Ressourcen aktivieren in Konfliktsituationen - Das Zürcher Ressourcen Modell (ZRM)1 und Mediation - Maja Storch

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Ressourcen aktivieren in Konfliktsituationen - Das Zürcher Ressourcen Modell (ZRM)1 und Mediation - Maja Storch
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Ulrike Gamm

Ressourcen aktivieren
in Konfliktsituationen
Das Zürcher Ressourcen Modell (ZRM)1 und Mediation
Der Ansatz des Zürcher Ressourcen Modells (ZRM) zielt auf die Stärkung des Selbstmanagements, nicht
durch mehr Selbstkontrolle oder Selbstdisziplin, sondern durch eine Auseinandersetzung mit eigenen Be-
dürfnissen. Ursprünglich einmal als eine Trainingsmethode konzipiert, haben sich die Einsatzfelder des
ZRM in den letzten 20 Jahren weiter differenziert. Was mich an diesem Ansatz besonders fasziniert, ist
die Leichtigkeit des Arbeitens, die Kreativität der eingesetzten Methoden und die solide theoretische Fun-
dierung, sowohl in der Neurobiologie, als auch in diversen Motivationsansätzen der Psychologie. Dies er-
möglicht neue Perspektiven auf das Konzept interessenbasierten Arbeitens in der Mediation. Einige As-
pekte des ZRM2 , die für meine Tätigkeit als Mediatorin besonders bei unternehmensinternen Konflikten
neue Perspektiven eröffnet haben, möchte ich nachfolgend aufgreifen.

Ressourcen, Ressourcen-Pool               thodische Orientierung an Ressourcen           in der Eskalation von Konflikten geht
und Priming                               ist demgegenüber ein anderer Ansatz.           der Zugang zu diesen Ressourcen verlo-
In vielen Coachings und Psychothera-      Das ZRM nutzt einen neurobiologisch            ren. Wie kann daher der Zugriff auf die-
pien überwiegt die Auseinandersetzung     fundierten Ressourcenbegriff und ver-          se Ressourcen gesichert werden? Hier
mit Problemen. Diese werden umfang-       steht unter Ressource »alles, was ge-
reich diagnostiziert in dem Bemühen,      sundheitsfördernde neuronale Netze ak-         1
                                                                                          Detaillierte Arbeitsunterlagen, Anwendungs-
durch ein gutes Verstehen auch eine an-   tiviert und entsprechende Ziele fördern        beispiele und Wirksamkeitsstudien finden sich
                                                                                         unter www.zrm.ch sowie www.ismz.ch.
gemessene Lösung entwickeln zu kön-       hilft«3. Diese Ressourcen können so-
nen. Eine Annahme, die auch in der        wohl in der Person selbst, als auch in de-     2
                                                                                          Für eine Darstellung der theoretischen und
                                                                                         methodischen Grundlagen s. Storch/Krause,
Mediation, etwa durch die Analyse der     ren (sozialen) Umfeld liegen. Doch wie         2007.
Konfliktgeschichten, oft zu finden ist.   wir in Mediationen immer wieder erle-
Die konsequente inhaltliche und me-       ben können: in der Problemtrance bzw.
                                                                                         3
                                                                                             Krause/Storch 2006, S. 33.

