Schottland und Nordengland
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Schottland und Nordengland eine individuelle Studienreise von G. und R. Wieckert (30.7.-16.8.2009) Schottland u. Nordengland: Karte mit Route 2009 Aboyne: Dudelsackpfeifer beim Vorspielen auf der Bühne Schottland ist als Urlaubsziel bei deutschen Individualtouristen recht beliebt. Liegt das an den vielen romantischen Burgen oder an den siedlungsleeren Heide- und Moorflächen? Für mich als Sportlehrer bildete der Besuch von zwei Highland Games den Höhepunkt der Reise. Als ich vor ca. 40 Jahren allein im umgebauten VW-Käfer während einer Rundfahrt durch die britischen Inseln auch Schottland erkundete, fielen mir besonders dessen eiszeitliche Prägung und Waldlosigkeit sowie eine gewisse Ähnlichkeit mit Nordirland auf. Auch schien es im Allgemeinen erkennbare Unterschiede zwischen Engländern und Schotten zu geben. Das betraf nicht nur deren Kleidung: Anoraks und Mäntel waren hier im Sommer wegen des deutlich kühleren, windigeren und regenreicheren Wetters viel verbreiteter als in England, in dem damals bei den Frauen Miniröcke in Mode waren. Insgesamt machte mir die schottische Bevölkerung einen recht ländlich geprägten Eindruck. Auch war das Verkehrsverhalten deutlich lockerer als in England, dessen Bewohner damals wegen ihrer mustergültigen Disziplin weltweit bewundert wurden. Anders als heute spielte der schottische Patriotismus – bekannt unter dem Schlagwort Home Rule (Selbstbestimmung) – politisch eine nicht unerhebliche Rolle. Seit der furchtbaren Niederlage der Highlander 1746 im Moor von Culloden litten die Schotten unter der Vorherrschaft der Engländer. Durch die Ölfunde in der Nordsee Ende der 60er Jahre des 20. Jh. bekamen die Freiheitsbestrebungen der Schotten großen Auftrieb. Sie fanden erst 1999 mit der Eröffnung eines schottischen Parlaments und einer schottischen Regierung ein föderalistisch verfasstes Ende. Meine wenigen Befragungen zu diesem Thema legen nahe, dass sich wohl die meisten Schotten heute als Briten bezeichnen würden. 1
Insel Skye: Steilküste mit Basaltsäulen und Wasserfall Glen Coe: Wildbach im Gleanna Chaolais Besucht man zum ersten Mal die schottischen Highlands, wundert man sich, dass die uns aus den Alpen bekannten Trogtäler und der glaziale Formenschatz sich hier fast auf Meeresniveau befinden. Andererseits ähneln diese Gebirge wegen ihrer geringen Höhe und der kuppenartigen Gipfelflur unseren Mittelgebirgen. Die Küste besteht meist aus Felsgestaden. Deswegen und wegen des kühlen Klimas sieht man selbst im Hochsommer an den Stränden sowie in den in Bruchzonen und eiszeitlichen Rinnen gelegenen Seen kaum Badende. Auch Bootsausleihstationen, die es in Deutschland doch an jedem größeren See gibt, fehlen in Schottland fast ganz. Seit meiner Autoreise im Sommer 1968 hat sich in Schottland augenscheinlich doch einiges verändert: So sind die Fernstraßen mindestens zweispurig und asphaltiert. Nur die Nebenstraßen in den Highlands und am Hadrianswall sind noch einspurig. Mit Hilfe von EU-Geldern wird nun sogar im Norden der Insel Skye die dortige Rundstraße ausgebaut. Vor dem Bau der Skye-Brücke dominierten frei laufende Schafe die einspurigen und damals noch einsamen Inselstraßen. Die königliche Burg auf dem Basaltfelsen von Edinburgh Edinburgh Festival: Theatertruppe auf der Royal Mile Bald