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RISIKOFAKTOR MENSCH – EIN AUGENSCHEIN VON INNEN Risikofaktor Mensch – ein Augenschein von innen Simon C. Hardegger Psychologe und Leiter Zentrum Diagnostik, Verkehrs- & Sicherheits- psychologie, IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW Patrick Boss Prof. Dr., Psychologe am Zentrum Diagnostik, Verkehrs- & Sicher- heitspsychologie, IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW Zusammenfassung Für staatliche Sicherheitsorganisationen ist die Re- nagements stellt psychologische Risikodiagnostik für putation, im Hinblick auf die öffentliche Wahr- den Berufskontext eine effiziente Möglichkeit dar, nehmung, für ihre Glaubwürdigkeit und Akzep- einerseits Personen mit potenziell negativen Per- tanz zentral – gerade mit Bezug auf das staatliche sönlichkeitseigenschaften frühzeitig von der eigenen Gewaltmonopol und der damit einhergehenden Organisation fernzuhalten (z. B. Polizeiaspiranten/ Verantwortung und Verpflichtung. Bewusstes Fehl- -innen oder quereinsteigende Personen mit funkti- verhalten und schädigende Handlungen aus den onsbezogen besonderer Verantwortung) und ande- eigenen Reihen, sogenannte Insider Threat, sind rerseits bei besonderen Vorkommnissen fundierte dabei besonders ärgerlich und können die Integri- Aussagen über die nachhaltige Zuverlässigkeit einer tät der Organisation sowie die Qualität der Arbeit bestimmten Person zu machen. bedrohen. Im Rahmen eines umfassenden Risikoma- Ein bis dahin als unbescholten und zuverlässig gel- Organisationsschädigendes Verhalten verursacht tender Kader-Mitarbeiter eines Polizeikorps beginnt, Kosten in Millionenhöhe nachdem er seine Organisation in- und auswendig Zu denken ist dabei an kontraproduktives Verhalten kennt, die Möglichkeiten und Grenzen systematisch wie Amtsmissbrauch, Verletzung des Amtsgeheim- auszuloten und ein ausgeklügeltes illegales Geschäft nisses, Begünstigung, Vorteilsannahme, Missachtung zu etablieren. Dabei bereichert er sich über Jahre von Dienst- oder Sicherheitsvorschriften, aber auch unrechtmässig. Dies ist aus der Perspektive der Be- Fälle wie Mobbing oder sexuelle Belästigung5. We- trugsbekämpfung ein typischer Fall1. niger offensichtlich, aber nicht minder spürbar, kön- Gemäss einer Studie von PricewaterhouseCoo- nen finanzielle Schäden auch dann anfallen, wenn pers (PwC)2 entstanden 2020 durch Betrug weltweit Angehörige eines Polizeikorps durch ihr Verhalten Schäden in Höhe von USD 42 Mia. In der Schweiz ein vergiftetes Arbeitsklima, eine verminderte Ar- waren es gemäss einer Studie von KPMG3 im selben beitsmoral, Krankheitstage und Kündigungen von Zeitraum CHF 355 Mio., in der Tendenz seit über zehn Jahren steigend4. Die finanziellen Verluste spie- 1 KPMG (2016). Global profiles of the fraudster: Technology enables geln dabei nur eine Seite dieses schwierigen Phä- and weak controls fuel the fraud. 2 2020 PwC’s Global Economic Crime and Fraud Survey. nomens wider. Gerade für staatliche Organisationen 3 KPMG’s Forensic Fraud Barometer 2020. und insbesondere Polizeikorps stellen Reputations- 4 Entwicklung der Wirtschaftskriminalität: https://blog.hslu.ch/eco- und Imageschäden bzw. der Verlust an Vertrauen nomiccrime/2019/09/16/entwicklung-der-wirtschaftskriminalitaet/ 5 Gruys M. L. & Sackett P. R. (2003). Investigating the Dimen- und Glaubwürdigkeit die weitaus schlimmeren Kos- sionality of Counterproductive Work Behavior. International Jour- ten bzw. Konsequenzen dar. nal of Selection and Assessment, 11(1), 30–42. 78 format magazine no 11