                                                             Spektrum der Mediation 45/2012 Fachzeitschrift des Bundesverbandes Mediation   27
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                          folgt das ZRM einem ganzheitlichen An-      nalen Netze wird im ZRM ein »Ressour-      wertung erfolgt laut Antonio Dama-
                          satz: um ein erwünschtes neuronales         cenpool« eingerichtet, der im Alltag das   sio5 in Form von somatischen Markern,
                          Netz – etwa für ein neues Verhalten –       Unbewusste fortlaufend auf diese Ziele     die individuell unterschiedlich im Kör-
                          aufzubauen, reicht es nicht aus, ein Ziel   fokussiert. So wie ein Aktenkoffer im      per verortet und erlebt werden. Man-
                          nur kognitiv zu konstruieren (»Ich wer-     Wohnzimmer möglicherweise das Un-          che spüren den Ärger als Druck im Ma-
                          de bei der nächsten Auseinandersetzung      bewusste an »Arbeit« erinnert, arbeitet    gen, andere bekommen heiße Ohren,
                          mich selbst verlangsamen, erst bis zehn     das ZRM mit subtilen Erinnerungshilfen.    oder verkrampfen ihre Hände. Welche
                          zählen und dann antworten«). Um die         Dies können sowohl Alltagsobjekte sein     somatischen Marker für welche Emotio-
                          Umsetzungswahrscheinlichkeit zu erhö-       wie Schlüsselanhänger, Bildschirmscho-     nen wie erlebt werden, ist verschieden,
                          hen, muss neben einer kognitiven Klä-       ner etc. oder Orte, Tätigkeiten und Kör-   aber jeder Mensch verfügt über dieses
                          rung des Ziels dieses auch mit ange-        perhaltungen, die mit dem erwünschten      Bewertungssystem. Doch um damit gut
                          nehmen Emotionen verbunden sein, mit        Ziel in Zusammenhang gebracht wer-         arbeiten zu können, es z. B. auch für die
                          früheren Erfahrungen in Verbindung ge-      den und positive somatische Marker         eigene Entwicklung als Feedbackmecha-
                          bracht und durch eine unterstützende        auslösen. Das sogenannte Priming er-       nismus zu nutzen6, braucht es die Fä-
                          Körperhaltung ganzheitlich wahrge-          setzt eine permanente willentliche         higkeit zu einer differenzierten Körper-
                          nommen werden. Mit dem letzten As-          Kraftanstrengung, oder die fortlaufende    wahrnehmung. Diese ist generell auch
                          pekt greift das ZRM Embodiment-An-          Kontrolle der Zielerreichung.              eine gute Unterstützung für die Arbeit
                          sätze4 auf. Emotionen, Stimmungen,          Für nachhaltige Mediationen reicht         mit Emotionen in Konfliktsituationen.7
                          innere Haltungen drücken sich in Kör-       es daher nicht aus, dass die KPen etwa     Das ZRM hat nun eine Methode ent-
                          perhaltungen aus und verändern diese.       ein neues Verhalten im Umgang mit-         wickelt, um somatische Marker syste-
                          Diese Wechselwirkungen funktionieren        einander vereinbaren und dies mögli-       matisch für die Optimierung von Ent-
                          auch in die andere Richtung. Durch ver-     cherweise auch mit Maßnahmen zur           scheidungsprozessen zu nutzen. Dies
                          änderte Körperhaltungen beeinflusse         Zielerreichung konkretisieren. Späte-      ist möglich, da somatische Marker nicht
                          ich meine emotionale Befindlichkeit,        stens bei der nächsten Stress-Situation    nur in realen Situationen ihre Bewer-
                          meine Stimmungen und Einstellungen.         wird wahrscheinlich das alte Interak-      tungen abgeben, sondern auch bei der
                          Der Vorteil für Konfliktinterventionen      tionsmuster wieder durchkommen.            reinen Vorstellung möglicher Abläufe,
                          ist unmittelbar erkennbar. Auf Körper-      Dies liegt aber nicht am fehlenden         Gespräche, oder Interaktionen. Ziel des
                          haltungen kann ich auch in schwierigen      Willen oder mangelnder Verlässlichkeit     ZRM ist es, die bewussten, rationalen
                          Situationen noch einen willentlichen        der KPen, sondern an der Stärke der al-    Überlegungen und Analysen mit den un-
                          Einfluss ausüben, ich kann mich be-         ten, unbewussten Automatismen.             bewussten, intuitiven Erfahrungen in
                          wusst aufrichten und meine Schultern        Diese steuern besonders in den Situa-      einem Entscheidungsprozess zu verbin-
                          zurücknehmen.                               tionen, in denen die Willenskraft des      den. Besonders in komplexen Situationen
                          Ziele im ZRM unterscheiden sich von         Verstandes nachlässt, z. B. aufgrund       brauchen gute Entscheidungen eine Syn-
                          den Zielen, die in vielen Mediations-       von Reizüberflutung, körperlicher und/     chronisation von »Kopf und Bauch«, da
                          vereinbarungen, z. B. hinsichtlich eines    oder geistiger Erschöpfung oder ho-        letzterer z. B. darüber entscheidet, wie
                          zukünftig anderen Umgangs der Kon-          hem Stresslevel. Erinnerungshilfen         die kognitiv herangezogenen Informatio-
                          fliktparteien (KPen) miteinander, zu        und Ressourcen-Tankstellen können          nen bewertet werden, welche Relevanz
                          finden sind. Diese werden zumeist in        MediandInnen daher helfen sich noch        ihnen beigemessen wird.
