Research Modernisation Deal - 2020 Eine Strategie zur Modernisierung der Forschung - Peta
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Research Modernisation Deal Eine Strategie zur Modernisierung der Forschung und zum Ausstieg aus Tierversuchen 2020 © iStock.com/ ClaudioVentrella People for the Ethical Treatment of Animals • PETA Deutschland e.V.
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Research Modernisation Deal Eine Strategie zur Modernisierung der Forschung und zum Ausstieg aus Tierversuchen PETA Deutschland e.V. (PETA)
4 Research Modernisation Deal Zusammenfassung Erstaunliche Fortschritte in der Entwicklung von Technologien führen heutzutage zu grundlegenden Veränderungen in der biomedizinischen Forschung und bei regulatorischen Prüfverfahren. Eine entsprechende Weiterentwicklung ist auch in den kommenden Jahren zu erwarten. Bislang stützte sich die Forschung auf die Verwendung von Tieren zur Abbildung menschlicher Krankheiten oder zur Vorhersage von Reaktionen des Menschen auf Medikamente oder andere Substanzen. Doch derzeit vollzieht sich ein Wandel hin zu Methoden, die auf der menschlichen Biologie basieren – ein Umbruch, der weltweit zu Veränderungen in Politik und Praxis führt. Bei Forschungsförderern wächst das Bewusstsein, dass Tierversuche nicht dazu geeignet sind, die Wirksamkeit und das toxikologische Risiko von potenziellen Wirkstoffen zu ermitteln, und dass sie zudem die Entwicklung potenzieller Heilmittel behindern. In der heutigen Medikamenten- entwicklung, die auf Tierversuchen basiert, versagen etwa 95 Prozent der neuen Medikamente in nachfolgenden klinischen Studien am Menschen. Zudem dauert die Markteinführung 10 bis 15 Jahre und verursacht Kosten in Höhe von mehr als 2 Mrd. Euro. Diese hohen Durchfallquoten lassen sich weder wirtschaftlich noch ethisch rechtfertigen. Bemühungen für eine grundlegende Veränderung der Forschungslandschaft sind daher dringend erforderlich. Die folgenden wichtigen Punkte sollten berücksichtigt werden: • Systematische Reviews, die in Fachzeitschriften veröffentlicht wurden, belegen die Einschränkungen bei der Übertragung von Ergebnissen aus Tierversuchsstudien auf die Behandlung von Menschen in zahlreichen Therapiebereichen. Weniger als 10 Prozent aller scheinbar vielversprechenden Ergebnisse aus der Grundlagenforschung werden innerhalb von 20 Jahren routinemäßig klinisch eingesetzt. • Zwischen 50 und 89 Prozent der Ergebnisse aus der präklinischen Forschung sind nicht reproduzierbar, wobei Tierversuche einen ernstzunehmenden Problembereich darstellen. • Bedeutende wissenschaftliche Erfolge in verschiedenen Therapiegebieten wie Diabetes und Brustkrebs stützen sich auf klinische Studien von menschlichen Krankheiten mit Patienten. Anhand von Tierversuchen wären diese Erfolge nicht möglich gewesen. Es ist zunehmend erkennbar, dass sich Ergebnisse aus Tierversuchen nicht zuverlässig auf die medizinische Behandlung von Menschen übertragen lassen. Daneben beobachten wir auch die fortschreitende Entwicklung und Implementierung von Alternativ- technologien, die Tierversuche ablösen. Doch vor allem wächst in unserer Gesellschaft ein Bewusstsein für das moralische Dilemma von Tierversuchen. Öffentliche, private und gemeinnützige Fördergeber müssen ihre Budgets für Tierversuche kürzen und die Gelder stattdessen für tierfreie Methoden einsetzen. Um die Verwendung von Tieren in Versuchen zu beenden, empfehlen wir die Erarbeitung einer Strategie, die die folgenden entscheidenden Schritte umfasst: 1. In Bereichen, in denen sich die Ergebnisse aus Tierversuchen nachweislich schlecht und unzuverlässig auf den Menschen übertragen lassen und in denen Tierversuche den Fortschritt behindern, sollte die Verwendung von Tieren unverzüglich eingestellt werden. 2. Mithilfe von kritischen wissenschaftlichen Untersuchungen sollten jene Bereiche ermittelt werden, in denen die Durchführung von Tierversuchen die menschliche Gesundheit nicht vorangebracht hat. Der Einsatz von Tieren in diesen Bereichen sollte daher allmählich eingestellt werden. 3. Es sollten transparente, aussagekräftige prospektive und retrospektive Bewertungen gemäß der Richtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2010 zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere durchgeführt werden. 4. In weltweiter Zusammenarbeit mit Behörden und Einrichtungen sollte eine Harmonisierung und Förderung der internationalen Akzeptanz von tierversuchsfreien Verfahren zur Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen an Toxizitätsprüfungen erfolgen. 5. Die finanzielle Förderung sollte umverteilt werden – von Tierversuchen hin zur Entwicklung tierfreier Testverfahren.
Eine Strategie zur Modernisierung der Forschung und zum Ausstieg aus Tierversuchen 5 Inhaltsverzeichnis I. Einleitung 6 II. Eingeschränkte Voraussagefähigkeit von Tierversuchen in der Forschung 7 i. Fehlende Aussagekraft 7 ii. Mangelnde Übertragbarkeit 8 III. Die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels 9 IV. Chancen für wirtschaftlichen Fortschritt 10 i. Die hohen Kosten der Arzneimittelentwicklung 10 ii. Beschäftigungs- und Wirtschaftswachstum im Technologiesektor 12 V. Regulatorische Möglichkeiten zur Beurteilung der humanen Toxizitätsprüfung 12 VI. Öffentliche Meinung und die Leidensfähigkeit der Tiere 13 VII. Weltweite Führungsposition 14 VIII. Maßnahmenplan: Empfehlungen zur Modernisierung der wissenschaftlichen Forschung und Prüfung 15 1. Die Verwendung von Tieren sollte in jenen Forschungsbereichen unverzüglich eingestellt werden, in denen sich die Ergebnisse aus Tierversuchen nachweislich schlecht auf den Menschen übertragen lassen und in denen Tierversuche den Fortschritt behindern. 15 2. Mithilfe von kritischen wissenschaftlichen Untersuchungen sollten jene Bereiche ermittelt werden, in denen Tierversuche ebenfalls umgehend eingestellt werden können. 15 3. Es sollten transparente, aussagekräftige prospektive und retrospektive Bewertungen gemäß der Richtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2010 zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere durchgeführt werden. 15 4. Die Harmonisierung und Förderung der internationalen Akzeptanz von tierversuchsfreien Verfahren zur Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen an Toxizitätsprüfungen sollte vorangebracht werden. 16 5. Die finanzielle Förderung von Tierversuchen sollte reduziert und die Mittel für tierfreie Testverfahren sollten aufgestockt werden. 17 Literaturverzeichnis 18 Anhang (in Englisch) 21
