcher Maßstab ist beim
Schallschutz eines Fertighauses gegen Außenlärm anzulegen?
OLG Saarbrücken, Urteil vom 30.07.2020 – 4 U 11/14

Leitsätze

Ist eine Beschaffenheit nach den „allgemein anerkannten Regeln der Technik“
vereinbart, sind technische Regeln zu beachten, die sich unter einer hinreichenden
Zahl kompetenter Fachleute als theoretisch richtig durchgesetzt und sich in der
Baupraxis als richtig bewährt haben.

1. Anhaltspunkte für einen üblichen Qualitäts- und Komfortstandard können sich
   aus den Schallschutzstufen II und III der VDI-Richtlinie oder aus dem Beiblatt 2
   zur DIN 4109 ergeben; es bedarf im Einzelfall der Beratung durch einen
   Sachverständigen.

2. Für den Schallschutz von Außenbauteilen gilt auch heute im Grundsatz die DIN
   4109 (Mindestschallschutz). Der Hersteller hat den Besteller über die
   schallschutztechnische Gestaltung mit Blick auf einen höheren Schallschutz zu
   beraten.

Sachverhalt

Die Klägerin (Fertighaushersteller) und die Beklagten (Besteller) schlossen einen
Vertrag über die Errichtung eines Fertighauses an einer stark befahrenen
Landstraße.

Die Klägerin verlangt Zahlung aus der Schlussrechnung. Die Beklagten wenden
ein, dass der Schallschutz des Hauses gegen den Straßenlärm zu gering und die
Fassade deswegen mangelhaft sei. Widerklagend verlangen die Beklagten
Kostenvorschuss für die Fassadensanierung.

Entscheidung

Der Anspruch auf Kostenvorschuss besteht, weshalb die Widerklage weitgehend
Erfolg hat und die Klageforderung durch Aufrechnung erloschen ist.

Da das Haus abgenommen worden war, kommt ein Kostenvorschussanspruch nach
§ 637 BGB in Betracht. Besondere Vereinbarungen zum Schallschutz haben die
Parteien nicht getroffen, so dass die allgemein anerkannten Regeln der Technik
und die berechtigte Erwartungshaltung der Erwerber eine Rolle spielen.

Auf Basis der BGH-Rechtsprechung, wonach die DIN 4109 veraltet ist, ermittelt das
OLG Saarbrücken den geschuldeten Schallschutz mit Hilfe eines Sachverständigen.
Dieser stelle im Ergebnis fest, dass auf jeden Fall die Mindestanforderungen der
DIN 4109 einzuhalten sind, die es auch für den Schutz vor Außenlärm gibt. Bereits
diese Anforderungen werden nicht vollends eingehalten.
Bezüglich eines höheren Schutzniveaus, so referiert der Sachverständige, habe
sich hier noch keine klare Auffassung in der Fachwelt herausgebildet. Vielmehr
sollten die Anforderungen im Einzelfall geprüft und mit dem Bauherrn besprochen
werden. Dabei entscheide sich durchaus die Mehrzahl der Bauherren für den
Mindestschallschutz und gegen einen höheren Aufwand. Der Mindestschallschutz
in der DIN 4109 sieht grob gesagt vor, dass eine Fassade desto mehr Lärm
„schlucken„ muss, je lauter es draußen ist. Das schafft die Fassade in diesem Fall
nicht, da durch den hohen Außenlärmpegel auch hohe Schalldämmwerte gefordert
werden.

Das OLG Saarbrücken sieht in dem Verfehlen der Mindestanforderungen einen
Mangel und in der fehlenden Beratung einen Planungsfehler (diese Aufgabe dem
Fertighausbauer, da dieser auch die Planung übernommen hatte), wobei es die
Folgen des zweiten Fehlers letztlich offenlässt.

Der Höhe nach war dem geforderten Vorschuss nach Auffassung des OLG nicht
hinreichend widersprochen worden. Hier hatte es das Gericht daher leicht, den
geforderten (abrechenbaren) Vorschuss zuzusprechen.

Anmerkung

Die Entscheidung verdient unsere Aufmerksamkeit, weil einige wichtige
Erkenntnisse für die Praxis abzuleiten sind:

1. An einen Fertighaushersteller werden keine anderen Anforderungen gestellt als
   an übrige Schlüsselfertigunternehmen. Auch wenn die Häuser vorgefertigt sind,
   muss der Fertighaushersteller die Situation des einzelnen Grundstücks prüfen
   und den erforderlichen Schallschutz darauf abstimmen. Das mag banal klingen,
   aber gerade das Standardbaukastenprinzip bietet die Gefahr, die hier
   bestehenden Unterschiede zu nivellieren.

