Schlafstörungen bei Menschen mit Entwicklungsstörungen - Corina Schnitzler Seguinklinik Diakonie Kork - DA-CH Inklusive Medizin
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Schlafdauer gesunder Erwachsener Kurzschläfer < 5 h/Nacht Langschläfer > 10 h/Nacht Normale Schlafdauer (40-50% zwischen 8 und 9 h/Nacht)
Schlafregulation Homöopathischer Prozess (Schlafdruck) Circadianer Prozess (SCN) Ultradianer Prozess (REM/NREM) Zwei-Prozess-Modell (Borbély 1982) Akkumulation von Adenosin im basalenVorderhirn im Wachen und dessen zunehmender Abbau im Schlafen, blockiert Arousalsysteme, NREM Einleitung Wecksignale im SCN die kontinuierlich bis in die frühen Abendstunden zunehmend Reziproke Interaktion von aminergen und cholinergen Neuronen im Hirnstamm (Hobson and McCarley 1975)
aus Stuck „Praxis der Schlafmedizin“ mod. nach Birbaumer N, Schmidt RF (2006) Biologische Psychologie, 6. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg] aus Prasis der Schlafmedizin Stuck 2013
Klassifikation der Schlafstörungen (International Classification of Sleep Disorders (ICSD-2)) Hauptgruppen • Insomnien • Schlaf bezogene Atemstörungen • Hypersomnien zentralen Ursprungs • Störungen des circadianen Rhythmus • Parasomnien • Schlaf bezogene Bewegungsstörungen • isolierte Symptome, offensichtliche Normvarianten und noch nicht sicher zuzuordnende Symptome • andere Schlafstörungen American Academy of Sleep Medicine; ICSD-2, 2005 Thorpy MJ (2012) Neurotherapeutics 9:687-701
Circadiane Rhythmusstörungen Fehlende Synchronisation intrinsischer circadianer Rhythmen mit dem externen Rhythmus Folge: Insomnien, Tagesschläfrigkeit Circadianer Rhythmus > 24 h Licht, soziale Zeitgeber
Pathologien mit circadianen Rhythmusstörungen Freilaufender Rhythmus bei komplett blinden Menschen Unregelmäßige Schlafmuster bei schweren Formen der geistigen Behinderung Demenz (Sundowning = Aktivitätszunahme bei Sonnenuntergng)
Circadiane Rhythmusstörungen Therapie der Insomnie: verzögerte Schlafphasenstörung feste Bettzeiten Lichttherapie (10000 Lux, 30-45 min direkt nach dem Aufstehen, außer bei advance phase) Melatonin (3-5 mg 4 h vor dem Lichtlöschen, bei verzögert, unregelmäßig oder freilaufendem Rhythmus) Vitamin B 12 steigert die Empfindlichkeit gegenüber Licht Verhaltensmaßnahmen Körperliche Aktivität am Tag Eher keine Hypnotika da negativer Einfluss auf den endogenen Rhythmus
Smith-Magenis Syndrom Deletion 17p11.2 100% der betroffenen Kinder über verschieden Studien (Thietze et al., 2002) Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen Inversion der Melatoninsekretion Parsomnien Exzessive Tagesschläfrigkeit mit häufigen Naps Verkürzter REM Schlaf (Greenberg et al.,, 1999) Morgendliches Früherwachen Häufiges nächtliches Erwachen Verkürzte Schlafdauer (Smith et al., 1998) Behandlung: Melatonin und Beta 1 Antagonisten (Carpizo et al., 2006)
Hypersomnien Erhöhte Tagesschläfrigkeit Ungestörter Nachtschlaf Schlafdauer normal oder lang Genetische Disposition, HLA System Gelegentlich kombiniert mit vegetativer Symptomatik (kalte Extremitäten) othostatischer Hypotonie und Kopfschmerzen Cave: andere Ursachen ausschließen