6 Research Modernisation Deal I. Einleitung „Wenn man über Fortschritte in der Medizin liest, hat man oft den Eindruck, dass der lang erwartete Durchbruch bei Krebs, Alzheimer, Schlaganfall, Arthrose und unzähligen weniger verbreiteten Krankheiten direkt hinter der nächsten Ecke wartet. Aber es stellt sich heraus, dass wir in einer Welt mit sehr vielen Ecken leben.“1 Diese Feststellung des Wissenschaftsjournalisten und Bestsellerautors Richard Harris findet in den Herzen und Köpfen jedes Menschen Resonanz, der an einer unheilbaren Krankheit leidet oder jemanden kennt, der von einer solchen betroffen ist. Die US- amerikanischen National Institutes of Health (NIH), der weltweit größte Geldgeber für biomedizinische Forschung, berichtet, dass „die Medikamenten-Durchfallquote [bei neuen Arzneimitteln] in klinischen Studien am Menschen bei etwa 95 Prozent liegt“2 – und das, obwohl diese Arzneimittel in präklinischen Tierversuchen für sicher und wirksam befunden wurden. In der EU wird mit verschiedenen Die Akzeptanz tierfreier Techniken in dass die Grundsätze des 3R-Prinzips – Ansätzen versucht, dieses Problem zu einer Region oder einem Land ebnet den Replace (Vermeiden), Reduce lösen. Auf mitgliedstaatlicher Ebene Weg für die internationale Harmonisier- (Verringern) und Refine (Verbessern) – haben sowohl die Niederlande3 als auch ung und weitere gesetzliche Abschaffung bei der Durchführung von Tierversuchen das Vereinigte Königreich4 staatlich von Tierversuchen. Insbesondere in den innerhalb des rechtlichen Rahmens zur unterstützte Strategien zur Reduzierung letzten 20 Jahren wurden erhebliche Anwendung kommen. Die Richtlinie und zum Ersatz von Tierversuchen Fortschritte bei der Entwicklung, erkennt letztlich an, dass das endgültige entwickelt. Auf EU-Ebene setzt sich das Validierung, Implementierung und Ziel darin besteht, alle Referenzlabor der Europäischen Union behördlichen Zulassung tierfreier wissenschaftlichen Verfahren, bei denen für alternative Methoden zu Tier- Technologien für die Bewertung von Tiere eingesetzt werden, zu ersetzen – versuchen (EURL ECVAM) dafür ein, menschlichen Gesundheitsendpunkten sowohl für die biomedizinische Tierversuche sowohl in der biomedizini- verzeichnet, darunter Hautreizung und - Grundlagenforschung als auch zur schen Forschung als auch in Toxizitäts- verätzung, schwere Augenschäden, Erfüllung regulatorischer tests mit tierfreien Methoden zu Hautempfindlichkeit, Hautresorption und Anforderungen.6 ersetzen. So hat das EURL ECVAM Phototoxizität. Daneben wurden auch als beispielsweise eine Studie zur Über- besonders grausam bekannte inter- Zur Verwirklichung dieses Ziels stellen prüfung der Verwendung alternativer nationale Testrichtlinien abgeschafft, wir mit diesem Bericht ein Konzept für Methoden in der biomedizinischen zum Beispiel Test Nr. 401 der die Ablösung von Tierversuchen vor. Wir Forschung in Auftrag gegeben. Das Organisation für wirtschaftliche Zusam- benennen strategische Prioritäten und Referenzlabor wies darauf hin, dass „es menarbeit und Entwicklung (OECD) – ergänzen diese mit weiteren daher wichtig ist, die Anwendung auch bekannt als LD50-Test. Es gibt Informationen zu Bereichen der alternativer Methoden zu fördern, um heute Möglichkeiten, die Anwendung regulatorisch vorgeschriebenen die erhebliche Abhängigkeit von validierter, tierfreier Testmethoden für (gesetzlich erforderlichen) und nicht- Tierversuchen bei der Durchführung von die regulatorische Bewertung zu regulatorisch vorgeschriebenen Forschungsarbeiten zu bekämpfen“. verstärken und zu harmonisieren. Indem Forschung hinzu, in denen die Ergänzend bemerkte das EURL ECVAM: wir diese Verfahren anwenden, können Durchführung von Tierversuchen „Alternativmethoden versprechen, die wir im entsprechenden rechtlichen unverzüglich bzw. in naher Zukunft menschliche Physiologie effektiver Rahmen einen besseren Schutz der ersetzt werden könnte. Der Bericht nachbilden zu können als viele menschlichen Gesundheit und der enthält zudem Informationen zu Tiermodelle. Die Umstellung auf neue Umwelt gewährleisten. Bereichen, in denen die Weiter- tierfreie Methoden und Forschungs- entwicklung, Validierung und strategien kann daher zu einem besseren Die Richtlinie 2010/63/EU des Implementierung von tierfreien Verständnis der humanspezifischen Europäischen Parlaments und des Rates Testmethoden erforderlich ist. Biologie und von menschlichen Krank- vom 22. September 2010 zum Schutz der heiten führen.“5 für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere soll gewährleisten,
Eine Strategie zur Modernisierung der Forschung und zum Ausstieg aus Tierversuchen 7 II. Eingeschränkte Voraussagefähigkeit von Tierversuchen in der Forschung Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass Tierversuche fehlerhaft sind und darüber hinaus anderen Testmethoden, die auf dem Weg zur Heilung menschlicher Krankheiten besser geeignet sind, sowohl finanzielle als auch intellektuelle Ressourcen vorenthalten. Die Tatsache, dass Tierversuche keine zuverlässige Vorhersage über die Wirkung einer Substanz beim Menschen erlauben, beruht auf verschiedenen Faktoren. Dazu gehören unter anderem eine verzerrte Darstellung der Datenlage bei der Berichterstattung und Veröffentlichung, ein undurchdachtes Studiendesign und eine unzureichende Stichprobengröße.7 Der entscheidende Faktor ist jedoch die Tatsache, dass die Ergebnisse aus Tierversuchen aufgrund von immanenten biologischen und genetischen Unterschieden schwer auf den Menschen übertragen werden können – selbst mit einem optimal kontrollierten und bestmöglich durchgeführten Studiendesign. i. Fehlende Aussagekraft Probleme mit der internen und externen häufig auf der Grundlage der Ergebnisse niemals eine externe Validität erreicht Validität tragen dazu bei, dass sich aus Tierversuchen gerechtfertigt. Unsere werden. Externe Validität bezeichnet das Erkenntnisse aus der biomedizinischen Ergebnisse lassen darauf schließen, dass „Ausmaß, in dem sich Forschungs- Forschung, die mittels Tierversuchen Tierversuche, deren Resultate ergebnisse aus einem Setting, einer gewonnen wurden, nicht aus dem unangemessen verzerrt wurden, nicht Population oder einer Art zuverlässig auf Forschungslabor in die klinische Teil der Begründung für klinische Studien andere Settings, Populationen und Arten Anwendung am Patienten übertragen am Menschen sein sollten.