2. Neu ist das Thema Schallschutz der Außenbauteile: Die „klassischen‟ BGH-
   Urteile betreffen den Luftschallschutz und Trittschallschutz im
   Mehrfamilienhaus oder zwischen Doppelhaushälften. Dort ist mittlerweile
   etabliert, dass ein erhöhter Schallschutz nach DIN 4109 (Beiblatt 2) oder VDI
   4100 Schallschutzstufe II, bei besonderem Komfort vielleicht auch III,
   geschuldet wird. – Der Schallschutz einer Hausfassade (Außenbauteile)
   gegenüber Außenlärm ist damit nicht ohne weiteres gleichzusetzen, und das
   OLG Saarbrücken hat gut daran getan, sich fachlich beraten zu lassen und nicht
   einfach die bekannte Rechtsprechung dem Fall „überzustülpen“. Das hat
   allerdings gedauert, wie man am Aktenzeichen aus dem Jahr 2014 erkennt.

3. Demnach liegt es bei den Außenbauteilen wohl anders: Allgemein anerkannt ist
   nach den Ausführungen des Sachverständigen nur der Mindestschallschutz und
   daneben die Regel, dass der Bauherr über weitere Möglichkeiten beraten
   werden soll. Interessant zu wissen, dass sich die überwiegende Mehrzahl dann
   für den Mindestschallschutz entscheidet. Mit selbstverständlichen höheren
   Komforterwartungen scheint es auf diesem Feld also nicht ganz so weit
gekommen zu sein.

4. Bei der Höhe musste das OLG Saarbrücken nicht „ans Eingemachte‟ gehen: Die
   entscheidende Frage wäre sonst gewesen, auf welches Sanierungsziel der
   Vorschuss bemessen werden musste: Auf die Erreichung des
   Mindestschallschutz oder – als Folge der nicht erfolgten Beratung – auf einen
   höheren Schallschutz. Diese Frage bleibt offen. Aus meiner Sicht kann man kein
   „beratungsgerechtes Verhalten“ unterstellen und ohne klare Anhaltspunkte
   nicht von einem „mehr“ ausgehen, das dann auch Sowiesokosten ausgelöst
   hätte.

Apropos Sowiesokosten: Die Bauherren hatten Schallschutzfenster als Extra
abgelehnt, benötigen solche nun aber wohl für den Mindestschallschutz. Nach
Auffassung des OLG Saarbrücken begründet dies keinen Anspruch auf
Sowiesokosten, denn für den vereinbarten Preis durften die Hauskäufer jedenfalls
erwarten, dass den anerkannten Regeln der Technik entsprochen wurde. Sie
wollten nur kein „Extra“ kaufen. Dass durch die laute Umgebung das „Extra“ zum
geschuldeten Standard wird, muss der Fertighausbauer einkalkulieren! Diese
Auffassung halte ich – vielleicht gegen den ersten Impuls – daher für richtig.

(Dr. Harald Scholz unter Mitarbeit von stud. jur. Antonia Hinte)

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Dr. Harald Scholz

EINFACHE SIGNATUR – SCHWERE KOMPLIKATIONEN
BAG, Beschluss vom 14.09.2020 – 5 AZB 23/20
Leitsatz

Die einfache Signatur i.S.d. § 130a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 ZPO meint die einfache
Wiedergabe des Namens am Ende des Textes, beispielsweise bestehend aus
einem maschinenschriftlichen Namenszug unter dem Schriftsatz oder einer
eingescannten Unterschrift. Sie darf nicht fehlen, wenn ohne qualifizierte
elektronische Signatur aus dem eigenen Anwaltspostfach in beA Schriftsätze
versendet werden sollen.

Sachverhalt

Gegen eine Entscheidung des Arbeitsgerichtes wird per beA Berufung eingelegt.
Der Schriftsatz ist nicht qualifiziert elektronisch signiert. Am Ende des Schriftsatzes
befindet sich lediglich das Wort „Rechtsanwalt“. Der Schriftsatz ist aus dem beA-
Postfach des zuständigen Anwalts von diesem selbst versendet worden. Die
Berufungsschrift geht am 20.03.2019, einen Tag vor Fristablauf, ein.

