Seen im Klimawandel Diagnosen und Prognosen aus der Langzeitforschung - IGB Dossier - Leibniz-Institut für ...

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Seen im Klimawandel Diagnosen und Prognosen aus der Langzeitforschung - IGB Dossier - Leibniz-Institut für ...
Leibniz-Institut für
                                   Gewässerökologie
                                   und Binnenfischerei

           Seen im Klimawandel
Diagnosen und Prognosen aus der Langzeitforschung

                             IGB Dossier
Seen im Klimawandel Diagnosen und Prognosen aus der Langzeitforschung - IGB Dossier - Leibniz-Institut für ...
1. Einleitung: Seen im Klimawandel

Seen im Klimawandel
Diagnosen und Prognosen aus der Langzeitforschung

1. Einleitung: Seen im Klimawandel
2. Grundlagen: physikalische, chemische und biologische Prozesse in Seen
3. Veränderungen: konkrete Auswirkungen des Klimawandels auf Seen
4. Fazit und Zukunftsprognose

1. Einleitung: Seen im Klimawandel

Seen spielen für uns Menschen sowohl als Lebensgrund-             im Mittel auf unter 2 °C des vorindustriellen Levels zu be-
lage als auch kulturell eine wichtige Rolle. Sie werden           grenzen. Dabei soll eine Erwärmung von 1,5 °C möglichst
für ganz unterschiedliche Zwecke genutzt und aufge-               nicht überschritten werden, um die Risiken der Klima-
sucht. Seen erbringen zahlreiche sogenannte Ökosys-               erwärmung zu minimieren. Für Oberflächengewässer
temleistungen, zum Beispiel als Trinkwasserreservoir für          fehlt ein solcher Grenzwert bislang. Langzeitdaten bele-
Menschen und Nutztiere, für die landwirtschaftliche Be-           gen jedoch, dass die sommerlichen Oberflächentempe-
wässerung und zum Hochwasserschutz. Sie sind Grund-               raturen von Seen zwischen 1985 und 2009 alle zehn Jah-
lage für die Berufs- und Sportfischerei sowie die Binnen-         re um weltweit durchschnittlich 0,34 °C gestiegen sind
schifffahrt und dienen der Erholung und dem Tourismus             (O’Reilly et al. 2015), bereits in diesem kurzen Zeitraum
(Baden, Bootsfahrten, Angelfischerei etc.). Neben die-            von 24 Jahren also um mehr als die Hälfte des tolerier-
sem praktischen Nutzen können Seen entscheidend für               baren Anstiegs von 1,5 °C.
das Mikroklima im jeweiligen Einzugsgebiet sein und                   Wie genau die Gewässer und ihre Lebensgemein-
sind zudem Hotspots der Artenvielfalt. Seen sind somit            schaften auf diesen „Klimastress“ reagieren und ob ihre
ein wichtiges Natur- und Kulturgut und werden als äs-             ökosystemare Gesundheit und Stabilität gefährdet sind,
thetisches Landschaftselement sehr geschätzt. Kurzum:             sind wichtige Fragen der Klimafolgenforschung an Ge-
Seen und Menschen stehen in einem eng verflochtenen               wässern. Die Zusammenhänge und Interaktionen in
Verhältnis – beide beeinflussen einander. Die Seenfor-            Seeökosystemen sind jedoch äußerst komplex, weshalb
scherInnen am Leibniz-Institut für Gewässerökologie               Pauschalaussagen kaum möglich und nicht durch wis-
und Binnenfischerei (IGB) untersuchen die Langzeitent-            senschaftliche Ergebnisse gedeckt sind. Seen können je
wicklungen und die grundlegenden natürlichen Prozes-              nach Typ und Einzugsgebiet ganz unterschiedlich auf die
se in und an diesen Gewässern sowie den menschlichen              Klimaerwärmung reagieren. Das IGB Dossier zeigt daher
Einfluss auf Seen.                                                auf, welche grundlegenden Entwicklungen zu erwarten
    Einen besonderen Fokus legen sie dabei auf die Aus-           sind und legt dar, wie wahrscheinlich das Eintreten be-
wirkungen des Klimawandels. KlimatologInnen prog-                 stimmter Szenarien ist.
nostizieren einen Anstieg der globalen Lufttemperatu-                 Im folgenden Kapitel werden zunächst einige Grund-
ren und eine Zunahme von extremen Wetterereignissen,              lagen der physikalischen, chemischen und biologischen
wie zum Beispiel Hitzewellen, Starkregen und Sommer-              Prozesse von Seen in gemäßigten Breiten (die Klimazo-
stürme (IPCC 2013). Die internationale Gemeinschaft hat           ne, in der auch Deutschland liegt) beschrieben. Anschlie-
2015 auf der UN-Klimakonferenz in Paris (UNFCC, COP 21)           ßend werden aktuelle Ergebnisse aus der seenspezifi-
beschlossen, die globale Erwärmung der Lufttemperatur             schen Klimafolgenforschung vorgestellt.

Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei | IGB Dossier | Seen im Klimawandel                                    2
2. Grundlagen: physikalische, chemische und biologische Prozesse in Seen

2. Grundlagen: physikalische, chemische und
   biologische Prozesse in Seen

2.1 Physikalische Prozesse in Seen:                                        In einem typischen dimiktischen See sinken die
der jährliche thermische Zyklus                                        Oberflächentemperaturen im Winter unter 4 °C und es
Seen in gemäßigten Zonen unterliegen starken saisona-                  kann sich eine Eisschicht bilden, wodurch eine Vermi-
len Zyklen, die grundlegend durch die physikalischen Ei-               schung von Oberflächenwasser mit tieferem Wasser
genschaften des Wassers gesteuert werden. Nachgela-                    verhindert wird (Abb. 1a). Da Wasser bei 4 °C die höchs-
gert werden so auch die meisten chemischen und öko-                    te Dichte (Dichteanomalie) hat, schichtet sich im Win-
logischen Prozesse beeinflusst. Diese saisonalen Zyklen                ter kälteres Wasser über das 4 °C warme Wasser – wes-
und Prozesse sind besonders empfindlich gegenüber                      halb Seen in der Regel nicht bis zum Grund durchfrieren.
der Klimaerwärmung. Man unterscheidet bei der Durch-                   Nach der Eisschmelze im Frühling herrscht in der ge-
mischung von Seen im jährlichen Zyklus zwischen mo-                    samten Wassersäule eine einheitliche Wassertempera-
nomiktisch (eine jährliche Durchmischung), dimiktisch                  tur, sodass sich der gesamte See bis zum Grund durch-
(zweifache Durchmischung) und polymiktisch (mehrfa-                    mischen kann. Dieser Prozess wird Zirkulation genannt
che Durchmischung).                                                    (Abb. 1b). Zum Ende des Frühlings heizt die intensive

       0 °C                                                                                                                                   4 °C
       2 °C                                                                                                                                   4 °C
       4 °C                                                                                                                                   4 °C

                                                                                                                                                         © Pearson Education, Inc., publishing as Benjamin Cummings; Design: unicom Werbeagentur GmbH
       4 °C                                                                                                                                   4 °C
       4 °C                                                                                                                                   4 °C

       4 °C                                                                                                                                   4 °C

 a – Wintereisbedeckung                                                                                                   b – Frühjahrszirkulation

       4 °C                                                                                                                                  22 °C
       4 °C                                                                                              Epilimnion                          20 °C
       4 °C                                                                                                                                  18 °C
       4 °C                                                                                                                                   8 °C
       4 °C                                                                                                                                   6 °C
                                                                                                                                              5 °C
                                                                                                                                              4 °C
       4 °C
                                                                                                        Hypolimnion
 d – Herbstzirkulation                                                                                                     c – Sommerschichtung

   hohe Sauerstoffkonzentration          mittlere Sauerstoffkonzentration         niedrige Sauerstoffkonzentration

Abb. 1: Zyklus eines typischen dimiktischen Sees: Die Wassersäule wird zweimal im Jahr durchmischt (Frühjahrs- und Herbstzirkulation), was sich
entscheidend auf den Sauerstoffgehalt und die Lebensgemeinschaften auswirkt. Temperaturunterschiede zwischen Oberflächen- und Tiefenwas-
ser unter Eis sowie im Sommer verhindern eine Durchmischung.

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2. Grundlagen: physikalische, chemische und biologische Prozesse in Seen