“10 übertragen lassen“.12 lassen. Die interne Validität von Tierversuchen wird durch ein schlechtes Aufgrund inhärenter Unterschiede Eine Untersuchung aus dem zwischen Mensch und Tier können Studiendesign beeinträchtigt, beispielsweise wenn Tierversuchsleiter Jahr 2015 ergab, dass zwischen nichtmenschliche Tiere nicht als Analoga keine Maßnahmen zur Vermeidung von 50 und 89 Prozent der dienen, um die spezifischen biologischen Voreingenommenheit implementieren, präklinischen Forschung, die zu Details, die zur Entwicklung sicherer und wie z. B. die Anonymisierung der Proben wirksamer Arzneimittel für den einem großen Teil Tierversuche vor der Datenanalyse. Nach einer Meta- Menschen erforderlich sind, zu umfasst, nicht reproduziert verstehen. Laut Wall und Shani können Analyse systematischer Reviews vor- klinischer Tierversuche in werden konnte. selbst „extrapolierte Ergebnisse von verschiedensten Therapiebereichen Studien mit zig Millionen Tieren die stellten Wissenschaftler der Universität Reaktion beim Menschen nicht genau Eine schlechte interne Validität führt Oxford fest, dass der Nutzen von vorhersagen“.13 dazu, dass viele Tierversuche nicht untersuchten Behandlungsmethoden reproduziert werden können. Dies ist In einem Review im Journal of aufgrund fehlender Maßnahmen zur jedoch ein zentraler Aspekt des wissen- Translational Medicine aus dem Jahr Verringerung der Ergebnisverzerrung aus schaftlichen Prozesses, der auf die 2018 bezeichnen Pandora Pound und Tierversuchen wahrscheinlich über- potenzielle Validität von Ergebnissen Merel Ritskes-Hoitinga die Spezies- schätzt wird.8 Die Autoren schlussfolger- hinweist. Es ist daher nicht verwunder- unterschiede als unüberwindbares ten: „Verzerrte Ergebnisse aus der lich, dass eine Untersuchung aus dem Problem für die externe Validität tierexperimentellen Forschung liefern Jahr 2015 ergab, dass zwischen 50 und präklinischer Tiermodelle.14 Versuche, mit geringerer Wahrscheinlichkeit 89 Prozent der präklinischen Forschung, die Speziesunterschiede zu kontrollieren vertrauenswürdige Ergebnisse oder die zu einem großen Teil Tierversuche oder zu korrigieren, führen zu einem, wie stichhaltige Gründe für eine Forschung, umfasst, nicht reproduziert werden die Autoren es nennen, „Extrapolator’s die dem Menschen zugutekommt. konnte.11 Circle“ (Extrapolationskreis): „Wenn wir Daneben verursachen sie eine feststellen wollen, ob die Verschwendung von knappen Die Defizite von Tierversuchen lassen Wirkungsweiseeiner Substanz bei Tieren Ressourcen.“9 Die Wissenschaftler sich jedoch nicht einfach durch eine der Wirkungsweise der Substanz beim sprachen zudem folgende Empfehlung Verbesserung des Studiendesigns Menschen hinreichend ähnlich ist, aus: „Studien am Menschen werden beheben, denn mit Tierversuchen kann
8 Research Modernisation Deal um eine Extrapolation zu ii. Mangelnde Übertragbarkeit rechtfertigen, müssen wir die Angesichts des Problems der schlechten Validität und Reproduzierbarkeit von entsprechende Wirkungsweise beim Tierversuchen ist es nicht verwunderlich, dass sich die Ergebnisse aus Tierversuchen Menschen kennen. Und wenn wir die häufig nicht klinisch relevant auf menschliche Patienten übertragen lassen. Wie bereits Wirkungsweise beim Menschen erwähnt, versagen laut den NIH neue Medikamente „in rund 95 Prozent der Studien am bereits kennen, dann dürfte der Menschen“20 – obgleich sie in präklinischen Tierversuchen für sicher und wirksam anfängliche Tierversuch überflüssig befunden wurden. gewesen sein.“ Die Autoren befassen sich auch mit der besorgnis- John Ioannidis, Professor für Medizin, Weniger als 10 Prozent erregenden Entwicklung unter Gesundheitsforschung und Gesundheitspolitik Personen, die an Tierversuchen an der US-amerikanischen Universität Stanford, aller scheinbar beteiligt sind, die Frage des Spezies- wollte beurteilen, ob die biomedizinische vielversprechenden unterschieds und die Auswirkungen Grundlagenforschung ihre Versprechen erfüllt Ergebnisse aus der auf die externe Validität zu ver- oder nicht. Hierzu ermittelte er gemeinsam mit Grundlagenforschung harmlosen – ein Problem, das jedoch Kollegen 101 Artikel, die in den von einer Reihe von Forschern werden innerhalb von renommiertesten medizinischen durchaus anerkannt wird.16,17 Wie Fachzeitschriften veröffentlicht wurden und in 20 Jahren routinemäßig Pound and Ritskes-Hoitinga weiter denen die Autoren ausdrücklich erklärten, dass klinisch eingesetzt. ausführen, ist es nicht verwunder- ihre Forschung zu neuen Anwendungsgebieten lich, dass die Frage des Spezies- mit realistischem Potenzial für einen klinischen Durchbruch führen würde. Der Großteil unterschieds heruntergespielt wird, der analysierten Artikel (63 Prozent) bezog sich auf Tierversuche. da sich die Experimentatoren ansonsten mit der „Möglichkeit Die Untersuchungen von Professor Ioannidis und seinen Kollegen hinsichtlich der auseinandersetzen müssten, dass Übertragung der Grundlagenforschung auf die klinische Anwendung ergab, dass weniger das präklinische tierexperimentelle als 10 Prozent aller vielversprechenden Ergebnisse aus der Grundlagenforschung Forschungsparadigma nicht mehr viel innerhalb von 20 Jahren routinemäßig klinisch eingesetzt werden.21 zu bieten hat“. Es besteht ein wachsender wissenschaftlicher Eine in der medizinischen wissenschaftlichen Fachzeitschrift The BMJ veröffentlichte Konsens darüber, dass mit human- beeindruckende Analyse aus dem Jahr 2014 hat ergeben, dass Tierversuche entgegen der relevanten Forschungsmethoden öffentlichen Wahrnehmung die Erkenntnisse auf dem Gebiet der menschlichen und -technologien, die sich zur Gesundheit nicht vertieft oder zur Entwicklung von Behandlungen für menschliche Lösung von humanbiomedizinischen Krankheiten geführt haben.22 Die Autoren weisen darauf hin: „Wenn die und regulatorischen Bewertungs- tierexperimentelle Forschung auch künftig die beim Menschen zu erwartende Wirkung paradigmen besser eignen, weit nicht zuverlässig prognostizieren kann, dann erscheint die weitere öffentliche Billigung mehr erreicht werden kann als mit und Finanzierung der präklinischen Forschung an Tieren unangebracht.“23 Tierversuchen. Wie eine kürzlich veröffentlichte Branchenstudie Eine Maus in einem Labor reagiert auf ein Medikament nicht auf die hervorhob, ist es an der Zeit, die gleiche Weise wie eine Maus in der Natur. Wenn sich Mäuse im Labor Entdeckung von Arzneimitteln und die Toxikologie zu humanisieren.18 und Mäuse in der Natur schon dermaßen unterscheiden, wie soll eine Dies ist besonders relevant in Maus im Labor dann die Biologie des Menschen zuverlässig abbilden? Deutschland, dem größten Bio- technologie-Markt nach den USA.19 Die Schwierigkeiten bei der Übertragung von Ergebnissen aus Tierversuchen auf menschliche Patienten werden durch die Gefangenhaltung der Tiere und die unnatürlichen Bedingungen im Versuchslabor weiter verschärft, da diese das natürliche Verhalten der Tiere beeinträchtigen.24 Das entbehrungsreiche Leben im Versuchslabor erhöht den Stresslevel der Tiere. Aufgrund der hierdurch veränderten Physiologie und Neurobiologie weisen die Tiere verschiedene Formen von Psychosen und Psychopathien auf.25,26,27,28,29 Darüber hinaus sind Tiere, die in Versuchslaboren ihre Physiologie und die Neurobiologie verändert haben, keine guten „Modelle“ für ihre Artgenossen in der freien Natur. Eine Maus in einem Labor reagiert auf ein Medikament nicht auf die gleiche Weise wie eine Maus in der Natur. Wenn sich Mäuse im Labor und Mäuse in der Natur schon dermaßen unterscheiden, wie soll eine Maus im Labor dann die Biologie des Menschen zuverlässig abbilden?
