SEPTEMBER BIS 20. OKTOBER 2021 JAN TROELL & BO WIDERBERG COLLECTION ON SCREEN - AMOS-VOGEL-ATLAS: Viva Zapatista! Neorealismo Positionen ...

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SEPTEMBER BIS 20. OKTOBER 2021 JAN TROELL & BO WIDERBERG COLLECTION ON SCREEN - AMOS-VOGEL-ATLAS: Viva Zapatista! Neorealismo Positionen ...
3. SEPTEMBER BIS 20. OKTOBER 2021
JAN TROELL & BO WIDERBERG
COLLECTION ON SCREEN
Neorealismo
Positionen. Renate Bertlmann, Tatjana Ivančić, Maria Lassnig
ANNIK LEROY. Utopie und Entzauberung
AMOS-VOGEL-ATLAS: Viva Zapatista!
www.filmmuseum.at
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Willkommen im
Österreichischen Filmmuseum
Das Österreichische Filmmuseum widmet sich seit 1964 der Samm-
lung, Bewahrung, Erforschung und Vermittlung des Mediums Film in
all seinen Aspekten. Das beinhaltet ganz zentral die Ausstellung und
Vermittlung von Film – als Kunstform, Kulturtechnik und Zeitdokument
– in unserem Kinosaal, dem »Unsichtbaren Kino« in der Albertina.
    Wir zeigen Werke aus der Geschichte des Films grundsätzlich im
jeweiligen Originalformat und in den weltweit bestmöglich erhalte-
nen Filmkopien (35mm bzw. 16mm). Werke, die ursprünglich auf
Video bzw. digital hergestellt oder präsentiert wurden, werden digi-
tal projiziert. In seltenen Fällen präsentieren wir auf Film hergestellte
Werke digital: Dies geschieht jeweils aus kuratorischen oder konser-
vatorischen Gründen und wird speziell ausgewiesen.
    Filme werden bei uns grundsätzlich in ihrer originalen Sprach-
fassung gezeigt und gegebenenfalls untertitelt. Für unsere inter-
nationalen Gäste weisen wir Vorführungen in englischer Sprache
bzw. Untertitelfassung gesondert aus (siehe Legende S. 2).
Screenings in English or with English subtitles are marked with this symbol ★

INHALT
Allgemeine Informationen 2
Jan Troell & Bo Widerberg 3
Amos-Vogel-Atlas Kapitel 5: Viva Zapatista! 29
Collection on Screen: Neorealismo 36
Collection on Screen: Positionen. Renate Bertlmann, Tatjana Ivančić, Maria Lassnig 44
Felix Salten und das Kino 50
Lange Nacht der Museen 53
Annik Leroy. Utopie und Entzauberung 54
Zyklisches Programm. Was ist Film 1–14 58
Schule im Kino 64
Filmmuseum on Location. Blind Husbands im Wiener Konzerthaus 65
Spielplan. Alle Filme von 3. September bis 20. Oktober 2021 66
Dank / Impressum 71
Innerhalb eines Themas sind die Filme in der Reihenfolge
ihrer Programmierung geordnet.
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ALLGEMEINE INFORMATIONEN
Häufig gestellte Fragen zu den Corona-Maßnahmen finden Sie hier:
www.filmmuseum.at/besuch/covid-19_massnahmen_faq
SPIELORT/VEREINSSITZ 1010 Wien, Augustinerstraße 1
EINTRITTSKARTEN
Kassa: geöffnet ab einer Stunde vor Beginn der ersten Vorführung
Eintrittskarte für Mitglieder sowie Kinder und Jugendliche bis 18: 6 Euro
Ermäßigung für Studierende mit Mitgliedschaft: 5 Euro bzw.
3 Euro für regelmäßige Programme (Collection on Screen, Was ist Film, Amos-Vogel-Atlas)
Zehnerblock (für Mitglieder): 45 Euro
Eintrittskarte ohne Mitgliedschaft: 10,50 Euro
Herbstmitgliedschaft: 9,50 Euro
Herbstpartnermitgliedschaft: 15,00 Euro
Informationen zur Fördernden Mitgliedschaft finden Sie auf Seite 71
und auf unserer Website www.filmmuseum.at
RESERVIERUNGEN T +43/1/533 70 54 oder www.filmmuseum.at
Karten können ab dem 27. August reserviert werden. Reservierte Karten müssen
spätestens 30 Minuten vor Beginn der jeweiligen Vorstellung abgeholt werden.
BÜRO/BIBLIOTHEK 1010 Wien, Hanuschgasse 3, Stiege 2, 1. Stock
Bibliothek: Benutzung nur mit Voranmeldung: e.streit@filmmuseum.at;
Katalog online unter: www.filmmuseum.at/bibliothek/online-recherche
Büro: Mo bis Do 10–18 Uhr, Fr 10–13 Uhr, T 01/533 70 54, E-Mail office@filmmuseum.at
SAMMLUNGEN 1190 Wien, Heiligenstädter Straße 175 (Hof), T 01/533 70 54 -232
FILMBAR IM FILMMUSEUM Täglich von 12 bis 23 Uhr

ABKÜRZUNGEN
R Regie B Drehbuch K Kamera S Schnitt M Musik D Darsteller*innen
UT Untertitel ZT Zwischentitel
 • Veranstaltungen mit Gästen oder Einführungen ★ English language or subtitles

TEXTE VON
Petra Belc, Patrick Holzapfel, Christoph Huber, Michael Loebenstein, Jurij Meden,
Ivana Miloš, Olaf Möller, Andrea Pollach, Harry Tomicek

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9. SEPTEMBER BIS 20. OKTOBER 2021

                         Jan Troell & Bo Widerberg
SWEDISH FILM INSTITUTE

                         Drei Jahre nach der kompletten Werkschau zu Ingmar Bergman wid- Elvira Madigan
                         met sich das Österreichische Filmmuseum mit einer Doppelretro- (1967, Bo
                                                                                                   Widerberg)
                         spektive der nächsten Generation schwedischer Meisterregisseure. Bo
                         Widerberg (1930–97) und Jan Troell (*1931) stehen für den Aufbruch
                         Schwedens in die Kinomoderne. Der jung etablierte Autor Widerberg
                         hatte 1962 mit aufsehenerregender Kritik an Ingmar Bergman und
                         dessen Generation eine Abkehr vom Alten und die Hinwendung zu re-
                         alitätsnahen und zeitgenössischen Stoffen parallel zur französischen
                         Nouvelle Vague gefordert. Als Regisseur gelang ihm mit preisgekrön-
                         ten Filmen wie Barnvagnen (Kinderwagen, 1963) die sofortige Um-
                         setzung seiner Thesen, wobei er anfangs mit dem vormaligen Volks-
                         schullehrer und autodidaktischen Kameravirtuosen Troell zusammen-
                         arbeitete, der sich schnell selbst als Filmemacher etablierte. Binnen we-
                         niger Jahre reüssierten sie unabhängig voneinander auf internationa-
                         len Festivals und schufen von Kritik und Publikum akklamierte Klassiker.

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Welterfolgen wie Widerbergs lyrischer Liebesgeschichte Elvira
Madigan (1967) oder Troells zweiteiliger Auswanderer-Saga Utvan-
drarna (Emigranten, 1971) und Nybyggarna (Das neue Land, 1972)
folgten Einladungen nach Übersee. Widerbergs Arbeitskampf-Bal-
lade Joe Hill (1971) und Troells intimer Western Zandy’s Bride (1974,
mit Gene Hackman) sind längst als Ausnahmefilme von »New Holly-
wood« wiederzuentdecken, doch beide Regisseure kehrten letztlich
unbefriedigt nach Schweden zurück. Sie realisierten ihre sehr persön-
lichen Vorstellungen eines populären wie engagierten Kinos durch
vielschichtige Chroniken ihrer Heimat, die bei allen spezifischen natio-
nalen Qualitäten doch universale Wirkung entfalten.
   Trotz ihrer sehr unterschiedlichen Handschriften eint beide eine
Vorliebe für ungewöhnliche Literaturverfilmungen und eine Haltung:
kritischer Humanismus. Dadurch werden ihre Gestaltungen von pa-
ckenden Menschenschicksalen und so reichhaltigen wie ambivalen-
ten Gesellschaftsbildern zur großen Auseinandersetzung mit den
Entwicklungen der Moderne: Schweden als sozialdemokratischer
Wohlfahrtsstaat, der sich den Auswirkungen des weltweiten Sieges-
zuges des Kapitalismus dennoch nicht entziehen konnte, erwies sich
als idealer Brennpunkt für die Beschäftigung mit den widerstreiten-
den Kräften, die das 20. Jahrhundert prägten.
   Widerberg verblüffte dabei auch durch seine Vielseitigkeit: In der
Dramatisierung eines Wendepunkts der schwedischen Geschichte
(Ådalen 31, 1969) fand er ebenso Stoff für seine Studien menschlicher
und sozialer Abhängigkeiten wie in der entwaffnenden Fußball-Kin-
derkomödie Fimpen (1974). In seine Adaptionen von klassischer (Knut
Hamsun: Victoria, 1979) oder neuerer (Torgny Lindgren: Ormens väg
på hälleberget / Der Weg der Schlange auf dem Felsen, 1986) Weltlite-
ratur fügt sich nahtlos die kongeniale Umsetzung eines skandinavi-
schen Krimi-Meisterwerks von Sjöwall/Wahlöö, mit dem Action-Furioso
Mannen på taket (Der Mann auf dem Dach, 1976), das zugleich als
eine der härtesten Bilanzen des sozialdemokratischen Scheiterns
gelten muss.
   Wo Widerberg stilistisch immer wieder neue Herausforderungen
suchte, etablierte Troell – meist in Personalunion als Regisseur, (Ko-)
Autor, Kameramann und Schnittmeister – früh eine Form, bei der sich
mit »fotografischem« Auge präzis eingefangene Details zum großen
Mosaik fügten: Schon sein Langfilmdebüt Här har du ditt liv (Hier hast
du dein Leben, 1966) – wie Widerbergs Kvarteret Korpen (Das Raben-

