Rettung vom Hindukusch - In der politischen Umbruchphase in Afghanistan unterstützten Cobra-Polizisten und Dokumenten-berater österreichische ...
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KRISEN-UNTERSTUTZUNGSTEAMS Flughafen in Taschkent, Usbekistan: Zusammenarbeit von Deutschland, Österreich und der Schweiz. Rettung vom Hindukusch In der politischen Umbruchphase in Afghanistan unterstützten Cobra-Polizisten und Dokumenten- berater österreichische Staatsangehörige bei ihrer schwierigen und gefährlichen Ausreise. m August 2021 überschlugen sich KUT-Einsatz. Das Bundesministeri- zug auf Logistik, Kommunikation, Per- I die Ereignisse in Afghanistan: Die islamistische Bewegung der Taliban hatte seit Mai nach und nach die Macht um für europäische und internationale Angelegenheiten (BMeiA), das Bun- desministerium für Inneres (BMI) und sonen- und Gebäudeschutz unterstüt- zen. „Notfalls muss eine Evakuierung des Botschaftspersonals organisiert und in verschiedenen Regionen des Landes das Bundesministerium für Landesver- durchgeführt werden“, sagt Hubegger. am Hindukusch an sich gerissen. Mitte teidigung (BMLV) beschlossen den August nahmen die Taliban Kabul ein, Einsatz eines Krisen-Unterstützungs- Usbekistan. Nach einer ersten Eva- kurz darauf kamen zivile Luftverbin- teams (KUT). „Das wesentliche Krite- luierung der Lage durch ein kleines dungen zum Erliegen und pro Tag wur- rium für einen KUT-Einsatz ist, dass Team in Kabul wurde entschieden, die de nur noch eine beschränkte Zahl von sich eine größere Anzahl von Österrei- „Basis“ nicht in Afghanistan, sondern militärischen Flügen aus dem Land ge- chern in einer Krisenlage befindet“, er- in Usbekistan einzurichten. Der Kri- lassen. Bilder von Menschen, die sich klärt Brigadier Berthold Hubegger, BA senstab aus BMI, BMeiA und BMLV vor den Toren des Kabuler Flughafens MA, Leiter des Referats für Auslands- kam überein, ein Krisen-Unterstüt- drängten oder die Rollfelder stürmten, einsätze im Bundesministerium für In- zungsteam nach Usbekistan zu entsen- gingen um die Welt. „Niemand wusste neres. Das entsendete Team soll dem den. Das zentralasiatische Nachbarland zu dieser Zeit, wie es nach dem 31. diplomatischen Personal vor Ort in ers- Afghanistans entwickelte sich gerade FOTO: EKO COBRA/DSE August weitergehen würde und ob man ter Linie „konsularisch“ zur Seite ste- zur Zwischenstation für militärische danach überhaupt noch aus Afghanis- hen, also dabei helfen, Auslandsöster- Flüge, die Grenzen auf dem Landweg tan ausreisen kann“, schildert Oberst- reicher bzw. österreichische Reisende waren „nach dem damaligen Wissens- leutnant Thomas Pinkel vom Einsatz- zurück in die Heimat zu bringen, bei stand bereits mehr oder weniger ge- kommando Cobra. Bedarf aber auch die Botschaft in Be- schlossen“, erinnert sich Thomas Pin- ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 11-12/21 51
E I N SAT Z KOM M A N D O CO B R A kel. Zusammen mit vier weiteren Co- getarnt in der großen Massen von Aus- bra-Angehörigen flog der Oberstleut- reisewilligen – nach Europa gelangen“, nant, der beim Einsatzkommando Co- betont Oberst Thomas Pinkel. bra/Direktion für Spezialeinheiten das Referat 2.4 (Personen und Objekt- Pakistan. Da unklar war, ob sich schutz) leitet, in die usbekische Haupt- noch eine Luftbrücke in ein anderes stadt Taschkent. Innerhalb des EKO Land entwickeln könnte, blieb vorerst Cobra/DSE ist das Know-How für ein Teil des Cobra-Kontingents in KUT-Einsätze seit 2017 im Bereich der Österreich in Warteposition. Bald