Eine Strategie zur Modernisierung der Forschung und zum Ausstieg aus Tierversuchen 9 Beleg 1: Mangel an klinischem Erfolg Die Erfolglosigkeit grundlegender und angewandter wissenschaftlicher tierexperimenteller Studien zeigt sich vielleicht am deutlichsten in den zahllosen scheinbar vielversprechenden Behandlungen, die beim Menschen einfach nicht geholfen haben. Schlaganfallstudien mit Tieren beispielsweise waren ein völliger Misserfolg. Forscher des Instituts für Schlaganfall- und Demenzforschung in München haben die Defizite wie folgt beschrieben: „In Nagetiermodellen wurden mehr als 1.000 neuroprotektive Verbindungen getestet, um das Schlaganfallergebnis zu verbessern. […] Viele Wirkstoffe reduzierten tatsächlich die Schädigung des Gehirns (in den meisten Fällen gemessen als verringertes Infarktvolumen) in experimentellen Schlaganfall-Modellen mit Nagetieren. Von diesen wurden etwa 50 Neuroprotektiva in mehr als 100 klinischen Schlaganfallstudien getestet, doch keiner der Wirkstoffe hat das Outcome bei klinischen Schlaganfallpatienten verbessert.“30 Onkologische Medikamente, die ebenfalls in Tierversuchen getestet werden, weisen eine Erfolgsquote von nur 3,4 Prozent auf.31 Dieses Problem tritt in vielen menschlichen Krankheitsbereichen auf. Eine Fülle an Literatur dokumentiert den Misserfolg verschiedener Tiermodelle bei neurodegenerativen Erkrankungen, wie etwa Alzheimer, bei denen die Ausfallrate für neue Arzneimittel in der klinischen Phase bei 99,6 Prozent liegt.32 III. Die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels Wenn wir unsere begrenzten öffentlichen Mittel verantwortungsvoll einsetzen wollen, dann müssen wir eine Forschung fördern, die zu einer erfolgreichen Behandlung des Menschen führt – sei es Grundlagenforschung oder angewandte Forschung. Doch obwohl alles darauf hindeutet, dass die Entwicklung neuer Behandlungen und Heilmittel für menschliche Krankheiten durch eine Grundlagen- und angewandte Forschung mithilfe von Tierversuchen erschwert wird, hat diese Erkenntnis bislang keine ausreichende Überprüfung der Prioritäten bezüglich Forschung und Förderung durch nationale und europäische Behörden zur Folge. Ein solcher Paradigmenwechsel ist sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU von entscheidender Bedeutung. Einige Mitglieder der wissenschaftlichen von Substanzen bei Tieren und unserem ‚Drug Repurposing Program‘ Gemeinschaft haben begonnen, sich für Menschen. Dazu gehören auch viele (Programm zur Neuorientierung Veränderungen einzusetzen. So unter- Fälle, in denen erfolgsversprechende bezüglich Arzneimittel) begegneten, stützten beispielsweise 15 Forscher der Ergebnisse aus Tierversuchen nicht zu möchten wir hiermit einen Ansatz zur US-amerikanischen Vanderbilt University einer klinisch signifikanten Wirksamkeit Diskussion stellen. Dieses Konzept dient den Einsatz eines evidenzbasierten beim Menschen führten. Dies gilt insbe- der Beurteilung dessen, wenn es Ansatzes, mit dem sich die Entwicklung sondere für einige Behandlungsgebiete angebracht ist, den ‚letzten Versuch nützlicher Medikamente für Patienten, wie neurodegenerative, psychische zuerst‘ durchzuführen, d. h. direkt mit die diese benötigen, beschleunigen Krankheiten und Erkrankungen des Studien am Menschen fortzufahren, lassen. Hierzu veröffentlichten sie einen Zentralnervensystems sowie Sepsis- und wenn es wahrscheinlich ist, dass Tier- Artikel aus dem Jahr 2017, der die entzündliche Erkrankungen. versuche keine angemessenen Daten Abschaffung von Tierversuchen fordert, liefern, die sich auf Anwendungen von wenn eindeutige Beweise dafür Die Komplexität der translationalen Interesse für den Menschen übertragen vorliegen, dass die „Tiermodelle“ nicht Forschung stellt eine bedeutende lassen. Dies stellt ein erhebliches – aber nützlich oder aussagekräftig im Hinblick Chance zur Erforschung neuer Ansätze unserer Meinung nach vermeidbares – auf menschliche Krankheiten sind: dar, die in erfolgreicher und effizienter Hindernis bei der Einführung von Weise Ergebnisse hervorbringen, welche Arzneimitteln dar.“33 „In der Literatur finden sich zahlreiche dem menschlichen Nutzen möglichst Beispiele für Widersprüche und Unstim- nahe kommen. Gestützt auf einige Die Abkehr des allgemeinen Konsens von migkeiten bezüglich der Wirkungsweise anschauliche Beispiele, denen wir in Tierversuchen lässt sich in verschiedenen
10 Research Modernisation Deal Bereichen beobachten, beispielsweise in Besorgnis über die mangelnde Übertrag- Wissenschafts- und Technologiesektors Publikationen zur beschränkten Aussage- barkeit der tierexperimentellen For- und zu einer schnelleren Amortisation kraft von Tierversuchen34, in einer ver- schung auf den Menschen zum Ausdruck von Investitionen in der Arzneimittel- stärkten Sensibilisierung der Gesellschaft bringt“.37 Weiterhin erklärte er: „Wenn forschung und -entwicklung führen.38 für die kognitiven Fähigkeiten und die wir erkennen, dass die Abhängigkeit von Wenn die Forschungsfinanzierung ihre Empfindungsfähigkeit von Tieren35 und in grundsätzlich unzulänglichen Tier- Prioritäten hin zu humanrelevanten der rasant schwindenden öffentlichen modellen menschlicher Krankheiten in Versuchsmethoden verlagert, können Akzeptanz von Tierversuchen.36 Die hohem Maße für klinisches Versagen Patienten benötigte Behandlungen Fachzeitschrift der Türkischen Gesell- verantwortlich ist, dann ist es nicht sinn- sicherer und wahrscheinlich in kürzerer schaft für Gastroenterologie, Turkish voll, diese Praxis weiter zu fördern. […] Zeit erhalten.39 Da die staatliche Journal of Gastroenterology, hat die Stattdessen sollten humanrelevante Förderung von Forschungsaktivitäten Veröffentlichung von Studien, in denen Ansätze intensiver entwickelt und begrenzt ist, erschwert die Abhängigkeit Tierversuche durchgeführt wurden, genutzt werden.