­ onneneinstrahlung das Oberflächenwasser schneller
S                                                                 in das Gewässer. Somit ist das Oberflächenwasser reich
auf als das tiefere Wasser. Dadurch entwickelt sich eine          an Sauerstoff, während das Tiefenwasser in Perioden
warme Wasserschicht an der Oberfläche, die Epilimnion             längerer Schichtung oder unter einer Eisdecke sauer-
genannt wird. Diese „schwimmt“ oberhalb der dichte-               stofffrei (anoxisch) werden kann.
ren, kälteren Wasserschicht, die Hypolimnion genannt                   Verbraucht wird Sauerstoff hauptsächlich beim Ab-
wird (Abb. 1c). Eine derartige Ausbildung unterschiedli-          bau von organischer Substanz durch Bakterien und ge-
cher Ebenen wird als Schichtung bezeichnet und bleibt             nerell durch Respiration (Atmung) aller aquatischen Or-
über den gesamten Sommer bestehen. Im Herbst löst                 ganismen. Aufgebrauchter Sauerstoff wird während der
sich die Temperaturschichtung auf. Nach der kontinuier-           Zirkulation aufgefüllt, sobald sich das sauerstoffreiche
lichen Abkühlung des Oberflächenwassers kommt es er-              Oberflächenwasser im gesamten See verteilt. Dement-
neut zu einer Zirkulation (Abb. 1d).                              sprechend haben dimiktische und monomiktische Seen
    Polymiktische und monomiktische Seen unterlie-                im Frühling nach der Frühjahrszirkulation den höchsten
gen einem ähnlichen saisonalen Verlauf wie dimiktische            Sauerstoffgehalt und zum Ende der Sommerstagnation
Seen, allerdings mit einigen wesentlichen Unterschie-             den niedrigsten Sauerstoffgehalt (Abb. 1). In polymikti-
den (Kirillin & Shatwell 2016). Im Gegensatz zu den eben          schen Seen tritt Sauerstoffmangel im Tiefenwasser im
beschriebenen dimiktischen Seen sind polymiktische                Winter infolge langer Eisbedeckung oder im Sommer
Seen zu flach (weniger als zehn Meter tief), um ein aus-          durch längere Schichtungsereignisse auf.
geprägtes Hypolimnion zu formen. Daher durchmischt                     Das Plankton (mikroskopisch kleine Wasserorganis-
sich das Wasser den ganzen Sommer hindurch regelmä-               men) unterliegt ebenfalls einem saisonalen Zyklus. Das
ßig und bildet nur kurzzeitig eine Schichtung aus. Mono-          Phytoplankton zeigt im Frühjahr in den meisten Seen
miktische Seen wiederum unterscheiden sich von dimik-             eine charakteristische Blüte. Zur Blüte kommt es, wenn
tischen Seen in der Tatsache, dass sie im Winter nicht zu-        Lichtintensität und Temperatur nach dem Winter ra-
frieren. Dies kann zwei Gründe haben: entweder, weil sie          sant ansteigen und gelöste Nährstoffe ausreichend zur
sich in einem wärmeren Klima befinden, wo das Ober-               Verfügung stehen. Das Zooplankton (tierisches Plank-
flächenwasser im Winter nicht unter 4 °C abkühlt (in der          ton), das sich vom Phytoplankton ernährt, dezimiert die
Gemäßigten Klimazone ist das nicht der Fall), oder weil           Frühjahrsalgenblüte und erzeugt das sogenannte Klar-
sie zu tief sind (über 100 Meter) und die hohe Wärme-             wasserstadium. Dieses zeichnet sich durch sehr hohe
speicherkapazität des Wassers ein vollständiges Zufrie-           Sichttiefen in Seen (Klarheit) über einen circa zweiwö-
ren verhindert, wie zum Beispiel beim Bodensee oder               chigen Zeitraum aus. Im Anschluss entwickelt sich eine
Zürichsee. Dementsprechend durchmischen sich mono-                Sommergemeinschaft von Phyto- und Zooplankton, da-
miktische Seen auch während des Winters und bilden                runter auch Cyanophyceen (umgangssprachlich „Blaual-
nur von Frühling bis Herbst eine Schichtung aus.                  gen“ genannt), die im Herbst aufgrund geringerer Was-
                                                                  sertemperaturen und schwächerer Lichtintensität eben-
                                                                  falls einbricht. Während der Sommerschichtung sinkt
2.2. Chemische und biologische Prozesse in Seen                   epilimnisches organisches Material kontinuierlich zum
Der Sauerstoffgehalt ist ein wesentlicher Indikator für           Seegrund. So sammeln sich Nährstoffe im Tiefenwasser
die Gesundheit eines Sees. Sauerstoff ist entscheidend            und im Bodensediment der geschichteten Seen. Mit der
für Wassertiere, aber auch für die Aufrechterhaltung ei-          nächsten Herbst- und Frühjahrszirkulation erfolgt eine
ner chemischen Balance in Seen. Sauerstoff entsteht im            Verteilung der Nährstoffe über die gesamte Wassersäu-
Wasser in den lichtdurchfluteten oberen Wasserschich-             le, so stehen sie erneut für das Wachstum zur ­Verfügung.
ten während der Photosynthese des Phytoplanktons                  In polymiktischen Seen werden das Wasser und die ent-
(Algen, pflanzliches Plankton). Ebenso gelangt über die           haltenen Nährstoffe regelmäßig durchmischt und konti-
Umgebungsluft Sauerstoff durch die Wasseroberfläche               nuierlicher genutzt.

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3. Veränderungen: konkrete Auswirkungen des Klimawandels auf Seen