kris- Abteilung 2 (Ausbildung und Spezial- tallisierte sich heraus, dass es zwar kei- einsatz) gebündelt. Neben der Cobra ne Evakuierungsflüge mit Österrei- gehören zu einem Krisen-Unterstüt- chern mehr in andere Staaten geben zungsteam regelmäßig andere Spezia- würde, dass aber einige Staatsbürger listen. Nach Taschkent wurden auch versuchten, auf dem Landweg über die drei Dokumentenberater entsandt. Die afghanisch-pakistanische Grenze aus- Aufgabe dieser Polizisten war es insbe- zureisen. Gleichzeitig begann die Si- sondere, Fälschungen von Reisedoku- tuation in der pakistanischen Haupt- menten zu erkennen. Auf dem Flugha- stadt Islamabad unruhiger zu werden, fen von Taschkent mieteten Deutsch- da sich dort immer mehr flüchtende land und die Schweiz einen eigenen Menschen aus Afghanistan sammelten. Cobra-Beamter in Taschkent: Terminal an, in dem auch die österrei- Ein Cobra-Team wurde nach Islama- Screening von Ausreisewilligen. chischen BMI-Bediensteten zum Ein- bad entsandt, um die österreichische satz kamen. Mit der deutschen Bundes- im Überprüfen und Erkennen gefälsch- Botschaft zu unterstützen. Gleich nach wehr war vereinbart worden, dass nach ter bzw. verfälschter Dokumenter aus- der Ankunft in Islamabad halfen die Möglichkeit auch Menschen mit einer gebildet sind. Diese „Dokumentenbera- Cobra-Beamten den Botschaftsbe- österreichischen Staatsbürgerschaft ter“ üben keine hoheitliche Tätigkeit diensteten, eine Mutter mit zwei Kin- oder Aufenthaltsberechtigung von Mi- im Ausland aus, leisten aber umfassen- dern zum richtigen Flugzeug nach litärflugzeugen nach Usbekistan ge- de Beratungsdienste. Zu ihren Aufga- Europa zu lotsen. Zwei Tage später bracht werden könnten. ben zählt die Unterstützung von Kon- verdichteten sich Informationen, dass Die Zeit drängte: „Wir hatten nur sulatsmitarbeiter bei der Überprüfung verschiedene ausländische Staatsbür- ein sehr kleines Fenster von fünf Tagen von Visaanträgen und die Unterstüt- ger, darunter auch Österreicher, auf und vier Nächten, wo Menschen mit zung des Flughafenpersonals bei der dem Weg zum Chaiber-Pass seien, der Österreich-Bezug von deutschen Ma- Überprüfung von Passagieren, aber Afghanistan und Pakistan verbindet. schinen aus Afghanistan mitgenommen auch die Schulung von Konsulatsmitar- „Die Grenze war dort an sich geschlos- werden konnten“, erklärt Pinkel. Da- beitern, Flughafenpersonal und lokalen sen“, sagt Thomas Pinkel. „Grundsätz- nach waren nicht mehr genügend Ka- Grenzkontrollbeamten. „Einige Perso- lich hieß es, dass Menschen mit gülti- pazitäten vorhanden. Österreich war nen, die nach Österreich wollten, hat- gen Reisedokumenten durchgelassen zwar eine Zeitlang mit Polizei- und ten keine Reisedokumente bei sich, würden, die tatsächliche Lage vor Ort Bundesheerkräften in Afghanistan sta- hier war es notwendig, durch die Über- war aber unklar.“ tioniert gewesen, hatte allerdings als prüfung sonstiger Papiere und Befra- Nachdem eine schriftliche oder tele- Teil von internationalen Missionen nie gungen ein klares Gesamtbild zu be- fonische Kontaktaufnahme mit den eigene lokale Kräfte, die allenfalls ge- kommen,“ sagt Abteilungsinspektor Grenzposten nicht möglich war, ent- rettet hätten werden müssen. Christoph Binder von der Landespoli- schloss sich das Cobra-Team zusam- Die BMI-Angehörigen unterstützten zeidirektion Kärnten. Er war in der In- men mit einem Fahrer und einem Bot- am Flughafen in Taschkent im Rahmen tensivphase als Dokumentenberater mit schaftsbediensteten direkt zum Chai- der