RUNDBRIEF EXTRA No. 1 April 2020

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RUNDBRIEF EXTRA No. 1 April 2020
RUNDBRIEF
   EXTRA No. 1
    April 2020
RUNDBRIEF EXTRA No. 1 April 2020
EDITORIAL

Liebe Leserinnen, liebe Leser,
liebe Eltern,
liebe Freundinnen und Freunde der LAG,

seit nunmehr über drei Wochen sind in Hessen, wie in allen anderen Bundesländern, Kindertageseinrichtungen mit
einem Betretungsverbot belegt. Viele LAG-Mitglieder bieten Eltern mit systemrelevanten Berufen derzeit eine Not-
betreuung ihrer Kinder an. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses ersten Rundbrief Extra (9. April 2020) ist noch
nicht klar, ob das Betretungsverbot über den 19. April hinaus verlängert wird oder nicht.

Wenige Kinder oder gar keine Kinder in der Einrichtung zu betreuen, bedeutet, dass Teams sich anderen Aufgaben
zuwenden. Wir wissen, dass die meisten von Euch die Zeit nutzen, um Liegengebliebenes endlich anzupacken, die
Konzeption zu überarbeiten oder sich anderen Themen zur Qualitätsverbesserung zu widmen. Mit dieser Extra-Aus-
gabe des Rundbriefs wollen wir Euch Anregungen geben, wie Ihr während dieser Schließzeit konzeptionell arbeiten,
wie Ihr Euch auf die Rückkehr der Kinder und die Wiedereröffnung Eurer Einrichtungen vorbereiten und wie Ihr die
aktuelle Situation auch unter pädagogischen Gesichtspunkten reflektieren könnt.

Viele haben zu dieser besonderen Ausgabe des Rundbriefes beigetragen. Insbesondere seien hier die Referentinnen aus
dem LAG Seminarprogramm Ute Apolke, Peggy Sarnowski-Bresnik und Nicole Kussauer erwähnt. Sie haben Texte zu
den Themen Zusammenarbeit mit Familien, Eingewöhnung unter interkulturellen Gesichtspunkten und Qualitätsent-
wicklung beigesteuert. Zu diesen und anderen Themen bieten sie jeweils auch Seminare im LAG-Seminarprogramm
an, das voraussichtlich im Mai wieder starten wird. Gedankt sei auch den LAG-Kolleginnen aus der Fachberatung
nach dem Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan Verena Hausen sowie dem Bundesprogramm Sprachkitas, Corina
Jäger und Nicole Kampa, die aus verschiedenen Perspektiven Anregungen zur Gestaltung von Übergängen liefern. Und
schließlich geben wir in diesem Rundbrief auch einen Einblick in die Beratungspraxis unserer Berliner Kolleg*innen
vom dortigen Dachverband der Kinder- und Schülerläden und erfahren etwas über kreative Ideen von Fachkräften im
Homeoffice und in der Einrichtung.

Eine erkenntnisreiche Lektüre wünschen euch

                                                           Susanne Herda, Katharina Ochsenhirt,
                                                         Gottfried Oy und die LAG Geschäftsstelle
RUNDBRIEF EXTRA No. 1 April 2020
INHALT

              4         Zusammenarbeit mit Familien in Zeiten der Corona-Krise
                        Bildungs- und Erziehungspartnerschaft während der Kitaschließung
                        Ute Apolke

              6         Kleine Kinder – Große Welt
                        Eingewöhnung aus interkultureller Perspektive
                        Peggy Sarnowski-Bresnik

              9         Übergänge gestalten
                        Begleitung der Familien während der Schließung
                        Nicole Kampa und Corina Jäger

             10         „Bin ich noch ein Kindergartenkind?“
                        Übergänge gestalten während und nach der Corona-Krise
                        Verena Hausen

             12         Qualitätsentwicklung in der Kita
                        Erste Schritte mithilfe des Nationalen Kriterienkatalogs
                        Nicole Kussauer

             16         Kita zu und nu?
                        Einige Hinweise, Tipps und Gedanken rund um die Kitaschließung
                        Dachverband der Berliner Kinder- und Schülerläden (DaKS)

             18         Digital geht auch
                        Onlineangebote für die pädagogische Arbeit während der Corona-Schließung

                                     Impressum
                                                  Rundbrief LAG-Mitgliederzeitschrift EXTRA No.1 (April 2020)
                                             Herausgeber:       Landesarbeitsgemeinschaft Freie Kinderarbeit Hessen e.V.,
                                          		                    Große Friedberger Straße 16-20, 60313 Frankfurt a. M.
                                          		                    (Amtsgericht Frankfurt am Main/VR 8282)
                                          Geschäftsführer:      Stefan Dinter
                                               Redaktion:       Susanne Herda, Katharina Ochsenhirt und Gottfried Oy
                                              Gestaltung:       Katharina Ochsenhirt
                                                    Fotos:      www.unsplash.com; Markus Spiske (S. 3), Kyle Glenn (S. 5),
                                          		                    Bekah Russom (S. 9), Kelly Sikkema (S. 11), Nicolas Thomas (S. 17)

                                          Die mit Namen gekennzeichneten Beiträge stellen nicht unbedingt die Ansicht des Herausgebers und der
                                          Redaktion dar, sondern die persönliche Auffassung der Autorin oder des Autors.

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RUNDBRIEF EXTRA No. 1 April 2020
Zusammenarbeit mit Familien in Zeiten
der Corona-Krise

Bildungs- und Erziehungspartnerschaft während der Kitaschließung

von Ute Apolke

Welche Auswirkungen wird der Verlust von Peergroup-Kontakten für Kinder über Wochen hinweg haben? Wie
wirkt sich die intensive Zeit, die Eltern und Kinder derzeit miteinander verbringen, auf sie aus? Welche Rolle
können die Fachkräfte spielen, wenn es keine direkten Kontakte gibt? Ute Apolke widmet sich in diesem Beitrag
den Auswirkungen der Kita-Schließung auf das kindliche Erleben.

Sicher gibt es aktuell viele pädagogische Fachkräfte, die         und Pädagog*innen dennoch an die Kinder weitergeben?
sich fragen, wie eigentlich Kinder diese Zeit erleben, in der     Und welche möglichen Auswirkungen auf die kindliche Ent-
vieles, was unseren Alltag bestimmt hat, nicht mehr mög-          wicklung sind zu bedenken?
lich ist. Selbst uns Erwachsenen fällt es schwer zu verste-
hen, worin die momentane Bedrohung besteht, wie stark
sie uns betreffen wird, welche Auswirkungen sie jetzt und         Möglichkeiten des Austauschs finden
langfristig hat und wie es letztlich weitergehen wird. All dies
können wir uns selbst und unseren Kindern nur schwer be-          Damit es gelingen kann, diese besondere Herausforderung
antworten. Aber welche Werte können und wollen Eltern             zu verkraften und den Schaden für die kindliche Entwicklung