Der Vorsitzende teilt den Prozessbevollmächtigten am 21.03.2019 um 14:02 Uhr
den Eingang der Berufungsschrift und das Aktenzeichen mit und weist auf die
Berufungsbegründungsfrist hin.

Das Landesarbeitsgericht bemerkt bei der ein Jahr späteren Bearbeitung das
Fehlen einer einfachen Signatur und verwirft die Berufung als unzulässig.
Wiedereinsetzung in der vorigen Stand wird nicht gewährt, da dieses Fehlen vom
Anwalt verschuldet sei.

Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht gewährt dagegen Wiedereinsetzung mit folgenden
Erwägungen:

Eine qualifizierte elektronische Signatur unter dem Berufungsschriftsatz fehlt.

Die Möglichkeit, aus dem eigenen Postfach mit einer sogenannten einfachen
Signatur wirksam Schriftsätze zu versenden, ist nicht genutzt worden. Denn es
fehlt an einer einfachen Signatur. Hierfür ist ein maschinenschriftlicher Namenszug
unter dem Schriftsatz oder eine eingescannte (lesbare) Unterschrift erforderlich.
Hieran fehlt es. Diese Signatur kann auch nicht durch Hinweise auf den Bearbeiter
auf dem Briefbogen ersetzt werden, weil die Signatur am Ende des Schriftsatzes
verdeutlichen solle, dass der Unterzeichner für den darüberstehenden Text
Verantwortung übernimmt.

Unter den regulären Prämissen wäre eine Wiedereinsetzung aufgrund des
Anwaltsverschuldens nicht möglich. Hierauf kommt es jedoch nicht an, weil das
LAG seiner Fürsorgepflicht nicht gerecht geworden ist. Soweit es dem Gericht im
normalen Arbeitsablauf möglich ist, muss es die Parteien auf Formfehler hinweisen.
Es besteht zwar kein Anspruch darauf, dass das Gericht sofort auf Eingaben
reagiert. Erfolgt jedoch eine zeitnahe Bearbeitung (wie hier noch vor Fristablauf am
21.03.2019) ist der Vorsitzende verpflichtet, dem Berufungsführer einen Hinweis
zu erteilen, der dann auch noch zu einer form- und fristgerechten Berufung führen
konnte.

Anmerkung

Der Berufungsführer hatte erhebliches Glück. Unter vielen Umständen wäre die
Berufung unheilbar unzulässig gewesen.

Für die Praxis nimmt man mit:

1. Eine einfache Signatur ist der Name der Rechtsanwältin oder des
   Rechtsanwalts am Ende des Schriftsatzes und nirgendwo sonst. (Bei dieser
   Gelegenheit: Es war auch zu analogen Zeiten schon keine gute Sitte, Schreiben
   mit der bloßen Zeile „Rechtsanwalt“ zu versehen, was den Bearbeiter schwer
   erkennbar machte.)

2. Wer so unterzeichnen will, muss den Schriftsatz aus dem eigenen beA-Postfach
   mit der eigenen beA-Karte versenden. Wenn alles mit rechten Dingen zugeht,
   also höchstpersönlich.

3. Jedenfalls für Praxen mit mehreren oder gar vielen Anwälten plädiere ich ganz
   klar für die qualifizierte elektronische Signatur. Einmal signiert, können auch
   das Sekretariat und anwaltliche Kollegen den Schriftsatz versenden. Das bildet
   die herkömmlichen Büroabläufe besser ab und wappnet für hektische Tage und
   personelle Notfälle.

4. Es kann von Vorteil sein, seine Schriftsätze und Fristverlängerungsanträge mit
   Vorlauf einzureichen, wenn man es denn schafft. Denn wenn das Gericht so
   rechtzeitig Kenntnis nimmt oder im normalen Geschäftsgang nehmen musste,
   dass ein Formfehler reparabel ist, gibt es auch bei Anwaltsverschulden noch
   Wiedereinsetzung, wenn das Gericht nicht reagiert hat.

5. Ob aus dem Urteil eine Lehre in dem einen oder anderen Richterzimmer
   gezogen wird, eingehende fristgebundene Post lieber mal ein paar Tage bis
   nach Fristablauf liegenzulassen, statt sich sofort damit zu befassen, lassen wir
   mal offen. Die uns bekannten Richterinnen und Richter würden das niemals
   tun. Falls jemand dieser Meinung sein sollte, werden die Ratschläge 1-4 umso
   wichtiger.