internationalen Zusammenarbeit zwei weiteren Experten in Usbekistan ber-Pass aufzubrechen. Über den pa- die deutsche Bundeswehr mit einem im Einsatz. „Die Befragungen waren kistanischen Geheimdienst besorgte Screening der Ausreisewilligen, wobei teilweise sehr umfangreich, bei Bedarf sich das Team die erforderlichen Pas- es insbesondere zu verhindern galt, konnten wir auch Dolmetscher beizie- sierscheine und brach mit einem son- dass Sprengstoff, Waffen oder andere hen“, sagt Binder. Mit dem österrei- dergeschützten Fahrzeug in Richtung gefährliche Gegenstände eingeführt chische Generalkonsulat in Frankfurt Afghanistan auf. „Pakistan ist ein oder weitertransportiert werden. Je- am Main, wo die Ausreisenden aus Land, wo alle wichtigen Kontakte über weils ab der Mittagszeit trafen die ers- Taschkent per Lufthansa hingebracht das Militär und den Geheimdienst lau- ten Flüge aus Kabul in Taschkent ein, wurden, bestand ein permanenter Aus- fen. Wir mussten unsere Fahrt ankün- in den ersten fünf Tagen des KUT-Ein- tausch. „Wir hatten auch einen öster- digen, um Vorwürfen zu begegnen, satzes wurden von den deutschsprachi- reichischen Dokumentenberater in dass wir vielleicht Terroristen aus Af- gen Sicherheitskräften 5.800 Menschen Frankfurt, der von uns alle relevanten ghanistan nach Pakistan importieren“, FOTO: EKO COBRA/DSE kontrolliert und für die Weiterflüge mit Informationen erhalten hat“, erklärt schildert Pinkel. Auf der Fahrt ins Ge- Chartermaschinen der Lufthansa nach Binder. „Die Anwesenheit der Doku- birge stand nur eine Straße zur Verfü- Frankfurt am Main abgefertigt. mentenberater in Taschkent war ex- gung: „Wir hatten keine Ausweichrou- Seit 2003 werden beim BMI Poli- trem wichtig, um zu verhindern, dass te und keinen Plan B“, beschreibt einer zistinnen und Polizisten eingesetzt, die Terroristen oder andere Verbrecher – der Cobra-Beamten. Das Team musste 52 ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 11-12/21
E I N SAT Z A M H I N D U KUS C H Fahrt zur pakistanischen Grenze; zur Überprüfung von Identitäten setzte des Innenministerium auch Dokumentenberater ein. vier Checkpoints passieren, es gab Ge- können“, erläutert Thomas Pinkel. bemerkt Brigadier Berthold Hubegger. rüchte von Erpressungen und Entfüh- Nach dem Ende der Mission geht die „Die Beiziehung von Dokumentenbe- rungen bei Durchreisenden. Zahlreiche Abwicklung der Ausreisen wieder in ratern in den Krisen-Unterstützungs- paschtunische Clans, die seit Jahrhun- die alleinige Verantwortung des Bot- teams hat sich als äußerst wertvoll er- derten in der Region lebten, kontrol- schaftspersonals über. Entgegen ur- wiesen. In Taschkent waren anfangs lierten die Routen. Am Chaiber-Pass, sprünglichen Anzeichen ist das Ausrei- nur österreichische Dokumentenspezia- einem der bedeutendsten Pässe der his- sen aus Afghanistan nach dem 31. Au- listen eingesetzt, die auch die deut- torischen Seidenstraße, gelang es den gust mit gültigen Reisedokumenten schen Kollegen unterstützt haben. Cobra-Beamten, Kontakt mit den möglich geblieben, inzwischen finden Durch ihre erfolgreiche Mitwirkung Grenzsoldaten herzustellen. In einem teilweise wieder zivile Flüge statt. hat sich Deutschland schließlich ent- improvisierten Migrationsbüro in ei- Auch in das Krisen-Unterstützungs- schlossen, ebenfalls Dokumentenbera- nem Container konnten sie die Ankunft team für Pakistan wurde ein Dokumen- ter nach Usbekistan abzustellen“, sagt der österreichischen Staatsangehörigen tenberater entsandt. Die Funktion wird Hubegger. avisieren