“ von Tierversuchen eine Forschung, die offiziell von ihren Websites verbannt. mit größerer Wahrscheinlichkeit Der Herausgeber der Zeitschrift, Bezeichnenderweise wird eine Abkehr wirksame Medikamente und Heilmittel Dr. Hakan Şentürk, schrieb, dass die von der tierexperimentellen Forschung hervorbringt. neue Regelung die „wachsende zu einem erheblichen Wachstum des IV. Chancen für wirtschaftlichen Fortschritt i. Die hohen Kosten der Arzneimittelentwicklung Mit einer Anordnung zur Abkehr von Tierversuchen und zum Einsatz fortschrittlicher wissen- schaftlicher Methoden hat die EU die Möglichkeit, das Beschäftigungswachstum in den Bereichen Wissenschaft und Technologie rasant zu steigern und die Kosten des Gesundheitswesens für die Bevölkerung zu senken. Wie Meigs et al. in ihrem kürzlich erschienenen Review „Animal Testing and Its Alternatives – the Most Important Omics Is Economics“ ausführen, hat sich eine „Ökonomie alternativer Ansätze entwickelt, welche die klassischen Tierversuche übertreffen“.40 Auch die britische Fördergesellschaft Ronaldson-Bouchard und Gordana Arzneimittel wird durch die mangelnde Innovate UK bezeichnet tierfreie Vunjak-Novakovic, Wissenschaftler an Reproduzierbarkeit präklinischer Studien Technologien „als eine von mehreren der US-amerikanischen Columbia noch verstärkt. Eine kürzlich vom neuen Technologien, die über das University, unterstützen die In-vitro- Komitee für Wissenschaft und Potenzial verfügen, das künftige Forschung an menschlichem Gewebe bei Technologie (Science and Technology Wirtschaftswachstum in Großbritannien der Arzneimittelentwicklung. Sie Committee) des britischen Unterhauses voranzutreiben“. Die Agentur empfahl, machten die folgenden Beobachtungen: durchgeführte Untersuchung der britische Unternehmen in die Lage zu wissenschaftlichen Integrität staatlich versetzen, diese „neuen Geschäfts- „Ebenso schädlich ist die vorsorgliche finanzierter Forschungsaktivitäten möglichkeiten“ nutzen zu können.41 Eliminierung potenziell kurativer neuer unterstrich die aktuelle „Reproduzierbar- Medikamente, da sich deren schädliche keitskrise“ und wies auf die steigende Die Markteinführung eines neuen Auswirkungen bei Tieren nicht unbedingt Tendenz bezüglich Fehlverhalten und Arzneimittels kann über 2 Mrd. Euro auf den Menschen übertragen lassen. Fehlern bei der Veröffentlichung hin.45 kosten und bis zu 15 Jahre dauern.42 Ein Diese falsch-positiven und falsch- Auch im Deutschlandfunk46 und im Faktor für die hohen Forschungs- und negativen Ergebnisse stellen eine Laborjournal47 wurde darüber diskutiert, Entwicklungskosten ist das beträchtliche enorme finanzielle Belastung dar und dass Voreingenommenheit und Risiko, ein Produkt zu entwickeln, das führen zu Entscheidungen, bei denen die schlechte Statistik zu falsch-positiven niemals zu einem marktfähigen Medi- potenzielle Rentabilität eines Ergebnissen in wissenschaftlichen kament wird, weil es in klinischen Medikaments gegen die potenziellen Publikationen führen und dass der Studien durchfällt. 95 Prozent aller Risiken abgewogen wird und nicht gegen Großteil der präklinischen Daten nicht Medikamente, die in Tierversuchen für das Potenzial des Medikaments, den reproduzierbar ist. Laut der sicher und wirksam befunden wurden, Behandlungserfolg der Krankheit zu konservativsten US-amerikanischen versagen beim Menschen43, weil verbessern.“44 Schätzung führt das häufige entweder unerwünschte Unvermögen, präklinische Nebenwirkungen auftreten oder keine Das Problem einer wirksamen und Forschungsergebnisse zu reproduzieren, Wirksamkeit gegeben ist. Kacey effizienten Markteinführung neuer zu jährlichen Ausgaben in Höhe von ca.
Eine Strategie zur Modernisierung der Forschung und zum Ausstieg aus Tierversuchen 11 25 Mrd. Euro für irreführende Experimente.48 Darüber hinaus werden Beleg 2: Das Risiko irreführender Ergebnisse auch in Fachzeitschriften, welche die ARRIVE-Richtlinien (Animal Research: Viele neuartige Medikamente scheitern in der klinischen Prüfung am Reporting of In Vivo Experiments)49 Menschen, was einen enormen Zeit- und Investitionsverlust unterstützen, immer wieder Studien bedeutet. Darüber hinaus können sie Menschen auch Schaden veröffentlicht, die eine geringe zufügen. Im Jahr 2016 entwickelte ein portugiesischer Reproduzierbarkeit, ein schlechtes Preis- Pharmahersteller ein Medikament, das bei Leistungs-Verhältnis und eine Stimmungsschwankungen, Angst und motorischen Problemen Verschwendung von Tierleben belegen. aufgrund von neurodegenerativen Erkrankungen helfen sollte. Das Die ARRIVE-Richtlinien dienen dazu, die Medikament wurde freiwilligen Probanden im Rahmen der Berichterstattung über Tierversuche zu verbessern.50 klinischen Phase-I-Studie eines französischen Auftragsforschungsinstituts oral verabreicht. Sechs Männer im Alter Durch die Verwendung von von 28 bis 49 Jahren litten an starken Nebenwirkungen und mussten humanrelevanten Technologien anstelle ins Krankenhaus eingeliefert werden. Ein Teilnehmer wurde für von teuren, zeitaufwendigen Tier- hirntot erklärt und verstarb später. Wie ein Bericht über diesen versuchen mit ungenauen Ergebnissen Vorfall aufdeckte, wurde „bei den Tieren trotz einer 400-mal könnten sich die Kosten für die höheren Dosis als bei den menschlichen Probanden keine schädliche Entwicklung neuer Medikamente drastisch senken lassen. In der Wirkung festgestellt“.52 Fachzeitschrift der American Society for In seinem Artikel „TGN1412: From Discovery to Disaster“ aus dem Clinical Pharmacology and Therapeutics (ASCPT) äußerten sich Tal Burt et al. wie Jahr 2010 berichtet Husain Attarwala von der US-amerikanischen folgt: Northeastern University über das tragische Ergebnis der 2006 durchgeführten klinischen Studie mit Theralizumab, einem „Die steigenden Kosten der immunmodulatorischen Medikament. Attarwala schrieb: „Nach [der] Arzneimittelentwicklung verbunden mit ersten Infusion einer Dosis, die 500-mal geringer war als die im ethischen Bedenken hinsichtlich der Tierversuch als sicher eingestufte, befanden sich alle sechs Risiken, Menschen und Tiere neuen Probanden in lebensbedrohlichem Zustand. Da ein chemischen Substanzen auszusetzen, führen zu einer bevorzugten Anwendung Multiorganversagen drohte, wurden sie auf die Intensivstation von klinischen Studien mit begrenzter verlegt.“53 Fünf der sechs Teilnehmer mussten nach der Anfangsdosis Exposition, wie Microdosing-Studien drei Monate im Krankenhaus bleiben, der sechste Proband lag im oder andere Phase-0-Studien. Die Koma. Selbst ein halbes Jahr später litten die Teilnehmer noch unter Forschung unterstützt in zunehmendem Kopfschmerzen und Gedächtnisverlust. Einem der Patienten mussten Maß die Gültigkeit der Extrapolation von infolge einer Gewebs-Nekrose Zehen und Finger amputiert werden. 54 Erkenntnissen, die durch begrenzte Attarwala schloss aus diesen und anderen Studien: „Arzneimittel, die Medikamentenexposition mit dem in präklinischen Tiermodellen als sicher und wirksam eingestuft Phase-0-Ansatz gewonnenen werden, werden, können bei der Anwendung am Menschen sehr hin zur vollständigen therapeutischen Exposition. Eine zunehmende Anzahl von unterschiedliche pharmakologische Eigenschaften aufweisen.