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                                                                                                   luftfärd (1982 ,
                                                                                                   Jan Troell)

                         viertel, 1963) stets ganz vorne dabei bei Umfragen nach dem besten
                         schwedischen Film – formt die autobiografische Tetralogie des späte-
                         ren Literaturnobelpreisträgers Eyvind Johnson zu einem dreistündi-
                         gen filmischen Entwicklungsroman, der zugleich wie eine Serie wun-
                         derbarer Kurzfilme wirkt. Ähnliche Meisterleistungen gelangen ihm
                         nicht nur mit seinem großen Auswanderer-Diptychon, sondern auch
                         mit seinen Studien einer gescheiterten Polarexpedition in Ingenjör
                         Andrées luftfärd (Der Flug des Adlers, 1982), den von seiner Bewunde-
                         rung für die Nazis überschatteten späten Jahren des Literaturnobel-
                         preisträgers Hamsun (1996) oder der Biografie einer Arbeiterfrau, die
                         sich Anfang des 20. Jahrhunderts als Fotografin durchsetzt (Maria
                         Larsson eviga ögonblick / Die ewigen Momente der Maria Larsson,           Alle Kopien dieser
                         2008).                                                                    Retrospektive
                            Gleichzeitig war Troell aber auch mühelos dazu imstande, seine         (außer Zandy’s
                                                                                                   Bride) stammen
                         komplexe Weltsicht durch dokumentarische Formen auszudrücken,             aus der Sammlung
                         beispielhaft in seinem wohl persönlichsten Werk Sagolandet (Das           des SFI (Swedish
                         Märchenland, 1988), oder sie in »kleinen« Geschichten zu verdichten.      Film Institute).
                         Einen Film wie Ole dole doff (Raus bist du, 1968), der die Konflikte       Jan Troell wird
                                                                                                   am 9. und 10. Sep-
                         seiner Zeit in der Erzählung von einem überforderten Pädagogen
                                                                                                   tember im Film-
                         spiegelt, konnte in dieser Authentizität wohl nur ein Ex-Lehrer machen,   museum zu Gast
                         gleichzeitig verrät das Fehlen jeglicher Didaktik den neugierigen         sein, Jon Weng-
                         Blick eines besonderen Künstlers – auch darin treffen sich Widerberg      ström vom Swedish
                                                                                                   Film Institute
                         und Troell: Bei aller Ambivalenz vermitteln sie stets mit Leidenschaft    von 9. bis 11. Sep-
                         und Klarheit die Intensität des Lebens. (Christoph Huber)                 tember.

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                         Pojken och draken (Der Junge und der Drachen)
                         R, B, S: Jan Troell, Bo Widerberg K: Jan Troell D: Ale Möller.
                         SE, 1962, DCP (von 16mm), sw, 30 min. Schwedisch mit engl. UT ★
                         Der jung als Romancier erfolgreiche Bo Widerberg publiziert 1962         DONNERSTAG
                         ein Buch über den schwedischen Film, in dem er parallel zu François      9.9. / 18.30
                         Truffauts Abrechnung mit dem etablierten französischen Kino die          1 Euro Solidar-
                         Altvorderen, insbesondere Ingmar Bergman, attackiert und eine            beitrag für Aktion
                                                                                                  Kulturpass
                         »Neue Welle« fordert. Er kann seine Thesen erfolgreich umsetzen, zu-
                         erst indem noch im selben Jahr diese bemerkenswerte Fingerübung
                         für zwei Weltkarrieren entsteht, die bereits viele spätere Anliegen      MITTWOCH
                         enthält: Widerbergs Partner dabei ist Jan Troell, ein Lehrer, der sich   6.10. / 21.00
                         nebenbei an vielversprechenden Kurzfilmen versucht hat und vor            Als Vorfilm zu
                         allem auch als Kameramann außerordentliches Talent zeigt. Das Sujet      Kvarteret Korpen
                                                                                                  (Das Raben-
                         klingt nach wenig: Ein Junge verbringt seinen Geburtstag anders als      viertel)
                         erwartet. Doch dahinter offenbaren die beiden Filmemacher einen
                         authentischen Blick auf vernachlässigte Lebenswirklichkeiten und
                         eine Sensibilität für menschliche Gefühle, die schon Großes ahnen
                         lässt. (C. H.)

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SEPTEMBER BIS 20. OKTOBER 2021 JAN TROELL & BO WIDERBERG COLLECTION ON SCREEN - AMOS-VOGEL-ATLAS: Viva Zapatista! Neorealismo Positionen ...
Här har du ditt liv (Hier hast du dein Leben)
R, K, S: Jan Troell B: Bengt Forslund, Jan Troell nach der Tetralogie Romanen
om Olof von Eyvind Johnson M: Erik Nordgren, Jack Gill, Andrew Walter
D: Eddie Axberg, Gudrun Brost, Bo Wahlström, Rick Axberg, Max von Sydow.
SE, 1966, 35mm, sw, 168 min. Schwedisch mit engl. UT ★
Anfang des 20. Jahrhunderts in einem armen Gebiet Nordschwedens:                    DONNERSTAG
Der 14-jährige Olof verlässt das Haus seiner Pflegeeltern und wird Teil              9.9. / 19.30
des stetig wachsenden Proletariats. Er arbeitet im Wald, in der Säge-                • In Anwesen-
mühle, im (Wander-)Kino und bei der Eisenbahn, trifft auf unter-                    heit von
                                                                                    Jan Troell und
schiedlichste Arbeiter*innen aller Altersstufen und hört ihren Erzäh-               Jon Wengström
lungen zu. Dabei entwickelt er Interesse an Politik und Philosophie:                (Swedish Film
Nachdem er der Gewerkschaftsunion beigetreten ist, macht er sich                    Institute)
die Grundprinzipien des Sozialismus zu eigen – den Glauben, dass                    FREITAG
eine bessere Welt für die ausgebeuteten Massen möglich ist. Hier hat                15.10. / 20.00
er sein Leben: Die Welt liegt vor ihm und wartet darauf, erobert zu
werden. Jan Troells poetisches Meisterwerk nach den autobiografi-
schen Romanen des späteren Literaturnobelpreisträgers Eyvind
Johnson ist ein persönliches und nationales politisches Manifest: ein
episches Porträt des Erwachsenwerdens und Erwachens des Protago-
nisten und des ganzen Landes. (J. M.)

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Barnvagnen (Kinderwagen)
R, B: Bo Widerberg K: Jan Troell S: Wic’ Kjellin M: Jan Johansson D: Inger Taube,
Thommy Berggren, Lars Passgård, Ulla Akselson, Nina Widerberg.
SE, 1963, 35mm, sw, 95 min. Schwedisch mit engl. UT ★
Die 18-jährige Fabriksarbeiterin Britt lebt bei den Eltern, treibt durchs               FREITAG
Leben und macht Zufallsbekanntschaften: Bürgersohn Björn (Wider-                        10.9. / 18.30
bergs Alter-Ego-Akteur Thommy Berggren) findet Schweden rück-                             • In Anwesen-
ständig und will nach Paris, vom Rocksänger Robban wird sie schwan-                     heit von
                                                                                        Jan Troell und
ger, was Britt dazu zwingt, ihre unbefriedigende Existenz neu aufzu-                    Jon Wengström
bauen. Bo Widerbergs Langfilmdebüt ist die fulminante Umsetzung                          (Swedish Film
seiner Forderung nach einem Umbruch im schwedischen Kino, paral-                        Institute)
lel zur französischen Nouvelle Vague, der sein Film stilistisch in nichts               MITTWOCH
nachsteht, während er sie sozial progressiv überholt. Weg von reali-                    6.10. / 18.30
tätsfernen Klischees und Sinnschwere à la Ingmar Bergman zum
leichtfüßigen Umgang mit Lebenswirklichkeit und Jugend, kongenial
fotografiert von Jan Troell. Die Direktheit ist entwaffnend: Szenen
wie die Vivaldi-Entdeckung in der Bibliothek und der Kronleuchter-
Moment wurden zu Instant-Klassikern. (C. H.)