Es gilt die Prognose, dass dies nicht der letzte Anwaltshaftungs-/
Wiedereinsetzungsfall rund um beA gewesen ist. Immer für einen Fehler gut ist
auch das Versenden nur einfach signierter Nachrichten aus dem Postfach eines
Kollegen oder über das Sekretariat. Recht einfach ist es auch, beim Klicken ein
falsches Gericht zu erwischen und die Post dorthin zu versenden, gerade auch bei
Unterstützung durch Anwaltssoftware.

(Dr. Harald Scholz unter Mitarbeit von stud. jur. Antonia Hinte)
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Jochen Zilius

HAFTET EIN KANALBAUUNTERNEHMER FÜR
RÜCKSTAUSCHÄDEN BEI STRASSENANLIEGERN?

Problemdarstellung

Führt ein Unternehmer im hoheitlichen Auftrag Kanalsanierungsarbeiten aus,
erledigt er damit in der Regel eine Amtspflicht, unabhängig davon, ob er
haftungsrechtlich als sog. Verwaltungshelfer der Stadt bzw. der beauftragenden
Körperschaft anzusehen ist. Faktisch unterliegt er damit einer Amtshaftung, für die
im Zusammenhang mit Rückstauschäden zivilrechtliche Besonderheiten gelten.
Hintergrund ist Folgender: Die Pflicht zur Vorhaltung eines ausreichend
dimensionierten Kanalisationssystems gehört zu den drittgerichteten Amtspflichten
der Stadt bzw. der den Kanal betreibenden Körperschaft. Der Staat ist also für eine
funktionsfähige Kanalisation verantwortlich und auch haftbar. Mit dem Argument,
dass viele Kanalisationsleitungen aber bereits in die Jahre gekommen sind, hat die
Rechtsprechung – ob dieser Weg von der Rechtsordnung so vorgesehen ist, sei
einmal dahingestellt – die Haftung der Gemeinden jedenfalls für solche
Rückstauschäden verneint, die sich durch den Einbau einer Rückstausicherung
hätten verhindern lassen und der betroffene Anlieger aus öffentlich-rechtlichen
Vorschriften zum Einbau einer Rückstausicherung verpflichtet ist. Sinn und Zweck
dieser Rechtsprechung ist es, die Gemeinden davor zu bewahren, in Ansehung
drohender Haftungsfälle das gesamte Kanalnetz sanieren zu müssen.
Bislang ungeklärt war aber die Frage, ob ein Schadensersatz nach dieser
Rechtsprechung auch dann ausgeschlossen ist, wenn die Unterdimensionierung
oder Verengung des Kanalisationssystems nicht auf die historische Bauweise,
sondern auf Ausführungsfehler des Kanalbauunternehmers zurückzuführen ist. Mit
diesem Problem befasste sich der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 19.11.2020 –
Az. III ZR 134/19.

Sachverhalt

Dort hat die Klägerin die Feststellung der Verpflichtung zur Leistung von
Schadensersatz für den in ihrem Keller entstandenen Wasserschaden begehrt. Der
Keller des Gebäudes liegt zwei Meter unterhalb der Rückstauebene, eine
Rückstausicherung ist trotz entsprechender Vorschrift in der zum
Errichtungszeitpunkt und auch weiterhin gültigen Gemeindesatzung nicht
vorhanden.

Im Jahr 2014 beauftragte der Beklagte zu 2) als zuständiger
Wasserwirtschaftsverband die Beklagte zu 1) mit erforderlichen
Kanalsanierungsarbeiten. Im Zuge der Ausführung verengten die Mitarbeiter der
Beklagten zu 1) den unterirdischen Mischwasserkanal provisorisch von 50cm auf
20cm, was nicht den Fachregeln entspricht. Als es während der Bauphase es zu
starken Regenfällen kam, ereignete sich ein Rückstau in der Abwasserleitung,
wodurch der Keller des klägerischen Gebäudes überflutet wurde. Nach ihren
Angaben sei dabei ein Schaden von ca. 30.000,00 € entstanden.