Prader - Willi Syndrom Chromosom 15 35-100 % der betroffenen Kinder leiden unter Schlafstörungen Insomnie (Ein- und Durchschlafstörungen) Morgendliches Früherwachen Exzessive Tagesschläfrigkeit (Gibbs et al., 2013) auch ohne nächtliche Schlafstörungen (hypothalamische Dysfunktion (Nixon et al.,2002) Schnarchen (Richdale et al., 1999) Länger nächtliche Wachphasen Einschlafzeiten eher kurz Verkürzte REM Latenz (Manni et al., 2001) Schlafstörungen verschlechtern sich mit dem Alter (Richdale et al., 1999) OSA auch unabhängig von habituellen Übergewicht
Schlaf gebundene Atemstörungen - OSA • In der Normalbevölkerung häufig assoziiert mit Übergewicht, cranio-facialen Besonderheiten die zu Verengung der oberen Atemwege führen und muskulärer Hypotonie • bei anatomischen Normvarianten und muskulären Störungen im Kopf-Hals-Bereich – Trisomie 21 – Apert-Syndrom – Taybi-Rubinstein-Syndrom – CHARGE-Syndrom – Cerebralparesen und neuro-muskulären Erkrankungen Rosen D (2011) Curr Opin Pulm Med 17:431-436. Katagal S et al (1994) Dev Med Child Neurol 36:304-311. Hayashi et al (1990) Brain Dev 12:494-497. Goodman R (1998) J Child Psychol 39:347-354 cardio-vaskuläre Belastung gastro-oesophagealer Reflux →Verstärkung des obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms →Zunahme eines GOR
Down Syndrom 31-54 % der betroffenen Kinder leiden unter Schlafstörungen (Stores and Stores, 2013, Tietze et al., 2012) Insomnie Parasomnie Angst Prolongiertes Bettnässen Schlafbezogene Atemstörungen (OSA 31-63 %) Tagesschläfrigkeit Länger nächtliche Wachphasen Länger Bettzeiten Mehr schlafbezogenen Bewegungsstörungen Zusammenhänge zwischen nächtlichen Schlafstörungen und Verhaltensstörungen am Tag (Irritabilität, Hyperaktivität, Stereotypien) wurden mehrfach hergestellt, nicht zu Lethargie) (Ashworth et al., 2013)
OSA bei Down Syndrom Mit 31-63% deutlich höher als in der Normalbevölkerung 3-7% (de miguel-Diez et al., 2003; Punkjabi, 2008) Assoziiert mit kognitiven Defiziten (visospatial, verbal) (Andreou et al., 2002) hohe Korrelation zu den syndromspezifischen kranio-facialen Dysmorphien Mittelgesichtsdysplasie (kleines Mittelgesicht, enge Nasenhöhlen) Mandibulare Hypoplasie Glossoptosis ( große nach hinten und unten gezogenen Zunge) Hypoplastische enge obere Atemwege Hervorstehende Tonsillen kurzer Hals geringer Durchmesser der subglottischen Trachea Adipositas
Schlafstörungen bei Trisomie 21 • bei Trisomie 21 häufig gefundene Schlafposition mit: • Schneidersitz • weit nach vorne gebeugtem Oberkörper • Kopf auf der Matratze • → protektiver Efekt gegenüber Apnoen? • → Parasomnie? Senthilvel E, Krishna J (2011) J Clin Sleep Med 7: 158-162
Behandlung Adeno-Tonsillo-Ektomie (Shete et al., 2010) moderate Verbesserung Auch nach OP benötigen viele Kinder weitere Therapiemaßnahmen z.B. CPAP (Shott et al., 2006)
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NREM Parasomnien Unvollständiges Erwachen aus dem Tiefschlaf Kein vollständiges Erwachen, Weiterschlafen oder Verwirrtheit und Amnesie für das Ereignis Erste Nachthälfte Kurz: 1-2 Minuten selten länger bis zu 40 Minuten Augen geöffnet, Blick abwesend Schlafwandeln LZP 4% (Kinder 1-15%) (Ohayon et al., 1999) Pavor nocturnus (Kinder 6%, Erwachsene
REM Schlaf Parasomnien REM Schlaf Verhaltensstörungen 0,1-1% der Allgemeinbevölkerung, mit steigendem Alter jedoch zunehmend (Ohayon et al., 1997) Fehlen physiologischer REM Schlaf assoziierter Muskelatonie und damit häufig heftiges Ausagieren von Trauminhalten Mögliches frühes Symptom von Synukleinopathien wie M. Parkinson, Lewy-Körper- Demenz oder Multisystematrophie Symptome können bis zu 15 Jahre vor Erkrankungsbeginn auftreten Hirnstammläsion, Narkolepsie Toxisch: SSRI, Selegilin, Alkohol, Stimulanzien (-Entzug) (Hoque et al., 2010)
