Schildkröten und andere Viecher: eine archäozoologische Betrachtung Ringvorlesung Umweltgeschichte WS 06/07
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Schildkröten und andere Viecher: eine archäozoologische Betrachtung Ringvorlesung Umweltgeschichte WS 06/07 Günther Karl Kunst VIAS – Forschungsplattform für Archäologie der Universität Wien http://www.univie.ac.at/vias/
Archäozoologie = Zooarchäologie • Objekte: Tierreste aus archäologischen Fundzusammenhängen bzw. Tierreste, die auf archäologische Fragestellungen hin untersucht werden.
• Objekte: bei uns meist Tierknochen, weil mineralisiert und daher erhaltungsfähig; aber auch Eischalen, Mollusken, Spuren, ... Straußeneischalen, Carnuntum
Themenfelder • Geschichte der Mensch-Tierbeziehung • Haustierwerdung (histor. Prozess) • Menschlicher Einfluss auf die Umwelt (human footprint): Aussterben, Neueinbringen von Arten Archäozoologische Materialien liefern Datenfundus zu Wirtschafts,- Sozial-, Umweltgeschichte,... Zentrale Punkte: • Ernährung • Abfallverhalten
Wie entstehen archäologische Fundvergesellschaftungen? • Voraussetzungen: Einbettung und Anreicherung
• Anreicherung: durch menschliches Abfallverhalten (intentionell oder nicht) • Einbettung: in künstliche oder natürliche (Sub)strukturen
„Dirt is matter out of place“ Mary Douglas Computerschrott, Universität Wien Beispiele für Abfallvergesellschaftungen, Fehlbrände, Römerzeit die keine Tierreste beinhalten (Mautern)
In komplexen Gesellschaften nimmt die Zahl der potenziellen Abfallsenken zu Kanal Brunnen
Wie kommen wir zu archäozoologischem Untersuchungsmaterial?
Anreichern von Kleinfunden durch Flotation (Archäobotanik)
Materialien: meistens isolierte und +/- beschädigte Skelettelemente
Auflösung des Skelettverbandes – Disartikulation natürlich oder mit Zutun des Menschen im Rahmen der Nutzung des Tierkörpers
Je intensiver die Nutzung, umso stärker wird der Skelettverband aufgelöst • Taphonomie – Beschäftigt sich mit den Vorgängen nach dem Tod bis zur Einbettung und darüber hinaus (Paläontologie)
Archäozoologische Arbeitsmethoden: 1) Bestimmen Truthahnknochen rezent – 17. Jahrhundert (Wien)
2) Messen - Osteometrie Messstrecken ähnlich wie in der Anthropologie – unbefriedigend, weil Knochen komplexe Formen haben Bos: Grundphalanx 40 Besonders bei 35 Haustieren 30 Carnuntum oft starke Bp Mautern 25 Halbturn Veränderungen in der Körpergröße in 20 Abhängigkeit von 15 40 50 60 70 80 Zeit/Raum GLp
3) „biolog. Eigenschaften“ Sterbealter, Geschlechtszugehörigkeit, pathologische Erscheinungen geben Hinweise auf Nutzungsformen
4) Zählen und 100 Ovis / Capra 0 Auswerten Kanal 5 Kanal 14 - Mengenmäßige Mautern Vicus Mautern Kastell 50 (quantitative) 50 Artenzusammensetzung Sus 100 0 100 50 0 Bos • Viele Faktoren können für das Artenspektrum verantwortlich sein
Seit der Neolithisierung – bei uns ab 6.Jt.v.Chr. Haustiere meist vorherrschend - Domestikation Benecke 1994
Wo, wann, welche Arten – historischer Prozess regional unterschiedliche Voraussetzungen – Stammarten
Urrind (ausgestorben 17.Jh.) • Gestaltwandel Wildtier – Haustier am Knochenmaterial nachvollziehbar
Nutzungsformen in der Vergangenheit weichen vielfach von gegenwärtigen stark ab Hausschweineherde in Georgien Weideschweine in Österreich (17. Jh.)
„Taphonomische“ Interpretation von Proben a) – welche Elemente sind vertreten? % Erwartungswert Kanal 14 0-25 n=380 g=17724g 25-50 50-100 100-150 Abfallelemente - Metapodien 150-250 >250 Kanal 5 n=378 g=13126g Konsumnähe - Lendenwirbel
Extreme Anreicherung von manchen Skelettelementen z.B. im kultisch-rituellen oder im gewerblichen Zusammenhang möglich.
„Taphonomische“ Interpretation von Proben b) – Oberflächenmarken Die Auseinandersetzung mit dem Schlachtkörper erzeugt Marken, die sich vielfach deutlich abzeichnen – der Knochen ist hart genug, um überliefert zu werden und gleichzeitig hinreichend weich, sodass sich Gerätespuren (Stein, Metall) abbilden können Steingerätespur - Neolithikum Diese erlauben das Nachvollziehen von menschlichen Handlungsmustern
Chopmarks Humerus Tibia Femur Femur
Femur Tibia Cutmarks Scapula
Zerteilungsschema Rind Hackspuren Schnittspuren n=142 n=67
Rekonstruktion von Zubereitungstechniken: gegrilltes Rindermaul (Carnuntum)
Aus welchem Funktionszusammenhang stammt der Abfall, von welcher Personengruppe? Produzenten, Konsumenten, Küche, Gewerbe ? (oft mehrere Quellen) • Keine Probe gleicht der anderen!
Sozialhistorische Interpretation von Knochenproben - Fallbeispiel
Kartause Mauerbach (Wien-Umgebung), 17. Jahrhundert definierte Personengruppe: Kartäusermönche
Grabungen durch das Bundesdenkmalamt und den Verein ASINOE erbrachten Knochenproben mit ungewöhnlicher Zusammensetzung
Panzerteile von Schildkröten ...
Reste von Fischen, Meeresmuscheln, Bibern, ...
Religiöse Speisevorschriften, Ernährung als Ausdruck der Identität – „Fastenspeisen“, oft schwer zu beschaffen • Schildkrötengarten in der Kartause Putto, 17.Jh. Schildkrötenkonsum in Ostasien
Zusammenhang zwischen Befund, Artefakten und historischem Kontext gut darstellbar Latrinenfüllung um 1620 (barocker Umbau)
Auftreten der Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) – faunengeschichtliche Fragen Bodenfunde in der Urgeschichte in Ostösterreich häufig Haltung in der frühen Neuzeit anscheinend recht verbreitet
„Flagship species“ im Nationalpark Donauauen • Wie autochthon („natürlich“) sind gegenwärtige Vorkommen? Tierarten als Symbol für Wildnis
„Pristine myth“ – Ursprünglichkeitsmythos: Im Neolithikum, Römerzeit, Mittelalter, Nordamerika, im Naturschutz – „Urlandschaft“
Beispiel: Wisent (Bison bonasus) Oberleiserberg (Völkerwanderungszeit)
Der Mensch trägt – direkt und indirekt – zur Verbreitung von Tierarten außerhalb ihres angestammten Vorkommens bei.
Übernutzung am Beispiel Hausen (Huso huso) auch ein Symboltier für „Wildnis“
• Bone assemblages are about much more than the acquisition of calories and nutrients. What people choose to eat or avoid, and where and how that food is prepared and consumed is a BIG cultural signal. So too is the disposal of waste, so our assemblages are culturally modified at input and at output. But we’re not in this research for easy answers, are we? • Terry O‘Connor
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