3. Veränderungen: konkrete Auswirkungen des
   Klimawandels auf Seen

3.1 Methoden der Klimafolgen­forschung an Seen                    3.2 Steigende Luft- und Wassertemperatur:
Wie sich der Klimawandel bereits heute auf unsere Seen            direkte und indirekte Effekte
auswirkt und wie sich dieser Prozess in Zukunft entwi-            Die Klimaerwärmung der letzten 50 Jahre hat zu sicht-
ckeln wird, ist auch für die Seenforschung eine komple-           baren allgemeinen und systemspezifischen Veränderun-
xe Frage. Die gewässerfokussierte Klimafolgenforschung            gen von Seeökosystemen geführt. Neben direkten Effek-
basiert vorrangig auf der datenbasierten Langzeitfor-             ten sind es eine Vielzahl von indirekten Effekten, die we-
schung an Seen. Trendhafte Veränderungen lassen sich              sentlich zu Veränderungen von Seen beigetragen haben.
nicht durch experimentelle Ansätze, die über kurze Zeit-              Direkte Effekte: Durch die erhöhte Lufttemperatur
räume durchgeführt werden, beschreiben. Um die grund-             steigt auch die Temperatur des Oberflächenwassers.
legenden Mechanismen zu verstehen, ist es sinnvoll, die           Die winterliche Eisentwicklung geht zurück oder bleibt
experimentelle Forschung und die Modellierung mit der             ganz aus. Durch die höheren Wassertemperaturen ver-
Langzeitforschung zu koppeln. Bei Letzterer nutzen Wis-           ändert sich auch die thermische Struktur von Seen (vgl.
senschaftlerInnen umfangreiche Datenreihen, die über              Abschnitt 3.3; Abb.1 und 2).
mehrere Dekaden (über 40 Jahre, sog. „Big Data“) erho-                Die veränderte thermische Struktur und die verrin-
ben wurden. Diese umfassen abiotische Faktoren (Kli-              gerte Eisentwicklung ziehen indirekte Effekte nach sich.
ma, Wetter, Nährstoffeinträge aus dem Einzugsgebiet,              Diese umfassen veränderte Licht-, Sauerstoff- und Nähr-
thermische Schichtung oder Sauerstoffverhältnisse) und            stoffverhältnisse. Hinzu kommt die Zunahme externer
Wechselwirkungen von Organismen in Nahrungsnetzen.                Zuflüsse aus dem Einzugsgebiet (vgl. Abschnitt 3.5 und
Mittels statistischer und deterministischer Modellierung          Abb. 2). Diese indirekten Effekte wirken sich maßgeblich
klimabedingter Langzeitveränderungen werden Trends                auf die Entwicklung des Phytoplanktons und die Struk-
sowie die mögliche Überschreitung kritischer Grenzwer-            tur von Nahrungsnetzen aus. Sie sind oftmals stärker in
te erkenn- und quantifizierbar. Weiterhin können Auswir-          ihren Auswirkungen als die direkt durch die Temperatur
kungen von Extremereignissen im Vergleich zur langjäh-            verursachten Veränderungen.
rigen natürlichen Variabilität herausgearbeitet werden.
    Die der Forschung insgesamt zur Verfügung stehen-
den methodischen Herangehensweisen (Modellierung,                 3.3 Änderungen in der thermischen Schichtung
Experiment und Langzeitforschung) unterscheiden sich              Eine der deutlichsten Auswirkungen der Klimaerwär-
im jeweiligen Grad der Kontrollierbarkeit, dem erlang-            mung auf Seen ist die zunehmende thermische Schich-
ten Verständnis der wirkenden Mechanismen und der                 tung. In polymiktischen Seen, wie zum Beispiel dem Ber-
erfassten Systemkomplexität: Mit Modellen lassen sich             liner Müggelsee, werden Schichtungsereignisse auf-
die untersuchten Mechanismen gut kontrollieren, aber              grund von vermehrten Heißwetterperioden im Sommer
sie können die Komplexität von Ökosystemen nicht ab-              länger und häufiger. Einige der gemäßigten polymikti-
bilden. Dagegen zeigen Langzeitdaten die Entwicklung              schen Seen werden zukünftig dimiktisch, wenn diese
von Ökosystemen unter Berücksichtigung der gesamten               Schichtungsereignisse über den gesamten Sommer be-
Komplexität abiotischer und biotischer Interaktionen              stehen bleiben (Kirillin 2010). In saisonal stagnierenden
sowie des „Gedächtnisses“ (z. B. im Sediment deponier-            Seen (dimiktisch und monomiktisch) beginnt die Schich-
te Dauerstadien) eines Sees. Sie sind jedoch begrenzt             tung durch mildere Winter bereits zeitiger im Frühjahr
darin, Wirkungszusammenhänge aufzuzeigen. Groß-                   und kann im Herbst auch später enden. Dies führt zu ei-
skalige Experimente sind zwischen der Theorie und der             ner verlängerten Wachstumsperiode.
Langzeitbeobachtung angesiedelt und liefern ein gutes                 Die Erwärmung im Winter beeinflusst ebenfalls die
Verständnis der zugrundeliegenden Mechanismen. Da-                Durchmischung von Seen (Arvola et al. 2009). Mildere
bei können die Gesamtkomplexität sowie die jahreszeit-            Winter bedeuten weniger Eisbedeckung, was die Durch-
lichen Schwankungen von Ökosystemen jedoch nur ein-               mischung in poly- und dimiktischen Seen fördert. Wenn
geschränkt abgebildet werden.                                     die Eisschicht gänzlich verschwindet, werden dimik-
    Die folgenden Abschnitte fassen Ergebnisse und Pro-           tische Seen zu monomiktischen Seen, da sie sich ohne
gnosen aus den unterschiedlichen Forschungsansätzen               eine Eisbedeckung im Laufe des Winters kontinuierlich
zusammen.                                                         durchmischen (Abb. 1). Anders ist die Situation in sehr

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3. Veränderungen: konkrete Auswirkungen des Klimawandels auf Seen