“ 55 Anwendungsbereichen und Doch auch das Gegenteil ist der Fall: Heilverfahren, die bei Tieren Designoptionen zeigt die Vielseitigkeit und Flexibilität, die diese Ansätze nicht wirksam waren, blieben ungenutzt und Patienten warteten Arzneimittelentwicklern bieten.“51 somit vergeblich auf lebensrettende Behandlungen. Penicillin beispielsweise wurde 1929 erstmals an Kaninchen getestet, doch da Um ein Höchstmaß an Genauigkeit, der Wirkstoff bei dieser Tierart keine offensichtliche Wirkung zeigte, Reproduzierbarkeit und Relevanz bei der blieb er mehr als zehn Jahre lang unbeachtet – was unzählige Erforschung menschlicher Krankheiten Menschenleben kostete. Die ersten klinischen Versuche am zu erreichen, ist es unerlässlich, dass Menschen wurden erst in den 1940er-Jahren durchgeführt.56 beträchtliche finanzielle Fördermittel für die Implementierung und weitere Forscher erklärten später, dass Penicillin zum Glück nicht zuerst an Erforschung zuverlässiger, humaner In- Meerschweinchen getestet wurde, denn bei diesen Tieren wirkt das vitro- und In-silico-Konzepte zur Antibiotikum tödlich. Bei einem solchen Ergebnis im Tierversuch Verfügung gestellt werden. wäre Penicillin möglicherweise nie am Menschen getestet worden.57
12 Research Modernisation Deal ii. Beschäftigungs- und Wirtschaftswachstum im Technologiesektor Der Markt für humanbasierte In-vitro-Technologie für die biomedizinische Forschung und für Versuche wächst rasant. BCC Research schätzt, dass der Markt für zellbasierte Tests bis 2023 auf 30,1 Mrd. Euro anwachsen wird, und dass der Markt für induzierte pluripotente Stammzellen (iPSCs) im Jahr 2024 und 3D-Zellkulturen im Jahr 2021 ein Volumen von 3,5 Mrd. Euro respektive 3,6 Mrd. Euro erreichen wird.58,59,60 Die Marktforscher von BCC Research gehen zudem davon aus, dass der weltweite Markt für regenerative Medizin bis 2025 ein Volumen von 82,7 Mrd. Euro umfassen wird.61 Das in Boston, USA, ansässige Start-up Emulate, Inc. hat für die Erweiterung seiner Organchip-Technologie kürzlich weitere 32 Mio. Euro in Finanzierungsrunden eingeworben. Die Technologie wird derzeit von AstraZeneca, Roche, Merck, Johnson & Johnson und weiteren Unternehmen eingesetzt, um die Sicherheit und Wirksamkeit potenzieller Medikamente genauer vorherzusagen.62 Auf europäischer Ebene finanziert das Projekt „Horizont 2020“ die Entwicklung der nächsten Generation von Organ-Chips mit 18 Mio. Euro.63 In Deutschland unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Entwicklung von Methoden zum Ersatz von Tierversuchen. Seit 1980 hat das Ministerium etwa 600 Projekte mit etwa 190 Mio. Euro finanziert.64 Beleg 3: Erneute Prüfung fehlgeschlagener Medikamente Eine von Emulate und Janssen Pharmaceuticals im April 2018 veröffentlichte Studie zeigte, wie sich eine durch eine Antikörpertherapie verursachte Thrombose beim Menschen mit einem Blutgefäß auf einem Biochip vorhersagen lässt. Diese Antikörpertherapie war nach präklinischen Tierversuchen zuvor als sicher eingestuft worden. Die klinischen Studien mussten jedoch abgebrochen werden, nachdem die Probanden, denen das Medikament verabreicht worden war, Blutgerinnsel entwickelten, auf die es in den Tierversuchen keinen Hinweis gegeben hatten.65 Neue Technologien, wie die von Emulate entwickelte, werden die Dauer der Arzneimittelentwicklung verkürzen und den Prozess sicherer, billiger und effektiver gestalten. Die Entwicklung dieser Techniken ermöglicht die Bildung interdisziplinärer Forschungsteams, die für die Erstellung personalisierter Krankheitsmodelle für die Präzisionsmedizin oder die Entwicklung effektiver und präziser Systeme für die toxikologische Risikobewertung von grundlegender Bedeutung sind. V. Regulatorische Möglichkeiten zur Beurteilung der humanen Toxizitätsprüfung Die Art und Weise, wie chemische Substanzen getestet werden, hat sich in den letzten 25 Jahren grundlegend verändert. Tierversuche werden Schlag auf Schlag mit tierfreien Verfahren ersetzt. Dies beruht auf einem besseren Verständnis der biologischen Prozesse und dem Aufkommen neuer Technologien, die die Entwicklung von Testmethoden ermöglicht haben, welche sich unmittelbar mit zellulären Mechanismen befassen und nicht auf die plumpen und undurchsichtigen Ergebnisse von Tierversuchen angewiesen sind. Aber es ist auch das Ergebnis von öffentlichem Druck und, wie nachstehend erläutert, der Unzufriedenheit von Wissenschaftlern mit den Ergebnissen aus Tierversuchen. Zelluläre und genetische Informationen über die potenzielle Toxizität einer Chemikalie, wie z. B. das Potenzial für die Rezeptorbindung oder die Aktivierung von Genen oder Signalwegen, lassen sich in tierfreien Versuchen (unter Verwendung menschlicher Zellen, in vitro) leichter gewinnen als in Tierversuchen.66 Gleichzeitig setzt sich die Erkenntnis bei trotz des Potenzials der menschlichen Vision and a Strategy“.68 Der Strategie Aufsichtsbehörden und der regulierten Exposition nicht getestet werden“.67 zufolge könnten Fortschritte in den Industrie durch, dass Tierversuche weder Bereichen Toxikogenomik, Bioinformatik, die menschliche Gesundheit noch die 2007 veröffentlichten die US- Systembiologie, Epigenetik und Umwelt angemessen schützen und dass amerikanischen National Academies of Computertoxikologie die Toxizitäts- „der derzeitige Ansatz zeitaufwendig und Sciences, Engineering, and Medicine ein prüfung grundlegend verändern – von kostspielig ist und zu einem überlasteten wegweisendes Dokument mit dem Titel einem System auf der Grundlage von System führt, in dem viele Chemikalien „Toxicity Testing in the 21st Century: A Versuchen am Tier als Ganzes hin zu
