Schwerpunkt: ALTERnativ werben - Mitteilungen des Regensburger Verbunds für Werbeforschung - RVW 1/2013 - Core
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Mitteilungen des Regensburger Verbunds für Werbeforschung – RVW 1/2013 Schwerpunkt: ALTERnativ werben
Impressum Mitteilungen des Regensburger Verbunds für Werbeforschung – RVW http://www.werbeforschung.org Im Auftrag des RVW herausgegeben von Bernhard J. Dotzler und Sandra Reimann ISSN 2198-0500 Anschrift der Herausgeber Regensburger Verbund für Werbeforschung Dr. Sandra Reimann · Universität Regensburg 93040 Regensburg info@werbeforschung.org Einreichung von Beiträgen Unaufgefordert eingesandte Beiträge sind grund- sätzlich willkommen und werden von den Heraus- gebern oder geeigneten Fachreferenten geprüft. Bezugsbedingungen CC BY-SA 3.0 DE Redaktion, Layout & Satz Christine Fraunhofer, M. A.
Inhaltsverzeichnis 4 ............................................................................................................................................. Editorial 5 ............................................................................................... Der Werbung Wunderhorn Bernhard J. Dotzler 13 .............................................. Das Regensburger Archiv für Werbeforschung Gabriele Gerber 16 ............................................................................ Schwerpunkt: ALTERnativ werben 18 ..................................................... Alter & Werbung aus psychologischer Sicht Martin Sauerland 25 ....................................................... Altersspezifische Sprache in der Werbung Sandra Reimann 36 ................................................... Alter in der Werbung – aus juristischer Sicht Jörg Fritzsche 50 ............. Zielgruppenfokussierung in der werblichen Kommunikation Christoph Wild 60 ................................................................... Werbung für Kinder und Jugendliche Rosa Piñel 71 ............................................................................................................................................ Notizen
Editorial Bernhard J. Dotzler Sandra Reimann „Was macht zuletzt Reklame der Kritik so überle- ist die notwendige interdisziplinäre Vorgehens- gen? Nicht was die rote elektrische Laufschrift weise bei der Erforschung der Werbung als Kul- sagt – die Feuerlache, die auf dem Asphalt sie turgut. Im RVW begegnen sich die Arbeitsfelder spiegelt“, notierte Walter Benjamin in der Ein- der Sprach-, Literatur- und Musikwissenschaft, bahnstraße, und Marshall McLuhan schrieb: „Die der Historiographie und der Psychologie, der Historiker und Archäologen werden eines Tages Vergleichenden Kultur- und der Medienwissen- entdecken, daß die Werbung unserer Zeit die ein- schaft, der Rechtswissenschaft sowie der Me- fallsreichsten und tiefsten täglichen Betrachtun- dieninformatik und der Medienpraxis. gen darstellt, die eine Kultur je über ihr ganzes Die ab dieser Ausgabe erscheinenden Mittei- Tun und Lassen angestellt hat.“ lungen des RVW sollen zum einen dazu dienen, in Um sich auf die Spur solcher Hinweise zu be- unregelmäßigen Zeitabständen, aber konstant, geben, ist Werbeforschung anders zu positionie- über die Arbeit des Verbunds – und ihre Ergeb- ren als in Verlängerung der Werbung selbst. nisse – zu berichten, sowie zum anderen in Form Werbung geht weit über den Bereich der Wirt- von „freien Beiträgen“ neue Erkenntnisse der schaft und des Marketing hinaus. Sie lässt sich Werbeforschung im allgemeinen publik zu ma- aus ganz verschiedenen Perspektiven analysie- chen. Für jede Ausgabe ist ein Schwerpunktthe- ren. ma geplant, das beispielsweise auf durchgeführte Um dies zu tun, hat sich 2006 der Regensbur- Tagungen oder Vortragsreihen zurückgehen ger Verbund für Werbeforschung (RVW) als kann. Unter der Rubrik „Notizen“ erscheinen Gruppe von Wissenschaftlern verschiedener Dis- Hinweise auf kommende Veranstaltungen, Kurz- ziplinen sowie Vertretern aus der Medienwirt- berichte über Ereignisse der jüngeren Vergan- schaft konstituiert. Die gemeinsame Motivation genheit und sonstige vermischte Meldungen. Mitteilungen des RVW 1/2013 Seite 4
Der Werbung Wunderhorn oder Das Medium ist die Werbebotschaft – was sonst? Bernhard J. Dotzler 1 auch dem Erstaunen statt geben, daß es einer sol- chen Kampagne noch vor wenigen Jahrzehnten bedurft zu haben schien. Anfang der 1950er ließ Pics, pics, pics – Bilder überall. Bildschirme in eine gewisse Gesellschaft zur Förderung der Photo- den Kneipen, auf Bahnhöfen, öffentlichen Plät- graphie die Serie von Radiospots produzieren, die zen aller Art. Bilder auf jeder Titelseite jeder Zei- der Amateurphotographie offenbar eine breitere tung. Bilder auf nahezu jeder Seite im Netz. Von Anhängerschaft bescheren sollte. Offenbar war professionellen Photographen geschossene Bil- es noch gar nicht so üblich, daß ein jeder jeder- der. Und Bilder von Dilettanten. Bilder aus dem zeit knipste – geschweige denn das Geknipste All und Bilder aus Wohn-, Ess-, Schlaf- und Kin- immer gleich jedem zeigte, wie das heute im Netz derzimmern. Bilder vom Strand. Bilder aus allen gang und gäbe ist. Es lohnt, auf diese noch gar Museen dieser Welt. Kriegs- und Katastrophen- nicht so weit entfernte und doch schon so ferne bilder, Paß- und Familienbilder, Bilder von Papa- Zeit ein wenig näher hinzusehen, ein wenig ge- razzi und Bildnisse offizieller Art. Schnapp- nauer hinzuhören, was diese Spots vernehmen schüsse, Reportageaufnahmen, Partypics und lassen. Werbeikonen. Bilder von Film- und Fernsehka- meras, Bilder von Satelliten und Überwachungs- anlagen, von Photoapparaten und von Handys, ge- und erfundene Bilder, errechnete Bilder, Ma- 2 schinenbilder... Die Medientheorie reflektiert seit langem das Ein Photo gibt dem Augenblicke Dauer. Zum Beispiel „Bedürfnis“, der Welt „aus nächster Nähe im Bild, dem Sommerurlaub: vielmehr im Abbild, in der Reproduktion, hab- [Frauenstimme] Oh, die herrlichen Berge! Wie werd' haft zu werden“ (Walter Benjamin). Die Philoso- ich sie vermissen, wenn wir wieder phie ist gar so weit gegangen, in der „Eroberung im Flachland leben müssen. [Männerstimme] Aber dann hast du doch die schönen der Welt als Bild“ den die Neuzeit als solche defi- Erinnerungen. nierenden „Grundvorgang“ erkennen zu wollen [Frauenstimme] Ach, Erinnerungen… (Martin Heidegger). [Kinderstimme] Klick! Ich habe sie geknipst. Ich, euer Demgegenüber ist in der Universitätsbiblio- kleiner Photoapparat. Und an langen thek Regensburg Verblüffendes zu entdecken. Ein Winterabenden könnt ihr eure Som- merreise noch einmal genießen. Photo gibt dem Augenblicke Dauer, heißt da der Slo- [2. Männerstimme] Reisen bringen nur flüchtige Begeg- gan einer Werbekampagne, die man dort finden – nungen. Wenn Sie aber mit einem und hören – kann: dort, im Historischen Werbe- Photoapparat reisen, bringen Sie Ihre funkarchiv (HWA), das zu den Beständen des Re- Reiseeindrücke als eine unvergängli- che Beute nach Hause. Ein Photo gibt gensburger Archivs für Werbeforschung (RAW)1 ge- dem Augenblicke Dauer.2 hört. Man könnte diesen Slogan als Bestätigung der Bilderwut begreifen, die von der Gegenwart Dem Sommeridyll, wünscht sich hier also eine Besitz ergriffen zu haben scheint. Man kann aber weibliche Stimme, sollte doch Unvergänglichkeit beschieden sein: Oh, die herrlichen Berge! Wie werd' 1 Siehe: http://raw.uni-regensburg.de/ (Zugriff: 22.3.2013). 2 Gesellschaft zur Förderung der Photographie (1952 a). Mitteilungen des RVW 1/2013 Seite 5