                          Form konkreter Verhaltensregeln ope-        einmal mit ihren Ressourcen »aufzula-
                          rationalisiert. Im Unterschied zu diesen    den«, bevor sie in eine für sie absehbar   Dazu wurde die sogenannte Affekt-
                          SMART-Zielen arbeitet das ZRM mit ei-       schwierige Situation gehen.                bilanz entwickelt, die die intuitiven
                          ner anderen Qualität von Zielen, den                                                   Bewertungen sichtbar und einer Be-
                          sog. Motto-Zielen. Diese sind situa-        Emotionen, somatische                      arbeitung zugänglich macht. Gerade
                          tionsübergreifende Haltungsziele, die       Marker und die Arbeit mit                  komplexe Entscheidungssituationen
                          als Annäherungsziele formuliert wer-        der Affektbilanz                           bewirken oft Ambivalenzen, also eine
                          den. Sie liegen im eigenen Einflussbe-      Alle Erfahrungen eines Menschen hin-       gemischte Gefühlslage, in der gleich-
                          reich und sind mit einem positiven          terlassen ihre Spuren im emotionalen       4
                                                                                                                     Storch, u. a. 2006, S. 35 ff.
                          somatischen Marker verbunden.               Erfahrungsgedächtnis: waren die Erfah-
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                          Für die Umsetzung neuer Ziele braucht       rungen angenehm, macht es also Sinn
                                                                                                                 5
                                                                                                                     Damasio, Antonio R., 1994.

                          es stabile neuronale Netze, deren Auf-      diese häufiger zu erfahren. Oder waren     6
                                                                                                                     Storch/Kuhl, S. 130.
                          bau sich nach Gerald Hüther jedoch          sie unangenehm und sollten in Zukunft      7
                                                                                                                     Patera, 2009, S. 204.
                          über etwa ein Jahr hinzieht. Für die Ak-    vermieden werden? Diese duale Be-
                          tivierung dieser neuro-
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zeitig angenehme und unangenehme             zu formulieren. Letztere sind nicht un-        ….«. Um wechselseitiges Verstehen zu
Emotionen vorhanden sind. Wie die            bedingt auf »Null« zu bringen, die je-         fördern, ist eine stärkere Differenzie-
Neurobiologie gezeigt hat, entstehen         weilige Person bestimmt selbst, bei            rung notwendig. Hier haben wir beo-
angenehme und unangenehme Ge-                welchem Wert sie eine spürbare Ent-            bachtet, dass allein das Angebot der
fühle in zwei unterschiedlichen Sy-          lastung erlebt.                                Affektbilanz hilft, verhärtete Fronten
stemen des Gehirns. Die Amygdala ist         Diese Suche nach Maßnahmen, die                aufzulösen. Pauschalisierungen und Ex-
für die unangenehmen und der Nu-             zu einer Veränderung in der Affektbi-          ternalisierungen wie »Die bringt mich
cleus accumbens für die angenehmen           lanz führen, ist gerade in Konfliktsitua-      mit ihrem Kram ständig auf die Palme«
Emotionen zuständig. Die Interaktio-         tionen aufgrund kognitiver Blockaden           werden durch eine Selbstbeobachtung
nen zwischen diesen beiden Systemen          nicht einfach. Daher werden für die            ersetzt »War mein Ärger bei der Schil-
können in einer konkreten Situation          Entwicklung von Vorschlägen »Fremd-            derung der Kollegin genauso stark wie
unterschiedlich sein: sie können sich        gehirne« genutzt. Das heißt in der Pra-        in der ersten Sitzung?« Affektbilanzen
wechselseitig überlagern und damit           xis, nicht im Konflikt Beteiligte werden       ermöglichen sowohl eine Differenzie-
hemmen, oder parallel auftreten (»Ich        nach ihren Vorschlägen zur Verbes-             rung als auch eine Relativierung, indem
bin stolz auf die Steigerung des Um-         serung der Bilanz gefragt. So haben            Emotionen in unterschiedlichen Situa-
satzes in unserer Abteilung, aber auch       wir bei einem Konflikt in einem Pro-           tionen vergleichbar gemacht werden.