RISIKOFAKTOR MENSCH – EIN AUGENSCHEIN VON INNEN Arbeitskollegen/-innen oder gar interne Untersu- Weiterbildung, Entwicklung), was gerade in Poli- chungen provozieren. Auch klassische Delinquenz zeikorps einer traditionell gut etablierten Praxis ent- wie Verstösse gegen das Betäubungsmittelgesetz, spricht. missbräuchliche Gewaltanwendung im beruflichen Der zweite Fall menschlichen Risikopotenzials oder privaten Bereich und Verkehrsregelverletzungen besteht darin, dass organisationsschädigendes Ver- gehören zu den Ereignissen, die insbesondere durch halten aufgrund einer egoistischen und/oder bös- mediale Berichterstattung das Ansehen und die Inte- artigen Haltung entsteht. Der Umgang mit diesem grität einer Polizeibehörde beeinträchtigen können. Risikopotenzial bedarf eines etwas differenzierteren Daraus lassen sich zwei wichtige Erkenntnisse ab- Ansatzes und der wichtigen Entscheidung vorab, leiten, die all diese Phänomene gemeinsam haben: welche Basisstrategie des Risikomanagements ange- 1. Angehörige von Polizeikorps sind auch nur Men- wandt werden soll: schen. In diesem Sinn überrascht es nicht, wenn • Präventives Risikomanagement: Dieser sehr klas- negative Aspekte des Menschseins auch hier zu sische Ansatz hat zum Ziel, menschliche Risiken Tage treten. frühzeitig von der eigenen Organisation fernzuhal- 2. Eine zentrale Bedrohungsquelle für den Organi- ten. Dies geschieht im Rahmen der Personalaus- sationen zugefügte Schäden ist in ihnen selbst zu wahl und somit noch bevor verorten. Man spricht in diesem Fall von Insider die Möglichkeit besteht, dass Die grundsätzliche Strategie im Threat. sich eine organisationsschä- Fall von menschlichem Risiko- Doch wie lässt sich das Risiko von Insider Threat digende Wirkung entfaltet. potenzial in Folge von Kompetenz- reduzieren? Im Folgenden wird erörtert, welche Stra- Denkbar sind hierbei der Ein- mangel besteht in einem gezielten tegien zu deren Kontrolle existieren. Dabei wird ein satz eignungsdiagnostischer Kompetenzenmanagement. besonderer Fokus auf die Risikodiagnostik geworfen. Instrumente7, Background- Checks mit vertieftem Augenschein, Informationen Die Absicht bestimmt die Strategie des Risikoma- zum Hintergrund und dem Umfeld einer Person nagements sowie die Anwendung psychologischer Risikodia- Insider Threat kann grob zusammengefasst als organi- gnostik (siehe ausführliche Darstellung unten). sationsschädigendes Verhalten aus den eigenen Rei- • Systemisch-interventives Risikomanagement: Bei hen definiert und ganz allgemein als menschliches dieser Form werden in der Organisation Prozes- Risikopotenzial verstanden werden. Die Auffassung se und Verfahren etabliert, welche organisations- als Risikopotenzial ermöglicht einen strukturierten schädigendes Verhalten verhindern, wie z. B. das Umgang damit und somit die Möglichkeit, Kontroll- Mehraugen-Prinzip, Hotlines, Monitorings oder strategien festzulegen6. Dazu unterscheidet man in bestimmte Dialogformen. Weitere Möglichkeiten einem ersten Schritt zwischen den verschiedenen bestehen in der Schaffung von Klarheit in Form Absichten des Verhaltens. Die Absicht bestimmt in von Leitsätzen, Policies oder Dienstvorschriften der Folge die Strategie zur Kontrolle der Risiken. sowie auf Ebene der Mitarbeitendenschulung Im ersten Fall von menschlichem Risikopotenzial und der Kulturentwicklung. In letzter Konsequenz entsteht ein solches Verhalten aus Kompetenzman- kommt dieser Form des Risikomanagements eben- gel, der sich in fehlerhaften Handlungen äussert und falls eine präventive Wirkung zu, sie fokussiert sich in der Regel ohne böse Absicht geschieht. Streng aber auf die aktuell beschäftigten Mitarbeitenden. ausgelegt könnte auch das ungenügende Bemühen • Reaktives Risikomanagement: Hier fehlen im We- um ein angemessenes Mass an Kompetenz zumin- sentlichen die Massnahmen zur Kontrolle von dest als verwerfliche Haltung beurteilt werden. In menschlichen Risiken und der Fokus liegt prinzi- erster Linie geht es jedoch um Fälle wie z. B. Über- piell darauf (wenn auch nicht unbedingt bewusst forderung in der Bewältigung einer komplexen Si- beabsichtigt), bei Eintreten eines Schadens mit den tuation oder den unbedarften Umgang mit Cyber- daraus resultierenden Konsequenzen umzugehen. gefahren. Die grundsätzliche Strategie im Fall von menschlichem Risikopotenzial in Folge von Kompe- 6 Vgl. z. B. Risikomanagement nach ISO 31000:2018. tenzmangel besteht in einem gezielten Kompeten- 7 Kanning, U. P. (2018). Standards der Personaldiagnostik: Persona- zenmanagement (Auswahl, Platzierung, Aus- und lauswahl professionell gestalten. 2. Auflage. Hogrefe. format magazine no 11 79