Ingenjör Andrées luftfärd (Der Flug des Adlers)
R, K, S: Jan Troell B: Jan Troell, Klaus Rifbjerg, Ian Rakoff, Georg Oddner nach dem
Tatsachenroman von Per Olof Sundmann M: Carl-Axel Dominique, Hans-Erik
Philip D: Max von Sydow, Sverre Anker Ousdal, Göran Stangertz, Eva von Hanno.
SE, 1982, DCP (von 35mm), Farbe, 141 min. Schwedisch mit engl. UT ★
Der schwedische Zivilingenieur Salomon August Andrée versuchte                          FREITAG
im 19. Jahrhundert als erster an den Nordpol zu gelangen – mit einem                    10.9. / 21.00
Wasserstoffballon, für dessen Steuerung er ein eigenes Schlepp-                          • In Anwesen-
leinensystem entwickelt hatte. 1897 flog er mit zwei Begleitern los –                    heit von
                                                                                        Jan Troell und
und verschwand. Erst 1930 wurden die Leichen des Trios, ihre Auf-                       Jon Wengström
zeichnungen und Fotografien gefunden, wodurch sich ein Großteil                          (Swedish Film
des Unternehmens rekonstruieren ließ. Jan Troells Verfilmung kombi-                      Institute)
niert minutiöse Recherche und plausible fiktionale Ergänzungen zu                        MITTWOCH
einer oft gerade in ihrer unbarmherzigen Nüchternheit packenden                         13.10. / 20.30
Rekonstruktion der Expedition – inklusive der propagandistischen
Verblendungen, die sie antrieb, und der menschlichen Verfehlungen,
die ihr Scheitern besiegelte. Das Resultat ist einer der großen Aben-
teuerfilme, weniger durch die Konfrontation mit unfassbaren Natur-
gewalten, die außen toben, als durch die mitfühlende Erforschung
des Unfassbarsten: dem Innenleben des Menschen. (C. H.)

SEPTEMBER / OKTOBER 2021 Jan Troell & Bo Widerberg                                  8
SEPTEMBER BIS 20. OKTOBER 2021 JAN TROELL & BO WIDERBERG COLLECTION ON SCREEN - AMOS-VOGEL-ATLAS: Viva Zapatista! Neorealismo Positionen ...
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                         Joe Hill
                         R, B, S: Bo Widerberg K: Petter Davidson, Jörgen Persson M: Stefan Grossman
                         D: Thommy Berggren, Anja Schmidt, Kelvin Malave, Evert Anderson.
                         US/SE, 1971, DCP (von 35mm), Farbe, 118 min. Englisch ★
                         Dank des Riesenerfolgs von Elvira Madigan zählte Bo Widerberg zu                  SAMSTAG
                         den Europäern, die im Zuge von »New Hollywood« als prospektive Er-                11.9. / 18.30
                         folgsautorenfilmer von den großen Studios umworben wurden. Eine                     • Einführung
                         Adaption von The Great Gatsby war im Gespräch, doch Widerberg                     von Jon
                                                                                                           Wengström
                         entschied sich mit typischem politischem Kampfgeist für eine Film-                (Swedish Film
                         biografie des schwedischstämmigen Arbeiterbewegungs-Aktivisten                     Institute)
                         und Singer-Songwriters Joe Hill (verkörpert von seinem Stamm-
                         schauspieler Thommy Berggren). Hill war als Gewerkschafts-Agitator                FREITAG
                         den Mächtigen ein Dorn im Auge und wurde schließlich nach einem                   1.10. / 18.30
                         dubiosen Mordprozess, der sich zum Justizskandal auswuchs, 1915
                         hingerichtet. Legendär wurden nicht nur seine letzten Worte: »Don’t
                         mourn – organize!« Widerberg schlägt einen angemessen balladen-
                         haften Ton an, um den Mythos gleichermaßen zu unterspielen wie zu
                         untermauern: wie Troells Zandy’s Bride ein ganz eigensinniger New-
                         Hollywood-Beitrag, der auch wegen Rechteproblemen merkwürdig
                         vernachlässigt geblieben ist. (C. H.)

                         SEPTEMBER / OKTOBER 2021 Jan Troell & Bo Widerberg                            9
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                         Dom över död man (Das letzte Urteil)
                         R: Jan Troell B: Jan Troell, Klaus Rifbjerg K: Mischa Gavrjusjov, Jan Troell
                         S: Ulrika Rang, Jan Troell M: Gaute Storaas D: Jesper Christensen, Pernilla August,
                         Björn Granath, Ulla Skoog. SE, 2012, DCP, sw, 126 min. Schwedisch mit engl. UT ★
                         Troells jüngster Spielfilm handelt von einer der dunkelsten Epochen in SAMSTAG
                         der schwedischen Geschichte des 20. Jahrhunderts: der »Neutralität« 11.9. / 21.00
                         im Zweiten Weltkrieg, was soviel hieß wie die Pflege von freundschaft-
                         lichen Beziehungen zu Nazi-Deutschland, das von Schweden großzü-
                         gig mit Rohmaterialen für den Krieg versorgt wurde. Der Zeitungsre-
                         dakteur Torgny Segerstedt zählte zu den wenigen Schweden, die sich
                         ab dessen Machtergreifung vehement und öffentlich gegen Hitler
                         aussprachen. Segerstedts einsamer politischer Kampf wird von Troell
                         mit dem chaotischen Privatleben des Journalisten kontrastiert, das
                         von drei außergewöhnlichen Frauen geprägt ist – und zwar über den
                         Tod hinaus: seiner Mutter, seiner Frau und seiner Geliebten, die zu-
                         gleich die Gattin seines besten Freundes ist. In Kombination mit
                         Wochenschau-Aufnahmen aus der Ära gestaltet Troell sein Kammer-
                         spiel als gemessenes Monument, um eine ethische Haltung zu würdi-
                         gen – darin zeigt sich Dom över död man als perfektes Gegenstück zu
                         Hamsun, wo Troell eine ganz andere Haltung im Angesicht desselben
                         politischen Drucks untersuchte. (J. M.)

                         SEPTEMBER / OKTOBER 2021 Jan Troell & Bo Widerberg                               10
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                         Kvarteret Korpen (Das Rabenviertel)
                         R, B: Bo Widerberg K: Jan Lindeström S: Wic’ Kjellin M: Giuseppe Torelli
                         D: Thommy Berggren, Keve Hjelm, Emy Storm, Christina Frambäck, Nina
                         Widerberg. SE, 1963, 35mm und DCP, sw, 100 min. Schwedisch mit engl. UT ★
                         Im Rabenviertel von Malmö leben kinderreiche Arbeiterfamilien in                 MONTAG
                         Armut. Einer davon entstammt der angehende Schriftsteller Anders                 13.9. / 18.30
                         (Thommy Berggren), dessen Vater Alkoholiker geworden ist, wäh-                   Auf 35mm
                         rend sich die Mutter als Wäscherin verdingt. Anders und sein fußball-
                         spielender Freund Sixten hoffen durch ihre Leidenschaften den                    MITTWOCH
                         Lebensumständen zu entkommen: Sie bilden zugleich den Stoff für                  6.10. / 21.00
                         Anders Debütroman, der ihm eine Einladung eines Verlags aus Stock-               Von DCP
                         holm einträgt … Kvarteret Korpen wurde Widerbergs preisgekrönter                 Mit Vorfilm:
                         Durchbruch, inklusive Cannes-Wettbewerb und Auslandsoscar-Nomi-                  Pojken och
                                                                                                          draken (Der
                         nierung. Der gefeierte »poetische Naturalismus« dieser am Vorabend               Junge und der
                         des Zweiten Weltkriegs angesiedelten Milieustudie war von den Kind-              Drachen)
                         heitserinnerungen des Regisseurs inspiriert und erwies sich als
                         gleichermaßen Weltkino-kompatibel wie als Manifestation von etwas
                         genuin Schwedischem: Ingmar Bergman hatte das Werk in seiner Top
                         Ten und es reüssiert bis heute bei nationalen Umfragen nach Schwe-
                         dens bestem Film. (C. H.)