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RUNDBRIEF EXTRA No. 1 April 2020
zu begrenzen, braucht es Möglichkeiten des Austauschs,          Themen, die sie dabei bearbeiten und austauschen, sind
um Gedanken, Gefühle sowie Lösungen und Strategien zu           Lehrer*innen und Eltern nicht immer bekannt. Für Puber-
entwickeln. Je mehr Beteiligung von Pädagog*innen, El-          tierende schließlich spielt Gruppenzugehörigkeit eine sehr
tern, Kindern und anderen Teilen der Gesellschaft es dabei      wichtige Rolle und es gehört zu generationaler Abgrenzung,
gibt, umso ressourcenreicher kann dieser Austausch gestal-      altersspezifische Themen zu etablieren. Ängste, den An-
tet werden.                                                     schluss zur Gruppe zu verlieren, prägen diesen Entwick-
                                                                lungsabschnitt.
Kinder benötigen auch in diesen Zeiten ein Umfeld, in dem
sie sich sicher und geborgen fühlen und aktiv lernen und        All diese Beispiele zeigen: Soziale Vereinsamung und daraus
mitgestalten können. Eltern brauchen in besonderem Maße         möglicherweise resultierende Einschränkung von Entwick-
Kenntnisse über entwicklungsbedingte Bedürfnisse und Fä-        lungsspielräumen müssen als Risiko in der Zeit der Pande-
higkeiten der Kinder, damit sie im Rahmen der häuslichen        miebekämpfung gesehen werden und es gilt zu überlegen,
Quarantäne angemessene Erwartungen stellen.                     was der Auftrag von pädagogischen Institutionen in der Zu-
                                                                sammenarbeit mit den Eltern hierbei sein kann.
Manche Eltern wissen vielleicht nicht so genau, was ihr
Kind in der Kita den ganzen Tag macht. Interaktionen der
Kinder untereinander, Lernen im direkten Erleben und des-       Beratung durch pädagogische Fachkräfte als
sen Wichtigkeit für die kindliche Entwicklung, sind für El-     Lösungsansatz?
tern nicht so ohne weiteres nachvollziehbar, wenn sie keine
Erfahrungen in der Arbeit mit Kindergruppen haben. Umso         Wenn Eltern und Kinder Angebote aus ihrem direkten Um-
wichtiger ist es, dass auch in dieser Zeit ein Austausch zwi-   feld bekommen, beispielsweise durch telefonischen oder
schen Eltern und Bezugspersonen in der Kindertagesein-          digitalen Kontakt mit pädagogischen Fachkräfte aus den
richtung stattfindet.                                           Einrichtungen, kann ein Austausch weiterhin bestehen.
                                                                Es ist gut möglich, dass Familien, die mit der Situation in
                                                                Schwierigkeiten geraten, vorzugsweise Vertrauensperso-
Mehr Zeit mit den Eltern, weniger Peergroup –                   nen anrufen. Parallel dazu braucht es sicher auch anonymi-
Chance oder Risiko?                                             sierte Beratungsangebote, die schnelle Hilfe ermöglichen.
                                                                Bereits jetzt befürchten der Kinderschutzbund und andere
Sicher liegt auch eine Chance darin, dass Eltern jetzt mehr     Institutionen einen starken Anstieg von häuslicher Gewalt,
Zeit mit ihren Kindern verbringen. Auch wenn es Kontakt-        Sucht und Vernachlässigung innerhalb der Familien. Durch
einschränkungen gibt und man sich nicht mit anderen tref-       das Fehlen der begleitenden Maßnahmen und der sozialen
fen kann, so ermöglicht es wahrscheinlich vielen Familien,      Kontrolle sind manche Kinder dem hilflos ausgeliefert.
Beziehungen zueinander zu intensivieren. Aber was bedeu-
tet der Verlust der Peergroup-Kontakte für die jeweilige Al-    Selbst wenn die Kontaktbeschränkungen im Rahmen der
tersstufe?                                                      Pandemie bald gelockert werden sollten, kann es not-
                                                                wendig sein, sich inhaltlich darauf vorzubereiten, dass das
So kann es beispielsweise zu Situationen kommen, in denen       Leben der Kinder sich verändert haben wird. Fragen und
sich Kinder beim Spaziergang begegnen, durch ihre Eltern        Ängste von Kindern aufzugreifen und ihnen zu ermöglichen,
zurückgehalten werden und so eine natürliche Kontakt-           diese zu verarbeiten, gehört dann auch zu den pädagogi-
aufnahme verhindert wird. Das ist für Kinder, je nach Alter     schen Aufgaben nach dem Ende der Corona-Schließzeit.
nicht nachvollziehbar. Erlebnisse von solch eingeschränk-
ten Kontakterfahrungen, besonders über einen längeren           Sicher wird es im Laufe der nächsten Zeit weitere Ideen ge-
Zeitraum, grenzen bei kleinen Kindern einen großen Be-          ben, es braucht dann den Transport in die Foren und Gre-
reich ihres Erfahrungsfeldes ein. Es ist denkbar, dass dies     mien. Jeder Träger, jede Fachkraft, alle Menschen, die im
ihr Sozialverhalten in besonderem Maße beeinflusst. So ist      Kontakt mit Familien stehen, können dazu beitragen, dass
beispielsweise unklar, ob Kinder, die häufig an Versuchen       Kinder möglichst unbeschadet durch diese Zeit kommen
gegenseitiger Kontaktaufnahme gehindert werden, später          und alternative Entwicklungsspielräume zur Verfügung ha-
noch offen aufeinander zugehen.                                 ben, die die fehlenden Kontakte zu ihrer Peergroup best-
                                                                möglich ausgleichen können.
Im Kindergartenalter werden vermehrt Kontakte zu gleich-
altrigen, gleichgeschlechtlichen, aber auch zu älteren Kin-
dern gesucht. Sich als Teil einer Gruppe oder einer Gemein-                                               Notiz zur Autorin
schaft zu erleben, prägt Kinder in dieser Altersstufe sehr.              Ute Apolke ist staatlich anerkannte Erzieherin, sys-
Altersspezifische Entwicklungsaufgaben werden haupt-               temische Beraterin und Coach. Als freie Referentin ist sie
sächlich miteinander bearbeitet, begleitende Erwachsene            außerdem im LAG-Seminarprogramm tätig. Im Seminar-
werden zwar auch als Vorbilder und Spielpartner*innen                   programm 2020 bietet sie die Seminare „Achtsame
wahrgenommen, reichen aber für eine gesunde Entwick-                 Kommunikation mit Kindern (11/2020)“, „Umgang mit
lung auf Dauer nicht aus.                                       kindlichen Ängsten (15/2020)“ und „Konflikte in der Kinder-
                                                                     gruppe (38/2020)“ an. Inhalte der Seminare und Infor-
Schulkinder gehen zum Teil schon eigene Wege und ge-                 mationen zum LAG-Seminarprogramm und finden Sie
stalten ihre Aktivitäten mehr und mehr selbstorganisiert.                            unter www.laghessen.de/fortbildung/.

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RUNDBRIEF EXTRA No. 1 April 2020
Kleine Kinder – Große Welt

Eingewöhnung aus interkultureller Perspektive

von Peggy Sarnowski-Bresnik

Interkulturalität fängt bei der Eingewöhnung an: Während die althergebrachte Bindungstheorie die Vielfalt
der Familien kaum berücksichtigt, gilt es für einen gelungenen Start in der Kita, auch Bindungs- und
Beziehungserfahrungen aus anderen Kulturkreisen wahrzunehmen und aufzugreifen. Peggy Sarnowski-Bresnik
gibt dazu praktische Anregungen.

Hamza ist ein etwa einjähriger Junge aus einer Flüchtlingsfa-     milien in Ihrer Einrichtung orientieren. Die Aufnahme eines
milie aus Somalia. Er besucht erst seit kurzer Zeit eine belgi-   neuen Kindes ist für alle Beteiligten ein aufregender Schritt.
sche Kindertagesstätte und hat große Schwierigkeiten beim         Ein guter Bindungsaufbau zum Kind und deren Eltern ist die
Einschlafen in der Kita. Die Erzieherinnen versuchen alles,       Grundlage für eine gute Betreuungszeit in der Krippe. Um
um dem Jungen das Schlafen zu ermöglichen. Die ist nicht          den Kindern und ihren Familien einen schrittweisen Start
möglich, Hamza weint und lässt sich nicht beruhigen. Im Ge-       in die neue Situation zu ermöglichen, ist ein systematisches
spräch mit Hamzas Mutter finden die Erzieherinnen heraus,         Eingewöhnungskonzept fest in den pädagogischen Konzep-
dass sie ihm zu Hause ein Wiegenlied zum Einschlafen vor-         tionen der Einrichtungen verankert. Mit der Aufnahme von
singt. Um Hamza die Situation in der Kita zu erleichtern, be-     Kindern aus Familien mit verschiedensten kulturellen Hin-
schließen Mutter und Erzieherinnen, das Lied aufzunehmen          tergründen gibt es jedoch einige Aspekte, vor allem in der
und es Hamza beim Schlafengehen in der Einrichtung vorzu-         Zusammenarbeit mit den Eltern, zu beachten.
spielen. Mit dieser Unterstützung kann sich Hamza besser
beruhigen und in den Schlaf finden. Diese Geschichte wird in
dem Film „Ein Wiegenlied für Hamza. Kindertagesstätten als        Bewährtes Modell
Orte der Begegnung“ (Gielen, M., 2003) erzählt. Sie verdeut-
licht, was die Integration von verschiedenen Verhaltenswei-       Viele Einrichtungen in Deutschland orientieren sich in ih-
sen in der Eingewöhnung von Kindern anderer kultureller           rem Eingewöhnungskonzept am Berliner Eingewöhnungs-
Herkunft bewirken kann.                                           modell. In diesem Modell geht es in erster Linie um einen
                                                                  sensiblen und tragfähigen Beziehungsaufbau zwischen den
                                                                  neuen Kindern und deren Eltern zur neuen Bezugsperson in
Ein guter Start ist wichtig                                       der Kita. Während der Eingewöhnungsphase richtet sich die
                                                                  Aufmerksamkeit der Bezugserzieher*in vor allem auf das
Sicher haben Sie in Ihrer Einrichtung ein Eingewöhnungskon-       Kind, welches von einem Elternteil begleitet wird. Langsam
zept, an dem Sie sich beim Start neuer Kinder und deren Fa-       werden die Trennungszeiten zwischen Kindern und Eltern