nach dem 2. Weltkrieg war der seit der viktorianischen Jahrhundertwende boomende Schiffbau am Clyde durch die politische Entspannung und die fernöstliche Konkurrenz zusammengebrochen. In den 60er Jahren galt daher Glasgow wegen seiner hohen Arbeitslosigkeit als eine der ärmsten Städte Großbritanniens. Heute ist die Innenstadt in der Fußgängerzone und auf dem Rathausplatz stark frequentiert. Das Kulturleben gilt besonders durch die Veranstaltungen der Universität als sehr lebendig. Manche Häuser und das multikulturell bestimmte Geschäftsleben der übrigen Altstadt zeigen jedoch immer noch Verfallserscheinungen. Anders ist es in Edinburgh, das durch seine herrliche Lage 2
auf den Basalthügeln, sein sonnigeres Klima und seine Festivals enorme Touristenströme auf sich gelenkt hat. Der Königspalast Holyroodhouse, die Burg, die Schottische Nationalgalerie, die Promenier- und Einkaufsmeile Princes-Street sowie die vielen kulturellen Veranstaltungen bilden hier die großen Anziehungspunkte. Die anderen Großstädte wie Aberdeen (Öl-Industrie), Dundee und Inverness machen eher einen provinziellen Eindruck. Im nordenglischen Lake District und dem Areal um die Sommerresidenz der britischen Königin in Balmoral (Cairngorms NP) gibt es herrliche alte Hochwälder. Auch im gebirgigen Schottland sieht man jetzt außer den Weiden in den Talungen und den Heide- und Moorflächen auf den Kuppen an den Hängen relativ viele Fichtenanpflanzungen. Damit aber hat sich das Landschaftsbild im Vergleich zu den 60er Jahren erheblich verändert. Das ist deswegen beachtenswert, weil die meist sauren Böden auf den Urgesteins- und Basaltflächen nur schwer aufzuforsten sind. Hinzu kommt, dass hier im Norden die Westwinde manchmal sehr heftig wehen und riesige Windwurfschneisen verursachen. Trotzdem wird das Bruchholz, anders als z.Z. in Deutschland, intensiv aufgearbeitet und alles von neuem - vermehrt auch mit Laubbäumen - aufgeforstet. Selbst auf Skye, das früher fast baumlos war, gibt es jetzt Waldflächen. Die Aufforstungen im großen Stil haben natürlich auch positive Auswirkungen auf Klima und Biodiversität. Diese ist bei der schottischen Fauna im Vergleich zu Deutschland sicherlich viel geringer. Deshalb bemüht man sich seit Jahren, ausgestorbene Tiere wie Rothirsche und Milane mit Erfolg wieder anzusiedeln. Wegen der fehlenden Industrieabwässer und dank des Einflusses der Anglerverbände soll der Fischbestand in den Flüssen relativ gut sein. Von den Lachsvorkommen in den schottischen Flüssen können wir Deutschen bisher allerdings nur träumen. Auch früher schon war es auf einer touristischen Rundreise durch Großbritannien fast ein Muss, an der schottischen Grenze das berühmt-berüchtigte Heiratsparadies im schlichten Old Blacksmith House in Gretna Green zu besichtigen. Daraus hat sich inzwischen leider ein überdimensioniertes Touristenzentrum mit Eheschließungshaus und mehreren Einkaufshallen und Restaurationsbetrieben entwickelt. Etwa 20 km nördlich davon befindet sich in Lockerbie das eindringliche Mahnmal für die 270 Toten des durch islamische Terroristen herbeigeführten Flugzeugabsturzes (1988). Inverurie: Steinkreis Loanhead of Daviot (3.Jt.v.Chr.) Hadrianswall am ehem.Römerfort Housestead (2.