Der Werbung Wunderhorn Dotzler ich sie vermissen, wenn wir wieder im Flachland leben müssen! Woraufhin die männliche Stimme der 3 Vernunft erwidert, dann habe man aber doch sei- ne schönen Erinnerungen, und eine Kinderstimme Um dieselbe Zeit, als dieser Werbespot entstand, dem beispringt: Klick! Ich habe sie geknipst – „sie“, prophezeite Marshall McLuhan (und hatte also das ist dann wer oder was? Diese Berge, diese Er- seinerseits schon erkannt): „Die Historiker und innerungen. Und „ich“? Ich, euer kleiner Photoappa- Archäologen werden eines Tages entdecken, daß rat. Und an langen Winterabenden könnt ihr eure Som- die Werbung unserer Zeit die einfallsreichsten merreise noch einmal genießen. Denn, so beschließt und tiefsten täglichen Betrachtungen darstellt, das Ganze eine vierte Stimme, männlich, neutral, die eine Kultur je über ihr ganzes Tun und Lassen dozierend: Reisen bringen nur flüchtige Begegnungen. angestellt hat.“3 In Fortführung dieser Einsicht Wenn Sie aber mit einem Fotoapparat reisen, bringen Sie konstituierte sich an der Universität Regensburg Ihre Reiseeindrücke als eine unvergängliche Beute nach der Regensburger Verbund für Werbeforschung Hause. Ein Photo gibt dem Augenblicke Dauer. (RVW)4, der sich die historische und systemati- Die Grammatik der Rede, die Rede in der ers- sche Erschließung des RAW sowie die darüber ten Person Singular weist in diesem Radiospot hinausgehende Erforschung der Werbung in der Photographie eine eigenständige Rolle zu. möglichst all ihren Erscheinungsformen zum Das beworbene Medium Photographie erhält den Ziel gesetzt hat. In allgemeinerer kulturwissen- Auftritt eines Botschafters seiner selbst – genau- schaftlicher Perspektive geht es dabei um die Fra- so wie sich in der Gestaltung des Spots als Mi- ge, wie Werbung sowohl als Indikator wie auch nihörspiel das werbende Medium Radio selber zu als Agent der Ausprägung zeit-, sozial- und re- Wort meldet: Ein Großteil der Hörfunkwerbung gionalspezifisch verschiedener Lebensweisen, hat den Reiz so gearteter Hörspielartigkeit, und Wertorientierungen und Wahrnehmungsge- das Hörspiel wiederum, also die strikt akustische wohnheiten analysiert werden kann. Vermittlung eines Geschehens, ist wohl die ra- Es gilt, heißt das, zu begreifen, wie Werbung diospezifische Gattungsform schlechthin. Wirklichkeit schafft. Dazu ist Werbung erstens Gerade auf akustischer Ebene lenkt der Spot selber als kulturelles Erbe (und nicht bloß als Ne- aber zugleich von dieser seiner doppelten Bot- ben- oder gar Abfallprodukt der herrschenden schaft ab. Stimmlich ‚in Aktion‘ sind eine Frau, Konsumkultur) zu begreifen. Und es ist zweitens ein Mann, ein Kind – und am Ende ein Ratschlag, – in engerer, medienwissenschaftlicher Perspek- dessen Kompetenz ‚natürlich‘ in einer weiteren tive – die Werbung selber nach ihrer Wirklich- Männerstimme (solidarisch mit der ersten: Aber keit zu befragen. Das Beispiel der besagten dann hast du doch die schönen Erinnerungen) ihren Photo-Kampagne liefert in dieser Hinsicht man- Ausdruck findet. Die Geschlechterrollen sind cherlei Merkwürdigkeit. So gibt es in einem wei- hier also so eindeutig festgeschrieben wie das teren Spot mit einem Mal eine gewisse „Photo- private Glück, das erstens die Sommerfrische, Hilde“, die nachgerade versessen auf die Bilddo- zweitens die Kleinfamilie (Mann, Frau, Kind) und kumentation ihrer Erlebnisse ist: drittens deren heiligste Zeit (die „langen Winter- [Männerstimme] Die Hilde, diese nette Maid, die weiß abende“, i. e. die Weihnachtszeit) und deren hei- im Leben gut Bescheid. ligsten Raum (das Zuhause) bedeutet – beides von [Frauenstimme] Man sollte nie etwas beschwören, das man zwar kennt, doch nur vom Hö- ‚dem‘ Mann geschützt, der ja für das Bleibende ren. Man muß auch alles, was ge- eintritt, während ‚die‘ Frau ganz Gegenwart (Ach, schehen, mit offnen, hellen Augen Erinnerungen...) und das Kind ganz Sorglosigkeit sehen. Doch was man sieht, hat nur (Klick!) ist. Bestand, wenn man es in ein Photo bannt. [Männerstimme] Ja, sie ist jederzeit im Bilde, drum nennt man sie die Photo-Hilde. Die 3 McLuhan (1992:268). 4 Siehe: http://www.werbeforschung.org/ – Zugriff: 22.2.2013. Mitteilungen des RVW 1/2013 Seite 6
Der Werbung Wunderhorn Dotzler Hilde kann in vielen Bildern präg- nant ihr buntes Leben schildern. Wer 4 klug ist, macht's der Hilde nach – ein Photo hält das Leben wach.5 Um aber für hier bei Photographie und Radio Da es sich hier – wiederum – um Photo-Reklame oder näherhin bei der Erstaunlichkeit ihrer Paa- handelt, wird die Haltung dieser „Photo-Hilde“ rung zu bleiben, so belegen die genannten Bei- (Man muß auch alles, was geschehen, mit offnen, hellen spiele in doppelter Hinsicht einen nicht nur sehr Augen sehen. Doch was man sieht, hat nur Bestand, engen, sondern nachgerade intrinsischen Zu- wenn man es in ein Photo bannt) selbstredend als sammenhang zwischen Medien und Werbung. klug angepriesen. Doch kann es klug sein, wenn Erstens brauchen die Medien ganz ebenso die ausgerechnet das reine Hörmedium Radio derart Werbung, wie auf der Hand liegt, daß Werbung sich selbst in den Rücken fällt? Man sollte nie etwas die Medien braucht, und zweitens machen Medi- beschwören, das man zwar kennt, doch nur vom Hören. en, wenn sie Reklame machen, damit so gut wie immer zugleich Eigenreklame. Aber womöglich ist die Selbstverleugnung des werbenden Mediums im gegebenen Kontext so- gar besonders raffiniert. Ein dritter Spot jeden- falls spitzt den Widerspruch noch zu, wenn er 5 den „Mann mit der Kamera“ sogar „im Radio“ sein Anwesenheitsunwesen treiben läßt: Als etwa das Radio aufkam, fungierte es von Be- ginn an als Werbemittel. Lee De Forest, der Erfin- [Männerstimme] Moment Mal! Überall bin ich