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gesteigert. Nach und nach werden Pflegesituationen, das          der Gestaltung des Bindungsaufbaus gibt. Hieraus ergeben
Essen und Schlafen von den Eltern an die Fachkraft abge-         sich unterschiedliche Erziehungsstile und Formen elterlicher
geben. Dieses Vorgehen wurde aus den Erkenntnissen der           Zuwendung. In Kitas in der Bundesrepublik beispielsweise
Bindungstheorie entwickelt. Diese geht davon aus, dass           sollen Kinder in der Eingewöhnung keine negativen Gefühle
Kinder neue Beziehungen zu fremden Personen aufbauen             erfahren und äußern müssen. Hier wird ihr Wohlergehen in
können, wenn ihre Bezugspersonen sie begleiten und wenn          den Mittelpunkt gestellt und auf sie individuell eingegangen.
ihnen Zeit gegeben wird, sich in der neuen Situation zu-         In japanischen Kitas hingegen wird zum Beispiel das Weinen
rechtzufinden.                                                   der Kinder in der Eingewöhnung als Medium des Kennenler-
                                                                 nens von Kind und Erzieher*in betrachtet. Die Kinder wer-
                                                                 den an die Erzieher*in übergeben – ohne weitere Rituale
Das passt zu einigen …                                           oder Kenntnis der Räumlichkeiten. Viele Kinder weinen, dies
                                                                 wird jedoch als gutes Zeichen für die Mutter-Kind-Beziehung
Die theoretische Ableitung und die empirische Überprü-           bewertet und beunruhigt die Erzieher*in nicht. Auch die
fung bieten den Hintergrund für dieses Verfahren der Ein-        Mütter sind zufrieden, zeigt das Weinen ihres Kindes doch,
gewöhnung. Es bietet eine Struktur, die für die westliche        dass das Kind seine Mutter vermissen wird. In der Interak-
Mittelschicht üblich ist. In unseren Breitengraden wird es       tion mit dem weinenden Kind lernen sich Kind und Erzie-
als relativ normal angesehen, dass Kinder zunächst in ihrer      her*in kennen und bauen so eine Beziehung auf. (Vgl. Keller,
Familie mit eher wenigen Bezugspersonen aufwachsen.              H., 2013, S. 18-19).
Erst nach und nach findet eine Ausweitung der Bezugsper-
sonen auf Großeltern, Freunde, Tagesmutter oder Baby-            Auch das erwartete Verhalten der Kinder bei Trennung ist
sitter und schließlich Erzieher*innen in der Kita statt. (Vgl.   unterschiedlich. Zum Beispiel reagieren einjährige kameru-
Borke, J., Keller, H., 2014, S. 117) In Deutschland schauen      nische Kinder nahezu emotionslos und ohne Protest, wenn
wir sehr kindzentriert auf die Erziehung unserer Kinder. Das     sie von einer für sie fremden Person angesprochen oder auf
Kind steht im Mittelpunkt und wir legen sehr viel Wert auf       den Arm genommen werden. Dieses Verhalten wird von den
dessen Selbstbestimmtheit und Autonomie. Dieses Bild             Eltern als passendes und erwünschtes Verhalten angesehen.
vom Kind ist Grundlage aller Bildungs- und Erziehungspläne       Nach der klassischen Bindungstheorie im westlichen Kon-
in Deutschland.                                                  text würde ein solches Verhalten Fragen nach der Qualität
                                                                 der Eltern-Kind-Bindung aufkommen lassen. (Vgl. Borke, J.,
                                                                 Keller, H., 2014, S. 118)
… aber nicht zu allen Familien

In anderen Regionen dieser Erde wachsen Kinder jedoch in         Die Aufgabe ist achtsam zu sein
eher verbundenheitsorientierten Strukturen auf. Hier wer-
den Kinder in Mehrgenerationsverbänden groß. Das afrika-         Wissen kann einen großen Teil zum Verstehen von unter-
nische Sprichwort, nach dem es ein ganzes Dorf bedürfe,          schiedlichem Verhalten und Sichtweisen beitragen. Be-
um ein Kind groß zu ziehen, macht dies deutlich. Kinder er-      deutsam ist zusätzlich, eine offene und neugierige Haltung
leben hier teilweise schon sehr früh ein Betreuungssystem,       gegenüber den Wünschen der Eltern einzunehmen. In der
das aus mehreren und auch wechselnden Bezugspersonen             Eingewöhnungssituation bedeutet dies konkret: Verständnis
besteht. Hier wird es als normal angesehen, dass mehrere         und Wertschätzung für andere kulturell bedingte Formen
Personen, auch außerhalb der Familie, ein Kind erziehen.         des Bindungsaufbaus und damit zusammenhängend auch
Für Eltern mit einem solchen Erleben ist es sicher unver-        der Eingewöhnung aufzubringen und kompromissbereit zu
ständlich, dass sie die Eingewöhnung ihres Kindes in der         sein. (Vgl. Borke, J., Keller, H., 2014, S. 119) „Leben von Di-
Kita begleiten sollen. (Vgl. Ebd.) Dies bedeutet natürlich       versität bedeutet, unterschiedlichen Handlungsstrategien
nicht, dass alle Familien mit diesem Hintergrund diese Vor-      Raum zu geben – als Bereicherung der alltäglichen Praxis –
stellung teilen. Viele Eltern versuchen sich sehr ausführlich    und damit eine Ressource zu erkennen anstatt ein Problem
anzupassen. Dies erfordert jedoch eine Bereitschaft und          oder ein Defizit zu identifizieren.“ (Keller, H., 2013, S. 20)
Hintergrundwissen bei allen am Prozess beteiligten Perso-
nen.
                                                                 Ein gutes Aufnahmegespräch

Das Komponentenmodell                                            Für das Erstgespräch verwenden viele Einrichtungen einen
                                                                 standardisierten Fragebogen. Für ein interkulturell orien-
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen hört sich der            tiertes Erstgespräch sind folgende Aspekte hilfreich: Wich-
Begriff Eingewöhnung vielleicht etwas veraltet an. Dieser        tige Informationen sind eventuell schon in verschiedenen
klingt danach, als sollten sich die Kinder und Eltern einpas-    Sprachen übersetzt vorbereitet, sodass sie Eltern in ihrer je-
sen wie in ein starres Puzzle. Im Komponentenmodell (Kel-        weiligen Sprache ausgehändigt werden können. Wenn mög-
ler 2011; Borke, Keller 2012) wird beschrieben, worauf es        lich, nutzen sie eine Dolmetscher*in oder Kolleg*in, die die
in der interkulturellen Praxis ankommt. Wichtig sind Kennt-      Sprache der Eltern beherrscht. Fragen sie die Eltern, ob sie
nisse und Wissen, Haltung und Achtsamkeit und das Leben          jemanden mitbringen möchten, der sie unterstützen kann.
von Diversität. Im Kontext der Eingewöhnung heißt Kennt-         In vielen Städten existieren interkulturelle Zentren und Ge-
nis zum einen, dass es kulturelle Unterschiede hinsichtlich      meindedolmetscher*innendienste, die sie nutzen können.