                         SEPTEMBER / OKTOBER 2021 Jan Troell & Bo Widerberg                          11
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                         Ole dole doff (Raus bist du)
                         R, K, S: Jan Troell B: Jan Troell, Bengt Forslund, Clas Engström nach dessen
                         Roman Ön sjunker av M: Lars Lalin D: Per Oscarsson, Ann-Marie Gyllenspetz,
                         Kerstin Tidelius, Bengt Ekerot. SE, 1968, DCP (von 35mm), sw, 110 min.
                         Schwedisch mit engl. UT ★
                         Für Lehrer Mårtensson (Per Oscarsson) wird der Umgang mit seinen                    MONTAG
                         Sechstklässlern zur Herausforderung: Mangels Durchsetzungsvermö-                    13.9. / 21.00
                         gen setzt er auf Strenge, was die Schüler erst recht dazu anstachelt,
                         ihn zu provozieren. Sein Plädoyer für demokratischere Unterrichts-                  MONTAG
                         formen führt am Elternabend zu Skepsis: Die Mehrheit glaubt an harte                18.10. / 18.30
                         Autorität. Der Druck von allen Seiten und die Selbstüberschätzung
                         führen schließlich zur Eskalation. Troell war (wie seine Koautoren)
                         selbst Lehrer und drehte an seiner alten Schule: Die Authentizität
                         (etwa wenn die Kinder gelegentlich glaubhaft bösartig agieren, ohne
                         dabei je monströs überzeichnet zu wirken) vertieft die beunruhi-
                         gende Kraft dieses keineswegs objektiven Films, der die Angst seines
                         Protagonisten aber auch nicht rein subjektiv zeichnet, sondern durch
                         unvorhersehbare Wendungen und unangenehme Situationen eine
                         Fusion von Alptraum und Alltag erreicht, die zu etwas Größerem wird.
                         Das Porträt eines Mannes, der in der modernen Welt untergeht. Eines
                         der geheimen Meisterwerke von (und zu) 1968. (C. H.)

                         SEPTEMBER / OKTOBER 2021 Jan Troell & Bo Widerberg                             12
Heja Roland! (Hallo, Roland)
R, B: Bo Widerberg nach seinem Roman Den gröna draken K: Jörgen Persson
S: Bo Widerberg, Kalle Boman M: Claes af Geijerstam D: Thommy Berggren,
Mona Malm, Ulf Palme, Holger Löwenadler, Ingvar Kjellson.
SE, 1966, 35mm, sw, 91 min. Schwedisch mit engl. UT ★
Der junge Autor Roland (Thommy Berggren) verdingt sich aus Geld- MITTWOCH
not in der Werbebranche, landet in der Kosmetika-Kampagne einer 15.9. / 18.00
Agentur und wird mit Marktforschung für eine neue Wunderdroge
gegen Pickel beauftragt. Widerbergs Werbesatire ist eine Art schwe-
disches Nouvelle-Vague-Pendant zu den einschlägigen Hollywood-
Komödien von Frank Tashlin und ein weiterer Beweis für seine er-
staunliche Vielseitigkeit als Regisseur: Sozialkritische Seitenhiebe
steigern sich zu surrealen Übertreibungen, der Tonfall unterscheidet
sich radikal von den vorigen Regiearbeiten (Vorlage: einer der Ro-
mane, mit denen Widerberg vor seiner Filmlaufbahn bekannt wurde).
Wohl auch deshalb wird Heja Roland! in der kritischen Auseinander-
setzung mit Widerberg übergangen, trotz Triumphen bei den schwe-
dischen Guldbagge-Filmpreisen im Erscheinungsjahr: Seine satiri-
sche Schlagseite passt nicht ins offizielle Widerberg-Bild. (C. H.)

Sagolandet (Das Märchenland)
Ein Film von Jan Troell M: Tom Wolgers. SE, 1988, DCP (von 16mm),
Farbe und sw, 184 min. Schwedisch mit engl. UT ★
Jan Troell hat parallel zu seinen berühmteren Spielfilmen stets doku- MITTWOCH
mentarisch gearbeitet, mit demselben außergewöhnlichen Gespür 15.9. / 20.30
für Details, anhand derer er große Dinge des Lebens verhandeln
kann, die dem Kino anderswo oft zum Klischee gerinnen und es sym-
bolschwer zu Boden ziehen. Das Dokumentarepos Sagolandet ist in
dieser Hinsicht wohl sein persönlichstes Hauptwerk: ein Film für seine
Tochter Johanna. Der mit über 50 Jahren Vater gewordene Regisseur
macht sich noch einmal auf die Suche nach dem »Märchenland« der
Kindheit und fragt sich (ebenso wie renommierte Psychologen,
Schulkinder, Hundefriedhofbetreiber oder schwedische Premier-
minister), was in einem halben Jahrhundert aus seiner Heimat gewor-
den ist. Ein Film über »Leben«, »Fortschritt«, »Natur« nicht als abgeho-
bene Abstraktion, sondern als konkretes Erlebnis – und nicht zuletzt
ein Film über die Zukunft, der sich teilweise höchst gegenwärtig an-
fühlt, etwa indem man die Wurzeln dessen sieht, wofür heute Greta
Thunberg als Schlagwort gilt. (C. H.)

SEPTEMBER / OKTOBER 2021 Jan Troell & Bo Widerberg                        13
Kärlek 65

Die Schule des Sehens
Sommartåg (Sommerzug) Jan Troell. SE, 1961, DCP (von 16mm), sw, 14 min
De kom tillbaka (Sie kamen zurück) Jan Troell.
SE, 1962, DCP (von 16mm), sw, 24 min. Schwedisch mit engl. UT ★
Den gamla kvarnen (Die alte Mühle) Jan Troell. SE, 1964, 35mm, sw, 10 min
Johan Ekberg Jan Troell. SE, 1964, DCP (von 35mm), sw, 21 min
A Mother with Two Children Expecting Her Third Bo Widerberg.
SE, 1970, 35mm, Farbe, 7 min. Englisch ★
Während er als Lehrer arbeitete, begann Jan Troell Kurzfilme zu ma- DONNERSTAG
chen, um seine Schüler für diverse Themen zu interessieren. Bald 16.9. / 18.30
interessierte sich Troell selbst vor allem fürs Filmemachen und gestal-
tete Sujets wie das Kinderabenteuer der ersten Zugfahrt, die Folgen
des Algerienkriegs oder das Leben eines Pensionisten. Die fantasti-
sche Miniatur Den gamla kvarnen erntete Lob von Ingmar Bergman,
was Troell endgültig den Weg zur professionellen Karriere ebnete:
Sein weltweit gefeiertes Langfilmdebüt Här har du ditt liv funktioniert
wie eine Serie von poetischen Kurzfilmen ähnlich den hier versammel-
ten. Dazu die einzige kurze Arbeit von Bo Widerberg, ein Gespräch mit
der politisch engagierten Starschauspielerin Vanessa Redgrave, u. a.
über ihre Erfahrungen bei der Geburt ihrer Kinder und den Vietnam-
krieg. (C. H.)

SEPTEMBER / OKTOBER 2021 Jan Troell & Bo Widerberg                      14
Kärlek 65 (Roulette der Liebe)
R, B, S: Bo Widerberg K: Jan Lindeström, Bruno Rådström, Hans Emanuelsson
M: Antonio Vivaldi, Bill Evans u. a. D: Keve Hjelm, Ann-Marie Gyllenspetz,
Inger Taube, Evabritt Strandberg, Ben Carruthers, Nina Widerberg.
SE, 1965, 35mm, sw, 96 min. Englisch und Schwedisch mit engl. UT ★
Keve – Filmregisseur, Ehemann, Vater, Liebhaber – weiß nicht mehr wei-            FREITAG
ter. Sein aktuelles Projekt überfordert ihn, seine Gattin Ann-Marie fühlt         17.9. / 21.00
sich vernachlässigt, während sich seine Amour Maj-Britt als kapriziöser
denn gedacht erweist. Die Sixties-Kinomoderne war zur Dekadenmitte                DONNERSTAG
an einen Punkt gelangt, wo das Verzweifeln am Film zu einem eigenen               14.10. / 18.30
Subgenre geworden war – was wohl auch heißt, dass man diese Kunst-
form ernst genug nahm, um ihr die Gegenwart, deren (Zeit-)Geist an-
zuvertrauen. Widerbergs frühes Hauptwerk Kärlek 65 ist denn auch
weniger ein Akt der grübelnden Selbstbefragung als ein kühl-mondä-
nes Melodram, in dem 8 ½ mit La notte gekreuzt und dann im schwe-
dischen Küstenwasser leicht angefroren wird. Nach Kärlek 65 versteht
man, warum Stockholm in jenen Jahren cinephil ähnlich hip war wie
Paris, London, Warschau oder New York. (O. M.)

