Research Modernisation Deal - 2020 Eine Strategie zur Modernisierung der Forschung - Peta

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Research Modernisation Deal - 2020 Eine Strategie zur Modernisierung der Forschung - Peta
Research
                                 Modernisation Deal
                                 Eine Strategie zur Modernisierung der Forschung
                                       und zum Ausstieg aus Tierversuchen

                                                           2020
© iStock.com/ ClaudioVentrella

                                       People for the Ethical Treatment of Animals • PETA Deutschland e.V.
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Version 1.1 • Aktualisiert: 13. Mai 2020
Research Modernisation Deal - 2020 Eine Strategie zur Modernisierung der Forschung - Peta
Research
Modernisation Deal
Eine Strategie zur Modernisierung
der Forschung und zum Ausstieg
aus Tierversuchen

PETA Deutschland e.V. (PETA)
Research Modernisation Deal - 2020 Eine Strategie zur Modernisierung der Forschung - Peta
4                                               Research Modernisation Deal

Zusammenfassung
Erstaunliche Fortschritte in der Entwicklung von Technologien führen heutzutage zu grundlegenden
Veränderungen in der biomedizinischen Forschung und bei regulatorischen Prüfverfahren.

Eine entsprechende Weiterentwicklung ist auch in den kommenden Jahren zu erwarten. Bislang stützte sich die Forschung auf die
Verwendung von Tieren zur Abbildung menschlicher Krankheiten oder zur Vorhersage von Reaktionen des Menschen auf
Medikamente oder andere Substanzen. Doch derzeit vollzieht sich ein Wandel hin zu Methoden, die auf der menschlichen Biologie
basieren – ein Umbruch, der weltweit zu Veränderungen in Politik und Praxis führt. Bei Forschungsförderern wächst das
Bewusstsein, dass Tierversuche nicht dazu geeignet sind, die Wirksamkeit und das toxikologische Risiko von potenziellen
Wirkstoffen zu ermitteln, und dass sie zudem die Entwicklung potenzieller Heilmittel behindern. In der heutigen Medikamenten-
entwicklung, die auf Tierversuchen basiert, versagen etwa 95 Prozent der neuen Medikamente in nachfolgenden klinischen Studien
am Menschen. Zudem dauert die Markteinführung 10 bis 15 Jahre und verursacht Kosten in Höhe von mehr als 2 Mrd. Euro. Diese
hohen Durchfallquoten lassen sich weder wirtschaftlich noch ethisch rechtfertigen. Bemühungen für eine grundlegende
Veränderung der Forschungslandschaft sind daher dringend erforderlich.

Die folgenden wichtigen Punkte sollten berücksichtigt werden:

    •    Systematische Reviews, die in Fachzeitschriften veröffentlicht wurden, belegen die Einschränkungen bei der
         Übertragung von Ergebnissen aus Tierversuchsstudien auf die Behandlung von Menschen in zahlreichen
         Therapiebereichen. Weniger als 10 Prozent aller scheinbar vielversprechenden Ergebnisse aus der
         Grundlagenforschung werden innerhalb von 20 Jahren routinemäßig klinisch eingesetzt.
    •    Zwischen 50 und 89 Prozent der Ergebnisse aus der präklinischen Forschung sind nicht reproduzierbar, wobei
         Tierversuche einen ernstzunehmenden Problembereich darstellen.
    •    Bedeutende wissenschaftliche Erfolge in verschiedenen Therapiegebieten wie Diabetes und Brustkrebs
         stützen sich auf klinische Studien von menschlichen Krankheiten mit Patienten. Anhand von Tierversuchen
         wären diese Erfolge nicht möglich gewesen.

Es ist zunehmend erkennbar, dass sich Ergebnisse aus Tierversuchen nicht zuverlässig auf die medizinische Behandlung von
Menschen übertragen lassen. Daneben beobachten wir auch die fortschreitende Entwicklung und Implementierung von Alternativ-
technologien, die Tierversuche ablösen. Doch vor allem wächst in unserer Gesellschaft ein Bewusstsein für das moralische Dilemma
von Tierversuchen.

Öffentliche, private und gemeinnützige Fördergeber müssen ihre Budgets für Tierversuche kürzen und die Gelder stattdessen für
tierfreie Methoden einsetzen. Um die Verwendung von Tieren in Versuchen zu beenden, empfehlen wir die Erarbeitung einer
Strategie, die die folgenden entscheidenden Schritte umfasst:

    1.   In Bereichen, in denen sich die Ergebnisse aus Tierversuchen nachweislich schlecht und unzuverlässig auf
         den Menschen übertragen lassen und in denen Tierversuche den Fortschritt behindern, sollte die
         Verwendung von Tieren unverzüglich eingestellt werden.

    2.   Mithilfe von kritischen wissenschaftlichen Untersuchungen sollten jene Bereiche ermittelt werden, in
         denen die Durchführung von Tierversuchen die menschliche Gesundheit nicht vorangebracht hat. Der
         Einsatz von Tieren in diesen Bereichen sollte daher allmählich eingestellt werden.

    3.   Es sollten transparente, aussagekräftige prospektive und retrospektive Bewertungen gemäß der Richtlinie
         2010/63/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2010 zum Schutz der für
         wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere durchgeführt werden.

    4.   In weltweiter Zusammenarbeit mit Behörden und Einrichtungen sollte eine Harmonisierung und Förderung
         der internationalen Akzeptanz von tierversuchsfreien Verfahren zur Erfüllung der gesetzlichen
         Anforderungen an Toxizitätsprüfungen erfolgen.

    5.   Die finanzielle Förderung sollte umverteilt werden – von Tierversuchen hin zur Entwicklung tierfreier
         Testverfahren.
Eine Strategie zur Modernisierung der Forschung und zum Ausstieg aus Tierversuchen        5

Inhaltsverzeichnis
I.     Einleitung                                                                                    6

II.    Eingeschränkte Voraussagefähigkeit von Tierversuchen in der Forschung                         7
       i. Fehlende Aussagekraft                                                                      7
       ii. Mangelnde Übertragbarkeit                                                                 8

III.   Die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels                                                    9

IV.    Chancen für wirtschaftlichen Fortschritt                                                     10
       i. Die hohen Kosten der Arzneimittelentwicklung                                              10
       ii. Beschäftigungs- und Wirtschaftswachstum im Technologiesektor                             12

V.     Regulatorische Möglichkeiten zur Beurteilung der humanen Toxizitätsprüfung 12

VI.    Öffentliche Meinung und die Leidensfähigkeit der Tiere                                       13

VII. Weltweite Führungsposition                                                                     14

VIII. Maßnahmenplan: Empfehlungen zur Modernisierung der wissenschaftlichen
      Forschung und Prüfung                                                                         15
       1. Die Verwendung von Tieren sollte in jenen Forschungsbereichen unverzüglich
          eingestellt werden, in denen sich die Ergebnisse aus Tierversuchen nachweislich
          schlecht auf den Menschen übertragen lassen und in denen Tierversuche den
          Fortschritt behindern.                                                                    15
       2. Mithilfe von kritischen wissenschaftlichen Untersuchungen sollten jene Bereiche
          ermittelt werden, in denen Tierversuche ebenfalls umgehend eingestellt werden
          können.                                                                                   15
       3. Es sollten transparente, aussagekräftige prospektive und retrospektive Bewertungen
          gemäß der Richtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom
          22. September 2010 zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten
          Tiere durchgeführt werden.                                                         15
       4. Die Harmonisierung und Förderung der internationalen Akzeptanz von
          tierversuchsfreien Verfahren zur Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen an
          Toxizitätsprüfungen sollte vorangebracht werden.                                          16
       5. Die finanzielle Förderung von Tierversuchen sollte reduziert und die Mittel für
          tierfreie Testverfahren sollten aufgestockt werden.                                       17

Literaturverzeichnis                                                                                18

Anhang (in Englisch)                                                                                21
6                                             Research Modernisation Deal

I.       Einleitung
„Wenn man über Fortschritte in der Medizin liest, hat man oft den Eindruck, dass
          der lang erwartete Durchbruch bei Krebs, Alzheimer, Schlaganfall,
                Arthrose und unzähligen weniger verbreiteten Krankheiten
                  direkt hinter der nächsten Ecke wartet. Aber es stellt sich
                   heraus, dass wir in einer Welt mit sehr vielen Ecken leben.“1
                              Diese Feststellung des Wissenschaftsjournalisten und Bestsellerautors Richard Harris
                              findet in den Herzen und Köpfen jedes Menschen Resonanz, der an einer unheilbaren
                             Krankheit leidet oder jemanden kennt, der von einer solchen betroffen ist. Die US-
                            amerikanischen National Institutes of Health (NIH), der weltweit größte Geldgeber für
                          biomedizinische Forschung, berichtet, dass „die Medikamenten-Durchfallquote [bei neuen
                      Arzneimitteln] in klinischen Studien am Menschen bei etwa 95 Prozent liegt“2 – und das,
                 obwohl diese Arzneimittel in präklinischen Tierversuchen für sicher und wirksam befunden wurden.