Rundbrief EXTRA Nr. 1                                                                                                         7
RUNDBRIEF EXTRA No. 1 April 2020
Verfassen sie Informationen für Eltern in einfacher Sprache     was Anleitung und Unterstützung bei der Umsetzung. Regen
und arbeiten sie mit Visualisierung. Bieten sie, wenn mög-      Sie Partnerschaften unter den Eltern an. Familienbilder von
lich, Hausbesuche an.                                           allen Kindern in den Gruppenräumen lassen die Kinder er-
                                                                fahren, dass es viele Formen von Familien gibt. Schaffen sie
                                                                möglichst viele Anknüpfungspunkte für Kinder und Eltern.
Ihr sollt mich kennenlernen                                     Ein „herzlich willkommen“ in denen in der Kita vertretenden
                                                                Sprachen im Eingangsbereich lädt ein, zeigt Interesse und
Auch wenn wir den Eltern viele Informationen mitgeben           schafft Vertrauen. Gestalten sie Elternecken, zum Beispiel
wollen, ist es wichtig, sie zunächst einmal zu fragen, was      mit Einrichtungsgegenständen oder Bildern aus den Heimat-
die Betreuung ihres Kindes in einer Einrichtung für sie be-     ländern der Eltern. Hierbei unterstützen Sie die Eltern sicher
deutet und was sie erwarten. Zum besseren Verständnis           gern. Spiegeln Sie die Vielfalt ihrer Kinder, Eltern und auch
sind alle Fragen nach der Herkunft der Familie und nach         Ihres Teams in den Räumen und Materialien wider. Warum
der Ursprungsfamilie wichtig. Dies kann auch mit Hilfe einer    nicht auch einmal ein Puppenhaus oder eine Rollenspiel-
Weltkarte erfolgen. Alle Informationen auch über das bis-       ecke der Kinder international einrichten, eine Lebensmittel-
herige Lebensumfeld der Familie, ob sie beispielsweise eher     pyramide mit internationalen Lebensmitteln bestücken oder
ländlich oder in der Stadt gelebt hat und was diese Region      mit Puppen in verschiedenen Hautfarben spielen? Lassen
besonders prägt, sind wichtig. Wissenswert ist auch die Mi-     Sie Eltern am Alltag ihrer Kinder teilhaben, in dem sie Hospi-
grationsgeschichte der Familie: Wer kam aus der Familie         tationen anbieten und Dokumentationen vom Erleben ihrer
zuerst nach Deutschland? Was waren die Gründe für diese         Kinder in Form von Bildern anfertigen. Sie können auch an-
Entscheidung? Welche Bedeutung hat diese Entscheidung           alphabetische Eltern und Familien ohne Vorerfahrungen mit
für die Eltern und welche Wünsche sind damit verbunden?         dem bundesdeutschen Kitasystem durch den Einsatz von
Alle Fragen, die die Familie gerade besonders beschäftigen,     digitalen Bilderrahmen, Visualisierungen von Essensplänen,
sind ebenfalls wichtig zu erfragen: Wie ist die derzeitige      Tagesabläufen und Elternbriefen in Symbolsprache oder ein-
rechtliche Situation? Wie ist die Wohnsituation? Gibt es        facher Sprache erreichen.
Kontakte zu Behörden oder ein Netzwerk? Welche religiöse
Zugehörigkeit besteht und welche Bedeutung hat diese für
die Familie?
                                                                                                                  Notiz zur Autorin
Eine Kita, viele Sprachen                                          Peggy Sarnowsky-Bresnik ist freiberufliche Referentin im
                                                                 Bereich Bildung und Erziehung der frühen Kindheit und Ki-
Fragen Sie nach den in der Familie gesprochenen Sprachen.       tamanagement sowie Coach für Einzelpersonen und Teams
Hier können Sie Ihren Umgang in der Einrichtung mit Spra-          (Kontakt: www.kita-coaching-und-beratung.de). Bei der
chen oder Sprachförderung erläutern. Fragen Sie nach der         LAG Freie Kinderarbeit ist sie als Referentin im U3-Weiter-
bisherigen Sprachentwicklung des Kindes. So können Sie           bildungsprojekt „Qualität für die Arbeit mit den Jüngsten“
wichtige Informationen über den Umgang mit Sprache in               und im Seminarprogramm tätig. Im Jahr 2020 bietet sie
der Familie erhalten: Liest jemand dem Kind etwas vor oder        die Seminare „Herausforderndes Verhalten in der Kinder-
spielt Spiele mit ihm? Welche Fernsehsendungen schaut es          krippe (12/2020)“, „Entwicklung der kindlichen Sexualität
gern? In welchen Situationen kommuniziert das Kind am           (19/2020“ und „Praxisanleitung in Krabbelstuben und Krip-
liebsten? Holen Sie wichtige Informationen über das Lebens-        pen (31/2020)“ an. Inhalte der Seminare und Informatio-
umfeld und den Tagesablauf des Kindes ein: Wer verbringt         nen zum LAG-Seminarprogramm und U3-Weiterbildungen
wieviel Zeit mit dem Kind: Vater, Mutter oder Großeltern?             und finden Sie unter www.laghessen.de/fortbildung/.
Was mag das Kind, was mag es nicht? Was beschäftigt es
zurzeit besonders? Wie wird der Alltag in der Familie gelebt?                Der Artikel wurde in der Ausgabe 01/2018 von
Was isst und trinkt das Kind gern? Wie geht es schlafen? Wie           „klein&groß. Mein Kita-Magazin.“ erstveröffentlicht.
werden Pflegesituationen gestaltet? Welche Rituale oder
Gewohnheiten gibt es?

                                                                  Literatur
Tipps für die Praxis                                              Jörn Borke, Heidi Keller: Kultursensitive Frühpädagogik, Stutt-
                                                                  gart: Kohlhammer 2014
Fragen Sie im Aufnahmegespräch nach Trost- und Beruhi-            Jörn Borke, Heidi Keller: Kultursensitive Beratung. In: M. Cierp-
gungswörtern, Lieblingswörtern, speziellen Familienwör-           ka (Hrsg.): Frühe Kindheit 0-3 Jahre. Beratung und Psychothe-
tern, nach wichtigen Wörtern zur Gestaltung des Alltags.          rapie für Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern, Heidelberg:
                                                                  Springer, 2012
Mit welchen Worten drückt das Kind seine Bedürfnisse aus?
Alle diese Wörter können in einem „Miniwörterbuch“ oder           Heidi Keller: Interkulturelle Praxis in der Kita, Freiburg: Herder
                                                                  2013
in einer für alle Mitarbeiter*innen zugänglichen Tabelle no-
                                                                  Heidi Keller: Kinderalltag. Kulturen der Kindheit und ihre
tiert und genutzt werden. In vielen Einrichtungen gibt es         Bedeutung für Bindung, Bildung und Erziehung. Heidelberg:
kleine „Ich-Bücher“, die die Eltern beispielsweise mit Fotos      Springer, 2011
der Familie gestalten. Ermutigen Sie auch Familien mit Mig-       Mark Gielen: Ein Wiegenlied für Hamza (DVD), 2003
rationshintergrund dazu. Vielleicht benötigen die Eltern et-

Rundbrief EXTRA Nr. 1                                                                                                                  8
Übergänge gestalten

Begleitung der Familien während der Schließung

von Nicole Kampa und Corina Jäger

Internet und Online-Meetings im Kita-Alltag? Vor ein paar Monaten hätten viele Fachkräfte sich nicht vorstellen
können, dass sie den Großteil ihrer Arbeitszeit vor dem Computer verbringen werden. Das Internet und die vielen
Möglichkeiten, die es bietet, sind aber wichtige Behelfsmittel der Kita-Teams derzeit, um an pädagogischen
Themen weiterzuarbeiten. Die beiden Autorinnen der aufgeführten Materialien und Best-Practice-Beispiele sind
LAG-Fachberaterinnen im Bundesprogramm Sprach-Kitas und haben für ihre Verbünde eine umfangreiche Liste
mit vielen Tipps und Anregungen erstellt. Dies ist ein kleiner Auszug.