Eine Strategie zur Modernisierung der Forschung und zum Ausstieg aus Tierversuchen 13 einem System, das in erster Linie auf In- eine Art und Weise gestört werden um auf diesen Wegen Reaktionen vitro-Methoden beruht, mit denen können, die zu gesundheitlichen hervorzurufen.69 Änderungen in biologischen Prozessen Problemen führen kann. Der neue unter Verwendung von Zellen und Versuchsansatz konzentriert sich vor Indem wir den Einsatz von Tierversuchen Zelllinien oder zellulären Bestandteilen, allem auf Toxizitätspfade, sogenannte zu regulatorischen Zwecken, für die ein vorzugsweise menschlichen Ursprungs, Adverse Outcome Pathways (AOP). Es vollständiger Ersatz vorhanden ist, bewertet werden. Mit den handelt sich dabei um zelluläre Prozesse, uneingeschränkt vermeiden und die vorgeschlagenen Änderungen lassen sich die voraussichtlich nachteilige Akzeptanz der derzeit in der Entwicklung bessere Daten über die potenziellen Auswirkungen auf die Gesundheit haben, befindlichen Methoden fördern, können Risiken generieren, denen Menschen wenn sie entsprechend gestört werden. wir das Paradigma vorgeschriebener durch Umwelteinflüsse wie Pestizide Das Komitee empfiehlt die Verwendung Versuche weiter in Richtung innovativer ausgesetzt sind. Das schafft eine stärkere von Hochdurchsatz-Assays (schnelle, tierfreier Techniken verlagern und damit wissenschaftliche Grundlage zur automatisierte Experimente, mit denen in der Anwendung dieser Methoden Verbesserung regulatorischer Hunderte oder Tausende von weltweit eine führende Position Entscheidungen, um diese Risiken zu Chemikalien in einem breiten einnehmen. In den Anhängen zu diesem senken. Zudem lassen sich Zeit, Geld und Konzentrationsbereich getestet werden Bericht werden Möglichkeiten erörtert, die Zahl der in Versuchen eingesetzten können), um die Auswirkungen von die Verwendung von Tieren in Tiere verringern. Chemikalien auf diese Toxizitätspfade zu vorgeschriebenen Versuchen sofort oder bewerten. Auf der Grundlage der Daten innerhalb der nächsten zwei bis zehn Der Bericht empfiehlt einen Ansatz, der aus diesen und anderen Experimenten Jahre einzustellen. Dazu gehören das sich rasant entwickelnde wissen- könnten die Forscher Modelle zur Versuche zu akuten systemischen schaftliche Verständnis bezüglich der Art Beschreibung der Reaktionen auf Erkrankungen, Genotoxizität und und Weise nutzt, wie Gene, Proteine und Toxizitätspfade entwickeln sowie Pyrogenität, Impfstoff- und Biologika- kleine Moleküle interagieren, um eine Modelle zur Abschätzung der Tests, Versuche zu endokrinen normale Zellfunktion zu erhalten, und erforderlichen menschlichen Exposition, Störungen und zu Karzinogenität. wie einige dieser Wechselwirkungen auf VI. Öffentliche Meinung und die Leidensfähigkeit der Tiere Die öffentliche Ablehnung der tierexperimentellen Forschung gehört zu den wesentlichen Triebkräften für eine Änderung des Rechtsrahmens. Beispielsweise wurde das Verbot von Tierversuchen für Kosmetika und der Vermarktung von an Tieren getesteten Kosmetikprodukten nach immensem öffentlichem und politischem Druck in ganz Europa in die EU-Kosmetikverordnung aufgenommen – beruhend auf der grundlegenden Überzeugung, dass der Schaden, der den Tieren in Versuchen zugeführt wird, nicht durch den potenziellen Nutzen neuer Kosmetika aufgewogen werden kann.70 Eine YouGov-Umfrage aus dem zum Ausstieg aus Tierversuchen in „Cambridge Declaration on Jahr 2009, die in sechs EU-Ländern Deutschland zu entwickeln.72 Außerdem Consciousness“. Darin erklärten die durchgeführt wurde, ergab eine befürworteten 74 Prozent der Befragten Forscher ausdrücklich, dass „nicht nur überwältigende Ablehnung von in einer von der britischen Regierung in Menschen die neurologischen Tierversuchen: 89 Prozent der Befragten Auftrag gegebenen Umfrage verstärkte Grundlagen besitzen, die zur Ausbildung aus Deutschland sprachen sich für ein Anstrengungen zur Entwicklung von von Bewusstsein führen“ und dass, Verbot aller Versuche aus, bei denen Alternativen zu Tierversuchen.73 ähnlich wie der Mensch, auch Tiere starken Schmerzen und Leiden „nichtmenschliche Tiere über die ausgesetzt sind.71 Daneben ist auch die Angesichts der wachsenden Erkenntnis Fähigkeit […] zu intentionalem Verhalten öffentliche Unterstützung für zur Empfindungsfähigkeit der Tiere ist verfügen“.74 Die Erklärung verdeutlicht, Investitionen in tierfreie Testmethoden der öffentliche Widerstand gegen dass die Erkenntnis der Empfindungs- hoch: In einer von Ärzte gegen Tierversuche nicht überraschend. Im fähigkeit der Tiere auch in der wissen- Tierversuche e.V. beauftragten Forsa- Jahr 2012 unterzeichnete eine Gruppe schaftlichen Gemeinschaft zunimmt. Umfrage unterstützten 69 Prozent der anerkannter internationaler Statistiken zeigen, dass Tiere in der Befragten die Forderung, eine Strategie Neurowissenschaftler die sogenannte biomedizinischen Forschung kein
14 Research Modernisation Deal Die Statistik zeigt, dass Tiere in der biomedizinischen Forschung kein empfindungsfähiger Tiere, der Verletzungen, Schmerzen, Leid, geeignetes Abbild für den menschlichen Organismus darstellen. Doch belastende Gefangenhaltung, im Hinblick auf ihre Leidensfähigkeit stellt sich die Frage: Wie sehr Manipulation, Handel und Tod umfasst, müssen sie dem Menschen entsprechen, bevor eine kritische sollte eigentlich unvorstellbar sein. Doch Hinterfragung der tierexperimentellen Forschung als zwingend Tierversuche sind genau das – die ‚Normalisierung des Unvorstellbaren‘“, erforderlich erachtet wird? so die Autoren des Berichts. Sie kommen zu dem Schluss, dass Tierversuche im geeignetes Abbild für den menschlichen Mehr als 150 Wissenschaftler, Widerspruch zu allem stehen, was wir Organismus darstellen. Doch im Hinblick Intellektuelle und Schriftsteller heute über die Fähigkeiten von Tieren auf ihre Leidensfähigkeit stellt sich die unterstützten zudem einen Bericht des wissen. Tiere können nicht nur Frage: Wie sehr müssen sie dem Oxford Centre for Animal Ethics, der Schmerzen empfinden, sondern auch Menschen entsprechen, bevor eine Tierversuche als ethisch und unter Schock, Angst, böser Vorahnung, kritische Hinterfragung der wissenschaftlich nicht vertretbar Trauma, Sorge, Stress, Kummer und tierexperimentellen Forschung als verurteilt.75 „Der vorsätzliche und Schrecken leiden. zwingend erforderlich erachtet wird? routinemäßige Missbrauch unschuldiger, VII. Weltweite Führungsposition Weltweit sind Bewegungen zu verzeichnen, die den wachsenden Konsens in der wissenschaftlichen Gemeinschaft widerspiegeln, dass die Verwendung von Tieren in der biomedizinischen Grundlagenforschung oder für die Anforderungen der regulatorischen Bewertung weder ethisch noch wissenschaftlich vertretbar ist. In vielen Teilen der Welt sind grausame und tödlich endende Tierversuche für Kosmetika mittlerweile illegal oder entsprechende Verbote sind in der Entwicklung. Darüber hinaus wurden Tierversuche für Haushaltsprodukte und deren Inhaltsstoffe in Israel und Indien bereits verboten. In Großbritannien hat das britische Innenministerium strenge Beschränkungen bezüglich der Verwendung von Tieren für solche Versuche auferlegt. 