tiefen monomiktischen Seen, wie zum Beispiel dem Bo-               Wassertemperaturen verursachen einen höheren Sauer-
densee (vgl. Abschnitt 2.1), die nur in sehr kalten und            stoffverbrauch. Durch die längere Schichtung können Zo-
lang anhaltenden Wintern über die gesamte Seefläche                nen entstehen, in denen der Sauerstoff nicht mehr recht-
eine Eisdecke entwickeln. Mildere Winter können ver-               zeitig durch die einsetzende Zirkulation aufgefüllt wird
hindern, dass sich die Seen unter 4 °C abkühlen, wo-               (North et al. 2014). So bilden sich sauerstofffreie (anaero-
durch eine Restschichtung erhalten bleibt. Diese Seen              be) Zonen im Hypolimnion, die zu interner Düngung (vgl.
werden oligomiktisch, das heißt sie durchmischen sich              Abschnitt 3.5; Abb. 2) und damit zu einer Verschlechte-
nicht mehr jährlich bis zum Grund. Insgesamt kann also             rung der Wasserqualität führen können (Carpenter 2003).
davon ausgegangen werden, dass sich durch den Klima-                   Im Winter ist die Situation nicht weniger komplex:
wandel die Schichtungstypen von Seen verändern kön-                Lange Eisbedeckung von relativ flachen Seen verursacht
nen: Polymiktische Seen könnten häufiger dimiktisch                Sauerstoffmangel und „Winterfischsterben“. Werden die
werden, dimiktische Seen eher monomiktisch und mo-                 Winter zukünftig milder, verbessert sich die Sauerstoff-
nomiktische Seen tendenziell oligomiktisch.                        versorgung und Fischsterben werden geringer (Fang &
                                                                   Stefan 2009). Andererseits können solche milden Win-
                                                                   ter in sehr tiefen monomiktischen Seen eine tiefgehen-
3.4 Veränderungen der Sauerstoff­konzentration                     de Durchmischung und damit die Sauerstoffversorgung
Durch die Klimaerwärmung ist zu erwarten, dass die Sau-            im Tiefenwasser verhindern (Rempfer et al. 2010). Dieses
erstoffkonzentration in Seen sinkt. Am besten lässt sich           Sauerstoffdefizit im Tiefenwasser wird dann vom Winter
dies im Spätsommer in den tiefen Wasserschichten von               in den folgenden Sommer übertragen, wodurch sich die
saisonal geschichteten Seen beobachten. Die höheren                sauerstoffarmen Bereiche noch weiter ausbreiten.

                                        Lufttemperatur                      Lufttemperatur

                                              +                                    +

                                                                                                                                 Einzugsgebiet
                                      Wassertemperatur                       Niederschläge
                                              +                                    +
  See

                                    Thermische Schichtung
                                                                                Abfluss
                                              +                                    +

                                                                                                                                                 © Fotos: stock.adobe.com – Maurice Tricatelle; Wolfilser; Design: unicom Werbeagentur GmbH
                                         Anaerobie
                                     (Phosphorfreisetzung)                   Stoffeinträge

                                                 +                               +

  Interne Düngung                                         Nährstoffe                                                 Externe Düngung
                                      +

                                                                                          +

                            Algenbiomasse, insbesondere Cyanophyceenblüten
                                                                                             Konzentration von Sulfat [mg/L]

                                                  Ökologie von Cyanophyceen:
                                                                                                 100 – 250

                                             Anpassung an hohe Wassertemperaturen
                                           Anpassung an stabile thermische Schichtung
                                                                                               Messstellen

                                                     Hoher Nährstoffbedarf
                                              Fähigkeit zur Bildung von Gasvakuolen
                                           Nutzung des hypolimnischen Nährstoffdepots
                                                 Fähigkeit der Stickstofffixierung
                                                    Resistenz gegenüber Fraß

Abb. 2: Gegenüberstellung intern und extern verursachter Düngung von Seen im Kontext der globalen Erwärmung: Die Anreicherung von
Nährstoffen im Wasser befördert das Algenwachstum – und insbesondere die Entwicklung von Cyanophyceen, die aufgrund ihrer Ökologie
zu den Profiteuren der Klimaerwärmung gehören.

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3. Veränderungen: konkrete Auswirkungen des Klimawandels auf Seen