RISIKOFAKTOR MENSCH – EIN AUGENSCHEIN VON INNEN Die verschiedenen Formen können miteinander wahren, Risikotendenzen in die Tat umzusetzen. Die kombiniert werden und entfalten dementsprechend im Rahmen psychologischer Risikodiagnostik einge- im jeweiligen Organisationskontext ihre spezifische setzten Instrumente entsprechen in ihrer Methodik Wirkung. Im Folgenden wird näher auf die psycho- den klassischen eignungsdiagnostischen Verfahren logische Risikodiagnostik als präventive Massnahme mit einer spezifischen Ausrichtung auf die beabsich- eingegangen. tigten Untersuchungsinhalte. Psychologische Risikodiagnostik als Antwort auf Risikodiagnostik in der Praxisanwendung Insider Threat In welchen Fällen soll in einer staatlichen Sicher- Wenn Entscheidungsträger/-innen im Rahmen von heitsorganisation die psychologische Risikodiag- Risikomanagement festlegen, Menschen mit poten- nostik zur Anwendung kommen? Folgende typische ziell negativen Implikationen im Sinne von einer frü- Szenarien können dabei unterschieden werden: hen Prävention von der eigenen Organisation fern- 1. Anwendung im Rahmen eines systematischen zuhalten, stellt die psychologische Risikodiagnostik Screenings des eintretenden Personals in ein eine direkte, zielführende und hilfreiche Massnahme Korps auf Stufe Mitarbeitende, als Ergänzung zur effektiven Risikokontrolle dar und leistet darü- zu bestehenden einschlägigen Formen von Eig- ber hinaus einen wichtigen Beitrag zur allgemeinen nungsdiagnostik und Hintergrundabklärungen. Qualitätssicherung8. Dazu existieren effiziente Tools, die komplett on- Psychologische Risikodiagnostik fokussiert sich line durchgeführt und ausgewertet werden kön- auf besonders egoistisches Verhalten und bösartige nen. Handlungen mit schädli- 2. Für Kaderfunktionen, quereinsteigendes Personal Das Ziel von psychologischer Risi- chen Folgen für die Or- oder Spezialisten/-innen in besonderer Vertrau- kodiagnostik ist es, zu erkennen, ob ganisation bzw. die Sach- ensstellung kann es sich lohnen, erweiterte For- Menschen negative Persönlichkeits- werte oder Menschen men von psychologischer Risikodiagnostik durch- eigenschaften bzw. entsprechende innerhalb oder im Umfeld zuführen. Verhaltensdispositionen aufweisen. der Organisation. Dabei 3. In Fällen, bei denen auf Grund von Vorkomm- geht es um die sogenann- nissen an der Vertrauenswürdigkeit und Integrität ten «ganz normalen» Menschen und nicht um spe- von Mitarbeitenden oder Kaderpersonen gezwei- zifische Populationen wie z. B. Delinquenten/-innen. felt werden muss, kann psychologische Risiko- In Abgrenzung zu anderen psychologischen Anwen- diagnostik Aussagen darüber liefern, ob die dungsfeldern müsste man daher korrekterweise von Grundlage für weiteres Vertrauen effektiv vorhan- «berufsbezogener psychologischer Risikodiagnos- den ist oder ob bestimmte Risiken weiterhin nicht tik»9 sprechen. ausgeschlossen werden können. Das Ziel von psychologischer Risikodiagnostik ist In einem systematischen Beurteilungsprozess es, zu erkennen, ob Menschen negative Persönlich- werden etwaige Auffälligkeiten zu Risikoclustern keitseigenschaften10 bzw. entsprechende Verhaltens- verdichtet, in Schlussfolgerungen über die gefunde- dispositionen aufweisen, verwerfliche Einstellungen nen Risiken überführt und in einem Bericht doku- pflegen oder anderweitigen Antreibern für kontext- mentiert. Als mögliches Resultat entsteht eine Aus- bezogen unangemessene oder absichtsvoll schädi- gende Handlungen ausgesetzt sind. Es geht dabei 8 Hogan R. & Kaiser R. B. (2005). What We Know About Leader- vor allem darum, die ganz extremen und damit ship. Review of General Psychology, 9(2), 189–180. 