76 Die britische Gesundheits- und Sicherheitsbehörde (Health and Safety Executive) hat zudem Tierversuche für Pflanzenschutzmittel erheblich eingeschränkt. 77 In Deutschland untersagt das Tierschutzgesetz grundsätzlich Tierversuche zur Entwicklung von Tabakerzeugnissen, Waschmitteln und Kosmetika.78 „Der vorsätzliche und routinemäßige Missbrauch unschuldiger, empfindungsfähiger Tiere, der Verletzungen, Schmerzen, Leid, belastende Gefangenhaltung, Manipulation, Handel und Tod umfasst, sollte eigentlich unvorstellbar sein. Tierversuche sind jedoch genau das – die „Normalisierung des Unvorstellbaren.“ – Oxford Centre for Animal Ethics Die niederländische Regierung gab Ende Standardverfahren betonte. Der Bericht keine Tierversuche an Säugetieren mehr 2016 ihren Beschluss bekannt, des Komitees zum Übergang der zu finanzieren bzw. zu verlangen. Zudem Tierversuche für Toxizitätsprüfungen von Niederlande zu einer tierfreien soll die Entwicklung tierfreier Methoden Chemikalien, Lebensmittelzutaten, Forschung umfasste das Ziel, dass das mit umgerechnet 3,8 Mio. Euro Pestiziden, Tierarzneimitteln und Land im Bereich der tierfreien Innovation unterstützt werden.80 Impfstoffen bis 2025 einzustellen. Die in der angewandten und translationalen Entscheidung fiel, nachdem das Forschung international eine führende Solche Veränderungen sind erforderlich, niederländische nationale Komitee für Rolle einnehmen soll.79 damit die Qualität der biomedizinischen den Schutz von Tieren, die zu Forschung und der regulatorischen wissenschaftlichen Zwecken verwendet Die US-amerikanische Bewertung verbessert wird und die werden (NCad), die Notwendigkeit eines Umweltschutzbehörde EPA kündigte Europäische Union sich als Paradigmenwechsels in Form einer 2019 an, die Zahl der Versuche an Weltmarktführer für innovative und Abkehr von Tierversuchen als Säugetieren bis 2025 um 30 Prozent zu überlegene Forschungs- und verringern und bis zum Jahr 2035 gar Versuchsmethoden bewähren kann.
Eine Strategie zur Modernisierung der Forschung und zum Ausstieg aus Tierversuchen 15 VIII. Maßnahmenplan: Empfehlungen zur Modernisierung der wissenschaft- lichen Forschung und Prüfung 1. Die Verwendung von Tieren sollte in jenen Forschungsbereichen unverzüglich eingestellt werden, in denen sich die Ergebnisse aus Tierversuchen nachweislich schlecht auf den Menschen übertragen lassen und in denen Tierversuche den Fortschritt behindern. Überprüfungen haben wiederholt nachgewiesen, dass Tierversuche in bestimmten Bereichen auf ganzer Linie versagen, wenn es um den Nutzen für die menschliche Gesundheit geht. Zu diesen Bereichen gehören neurodegenerative und neuropsychiatrische Erkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfälle, Krebs, Diabetes und Adipositas, Entzündungen und Immunreaktionen, die HIV-/AIDS-Forschung, Suchtstudien, die Traumaforschung und die medizinische Ausbildung. Daher sollten Tierversuche in diesen Gebieten schnellstmöglich beendet und durch wirksamere und effizientere tierfreie Methoden ersetzt werden. Im englischsprachigen Anhang werden diese Bereiche eingehender behandelt und entsprechende Empfehlungen ausgesprochen. 2. Mithilfe von kritischen wissenschaftlichen Untersuchungen sollten jene Bereiche ermittelt werden, in denen Tierversuche ebenfalls umgehend eingestellt werden können. In Untersuchungsbereichen, in denen noch Zweifel daran bestehen, dass der Einsatz von Tieren nicht zielführend ist, sollte eine gründliche systematische Überprüfung durchgeführt werden, um die Wirksamkeit von Tierversuchen zu bestimmen. Systematische Überprüfungen, in denen verschiedene Forschungsstudien kritisch analysiert werden, sind der erste Schritt zur Beurteilung der Wirksamkeit der tierexperimentellen Forschung. Einige Länder, darunter die Niederlande, schreiben vor, dass systematische Überprüfungen durchgeführt werden müssen, bevor Tierversuche finanziert werden können. Wissenschaftler des Universitätsklinikums der niederländischen Radboud-Universität haben vor diesem Mandat die folgende Erklärung veröffentlicht: „Wie bei klinischen Studien mit Menschen liegt es in unserer wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Verantwortung, auch bei Tierversuchen systematische Überprüfungen routinemäßig durchzuführen. […] Förderorganisationen sollten systematische Überprüfungen anregen und finanzieren. […] Systematische Überprüfungen bringen Unzulänglichkeiten bezüglich der Methodik einzelner Studien ans Licht. Dies trägt dazu bei, das zukünftige Studiendesign zu verbessern und die Fehlerrate bei Tierversuchen mit neuen Arzneimitteln zu senken. Insbesondere können Förderorganisationen im Rahmen einer Finanzierung systematische Überprüfungen von Tierversuchen anordnen. Dies ermöglicht eine stärker evidenzbasierte Auswahl der Tiermodelle und bietet einen besseren Schutz für menschliche Patienten.“81 Darüber hinaus schreibt Artikel 58 der Richtlinie 2010/63/EU vor, dass die Europäische Kommission regelmäßige Überprüfungen in Bezug auf die Verwendung von Tieren in wissenschaftlichen Verfahren durchführt, wodurch ein klarer Mechanismus zur Förderung des Ersatzes von Tieren in wissenschaftlichen Verfahren bereitgestellt wird. Um mit wissenschaftlichen Innovationen Schritt halten zu können, ist es sehr wichtig, dass dieser Prozess fokussiert und zeitnah abläuft. Um das Potenzial des Prozesses zu maximieren, ist es entscheidend, dass dies in Absprache mit den Mitgliedstaaten und anderen Interessenvertretern erfolgt. 3. Es sollten transparente, aussagekräftige prospektive und retrospektive Bewertungen gemäß der Richtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2010 zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere durchgeführt werden. Gemäß Richtlinie 2010/63/EU müssen Anträge auf die Durchführung von Tierversuchen beurteilt werden, um sicherzustellen, dass verfügbare alternative Techniken und Testmethoden uneingeschränkt genutzt werden. Zudem soll geprüft werden, ob das Ausmaß der Schmerzen, Ängste und Leiden, die den Tieren wahrscheinlich zugefügt werden, durch das erwartete Ergebnis gerechtfertigt sind.82 Auch wenn diese Projektbeurteilungen im Allgemeinen durch staatliche Stellen vorgenommen werden, bieten sie zumindest die Möglichkeit für die Durchführung einer Bewertung nach ethischen Erwägungen. Dennoch kam eine kürzlich durchgeführte
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