  Themen                                                       Materialien und Praxisbeispiele

  Unterstützung der Eltern und Kontakt zu Kindern:             Gute-Praxis-Beispiel: Terminal for Kids bietet einen eige-
                                                               nen YouTube-Kanal an. Dort werden verschiedene Videos
     • Regelmäßig Mails an die Eltern mit Anregungen zur       mit Beschäftigungsmöglichkeiten aus allen Häusern des
       Beschäftigung, Fotos vom Team in Aktion (z.B. von       Trägers veröffentlicht:
       Angeboten) oder den Ergebnissen (Bastelarbeiten,        https://www.youtube.com/channel/UCpEuAlYeEKpYvw_
       Zwergenküche, Lieder usw.)                              RBAvTtTw

     • Morgenkreis über Videokonferenz oder Stream             Bilderbuch zur aktuellen Situation empfehlen: „Ein großer
                                                               Tag, an dem fast nichts passierte“ von Beatrice Alemagna
     • Ein Bilderbuch vorlesen oder eine Kamishibaige-          Hier werden auch alle Ausgangsbeschränkungen einge-
       schichte vorführen, Video aufnehmen und online          halten: Die Mutter im Homeoffice, das Kind allein in Feld,
       zur Verfügung stellen                                   Wald und Wiese unterwegs. Entdeckung der Langsamkeit,
                                                               der Wunder im Kleinen …
     • Briefe an Kinder schreiben, in denen sie angeregt       zum Beispiel:
       werden ihren Tag zu dokumentieren, was sie alles        https://www.papperlapapp.co.at/pdf-lesen/
       zuhause erlebt haben, mit wem sie daheim Zeit           https://kinderuni.goethe.de/
       verbringen (fotografieren lassen, Bilder malen, …)

     • Material und Unterstützungsvideos, -seiten etc.
       sammeln und den Eltern zukommen lassen

     • Unterstützung der Eltern untereinander

     • Eltern anregen, Material bereitzustellen z.B. zu
       Gute-Nacht-Liedern aus aller Welt, verschiedene
       Rezepten, Spielen in Form verschiedener Medien

     • Ansprechpartner*in

     • Telefonsprechstunde für Eltern einrichten, in der
       Fragen gestellt werden können

                                                                 Informationen zur Quelle und Notiz zu den Autorinnen
                                       Anregungen und Tipps sind der folgende Sammlung entnommen: „Gute-Praxis-Bei-
                                   spiele und Ideen für die zusätzlichen Fachkräfte im Bundesprogramm Sprach-Kitas und
                                  pädagogische Fachkräfte“, erstellt von den LAG-Fachberaterinnen im Bundesprogramm
                                                                             Sprach-Kitas Nicole Kampa und Corina Jäger.

Rundbrief EXTRA Nr. 1                                                                                                       9
„Bin ich noch ein Kindergartenkind?“

Übergänge gestalten während und nach der Corona-Krise

von Verena Hausen

Die plötzliche Kita-Schließung, die dabei helfen soll, die Verbreitung des Coronavirus zu verlangsamen, hat für
Kinder und Eltern einen Übergang von der Kita in eine neue Situation bewirkt. Niemand war darauf vorbereitet,
weder die pädagogischen Fachkräfte, noch die Eltern und am wenigsten die Kinder. Wie können pädagogische
Fachkräfte Kinder in der jetzigen Zeit begleiten? Wir haben Reflexionsfragen zum Thema zusammengestellt, die
Ihr gemeinsam als Team bearbeiten könnt. So könnt Ihr Euch und die Kinder auf den Übergang zurück in die Kita
gut vorbereiten, wenn das Betretungsverbot aufgehoben wird.

Die Kita-Schließung zur Eindämmung des Coronavirus hat         und betreuen parallel dazu ihre Kinder. Hinzu kommt, dass
weitreichende Folgen. Von einem Tag auf den anderen            Eltern nun auch die Essensversorgung sicherstellen müs-
halten sich Kinder überwiegend zuhause auf, haben keine        sen, anregende Situationen mit und für die Kinder gestalten
beziehungsweise nur Familienangehörige als Spielpartner,       (sollten) und mit den eigenen Unsicherheiten und denen
verzichten auf die anregungsreiche Umgebung der Kita und       der Kinder sowie ihren Fragen zur Situation umgehen müs-
vieles mehr. Eltern sind plötzlich herausgefordert, den Tag    sen. Der aktuelle Übergang von der Kita in die Familie (auf
mit ihren Kindern anders zu strukturieren. Viele arbeiten      unbestimmte Zeit) berührt die Identitätsentwicklung. „Bin
                                                               ich jetzt kein Kindergartenkind mehr?“, das fragen sich Kin-
                                                               der eventuell. Eine weitere Übergangserfahrung werden
  Definition „Transition“ / Übergang                           Kinder machen, wenn die Kita-Schließung aufgehoben und
                                                               sie sich wieder an die pädagogischen Fachkräfte und den
  Transitionen sind Lebensereignisse, die Bewältigung von      Kita-Alltag in ihren Einrichtungen gewöhnen müssen.
  Diskontinuitäten auf mehreren Ebenen erfordern, Pro-
  zesse beschleunigten und intensivierten Lernens anre-
  gen und als bedeutsame biografische Erfahrungen von          BEP-Lupe „Übergänge“
  Wandel in der Identitätsentwicklung wahrgenommen
  werden. (Niesel & Griebel, 2010)                             Vor diesem Hintergrund haben wir Reflexionsfragen zu-
                                                               sammengestellt – mit Bezug zum Bildungs- und Erzie-

Rundbrief EXTRA Nr. 1                                                                                                   10
hungsplan – die Teams dabei unterstützen können, sich                 Wie können Kinder und Eltern bei der Bewältigung
mit den aktuellen Übergängen auseinanderzusetzen. Die                 von Emotionen unterstützt werden?
Zusammenstellung ist angelehnt an die Handreichung zum                Kita-Schließung:
Bildungs- und Erziehungsplan „Qualifizierte Schulvorberei-        -   Wie gehe ich damit um, wenn mein Kind Langeweile
tung (QSV): Erfolgreiche Bildungspraxis in Kindertagesein-            zeigt?
richtungen“ (Übergänge begleiten, S. 81) und die BEP-Lupe         -   Wie gehe ich damit um, wenn es traurig ist, weil es
„Übergänge – Transitionen – Grundsätze für Haltung und                seine Freunde/Großeltern/Bezugserzieher*innen
Handlung“.                                                            nicht sehen kann?
                                                                  -   Wie gehe ich damit um, wenn mein Kind seine Kita
Die folgenden Reflexionsfragen können unter zwei Blick-               vermisst?
winkeln bearbeitet werden:                                        -   Wie gehe ich damit um, wenn mein Kind Angst vor
                                                                      dem Tod oder ähnliches äußert (bezogen auf die
• Kita-Schließung                                                     Coronapandemie)?
• Rückkehr in die Kita
                                                                • Wie können wir Kinder und Eltern bezüglich positiver
Sie lassen sich gut ergänzen und an individuelle Gegeben-         Emotionen unterstützen?
heiten anpassen. Im Folgenden werden Reflexionsfragen             - Welche Ideen für gemeinsame Aktivitäten könnten
auf drei Grundsätze der BEP-Lupe bezogen.                           wir weitergeben?
                                                                  - Welche Möglichkeiten gäbe es, gemeinsam zu lachen
                                                                    (auch virtuell)?
Grundsatz 1:                                                      - Welche Erlebnisse könnten wir ermöglichen, die ein
„Wir bieten vielfältige Informationen und Unterstützung für         Gemeinschaftsgefühl / Zusammengehörigkeitsgefühl
Eltern an, damit sie die Übergänge ihrer Kinder gut beglei-         / Vertrautheit / Bekanntheit / Sicherheit /… ermög-
ten können.“                                                        lichen?

Reflexionsfragen                                                • Wie können wir unsere Beziehung zu Kindern und Eltern
                                                                  pflegen?
• Wie können Einrichtungsteams/Bezugserzieher*innen               - Wie können wir ermöglichen, dass die Kinder ein Bild
  größtmögliche Transparenz für Kinder und ihre Familien             von uns erinnern können?
  schaffen?                                                       - Welche Möglichkeiten haben wir, Kindern zu begegnen?
• Was bedeutet die Kita-Schließung/Rückkehr in die Kita           - Welche Möglichkeiten mit Bild und / oder Ton gäbe es?
  für die Kinder?                                                 - Wie können wir in dieser herausfordernden Zeit An-
• Was bedeutet es für die Eltern?                                    sprechpartner*innen für die Eltern zum Wohle der
• Wie können wir die Rückkehr in die Einrichtung vorbe-              Kinder sein?
  reiten?
• Welche Informationen brauchen die Eltern?                     • Wie können wir Eltern dabei unterstützen, die Bewälti-
• Wie können wir die Rückkehr gestalten?                          gungskompetenzen und das Selbstvertrauen der Kinder
• Wie gelingt es uns, dass alle Familien gut informiert und       und ihre eigenen zu stärken?
  eingebunden werden?                                             - Wäre es hilfreich für Kinder, ihren Portfolioordner zu
                                                                    Hause zu haben?
                                                                  - Wie können Eltern mit einfachen Mitteln das Portfo-
Grundsatz 2:                                                        lio zu Hause weiterpflegen, damit die Bezugsperso-
„Ich unterstütze die Kinder dabei, sich auf den Übergang            nen der Kinder gut an den Erfahrungen des Kindes
emotional, sozial und kognitiv einzustellen und dessen Aus-         aus der Zeit zu Hause anknüpfen können?
wirkungen zu bewältigen. Dabei unterstütze ich die Kinder
auch feinfühlig bei der Bewältigung von Emotionen.“