Schlafgebunden Epileptische Anfälle Frontallappenepilepsien mit hypermotorischen Anfällen ausschließlich/weitgehend nur Anfälle aus dem Schlaf heraus bei 10% der Epilepsiepatienten; davon 80% fokale Anfälle Unterscheidung zu REM Schlaf Parasomnien und Panikattacken schwierig i.d.R stereotyp Kurze Dauer, abrupter Beginn und abruptes Ende Weit ausfahrende Bewegungen, Lautieren, komplexe Bewegungsabläufe fehlen Evtl. Lateralisierende klinische Zeichen Mögliche postiktale Verhaltensmuster Ätiologie: strukturelle Läsionen (kortikale Dysplasien >50%, Tumoren 30-50%, posttraumatisch oder vaskulär (Frater et al., 2000) Epilepsie+GB bei Dravet-Syndrom, Lennox-Gastaut-Syndrom (LGS)
Frontallappenanfälle – Differenzierung gegenüber Parasomnien Martin P: (2013)Schlafstörungen. In: Schanze C (Hrsg) Psychiatrische Diagnostik und Therapie bei Menschen mit Intelligenzminderung. Schattauer, S. 161-188
Subjektive und objektive Schlafbeurteilung Klinische Untersuchung Fragebögen Aktigraphie Polysomnographie Ambulante Screeningverfahren (Miniscreen)
Klinische Untersuchung • Inspektion und Palpation der Mund-, Nasen-, Rachen- und Halsregion • ggf. HNO-ärztliche Untersuchung • ggf. Thoraxröntgen und Lungenfunktionsprüfung • Laboruntersuchunge: • Schilddrüsenparameter • Differenzialblutbild, • Eisen, Ferritin, Vitamin B12, Folsäure, CRP und BSG • bei Patienten mit Ventrikel-Shunt: Shuntfunktionsprüfung • Beurteilung im Rahme der Grundkrankheit (Skoliosen, Down-Syndrom)
Fragebögen Validierte Fragebögen für Menschen mit Behinderung Selbst- und Fremdbeurteilungsbögen The Children`s Sleep Habits Questionnaire (CSHQ); Owens J.A., Spirito A., McGuinn M. Sleep 2000; 23: 1043-1051 Pediatric Sleep Questionnaire (PSQ); Chervin R.D., Hedger K., Dillon J.E., Pituch K.J. Sleep Medicine 2000; 1: 21-32 Obstructive sleep apnea quality-of-life questionnaire (OSA-18); Franco R., Rosenfeld R., Rao M. Otolaryngol Head Neck Surg 2000; 25:9-16
Diagnostik von Schlafstörungen Aktometrie (Aktigraphie): •zuverlässige Screening-Methode bzw. Methode zur Untersuchung des Schlaf-Wach-Rhythmus bei Personen mit Intelligenzminderung Van Dijk E et al (2012) J Intellect Disabil Res 56: 204-211; Hare DJ et al (2006) J Intellect Disabil Res 50: 701-710
Aktigraphie Aus Praxis der Schlafmedizin (Stuck, 2013)
Polysomnographie
Miniscreen
Besonderheiten des Schlafs bei Menschen mit geistiger Behinderung Syndromspezifische Schlafstörungen Veränderte Rhythmen aufgrund der Gehirnschädigung soziale Zeitgeber, Anpassung an externe Rhythmen in Heimen, der Familie Internistische und psychiatrische Erkrankungen, i.e.S. Epilepsie Schmerz Spastik Anatomische Besonderheiten Menschen mit schwerer geistiger Behinderung sind in der Regel nicht in der Lage über subjektive Aspekte des Schlafes bzw. der Schlafqualität oder auch Träume Auskunft zu geben differenzierte Anweisungen/Empfehlungen zur Änderung des Verhaltens im Hinblick auf einen weniger gestörten Schlaf zu verstehen und umzusetzen Auskunft über den subjektiven Effekt von Therapien (insbesondere Medikamente) zu geben