3.5 Interne Düngung und Cyanophyceenblüten                        gere Entwicklung des Zooplanktons und folglich ein frü-
Durch die verlängerte thermische Schichtung sinkt der             heres Auftreten des Klarwasserstadiums. Eine weitere
Sauerstoffgehalt des Tiefenwassers. Infolgedessen wer-            Vorverlagerung von Ereignissen ins Frühjahr wird durch
den durch chemische Prozesse zuvor im Sediment ge-                die Tageslänge, die konstant bleibt und die Lichtverfüg-
bundene Nährstoffe, wie zum Beispiel Phosphor, freige-            barkeit bestimmt, eingeschränkt.
setzt (Wilhelm & Adrian 2008). Diese klimabedingte Ver-
stärkung der internen Düngung von Seen konterkariert
die großen Anstrengungen der vergangenen Jahrzehn-                3.7 Lebensgemeinschaften: Veränderungen der
te, die externe Nährstoffzufuhr und die damit verbunde-           Individuengröße und des Artenspektrums
ne Eutrophierung von Seen zu reduzieren. Unter zukünf-            Klimabedingte Veränderungen in den Seelebensge-
tig wärmeren Klimaszenarien bedeutet dies, dass exter-            meinschaften sind sehr viel systemspezifischer als die
ne Nährstofffrachten noch stärker als bislang verringert          der physikalischen Effekte. Nicht jeder See innerhalb
werden müssten, um den Effekt der internen Düngung                einer Klimazone reagiert biologisch gleich. Zudem sind
zu kompensieren – nur, um den aktuellen Nährstoffsta-             Veränderungen stark vom Tro­phiegrad (Nährstoffge-
tus eines Sees zu erhalten. Jedoch führt die Klimaerwär-          halt) eines Sees abhängig. Eine der wenigen Verände-
mung in nördlichen Regionen zu erhöhten Niederschlä-              rungen, die generalisierbar scheinen, ist neben der Phä-
gen in Form von Regen oder Schnee, wodurch sich der               nologie (vgl. Abschnitt 3.6) die Abnahme der Körpergrö-
externe Zufluss in Seen und damit die Nährstofffrachten           ße von Lebewesen mit zunehmenden Temperaturen.
aus dem Einzugsgebiet zusätzlich erhöhen (Abb. 2).                Dieser Effekt konnte für das Phytoplankton, Zooplank-
    Höhere Wassertemperaturen, eine längere Schich-               ton und für Fischpopulationen gezeigt werden (Adrian
tung und hohe Nährstoffkonzentrationen begünstigen                et al. 2016). Höhere Temperaturen führen in der Regel zu
das Algenwachstum und insbesondere die Entwick-                   höheren Wachstumsraten und damit einhergehend zu
lung von Cyanophyceen, die an diese Bedingungen op-               einer Verringerung der Körpergröße. Dies ist durch die
timal angepasst sind (Wagner & Adrian 2009). Zudem                Temperatur-Größen-Regel beschrieben (Kingsolver &
sind manche Cyanophyceen-Arten in der Lage, Gasva-                Huey 2008). Im Kern besagt diese Regel, dass schnelles
kuolen innerhalb der eigenen Zellen auszubilden, mit              Wachstum auf Kosten der Körpergröße geht, da die Ge-
denen sie ihre vertikale Position in der Wassersäule re-          schlechtsreife früher eintritt.
gulieren können. Dies ermöglicht ihnen, das hypolimni-                Für das Phytoplankton ist ein indirekter Effekt von
sche Nährstoffdepot, das sich während Perioden stabiler           Bedeutung: Höhere Temperaturen befördern das Al-
thermischer Schichtung ansammelt, zu erreichen. Damit             genwachstum, bis es zur Aufzehrung der verfügbaren
umgehen sie den zeitweiligen Nährstoffmangel im Epi-              Nährstoffe kommt. Durch ihr größeres Oberflächen-Vo-
limnion und sind so konkurrenzstärker als die nicht mo-           lumen-Verhältnis können kleine Algenzellen effizienter
bilen Arten. Ein zusätzlicher Vorteil von Cyanophyceen            Nährstoffe aufnehmen und sind in der Lage, größere Al-
ist deren Möglichkeit, atmosphärischen Stickstoff (N2)            genarten zu verdrängen.
zu nutzen. Aufgrund ihrer oftmals fädigen Struktur und                Lebensgemeinschaften verändern sich zudem durch
der Tendenz, Kolonien zu bilden, entziehen sie sich zu-           Migration von Süden nach Norden. Arten, die aus dem
dem weitgehend dem Fraßdruck durch das Zooplankton.               mediterranen Raum stammen, breiten sich zum Beispiel
Cyanophyceen können so insbesondere an der Wasser-                zunehmend nach Norden aus. Kaltwasserfische wie See-
oberfläche dichte Blütenteppiche bilden, die auch den             saiblinge, Coregonen und Stinte, die nur eine geringe
Freizeitwert eines Sees als Badegewässer erheblich ein-           Toleranz bei Temperaturveränderungen haben (steno-
schränken (Abb. 2).                                               therme Arten), verlieren in vormals kühleren Regionen
                                                                  ihren Lebensraum. Arten wie Zander oder Brassen (Blei,
                                                                  Brachse), die größere Temperaturschwankungen tolerie-
3.6 Phänologie: Verschiebung                                      ren (eurytherme Arten), nehmen hingegen zu. Generell
jahreszeitlicher Ereignisse                                       ist davon auszugehen, dass sich wärmeliebende Arten
Die am weitesten verbreiteten klimabedingten Verän-               weiter ausbreiten und dadurch kälteliebende verdrän-
derungen in Ökosystemen finden sich in der Phänologie,            gen (für eine ausführliche Zusammenfassung siehe Jep-
dem jahreszeitlichen Ablauf bestimmter saisonaler Er-             pesen et al. 2012, Adrian et al. 2016).
eignisse. Das Zufrieren von Seen erfolgt später, der Eis-             Die erwärmungsbedingte Eutrophierung (Anreiche-
bruch hingegen früher. Die frühere Eisschmelze führt              rung von Nährstoffen) von Seen schränkt die Lichtver-
zu verbesserten Lichtverhältnissen im Wasser, wodurch             fügbarkeit ein. Das wirkt sich negativ auf größere Un-
auch die Frühjahrsalgenblüte früher erreicht wird. Er-            terwasserpflanzen (submerse Makrophyten) aus. Diese
höhte Wassertemperaturen fördern zeitgleich eine zeiti-           Unterwasserpflanzen halten normalerweise das See-

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3. Veränderungen: konkrete Auswirkungen des Klimawandels auf Seen