Grundsatz 3:
„Für mich ist klar, dass ein Übergang für Kinder eine Chan-
ce, aber auch ein hoher Stress ist. Ich berücksichtige das in
der Zeit von Übergängen.“
Reflexionsfragen
                                                                                                               Notiz zur Autorin
• Wie gelingt es uns, den Übergang gemeinsam mit den                                 Verena Hausen ist Fachberaterin bei der
  Eltern zu gestalten?                                                                    LAG Freie Kinderarbeit Hessen e.V.
  - Was bieten wir speziell für Eltern an?
  - Wie kooperieren Eltern und Einrichtung in dieser Zeit?        Literatur
  - Wie können wir Kinder als aktive Gestalter ihrer
     Übergänge einbinden?                                         Wilfried Griebel, Renate Niesel (2011): Übergänge verstehen
                                                                  und begleiten. Transitionen in der Bildungslaufbahn von Kin-
  - Wie gelingt es uns, dass alle Familien gut eingebun-          dern. Berlin: Cornelsen
     den werden?

Rundbrief EXTRA Nr. 1                                                                                                            11
Qualitätsentwicklung in der Kita
Erste Schritte mithilfe des Nationalen Kriterienkatalogs
von Nicole Kussauer

Qualitätsmanagement – Notwendiges Übel oder Chance für den Ausbau und die Sicherung der Qualität der
pädagogischen Arbeit in Tageseinrichtungen für Kinder? Nicole Kussauer beschreibt einen möglichen Einstieg in
die Welt des Qualitätsmanagements anhand des Nationalen Kriterienkatalogs.

„Qualitätssicherung ist ja wichtig, aber dafür haben wir keine   Abb.1). Es ist ihnen bewusst, dass sie dadurch Struktur und
Zeit.“ „Was sollen wir denn noch alles machen?“ Zwei Aus-        Sicherheit im pädagogischen Handeln gewinnen. Ziel ist es,
sagen, die pädagogische Fachkräfte und Leitungskräfte im         die bestmögliche Betreuung und Bildung für die Kinder und
Zusammenhang mit Qualitätsmanagement oftmals machen.             deren Familien sicherzustellen. Qualitätsmanagement ist ein
Der Qualitätsbegriff löst Befürchtungen und Ängste bei päd-      wichtiger Baustein der pädagogischen Arbeit. Es ist zeitauf-
agogischen Teams aus, da es keine konkreten Vorgaben oder        wendig und fordert das Engagement aller Beteiligten. Auf den
Maßnahmen gibt, wie die Qualität der pädagogischen Arbeit        ersten Blick eine große, kaum zu bewältigende Aufgabe. Doch
gesichert werden soll. Zwar fordert der Gesetzgeber laut         es gibt Möglichkeiten, wie pädagogische Teams selbständig
Paragraf 22a SGB VIII, dass die Qualität der Einrichtungen si-   und mit geringen Ressourceneinsatz ihre Qualität überprüfen
chergestellt, weiterentwickelt und evaluiert wird. Das Gesetz    können. Eine davon ist der Nationale Kriterienkatalog.
lässt aber offen, mit welchen Instrumenten dies umgesetzt
werden soll. Neben diesen Befürchtungen erkennen pädago-
gische Teams aber durchaus die Notwendigkeit, die Qualität       Entstehungsgeschichte des Nationalen
ihrer Arbeit zu reflektieren und weiterzuentwickeln (siehe       Kriterienkatalogs

                                                                 Der Nationale Kriterienkatalog (NKK) wurde im Rahmen des
  Allgemeine Vorteile eines QM-Systems:                          Forschungsverbunds „Nationale Qualitätsinitiative im Sys-
                                                                 tem der Tageseinrichtungen für Kinder“ in den Jahren 1996
  • Klärung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten                bis 2006 entwickelt. Die Erarbeitung erfolgte in Zusammen-
    (Transparenz der Arbeit)                                     arbeit mit Fachkräften aus der sozialpädagogischen Praxis
  • Optimierter Ressourceneinsatz (Zeitmanagement)               und mit Expert*innen unterschiedlicher Ebenen, die im
  • Festgelegte/festgeschriebene Prozessabläufe (Mit-            System der Tageseinrichtungen Verantwortung trugen. Der
    arbeiter*innen können sich an den festgelegten Stan-         NKK erfasst das ganze Spektrum der pädagogischen Arbeit
    dards orientieren)                                           in Tageseinrichtungen für Kinder im Alter von null bis sechs
  • Durch den Erarbeitungsprozess entsteht Motivation            Jahren. Es werden keine Mindeststandards beschrieben,
    und Arbeitszufriedenheit bei den Mitarbeiter*innen.          sondern Kriterien bester pädagogischer Fachpraxis auf der
                                                                 Grundlage internationalen Fach- und Expertenwissens aus

Rundbrief EXTRA Nr. 1                                                                                                     12
aktuellen Praxis. Diese bildet den Ausgangspunkt für fach-
                                                                liche Diskussionen darüber, wie die pädagogische Qualität
                                                                in Tageseinrichtungen verbessert werden kann. Der NKK
                                                                bietet einen „sanften“ Einstieg in das Thema Qualitätsent-
                                                                wicklung:

                                                                • Er ist länder-, träger- und konzeptionsübergreifend und
                                                                  in allen Einrichtungen einsetzbar.
                                                                • Die Checklisten sind einfach und verständlich formuliert.
                                                                • Eine strukturierte und zielorientierte Reflexion der päd-
                                                                  agogischen Arbeit wird ermöglicht.

Abb. 1: Qualitätsbereiche NKK (Quelle: https://docplayer.       Bedingungen für einen guten Start
org/19345558-Qualitaet-in-tageseinrichtungen-fuer-kinder-
von-0-bis-6-jahren-nationale-qualitaetsinitiative-im-system-    Grundsätzlich sollte eine kollegiale Akzeptanz im Team zum
der-tageseinrichtungen-fuer-kinder.html)                        Thema Qualitätsentwicklung vorherrschen. Rechnen Sie mit
                                                                Ängsten und Befürchtungen, lassen Sie diese zu und setzen
                                                                Sie sich damit auseinander. Es empfiehlt sich, Widerstände im
dem Bereich Frühpädagogik formuliert. Dazu gehören auch         Vorfeld ernst zu nehmen und abzubauen. Sorgen Sie für aus-
die erforderlichen professionellen Kompetenzen der päd-         reichend Zeit und Raum, um auf Fragen und Bedenken einge-
agogischen Fachkräfte im Bereich der Betreuung, Bildung         hen zu können. Im Folgenden lernen Sie das Sieben-Schritte-
und Erziehung von Kindern (vgl. Esch et al. 2006, S. 212ff.).   Verfahren (vg. Tietze et al. 2017, S. 24ff.) näher kennen.