Häufigkeit von Schlafstörungen bei Personen mit geistiger Behinderung •stark variabel: 15 – 85% Schwierigkeiten in der Erhebung (Didden und Sigafoos, 2001) - 15.0% bei schwerer geistiger Behinderung - 7.5% bei leichter geistiger Behinderung (1000 Erwachsene mit geistiger Behinderung in einem umschriebenen geografischen Gebiet) ( Boyle et al., 2010) - 65% bei geistig behinderten Kindern mit spezifischer Diagnose (z.B. Down Syndrom, Angelman Syndrom etc.) - 76% bei geistig behinderten Kindern mit unterschiedlichen Diagnosen - 90% bei Kindern mit schwerer globaler Gehirnschädigung (Metaanalyse -4500 Individuen) (Tietze et al., 2012) Tietze A-L et al. (2012) Sleep Med Rev 16:117-127; Boyle W et al (2010) J Sleep Res 19:42-53; Didden R, Sigafoos J (2001) Res Dev Disabil 22:255-272;
Therapie der Schlafstörungen - Verhaltenstherapie am Beispiel – Kinder mit Angelman-Sydrom nach Allen KD et al (2013) Res Dev Disabil 34:676-686 • Etablierung eines regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus • Anpassung der Schlafumgebung: dunkel, ruhig, nicht stimulierend • Interaktion zwischen Eltern/Betreuern und Kindern – auf Rufen, Schreien, Toben etc. der Kinder soll nicht reagiert werden – regelmäßiges Schauen nach den Kindern – aber nur, wenn sie gerade ruhig sind Außerdem: Schlafhygiene Stimuluskontrolle Schlafrestriktion Entspannungsverfahren Kognitive Verhaltenstherapie Paradoxe Interventionen
Therapie der Schlafstörungen - Medikamentöse Therapie • Benzodiazepinrezeptor-Agonisten • Benzodiazepine • Z-Substanzen • sedierende Antidepressiva •tri- und tetrazyklische (Trimipramin (Stangyl®)5-100 mg, Doxepin (Aponal ®))5-100 mg •noradrenerg-serotonerg wirksame Antidepressiva (Mirtazapin (Remergil ®))7,5-15 mg •Melatonin beeinflussende Substanzen (Agomelatin (Valdoxan ®))25-50 mg • sedierende Neuroleptica •Pipamperon (Dipiperon ®)20-80 mg •Prothipendyl (Dominal ®)40-80 mg •Chlorprothixen (Truxal ®)10-100 mg •Levomepromazin (Neurocil ®)5-50 mg •Promethazin (Atosil ®)10-100 mg •Melperon (Eunerpan )25-100 mg • Antihistaminica • Diphenhydramin (Vivinox ® , Dolestan ®)50-100 mg • Doxylamnin (Gittalun ®, Hoggar Night ®)25-50 mg • Antikonvulsiva • Pregabalin (Lyrica ®) • Phytotherapeutika (geringe hypnotische Potenz, keine ausreichende Datenlage) • Baldrian
Medikamentöse Therapie - Melatonin Chronobiologische Eigenschaften Verstärkung der Wirkung GABAerger Hypnotica Verbesserung der Schlafqualität bei Personen mit Entwicklungsstörungen keine wesentlichen Nebenwirkungen, insbesondere auch keine Beeinträchtigung der Denk- und Gedächtnisfunktionen bekannt keine Abhängigkeit / keine Entzugssymptome keine Rebound-Insomnie keine Hinweise auf negative Effekte in der Langzeitanwendung Wade AG et al (2011) Curr Med Res Opin 27:87-98; Lemoine P et al (2011) Ther Clin Risk Manag 7:301-311; Braam W et al (2009) Dev Med Child Neurol 340-349; Hiespel N (2009) 148:337-341; Hoebert M et al (2009) J Pineal Res 47:1-7
Melatonin- Verbesserung der Schlafqualität bei Personen mit Entwicklungsstörungen Metaanalyse von W. Braam et al., 2009 •Melatonin bewirkt: •verminderte Zeit bis zum Einschlafen, im Mittel um 34 min (p
Schlafstörungen treten bei Menschen mit Behinderung häufiger auf als in der gesunden Normalbevölkerung werden häufig erst spät als eingenständige Krankheit erkannt und behandlet Die Wahl der Behandlung muss zusätzlich den Kriterien der jeweils zugrundeliegenden Behinderung entsprechen Die Therapiemöglichkeiten sind häufig eingeschränkt, weniger erfolgreich oder werden nicht toleriert
Gebt den Leuten mehr Schlaf und sie werden wacher sein, wenn sie wach sind. Kurt Tucholsky
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