In der EU wird mit verschiedenen          Die Akzeptanz tierfreier Techniken in      dass die Grundsätze des 3R-Prinzips –
Ansätzen versucht, dieses Problem zu      einer Region oder einem Land ebnet den     Replace (Vermeiden), Reduce
lösen. Auf mitgliedstaatlicher Ebene      Weg für die internationale Harmonisier-    (Verringern) und Refine (Verbessern) –
haben sowohl die Niederlande3 als auch    ung und weitere gesetzliche Abschaffung    bei der Durchführung von Tierversuchen
das Vereinigte Königreich4 staatlich      von Tierversuchen. Insbesondere in den     innerhalb des rechtlichen Rahmens zur
unterstützte Strategien zur Reduzierung   letzten 20 Jahren wurden erhebliche        Anwendung kommen. Die Richtlinie
und zum Ersatz von Tierversuchen          Fortschritte bei der Entwicklung,          erkennt letztlich an, dass das endgültige
entwickelt. Auf EU-Ebene setzt sich das   Validierung, Implementierung und           Ziel darin besteht, alle
Referenzlabor der Europäischen Union      behördlichen Zulassung tierfreier          wissenschaftlichen Verfahren, bei denen
für alternative Methoden zu Tier-         Technologien für die Bewertung von         Tiere eingesetzt werden, zu ersetzen –
versuchen (EURL ECVAM) dafür ein,         menschlichen Gesundheitsendpunkten         sowohl für die biomedizinische
Tierversuche sowohl in der biomedizini-   verzeichnet, darunter Hautreizung und -    Grundlagenforschung als auch zur
schen Forschung als auch in Toxizitäts-   verätzung, schwere Augenschäden,           Erfüllung regulatorischer
tests mit tierfreien Methoden zu          Hautempfindlichkeit, Hautresorption und    Anforderungen.6
ersetzen. So hat das EURL ECVAM           Phototoxizität. Daneben wurden auch als
beispielsweise eine Studie zur Über-      besonders grausam bekannte inter-          Zur Verwirklichung dieses Ziels stellen
prüfung der Verwendung alternativer       nationale Testrichtlinien abgeschafft,     wir mit diesem Bericht ein Konzept für
Methoden in der biomedizinischen          zum Beispiel Test Nr. 401 der              die Ablösung von Tierversuchen vor. Wir
Forschung in Auftrag gegeben. Das         Organisation für wirtschaftliche Zusam-    benennen strategische Prioritäten und
Referenzlabor wies darauf hin, dass „es   menarbeit und Entwicklung (OECD) –         ergänzen diese mit weiteren
daher wichtig ist, die Anwendung          auch bekannt als LD50-Test. Es gibt        Informationen zu Bereichen der
alternativer Methoden zu fördern, um      heute Möglichkeiten, die Anwendung         regulatorisch vorgeschriebenen
die erhebliche Abhängigkeit von           validierter, tierfreier Testmethoden für   (gesetzlich erforderlichen) und nicht-
Tierversuchen bei der Durchführung von    die regulatorische Bewertung zu            regulatorisch vorgeschriebenen
Forschungsarbeiten zu bekämpfen“.         verstärken und zu harmonisieren. Indem     Forschung hinzu, in denen die
Ergänzend bemerkte das EURL ECVAM:        wir diese Verfahren anwenden, können       Durchführung von Tierversuchen
„Alternativmethoden versprechen, die      wir im entsprechenden rechtlichen          unverzüglich bzw. in naher Zukunft
menschliche Physiologie effektiver        Rahmen einen besseren Schutz der           ersetzt werden könnte. Der Bericht
nachbilden zu können als viele            menschlichen Gesundheit und der            enthält zudem Informationen zu
Tiermodelle. Die Umstellung auf neue      Umwelt gewährleisten.                      Bereichen, in denen die Weiter-
tierfreie Methoden und Forschungs-                                                   entwicklung, Validierung und
strategien kann daher zu einem besseren   Die Richtlinie 2010/63/EU des              Implementierung von tierfreien
Verständnis der humanspezifischen         Europäischen Parlaments und des Rates      Testmethoden erforderlich ist.
Biologie und von menschlichen Krank-      vom 22. September 2010 zum Schutz der
heiten führen.“5                          für wissenschaftliche Zwecke
                                          verwendeten Tiere soll gewährleisten,
Eine Strategie zur Modernisierung der Forschung und zum Ausstieg aus Tierversuchen                            7

II. Eingeschränkte Voraussagefähigkeit von
Tierversuchen in der Forschung
                Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass Tierversuche fehlerhaft sind und darüber
                      hinaus anderen Testmethoden, die auf dem Weg zur Heilung menschlicher Krankheiten besser
                        geeignet sind, sowohl finanzielle als auch intellektuelle Ressourcen vorenthalten. Die Tatsache,
                         dass Tierversuche keine zuverlässige Vorhersage über die Wirkung einer Substanz beim
                         Menschen erlauben, beruht auf verschiedenen Faktoren. Dazu gehören unter anderem eine
                         verzerrte Darstellung der Datenlage bei der Berichterstattung und Veröffentlichung, ein
                         undurchdachtes Studiendesign und eine unzureichende Stichprobengröße.7 Der entscheidende
                       Faktor ist jedoch die Tatsache, dass die Ergebnisse aus Tierversuchen aufgrund von immanenten
                     biologischen und genetischen Unterschieden schwer auf den Menschen übertragen werden
               können – selbst mit einem optimal kontrollierten und bestmöglich durchgeführten Studiendesign.