Ihnen der des Audions, strahlte ab 1915 Plattenaufnah- nah – ich, der Mann mit der Kamera! men aus – und schaltete Reklame für die Ent- In den Illustrierten, im Kino, auf den wicklungen seiner Western Electric Company ein. Plakatsäulen und hier im Radio. Ich gehöre wie Sie zu den Menschen, die Dem begegnete ab 1920 die Konkurrenz in Ge- sich nichts entgehen lassen. Sie wis- stalt der Firma Westinghouse mit einer eigenen sen doch: Kamera vors Auge – knips Radiostation und eigenen Sendungen, ebenfalls – schnapp – geschossen.6 mit Werbeanteilen. In Deutschland begriff der Vox-Konzern, in dessen Haus die „Radiostunde Daß hier auch das Radio genannt wird, bleibt – AG“ 1923 ihren Betrieb aufnahm, die Radiosen- kalkulierter – Unsinn. Zugleich wird aber ganz dungen an und für sich als Werbung, war er doch richtig die Fülle der Medien aufgezählt, denen Plattenfirma und Rundfunkgerätevertrieb in ei- das (photographische) Bild durchaus seine fort- nem.7 schreitende Dominanz verdankt. Nur das Fernse- Die Photographie freilich scheint eher gegen hen ist in der historischen Phase der 1950er Jahre eine je uranfänglich-wechselseitige Evokation noch zu jung, um Erwähnung zu finden. Und aus von Werbung und Medien zu sprechen. Da gab es heutiger Sicht fehlt selbstverständlich das World zunächst ihre von Walter Benjamin gefeierte Wide Web. Im Fernsehen wären die fraglichen „vorindustrielle“ Phase8, gefolgt von vier weite- Sprüche weniger paradox als vielmehr von sehr ren Jahrzehnten, die Clement Greenberg als ihr eigener Wahrheit. Inwieweit sich diese Wahrheit „heroisches Zeitalter“9 titulierte, bevor sie sich dadurch als komplex erweist, daß das Fernsehen endlich „gegen Ende des [vor]letzten Jahrhun- ausgerechnet dem Radio näher steht (beides sind derts mit der Erfindung des fotografischen Kli- Broadcasting-Medien) als etwa Kino und Plakat, schees“10 der Werbung ergab. Anders gesagt: „Die wäre dann allerdings eine gleichfalls sehr eigene hervorragende Bedeutung der Photographie als Frage, nicht anders als die nach den neuerlichen Veränderungen der Bild- und Ton- und Werbe- realitäten durch den Prozeß der Digitalisierung 7 Vgl. Braun & Kaiser (1992:154 u. 156). Für eine ausführ- liche Analyse der Verbindung von Rundfunk und Wer- und das Internet. bung „vom ersten Tag an“ vgl. Maatje (2000:15). 8 Vgl. Benjamin (1931/1991:368). 5 Gesellschaft zur Förderung der Photographie (1952 b). 9 Greenberg (1946/1997:107). 6 Gesellschaft zur Förderung der Photographie (1954). 10 McLuhan (1992:265). Mitteilungen des RVW 1/2013 Seite 7
Der Werbung Wunderhorn Dotzler Werbemittel ist [...] verhältnismäßig spät erkannt Zweitens stellen dieselben Überlegungen fest, worden.“11 daß gerade „die Werbephotographen mit Freu- Doch bleibt zum einen zu bedenken, daß zu- den zu den in letzter Zeit ausgebildeten neuarti- mindest die Photographie selbst (präziser: die gen Verfahren der Photomontage, Kombina- Daguerreotypie), wenn sie auch nicht von Beginn tionsphotographie, Photoplastik und dem an gleich Werbung machte, vorab auf Reklame- Photogramm im Sinne des photographischen zetteln bekannt gemacht wurde12, wie zum ande- Selbstdrucks gegriffen“15 hätten. In der Werbung ren, daß ja die Werbung ihrerseits ihre seitdem realisiert sich also die Avantgarde dieses Medi- vertrauten Züge erst um die Zeit annahm, als der ums – und das ist verallgemeinerbar: Auch in al- Zunft eben auch die Bedeutung der Photographie len anderen Fällen anderer Medien, ob Kino, Ra- für sie zu dämmern begann. Auch ist die These dio, Fernsehen oder Internet, werden deren Mög- leicht zu präzisieren: Werbung steht vielleicht lichkeiten zumal in der Werbung erprobt und nicht immer am Anfang eines neuen Mediums, ausgereizt. doch der Schritt von dessen Entwicklungsphase Drittens schließlich liefert die Photographie zu seiner Verbreitung, seiner Massenmedialisie- ein ebenso beliebiges wie darin gutes Beispiel da- rung, geht stets mit seinem Werbe-Einsatz ein- für, wie mit dem Massenmedienwerden die her. Medien selber beworben werden (müssen). So machte etwa die Zunft der „Fachphotographen“ 1924 mit einem Werbefilm auf sich aufmerksam. 6 Ein Junggeselle liest die Zeitung grad',/ Sein Blick fällt auf ein Inserat, durch welches eine Junge Dame die Bekanntschaft eines reichen, charaktervollen Herrn, Die Photographie ist dafür in dreierlei Hinsicht Mitte 30, zwecks Heirat sucht. Der Junggeselle eilt exemplarisch: zum Photographen, läßt sich portraitieren, legt Erstens formuliert die Theorie, wie mit die- das natürlich vorteilhafte Bild seinem Schreiben sem Medium zu werben sei, sogleich die urei- an die Junge Dame bei und ist – Das gute Bild wirkt genste Theorie ebendieses Mediums selber. Die auf der Stell'/ Drum kam die Antwort auch sehr schnell „Originalität der Photographie“ bestünde „in ih- – alsbald kein Junggeselle mehr. 16 Die Zeitung, rer Objektivität“, hat André Bazin bekanntlich das Inserat, der Briefwechsel, das Photoportrait zur Ontologie des photographischen Bildes erklärt: und zahlreiche weitere Photographien, und das „Die Objektivität der Photographie verleiht ihr alles im Film: In dieser Werbewelt gibt es selbst eine Stärke und Glaubhaftigkeit, die jedem ande- auf Inhaltsebene schon keine Einzelmedien ren Werk der bildenden Künste fehlt [...]. Die all- mehr, sondern immer nur Medien im Verbund, ergenaueste Zeichnung kann uns mehr Auskünf- gar nicht zu reden davon, daß auf formaler Ebene te über das Modell geben, sie wird entgegen allen immer schon ein Medienverbund angezeigt ist, Einwänden unseres kritischen Bewußtseins nie- sobald die Medien sich selber (ob gegenseitig mals die irrationale Kraft der Photographie errei- oder autoreferentiell) bewerben. Immer braucht chen, die unseren Glauben besitzt.“ 13 Genau so ar- das Medium als Werbeinhalt ein weiteres Medi- gumentierten aber bereits frühere Überlegungen um als Werbeträger, und sei es derselben Art. zum Einsatz der Photographie in der Werbekunst: „Die Photographie gilt allgemein [...] als diejenige Bildtechnik, die die größte, die geradezu dokumen- tarische Treue in der Darstellung der Gegenstände be- sitzt. Und diese allgemeine Einstellung gegen- über der photographischen Darstellung ist rekla- mepsychologisch von großer Bedeutung.“14 14 Warstat (1929/1981:212). Im selben Sinn spricht bereits Behrmann (1923:32) vom Einsatz der Photographie als 11 Warstat (1929/1981:209). „eben eine[r] Urkunde“, die „die Wahrheit“ zertifiziere. 12 Daguerre (1838/1981). 15 Warstat (1929/1981:215). 13 Bazin (1945/1981:260 f.). 16 Nacherzählt und zitiert nach Agde (1998:13). Mitteilungen des RVW 1/2013 Seite 8