                                                                Erster Schritt: Situationsanalyse
Pädagogische Grundlagen des NKK                                 Beginnen Sie mit einem Qualitätsbereich, der Ihnen jetzt
                                                                schon gut gelingt und prüfen Sie, ob Verbesserungen vor-
„Der NKK baut auf bestimmten pädagogischen Grundüber-           genommen werden können. Der Vorteil dabei ist, dass
zeugungen auf. Diese spiegeln ein spezifisches Menschen-        die umzusetzenden Schritte einfach sein werden und sich
bild wider und enthalten Annahmen darüber, was Kinder           dadurch die Chance bietet, das Sieben-Schritte-Verfahren
für ihr Wohlbefinden und ihre Entwicklung benötigen.“           kennenzulernen. Die Checkliste gibt der pädagogischen
(Esch et al.2006, S.213)                                        Fachkraft einen Überblick über zentrale Qualitätsaspekte
                                                                eines pädagogischen Bereiches. Eigene Stärken und Schwä-
Folgende Grundgedanken bilden die Basis:                        chen werden erkennbar und eventuelle Verbesserungspo-
                                                                tentiale identifiziert. So gehen Sie vor:
•   Kinder sind aktive Lerner*innen.
•   Kinder lernen in Sinnzusammenhängen.                        • Kopieren Sie die Checklisten für das Team.
•   Kinder lernen durch spielerische Aktivität.                 • Weisen Sie darauf hin, dass nur die Spalte „Selbstein-
•   Emotionale Sicherheit und Zuwendung bilden die Basis          schätzung“ ausgefüllt werden soll.
    für kindliche Lernprozesse.                                 • Sie brauchen mindestens 30 bis 45 Minuten Zeit zum
•   Kinder lernen durch Teilhabe und Aushandlung.                 Ausfüllen der Checkliste.
•   Kinder haben das Recht auf Anerkennung und Indivi-          • Bei der Bewertung soll das eigene Handeln und nicht
    dualität.                                                     das der Kolleg*innen eingeschätzt werden.
•   Pädagog*innen sind Gestalter*innen einer anregenden         • Die Fachkräfte sollen die aktuelle pädagogische Praxis
    Lern- und Erfahrungswelt.                                     bewerten und keinen Wunschzustand beschreiben.
•   Pädagog*innen sind Dialogpartner*innen und Impuls-          • Es geht um eine subjektive Einschätzung.
    geber*innen.                                                • Die Bereiche für die unter Dreijährigen sind mit einer
•   Unabhängig von Herkunft, Geschlecht und sozialem              Rassel gekennzeichnet.
    Status, sichert die Kindertageseinrichtung allen Kindern    • Sammeln Sie die Checkliste ein.
    Lern- und Entwicklungschancen.
•   Die pädagogische Arbeit orientiert sich an der Lebens-      Zweiter Schritt: Qualitätsprofil der Einrichtung
    welt und am Bedarf von Kindern und ihren Familien (vgl.     Ziel ist es, die Standortbestimmung des Teams zu ermitteln,
    Tietze et al., 2007 S.19ff.).                               einen Überblick über die Stärken zu erhalten und Entwick-
                                                                lungspotenziale herauszuarbeiten. Folgende Schritte sind
                                                                zu beachten:
Was ist der NKK?
                                                                • Sie brauchen eine Blanko-Checkliste für den jeweiligen
Der NKK ist ein internes Evaluationsinstrument zur Quali-         Qualitätsbereich.
tätsentwicklung. Er beschreibt zwanzig Qualitätsbereiche        • Addieren Sie aus einzelnen Checklisten für jedes
(siehe Abb.2) die mit Hilfe von Checklisten überprüft wer-        Kriterium die Kreuze zu jeder Antwortmöglichkeit und
den können. Es geht dabei um eine Selbsteinschätzung der          übertragen Sie die Summenwerte in die „Qualitätspro-

Rundbrief EXTRA Nr. 1                                                                                                      13
Abbildung 2: Beispiel Checkliste
                 (Quelle: Tietze 2017, S.30)

  fil“-Spalte (Abb.2). Danach addieren Sie pro Spalte die     • Eventuell müssen zusätzlich neue Fachbücher ange-
  Summen, um das Teamprofil zu erhalten.                        schafft werden.
• Sie können die Ergebnisse als Gesamtauswertung Ihrem        • Eventuell werden Fortbildungen besucht, um das Fach-
  Team vorstellen (Stärken/Schwächen), z.B. „Unsere Be-         wissen zu erweitern.
  reiche für Bewegung sind für die Kinder gut erkennbar,      • Holen Sie sich externe Fachberater*innen dazu.
  allerdings sind die Aktivitäten nicht gut zu erreichen.     • Erstellen Sie sich einen Maßnahmenplan, welche nächs-
  Hier haben wir unterschiedliche Wahrnehmungen. Wor-           te Schritte Sie planen.
  an könnte das liegen?“ (Abb.2)
• Eine andere Möglichkeit: Sie sprechen mit Ihrem Team
  über jedes einzelne Kriterium.                              Vierter Schritt: Entwicklung von Veränderungszielen
• Die Auswertung und die Interpretation der Ergebnisse        Sie wissen jetzt, wo Ihre Stärken und Schwächen liegen
  erfordern eine gewisse Übung. Machen Sie deutlich,          und haben sich intensiv mit den fachlichen Aspekten aus-
  dass es zunächst um eine Beschreibung der Stärken und       einandergesetzt. Im vierten Schritt formulieren Sie nun ge-
  Schwächen geht. Vermeiden Sie „Rechtfertigungsver-          meinsam Ihre Veränderungsziele. Ihre Ziele sollten konkret,
  suche“ und detailreiche Ursachendiskussionen. Wichtig
  ist, dass Sie auf Grundlage der Kriterien Gespräche und
  Diskussionen führen, unterschiedliche Wahrnehmun-
                                                                Zielformulierung nach der SMART-Formel
  gen zulassen, sich gemeinsam auf eine gleiche Qualität
  einigen, festlegen, wo Sie Unterschiede zulassen und
  institutionelle Rahmenbedingungen berücksichtigen.            Qualitätsbereich: Eingewöhnung

                                                                Qualitätsziel: Ab September 2020 (terminiert) finden
Dritter Schritt: Fachliche Orientierung                         neben dem Aufnahmegespräch mindestens zwei wei-
Nachdem Sie die Checklisten ausgewertet haben, folgt die        tere Elterngespräche (messbar und realistisch) während
intensive Auseinandersetzung mit fachlichen Themen des          der Eingewöhnung statt. Die Gespräche haben das Ziel,
Qualitätsbereiches. Gehen Sie in einen Austausch über           gegenseitige Ängste und Befürchtungen abzubauen und
pädagogische Inhalte. Auch Kompetenzen, Haltungen und           unsere Arbeit transparenter zu machen (spezifisch).
Werte im Team kommen jetzt zum Tragen. So gehen Sie vor:        Über die regelmäßigen Gespräche und den Informati-
                                                                onsaustausch ist es realistisch, dass Eltern, Erzieher*in-
• Planen Sie genügend Zeit für Diskussionen ein.                nen und Kinder sich gegenseitig besser kennenlernen
• Das Team beschäftigt sich intensiv mit spezifischen fach-     und Vertrauen aufbauen (akzeptabel).
  lichen Fragen.

Rundbrief EXTRA Nr. 1                                                                                                        14
überprüfbar und realistisch sein. Sie sollten umsetzbar und       • „Wir haben ein gutes Feedback zu unserer Arbeit be-
erreichbar sein (siehe das Beispiel in der SMART-Formel auf         kommen (Bestätigung).“
Seite 14). Schätzen Sie die kleinen Erfolge.                      • „Es entsteht ein Gesamtbild unserer Arbeit.“
                                                                  • „Er kann flexibel angewendet werden.“
Fünfter Schritt: Zielvereinbarungen
Im fünften Schritt formulieren Sie konkrete Zielvereinba-         Mein Tipp: Probieren Sie den NKK einfach mal aus (Lear-
rungen, in die Sie Ideen für die zukünftige Organisation          ning by doing). Lassen Sie sich nicht vom Begriff Qualitäts-
der Kindertageseinrichtung integrieren. Machen Sie sich           management abschrecken. Sie werden merken, dass er Ihre
Gedanken, wie Sie Ihre Ziele erreichen wollen und wel-            tägliche Arbeit widerspiegelt und sehr reflektiert formuliert
che Maßnahmen dafür notwendig sind. In Bezug auf das              ist. Sie werden ein positives Feedback für Ihre Arbeit er-
SMART-Beispiel (S. 14) wäre beispielsweise zu klären, wie         halten und Bereiche entdecken, die sie schon seit längerer
Elterngespräche gestaltet werden. Welches Ziel wird mit           Zeit überarbeiten wollten. Ich kann Sie nur ermutigen und
den Gesprächen verfolgt? Welche Inhalte sollen bespro-            Ihnen viel Spaß beim Reflektieren wünschen. Es lohnt sich.
chen werden? Wer formuliert einen Fragebogen? Bis wann
sollen die Fragenbögen fertiggestellt sein? Sie legen Teilzie-
le fest, die nötig sind, um das Qualitätsziel zu erreichen.