-4.Jh.n.Chr.) Für archäologisch und historisch interessierte Touristen sind die vorgeschichtlichen Steinkreise (z.T. Druidenkreise) und uralten, manchmal verzierten Felsblöcke wie um Inverurie (NW von Aberdeen), das Schlachtfeld von Culloden (O von Inverness) und der nordenglische Hadrianswall zwischen Carlisle und Newcastle attraktiv. Durch den Bau einer Asphaltstraße und Einrichtung eines Wanderweges parallel bzw. auf dieser römischen Befestigungsanlage (Vergleiche: Limes) ist inzwischen ein bemerkenswerter Wander- und Radlertourismus entstanden, der sein Zentrum im ehem. römischen Fort Housestead besitzt. Kunsthistorische Anziehungspunkte bilden die romanischen bzw. 3
gotischen Abteikirchen (-ruinen) wie in Carlisle, Jedburgh und Melrose sowie die vielen Burgen bzw. Burgruinen, die wie Balmoral meist in alten, oft mit exotischen Bäumen bestandenen Parks liegen und manchmal wunderbar gepflegte Gartenanlagen besitzen. Viele von ihnen werden von schottischen Stiftungen wie Historic Scotland und National Trust for Scotland erhalten und sind für Touristen geöffnet. Einige Burgen bzw. Schlösser in Privatbesitz kann man gegen Eintrittsgebühr auch innen besichtigen, so das Cawdor Castle bei Nairn, das Inveraray Castle und das Dunvegan Castle auf Skye. Inveraray Castle mit Tower House (1746) bei Loch Lomond Eilean Donan Castle (1220/1932) bei Kyle of Lochalsh Eine geschichtlich bedeutende Sehenswürdigkeit ganz anderer Art stellt die ehem. Baumwollfabrik New Lanark im Clydetal (SO Glasgow) dar. Der erfolgreiche Leiter der Fabrik Robert Owen (1771 – 1858) baute für seine Arbeiter stabile Wohnungen, sorgte für hygienische Arbeitsplätze und einen kostenlosen Gesundheitsdienst sowie auskömmliche Löhne und ein Schulsystem mit vorgeschaltetem Kindergarten. Damit wurde er in dieser sozial so problematischen frühindustriellen Phase zum Vorreiter der fürsorgenden Unternehmer-Ethik und letztendlich auch der staatlichen Sozialpolitik. Aus diesem Grunde wurde sein Industriekomplex als Zeugnis seines Wirkens in das Welterberegister der UNESCO und sogar in manch deutsches Schulbuch aufgenommen. Dampfmaschine der Spinnerei von R. Owen in New Lanark Ruine der Holyrood Abbey (12. Jh.) in Edinburgh Zusammenfassend kann man vielleicht sagen, dass sich insbesondere in Edinburgh, im nordenglischen Seendistrikt, am Ben Nevis und auf der Route der Whisky-Brennereien der Fremdenverkehr so sehr entwickelt hat, dass man hier von Massentourismus sprechen kann. In den übrigen Gebieten dominieren normalerweise die Individualreisen. Begünstigt wird dies durch die viel mehr als in Deutschland verbreiteten kleinen Pensionen und Bed- and Breakfast-Häuser (B & B). Letztere bieten meist preiswertere und individuell gestaltete Unterkünfte an, die manchmal allerdings mit kitschigen Andenken nur so vollgestopft sind. 4
Baumstammwerfen auf den Highland Games in Portree Gewicht-Hochwurf auf den Highland Games in Aboyne An Festtagen wie z.Z. der Highland Games ist es sehr schwer, Übernachtungsmöglichkeiten vor Ort zu finden, da die ländlichen Siedlungen recht klein sind und die Anzahl der Angereisten ungewöhnlich groß ist. Wir erlebten dies in Portree auf Skye und in Aboyne bei Balmoral. Diese Hochland- Wettkämpfe sind für die Bewohner der weiteren Umgebung das größte gesellschaftliche Ereignis des Jahres. Deshalb verstopft eine Autolawine die Zufahrtsstraßen und Parkplätze. Viele von den angereisten Schotten nehmen aktiv an den musischen oder sportlichen Wettkämpfen