enttäuscht, dass das Projekt der Nach-       jektteam die jeweils nicht unmittel-
barabteilung besser beurteilt wurde als      bar Betroffenen als »Fremdhirne« für           Fallbeispiel
unseres.«). Daher besteht die Affektbi-      die Entwicklung von Vorschlägen ge-            Wir wurden von einer großen NGO kon-
lanz aus zwei getrennten Skalen (+ und       nutzt. In anderen Mediationsfällen ist         taktiert, um einen schon länger beste-
-), auf denen jeweils die Intensitäten       dies Teil der Arbeit zwischen zwei Sit-        henden Konflikt zwischen den beiden
der emotionalen Ladung aufgetragen           zungen. Dies kann eine Mittagspause            GeschäftsführerInnen zu mediieren. Im
werden. Damit die Bewertung aus dem          sein, in der Freunde oder Kollegen an-         Vorgespräch wie auch im Erstkontakt
Bauch heraus erfolgt, wird eine visuelle     gerufen werden, oder es werden die             wurde auf die hohe Vertraulichkeit des
Analogskala genutzt, die jeweils nur ei-     MitarbeiterInnen eines Seminarho-              Prozesses hingewiesen, da die Organi-
nen Anfangs- und Endpunkt (0-100)            tels für die Entwicklung von Ideen ge-         sation unter fortlaufender Beobach-
hat, ohne weitere präzisierende Zwi-         nutzt. Aus dieser Vorschlagsliste wer-         tung steht. Schon zu Beginn des ersten
schenunterteilungen, die eher die linke      den – wieder mit Hilfe der somatischen         Mediationstermins war eine hohe An-
Gehirnhälfte anregen würden.                 Marker – Vorschläge ausgewählt. Wenn           spannung bei beiden Konfliktparteien in
                                             noch nichts dabei ist, was gefällt, wird       der Körperhaltung zu beobachten, ob-
Die Bewertung einer Fragestellung,           weiter gesucht. Nach der Auswahl von           wohl beide betonten, wie erleichtert sie
eines Vorschlags, einer Lösungsop-           Vorschlägen wird überprüft, welche             seien, dass es jetzt endlich einen Schritt
tion mit Hilfe der Affektbilanz bringt       Veränderungen diese auf der Affektbi-          in Richtung Klärung gäbe. Bei der Fra-
zum einen innerhalb kurzer Zeit den          lanz bewirken. Wenn diese noch nicht           ge nach den Erwartungen und Befürch-
KPen Klarheit und Übersicht. Zum an-         zu einer Verbesserung in der Affektbi-         tungen im Hinblick auf den bevorste-
deren stellt sie einen Einstieg in weitere   lanz führen, startet eine weitere Suche        henden Prozess gab es eher vorsichtige,
Arbeitsschritte dar. Im Konfliktalltag       zur Befüllung des »Ideenkorbs«.                diplomatische Antworten. Auf Nachfra-
werden angenehme und unangenehme                                                            gen haben beide nur eine leichte Ner-
Emotionen oft als unmittelbar verbun-        Neben dieser schrittweisen Vorgehens-          vosität in Bezug auf die ungewohnte
den angesehen: »Wenn ich mich nicht          weise zur Entlastung in schwierigen Si-        Art des Arbeitens formuliert. Nach ei-
mehr über die unklaren Vorgaben der          tuationen bietet die Affektbilanz für          ner kurzen Erläuterung der Affektbilanz
Zentrale ärgern müsste, dann wäre ich        MediatorInnen noch zwei Mehrwerte:             zeichneten die beiden getrennt vonein-
auch viel zufriedener in meiner Rolle«.      zum einen ist sie ein relativ unkompli-        ander folgende Affektbilanzen:
Es wird davon ausgegangen, dass, wenn        zierter Zugang zum Thema »Emotionen
es gelingt Maßnahmen für die Redu-           in Konflikten« gerade bei KPen, die
zierung der Intensität des Ärgers zu fin-    nicht über einen differenzierten Wort-