Die Klägerin hat vor Gericht die Ansicht vertreten, ein Haftungsausschluss der
Beklagten wegen der fehlenden Rückstausicherung komme vorliegend nicht in
Betracht. Zunächst sei ein nachträglicher Einbau der Rückstausicherung der
Klägerin schon aus Kostengründen nicht zumutbar. Tatsächlich wären die
erforderlichen Umbaumaßnahmen verhältnismäßig aufwendig gewesen, was mit
der besonderen Bauweise und Entwässerung des Gebäudes zusammenhängt.
Davon abgesehen hätte die Rückstausicherung den Schaden auch nicht vermeiden
können und schließlich komme der Haftungsausschluss gegenüber den Beklagten
auch deswegen nicht in Betracht, weil es sich vorliegend nicht um eine
konstruktionsbedingte Unterdimensionierung des Kanalsystems handele, sondern
sich gerade ein Ausführungsfehler, also eine Pflichtverletzung der Beklagten zu 1)
verwirklicht habe, für die sie nach zivilrechtlichen Grundsätzen auch hafte.

Das erstinstanzlich zuständige Landgericht hat die Klage abgewiesen, dies jedoch
in Übergehung der zentralen Rechtsfrage . Die klägerseits hiergegen
durchgeführte Berufung blieb erfolglos, wobei das Oberlandesgericht Hamm den
Haftungsausschluss auch für Ausführungsfehler angenommen hat. Da diese Frage
zwischen verschiedenen Oberlandesgerichten in Deutschland umstrittenen ist, hat
das Gericht die Revision zugelassen.
Entscheidung

In letzter Instanz hat der Bundesgerichtshof unter Zurückweisung der klägerischen
Revision die Klage abgewiesen. Nach seiner Auffassung stünden der Klägerin
unabhängig von einer Pflichtverletzung der Beklagten keine Ansprüche zu, weil der
Wasserschaden nicht vom Schutzzweck der Pflicht zur Vorhaltung einer
funktionierenden und ausreichend dimensionierten Kanalisation erfasst sei. So sei
ein Zurechnungszusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden zu
verneinen vor dem Hintergrund, dass jeder Grundstückseigentümer in der
betroffenen Stadt dazu verpflichtet sei, sich vor Abwasserrückstauungen bis zur
Rückstauebene zu schützen. Beruhe ein Schaden – wie hier – auf einer fehlenden
Rückstausicherung, so hafte weder der Hoheitsträger noch der von ihm
beauftragte Bauunternehmer. Die Zumutbarkeit des Einbaus einer
Rückstausicherung sei jedenfalls dann unerheblich, wenn der Bauherr – wie hier –
bei der Errichtung eines Objekts bewusst das Risiko eines Schadens eingegangen
ist. Kanalbetreiber und von diesem beauftragte Tiefbauunternehmer dürften sich
auch darauf verlassen, dass die Anschlussnehmer ihren Sicherungspflichten aus
der Satzung nachkommen. Die Klägerin hingegen habe nicht in schutzwürdiger
Weise darauf vertrauen dürfen, vor Rückstauschäden bewahrt zu bleiben, die
durch die üblichen Sicherungsvorrichtungen hätten verhindert werden können. Ob
der Rückstau durch eine nicht ausreichend dimensionierte Kanalisation oder auf
eine zu starke Verengung aufgrund der Arbeiten an der Kanalisation entstanden
ist, sei unerheblich. Schließlich komme es auch nicht darauf an, ob die Beklagte zu
1) als Verwaltungshelferin anzusehen sei und damit dem Haftungsregime einer
Amtshaftung unterliege oder nicht, weil sie jedenfalls durch Ausführung der
Kanalsanierungsmaßnahmen faktisch eine Amtspflicht erledigt habe, sodass die
Grundsätze aus der Amtshaftung auch ihr gegenüber zu beachten seien.

Rechtlich handelt es sich bei dieser Entscheidung allerdings um einen speziell im
öffentlichen Kanalsanierungsgeschäft angesiedelten Exoten und ist auf keinen Fall
übertragbar. Im Grundsatz also haftet auch weiterhin der im städtischen Auftrag
tätige Unternehmer oder, soweit die Haftung übergegangen ist, der Hoheitsträger
für Schäden an Rechtsgütern Dritter. Dies ist auch grundsätzlich zu begrüßen,
denn potentielle „Dritte‟ sind wir alle.