i. Fehlende Aussagekraft
Probleme mit der internen und externen      häufig auf der Grundlage der Ergebnisse     niemals eine externe Validität erreicht
Validität tragen dazu bei, dass sich        aus Tierversuchen gerechtfertigt. Unsere    werden. Externe Validität bezeichnet das
Erkenntnisse aus der biomedizinischen       Ergebnisse lassen darauf schließen, dass    „Ausmaß, in dem sich Forschungs-
Forschung, die mittels Tierversuchen        Tierversuche, deren Resultate               ergebnisse aus einem Setting, einer
gewonnen wurden, nicht aus dem              unangemessen verzerrt wurden, nicht         Population oder einer Art zuverlässig auf
Forschungslabor in die klinische            Teil der Begründung für klinische Studien   andere Settings, Populationen und Arten
Anwendung am Patienten übertragen           am Menschen sein sollten.“10                übertragen lassen“.12
lassen. Die interne Validität von
Tierversuchen wird durch ein schlechtes                                                 Aufgrund inhärenter Unterschiede
                                              Eine Untersuchung aus dem                 zwischen Mensch und Tier können
Studiendesign beeinträchtigt,
beispielsweise wenn Tierversuchsleiter      Jahr 2015 ergab, dass zwischen              nichtmenschliche Tiere nicht als Analoga
keine Maßnahmen zur Vermeidung von               50 und 89 Prozent der                  dienen, um die spezifischen biologischen
Voreingenommenheit implementieren,          präklinischen Forschung, die zu             Details, die zur Entwicklung sicherer und
wie z. B. die Anonymisierung der Proben                                                 wirksamer Arzneimittel für den
                                            einem großen Teil Tierversuche
vor der Datenanalyse. Nach einer Meta-                                                  Menschen erforderlich sind, zu
                                              umfasst, nicht reproduziert               verstehen. Laut Wall und Shani können
Analyse systematischer Reviews vor-
klinischer Tierversuche in                          werden konnte.                      selbst „extrapolierte Ergebnisse von
verschiedensten Therapiebereichen                                                       Studien mit zig Millionen Tieren die
stellten Wissenschaftler der Universität                                                Reaktion beim Menschen nicht genau
                                            Eine schlechte interne Validität führt
Oxford fest, dass der Nutzen von                                                        vorhersagen“.13
                                            dazu, dass viele Tierversuche nicht
untersuchten Behandlungsmethoden            reproduziert werden können. Dies ist
                                                                                        In einem Review im Journal of
aufgrund fehlender Maßnahmen zur            jedoch ein zentraler Aspekt des wissen-     Translational Medicine aus dem Jahr
Verringerung der Ergebnisverzerrung aus     schaftlichen Prozesses, der auf die         2018 bezeichnen Pandora Pound und
Tierversuchen wahrscheinlich über-          potenzielle Validität von Ergebnissen
                                                                                        Merel Ritskes-Hoitinga die Spezies-
schätzt wird.8 Die Autoren schlussfolger-   hinweist. Es ist daher nicht verwunder-
                                                                                        unterschiede als unüberwindbares
ten: „Verzerrte Ergebnisse aus der          lich, dass eine Untersuchung aus dem        Problem für die externe Validität
tierexperimentellen Forschung liefern       Jahr 2015 ergab, dass zwischen 50 und
                                                                                        präklinischer Tiermodelle.14 Versuche,
mit geringerer Wahrscheinlichkeit           89 Prozent der präklinischen Forschung,
                                                                                        die Speziesunterschiede zu kontrollieren
vertrauenswürdige Ergebnisse oder           die zu einem großen Teil Tierversuche       oder zu korrigieren, führen zu einem, wie
stichhaltige Gründe für eine Forschung,     umfasst, nicht reproduziert werden          die Autoren es nennen, „Extrapolator’s
die dem Menschen zugutekommt.               konnte.11                                   Circle“ (Extrapolationskreis): „Wenn wir
Daneben verursachen sie eine
                                                                                        feststellen wollen, ob die
Verschwendung von knappen                   Die Defizite von Tierversuchen lassen
                                                                                        Wirkungsweiseeiner Substanz bei Tieren
Ressourcen.“9 Die Wissenschaftler           sich jedoch nicht einfach durch eine
                                                                                        der Wirkungsweise der Substanz beim
sprachen zudem folgende Empfehlung          Verbesserung des Studiendesigns
                                                                                        Menschen hinreichend ähnlich ist,
aus: „Studien am Menschen werden            beheben, denn mit Tierversuchen kann
8                                                Research Modernisation Deal

um eine Extrapolation zu                 ii. Mangelnde Übertragbarkeit
rechtfertigen, müssen wir die
                                         Angesichts des Problems der schlechten Validität und Reproduzierbarkeit von
entsprechende Wirkungsweise beim
                                         Tierversuchen ist es nicht verwunderlich, dass sich die Ergebnisse aus Tierversuchen
Menschen kennen. Und wenn wir die
                                         häufig nicht klinisch relevant auf menschliche Patienten übertragen lassen. Wie bereits
Wirkungsweise beim Menschen
                                         erwähnt, versagen laut den NIH neue Medikamente „in rund 95 Prozent der Studien am
bereits kennen, dann dürfte der
                                         Menschen“20 – obgleich sie in präklinischen Tierversuchen für sicher und wirksam
anfängliche Tierversuch überflüssig
                                         befunden wurden.
gewesen sein.“ Die Autoren befassen
sich auch mit der besorgnis-             John Ioannidis, Professor für Medizin,                   Weniger als 10 Prozent
erregenden Entwicklung unter             Gesundheitsforschung und Gesundheitspolitik
Personen, die an Tierversuchen           an der US-amerikanischen Universität Stanford,
                                                                                                        aller scheinbar
beteiligt sind, die Frage des Spezies-   wollte beurteilen, ob die biomedizinische                  vielversprechenden
unterschieds und die Auswirkungen        Grundlagenforschung ihre Versprechen erfüllt                Ergebnisse aus der
auf die externe Validität zu ver-        oder nicht. Hierzu ermittelte er gemeinsam mit            Grundlagenforschung
harmlosen – ein Problem, das jedoch      Kollegen 101 Artikel, die in den
von einer Reihe von Forschern                                                                      werden innerhalb von
                                         renommiertesten medizinischen
durchaus anerkannt wird.16,17 Wie        Fachzeitschriften veröffentlicht wurden und in           20  Jahren routinemäßig
Pound and Ritskes-Hoitinga weiter        denen die Autoren ausdrücklich erklärten, dass              klinisch eingesetzt.
ausführen, ist es nicht verwunder-       ihre Forschung zu neuen Anwendungsgebieten
lich, dass die Frage des Spezies-        mit realistischem Potenzial für einen klinischen Durchbruch führen würde. Der Großteil
unterschieds heruntergespielt wird,      der analysierten Artikel (63 Prozent) bezog sich auf Tierversuche.
da sich die Experimentatoren
ansonsten mit der „Möglichkeit           Die Untersuchungen von Professor Ioannidis und seinen Kollegen hinsichtlich der
auseinandersetzen müssten, dass          Übertragung der Grundlagenforschung auf die klinische Anwendung ergab, dass weniger
das präklinische tierexperimentelle      als 10 Prozent aller vielversprechenden Ergebnisse aus der Grundlagenforschung
Forschungsparadigma nicht mehr viel      innerhalb von 20 Jahren routinemäßig klinisch eingesetzt werden.21
zu bieten hat“. Es besteht ein
wachsender wissenschaftlicher            Eine in der medizinischen wissenschaftlichen Fachzeitschrift The BMJ veröffentlichte
Konsens darüber, dass mit human-         beeindruckende Analyse aus dem Jahr 2014 hat ergeben, dass Tierversuche entgegen der
relevanten Forschungsmethoden            öffentlichen Wahrnehmung die Erkenntnisse auf dem Gebiet der menschlichen
und -technologien, die sich zur          Gesundheit nicht vertieft oder zur Entwicklung von Behandlungen für menschliche
Lösung von humanbiomedizinischen         Krankheiten geführt haben.22 Die Autoren weisen darauf hin: „Wenn die
und regulatorischen Bewertungs-          tierexperimentelle Forschung auch künftig die beim Menschen zu erwartende Wirkung
paradigmen besser eignen, weit           nicht zuverlässig prognostizieren kann, dann erscheint die weitere öffentliche Billigung
mehr erreicht werden kann als mit        und Finanzierung der präklinischen Forschung an Tieren unangebracht.“23
Tierversuchen. Wie eine kürzlich
veröffentlichte Branchenstudie              Eine Maus in einem Labor reagiert auf ein Medikament nicht auf die
hervorhob, ist es an der Zeit, die
                                            gleiche Weise wie eine Maus in der Natur. Wenn sich Mäuse im Labor
Entdeckung von Arzneimitteln und
die Toxikologie zu humanisieren.18
                                            und Mäuse in der Natur schon dermaßen unterscheiden, wie soll eine
Dies ist besonders relevant in              Maus im Labor dann die Biologie des Menschen zuverlässig abbilden?
Deutschland, dem größten Bio-
technologie-Markt nach den USA.19        Die Schwierigkeiten bei der Übertragung von Ergebnissen aus Tierversuchen auf
                                         menschliche Patienten werden durch die Gefangenhaltung der Tiere und die
                                         unnatürlichen Bedingungen im Versuchslabor weiter verschärft, da diese das natürliche
                                         Verhalten der Tiere beeinträchtigen.24 Das entbehrungsreiche Leben im Versuchslabor
                                         erhöht den Stresslevel der Tiere. Aufgrund der hierdurch veränderten Physiologie und
                                         Neurobiologie weisen die Tiere verschiedene Formen von Psychosen und Psychopathien
                                         auf.25,26,27,28,29 Darüber hinaus sind Tiere, die in Versuchslaboren ihre Physiologie und die
                                         Neurobiologie verändert haben, keine guten „Modelle“ für ihre Artgenossen in der freien
                                         Natur. Eine Maus in einem Labor reagiert auf ein Medikament nicht auf die gleiche Weise
                                         wie eine Maus in der Natur. Wenn sich Mäuse im Labor und Mäuse in der Natur schon
                                         dermaßen unterscheiden, wie soll eine Maus im Labor dann die Biologie des Menschen
                                         zuverlässig abbilden?
Eine Strategie zur Modernisierung der Forschung und zum Ausstieg aus Tierversuchen                             9