den, automatisch auch der Wert auf der       schatz zu Emotionen verfügen. Weiter
+Skala steigen wird. Da die beiden Be-       unterstützt sie die Auflösung von Pau-
wertungssysteme jedoch unabhängig            schalisierungen. Bekanntlich sind ja
voneinander arbeiten, ist es notwen-         Verzerrungen der Wahrnehmung, ein
dig sowohl Maßnahmen zur Steigerung          Schwarz-Weiß-Denken in Bezug auf
                 der +Skala, als auch sol-   den Konfliktgegner typische Reaktio-
                     che für die Reduzie-    nen in Konflikten. »Die Zusammenar-
                       rung der Werte auf    beit mit ihm/ihr ist nur noch belastend,
                        der Minus-Skala      er/sie ist unzuverlässig, inkonsequent,        Abb. 1: Affektbilanzen zum Mediationsprozess

                                                                Spektrum der Mediation 45/2012 Fachzeitschrift des Bundesverbandes Mediation   29
Ressourcen aktivieren in Konfliktsituationen - Das Zürcher Ressourcen Modell (ZRM)1 und Mediation - Maja Storch
Berichte zum Thema

     Beide waren nach dieser ersten Inter-             lichen Zeitpunkten: in der Kontrakt-      Abwägen der verschiedenen Motive
     vention selbst überrascht wie stark die           phase, für eine Differenzierung und       und der dazu notwendigen Strategien,
     »Handbremse angezogen« ist, trotz der             Relativierung bei der Beschreibung        deren Vereinbarkeit oder Widersprüch-
     »Erleichterung, dass wir jetzt beginnen           schwieriger Situationen oder Verhal-      lichkeit, kann lange Zeit in Anspruch
     und uns hoffentlich konstruktiv mit un-           tensweisen von KPen, bei der Bewer-       nehmen. Erst wenn der Rubikon über-
     serem Konflikt beschäftigen«. Die Fra-            tung von Optionen, oder als Teil von      schritten wird, wenn aus einem Mo-
     gen zu Erwartungen und Befürchtungen              Abschlussevaluationen.                    tiv eine Intention wird, ist klar, was ge-
     hatten über die Sprache primär die lin-                                                     wollt wird. Für die Überschreitung
     ke Gehirnhälfte angesteuert, und die              Das Rubikon-Modell –                      dieses inneren »Grenzflusses« braucht
     emotionale Ladung war für die beiden              unbewusste Bedürfnisse und                es positive Emotionen, die wiederum
     MediandInnen in der Deutlichkeit nicht            die Arbeit mit der Bildkartei             durch das Signalsystem der somati-
     erfahrbar gewesen. Bei einer KP hatte es          Die Aufmerksamkeit in der Mediation       schen Marker erfahrbar werden. Durch
     innerlich bereits eine »Aufrechnung « der         liegt zumeist auf der inhaltlichen Ebe-   ein ZRM-Training werden Menschen be-
     beiden Skalen gegeben. Die zweite KP for-         ne von Bedürfnissen: Welche stehen        fähigt, stärker auf ihre Bedürfnisse zu
     mulierte es so, dass die »Wucht der eige-         hinter den Positionen der Konfliktpar-    achten, eine Voraussetzung, um selbst-
     nen Befürchtungen doch stärker ist, als           teien? Das ZRM richtet die Aufmerk-       kongruente Entscheidungen treffen zu
     ich sie mir zugestehen möchte. Als Füh-           samkeit weniger auf das WAS, sondern      können. Gelingt dies, verringert sich
     rungskraft beschäftigen wir uns nicht mit         mehr auf das WIE. Wie werden aus Be-      das Risiko für innere Konflikte und da-
     den Befürchtungen«. Bei dieser KP wa-             dürfnissen konkrete Handlungen? Ju-       mit auch für die Projektion meiner in-
     ren auf der Minus-Skala vorwiegend Äng-           lius Kuhl spricht von einem unbewuss-     neren Konflikte auf mein Gegenüber.