Der Werbung Wunderhorn Dotzler 7 Dovifat formulierte, „propagandistischen Kraft- strahlungen“20 des Massenmediums Zeitung, weshalb es nahelag, daß sie auch auf die Reklame Dieses für anderes (was auch immer) werbende als obskures Objekt ihrer akademischen Begier- Medium ist aber dabei (fast) immer zugleich mit den stieß. Umgekehrt eröffnete McLuhan seine beworbenes Medium, indem es (fast) immer auch „Sammlung von kommentierten Werbeanzei- Eigenreklame macht – wie in den Beispielen: gen“21, als die er 1951 The Mechanical Bride veröf- durch die schlichte Selbstadresssierung „hier im fentlichte, mit der Titelseite einer Zeitung als ers- Radio“; die Selbstexposition in der Hörspielform; tem Beispiel. Wie also für Karl Bücher die Institu- oder sogar die Selbstverleugnung, wenn diese tionalisierung der Zeitungskunde Grund genug letztlich nicht weniger autoreferentiell ist als die war, einen Blick auch auf den Geschäftszweig der Selbstdarstellung. Stets, heißt das, exponiert Reklame zu werfen, war der Vorsatz, die Wer- Werbung nicht nur dieses oder jenes Produkt, bung als eine „Welt gesellschaftlicher Mythen“ 22 sondern ebenso den vermeintlich in dessen aufzuzeigen, für Marshall McLuhan Anlaß, bei Dienst gestellten, speziellen Werbemedien- der Zeitung anzusetzen. schein.17 Deshalb konnte ein Luhmann pointie- Karl Bücher legitimierte sein Unterfangen sei- ren, die Werbung nehme „gleichsam die Todsün- nerzeit mit einem Ausfall gegen das, was er als de der Massenmedien auf sich“18, und deshalb, so „impotentes Ästhetentum“ bezeichnete: „Es ist wäre vielleicht in analoger Weise zuzuspitzen, eine nicht wenig auffallende Tatsache, daß die mußte ein McLuhan nahezu zwangsläufig auf Wissenschaft gerade mit denjenigen Erscheinun- seine The medium is the message-Sichtweise kom- gen, welche uns täglich begegnen und unser men, nachdem er sich am Gegenstand der Wer- Nachdenken geradezu herausfordern, am spätes- bung vom Literatur- zum Medienwissenschaftler ten sich beschäftigt und am schwersten fertig entwickelt hatte. wird. Dieses Schicksal teilt mit vielen andern auch die Reklame in ihren mannigfaltigen For- men [...]. Impotentes Ästhetentum hat uns dann 8 noch gesagt, sie sei eklig, widerwärtig und ver- diene ausgerottet zu werden. Mit solchen Dingen Tatsächlich läßt sich mehr als hinreichend nach- befaßt sich eine Wissenschaft höheren Stils weisen, daß und wie McLuhan zu seinem nicht.“23 Ähnlich begründet McLuhan, daß doch medientheoretischen Wissen durch eine Wieder- endlich die Wissenschaft gefordert sei, mit Hin- holung bestimmter Momente der Anfänge mo- weis auf die Alltagsübermacht der Werbung und derner Werbung und Werbewissenschaft gelang- kritisiert eine überholte Ästhetik, der jeder Sinn te.19 für diese Seite der (mit McLuhans Untertitel) „In- So erschien 1917 einer der ersten wissen- dustrie-Folklore“ abgehe. Allerdings macht sich schaftlichen Aufsätze zum Thema, Karl Büchers in dieser Gemeinsamkeit zugleich auch ein Un- Die wirtschaftliche Reklame. Dieser Aufsatz entstand terschied geltend. Büchers Schimpf auf das „im- unmittelbar, nachdem Karl Bücher an der Uni- potente Ästhetentum“ deklassiert Ästhetik insge- versität Leipzig das erste deutsche Institut für samt. Es geht nicht um ein impotentes gegenüber Zeitungskunde gegründet hatte. Gegenstand je- einem etwaigen potenten Ästhetentum, sondern: ner Zeitungskunde oder bald auch Zeitungswis- Der ästhetische Standpunkt als solcher wird für senschaft – und bald dann Publizistik und Kom- unfähig gegenüber der Wissenschaft erklärt, der munikationswissenschaft – sind die, wie Emil Zeitungswissenschaft wie der Wirtschaftswis- senschaft, an der sich jene nicht nur, aber zumal 17 Vgl. dazu, wie schon zum Vorstehenden, passagenwei- se gleichlautend, aber ausführlicher, Dotzler (im Er- scheinen). 20 Dovifat, Emil (1929). Wege und Ziele der zeitungswissen- schaftlichen Arbeit, zit. n. Kümmel (2002:232). 18 Luhmann (1996:85). 21 Reuß & Höltschl (1996:233). 19 Vgl. hierzu wiederum ausführlicher (und wiederum z. T. in gleichlautenden Passagen) bereits Dotzler 22 McLuhan (1996:8). (2010). 23 Zit. n. Zurstiege (2007:27). Mitteilungen des RVW 1/2013 Seite 9
Der Werbung Wunderhorn Dotzler im Falle der Werbeforschung orientiert. Dagegen Medien und Werbung in ihrer Tatsächlichkeit zu ist für McLuhan gerade die ästhetische Haltung entwickeln. die richtige – wenn es nur die richtige ästhetische „Die Reklame ist die List, mit der der Traum Haltung ist. sich der Industrie aufdrängt"28, notierte bereits Die kurze, programmatische Einleitung in The Walter Benjamin, um deren nicht ausschließlich Mechanical Bride erläutert hierzu: „Seit Burckhardt zweckrationale Dimension deutlich zu machen. erkannte, daß die Bedeutung von Machiavellis So ungefähr sah es auch McLuhan. Durchweg Vorgehen darin bestand, den Staat durch rationa- spricht er in der Mechanical Bride von der Wer- le Beeinflussung der Macht in ein Kunstwerk zu bung als einer „Art von kollektivem Traum“; die verwandeln, besteht die Möglichkeit, die Metho- Werbung, sagt er, gehorche einer „Traumlogik“; de der Kunstanalyse für eine kritische Bewertung sie sei „populäre Traumkunst“.29 Nur daß der Gesellschaft einzusetzen.“24 Jacob Burck- McLuhan die Benjaminsche Einsicht umkehrt: hardts Kultur der Renaissance erschien 1860; im Reklame ist die List, mit der sich die Industrie des Jahr darauf trat die Plakatwerbekunst ins Zeital- Traums bemächtigt. „Als das Kino aufkam, sah ter ihrer technischen Reproduzierbarkeit.25 Wie- man das ganze amerikanische Leben in Modell- der also rekurriert McLuhan auf ein Datum, eine form auf der Leinwand als Dauerreklame“ 30, Koinzidenz, der Werbe- und bald genug auch heißt es in Understanding Media, wie zuvor in der Werbeforschungsgründerzeit – um dem entge- Mechanical Bride schon von der „Form des ameri- genzuhalten, was ausgerechnet die Werbefor- kanischen Traums“ die Rede ist, die sich die Wer- schung seit jener Zeit versäumte. beagenturen zunutze machten, um „Mißtrauen Getragen von den Disziplinen der Psychologie zu besänftigen“, um sie als den „saftigen Kno- auf der einen, wie der Wirtschafts- und Betriebs- chen“ anzubieten, der „das Knurren des Hofhun- wissenschaft auf der anderen Seite, hat sich ‚die des“31 abstellt. Werbeforschung‘ seit ihrer Institutionalisierung Wer immer McLuhans populärstes Buch gele- in Form eigener werbewissenschaftlicher Ein- sen und seine Formeln sich eingeprägt hat, er- richtungen vorab als Werbewirkungs-, ja Wer- kennt sofort die genau übereinstimmende For- beerfolgsforschung geriert.26 Aber all ihre An- mulierung. Dessen Zentraleinsicht lautet be- strengungen konnten doch den notorischen kanntlich, das Medium selbst und nicht sein Zweifel nicht beseitigen, den running gag bis heu- Inhalt sei ausschlaggebend, wenn es um seine te: „Ich weiß genau, dass die Hälfte meiner Wer- „Wirkung“ geht. Der Inhalt lenkt von den Effek- beausgaben zum Fenster hinausgeworfenes Geld ten der Medien immer nur ab. „Unsere übliche ist, ich weiß nur nicht welche Hälfte.