Beleg 1: Mangel an klinischem Erfolg
Die Erfolglosigkeit grundlegender und angewandter wissenschaftlicher tierexperimenteller Studien zeigt sich vielleicht am
deutlichsten in den zahllosen scheinbar vielversprechenden Behandlungen, die beim Menschen einfach nicht geholfen
haben. Schlaganfallstudien mit Tieren beispielsweise waren ein völliger Misserfolg. Forscher des Instituts für Schlaganfall-
und Demenzforschung in München haben die Defizite wie folgt beschrieben:

       „In Nagetiermodellen wurden mehr als 1.000 neuroprotektive Verbindungen getestet, um das
       Schlaganfallergebnis zu verbessern. […] Viele Wirkstoffe reduzierten tatsächlich die Schädigung des
       Gehirns (in den meisten Fällen gemessen als verringertes Infarktvolumen) in experimentellen
       Schlaganfall-Modellen mit Nagetieren. Von diesen wurden etwa 50 Neuroprotektiva in mehr als
       100 klinischen Schlaganfallstudien getestet, doch keiner der Wirkstoffe hat das Outcome bei klinischen
       Schlaganfallpatienten verbessert.“30

Onkologische Medikamente, die ebenfalls in Tierversuchen getestet werden, weisen eine Erfolgsquote von nur
3,4 Prozent auf.31 Dieses Problem tritt in vielen menschlichen Krankheitsbereichen auf. Eine Fülle an Literatur
dokumentiert den Misserfolg verschiedener Tiermodelle bei neurodegenerativen Erkrankungen, wie etwa Alzheimer, bei
denen die Ausfallrate für neue Arzneimittel in der klinischen Phase bei 99,6 Prozent liegt.32

                    III.            Die Notwendigkeit eines
                                    Paradigmenwechsels
                       Wenn wir unsere begrenzten öffentlichen Mittel verantwortungsvoll einsetzen wollen, dann
                        müssen wir eine Forschung fördern, die zu einer erfolgreichen Behandlung des Menschen führt –
                         sei es Grundlagenforschung oder angewandte Forschung. Doch obwohl alles darauf hindeutet,
                         dass die Entwicklung neuer Behandlungen und Heilmittel für menschliche Krankheiten durch
                         eine Grundlagen- und angewandte Forschung mithilfe von Tierversuchen erschwert wird, hat
                       diese Erkenntnis bislang keine ausreichende Überprüfung der Prioritäten bezüglich Forschung und
                      Förderung durch nationale und europäische Behörden zur Folge. Ein solcher Paradigmenwechsel ist
                  sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU von entscheidender Bedeutung.

   Einige Mitglieder der wissenschaftlichen    von Substanzen bei Tieren und               unserem ‚Drug Repurposing Program‘
   Gemeinschaft haben begonnen, sich für       Menschen. Dazu gehören auch viele           (Programm zur Neuorientierung
   Veränderungen einzusetzen. So unter-        Fälle, in denen erfolgsversprechende        bezüglich Arzneimittel) begegneten,
   stützten beispielsweise 15 Forscher der     Ergebnisse aus Tierversuchen nicht zu       möchten wir hiermit einen Ansatz zur
   US-amerikanischen Vanderbilt University     einer klinisch signifikanten Wirksamkeit    Diskussion stellen. Dieses Konzept dient
   den Einsatz eines evidenzbasierten          beim Menschen führten. Dies gilt insbe-     der Beurteilung dessen, wenn es
   Ansatzes, mit dem sich die Entwicklung      sondere für einige Behandlungsgebiete       angebracht ist, den ‚letzten Versuch
   nützlicher Medikamente für Patienten,       wie neurodegenerative, psychische           zuerst‘ durchzuführen, d. h. direkt mit
   die diese benötigen, beschleunigen          Krankheiten und Erkrankungen des            Studien am Menschen fortzufahren,
   lassen. Hierzu veröffentlichten sie einen   Zentralnervensystems sowie Sepsis- und      wenn es wahrscheinlich ist, dass Tier-
   Artikel aus dem Jahr 2017, der die          entzündliche Erkrankungen.                  versuche keine angemessenen Daten
   Abschaffung von Tierversuchen fordert,                                                  liefern, die sich auf Anwendungen von
   wenn eindeutige Beweise dafür               Die Komplexität der translationalen         Interesse für den Menschen übertragen
   vorliegen, dass die „Tiermodelle“ nicht     Forschung stellt eine bedeutende            lassen. Dies stellt ein erhebliches – aber
   nützlich oder aussagekräftig im Hinblick    Chance zur Erforschung neuer Ansätze        unserer Meinung nach vermeidbares –
   auf menschliche Krankheiten sind:           dar, die in erfolgreicher und effizienter   Hindernis bei der Einführung von
                                               Weise Ergebnisse hervorbringen, welche      Arzneimitteln dar.“33
   „In der Literatur finden sich zahlreiche    dem menschlichen Nutzen möglichst
   Beispiele für Widersprüche und Unstim-      nahe kommen. Gestützt auf einige            Die Abkehr des allgemeinen Konsens von
   migkeiten bezüglich der Wirkungsweise       anschauliche Beispiele, denen wir in        Tierversuchen lässt sich in verschiedenen
10                                               Research Modernisation Deal

Bereichen beobachten, beispielsweise in      Besorgnis über die mangelnde Übertrag-        Wissenschafts- und Technologiesektors
Publikationen zur beschränkten Aussage-      barkeit der tierexperimentellen For-          und zu einer schnelleren Amortisation
kraft von Tierversuchen34, in einer ver-     schung auf den Menschen zum Ausdruck          von Investitionen in der Arzneimittel-
stärkten Sensibilisierung der Gesellschaft   bringt“.37 Weiterhin erklärte er: „Wenn       forschung und -entwicklung führen.38
für die kognitiven Fähigkeiten und die       wir erkennen, dass die Abhängigkeit von       Wenn die Forschungsfinanzierung ihre
Empfindungsfähigkeit von Tieren35 und in     grundsätzlich unzulänglichen Tier-            Prioritäten hin zu humanrelevanten
der rasant schwindenden öffentlichen         modellen menschlicher Krankheiten in          Versuchsmethoden verlagert, können
Akzeptanz von Tierversuchen.36 Die           hohem Maße für klinisches Versagen            Patienten benötigte Behandlungen
Fachzeitschrift der Türkischen Gesell-       verantwortlich ist, dann ist es nicht sinn-   sicherer und wahrscheinlich in kürzerer
schaft für Gastroenterologie, Turkish        voll, diese Praxis weiter zu fördern. […]     Zeit erhalten.39 Da die staatliche
Journal of Gastroenterology, hat die         Stattdessen sollten humanrelevante            Förderung von Forschungsaktivitäten
Veröffentlichung von Studien, in denen       Ansätze intensiver entwickelt und             begrenzt ist, erschwert die Abhängigkeit
Tierversuche durchgeführt wurden,            genutzt werden.“                              von Tierversuchen eine Forschung, die
offiziell von ihren Websites verbannt.                                                     mit größerer Wahrscheinlichkeit
Der Herausgeber der Zeitschrift,             Bezeichnenderweise wird eine Abkehr           wirksame Medikamente und Heilmittel
Dr. Hakan Şentürk, schrieb, dass die         von der tierexperimentellen Forschung         hervorbringt.
neue Regelung die „wachsende                 zu einem erheblichen Wachstum des