Elvira Madigan (Das Ende einer großen Liebe)
R, B, S: Bo Widerberg K: Jörgen Persson M: Wolfgang Amadeus Mozart, Antonio
Vivaldi D: Pia Degermark, Thommy Berggren, Lennart Malmer, Cleo Jensen,
Nina Widerberg. SE, 1967, 35mm, Farbe, 89 min. Schwedisch mit dt. UT
Die Hochseiltänzerin Hedvig – berühmt für ihre Schönheit und unter                SAMSTAG
dem Künstlernamen Elvira Madigan – und ihr adeliger Geliebter                     18.9. / 21.00
(Thommy Berggren) ziehen Ende des 19. Jahrhunderts durch das                       • Einführung
sommerliche Dänemark. Die schwedische Heimat hat das Paar verlas-                 von Christoph
                                                                                  Huber
sen, nachdem er von der Armee sowie Frau und Kindern desertiert ist.
Doch die beiden werden entdeckt, ihre Mittel schwinden sukzessive,                SAMSTAG
es bleibt nur ein Ausweg: gemeinsamer Liebestod. Die wahre Ge-                    9.10. / 18.30
schichte des tragischen Paares inspirierte eine Ballade, die sofort
skandinavische Folklore wurde: Widerberg ließ sich davon zu einer
berauschend sinnlichen Romanze vor lyrischen Naturpanoramen in-
spirieren, deren überwältigender Welterfolg soweit ging, dass das
leitmotivisch verwendete Mozart-Klavierkonzert seither oft nach dem
Film benannt wird. Die zeitgenössische Resonanz seines Sujets in der
Ära der Hippie-Aussteiger war vom Regisseur durchaus intendiert,
wenn auch mit Widerhaken: die Tragödie der Unmöglichkeit, der
Welt den Rücken zu kehren. (C. H.)

SEPTEMBER / OKTOBER 2021 Jan Troell & Bo Widerberg                           15
Den vita sporten (Der weiße Sport)
Ein Film des Kollektivs Grupp 13 (Bo Widerberg, Roy Andersson, Kalle Boman,
Lena Ewert, Staffan Hedqvist, Axel Lohmann, Lennart Malmer, Jörgen Persson,
Ingela Romare, Inge Roos, Rudi Spee, Björn Öberg und Sven Fahlén).
SE, 1968, 35mm, Farbe, 102 min. Schwedisch mit engl. UT ★
Der Mai 1968 ist mit der Kulmination der Studentenproteste in Frank- MONTAG
reich assoziiert, aber tatsächlich kam es schon zu Anfang des Monats 20.9. / 18.30
im schwedischen Hinterland zu ähnlichen Unruhen. Der Anlass? Tennis!
Im beliebten Urlaubsörtchen Båstad sollte 1968 ein Ausscheidungs-
spiel für den Davis Cup zwischen Schweden und Rhodesien stattfin-
den, doch rückten Demonstranten aus dem ganzen Land an, um
gegen die Zulassung von zwei Apartheid-Ländern (Südafrika nahm
ebenfalls teil) zu protestieren. Ein Kollektiv, dem die Starregisseure Bo
Widerberg und Roy Andersson angehörten, fing die tumultartigen
Geschehnisse ein, führte dazu Interviews mit studentischen und ande-
ren Demonstranten, schwedischen Politikern wie Olof Palme, aber
auch selbstzufriedenen rhodesischen Gästen und der örtlichen Bevöl-
kerung, die ihren Frieden (und den »unpolitischen« Sportsgeist) ge-
stört sah. Ein mitreißendes, außerhalb Schwedens kaum bekanntes
Zentralwerk des politischen Vérité-Kinos zur 68er-Bewegung. (C. H.)

Zandy’s Bride
R: Jan Troell B: Marc Norman nach The Stranger von Lillian Bos Ross K: Jordan
Cronenweth, Frank Holgate S: Gordon Scott M: Michael Franks D: Gene Hackman,
Liv Ullmann, Eileen Heckart, Susan Tyrrell, Harry Dean Stanton. US, 1974, 35mm,
Farbe, 97 min. Englisch mit dt./frz. UT ★
Der Welterfolg seiner Emigranten-Epen brachte Troell in die USA, wo                MONTAG
er mit diesem intimen Western einen außergewöhnlichen New-Holly-                   20.9. / 21.00
wood-Beitrag lieferte, in dem Gene Hackman, Liv Ullmann, Susan Tyr-
rell und Harry Dean Stanton brillieren. Hackman spielt den schroffen               DONNERSTAG
Viehrancher Zandy, der sich eine schwedische Immigrantin (Ullmann)                 14.10. / 21.00
als Braut per Katalog bestellt hat: Er sieht sie als Besitzstück, das zur
harten Arbeit beitragen und ihre Pflichten erfüllen soll. Doch sie                  Courtesy of
kämpft nicht nur für (ihre) Gefühle und um Respekt, sondern für ein                Cinémathèque
                                                                                   suisse
besseres Leben. Die spezielle Magie von Troells Kino kommt auch in
Übersee zur Entfaltung: eine besondere Beziehung zu Menschen,
ihrem Territorium, ihrer Zeit. Obwohl Troell unglücklich war, weil er in
Hollywood nicht selbst die Kamera führen durfte, sind die Land-
schaftsbilder überwältigend. (C. H.)

SEPTEMBER / OKTOBER 2021 Jan Troell & Bo Widerberg                            16
SWEDISH FILM INSTITUTE

                         Bang!
                         R, K, S: Jan Troell B: Jan Troell, Georg Oddner, Sven Christer Swahn nach
                         dessen Kurzgeschichte Orgeladjunkten D: Håkan Serner, Susan Hampshire,
                         Yvonne Lombard, Ulf Palme, Eva von Hanno. SE, 1977, 35mm, Farbe, 100 min.
                         Schwedisch mit engl. UT ★
                         Bang! ist eine Anomalie im Werk von Jan Troell, das sich sonst vor               MITTWOCH
                         allem damit beschäftigt, die schwedische sozialdemokratische Iden-               22.9. / 18.30
                         tität zu etablieren und zu zelebrieren. Hier blickt der Künstler hinge-
                         gen konsequent nach innen, um eine seiner intimsten, aber auch for-              MITTWOCH
                         mal verspieltesten und freischwebendsten Erzählungen zu gestalten.               20.10. / 21.00
                         Bang! folgt den künstlerischen und sexuellen Abenteuern eines flöte-
                         spielenden Junggesellen mittleren Alters (famos: Håkan Serner), der
                         hin- und hergerissen ist: zwischen zwei Frauen, zwischen dem lang-
                         weiligen Brotberuf als Lehrer (Troell selbst unterrichtete vor seiner
                         Regiekarriere in der Volksschule) und einer Avantgarde-Symphonie,
                         die der Amateurmusiker in seiner Freizeit obsessiv komponiert. Mit
                         seiner Abfolge eindrucksvoller Tableaus nimmt der Film die visuellen
                         Kunststücke von Landsmann Roy Andersson vorweg, sein nahezu sur-
                         realistischer Duktus macht ihn nicht nur zu einem der persönlichsten,
                         sondern auch lustigsten Filme Troells: quasi das 8½ eines armen skan-
                         dinavischen Mannes, mit grimmigen Männern in der Sauna als Ersatz
                         für Anita Ekberg im Trevi-Brunnen. (J. M.)

                         SEPTEMBER / OKTOBER 2021 Jan Troell & Bo Widerberg                          17
Ådalen 31
R, B, S: Bo Widerberg K: Jörgen Persson M: Duke Ellington, Adolphe Degeyter,
Wilfred Burns, Karl-Gustaf Lundin D: Peter Schildt, Kerstin Tidelius, Roland
Hedlund, Anita Björk, Martin Widerberg. SE, 1969, 35mm und DCP, Farbe, 114 min.
Schwedisch mit engl. UT ★
Die »Schüsse von Ådalen« 1931 gelten als Wendepunkt von Schwe-                    MITTWOCH
dens Geschichte. Nach der Weltwirtschaftskrise hatten Konzernbesit-               22.9. / 21.00
zer im Ådalen-Tal Streikbrecher engagiert, das Militär sollte die kom-            Von DCP
munistischen Gegendemonstrationen stoppen. Nachdem Soldaten
in die Menge schossen, kam es nur zu milden Disziplinarstrafen – und              SAMSTAG
eine Welle der Empörung brachte die Sozialdemokraten an die                       9.10. / 21.00
Macht. Widerberg schildert die dramatischen Geschehnisse als facet-               Auf 35mm
tenreiches Sozialpanorama, die Intensivierung des Konfliktes kontra-
stiert von einer sommerlichen Atmosphäre, die wie in Elvira Madigan
die Schönheit impressionistischer Malerei beschwört. Der Ausdruck
von Widerbergs ambivalenter Weltsicht wurde von »progressiven«
Kritikern als Verrat am politischen Sujet bekrittelt. Als wäre ein Miss-
verständnis der Ungerechtigkeiten möglich … (C. H.)