wasser klar, verhindern das übermäßige Wachstum der               die Primärproduktion, sondern erhöht auch die Stagna-
Cyanophyceen und sind Kinderstube, Rückzugsort und                tionsdauer und verringert die Tiefenwassertemperatur
Speisekammer für Fische, Wasservögel und Insekten.                in saisonal geschichteten Seen (Snucins & Gunn 2000,
Durch das mangelnde Licht können sie jedoch nur noch              Shatwell et al. 2016).
schlecht gedeihen. So dominiert das Phytophlankton
und damit auch der eher trübe Zustand eines Sees (Jep-
pesen et al. 2003, van Donk et al. 2003, Mooij et al. 2009).      3.9 Bedeutung von Extremwetterereignissen
Milde Winter mit wenig oder fehlender Eisbedeckung                und Überschreitung kritischer Grenzwerte
können auch zu einer veränderten Artenzusammenset-                Die Klimaforschung geht davon aus, dass Extremwet-
zung der Unterwasserpflanzen führen. Immergrüne frei-             terereignisse zunehmen. Relevant für Seen sind sehr
schwimmende Arten, die überwintern, können bei hö-                milde Winter, sommerliche Hitzewellen und extreme
heren Wassertemperaturen einen Vorteil gegenüber Ar-              Sturm- oder Regenereignisse. Unter zukünftigen Kli-
ten haben, die im Winter vollends zurückgehen (Netten             maszenarien wird es mehr eisfreie Winter geben (Adri-
et al. 2011). Nicht heimische Arten, wie zum Beispiel der         an et al. 2016). Eisfreie Winter führen zu höheren Sau-
freischwimmende Gemeine Schwimmfarn (Salvinia na-                 erstoffkonzentrationen, da die kontinuierliche Durch-
tans) und die Gewöhnliche Wasserschraube (Vallisneria             mischung des Wasserkörpers der Sauerstoffzehrung
spiralis) sind in der Lage, heimische Arten in milden Win-        im Tiefenwasser entgegenwirkt. Die Lichtverhältnisse
tern zu verdrängen (Hussner et al. 2014). Die vorliegen-          und die Mischungsverhältnisse im Winter verändern
den empirische Studien lassen bisher nur begrenzt wei-            sich und es entwickelt sich eine an diese Bedingungen
tere Aussagen zur klimawandelbedingten Dynamik und                angepasste Phytoplanktongemeinschaft. Das Größen-
zur Zusammensetzung der Makrophytengemeinschaft                   spektrum kann sich hin zu etwas größeren Zellen und
zu (Adrian et al. 2016).                                          nicht mobilen Spezies verschieben (Özkundakzi et al.
                                                                  2016), die durch die Turbulenz des Wasserkörpers bei
                                                                  fehlender Eisbedeckung in der Schwebe gehalten wer-
3.8 Wechselwirkungen mit dem                                      den. Größere Algenzellen haben im Winter bei fehlen-
Einzugsgebiet von Seen                                            der Nährstofflimitation keinen Konkurrenznachteil ge-
Seen sammeln und speichern das Wasser aus ihren Ein-              genüber kleineren Spezies.
zugsgebieten. Sie reagieren daher sehr empfindlich auf                Sommerliche Hitzewellen können Cyanophyceen-
Veränderungen in ihrem Umland. Dabei sind Seen in                 blüten infolge hoher Wassertemperaturen und inten-
ihren Reaktionen oftmals sehr individuell. Die größten            siver thermischer Schichtung begünstigen (vgl. Ab-
Auswirkungen sind wahrscheinlich auf regional unter-              schnitt 3.5 und Abb. 2). Dies ist jedoch sehr von dem
schiedliche Niederschlagsschwankungen zurückzu-                   zeitlichen Verlauf der Erwärmung und dem Überschrei-
führen, die stark durch Wetterextreme wie Dürren und              ten kritischer Grenzwerte in der Länge der thermischen
Überschwemmungen (vgl. Abschnitt 3.5) überlagert                  Schichtung abhängig. Anhaltende thermische Schich-
sind. Durch diese ändert sich die Wasserrückhaltezeit im          tung und hohe Oberflächentemperaturen können zu
Gewässer sowie die externe Nährstoff- und Sediment-               sommerlichen Fischsterben als Folge von Temperatur-
zufuhr (Abb. 2). Im Zuge der Klimaerwärmung erfolgt               stress in den oberen Wasserschichten und Sauerstoff-
somit neben der internen Düngung auch eine stärkere               mangel in den tieferen Wasserschichten führen (Kan-
externe Düngung. Hervorzuheben ist eine erhöhte Zu-               gur et al. 2013).
fuhr von gelöstem organischem Kohlenstoff (DOC) aus                   Sturmereignisse können zu einer Verlagerung der
dem Einzugsgebiet, speziell als Folge milder und nieder-          Thermokline (Übergang von Wasserschichten unter-
schlagsreicher Winter.                                            schiedlicher Temperatur) in die Tiefe führen. Damit
    Sind diese Einträge reich an Huminstoffen (gelös-             kommt es zu einer größeren Verteilung des hypolimni-
te Substanzen aus dem Boden), kann es zur sogenann-               schen Nähstoffdepots oder von Planktongemeinschaf-
ten Dystrophierung (engl. Browning oder Brownifica-               ten, die vorher innerhalb der Thermokline konzentriert
tion) kommen: das Wasser färbt sich braun. In diesem              waren (Tiefenchlorophyllmaximum), in das Epilimnion.
Fall verschlechtern sich die Lichtverhältnisse, was die           Als Folge konnte ein zunehmendes Algenwachstum be-
Algen- und Makrophytenentwicklung einschränkt. So                 obachtet werden (Kasprzak et al. 2017, Giling et al. 2017).
können sich die erhöhte Nährstoffzufuhr einerseits und                Starkregenereignisse haben erhöhte Stoffeinträge
die Verschlechterung der Lichtverhältnisse durch Brow-            von Nährstoffen und organischem Kohlenstoff aus dem
ning andererseits in ihrer Auswirkung auf die Algenent-           Einzugsgebiet in Seen zur Folge. Diese Einträge können
wicklung gegenseitig abdämpfen. Browning beeinflusst              die Algenentwicklung und bakterielle Aktivität beför-
nicht nur die Lichtverhältnisse unter Wasser und damit            dern (vgl. Abschnitt 3.8 und Abb. 2).