     ste vor Kontrollverlust, bzw. vor Veröf-          ten »Bedürfniskern9«, der die Basis       In der Mediation bedeutet dies, sich
     fentlichung von Einzelheiten des Konflikts        jedes Motivs und damit von Motivation     auf die Suche zu begeben, wie an die-
     in der eigenen Organisation vorhanden.            und Handlung ist. Bevor unbewusste        sen unbewussten Bedürfniskern her-
     Gleichzeitig gab es auch Stolz, dass die          Bedürfnisse in Ziele oder eine konkrete   anzukommen ist. Da dieser nicht durch
     »Geschäftsführung noch so handlungsfä-            Handlung überführt werden, müssen         Sprache erreichbar ist, sind andere Zu-
     hig« war, dass sie sich zu einem solch un-        sie einen »Reifungsprozess« durchlau-     gangsweisen und Methoden notwen-
     gewohnten Schritt der Konfliktbearbei-            fen. Dazu nutzt das ZRM das folgende      dig, die im üblichen Mediations-Metho-
     tung entschlossen hatte.                          Prozessmodell:                            denkoffer nicht enthalten sind.
     Bei der zweiten KP gab es zwar eine Hoff-
     nung, dass es »nun leichter werden kann
     im Gespräch durch die Moderation«, aber
     es überwog hier die Angst, durch das Re-
     den über den Konflikt »die eigene Energie
     weiter zu verlieren und letztlich doch als
     Verlierer dazustehen«. Durch diese stär-
     kere Differenzierung der emotionalen La-
     dung zu Beginn des Verfahrens war es
     möglich, gleich in der ersten Stunde die
     Interessen der beiden Seiten aktiv zu klä-
     ren, erste konkrete Schritte im Hinblick
     auf das Selbstmanagement (etwa für die
     eigene Stabilität im Mediationsverfah-
     ren) anzuregen, sowie Vereinbarungen im           Abb.2 : Der Rubikon-Prozess10
     Hinblick auf die Gestaltung des Media-
     tionsprozesses zu treffen. Am Ende des            Der Unterschied zwischen einem Be-        Im ZRM wird zur Erhellung des Bedürf-
     Mediationsverfahrens betonten die KPen,           dürfnis und einem Motiv liegt in der      nisses mit analogen Methoden, wie
     dass dieser Einstieg ihnen geholfen hatte,        Terminologie von Storch/Krause im         z. B. der Bildkartei gearbeitet. Diese be-
     aus ihren bisherigen, stereotypen Wahr-           Grad der Bewusstheit: Bedürfnisse sind    steht 64 Fotos, aus denen ein Bild aus-
     nehmungen der anderen Seite und den               vorbewusst oder unbewusst, ein Mo-        gewählt wird, das eine unmittelbare
     daraus resultierenden Kommunikations-             tiv ist bewusst verfügbar, kann also in   positive emotionale Reaktion beim Be-
     mustern auszusteigen.                             einer Mediation auch durch Sprache
                                                                                                 8
                                                                                                   S Im Rahmen der Konfliktkultur-Kulturkonflikt
                                                       adressiert werden. Aber nicht jedes Mo-   s. www.konfliktkultur.com.