Mannen från Mallorca (Der Mann aus Mallorca)
R, B, S: Bo Widerberg nach Grisfesten von Leif G. W. Persson K: Thomas Wahlberg
M: Björn J:son Lindh D: Sven Wollter, Tomas von Brömssen, Håkan Serner,
Ernst Günther, Thomas Hellberg. SE, 1984, 35mm, Farbe, 106 min.
Schwedisch mit engl. UT ★
Das vermeintliche Idyll der Vorweihnachtszeit wird durch einen unge-              DONNERSTAG
wöhnlichen Postüberfall gestört. Das Zivilpolizistenduo Johansson                 23.9. / 18.30
und Jarnebring ist zufällig in der Nähe und heftet sich – vergeblich –             • Einführung
auf die Fersen des Täters. Eine Mordserie an Augenzeugen und Behin-               von Christoph
                                                                                  Huber
derungen der Ermittlungen erhärten den Verdacht, einer Verschwö-
rung in höchsten Kreisen auf der Spur zu sein … Ausgerechnet nach                 MONTAG
dem Triumph mit Mannen på taket begann für Widerberg eine                         11.10. / 21.00
schwierige Karrierephase, sein zweites Krimi-Meisterstück Mannen
från Mallorca ist ein lupenreines Comeback – insgesamt vielleicht
etwas weniger spektakulär in seinen nichtsdestotrotz virtuos gehand-
habten Genreszenen, dafür umso intensiver in seiner Konzentration
auf vermeintliche Nebensachen: der Schwerpunkt liegt dabei auf der
Zermürbung, ob durch Routinen oder durch Korruption, mit schwar-
zem (und sehr schwedischem) Humor serviert und beinhart in seiner
Systemkritik. Das Finale: eine einzige Frechheit. (C. H.)

SEPTEMBER / OKTOBER 2021 Jan Troell & Bo Widerberg                           18
Mannen på taket (Der Mann auf dem Dach)
R, B: Bo Widerberg nach Den vedervärdige mannen från Säffle von Maj Sjöwall
und Per Wahlöö K: Odd Geir Sæther, Per Källberg S: Sylvia Ingemarsson,
Bo Widerberg M: Björn J:son Lindh D: Carl-Gustaf Lindstedt, Sven Wollter,
Thomas Hellberg, Håkan Serner, Ingvar Hirdwall. SE, 1976, 35mm, Farbe, 110 min.
Schwedisch mit engl. UT ★
»Roman über ein Verbrechen« war der Übertitel jenes zehnbändigen                   DONNERSTAG
Zyklus des Duos Sjöwall/Wahlöö, der zugleich Initialzündung und                    23.9. / 21.00
Höhepunkt des skandinavischen Krimis ist. Das Verbrechen meinte                     • Einführung
nicht die einzelnen Fälle für Kommissar Martin Beck und sein Team,                 von Christoph
                                                                                   Huber
sondern die Entwicklung der schwedischen Gesellschaft im Zeichen
des Kapitalismus, über eine Dekade hinweg minutiös analysiert – ein                MONTAG
ideales Sujet für Bo Widerberg, der mit seiner kongenialen Adaption                11.10. / 18.30
des siebten Bandes einen der größten Kriminalfilme des Weltkinos
schuf, zugleich atemberaubendes Spannungsstück und hochverdich-
tete Sozialkritik. Der Mord an einem Polizisten führt in ein Ermittlungs-
Labyrinth, in dem (nicht nur) Kategorien wie »Opfer« und »Täter«
auf den Kopf gestellt werden. Widerberg zeichnet die pointierten
Details des schwedischen Alltagslebens und der polizeilichen Berufs-
routine ebenso exatkt wie er in der zweiten Hälfte grandiosen Action-
Suspense gestaltet, der selbst sein erklärtes Vorbild The French
Connection wie Kleinkram aussehen lässt. (C. H.)

SEPTEMBER / OKTOBER 2021 Jan Troell & Bo Widerberg                            19
Ormens väg på hälleberget
(Der Weg der Schlange auf dem Felsen)
R, B, S: Bo Widerberg nach dem Roman von Torgny Lindgren K: Jörgen Persson
M: Stefan Nilsson D: Stina Ekblad, Stellan Skarsgård, Reine Brynolfsson,
Pernilla Östergren, Pernilla Wahlgren. SE, 1986, 35mm, Farbe, 111 min.
Schwedisch mit engl. UT ★
Ab den 1980ern realisiert Widerberg vor allem TV-Adaptionen von                  FREITAG
großer Literatur und bekommt nur mehr drei Kinofilme ausfinanziert,                24.9. / 18.00
die intensive Höhepunkte seines Werks in völlig unterschiedlichen
Tonlagen werden. Diese Verfilmung eines außergewöhnlichen histo-                  MITTWOCH
rischen Romans ist zugleich spiritueller Abenteuerfilm über die Kon-              20.10. / 18.30
frontation mit dem Bösen im Menschen, Gesellschaftsbild aus einer
Zeit des großen Hungers Mitte des 19. Jahrhunderts in Schweden
(Troells Emigranten-Epen erzählen von der Flucht davor) und eine
Allegorie kapitalistischer Unterwerfung. Der örtliche Kaufmann wird
zum Besitzer des Hauses einer verschuldeten Familie, jedes Jahr
kommt der Termin, wo er sich von der verwitweten Mutter sexuell
»entschädigen« lässt – nachdem sein Sohn (Stellan Skarsgård) dieses
Leibrecht erbt, spitzen sich die Verhältnisse zu … In seiner Verdich-
tung einer von Widerbergs erschütterndsten Filmen, und dennoch
ein charakteristischer Protest gegen Hoffnungslosigkeit. (C. H.)

Utvandrarna (Emigranten)
R, K, S: Jan Troell B: Bengt Forslund, Jan Troell nach Utvandrarna und
Invandrarna von Vilhelm Moberg M: Erik Nordgren D: Max von Sydow, Liv Ullmann,
Eddie Axberg, Sven-Olof Bern, Monica Zetterlund. Sweden, 1971, 35mm, Farbe,
191 min. Schwedisch mit engl. UT ★
Jan Troells Vorliebe für mitreißende Epik und historische Rekonstruk-            FREITAG
tion erreicht mit Utvandrarna einen explosiven Höhepunkt. Der erste              24.9. / 20.30
Teil einer ambitionierten Chronik der schwedischen Emigration nach
Nordamerika Mitte des 19. Jahrhunderts führt aus der Provinz Små-                SAMSTAG
land, wo die arme Familie der Nilssons mit der harschen Natur und                16.10. / 16.00
einer noch feindlicheren Gesellschaft kämpft, über Meer und Land
nach New York und Minnesota. Troells radikal unsentimentales, natu-
ralistisches Porträt der europäischen Besiedelung der USA wirkte
damals geradezu schockierend, wurde aber auf beiden Seiten des
Ozeans gefeiert. In Übersee war man fasziniert von den Unterschie-
den zu den eigenen romantischen Mythen über die Kolonialisierung
und nominierte Utvandrarna für fünf Oscars. (J. M.)

SEPTEMBER / OKTOBER 2021 Jan Troell & Bo Widerberg                          20
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                         Fimpen (Fimpen, der Knirps)
                         R, B, S: Bo Widerberg K: John Olsson M: Sergei Prokofjew, Johann Strauss (Sohn),
                         Keith Mansfield u. a. D: Johan Bergman, Monica Zetterlund, Magnus Härenstam,
                         Ernst-Hugo Järegård und das schwedische Fußball-Nationalteam.
                         SE, 1974, 35mm, Farbe, 90 min. Schwedisch mit dt. UT
                         Der Stürmerstar Schwedens dribbelt auf einem Kinderfußballplatz                    SAMSTAG
                         mit – und wird vom sechsjährigen Fimpen ausgetrickst. Der Profi ver-                25.9. / 18.00
                         fällt in Depression (er trinkt nicht mal mehr seinen Kaffee: »Ist doch
                         nur ein Haufen Koffein mit Gerbsäure«), aber für Fimpen erfüllt sich               FREITAG
                         ein Traum: Er übernimmt dessen Posten und wird zur Fußballsensa-                   15.10. / 18.00
                         tion im Ligaverein und bald auch im Nationalteam. Aber die Erfolgs-                 • Einführung
                         geschichte hat ihre unerwarteten Schattenseiten … Dieses Herzens-                  von Christoph
                                                                                                            Huber
                         projekt von Fußballfan Bo Widerberg (Schwedens Nationalteam
                         spielt sich selbst!) wurde lange als amüsante Kuriosität abgetan.
                         Dabei ist Fimpen wahrscheinlich nicht nur der beste Kinderfilm und
                         Fußballfilm jemals (ohne dabei »bloß« ein Film für Kinder oder Fuß-
                         ballfreunde zu sein, im Gegenteil), sondern womöglich der beste
                         Widerbergfilm: Denn die märchenhafte Idee nutzt Widerberg für ein
                         zwar zauberhaftes, zugleich jedoch bemerkenswert illusionsloses
                         Porträt vom Kindsein und der Gesellschaft – von Utopie und Mangel.
                         (C. H.)