Sechster Schritt: Planung und Durchführung von Umset-
zungsschritten
Nachdem Sie die Teilziele festgelegt haben, erstellen Sie
einen Maßnahmenplan, mit dem die Ziele erreicht werden                                                            Notiz zur Autorin
können. Damit Sie den Überblick nicht verlieren, ist es sinn-               Nicole Kussauer ist Bildungs- und Sozialmanagerin
voll, die Planung der Umsetzungsschritte schriftlich zu fixie-            mit dem Schwerpunkt Frühe Kindheit, B.A. , staatlich
ren (siehe Kasten).                                                     anerkannte Erzieherin und freiberufliche pädagogische
                                                                   Fachberaterin (www.hugsa-coaching.de) sowie Referentin
                                                                    im LAG-Seminarprogramm. Hier bietet sie unter anderem
Siebter Schritt: Ergebnissicherung                                 die Seminare „Nein, meine Suppe esse ich nicht – Krippen-
Im letzten Schritt überprüfen Sie Ihre Ziele und sichern die         kinder entscheiden mit (17/2020)“, „Das letzte Jahr in der
Ergebnisse. Auch hier empfiehlt es sich, die Ergebnisse zu          Kita – Schulfähigkeit versus Kind sein (27/2020)“ und „Ich
verschriftlichen. Überprüfen Sie, was sich für wen verbes-         sitze zwischen zwei Stühlen – Die stellvertretende Leitung
sert hat. Reflektieren Sie den gesamten Qualitätsprozess              (34/2020 )“ an. Außerdem ist sie Referentin in der quali-
und visualisieren Sie die erreichten Schritte. Sie sollten sich     fizierten Weiterbildung „Leitung im U3-Bereich: Zwischen
zum Abschluss als Team die Frage stellen, wie hoch sie den               Management und pädaogischer Qualität“. Inhalte der
Nutzen einschätzen, die Qualitätsentwicklung weiterzufüh-          Seminare und Informationen zum LAG-Seminarprogramm
ren.                                                                  und U3-Weiterbildungen und finden Sie unter www.lag-
                                                                                                       hessen.de/fortbildung/.

Blick in Praxis

In vielen Einrichtungen wird der NKK bereits angewendet,            Literatur
aber nicht jede Einrichtung arbeitet mit dem Sieben-Schrit-         Esch, Karin et al. (2006): Qualitätskonzepte in der Kindertages-
te-Verfahren. Viele nutzen ihn, um ihre tägliche Arbeit             betreuung – Ein Überblick. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissen-
systematisch und strukturiert zu reflektieren. Checklisten          schaften.
werden ausgefüllt, das Teamprofil ausgewertet und die ein-          Tietze, Wolfgang, und Susanne Viernickel (2017): Pädagogische
zelnen Kriterien diskutiert. Folgende Aussagen werden oft           Qualität entwickeln: Praktische Anleitung und Methodenbau-
                                                                    steine für die Arbeit mit dem Nationalen Kriterienkatalog.
zurückgemeldet:                                                     Weimar: Verlag das Netz. (www.verlagdasnetz.de/home/
                                                                    verlagsprogramm-181/praxismaterialien/2035-paedagogische-
• „Der NKK bietet eine gute Diskussionsgrundlage, um ge-            qualitaet-in-tageseinrichtungen-fuer-kinder.html)
  zielt über pädagogische Themen zu diskutieren.“                   Tietze, Wolfgang, Susanne Viernickel, Irene Dittrich, Katja
• „Er ist sehr detailliert und wertschätzend formuliert.“           Grenner, Andrea Hanisch, und Jule Marx (2016): Pädagogische
                                                                    Qualität in Tageseinrichtungen für Kinder: Ein Nationaler Krite-
• „Er regt zum Nachdenken beziehungsweise zum Um-                   rienkatalog. 5. Aufl. Weimar: Verlag das Netz
  denken an.“

  Maßnahmenplan

   Aufgabe (Was?)           Wer?                     Mit Wem?                   Ab Wann?                 Bis Wann?

Rundbrief EXTRA Nr. 1                                                                                                                  15
Kita zu und nu?

Einige Hinweise, Tipps und Gedanken rund um die Kitaschließung

von unseren Fachberatungskolleg*innen vom Dachverband der Berliner Kinder-
und Schülerläden (DaKS)

Seit den Kita-Schließungen am 16. März haben sich viele Fachkräfte und Fachberatungen Gedanken darüber
gemacht, wie die aktuelle Situation das Leben von Kindern, Eltern, Fachkräften und anderen Beteiligten im
System Kita verändert. Wir dokumentieren Reflexionen und Anregungen aus dem Berliner Dachverband der
freien Kitaträger, mit dem die LAG Freie Kinderarbeit Hessen im Bundesverband der Elterniniativen (BAGE)
zusammengeschlossen ist.

Schon vor Kontaktsperre und social distancing war Kommu-      getan werden kann, wenn die Kita zu hat und ihr eigentlich
nikation in Kinderläden und Kitas, eines unserer Hauptthe-    ja im Dienst seid und nur keine Kinder da sind. Da ja auch
men in der Beratung. Unser Mantra „Sprecht drüber, seid       eure Fachberatung weiterarbeitet, haben wir mal ein biss-
transparent und nehmt alle Beteiligten in Entscheidungs-      chen überlegt, was uns so für Dinge einfallen würden, die
prozessen mit, sprecht Konflikte früh an, bleibt im Kon-      in der leeren Kita und im Homeoffice anfallen könnten. Und
takt“ – alles nicht mehr wahr in Zeiten von Corona? Kontakt   wir haben Beispiele aus Kinderläden/Kitas aus unserem Be-
halten ist umso wichtiger, zumal vieles gerade von außen      ratungsalltag als Ideen für euch zusammengetragen. Aber
entschieden wird und sich ständig ändern kann. Trotzdem       nichts destotrotz ermuntern wir euch, auch in den kom-
braucht es Beteiligungsprozesse und Kontakt auf allen Ebe-    menden Wochen, mit uns in den Austausch zu gehen und
nen im Kinderladen.                                           wenn ihr merkt, ihr wollt gern Themen angehen, die euch
                                                              schon immer interessiert haben, ruft uns an oder schreibt
Kita zu ist eben doch nicht richtig zu, weil es ja um große   uns dazu. Wir können gern gemeinsam weiter brainstormen
und kleine Menschen geht, die eine enge Beziehung zu ein-     und überlegen, wie wir euch dabei unterstützen können.
ander haben und sich auch vermissen. Deshalb denkt über
Kontaktmöglichkeiten für alle Beteiligten (Eltern, Kinder     Was man alles in leeren Kitaräumen tun könnte: Jetzt ist
und Pädagog*innen) nach – hoch lebe die altmodische Tele-     vielleicht mal Zeit vieles durchzusortieren und auszumisten,
fonkonferenz und die moderne Videokonferenz – auch wir        angefangen von Spielsachen, Material, Büro- und Papier-
probieren uns da gerade aus. Einige von Euch haben schon      kram und nicht zuletzt die ungeliebten „Kruschecken“. Des
wunderbare Ideen entwickelt und in die Tat umgesetzt.         Weiteren können Kinderbücher durchgesehen und repa-
Nach wie vor braucht digitale Kommunikation strengere         riert werden. Und es ist natürlich auch möglich in den Räu-
Regeln als direkte, es fehlt immer mindestens eine Ebene.     men zu streichen und zu bauen (wer weiß, wie lange OBI
                                                              noch offen ist).
Versucht also nicht den stark schwelenden Konflikt, wer
nun in die Notbetreuung darf und wer nicht, per What-
sappgruppe zu klären und überlegt, wer unbedingt in Ent-
scheidungsprozesse einbezogen werden sollte und welches       Was man von zuhause aus machen kann
Medium hierfür sinnvoll ist.
                                                              Nach dem alle Bücher ausgemistet wurden, lässt sich be-
                                                              stimmt gut neue Kinderliteratur recherchieren (Hilfe dafür
                                                              findet ihr unter: stiftunglesen.de, bildungsserver.de, Tipps
Arbeit in leeren Kitaräumen                                   für vorurteilsbewusste Bücher – Empfehlungen auf: situati-
                                                              onsansatz.de) und eine Wunschliste für Neuanschaffungen
Neben den ganzen Fragen zur Notbetreuung, die ja an           erstellen. Und hierbei lässt sich die Raumausstattung und
oberster Stelle steht, erreichen uns auch Fragen dazu, was    das Material gleich mit überdenken und dafür findet ihr im

Rundbrief EXTRA Nr. 1                                                                                                  16
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