und deren Durchlassen erwir- derzeit alle paar Wochen neu besetzt, „Gemeinsam haben es österreichi- ken. Alle notwendigen Formulare mit Stand Oktober 2021 ist weiterhin sche Polizisten geschafft, Österreicher mussten die österreichischen Polizisten ein Dokumentenberater an der Öster- aus dem krisengeschüttelten Afghanis- in Papierform vorlegen, eine Übermitt- reichischen Botschaft in Islamabad tä- tan in Sicherheit zu bringen“, unter- lung per E-Mail oder Fax wäre ausge- tig. „Es muss nach wie vor damit ge- streicht Bernhard Treibenreif, Direktor schlossen gewesen. Die Stimmung im rechnet werden, dass Menschen mit ei- des EKO Cobra/DSE. „Die Kooperati- Grenzgebiet war sehr angespannt, da nem Bezug zu Österreich versuchen, on zwischen dem Innen- und dem Au- erst wenige Stunden zuvor sechs Af- Afghanistan zu verlassen und über Pa- ßenministerium war, wie gewohnt, her- ghanen erschossen worden waren, die kistan nach Europa auszureisen“, er- vorragend.“ versucht hatten, illegal ins Land zu klärt Chefinspektor Roland Frühwirth, kommen. Landestrainer für Dokumentensicher- Botschaftsschutz. Österreich hat Zwei Tage später postierte das pa- heit und Personenverifizierung bei der keine permanenten Polizeikräfte an kistanische Militär etwa 100.000 Solda- Landespolizeidirektion Steiermark. Er Botschaften im Ausland, entsendet ten am Chaiber Pass. „Das wäre völlig war bis Mitte September in Islamabad aber in Krisenfälle Beamte des Einsatz- unübersichtlich geworden, unsere Leute stationiert. Eine der Herausforderun- kommandos Cobra. Solche Missionen wären wohl nie mehr bis zur Grenze gen, mit der er und seine Kollegen bei führten Cobra-Beamte unter anderem vorgedrungen“, schätzt Pinkel. Durch vielen Einsätzen konfrontiert sind, ist 1994, 1996 und 1998 nach Algier (Al- den couragierten Einsatz gelang es, ein möglicher Identitätsmissbrauch: gerien), 1997 nach Tirana (Albanien) dass in der Folge einige Menschen mit „Da geht es nicht um ein gefälschtes und 2011 im Rahmen des „Arabischen österreichischer Staatsbürgerschaft oder Dokument, sondern darum, dass je- Frühlings“ in mehrere nordafrikanische österreichischem Aufenthaltstitel sicher mand sich mit einem fremden Doku- Staaten. Außerhalb von konkreten An- nach Islamabad weiterreisen konnten. ment als eine andere Person ausgibt.“ lassfällen beauftragen das BMI, das Die Dokumentenberater sind auf dieses BMeiA und das BMLV regelmäßig Botschaftssicherheit. Das Cobra- Phänomen vorbereitet – etwa, in dem KUT-Erkundungsmissionen, bei denen Team verblieb noch ein paar Tage an sie Kopfformen und Gesichtspartien Vertretungsbehörden in Sicherheitsfra- der Botschaft, um für die Sicherheit der mit den Proportionen auf Passfotos gen und hinsichtlich der Krisenvorsor- diplomatischen Vertretung zu sorgen. vergleichen. „In Islamabad und Tasch- geplanung beraten werden. Dabei wird FOTOS: EKO COBRA/DSE „Wir haben uns das Gebäude, das Ge- kent kam es zu keinen solchen Fällen, das Krisenmanagement vor Ort beur- lände, Fluchtmöglichkeiten, Vorräte das BMI wollte aber mit den Doku- teilt, Evakuierungspläne werden über- und Ausrüstung angesehen. Wenn die mentenberatern, die wir anlässlich der prüft und Maßnahmen für den Perso- Lage eskaliert wäre, hätten wir weitere Lage in Afghanistan entsandt haben, nen- und Gebäudeschutz evaluiert. Spezialisten nach Islamabad schicken für alle Situationen gewappnet sein“, Gregor Wenda ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 11-12/21 53
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