                         SEPTEMBER / OKTOBER 2021 Jan Troell & Bo Widerberg                           21
Nybyggarna (Das neue Land)
R, K, S: Jan Troell B: Bengt Forslund, Jan Troell nach Nybyggarna und Sista brevet
till Sverige von Vilhelm Moberg M: Bengt Ernryd, Georg Oddner, Lars August Lundh,
Nils Parling D: Max von Sydow, Liv Ullmann, Eddie Axberg, Pierre Lindstedt,
Monica Zetterlund. SE, 1972, 35mm, Farbe, 204 min. Schwedisch mit engl. UT ★
Diese Fortsetzung zu Utvandrarna spielt zur Gänze am nordamerika-                    SAMSTAG
nischen Kontinent und ist noch ausladender in Ambition und Um-                       25.9. / 20.00
fang. Unter Führung des entschlossenen Patriarchen Karl Oscar (Max
von Sydow) beginnt sich die hoffnungsfrohe und ausdauernde Nils-                     SAMSTAG
son-Familie im Lauf mehrerer Dekaden im neuen Land zu verwurzeln.                    16.10. / 20.00
Abgesehen von der bis ins kleinste Detail erfolgreichen Umsetzung
einer generationenübergreifenden Geschichte von der Nationenbil-
dung gelingt Troell auch ein ungewöhnlich aufrichtiges Porträt der
Dakota-Ureinwohner als tragische Opfer der Kolonisierung: Der be-
rüchtigte Dakota-Krieg von 1862 und die anschließende Massenexe-
kution – die größte der US-Geschichte – von aufständischen Sioux
formen ein politisches und emotionales Herzstück des Films. (J. M.)

Liv till varje pris (Leben um jeden Preis)
Ein Film von Stefan Jarl K: Per Källberg S: Stefan Jarl, Joakim Johansson
M: Ulf Dageby MIT: Thommy Berggren, Jan Troell, Roy Andersson, Elia Kazan.
SE, 1998, 35mm, Farbe und sw, 93 min. Schwedisch mit engl. UT ★
Neben Bo Widerberg, Jan Troell und Roy Andersson zählte Stefan Jarl MONTAG
zu den führenden Figuren der Modernisierung des schwedischen 27.9. / 18.30
Kinos ab den 1960ern. Ingmar Bergman pries ihn als »einen der letz-
ten großen Samurais, der unerbittlich für seine Ideale und Überzeu-
gungen kämpft« – eine Haltung, die Jarl auch mit Widerberg verband,
für den er u.a. mehrfach als Produktionsmanager tätig war und dem
er diesen persönlichen Dokumentarfilm widmete. Er versucht sich
dabei weniger an einem allgemeinen Überblick denn am Entschlüs-
seln der Besonderheit von Widerberg als Mensch und Künstler, mit
einem seiner wichtigsten Mitarbeiter als Kronzeugen: Thommy Berg-
gren, langjähriges darstellerisches Alter Ego Widerbergs (und min-
destens ebenso exzentrisch), führt durch ein Konvolut von Erinnerun-
gen, darunter auch das rare Material des unvollendet gebliebenen
Films Rot und Schwarz, an dem Widerberg von 1980 bis zu seinem
Tod arbeitete. (C. H.)

SEPTEMBER / OKTOBER 2021 Jan Troell & Bo Widerberg                              22
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                         Victoria
                         R, B, S: Bo Widerberg nach dem Roman von Knut Hamsun K: Hanno-Heinz Fuchs
                         M: Giuseppe Verdi D: Michaela Jolin, Stephan Schwartz, Pia Skagermark, Christiane
                         Hörbiger, Hans-Christian Blech. DE/SE, 1979/87, 35mm, Farbe, 89 min. Englisch ★
                         Schon als Jugendlicher träumt der Müllersohn Johannes davon,                        MONTAG
                         Schriftsteller zu werden – und verliebt sich in die ein paar Jahre jün-             27.9. / 21.00
                         gere Adelige Victoria vom nahen Herrenhof. Doch im 19. Jahrhundert                   • Einführung
                         ist der Standesunterschied zwischen den beiden unüberwindbar:                       von Elisabeth
                                                                                                             Streit
                         Obwohl Johannes erfolgreicher Autor wird und sich die beiden
                         immer wieder begegnen, wird Victoria von den Eltern einem Offizier
                         versprochen, dessen Finanzen die verschuldete Familie sanieren
                         sollen. Während sein Weggefährte Jan Troell später einen Film über
                         Knut Hamsun machen würde, verfilmte Widerberg eine Erzählung
                         des Literaturnobelpreisträgers, in der sich wichtige Themen seines
                         eigenen Werks spiegeln: Als internationale Koproduktion sollte es
                         eine Art große Oper im Verhältnis zu seinen intimeren Melodramen
                         werden, wurde aber nach Auseinandersetzungen mit dem deutschen
                         Koproduzenten und Problemen mit der Synchronfassung zum film
                         maudit, den Widerberg erst 1987 in seiner gewünschten Schnittfas-
                         sung vollenden konnte. (C. H.)

                         SEPTEMBER / OKTOBER 2021 Jan Troell & Bo Widerberg                             23
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                                                                                                               En frusen dröm

                         En frusen dröm (Ballonfahrt in den Tod)
                         Ein Film von Jan Troell B: Göran Gunér, Jan Troell M: Lars Åkerlund, Sebastian
                         Öberg. SE, 1997, 35mm, Farbe und sw, 60 min. Schwedisch mit engl. UT ★
                         DAVOR: Uppehåll i myrlandet (Aufenhalt im Marschland) Jan Troell.
                         D: Max von Sydow, Allan Edwall. SE, 1965, 35mm, sw, 30 min.
                         Schwedisch mit engl. UT ★
                         Mit En frusen dröm kehrt Troell noch einmal zum Sujet von Ingenjör                    MITTWOCH
                         Andrées luftfärd zurück und schildert die gescheiterte Nordpolexpe-                   29.9. / 18.30
                         dition mit dem Ballon von 1897 als dokumentarischen Essay mit Aus-
                         zügen aus den Tagebüchern und Briefen der Expeditionsteilnehmer                       MITTWOCH
                         sowie mit den originalen Bildern, die Fotograf Nils Strindberg dabei                  13.10. / 18.30
                         mit einer Spezialkamera aufnahm. Und doch zeigt sich gerade in der
                         Gegenüberstellung mit Troells epischer Spielfilmversion ein altes
                         Paradox des Kinos: gerade im Dokumentarischen offenbart sich auch
                         Fiktion – und umgekehrt. Als Vorspiel das erste Kurzfilm-Meisterwerk
                         Troells, zugleich ein großes Landschaftsdokument: Troells zukünfti-
                         ger Darsteller des Ballonfliegers Andrée, Max van Sydow, als Zug-
                         bremser, der in Lapplands Wildnis buchstäblich aussteigt, um sich
                         einen Wunsch zu erfüllen. (C. H.)

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                         Lust och fägring stor (Schön ist die Jugendzeit)
                         R, B, S: Bo Widerberg K: Morten Bruus M: Johann Sebastian Bach, Gustav Mahler
                         u. a. D: Johan Widerberg, Marika Lagercrantz, Tomas von Brömssen, Karin Huldt,
                         Nina Gunke. SE/DK, 1995, 35mm, Farbe, 130 min. Schwedisch mit engl. UT ★
                         Widerbergs letzter Film, ein Jahr vor dem Krebstod des Regisseurs MITTWOCH
                         auf der Berlinale preisgekrönt, fühlt sich keineswegs wie ein Abschied 29.9. / 21.00
                         an, sondern zelebriert noch einmal mit erzählerischem Erfindungs-
                         reichtum und sinnlichem Genuss den Geschmack des Lebens – frei-
                         lich, ganz Widerbergs Ambivalenzen folgend, ohne Enttäuschungen
                         und Rückschläge auszuklammern. War sein Durchbruchsfilm Kvarteret
                         korpen ein autobiografischer Kindheits-Rückblick in die Armenviertel
                         Malmös, formt Widerberg hier seine persönlichen Erinnerungen an
                         die Heimatstadt während des Weltkriegsjahrs 1943 zum farbenfrohen
                         Entwicklungsroman, im Zentrum eine amour fou: Der 15-jährige Stig
                         (Widerbergs Sohn Johan) hat eine leidenschaftliche Affäre mit seiner
                         20 Jahre älteren Englischlehrerin Viola (Marika Lagercrantz), die in
                         einer unbefriedigenden Ehe lebt – doch dann freundet sich ihr Alko-
                         holikergatte in einem der typischen tragikomischen Geistesblitze des
                         Films mit dem Jungen an, was zu unerwarteten Wendungen in der
                         Beziehungskonstellation führt. (C. H.)