9 In einem erweiterten Verständnis kann Risikodiagnostik als sicher- besonders gravierenden Fälle zu entdecken. Bezo- heitspsychologische Massnahme im Kontext Human Factors bzw. gen auf die Häufigkeit wird von Erwartungswerten Hochzuverlässigkeitsorganisationen auch auf die Überprüfung von vorhandenen Kompetenzen zur Gewährleistung von Sicherheit zwischen einem und fünf Prozent der berufstätigen bzw. sicheren Systemzuständen ausweitet werden. Bevölkerung ausgegangen. 10 Vgl. z. B. Marcus D. K., Preszler J. & Zeigler-Hill V. (2018). A Network of Dark Personality Traits: What Lies at the Heart of Im Wissen darum, dass sich Risikopotenzial nicht Darkness? Journal of Research in Personality, 73, 56–62. zwangsläufig manifestieren muss11, werden im Rah- 11 Martinko M. J., Gundlach M. J. & Douglas S. C. (2002). To- ward an Integrative Theory of Counterproductive Workplace Be- men von psychologischer Risikodiagnostik auch havior: A Causual Reasonning Perspective. International Journal of Schutzfaktoren eruiert, die eine Person davor be- Selection and Assessment, 10, 36–50. 80 format magazine no 11
RISIKOFAKTOR MENSCH – EIN AUGENSCHEIN VON INNEN sage mit Empfehlung betreffend dem Risikopotenzial der Test fiel mit einem Ergebnis von 93.5 Prozen- (Eintretenswahrscheinlichkeit und Schadensschwere) trängen sehr auffällig aus. In verhaltensbezogenen sowie den vorhandenen, das Risikopotenzial redu- Simulationen und dem Interview konnte diese zierenden Schutzfaktoren der untersuchten Person. Auffälligkeit 1:1 beobachtet Den Entscheidungsträgern/-innen steht damit eine werden. Das konsolidierte In einem systematischen Beurtei- belastbare Informationsgrundlage zur Verfügung, auf Ergebnis des Assessments lungsprozess werden etwaige Auffäl- deren Grundlage sie das weitere Vorgehen risikoba- wurde der Auftraggeberin ligkeiten zu Risikoclustern verdich- siert festlegen können. Auf diese Weise kann die in zurückgemeldet. Der zu- tet, in Schlussfolgerungen über die der Praxis noch wenig bekannte und entsprechend ständige Vorgesetzte stufte gefundenen Risiken überführt und selten angewandte Form des Risikomanagements das Ergebnis nicht als beson- in einem Bericht dokumentiert. einen wichtigen Beitrag leisten zur frühzeitigen Ab- ders bedenkenswert ein und wendung von potenziellen Schäden sowie zur Ab- sprach sich – entgegen der Empfehlungen der Or- sicherung der Reputation der eigenen Organisation. ganisationsrichtlinien – für die Einstellung aus. Diese Organisation geht damit das Risiko ein, Fallbeispiele dass eine Kultur von potenziell schädigenden Die folgenden authentischen Fallbeispiele fanden Verhaltenstendenzen (insbesondere in der Füh- alle im Rahmen einer Auswahlsituation oder anlass- rung) als akzeptiert gilt. Forschungsbefunde be- bezogenen Fokusuntersuchung statt und wurden legen, dass dadurch nicht nur Unzufriedenheit13 von spezialisierten Psychologen/-innen durchge- gefördert wird, sondern im weiteren auch kont- führt. Die Ergebnisse der Untersuchungen zeigen raproduktives Verhalten durch Frust oder Rache das Spektrum des Umgangs mit den Resultaten in erzeugt wird14. der Praxis auf. 3. Anlassbezogene Untersuchung nach Vorfällen 1. Systematisches Screening beim Eintritt in die Or- Ein Mitarbeitender fiel in einer Organisation ganisation wiederholt durch Drohungen und Tätlichkeiten Ein Mitarbeitender bewarb sich in einer Orga- gegenüber Arbeitskollegen/-innen auf. Gleich- nisation für eine interne Weiterentwicklung zur zeitig lief eine Strafuntersuchung mit vollzogener