“ 27 Auch auf Antwort, mit der wir alle Medien abtun, nämlich, diese Weise war und ist die Werbung seit jeher daß es darauf ankomme, wie wir sie verwenden, Wissenslieferant für die Medienwissenschaft (in ist die befangene Haltung des technischen ihrer auf die besagten „propagandistischen Dummkopfs“, polemisiert Understanding Media Kraftstrahlungen“ ausgerichteten Spielart). Für und begründet: „Denn der ‚Inhalt‘ eines Mediums McLuhan hingegen (und die andere Medienwis- ist mit dem saftigen Stück Fleisch vergleichbar, senschaft nach ihm) wurde sie gerade so zum das der Einbrecher mit sich führt, um die Auf- hinreichenden Grund, für den ästhetischen Sinn merksamkeit des Wachhundes abzulenken.“32 im Unterschied zur Marketing-Perspektive zu optieren und eine gegenüber der an der ökonomi- schen Zielsetzung der Werbung ausgerichteten 26 Vgl. Leonhard (Hg.) (1999 ff.:979). Art von Werbeforschung sehr andere Art der 27 John Wanamaker und Henry Ford, zit. n. Feichtner medienkulturwissenschaftlichen Analyse von (2007:387). 28 Schweppenhäuser & Tiedemann (Hg.) (1991:232). 24 McLuhan (1996:7 u. 9). 29 McLuhan (1996:8, 28 u. 137). 25 Das „erste lithographische Plakat“ taucht 1861 an den 30 McLuhan (1992:267). Mauern Londons auf und wirbt für „einen der größten Kriminalromane“: Wilkie Collins' Woman in White – 31 McLuhan (1996:35). so jedenfalls exzerpierte es sich Walter Benjamin siehe 32 McLuhan (1992:29). – Zur Herkunft dieses Vergleichs Schweppenhäuser & Tiedemann (Hg.) (1991:233). siehe Dotzler (vorauss. 2013). Mitteilungen des RVW 1/2013 Seite 10
Der Werbung Wunderhorn Dotzler So formuliert das Werbe-Buch erstmals Prin- zipien der Medientheorie McLuhans, nicht an- Bibliographie ders als umgekehrt in dessen folgendem medien- Agde, Günter (1998). Flimmernde Versprechen. Geschichte des theroetischen Werk (neben dem eigens der Wer- deutschen Werbefilms im Kino seit 1897. Berlin: Das Neue bung gewidmeten Kapitel von Understanding Berlin. Media) mindestens ein überdeutlicher Rückver- Bazin, André (1945/1981). Ontologie des photographi- weis auf seine Herkunft aus der Werbeforschung schen Bildes. In: Wiegand, Wilfried (Hg.). Die Wahrheit zu finden ist. Wie der Inhalt der Medien von die- der Photographie. Klassische Bekenntnisse zu einer neuen sen selber nur ablenkt, hat McLuhan nämlich Kunst. Frankfurt/M.: S. Fischer. S. 257−266. auch einmal am Beispiel des Lichts illustriert (um Behrmann, Hermann (1923). Reklame. Berlin: Industrie- nicht illuminiert zu sagen). Dieses entziehe sich verlag Spaeth & Linde. der Wahrnehmung als Medium, so McLuhan: Benjamin, Walter (1931/1991). Kleine Geschichte der Pho- tographie. In: Schweppenhäuser, Hermann & Tiede- „Denn bevor nicht das elektrische Licht dazu ver- mann, Rolf (Hg.). Walter Benjamin. Aufsätze − Essays − wendet wird, den Namen irgendeines Markenar- Vorträge. Gesammelte Schriften. Band II-1. Frankfurt/M.: tikels in Buchstaben zu zeigen, beachtet man es Suhrkamp. S. 368−385. nicht als Medium. Dann wird aber nicht das Braun, Hans-Joachim & Kaiser, Walter (1992). Energie- Licht, sondern der ‚Inhalt‘ (oder das, was in wirtschaft, Automatisierung, Information seit 1914. In: Wirklichkeit ein anderes Medium ist) beachtet.“ 33 König, Wolfgang (Hg.). Propyläen Technikgeschichte, Band 5. Berlin: Propyläen. Man weiß um die weitreichenden Schlußfolge- rungen, die McLuhan aus dieser Beobachtung zog Daguerre, Louis Jacques Mandé (1838/1981). Das Daguer- reotyp. In: Wiegand, Wilfried (Hg.). Die Wahrheit der (namentlich: Der Inhalt eines Mediums ist immer Photographie. Klassische Bekenntnisse zu einer neuen Kunst. ein anderes Medium), und so mag es auch lohnen, Frankfurt/M.: S. Fischer. S. 15−18. das Naheliegende nicht zu vergessen: Leuchtre- Dotzler, Bernhard J. (2010). Die mechanische Braut. Wer- klame trägt McLuhans ganze Medientheorie. beforschung als Anfang von Medienwissenschaft. In: Reimann, Sandra & Sauerland, Martin (Hg.). Wissen schaf(f)t Werbung. Regensburg: Universitätsverlag Re- gensburg. S. 44−72. 9 Dotzler, Bernhard J. (vorauss. 2013). „Cambridge was a shock“. Comparing media from a literary critic's point Werbung aus ihrem ökonomischen Nutzen (wie of view. In: Birkle, Carmen et al. (Hg.). McLuhan’s Global ungewiß auch immer) zu erklären, heißt, sie vom Village Today: Transatlantic Perspectives on Medium and Message. London: Pickering & Chatto. beworbenen Produkt her betrachten. Nimmt man Dotzler, Bernhard J. (im Erscheinen). Das siebte Übel. Der dagegen die Perspektive von den werbenden Neid, die Werbung und das Aufgebot der Medien. In: Medien her ein, zeigt sich Werbung nachgerade Ingo Breuer (Hg.). Die sieben Todsünden. Festschrift für als deren Selbstoffenbarung – von der Plakat- Günter Blamberger. kunst bis hin zur Intelligenz der Online-Wer- Feichtner, Edgar (2007). Nicht alles, was gefällt, wirkt! bung im intelligenten Medium Computer. Dies- Zur Bewertung von Werbung aus betriebswirtschaftli- seits ihrer Marketing-Vorgaben (als ihr unter- cher Sicht. In: Reimann, Sandra & Kessel, Katja (Hg.). stelltes Jenseits: die unwahre wahre Warenwelt) Wissenschaften im Kontakt. Kooperationsfelder der Deutschen Sprachwissenschaft. Tübingen: Narr. S. 387−399. machen die Werbung und die Medien durchweg Gesellschaft zur Förderung der Photographie (1952 a). gemeinsame Sache. Werbung trägt die Medien „Oh, die herrlichen Berge“ [Werbung]. In: Regensbur- nicht nur ihrerseits in ökonomischer Hinsicht ger Archiv für Werbeforschung. PROPHOTO vom (Abhängigkeit aller Massenmedien von Werbe- 12.7.1952. HWA_1_863.mp3. R-Nummer: 616. URL: einnahmen), sondern unabhängig von aller Öko- http://raw.uni-regensburg.de/details.php?r=616 nomie gibt es, so könnte man sagen, einen den − Zugriff: 18.9.2013. Medien inhärenten Werbeauftrag, ablesbar an Gesellschaft zur Förderung der Photographie (1952 b). „Die Hilde, diese nette“ [Werbung]. In: Regensburger der Art, wie die Medien, wenn sie werben, immer Archiv für Werbeforschung. PROPHOTO vom 12.7.1952. auch für sich selber werben. HWA_1_863.mp3. R-Nummer: 616. URL: http://raw.uni-regensburg.de/details.php?r=616 − Zugriff: 18.9.2013. 33 McLuhan (1992:19). Mitteilungen des RVW 1/2013 Seite 11