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Il Capitano
R, K, S: Jan Troell B: Jan Troell, Göran Setterberg, Per Olov Enquist M: Lars
Åkerlund, Sebastian Öberg D: Maria Heiskanen, Antti Reini, Berto Marklund,
Matti Dahlberg. SE/FI, 1991. DCP (von 35mm), Farbe, 109 min.
Schwedisch und Finnisch mit engl. UT ★
Im schwedischen Åmsele kam es 1988 zu einem Dreifachmord an DONNERSTAG
einer Familie, der zu einer internationalen Fahndung und einem auf- 30.9. / 18.30
sehenerregenden Prozess führte, bei dem sich die Täter – ein 23-jähri-
ger Finne und seine 20-jährige Freundin – gegenseitig beschuldigten.
Jan Troells kurz darauf entstandene Verfilmung des Falls war umstrit-
ten, noch bevor sie in Produktion ging und spaltete die Kritik, wiewohl
sie ihm den Regiepreis in Berlin eintrug (in einer bemerkenswerten
Schlüsselszene wird übrigens der Mörder bei der Rekonstruktion der
Tat quasi zum Regisseur). Den häufigen Vorwurf von spekulativem
Sensationalismus entkräftet dabei schon der nüchterne Zugang: Als
jeglicher Romantik entkleidete Bonnie & Clyde-Variation ist Il Capi-
tano inhaltlich nahe am Klassiker Badlands, aber mit seiner bevor-
zugten Erzählform – ein elliptisches, zugleich pointiertes Mosaik von
starken Eindrücken – gelingt Troell eine unheimliche Studie der Faszi-
nation von Nihilismus und Pathologie. Die ziellose Reisebewegung
des Mörderpärchens entpuppt sich als freier Fall ins Nichts. (C. H.)

Så vit som en snö (So weiß wie im Schnee)
R, S: Jan Troell B: Jan Troell, Karl-Erik Olsson-Snogeröd, Jimmy Karlsson nach
Den ofullbordade himlen von Jacques Werup K: Jan Troell, Mischa Gavrjusjov
M: Magnus Dahlberg D: Amanda Ooms, Rikard Wolff, Björn Granath, Björn Kjellman,
Antti Reini. SE/DK, 2001, 35mm, Farbe, 158 min. Schwedisch mit engl. UT ★
Der Versuch der Menschen, den Himmel zu erobern, ist ein Thema, das DONNERSTAG
Jan Troell mehrfach aufgegriffen hat. Så vit som en snö ist der Höhe- 30.9. / 21.00
punkt dieser Werklinie und zollt einer Pionierin Tribut: Elsa Andersson,
der ersten Pilotin und Fallschirmspringerin Schwedens. Die 1897 gebo-
rene Bauerntochter (Amanda Ooms aus The Expendables 2) musste
sich gegen die Vorurteile von Familie und Gesellschaft durchsetzen,
um fliegen lernen zu können und den Pilotenschein zu erhalten – und
schließlich im Alter von nur 24 Jahren bei einem Fallschirmabsprung
vor viertausend Zuschauern ein spektakuläres Ende zu nehmen. Troells
Film schildert, wie Andersson schon als Kind von der Flugleidenschaft
erfasst wird: Seine ausladende, visuell verblüffende Elegie ist ein unver-
gesslicher Tribut an ihre jugendliche Entschlossenheit. (J. M.)

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                         Hamsun
                         R: Jan Troell B: Jan Troell, Per Olov Enquist nach Processen mod Hamsun von
                         Thorkild Hansen K: Jan Troell, Mischa Gavrjusjov M: Arvö Part, Keith Jarrett,
                         Johann Strauss (Sohn) u.a. D: Max von Sydow, Ghita Nørby, Anette Hoff, Edgar
                         Selge, Ernst Jacobi. SE/DK/NO/DE, 1996, 35mm, Farbe, 153 min.
                         Schwedisch, Dänisch, Norwegisch mit dt. UT
                         Die Ehe von Literaturnobelpreisträger Knut Hamsun (Max von Sydow)                    FREITAG
                         und seiner Frau Marie (Ghita Nørby) ist zerrüttet, seine schriftstelleri-            1.10. / 21.00
                         sche Kraft ermattet. 1936 schließt sie sich der faschistischen Partei
                         Vidkun Quislings an und tritt bei Lesereisen durch Nazi-Deutschland                  MONTAG
                         als »Stimme ihres Mannes« auf. Hamsun hält an seiner umstrittenen                    18.10. / 21.00
                         Unterstützung für Hitler selbst nach einem desaströsen Treffen – um-
                         gesetzt als bizarres pièce de résistance – am Obersalzberg und über
                         das Kriegsende hinaus fest: Er besteht darauf, sich in einem Gerichts-
                         prozess zu rechtfertigen. Ein episches Historien- und Gewissens-
                         drama, in dem Troell die Konventionen subtil unterwandert: Im Kern
                         steht die mit monströser Intensität gespielte Hassliebe der Hamsuns,
                         während Troell immer wieder verblüffende Bilder findet, die abgrün-
                         dige Tiefen suggerieren – etwa wenn Hamsun fordernd Gott anruft
                         und das Sonnenlicht dabei nicht nur seinen schwarzen Regenschirm
                         zu durchstrahlen scheint, sondern sein Gehirn. (C. H.)

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Närvarande (Gegenwart)
Ein Film von Jan Troell M: Ale Möller. SE, 2003, 35mm, Farbe, 85 min.
Schwedisch mit engl. UT ★
»Ein Augenblick ist eine Ewigkeit«, sagt der damals 80-jährige Georg MONTAG
Oddner zu seinem Freund Jan Troell. Und setzt nach: »Es ist nur der 4.10. / 18.30
Augenblick, der lebendig ist.« Er spricht mit seinen Credos sichtlich
dem Filmemacher aus der Seele: Dieses mit zahlreichen gefeierten
Schnappschüssen aufwartende dokumentarische Porträt von Odd-
ner, einem Jazz-Musiker (an den Trommeln: »Rhythmus ist die älteste
Ausdrucksform«), der zu einem der – auch international gefeierten –
größten Fotografen Schwedens wurde, nimmt mit seinem fotografi-
schen Thema Troells nächstes Spielfilmmeisterwerk Maria Larssons
eviga ögonblick vorweg. Es ist auch eine Art Krypto-Selbstporträt des
Regisseurs und Kameravirtuosen, der ebenso wie Oddner nicht nur
stets nach faszinierenden Motiven auf Ausschau ist, sondern auch
nach dem Wesen der Menschen, die er zeigt – oder, wie Oddner an-
merkt: »Man muss sich für andere Menschen und ihr Gefühlsleben
interessieren.« (C. H.)

Maria Larssons eviga ögonblick
(Die ewigen Momente der Maria Larsson)
R: Jan Troell B: Jan Troell, Agneta Ulfsäter-Troell, Niklas Rådström K: Jan Troell,
Mischa Gavrjusjov M: Matti Bye D: Maria Heiskanen, Mikael Persbrandt,
Jesper Christensen, Ghita Nørby, Amanda Ooms. SE/DK/NO/FI, 2008, 35mm,
Farbe, 131 min. Schwedisch mit engl. UT ★
Malmö, um 1900: Maria, die Frau eines Hafenarbeiters, gewinnt einen MONTAG
Fotoapparat in der Lotterie. Als ihr Mann wegen Beteiligung an einem 4.10. / 21.00
anarchistischen Anschlag inhaftiert wird, will sie die Kamera verpfän-
den. Der Besitzer des örtlichen Fotoladens, ein dänischer Immigrant,
bringt ihr stattdessen das Wesen der Fotografie näher. Während
Maria außerordentliches Talent zeigt, verschärft sich die häusliche
Situation. Für Troell eine Rückkehr in die historische Epoche seines
gefeierten Debüts Här har du ditt liv, diesmal aus weiblicher Perspek-
tive betrachtet. Nicht nur im nachgerade fantastischen Umgang mit
den Möglichkeiten des Bildermachens ein großes, dabei ganz mühe-
loses Alterswerk, das mit unangestrengter Faszinationskraft und be-
wegender Raffinesse noch einmal viele Anliegen des Regisseurs bün-
delt. Hierzulande war diese späte Großtat bislang nur (unzumutbar)
gekürzt im Fernsehen zu sehen. (C. H.)

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