Führungskraft und absolvierte ein Screening zur längerer Untersuchungshaft. Eine fokussierte risi- Erfassung von schädigenden Persönlichkeitsdis- kodiagnostische Abklärung ergab sehr auffällige positionen. Ein die Integrität messender Test fiel Tendenzen hinsichtlich negativer Persönlichkeits- mit einem Ergebnis von 98.5 Prozenträngen12 eigenschaften (Prozentrang 96). Kurz nach der hochauffällig aus. Der Mann wurde nicht berück- Untersuchung stand das Ergebnis der Strafunter- sichtigt, verblieb jedoch weiterhin in seiner ange- suchung fest: eine unbedingte Gefängnisstrafe stammten Funktion in der Organisation. In den von zwei Jahren. Folgejahren fiel er durch agitatorisches Verhalten Die Organisation hatte in den fachlich kompe- auf, drohte und nötigte Arbeitskollegen/-innen tenten Mitarbeitenden gezielt investiert und eine im Privatumfeld, liess sich mit dubiosen Biker- Weiterentwicklung mit einem Wechsel seiner Ar- Gangs ein und wurde schliesslich wegen Betrugs beitsumgebung – im Wissen um seine schwieri- mit Spesenabrechnungen gekündigt. Die Orga- gen Seiten – aktiv gefördert. Sie setzte sich in der nisation wendet seit vielen Jahren systematisch Folge dafür ein, die Haftstrafe in Halbgefangen- psychologische Risikodiagnostik an und handelt schaft umzuwandeln. aufgrund der Ergebnisse mittlerweile zeitnah und sehr konsequent. 2. Erweiterte Untersuchung für besondere Vertrau- 12 Zu lesen: 98.4 % der Vergleichsstichprobe erzielten ein tieferes Ergebnis. Der Bereich von einigermassen akzeptabler Normalität ensstellung würde bei ca. 70 Prozenträngen enden. Eine quereinsteigende Führungsperson durchlief 13 Mathieu C., Neumann C. S., Hare R. D. & Babiak P. (2014). A dark side of leadership: Corporate psychopathy and its influence on im Rahmen eines Auswahlverfahrens ein umfas- employee well-being and job satisfaction. Personality and Individu- sendes Assessment mit integrierter Erfassung von al Differences, 59, 83–88. 14 Schyns B. & Schilling J. (2013). How bad are the effects of bad schädigenden Persönlichkeitsdimensionen. Ein die leaders? A meta-analysis of destructive leadership and its outcomes. negativen Persönlichkeitseigenschaften messen- The Leadership Quarterly, 24, 138–158. format magazine no 11 81
RISIKOFAKTOR MENSCH – EIN AUGENSCHEIN VON INNEN Diese Organisation hat basierend auf einer sehr • Das Auftreten von schädigendem Verhalten kann menschenorientierten Grundhaltung das Richtige unter Umständen eine gewisse Latenz haben: getan, indem sie eine spezifische Risikoabklärung Während antisoziales Verhalten eher rasch er- durchführen liess. Mit der aktiven Förderung des kennbar wird, führen Betrüger/-innen ihre Aktivi- Mitarbeitenden geht sie – im Druck von Fachkräf- täten häufig erst einige Jahre – mehrheitlich min- temangel – jedoch das Risiko ein, dass ähnliche destens vier Jahre15 – nach ihrer Einstellung aus. Vorfälle erneut oder in anderer Form auftreten. • Die Ergebnisse von psychologischer Risikodiag- nostik können schlicht fehlerhaft sein, wenn die Stolperfallen in der Praxis untersuchenden Spezialisten/-innen nicht über Angesichts der heiklen Fragestellung im Zusammen- spezifisches Wissen und Erfahrung verfügen. hang mit psychologischer Risikodiagnostik kommt • Die Durchführung von psychologischer Risikodi- der Qualität ein beson- agnostik kann ethische Fragen aufwerfen, z. B., ob Die Anwendung von psychologischer derer Stellenwert zu. Die in einer bestimmten Situation für eine bestimmte Risikodiagnostik birgt [...] verschie- Anwendung von psycho- Aufgabe solche Formen von Untersuchungen dene Gefahren, Fehlerquellen und logischer Risikodiagnostik überhaupt ethisch vertretbar sind. Stolperfallen, die zu einem unge- birgt nämlich verschiede- Wichtig für eine solide Anwendung von psycholo- nauen oder gar falschen Ergebnis ne Gefahren, Fehlerquel- gischer