IV. Chancen für wirtschaftlichen Fortschritt
                       i. Die hohen Kosten der Arzneimittelentwicklung
                       Mit einer Anordnung zur Abkehr von Tierversuchen und zum Einsatz fortschrittlicher wissen-
                       schaftlicher Methoden hat die EU die Möglichkeit, das Beschäftigungswachstum in den Bereichen
                       Wissenschaft und Technologie rasant zu steigern und die Kosten des Gesundheitswesens für die
                       Bevölkerung zu senken. Wie Meigs et al. in ihrem kürzlich erschienenen Review „Animal Testing
                       and Its Alternatives – the Most Important Omics Is Economics“ ausführen, hat sich eine
                       „Ökonomie alternativer Ansätze entwickelt, welche die klassischen Tierversuche übertreffen“.40

Auch die britische Fördergesellschaft        Ronaldson-Bouchard und Gordana                Arzneimittel wird durch die mangelnde
Innovate UK bezeichnet tierfreie             Vunjak-Novakovic, Wissenschaftler an          Reproduzierbarkeit präklinischer Studien
Technologien „als eine von mehreren          der US-amerikanischen Columbia                noch verstärkt. Eine kürzlich vom
neuen Technologien, die über das             University, unterstützen die In-vitro-        Komitee für Wissenschaft und
Potenzial verfügen, das künftige             Forschung an menschlichem Gewebe bei          Technologie (Science and Technology
Wirtschaftswachstum in Großbritannien        der Arzneimittelentwicklung. Sie              Committee) des britischen Unterhauses
voranzutreiben“. Die Agentur empfahl,        machten die folgenden Beobachtungen:          durchgeführte Untersuchung der
britische Unternehmen in die Lage zu                                                       wissenschaftlichen Integrität staatlich
versetzen, diese „neuen Geschäfts-           „Ebenso schädlich ist die vorsorgliche        finanzierter Forschungsaktivitäten
möglichkeiten“ nutzen zu können.41           Eliminierung potenziell kurativer neuer       unterstrich die aktuelle „Reproduzierbar-
                                             Medikamente, da sich deren schädliche         keitskrise“ und wies auf die steigende
Die Markteinführung eines neuen              Auswirkungen bei Tieren nicht unbedingt       Tendenz bezüglich Fehlverhalten und
Arzneimittels kann über 2 Mrd. Euro          auf den Menschen übertragen lassen.           Fehlern bei der Veröffentlichung hin.45
kosten und bis zu 15 Jahre dauern.42 Ein     Diese falsch-positiven und falsch-            Auch im Deutschlandfunk46 und im
Faktor für die hohen Forschungs- und         negativen Ergebnisse stellen eine             Laborjournal47 wurde darüber diskutiert,
Entwicklungskosten ist das beträchtliche     enorme finanzielle Belastung dar und          dass Voreingenommenheit und
Risiko, ein Produkt zu entwickeln, das       führen zu Entscheidungen, bei denen die       schlechte Statistik zu falsch-positiven
niemals zu einem marktfähigen Medi-          potenzielle Rentabilität eines                Ergebnissen in wissenschaftlichen
kament wird, weil es in klinischen           Medikaments gegen die potenziellen            Publikationen führen und dass der
Studien durchfällt. 95 Prozent aller         Risiken abgewogen wird und nicht gegen        Großteil der präklinischen Daten nicht
Medikamente, die in Tierversuchen für        das Potenzial des Medikaments, den            reproduzierbar ist. Laut der
sicher und wirksam befunden wurden,          Behandlungserfolg der Krankheit zu            konservativsten US-amerikanischen
versagen beim Menschen43, weil               verbessern.“44                                Schätzung führt das häufige
entweder unerwünschte                                                                      Unvermögen, präklinische
Nebenwirkungen auftreten oder keine          Das Problem einer wirksamen und
                                                                                           Forschungsergebnisse zu reproduzieren,
Wirksamkeit gegeben ist. Kacey               effizienten Markteinführung neuer
                                                                                           zu jährlichen Ausgaben in Höhe von ca.
Eine Strategie zur Modernisierung der Forschung und zum Ausstieg aus Tierversuchen                  11

25 Mrd. Euro für irreführende
Experimente.48 Darüber hinaus werden         Beleg 2: Das Risiko irreführender Ergebnisse
auch in Fachzeitschriften, welche die
ARRIVE-Richtlinien (Animal Research:         Viele neuartige Medikamente scheitern in der klinischen Prüfung am
Reporting of In Vivo Experiments)49          Menschen, was einen enormen Zeit- und Investitionsverlust
unterstützen, immer wieder Studien           bedeutet. Darüber hinaus können sie Menschen auch Schaden
veröffentlicht, die eine geringe             zufügen. Im Jahr 2016 entwickelte ein portugiesischer
Reproduzierbarkeit, ein schlechtes Preis-    Pharmahersteller ein Medikament, das bei
Leistungs-Verhältnis und eine
                                             Stimmungsschwankungen, Angst und motorischen Problemen
Verschwendung von Tierleben belegen.
                                             aufgrund von neurodegenerativen Erkrankungen helfen sollte. Das
Die ARRIVE-Richtlinien dienen dazu, die
                                             Medikament wurde freiwilligen Probanden im Rahmen der
Berichterstattung über Tierversuche zu
verbessern.50                                klinischen Phase-I-Studie eines französischen
                                             Auftragsforschungsinstituts oral verabreicht. Sechs Männer im Alter
Durch die Verwendung von                     von 28 bis 49 Jahren litten an starken Nebenwirkungen und mussten
humanrelevanten Technologien anstelle        ins Krankenhaus eingeliefert werden. Ein Teilnehmer wurde für
von teuren, zeitaufwendigen Tier-
                                             hirntot erklärt und verstarb später. Wie ein Bericht über diesen
versuchen mit ungenauen Ergebnissen
                                             Vorfall aufdeckte, wurde „bei den Tieren trotz einer 400-mal
könnten sich die Kosten für die
                                             höheren Dosis als bei den menschlichen Probanden keine schädliche
Entwicklung neuer Medikamente
drastisch senken lassen. In der              Wirkung festgestellt“.52
Fachzeitschrift der American Society for
                                             In seinem Artikel „TGN1412: From Discovery to Disaster“ aus dem
Clinical Pharmacology and Therapeutics
(ASCPT) äußerten sich Tal Burt et al. wie    Jahr 2010 berichtet Husain Attarwala von der US-amerikanischen
folgt:                                       Northeastern University über das tragische Ergebnis der 2006
                                             durchgeführten klinischen Studie mit Theralizumab, einem
„Die steigenden Kosten der                   immunmodulatorischen Medikament. Attarwala schrieb: „Nach [der]
Arzneimittelentwicklung verbunden mit
                                             ersten Infusion einer Dosis, die 500-mal geringer war als die im
ethischen Bedenken hinsichtlich der
                                             Tierversuch als sicher eingestufte, befanden sich alle sechs
Risiken, Menschen und Tiere neuen
                                             Probanden in lebensbedrohlichem Zustand. Da ein
chemischen Substanzen auszusetzen,
führen zu einer bevorzugten Anwendung        Multiorganversagen drohte, wurden sie auf die Intensivstation
von klinischen Studien mit begrenzter        verlegt.“53 Fünf der sechs Teilnehmer mussten nach der Anfangsdosis
Exposition, wie Microdosing-Studien          drei Monate im Krankenhaus bleiben, der sechste Proband lag im
oder andere Phase-0-Studien. Die             Koma. Selbst ein halbes Jahr später litten die Teilnehmer noch unter
Forschung unterstützt in zunehmendem         Kopfschmerzen und Gedächtnisverlust. Einem der Patienten mussten
Maß die Gültigkeit der Extrapolation von     infolge einer Gewebs-Nekrose Zehen und Finger amputiert werden. 54
Erkenntnissen, die durch begrenzte
                                             Attarwala schloss aus diesen und anderen Studien: „Arzneimittel, die
Medikamentenexposition mit dem
                                             in präklinischen Tiermodellen als sicher und wirksam eingestuft
Phase-0-Ansatz gewonnenen werden,
                                             werden, können bei der Anwendung am Menschen sehr
hin zur vollständigen therapeutischen
Exposition. Eine zunehmende Anzahl von       unterschiedliche pharmakologische Eigenschaften aufweisen.“ 55
Anwendungsbereichen und
                                             Doch auch das Gegenteil ist der Fall: Heilverfahren, die bei Tieren
Designoptionen zeigt die Vielseitigkeit
und Flexibilität, die diese Ansätze          nicht wirksam waren, blieben ungenutzt und Patienten warteten
Arzneimittelentwicklern bieten.“51           somit vergeblich auf lebensrettende Behandlungen. Penicillin
                                             beispielsweise wurde 1929 erstmals an Kaninchen getestet, doch da
Um ein Höchstmaß an Genauigkeit,             der Wirkstoff bei dieser Tierart keine offensichtliche Wirkung zeigte,
Reproduzierbarkeit und Relevanz bei der
                                             blieb er mehr als zehn Jahre lang unbeachtet – was unzählige
Erforschung menschlicher Krankheiten
                                             Menschenleben kostete. Die ersten klinischen Versuche am
zu erreichen, ist es unerlässlich, dass
                                             Menschen wurden erst in den 1940er-Jahren durchgeführt.56
beträchtliche finanzielle Fördermittel für
die Implementierung und weitere              Forscher erklärten später, dass Penicillin zum Glück nicht zuerst an
Erforschung zuverlässiger, humaner In-       Meerschweinchen getestet wurde, denn bei diesen Tieren wirkt das
vitro- und In-silico-Konzepte zur            Antibiotikum tödlich. Bei einem solchen Ergebnis im Tierversuch
Verfügung gestellt werden.                   wäre Penicillin möglicherweise nie am Menschen getestet worden.57
12                                               Research Modernisation Deal