     In unseren Mediationen nutzen wir
                                 8
                                                       tiv wird auch gleich in einer Handlung
                                                                                                 9
                                                                                                     Kuhl, J. 2001, S. 553.
     Affektbilanzen und die Bewertung mit              umgesetzt. Manchen Motiven stehen
     somatischen Markern zu unterschied-               unbewusste Bedürfnisse entgegen. Das      10
                                                                                                      Quelle: Storch/Krause, 2007, S. 65.

30   Spektrum der Mediation 45/2012 Fachzeitschrift des Bundesverbandes Mediation
Berichte zum Thema

 Kurativer Einsatz                                    Präventiver Einsatz                                 Qualifizierung MediatorInnen

 • Konfliktcoaching: Haltung in Konfliktsitua-        • Entlastung von Führungskräften und                • Coaching: Sicherheit im Umgang mit
     tionen, Verhalten bei typischen Auslösern von        MitarbeiterInnen durch mehr Klarheit über           komplexen Situationen in Mediation
     Konflikteskalationen                                 eigene Bedürfnisse statt inneren Konflikten         (Affektbilanz, Wenn-Dann-Pläne)
 •   Konfliktinterventionen in Teams: Klärung von         (Bildkartei, Mottoziele)                        •   Stärkung eigener Konfliktfähigkeit
     neuen Zielsetzungen (Arbeit mit Bildkartei),     •   Optimierung von komplexen Entscheidungs-            (Mottoziel)
     Visualisierung von Unterschieden in Bewer-           prozessen in Organisationen
     tungen, Optimierung von Entscheidungen               (Affektbilanzen)
     (Affektbilanz)
 •   Mediation: Auftragsklärung, Analyse
     und Bewertung von Lösungsoptionen
     (Affektbilanz)

Abb.3 : Einsatzmöglichkeiten des ZRM im Kontext Mediation

troffenen hervorruft. Damit werden                   jeweiligen Bildern gesammelt (nicht die
die unbewusst vorhandenen Elemente                   Vermutungen, was dieses Bild mit der                 Literatur
einer Situation aufgegriffen. Dieser                 neuen Orientierung, Vision für das Team              * Damasio, Antonio R.: Descartes’ Irrtum.
Bildauswahl folgt ein mehrstufiger                   zu tun haben könnte). Jeder erhielt die              Fühlen, Denken und das menschliche
                                                                                                          Gehirn. München 1994.
Prozess der Assoziationsbildung und                  zu den jeweiligen Bildern mitgeschrie-
der Auswahl von Assoziationen, wie-                  benen Begriffe und konnte mit Hilfe der              * Krause, F; Storch, M.: Ressourcenorientiert
                                                                                                          coachen mit dem Zürcher Ressourcen
der mit Hilfe der somatischen Marker,                eigenen somatischen Marker auswäh-                   Modell – ZRM. In: Psychologie in Österreich
der zunächst in einer Eingrenzung des                len, welche Begriffe besonders starke po-            2006/1, S. 32-43, 2006.
zugrunde liegenden Themas und an-                    sitive Resonanzen hervorrufen. Aus die-              * Krause, F.; Storch, M.: Selbstmanagement
schließend dann in einem Mottoziel                   sen wurde eine erste Annäherung für                  – ressourcenorientiert. Grundlagen und
                                                                                                          Trainingsmanual für die Arbeit mit dem Zür-
mündet.                                              ein Mottoziel des Gesamtteams entwi-                 cher Ressourcen Modell (ZRM). Bern 2007.