Risikodiagnostik ist somit die Beachtung der führen können. len und Stolperfallen, die folgenden drei zentralen Kriterien: zu einem ungenauen oder • Seriosität: Psychologische Risikodiagnostik muss gar falschen Ergebnis führen können: den gängigen klassischen Qualitätsanforderungen • Allen voran kann der klassische sogenannte Be- der Eignungsdiagnostik entsprechen, allen voran ta-Fehler erwähnt werden: Eigentlich geeignete der DIN-Norm 33430 und der ISO-Norm 10667-116 Bewerber/-innen, welche die Anforderungen an sowie (für die Schweiz) den Assessment-Standards eine Aufgabe gut erfüllen bzw. sich nicht kontra- des Vereins Swiss Assessment. Dazu gehören auch produktiv verhalten würden, werden zu Unrecht ein umfassendes Prozessmanagement sowie eine vom weiteren Auswahlprozess bzw. einer Anstel- ausgeprägte Lernbereitschaft der Anwender/-innen. lung ausgeschlossen und generieren somit höhere • Spezialisierung: Wer psychologische Risikodiag- Kosten für die Rekrutierung. nostik anwendet, muss über vertiefte Kenntnisse • Durch ein falsches Resultat der psychologischen von einschlägigen Forschungsbefunden zu den Risikodiagnostik können für untersuchte Perso- Konstrukten/Dimensionalitäten von negativen nen spürbare Nachteile entstehen, indem sie Persönlichkeitseigenschaften und deren Wirk- ungerechtfertigterweise abgelehnt werden oder zusammenhänge mit Ergebniskriterien verfügen. – im Fall von Personen, die bereits in einer Or- Darüber hinaus müssen die Instrumente und Ver- ganisation tätig sind – Stigmatisierungen erfahren. fahren, welche für psychologische Risikodiagnos- Dies ist insofern problematisch, als dass für das tik geeignet sind, bewusst ausgewählt, gekonnt Auftreten von schädigendem Verhalten neben eingesetzt und kritisch reflektiert werden können. negativen Persönlichkeitseigenschaften auch al- • Sicherheit: Um nachvollziehbare und belastba- ternative Erklärungsansätze valide sein können, re Befunde zu erhalten und um blinde Flecken die zielsicher abgegrenzt werden müssen (z. B. auszuschalten, sollte stets das Vier-Augen-Prinzip schiere Inkompetenz, situative Gegebenheiten, angewandt werden. Im Hinblick auf das metho- die unterschiedliche Auffassung einer Situation, dische Design sollte mindestens ein sogenannter bestimmte Vorerfahrungen etc.). Multi-Measure-Ansatz praktiziert werden, indem • Durch den während der Untersuchung nötigen die ausgewählten Konstrukte mit mehreren unter- Fokus auf potenziell kontraproduktive Verhal- tensdispositionen können die untersuchenden 15 KPMG (2016). Global profiles of the fraudster: Technology enables Spezialisten/-innen Effekten von selektiver Wahr- and weak controls fuel the fraud. nehmung unterworfen sein. Dies kann dazu füh- 16 DIN 33430:2016-07; Anforderungen an berufsbezogene Eig- nungsdiagnostik. ISO Norm 10667-1; Assessment Service Deliv- ren, dass protektive Faktoren gar nicht oder zu we- ery: Procedures and methods to assess people in work and organi- nig in die abschliessende Beurteilung einfliessen. zational settings. 82 format magazine no 11
RISIKOFAKTOR MENSCH – EIN AUGENSCHEIN VON INNEN schiedlichen Messinstrumenten erhoben werden. Risikomanagement nach ISO 31000:2018. Idealerweise kommt der trimodale Ansatz zur Kanning, U. P. (2018). Standards der Personaldiagnostik: Personal- auswahl professionell gestalten. 