  ii. Beschäftigungs- und Wirtschaftswachstum im Technologiesektor
  Der Markt für humanbasierte In-vitro-Technologie für die biomedizinische Forschung und für Versuche wächst rasant. BCC
  Research schätzt, dass der Markt für zellbasierte Tests bis 2023 auf 30,1 Mrd. Euro anwachsen wird, und dass der Markt für
  induzierte pluripotente Stammzellen (iPSCs) im Jahr 2024 und 3D-Zellkulturen im Jahr 2021 ein Volumen von 3,5 Mrd. Euro
  respektive 3,6 Mrd. Euro erreichen wird.58,59,60 Die Marktforscher von BCC Research gehen zudem davon aus, dass der weltweite
  Markt für regenerative Medizin bis 2025 ein Volumen von 82,7 Mrd. Euro umfassen wird.61

  Das in Boston, USA, ansässige Start-up Emulate, Inc. hat für die Erweiterung seiner Organchip-Technologie kürzlich weitere 32 Mio.
  Euro in Finanzierungsrunden eingeworben. Die Technologie wird derzeit von AstraZeneca, Roche, Merck, Johnson & Johnson und
  weiteren Unternehmen eingesetzt, um die Sicherheit und Wirksamkeit potenzieller Medikamente genauer vorherzusagen.62 Auf
  europäischer Ebene finanziert das Projekt „Horizont 2020“ die Entwicklung der nächsten Generation von Organ-Chips mit 18 Mio.
  Euro.63 In Deutschland unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Entwicklung von Methoden zum Ersatz
  von Tierversuchen. Seit 1980 hat das Ministerium etwa 600 Projekte mit etwa 190 Mio. Euro finanziert.64

Beleg 3: Erneute Prüfung fehlgeschlagener Medikamente
Eine von Emulate und Janssen Pharmaceuticals im April 2018 veröffentlichte Studie zeigte, wie sich eine durch eine
Antikörpertherapie verursachte Thrombose beim Menschen mit einem Blutgefäß auf einem Biochip vorhersagen lässt.
Diese Antikörpertherapie war nach präklinischen Tierversuchen zuvor als sicher eingestuft worden. Die klinischen Studien
mussten jedoch abgebrochen werden, nachdem die Probanden, denen das Medikament verabreicht worden war,
Blutgerinnsel entwickelten, auf die es in den Tierversuchen keinen Hinweis gegeben hatten.65

Neue Technologien, wie die von Emulate entwickelte, werden die Dauer der Arzneimittelentwicklung verkürzen und den
Prozess sicherer, billiger und effektiver gestalten. Die Entwicklung dieser Techniken ermöglicht die Bildung
interdisziplinärer Forschungsteams, die für die Erstellung personalisierter Krankheitsmodelle für die Präzisionsmedizin
oder die Entwicklung effektiver und präziser Systeme für die toxikologische Risikobewertung von grundlegender
Bedeutung sind.

  V. Regulatorische Möglichkeiten zur
  Beurteilung der humanen Toxizitätsprüfung
                           Die Art und Weise, wie chemische Substanzen getestet werden, hat sich in den letzten
                           25 Jahren grundlegend verändert. Tierversuche werden Schlag auf Schlag mit tierfreien
                           Verfahren ersetzt. Dies beruht auf einem besseren Verständnis der biologischen Prozesse und
                           dem Aufkommen neuer Technologien, die die Entwicklung von Testmethoden ermöglicht
                           haben, welche sich unmittelbar mit zellulären Mechanismen befassen und nicht auf die
                           plumpen und undurchsichtigen Ergebnisse von Tierversuchen angewiesen sind. Aber es ist
  auch das Ergebnis von öffentlichem Druck und, wie nachstehend erläutert, der Unzufriedenheit von Wissenschaftlern
  mit den Ergebnissen aus Tierversuchen. Zelluläre und genetische Informationen über die potenzielle Toxizität einer
  Chemikalie, wie z. B. das Potenzial für die Rezeptorbindung oder die Aktivierung von Genen oder Signalwegen, lassen
  sich in tierfreien Versuchen (unter Verwendung menschlicher Zellen, in vitro) leichter gewinnen als in Tierversuchen.66

  Gleichzeitig setzt sich die Erkenntnis bei   trotz des Potenzials der menschlichen       Vision and a Strategy“.68 Der Strategie
  Aufsichtsbehörden und der regulierten        Exposition nicht getestet werden“.67        zufolge könnten Fortschritte in den
  Industrie durch, dass Tierversuche weder                                                 Bereichen Toxikogenomik, Bioinformatik,
  die menschliche Gesundheit noch die          2007 veröffentlichten die US-               Systembiologie, Epigenetik und
  Umwelt angemessen schützen und dass          amerikanischen National Academies of        Computertoxikologie die Toxizitäts-
  „der derzeitige Ansatz zeitaufwendig und     Sciences, Engineering, and Medicine ein     prüfung grundlegend verändern – von
  kostspielig ist und zu einem überlasteten    wegweisendes Dokument mit dem Titel         einem System auf der Grundlage von
  System führt, in dem viele Chemikalien       „Toxicity Testing in the 21st Century: A    Versuchen am Tier als Ganzes hin zu
Eine Strategie zur Modernisierung der Forschung und zum Ausstieg aus Tierversuchen                          13