Der Werbung Wunderhorn Dotzler Gesellschaft zur Förderung der Photographie (1954). „Tor, Maatje, Christian (2000). Verkaufte Luft. Die Kommerzialisie- unser Helmut“ [Werbung]. In: Regensburger Archiv rung des Rundfunks: Hörfunkwerbung in Deutschland für Werbeforschung. PROPHOTO vom 27.2.1954. (1923−1936). Potsdam: Verlag für Berlin-Brandenburg. HWA_1_869.mp3. R-Nummer: 2480. URL: McLuhan, Marshall (1992). Die magischen Kanäle. Understan- http://raw.uni-regensburg.de/details.php?r=2480 ding Media. Düsseldorf/Wien: Econ. − Zugriff: 18.9.2013. McLuhan, Marshall (1996). Die mechanische Braut. Volkskul- Greenberg, Clement (1946/1997). Das Glasauge der Kame- tur des industriellen Menschen. Amsterdam: Verlag der ra. In: Lüdeking, Karlheinz (Hg.). Die Essenz der Moderne. Kunst. Ausgewählte Essays und Kritiken. Amsterdam/Dresden: Verlag der Kunst. S. 107−113. Reuß, Jürgen & Höltschl, Rainer (1996). Mechanische Braut und elektronisches Schreiben. Zur Entstehung Kümmel, Albert (2002). Papierfluten. Zeitungswissen- und Gestalt von Marshall McLuhans erstem Buch. In: schaft als Schwelle zu einer universitären Medienwis- Marshall McLuhan. Die mechanische Braut. Volkskultur des senschaft. In: Andriopoulos, Stefan & Dotzler, Bern- industriellen Menschen. Amsterdam: Verlag der Kunst. hard J. (Hg.). 1929. Beiträge zur Archäologie der Medien. S. 233−247. Frankfurt/M.: Suhrkamp. S. 224−252. Schweppenhäuser, Hermann & Tiedemann, Rolf (Hg.) Leonhard, Joachim-Felix (Hg.) (1999 ff.). Medienwissen- (1991). Walter Benjamin. Das Passagen-Werk. Gesammelte schaft. Ein Handbuch zur Entwicklung der Medien und Kom- Schriften. Band V-1. Frankfurt/M.: Suhrkamp. munikationsformen. Berlin/New York: deGruyter. Warstat, Willi (1929/1981). Die Photographie in der Wer- Luhmann, Niklas (1996). Die Realität der Massenmedien. bekunst. In: Wiegand, Wilfried (Hg.). Die Wahrheit der 2., erw. Auflage. Opladen: Westdeutscher Verlag. Photographie. Klassische Bekenntnisse zu einer neuen Kunst. Frankfurt/M.: S. Fischer. S. 211−222. Zurstiege, Guido (2007). Werbeforschung. Konstanz: UTB. Mitteilungen des RVW 1/2013 Seite 12
Das Regensburger Archiv für Werbeforschung – eine Fundgrube für Forschung und Lehre Gabriele Gerber Das Regensburger Archiv Bärenmarke, Maggi, Persil, Sarotti, Thomy, Zentis und viele andere. Die Aufnahmen stammen aus dem für Werbeforschung Tonstudio Frankfurt (1948 bis 1977), dessen Leiter Professor Geldmacher während vieler Jahre war (RAW) sowie dem in der Folgezeit entstandenen Tonstu- dio Fischer, Bad Soden am Taunus (1978 bis 1987). Seit 2003 ist an der Universität Regensburg eine Geldmacher galt als Spezialist für Markenwer- im Bereich der Werbeforschung einzigartige bung und war von Anfang der 1950er bis Mitte Sammlung beheimatet. Das Regensburger Archiv der 1990er Jahre als kreativer Gestalter und Bera- für Werbeforschung (RAW) stellt Werbeaufnahmen ter großer Markenartikelunternehmen tätig. Oft aus der Rundfunkwerbung, Fernsehwerbespots war er selbst in der Rolle des Sprechers, Kompo- sowie Werbeschallplatten in großer Zahl für For- nisten und Entertainers an den Werbeaufnahmen schung und Lehre zur Verfügung. beteiligt. Sein großes Verdienst war es, dass er Viele Spots sind bereits digitalisiert, über eine sich von Anfang an – entgegen dem sonst übli- Datenbank erschlossen und recherchierbar. Für chen Umgang mit Werbespots zur damaligen die wissenschaftliche Arbeit mit Werbung steht Zeit und auch heute – für eine systematische Auf- dieser außergewöhnliche Fundus jedem Interes- bewahrung der produzierten Spots einsetzte, so sierten nach einer kostenlosen Registrierung dass diese umfangreiche Sammlung entstehen weltweit über das Internet zur Verfügung. Das konnte. Archiv wird zudem ständig erweitert, neue Be- stände kommen dazu, bereits vorhandene Medi- en werden digitalisiert, die Recherchemöglich- keiten werden weiter optimiert. Bereits jetzt gilt das Archiv als größte im Internet verfügbare Sammlung deutschsprachiger Werbespots welt- weit und kann rund 500 aktuell registrierte Nut- zer mit den unterschiedlichsten Fragestellungen und Verwendungsvorhaben verzeichnen. Historisches Werbefunkarchiv Kernstück des RAW ist das Historische Werbe- funkarchiv (HWA) mit rund 50.000 Werbespots aus der Rundfunkwerbung der Jahre 1948 bis Abbildung 1: Historisches Werbefunkarchiv. Quelle: André Baumgarten. 1987. Das HWA wurde der Universität Regensburg Im MultiMediaZentrum der Universitätsbiblio- von Ermut Geldmacher († 2009), Besitzer zweier thek Regensburg wurden die Aufnahmen in den Tonstudios und Honorarprofessor an der Univer- Jahren 2004 bis 2008 im Rahmen eines von der sität der Künste Berlin, überlassen. Es beinhaltet DFG geförderten Projekts digitalisiert und über Spots unterschiedlicher, zum Großteil auch heu- eine Datenbank zugänglich gemacht. Dabei wur- te noch bekannter Marken wie zum Beispiel Alete, den nicht nur die rund 8.000 Tonbandaufnah- Mitteilungen des RVW 1/2013 Seite 13
Das Regensburger Archiv für Werbeforschung Gerber men in MP3-Files überspielt, sondern auch die ver. Die Besonderheiten dieses Werbeträgers Tonbandcover sowie – soweit vorhanden – die sind bisher wissenschaftlich kaum erforscht – Original-Manuskripte mit der schriftlichen Aus- auch hier stellt das RAW eine einmalige Samm- arbeitung der Spots gescannt. Zum Teil stehen lung erstmals der Forschung zur Verfügung. auch die Probeaufnahmen (Layouts) zu verschie- Neben diesen beiden großen, bereits digital denen gesendeten Spots und die Sendepläne zur verfügbaren Beständen beherbergt das RAW Verfügung. Gerade diese Zusatzinformationen noch weitere umfangreiche Sammlungen mit stellen für Werbewissenschaftler wertvolle In- Werbespots bzw. Materialien zur Werbefor- formationen dar, die zu einem besseren Ver- schung, die im Magazin der Universitätsbiblio- ständnis der Spots und adäquaten Interpretatio- thek – zumeist noch in analoger Form – gelagert nen beitragen können. sind und für die Nutzbarkeit in Forschung und Lehre erst noch digitalisiert und erschlossen wer- Spremberg-Sammlung den müssen. Im Einzelnen handelt es ich dabei um folgen- Eine weitere wichtige Komponente des RAW de Materialien: stellen die rund 500 Werbeschallplatten des ehemali- gen Berliner Radiomoderators Christian Spremberg dar. OPUS-multimedia.net Das zeitlich an das HWA anschließende Archiv des Tonstudios OPUS-multimedia.net, Neuwied, beinhaltet insgesamt über 8.000 Medien mit Hörfunk- und Fernsehwerbung aus den Jahren 1986 bis 2000. Eine Datenbank dazu ist vorhan- den, aber noch nicht zugänglich. Das Material liegt auf unterschiedlichen Medien vor (Tonbän- der, VHS-Kassetten, U-matic-Videobänder u. a.), Abbildung 2: Werbeschallplatten