2. Auflage. Hogrefe. Anwendung, bei welchem neben der reinen Vor- Hogan R. & Kaiser R. B. (2005). What We Know About Leader- gabe von Testverfahren auch Simulationen und ship. Review of General Psychology, 9(2), 189–180. Interviews durchgeführt werden. Marcus D. K., Preszler J. & Zeigler-Hill V. (2018). A Network of Dark Personality Traits: What Lies at the Heart of Darkness? Journal Die Anwendung von psychologischer Risikodiag- of Research in Personality, 73, 56–62. nostik zur Vorbeugung von Insider Threat stellt im Martinko M. J., Gundlach M. J. & Douglas S. C. (2002). Toward an Integrative Theory of Counterproductive Workplace Behavior: A Rahmen eines ganzheitlichen Risikomanagement- Causual Reasonning Perspective. International Journal of Selection and Prozesses ein probates Mittel dar und macht vor Assessment, 10, 36–50. Mathieu C., Neumann C. S., Hare R. D. & Babiak P. (2014). A allem nach einer sorgfältigen Risikoanalyse und im dark side of leadership: Corporate psychopathy and its influence on Hinblick auf einen gezielten Einsatz in einem spezi- employee well-being and job satisfaction. Personality and Individual Differences, 59, 83–88. fischen Kontext Sinn. Schyns B. & Schilling J. (2013). How bad are the effects of bad leaders? A meta-analysis of destructive leadership and its outcomes. The Leadership Quarterly, 24, 138–158. Literaturangaben KPMG (2016). Global profiles of the fraudster: Technology enables Internet and weak controls fuel the fraud. Blog der Hochschule Luzern: https://blog.hslu.ch/economiccrime/ 2020 PwC’s Global Economic Crime and Fraud Survey. 2019/09/16/entwicklung-der-wirtschaftskriminalitaet/ KPMG’s Forensic Fraud Barometer 2020. Gruys M. L. & Sackett P. R. (2003). Investigating the Dimension- ality of Counterproductive Work Behavior. International Journal of Selection and Assessment, 11(1), 30–42. Résumé Facteur de risque humain : un regard de l’intérieur la qualité du travail. Dans le cadre d’une gestion Pour les organisations de sécurité publique, la répu- globale des risques, le diagnostic psychologique des tation, notamment la manière dont elles sont perçues risques dans le contexte professionnel permet effica- par l’opinion publique, est essentielle à leur crédibili- cement, d’une part, d’éloigner de l’organisation de té et à leur acceptation, en particulier sous l’angle du manière précoce toute personne présentant des traits monopole de l’usage de la force ainsi que de la res- de personnalité potentiellement négatifs (p. ex. les ponsabilité et des obligations qui en découlent. Les aspirant·e·s de police ou les personnes entrant dans comportements délibérément inadaptés et les actions la profession avec une responsabilité particulière liée préjudiciables provenant de l’intérieur, les « menaces à leur fonction) et, d’autre part, de disposer d’infor- internes », sont particulièrement fâcheux et peuvent mations solides sur la fiabilité à long terme d’une per- porter atteinte à l’intégrité de l’organisation ainsi qu’à sonne précise en cas d’incidents particuliers. Riassunto Fattore di rischio umano: uno sguardo introspettivo lavoro. Nel quadro di una gestione globale del rischio, La reputazione, in particolare la percezione da parte la diagnosi psicologica dei rischi nel contesto profes- della popolazione, è fondamentale per la credibilità e sionale è una valida possibilità per permettere, da un l’accettazione delle organizzazioni di sicurezza statali. lato, di allontanare precocemente dall’organizzazione Questo vale soprattutto per il monopolio dell’uso della qualsiasi persona con tratti della personalità potenzial- forza da parte dello Stato e per le responsabilità e gli mente negativi (ad es. nel contesto della selezione di obblighi che ne scaturiscono. I comportamenti delibe- aspiranti agenti di polizia o neofiti nella professione di ratamente sbagliati e le azioni pregiudizievoli prove- polizia con una responsabilità particolare legata alla nienti dall’interno, la cosiddetta insider threat (minaccia loro funzione) e, dall’altro, di disporre di informazioni interna), sono particolarmente inopportuni e possono fondate circa l’affidabilità a lungo termine di una de- minare l’integrità dell’organizzazione e la qualità del terminata persona in caso di avvenimenti particolari. format magazine no 11 83
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