einem System, das in erster Linie auf In-    eine Art und Weise gestört werden           um auf diesen Wegen Reaktionen
vitro-Methoden beruht, mit denen             können, die zu gesundheitlichen             hervorzurufen.69
Änderungen in biologischen Prozessen         Problemen führen kann. Der neue
unter Verwendung von Zellen und              Versuchsansatz konzentriert sich vor        Indem wir den Einsatz von Tierversuchen
Zelllinien oder zellulären Bestandteilen,    allem auf Toxizitätspfade, sogenannte       zu regulatorischen Zwecken, für die ein
vorzugsweise menschlichen Ursprungs,         Adverse Outcome Pathways (AOP). Es          vollständiger Ersatz vorhanden ist,
bewertet werden. Mit den                     handelt sich dabei um zelluläre Prozesse,   uneingeschränkt vermeiden und die
vorgeschlagenen Änderungen lassen sich       die voraussichtlich nachteilige             Akzeptanz der derzeit in der Entwicklung
bessere Daten über die potenziellen          Auswirkungen auf die Gesundheit haben,      befindlichen Methoden fördern, können
Risiken generieren, denen Menschen           wenn sie entsprechend gestört werden.       wir das Paradigma vorgeschriebener
durch Umwelteinflüsse wie Pestizide          Das Komitee empfiehlt die Verwendung        Versuche weiter in Richtung innovativer
ausgesetzt sind. Das schafft eine stärkere   von Hochdurchsatz-Assays (schnelle,         tierfreier Techniken verlagern und damit
wissenschaftliche Grundlage zur              automatisierte Experimente, mit denen       in der Anwendung dieser Methoden
Verbesserung regulatorischer                 Hunderte oder Tausende von                  weltweit eine führende Position
Entscheidungen, um diese Risiken zu          Chemikalien in einem breiten                einnehmen. In den Anhängen zu diesem
senken. Zudem lassen sich Zeit, Geld und     Konzentrationsbereich getestet werden       Bericht werden Möglichkeiten erörtert,
die Zahl der in Versuchen eingesetzten       können), um die Auswirkungen von            die Verwendung von Tieren in
Tiere verringern.                            Chemikalien auf diese Toxizitätspfade zu    vorgeschriebenen Versuchen sofort oder
                                             bewerten. Auf der Grundlage der Daten       innerhalb der nächsten zwei bis zehn
Der Bericht empfiehlt einen Ansatz, der      aus diesen und anderen Experimenten         Jahre einzustellen. Dazu gehören
das sich rasant entwickelnde wissen-         könnten die Forscher Modelle zur            Versuche zu akuten systemischen
schaftliche Verständnis bezüglich der Art    Beschreibung der Reaktionen auf             Erkrankungen, Genotoxizität und
und Weise nutzt, wie Gene, Proteine und      Toxizitätspfade entwickeln sowie            Pyrogenität, Impfstoff- und Biologika-
kleine Moleküle interagieren, um eine        Modelle zur Abschätzung der                 Tests, Versuche zu endokrinen
normale Zellfunktion zu erhalten, und        erforderlichen menschlichen Exposition,     Störungen und zu Karzinogenität.
wie einige dieser Wechselwirkungen auf

                 VI. Öffentliche Meinung und die
                     Leidensfähigkeit der Tiere
                             Die öffentliche Ablehnung der tierexperimentellen Forschung gehört zu den wesentlichen
                             Triebkräften für eine Änderung des Rechtsrahmens. Beispielsweise wurde das Verbot von
                             Tierversuchen für Kosmetika und der Vermarktung von an Tieren getesteten
                             Kosmetikprodukten nach immensem öffentlichem und politischem Druck in ganz Europa in
                           die EU-Kosmetikverordnung aufgenommen – beruhend auf der grundlegenden
                          Überzeugung, dass der Schaden, der den Tieren in Versuchen zugeführt wird, nicht durch den
                        potenziellen Nutzen neuer Kosmetika aufgewogen werden kann.70

Eine YouGov-Umfrage aus dem                  zum Ausstieg aus Tierversuchen in           „Cambridge Declaration on
Jahr 2009, die in sechs EU-Ländern           Deutschland zu entwickeln.72 Außerdem       Consciousness“. Darin erklärten die
durchgeführt wurde, ergab eine               befürworteten 74 Prozent der Befragten      Forscher ausdrücklich, dass „nicht nur
überwältigende Ablehnung von                 in einer von der britischen Regierung in    Menschen die neurologischen
Tierversuchen: 89 Prozent der Befragten      Auftrag gegebenen Umfrage verstärkte        Grundlagen besitzen, die zur Ausbildung
aus Deutschland sprachen sich für ein        Anstrengungen zur Entwicklung von           von Bewusstsein führen“ und dass,
Verbot aller Versuche aus, bei denen         Alternativen zu Tierversuchen.73            ähnlich wie der Mensch, auch
Tiere starken Schmerzen und Leiden                                                       „nichtmenschliche Tiere über die
ausgesetzt sind.71 Daneben ist auch die      Angesichts der wachsenden Erkenntnis        Fähigkeit […] zu intentionalem Verhalten
öffentliche Unterstützung für                zur Empfindungsfähigkeit der Tiere ist      verfügen“.74 Die Erklärung verdeutlicht,
Investitionen in tierfreie Testmethoden      der öffentliche Widerstand gegen            dass die Erkenntnis der Empfindungs-
hoch: In einer von Ärzte gegen               Tierversuche nicht überraschend. Im         fähigkeit der Tiere auch in der wissen-
Tierversuche e.V. beauftragten Forsa-        Jahr 2012 unterzeichnete eine Gruppe        schaftlichen Gemeinschaft zunimmt.
Umfrage unterstützten 69 Prozent der         anerkannter internationaler                 Statistiken zeigen, dass Tiere in der
Befragten die Forderung, eine Strategie      Neurowissenschaftler die sogenannte         biomedizinischen Forschung kein
14                                              Research Modernisation Deal

Die Statistik zeigt, dass Tiere in der biomedizinischen Forschung kein                    empfindungsfähiger Tiere, der
                                                                                          Verletzungen, Schmerzen, Leid,
geeignetes Abbild für den menschlichen Organismus darstellen. Doch
                                                                                          belastende Gefangenhaltung,
im Hinblick auf ihre Leidensfähigkeit stellt sich die Frage: Wie sehr                     Manipulation, Handel und Tod umfasst,
müssen sie dem Menschen entsprechen, bevor eine kritische                                 sollte eigentlich unvorstellbar sein. Doch
Hinterfragung der tierexperimentellen Forschung als zwingend                              Tierversuche sind genau das – die
                                                                                          ‚Normalisierung des Unvorstellbaren‘“,
erforderlich erachtet wird?
                                                                                          so die Autoren des Berichts. Sie kommen
                                                                                          zu dem Schluss, dass Tierversuche im
  geeignetes Abbild für den menschlichen      Mehr als 150 Wissenschaftler,
                                                                                          Widerspruch zu allem stehen, was wir
  Organismus darstellen. Doch im Hinblick     Intellektuelle und Schriftsteller
                                                                                          heute über die Fähigkeiten von Tieren
  auf ihre Leidensfähigkeit stellt sich die   unterstützten zudem einen Bericht des
                                                                                          wissen. Tiere können nicht nur
  Frage: Wie sehr müssen sie dem              Oxford Centre for Animal Ethics, der
                                                                                          Schmerzen empfinden, sondern auch
  Menschen entsprechen, bevor eine            Tierversuche als ethisch und
                                                                                          unter Schock, Angst, böser Vorahnung,
  kritische Hinterfragung der                 wissenschaftlich nicht vertretbar
                                                                                          Trauma, Sorge, Stress, Kummer und
  tierexperimentellen Forschung als           verurteilt.75 „Der vorsätzliche und
                                                                                          Schrecken leiden.
  zwingend erforderlich erachtet wird?        routinemäßige Missbrauch unschuldiger,