aus der Spremberg-Sammlung. muss jedoch erst noch digitalisiert werden. Quelle: Gabriele Gerber. Werbefilme des Bayerischen Rundfunks Auch diese Sammlung ist bereits im Internet ver- fügbar und recherchierbar. Das Medium „Werbe- Seit 2007 ist auch eine Sammlung mit Werbefil- schallplatte“ ist heute kaum noch bekannt und men aus der Produktion des Bayerischen Rundfunks wurde vor allem in den 1950er und 1960er Jahren an der Universitätsbibliothek Regensburg unter- kostenlos als Beilage zu Zeitschriften, als Zugabe gebracht. zu Produkten oder als Werbegeschenk für beson- dere Berufsgruppen verteilt. Inhaltlich reicht das Spektrum von aufwändig gestalteten Hörspielen als Werbung für ein Produkt über Geschichten für Kinder bis hin zu Schlageraufnahmen der je- weiligen Zeit. Äußerlich sind die Platten meist auffällig bunt, oft auch nur auf Schallfolie ge- presst oder sogar als Postkarte verschickbar. In Abbildung 3: Werbefilme des Bayerischen Rundfunks. ihrer Vielfalt stellen diese Werbeträger ein au- Quelle: Gabriele Gerber. ßergewöhnlich interessantes Kapitel in der Ge- schichte der auditiven Werbung dar. Die Sprem- Darunter befindet sich zum Beispiel auch der ers- berg-Sammlung wurde im Jahr 2007 im te deutsche Fernseh-Werbespot vom 3.11.1956. MultiMediaZentrum der Universitätsbibliothek Für die auf vielen verschiedenen Filmmedien ge- digitalisiert, und registrierte Datenbanknutzer speicherten Spots existieren nur gedruckte Be- erhalten Zugriff auf die Audioaufnahmen sowie standslisten. Die Digitalisierung und Erschlie- auf die Scans der Originalmedien und Plattenco- Mitteilungen des RVW 1/2013 Seite 14
Das Regensburger Archiv für Werbeforschung Gerber ßung dieses Bestands stellen noch eine besondere te in Berlin. Das Material wurde im Juli 2010 bei Herausforderung dar. der Familie Geldmachers an seinem letzten Wohnsitz in Rorschach in der Schweiz abgeholt, Inselfilm Tonbandmaterialien ist im Magazin der Universitätsbibliothek unter- gebracht und soll digitalisiert und in die Samm- Das aus der Sammlung Geldmachers übernom- lung des RAW eingebunden werden. mene Inselfilm-Tonarchiv besteht aus 320 Magnet- tonbändern und enthält überwiegend Hörfunk- werbung der 1980er Jahre. Die Tonbänder sind Weitere kleinere Sammlungen noch nicht digitalisiert, ein gedrucktes Verzeich- Außerdem sind verschiedene kleinere Werbe- nis liegt vor. Hier findet man beispielsweise spotsammlungen an der Universität Regensburg Spots für Nymphenburg Sekt, Schmidt Spiele oder die untergebracht, so zum Beispiel Magnettonbänder Bayerische Vereinsbank. der Firma Krassmann Produktion Frankfurt, die Spots zur Verkehrssicherheit aus den 1960er bis Commercialfilm Filmwerbung 1980er Jahren enthalten sowie eine kleine Samm- lung Filmwerbung der Firma Ciratel GmbH, Mün- Diese ebenfalls aus dem Besitz von Geldmacher chen, aus den 1970er Jahren. stammende Sammlung enthält 534 Werbefilme aus den 1950er bis 1970er Jahren. Die Filme sind bereits digitalisiert, jedoch noch nicht verfügbar, da sie bisher nur über eine gedruckte Bestandslis- Zusammenfassung te erschlossen sind. Mit dabei ist zum Beispiel Fernsehwerbung für die Marken Aurora, Juno, Ro- Die Gesamtheit all dieser Materialien macht das mika, Schildkröt, Südzucker, Thomy und viele andere. RAW zu einer ergiebigen und lohnenswerten An- laufstelle für jeden im Bereich Werbung tätigen Werbetrenner des Bayerischen Wissenschaftler und Praktiker. Abgerundet wird Rundfunks dieser Bestand zum einen noch durch eine Viel- zahl gekaufter Videokassetten und DVDs mit Seit Dezember 2007 befinden sich außerdem 159 Fernseh- und Filmwerbespots sowie durch einen 16 mm-Filme des BR-Fernsehstudios Freimann im großen Bestand an Mitschnitten von Radio- Bestand der Universität Regensburg. Diese Film- und Fernsehsendungen über unterschiedlichste rollen enthalten vor allem sogenannte Werbe- Aspekte zur Werbung. trenner, d. h. Elemente, die von den Sendeanstal- ten geschaltet werden müssen, um Werbeblöcke vom übrigen Programm abzugrenzen. Dazu wur- den oft eigene Figuren geschaffen, im Bayerischen Fernsehen war das in den 1960er Jahren zum Bei- spiel der bayerische Löwe „Leo“. Materialien aus dem Nachlass Ermut Geldmachers Abbildung 4: Recherche in der RAW-Datenbank. Nach Geldmachers Tod im Februar 2009 wurden Quelle: Gabriele Gerber. der Universität Regensburg diverse Materialien aus seinem Nachlass überlassen. Dabei handelt es Weitere Informationen erhalten Sie auf den sich zum einen um die schriftlichen Unterlagen Webseiten des RAW: zu verschiedenen Werbekampagnen Geldma- http://raw.uni-regensburg.de chers, zum anderen um das gesamte Material aus oder direkt per Mail: raw@ur.de seiner Lehrtätigkeit an der Universität der Küns- Mitteilungen des RVW 1/2013 Seite 15
Schwerpunkt: ALTERnativ werben Bernhard J. Dotzler Sandra Reimann „ „Kein Mensch passt in eine Schublade!“ hieß un- Das „Wissenschaftsjahr 2013“ – eine Initiative längst (11/2011–1/2012) eine Kampagne der Anti- des Bundesministeriums für Bildung und For- diskriminierungsstelle des Bundes, und die schung – wiederum war dem Thema „Die demo- „Schubladen“, um die es ihr ging, waren Her- grafische Chance“ gewidmet: kunft, Geschlecht, Religion, Behinderung, Alter und sexuelle Identität.1 „Jung“, „alt“, „uralt“ laute- Mit jedem Jahr steigt die Lebenserwartung der Menschen in Deutschland im Durch- ten die ironisch für die Kategorie des Alters vor- schnitt um drei Monate. Gegenüber der Generation geschlagenen Rubrizierungen. unserer Großeltern hat sich unsere Lebenszeit be- reits um mehr als ein Drittel erhöht. Aber wie gestal- ten wir diese Zeit? Wie bleiben wir gesund und krea- tiv? Welche Antworten können Wissenschaft und Forschung auf diese und weitere Fragen bieten, die ein längeres Leben aufwerfen?“2 So lautet(e) eine der zentralen Problemstellun- gen, deren genauere Beleuchtung initiiert werden sollte. Bereits im Wintersemester 2010/11 hatte sich der RVW dem Thema „Alter“ in einer Ringvorlesung sowie im Februar 2012 in Form einer eintägigen Lecture Series zugewandt;3 die nachstehenden Bei- träge sind überarbeitete Fassungen einiger dieser Vorträge. Ausgangspunkt war die Hypothese, dass zumal die Werbung – und nicht etwa allein Wissenschaft und Forschung – Antworten auf die durch den demografischen Wandel auftretenden Fragen generiert, womit sie ihrerseits die (Werbe-)Forschung herausfordern mag. Zentral erschien dabei die aus soziologisch-psychologi- Abbildung 1: Plakatkampagne: „Kein Mensch passt in eine Schublade!“ Quelle: Bernhard Dotzler. scher Perspektive kommende grundlegende Fra- 2 Bundesministerium für Bildung und Forschung (2013). Initiative Wissenschaftsjahr 2013 – Demografische Chance. 