                                                     ckelt. Es folgte ein Wechsel aus kreativen
                                                                                                          * Storch,M.; Cantieni, B.; Hüther, G.;
Fallbeispiel                                         Prozessen und Reflexionen. Nach meh-                 Tschacher, W.: Embodiment. Die Wechsel-
In einem Team eines Medienunterneh-                  reren Durchläufen wurde ein Motto-Ziel               wirkung von Körper und Psyche verstehen
                                                                                                          und nutzen. Bern 2006.
mens gab es nach einer ersten erfolg-                für die kommenden zwei Jahre formu-
                                                                                                          * Storch, M.; Kuhl, J.: Die Kraft aus dem
reichen Phase eine wachsende Zahl von                liert, bei dem alle Teammitglieder in ih-
                                                                                                          Selbst. Sieben PsychoGyms für das Unbe-
internen Spannungen und Konflikten,                  ren Affektbilanzen mindestens bei plus               wusste. Bern 2012.
die kalt eskaliert wurden. Bei einer ers-            70 und höchstens bei minus 30 waren.                 * Patera, M.: Emotionen gestalten. Eine
ten Bestandsaufnahme der Konflikt-                   Dieses Motto wurde dann durch ein ge-                Schlüsselkompetenz interessenbasierter
                                                                                                          Mediation - 2. Teil, In: perspektive media-
felder und -dynamiken wurde sichtbar,                meinsames und zusätzlich durch indivi-               tion 2009/4, S. 200-206, 2009.
dass es weniger um konkrete Einzelthe-               duell unterschiedliche Erinnerungshil-
men ging, die zu Konflikten geführt hat-             fen verankert. Als abschließender Schritt
ten. Bei vielen Teammitgliedern war der              wurden konkrete Maßnahmen formu-                     AutorInneninfo
Eindruck entstanden, dass »die Luft raus             liert, wie dieses Motto in den kommen-
ist«. Es fehlte für viele eine positive Ori-         den acht Monaten nach innen und au-
entierung, die sichtbar machte, wo-                  ßen gelebt werden sollte.
für sich die Arbeit in diesem Team loh-
nen sollte. Gerade in einer Profession,              Analoge Zugangsweisen sind im Kon-
deren Umfeld stark durch eine Defizit-               text Mediation, in dem primär durch
kultur und Abwertungen geprägt ist,                  verbale Sprache interveniert wird, eher
ist diese gemeinsame positive Zielset-               die Ausnahme. MediatorInnen befürch-
zung, die eine Verbindung fördert, wich-             ten in einer bereits angespannten Situ-
tig. Nach diesem Diagnoseschritt, der                ation durch ungewohnte Zugangswei-
für die Teammitglieder bereits eine Ent-             sen die Ängste bei den Konfliktparteien
lastung darstellte, da es nicht um per-              und die darauf basierenden Reaktio-
sönliches Fehlverhalten bzw. fehlende                nen (Abwertungen, Widerstand etc.)
Kompetenzen (»nicht teamfähig«) ging,                zu fördern. Diese Haltung kann durch
wurde mit Hilfe der Bildkartei eine neue             die Entwicklung eines eigenen Motto-                 * Ulrike Gamm
Orientierung für dieses Team formuliert.             Ziels im Rahmen eines ZRM-Coachings                   Geschäftsführende Gesellschafterin der
                                                                                                           Konfliktkultur-Kulturkonflikt Wien;
Dazu wählte sich jeder aus der Bildkar-              verändert werden. Ich sehe daher drei
                                                                                                           Unternehmensberaterin und Mediatorin
tei ein Motiv aus (themenspezifische Bil-            Anwendungsfelder, in denen das ZRM
derwahl). Im anschließenden Brainstor-               wertvolle Impulse für die Entwicklung                * E-Mail: Ulrike.Gamm@konfliktkultur.com
ming wurden die Assoziationen zu den                 von Mediation liefert (s. Abb. 3).

                                                                            Spektrum der Mediation 45/2012 Fachzeitschrift des Bundesverbandes Mediation   31
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