bzw. an den in der Tracht ihres lokalen Clans agierenden Musikkapellen teil. Den hier noch meist kinderreichen Familien bieten die Karussells, Hüpfburgen, Spielstände, Imbissbuden sowie die großen Bier- und Speisezelte eine willkommene Abwechslung. Diese Hochlandfeste dauern ein bis zwei Tage. Sie sind wegen ihrer Höhenlage und der Art ihrer Wettkämpfe nur mit den in meiner eigenen Jugend noch in den 50er und 60er Jahren durchgeführten Bergsportfesten, z.B. auf den Höhen von Asse, Elm und Iberg, sowie den Sporttreffen der Deutschen Turnerjugend vergleichbar. Diesen fehlten aber die musikalischen und tänzerischen Wettkämpfe, welche die beim Sport auftretenden Organisationspausen gut überbrücken helfen. Die schottischen Wettkampfdisziplinen sind nach Alter etc. gegliedert. Der Sieger erhält einen Ehrenpreis und meist auch einen Sach- bzw. Geldpreis. Letztere werden von lokalen Unternehmen und insbesondere von den Whiskyfirmen, z.B. der Glenfiddich Distillery, gesponsert. Nach der Eröffnung durch den lokalen Clanchef beginnen zuerst die Jugendlichen mit ihren leichtathletischen Disziplinen wie Weitsprung etc. und auf einer erhöhten Holzbühne der Dudelsackpfeifer im Kilt mit seinem Vortrag. Auf einer anderen Bühne tanzen Gruppen von jungen Frauen in der Tracht ihres Clans traditionelle Tänze, die von einem Dudelsackpfeifer begleitet werden. Jeweils zwei Wettkampfrichter beurteilen die Genauigkeit der Schritte, Sprünge und Armbewegungen. Wir staunten nur so, ob des Ernstes und der Hingabe der Teilnehmer. Die meiste Beachtung finden außer den Geländeläufern die überaus kräftigen Gestalten der Schwerathleten bei ihren Wettkämpfen mit der schweren 10-kg-Kugel, dem Hammerwerfen und dem rückwärtigen Hochwerfen einer an einem Henkel befestigten 25-kg-Kugel über eine immer höher gelegte Latte. Der Sieger in Portree hatte dabei eine Höhe von 5,01 m übertroffen. Ende und Höhepunkt der Wettkämpfe bildet das sog. Baumstammwerfen. Hierbei versuchen die Muskelmänner – oft Profis – einen Telegrafenmast von ca. 6 m Länge und bis 60 kg Gewicht aus dem Anlauf heraus so zu werfen, dass er sich der Länge nach überschlägt. Derjenige ist Sieger, dessen Stamm nach dem Überschlagen möglichst in Laufrichtung, also in der 12-Uhr-Stellung, umfällt. Den Abschluss des Festes markiert der gemeinsame Aufmarsch aller Kapellen auf dem Sportplatz. Je nach Austragungsort gibt es außer den genannten noch spezielle lokale Veranstaltungen wie Segeln, Weitwurf mit Gummistiefeln oder mit Haggis, einem speziell schottischen Schafsmagengericht, Fiedel- und Schönheitswettbewerbe sowie evtl. zum Abschluss einen Disco-Abend. 5
Insgesamt gesehen haben diese Highland Games, die auf hochmittelalterliche Anfänge zurückgehen, die unterschiedlichen Trachten der Highland-Clans, die z.T. sehr eigenartigen Volkstänze, die traditionellen Musikinstrumente und Volksmelodien sowie urige Sportgeräte und Sportdisziplinen vor ihrem Untergang bewahrt. Der Erhalt dieser traditionellen schottischen Kulturelemente bildet eine Ausnahme in unserer heute amerikanisch dominierten Weltkultur und entwickelt sich deshalb auch zu einer großen Attraktion für den Fremdenverkehr in so abgelegenen Gebieten wie den schottischen Highlands. Zapfenstreich aller anwesenden Kapellen zum Abschluss der Highland Games in Aboyne 6
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