1 Vgl. Antidiskriminierungstelle des Bundes (2011). Pla- Wir leben länger. Was machen wir aus den gewonnenen Jah- katkampagne: Kein Mensch passt in eine Schublade! URL: ren? URL: http://www.demografische-chance.de/die- http://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/K themen/wir-leben-laenger/wir-leben-laenger.html urzmeldungen/DE/2011/nl_06_2011/nl_06_aus_der_arbe – Zugriff: 30.10.2013. it_der_ads_01.html – Zugriff: 30.10.2013. 3 Vgl. RVW (2010/11). Ringvorlesung „ALTERnativ werben“. sowie § 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz: Bundesmi- URL: http://www.werbeforschung.org/veranstaltungen nisterium der Justiz (2006). Gesetze im Internet. Allgemei- – Zugriff: 30.10.2013 nes Gleichbehandlungsgesetz (AGG). URL: sowie RVW (2012). Lecture Series „ALTERnativ werben“. http://www.gesetze-im-internet.de/agg/index.html URL: http://www.werbeforschung.org/veranstaltungen – Zugriff: 30.10.2013. – Zugriff: 30.10.2013. Mitteilungen des RVW 1/2013 Seite 16
Schwerpunkt: ALTERnativ werben ge, wie Werbung nicht nur mit dem demografi- logische Alter erläutert, bevor einerseits typische schen Wandel umgeht, sondern welche Alters- Entwicklungsverläufe als ideale Gegebenheit für konstrukte sie in ihrer Gestaltung zugrunde legt. eine breite Zielgruppenansprache und anderer- An welchen Parametern orientiert sich die Wer- seits das Phänomen der „Altersdiversität“ als bung, und zwar nicht nur mit Blick auf „Alter“ als Herausforderung für die Werbebranche ange- Bezeichnung einer späten oder letzten Lebens- sprochen und Lösungsansätze angedeutet wer- phase, sondern ebenso z. B. mit Blick auf „die Ju- den. In den sprachwissenschaftlichen Beiträgen gend“? Nicht zu vernachlässigen sind dabei bei- werden dann u. a. konkret und exemplarisch spielsweise auch voneinander abweichende (sprachliche) Altersmarker in Werbeanzeigen Fremd- und Selbstbezeichnungen sowie Selbst- aufgezeigt und analysiert. Dass bestimmte Al- und Fremdeinordnungen potentieller Rezipien- tersgruppen, Kinder, Jugendliche und Senioren, ten und Konsumenten in verschiedene Alters- im Hinblick auf die Ansprache durch die Wer- gruppen. bung besonders schutzbedürftig sind und wie sich dies auf die Gestaltung von Werbemitteln Einblicke aus der Medienpraxis gibt es aus- auswirkt, wird aus juristischer Sicht beleuchtet; schnittsweise über die Ausführungen u. a. zur wie deutlich wird, liegt jedoch auch in den Geset- „Verbrauchs- und Medienanalyse“ (VuMA) von zen keine eindeutige Definition der thematisier- ARD-Werbung SALES & SERVICES GmbH (AS&S), ten Altersgruppen vor. Radio Marketing Service (RMS) und dem ZDF Werbe- fernsehen. Wie also definiert sich „Alter“ aus Sicht der Wer- Im Beitrag aus psychologischer Perspektive wer- bung? Deskriptiv-kulturanalytische Untersu- den zunächst das biologische, das psychologi- chungen unterschiedlicher Disziplinen geben sche, das soziale, das subjektive und das chrono- hierauf im Folgenden eine Antwort. Mitteilungen des RVW 1/2013 Seite 17
Alter & Werbung aus psychologischer Sicht Martin Sauerland Zusammenfassung kreieren und sich allein schon aufgrund dieses psychologischen Vorgangs tatsächlich bewahr- heiten. Gutgemeinte Entlastungen durch Famili- Im vorliegenden Beitrag wird zunächst das The- enangehörige, ärztliche Ermahnungen zur Scho- ma „Alter“ aus psychologischer Perspektive nä- nung oder selbstgesetzte Anspruchsniveausen- her spezifiziert (vgl. dazu Trautner 1992). Sodann kungen vermögen per se – zusätzlich zu einer wird der Bezug des Alterskonzepts zur Wer- möglicherweise biologisch bedingt einsetzenden bethematik hergestellt (vgl. dazu Felser 2007; So- Degeneration – eine Reduktion der Leistungsfä- lomon et al. 2010). Aufbauend auf dieser Analyse higkeit zu bewirken. der beiden Konstrukte Alter und Werbung wird Das skizzierte Bild vom alten Menschen wird eine Theorie vorgestellt, aus der sich Implikatio- auch in der Werbung aufgegriffen und kultiviert. nen für eine altersangepasste Gestaltung von Beispielsweise wirbt Victoria mit dem Slogan „47 Werbung ableiten lassen – dabei handelt es sich Jahre, männlich, Altherrenturnier, hohe Flanke, um die Sozioemotionale Selektivitätstheorie (vgl. rechtes Bein, linkes Foul, Kreuzbandriss, 5 Wo- Carstensen 1995). Auf dieser Basis wird eine vor- chen außer Gefecht, Victoria versichert.“ Auch läufige Antwort auf die Frage „ALTERnativ wer- der Hilfsmitteldiscount wirbt: „Die Antwort der Na- ben?“ gewagt. tur auf Schwäche, Leistungsabfall und Müdigkeit – Dank Colostrum, dem Jungbrunnen der Natur.“ Sämtliche Anti-Aging Produkte leisten ebenfalls Alter ihren Beitrag. Das Gegenmodell pro·age von Dove, das den Das biologische Alter Slogan „Because beauty has no age limit“ hervor- gebracht hat, stellt offenkundig eine Ausnahme Unter das biologische Alter werden der Zustand dar, in deren Rahmen die natürliche Schönheit und die Funktionstüchtigkeit des Organismus ge- hervorgehoben und ein Frischeversprechen an- fasst. Darunter fallen beispielsweise Sinnesleis- stelle eines Jugendversprechens abgegeben wird. tungen ebenso wie motorische Fähigkeiten. Dem Insgesamt soll die Kampagne offenkundig die ersten Anschein nach kann für beinahe jede be- Hoffnung vermitteln, aus jedem Aussehensstatus liebige Variable dieser Kategorie eine Abnahme noch etwas machen zu können statt die Angst zu in den späteren Phasen der Lebensspanne ver- schüren, nicht mehr mithalten zu können, nicht zeichnet werden. mehr attraktiv zu sein, nicht mehr wertgeschätzt Insbesondere am Konzept des biologischen zu werden, zur gesellschaftlichen Altlast zu ge- Alters lässt sich das in der Gesellschaft weit ver- hören, an den Rand gedrängt und abgeschoben breitete Defizitmodell des Alters bzw. des Alterns zu werden, nicht mehr dazuzugehören – zur verdeutlichen: Altern wird als Prozess zuneh- Gruppe der jungen Fitten, körperlich Vitalen, mender Multimorbidität aufgefasst, die durch mental Leistungsfähigen und aufsteigenden Ak- wachsende Untätigkeit, Hilflosigkeit, Unselb- tiven, ja, für diese gar zur Last zu werden, zum ständigkeit, Passivität, Abhängigkeit und weiter- Hemmnis für deren Entfaltungsmöglichkeiten, gehende Krankheitsanfälligkeit gekennzeichnet alles implizit verbunden mit der Aufforderung, ist. Ein solches Bild vom alten Menschen kann diesem Prozess mit allen Mitteln entgegenzuwir- durchaus zu einer self-fulfilling prophecy werden, ken. und zwar insofern, als die an alte Menschen ge- knüpften Defiziterwartungen ihre eigene Realität Mitteilungen des RVW 1/2013 Seite 18
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