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Dr. Ingo Schmidt

WERKUNTERNEHMER VERLIERT
NACHBESSERUNGSRECHT NUR NACH
FRISTSETZUNG

Der Werkunternehmer hat ein Nachbesserungsrecht. Er darf Mängel seiner
Leistung selbst beheben. Dazu muss ihm der Auftraggeber Gelegenheit geben;
Mängelrechte in Form von Kostenvorschuss, Ersatzvornahme, Schadensersatz oder
Minderung kann der Auftraggeber erst geltend machen, wenn er dem
Werkunternehmer eine Frist zur Nachbesserung – das Gesetz spricht von
Nacherfüllung – gesetzt hat und diese Frist abgelaufen ist. Dass die Fristsetzung in
den seltensten Fällen und nur ausnahmsweise entbehrlich ist, zeigt die
Entscheidung des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 19.09.2019, 8 U 74/18,
die nun vom Bundesgerichtshof bestätigt wurde.

Zum Fall

Der Kläger ließ von der beklagten Werkunternehmerin ein Blockheizkraftwerk
errichten. Dieses wies Mängel auf, z.B. Undichtigkeiten und Korrosion. Der
Auftraggeber meinte, das Blockheizkraftwerk sei nicht mehr gebrauchsfähig und
müsste komplett ausgetauscht werden. Dies sah der Werkunternehmer anders.
Der Auftraggeber verlangte einen Vorschuss in Höhe der Kosten der
Neuherstellung. Da der Werkunternehmer nicht zahlte, klagte der Auftraggeber. Im
Prozess stellte sich im Zuge der Einschaltung eines Sachverständigen in der Tat
heraus, dass das Blockheizkraftwerk nicht mehr reparabel war; eine Reparatur war
nicht mehr wirtschaftlich. Die beklagte Werkunternehmerin wies auf ihr
Nachbesserungsrecht hin, ihr sei keine Gelegenheit gegeben worden, selbst
nachzubessern; es sei auch keine Frist gesetzt worden. Dies wiederum empfand
der Kläger als Frechheit, die Fristsetzung sei entbehrlich gewesen, hat doch die
beklagte Werkunternehmerin die Mängel bestritten und keine Nachbesserung
angeboten. Mit dieser Einschätzung kam der Kläger nicht durch.
Zur Entscheidung

Das Oberlandesgericht Braunschweig hält in zweiter Instanz fest, dass
Voraussetzung für die Geltendmachung eines Anspruchs sei, dass der Besteller
dem Unternehmer eine angemessene Frist zur Nacherfüllung setzen muss, bevor
er Kosten verlangen kann. Daran fehlte es. Es reichte nicht – so das
Oberlandesgericht – die schlichte Aufforderung zur Mängelbeseitigung; diese muss
vielmehr mit einer klaren Fristbestimmung verbunden sein. Die Erklärung des
Bestellers soll nämlich dem Werkunternehmer verdeutlichen, dass er entscheiden
muss, ob er die Folgen einer Verweigerung der Nachbesserung auf sich nehmen
oder ob er sie durch eine fristgerechte Nachbesserung abwenden wolle. Nur ganz
ausnahmsweise ist eine Fristsetzung entbehrlich, wenn etwa die Nacherfüllung
ernsthaft und endgültig verweigert wird. An eine solche Erfüllungsverweigerung
sind aber sehr strenge Anforderungen zu stellen. Das Verhalten des Unternehmers
muss die Annahme rechtfertigen, dass es ausgeschlossen erscheine, er werde sich
von einer Fristsetzung zur Mängelbeseitigung bewegen lassen. Im bloßen
Bestreiten von Mängeln liegt nicht ohne Weiteres eine endgültige
Nacherfüllungsverweigerung, denn das Bestreiten ist ein prozessuales Recht des
Schuldners. Damit hatte die Klage letztlich keinen Erfolg. Der Kläger ging noch in
die Revision. Der Bundesgerichtshof wies die Nichtzulassungsbeschwerde aber
zurück.

Praxishinweis

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Braunschweig zeigt, dass ein
Unternehmer sein Nachbesserungsrecht so schnell nicht verliert. Eine Fristsetzung
ist in den seltensten Fällen entbehrlich. Warum im oben genannten Fall der
Auftraggeber die Fristsetzung nicht noch (ggf. im Prozess) nachgeholt hat, ist
unklar geblieben. Dies wäre noch möglich gewesen. Dann hätte der
Werkunternehmer das Blockheizkraftwerk auf eigene Kosten austauschen können.

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