  VII.               Weltweite Führungsposition
  Weltweit sind Bewegungen zu verzeichnen, die den wachsenden Konsens in der
  wissenschaftlichen Gemeinschaft widerspiegeln, dass die Verwendung von Tieren in der
  biomedizinischen Grundlagenforschung oder für die Anforderungen der regulatorischen
  Bewertung weder ethisch noch wissenschaftlich vertretbar ist. In vielen Teilen der Welt sind
  grausame und tödlich endende Tierversuche für Kosmetika mittlerweile illegal oder entsprechende Verbote sind in der
  Entwicklung. Darüber hinaus wurden Tierversuche für Haushaltsprodukte und deren Inhaltsstoffe in Israel und Indien
  bereits verboten. In Großbritannien hat das britische Innenministerium strenge Beschränkungen bezüglich der
  Verwendung von Tieren für solche Versuche auferlegt. 76 Die britische Gesundheits- und Sicherheitsbehörde (Health
  and Safety Executive) hat zudem Tierversuche für Pflanzenschutzmittel erheblich eingeschränkt. 77 In Deutschland
  untersagt das Tierschutzgesetz grundsätzlich Tierversuche zur Entwicklung von Tabakerzeugnissen, Waschmitteln und
  Kosmetika.78

„Der vorsätzliche und routinemäßige Missbrauch unschuldiger, empfindungsfähiger Tiere, der
Verletzungen, Schmerzen, Leid, belastende Gefangenhaltung, Manipulation, Handel und Tod umfasst, sollte
eigentlich unvorstellbar sein. Tierversuche sind jedoch genau das – die „Normalisierung des
Unvorstellbaren.“
                                                                           – Oxford Centre for Animal Ethics

  Die niederländische Regierung gab Ende      Standardverfahren betonte. Der Bericht      keine Tierversuche an Säugetieren mehr
  2016 ihren Beschluss bekannt,               des Komitees zum Übergang der               zu finanzieren bzw. zu verlangen. Zudem
  Tierversuche für Toxizitätsprüfungen von    Niederlande zu einer tierfreien             soll die Entwicklung tierfreier Methoden
  Chemikalien, Lebensmittelzutaten,           Forschung umfasste das Ziel, dass das       mit umgerechnet 3,8 Mio. Euro
  Pestiziden, Tierarzneimitteln und           Land im Bereich der tierfreien Innovation   unterstützt werden.80
  Impfstoffen bis 2025 einzustellen. Die      in der angewandten und translationalen
  Entscheidung fiel, nachdem das              Forschung international eine führende       Solche Veränderungen sind erforderlich,
  niederländische nationale Komitee für       Rolle einnehmen soll.79                     damit die Qualität der biomedizinischen
  den Schutz von Tieren, die zu                                                           Forschung und der regulatorischen
  wissenschaftlichen Zwecken verwendet        Die US-amerikanische                        Bewertung verbessert wird und die
  werden (NCad), die Notwendigkeit eines      Umweltschutzbehörde EPA kündigte            Europäische Union sich als
  Paradigmenwechsels in Form einer            2019 an, die Zahl der Versuche an           Weltmarktführer für innovative und
  Abkehr von Tierversuchen als                Säugetieren bis 2025 um 30 Prozent zu       überlegene Forschungs- und
                                              verringern und bis zum Jahr 2035 gar        Versuchsmethoden bewähren kann.
Eine Strategie zur Modernisierung der Forschung und zum Ausstieg aus Tierversuchen                              15

                      VIII. Maßnahmenplan: Empfehlungen
                      zur Modernisierung der wissenschaft-
                      lichen Forschung und Prüfung
                      1. Die Verwendung von Tieren sollte in jenen Forschungsbereichen
                      unverzüglich eingestellt werden, in denen sich die Ergebnisse aus
                      Tierversuchen nachweislich schlecht auf den Menschen übertragen lassen und
                      in denen Tierversuche den Fortschritt behindern.
Überprüfungen haben wiederholt nachgewiesen, dass Tierversuche in bestimmten Bereichen auf ganzer Linie versagen, wenn es
um den Nutzen für die menschliche Gesundheit geht. Zu diesen Bereichen gehören neurodegenerative und neuropsychiatrische
Erkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfälle, Krebs, Diabetes und Adipositas, Entzündungen und
Immunreaktionen, die HIV-/AIDS-Forschung, Suchtstudien, die Traumaforschung und die medizinische Ausbildung. Daher sollten
Tierversuche in diesen Gebieten schnellstmöglich beendet und durch wirksamere und effizientere tierfreie Methoden ersetzt
werden. Im englischsprachigen Anhang werden diese Bereiche eingehender behandelt und entsprechende Empfehlungen
ausgesprochen.

2. Mithilfe von kritischen wissenschaftlichen Untersuchungen sollten jene Bereiche ermittelt
werden, in denen Tierversuche ebenfalls umgehend eingestellt werden können.
In Untersuchungsbereichen, in denen noch Zweifel daran bestehen, dass der Einsatz von Tieren nicht zielführend ist, sollte eine
gründliche systematische Überprüfung durchgeführt werden, um die Wirksamkeit von Tierversuchen zu bestimmen. Systematische
Überprüfungen, in denen verschiedene Forschungsstudien kritisch analysiert werden, sind der erste Schritt zur Beurteilung der
Wirksamkeit der tierexperimentellen Forschung. Einige Länder, darunter die Niederlande, schreiben vor, dass systematische
Überprüfungen durchgeführt werden müssen, bevor Tierversuche finanziert werden können. Wissenschaftler des
Universitätsklinikums der niederländischen Radboud-Universität haben vor diesem Mandat die folgende Erklärung veröffentlicht:

   „Wie bei klinischen Studien mit Menschen liegt es in unserer wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Verantwortung,
   auch bei Tierversuchen systematische Überprüfungen routinemäßig durchzuführen. […] Förderorganisationen sollten
   systematische Überprüfungen anregen und finanzieren. […] Systematische Überprüfungen bringen Unzulänglichkeiten
   bezüglich der Methodik einzelner Studien ans Licht. Dies trägt dazu bei, das zukünftige Studiendesign zu verbessern und die
   Fehlerrate bei Tierversuchen mit neuen Arzneimitteln zu senken. Insbesondere können Förderorganisationen im Rahmen
   einer Finanzierung systematische Überprüfungen von Tierversuchen anordnen. Dies ermöglicht eine stärker
   evidenzbasierte Auswahl der Tiermodelle und bietet einen besseren Schutz für menschliche Patienten.“81

Darüber hinaus schreibt Artikel 58 der Richtlinie 2010/63/EU vor, dass die Europäische Kommission regelmäßige Überprüfungen in
Bezug auf die Verwendung von Tieren in wissenschaftlichen Verfahren durchführt, wodurch ein klarer Mechanismus zur Förderung
des Ersatzes von Tieren in wissenschaftlichen Verfahren bereitgestellt wird. Um mit wissenschaftlichen Innovationen Schritt halten
zu können, ist es sehr wichtig, dass dieser Prozess fokussiert und zeitnah abläuft. Um das Potenzial des Prozesses zu maximieren, ist
es entscheidend, dass dies in Absprache mit den Mitgliedstaaten und anderen Interessenvertretern erfolgt.

3. Es sollten transparente, aussagekräftige prospektive und retrospektive Bewertungen gemäß
der Richtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom
22. September 2010 zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere
durchgeführt werden.
Gemäß Richtlinie 2010/63/EU müssen Anträge auf die Durchführung von Tierversuchen beurteilt werden, um sicherzustellen, dass
verfügbare alternative Techniken und Testmethoden uneingeschränkt genutzt werden. Zudem soll geprüft werden, ob das Ausmaß
der Schmerzen, Ängste und Leiden, die den Tieren wahrscheinlich zugefügt werden, durch das erwartete Ergebnis gerechtfertigt
sind.82 Auch wenn diese Projektbeurteilungen im Allgemeinen durch staatliche Stellen vorgenommen werden, bieten sie zumindest
die Möglichkeit für die Durchführung einer Bewertung nach ethischen Erwägungen. Dennoch kam eine kürzlich durchgeführte
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