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4. Fazit und Zukunftsprognose

4. Fazit und Zukunftsprognose

Seen sind durch die Klimaerwärmung weltweit wärmer                ten, Artenvielfalt und Nahrungsnetze sind bisher nur
geworden. Das von der internationalen Gemeinschaft                mit sehr geringer Zuverlässigkeit vorherzusagen. Allge-
angestrebte Ziel, die Erderwärmung auf unter 2 °C zu be-          mein feststellen lässt sich jedoch die Tendenz, dass Or-
grenzen, wurde bei den Temperaturen des Oberflächen-              ganismen kleiner werden, sich wärmetolerante Arten
wassers vieler Seen in den vergangenen Jahrzehnten in             verstärkt nach Norden ausbreiten und kälteliebende Ar-
den Sommermonaten bereits erreicht oder sogar über-               ten zurückgedrängt werden. Generell gilt, dass neben
schritten. Die Folgen dieser Erwärmung könnten sich               der Klimaerwärmung das Auftreten zusätzlicher Stres-
in der Zukunft gravierend auf Schutz und Nutzung von              soren wie Eutrophierung (bzgl. der Wasserqualität) oder
Seen auswirken.                                                   verstärkte Wassernutzung und -verknappung (Wasser-
    Klimabedingte Veränderungen lassen sich vor allem             menge) eine Zuordnung der direkt durch den Klimawan-
bei den physikalischen, direkten Effekten (vgl. Abschnit-         del verursachten Effekte erschwert.
te 2.1 und 3.2) mit hoher Sicherheit prognostizieren. Auf             Dies bedeutet, dass das Gewässermanagement im
chemischer und speziell auf biologischer Ebene ist eine           Rahmen der Klimafolgenanpassung mit neuen Unsicher-
Vorhersage dagegen deutlich schwieriger. Sicher sind              heiten und Herausforderungen konfrontiert ist. Klima-
steigende Wassertemperaturen, verändertes Schich-                 folgenforschung und langfristige Monitoringprogramme
tungsverhalten und reduzierte Sauerstoffkonzentratio-             können dabei helfen, tragfähige Anpassungsstrategien zu
nen im Sommer. Dadurch nimmt auch die interne Dün-                entwickeln. Dabei spielen die Szenarienentwicklung und
gung in Seen mit nährstoffreichen Sedimenten zu. Sehr             der Einsatz ökologischer Modelle eine wichtige Rolle. Ein
gut vorhersagbar sind Veränderungen in der Phänolo-               ganzheitliches, flexibles und langfristiges Gewässerma-
gie, den zeitlichen Mustern saisonaler Ereignisse (vgl.           nagement, das die Dynamik ganzer Einzugsgebiete (vgl.
Abschnitt 3.6). Für die Prognose von Stoffeinträgen, die          Abschnitt 3.8) über Landesgrenzen hinweg betrachtet, ist
an die Hydrologie und die Besonderheiten des Einzugs-             dringlicher geworden. Dies bedeutet jedoch auch, dass die
gebietes von Seen gekoppelt sind, besteht eine höhere             Komplexität und der Koordinationsbedarf der politischen
Unsicherheit. Auswirkungen auf Lebensgemeinschaf-                 Entscheidungen im föderalen System zunehmen werden.

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Der Müggelsee im Südosten Berlins und ist ein polymiktischer, eutropher Flach-
see und Gegenstand langjähriger Forschung am IGB.
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Über diese Publikation
„Forschen für die Zukunft unserer Gewässer“ ist der Leitspruch des IGB. Die objektive und auf
wissenschaftlicher Evidenz basierende Beratung von gesellschaftlichen Akteuren aus Politik, Be-
hörden, Verbänden, Wirtschaft, Bildung und interessierter Öffentlichkeit gehört zu den zentra-
len Aufgaben des Instituts. Im Rahmen der eigenen Schriftenreihe IGB Outlines fasst das IGB
gesellschaftsrelevante oder anwendungsorientierte Forschungsergebnisse für verschiedene
Zielgruppen in unterschiedlichen Formaten zusammen. Für die Inhalte der Beiträge sind die je-
weiligen Autoren verantwortlich. Das hier vorliegende IGB Dossier führt in die Grundlagen der
physikalischen, chemischen und biologischen Prozesse in Seen ein und erläutert, wie sich der Kli-
mawandel künftig auf Seen auswirken könnte.

Eine Weiterverbreitung des zusammenhängenden Gesamtdokumentes mit Hinweis auf den Ur-
heber ist grundsätzlich gestattet. Sollten Sie aus dem Dokument im Rahmen anderer Publikatio-
nen und Formate zitieren, freuen wir uns über einen Hinweis.

Zitationsvorschlag
IGB (Hrsg.) (2018): IGB Dossier. Seen im Klimawandel. Diagnosen und Prognosen aus der Lang-
zeitforschung. Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, Berlin.

Stand: April 2018

DOI: 10.4126/FRL01-006407562

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