Sonderausgabe Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung - Mitteilungen des Regensburger Verbunds für Werbeforschung ...

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Sonderausgabe Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung - Mitteilungen des Regensburger Verbunds für Werbeforschung ...
Mitteilungen des
Regensburger Verbunds für Werbeforschung – RVW

                                           9/2021

                  Sonderausgabe
Die Kino- und Fernseh-Werbespots
       der Sammlung Geldmacher:
                    Eine Sichtung

                                     von Dieter Lohr
Sonderausgabe Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung - Mitteilungen des Regensburger Verbunds für Werbeforschung ...
Impressum

                               Mitteilungen des Regensburger Verbunds für
                               Werbeforschung – RVW
                               https://werbeforschung.org
                               Im Auftrag des RVW herausgegeben von
                               Bernhard J. Dotzler und Sandra Reimann

                         ISSN 2198-0500
Elektronische Veröffentlichung Universität Regensburg, Publikationsserver
                               https://epub.uni-regensburg.de/rvw.html
         Bezugsbedingungen CC BY-SA 4.0

   Anschrift der Herausgeber Regensburger Verbund für Werbeforschung
                             Prof. Dr. Sandra Reimann · Universität Regensburg
                             93040 Regensburg
                             info@werbeforschung.org

    Einreichung von Beiträgen Unaufgefordert eingesandte Beiträge sind grund-
                              sätzlich willkommen und werden von den Heraus-
                              geber:innen oder geeigneten Fachreferent:innen
                              geprüft.

     Redaktion, Layout & Satz Christine Fraunhofer M. A.
Inhaltsverzeichnis

4 .......................................................................................................................................... Editorial

                                                                                                                                   Dieter Lohr

5 ....................................................................... Die Kino- und Fernseh-Werbespots
                                                         der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung

                                                                                                                            5 · Einleitung

                          6 · Die Werbemacher in der frühen Bundesrepublik Deutschland

                                                          10 · Die Werbekunden des Tonstudios Frankfurt

                                                                                                              37 · Produktgruppen

                                                                                                                     39 · Zielgruppen

                                                                                                      44 · Werbespot-Wurzeln

                                                                                                                            50 · Ausblick

                                                                                                                             52 · Literatur

                                                                                                                              54 · Anhang

57 ....................................................................................................................................... Notizen
Editorial
                                                      Bernhard J. Dotzler & Sandra Reimann

„Zentraler Gegenstand des RVW“, so steht es in        Vor diesem Hintergrund ist es besonders ver-
seiner Satzung, „ist das Historische Werbe-           dienstvoll, wenn Forscher:innen-Neugier sich
funkarchiv (HWA) der Universität Regensburg“.         dennoch nicht abhalten lässt und kurzerhand
Schon als diese Satzung beschlossen wurde (Juli       ‚das Archiv betritt‘, um sich von seinen Bestän-
2009), waren indes weitere Sammlungen neben           den ein Bild zu machen. Für die vorliegende Aus-
das HWA getreten, und inzwischen firmiert das         gabe unserer Mitteilungen hat Dieter Lohr dies
Werbefunkarchiv nur noch als eine von vielen          unternommen. Der Literatur- und Medienwis-
Sammlungen des Archivs an der Universitätsbi-         senschaftler, Hörspiel-Experte, Hörbuch-Verleger
bliothek Regensburg, das nun, der Vielfalt seiner     und Schriftsteller hat die Digitalisate eben jener
Bestände an Werbematerialien aus den Jahren           Commercial Filmwerbung mit über 500 Werbefil-
1948 bis 2000 entsprechend, Regensburger Archiv       men aus den 1950er und 1960er Jahren gesichtet
für Werbeforschung (RAW) heißt.1 „Zentraler Ge-       sowie die ebenfalls im RAW vorhandenen 174 Ak-
genstand des RVW ist das Regensburger Archiv          tenordner durchforstet, die Treatments, Skripte,
für Werbeforschung (RAW)“, liest man daher            Korrespondenzen und (weitere) Metadaten zu
richtigerweise auf der Homepage des RVW 2 (und        diesen Spots enthalten. Sein Bericht über die
eine Aktualisierung seiner Satzung steht an).         hierdurch gewonnenen empirischen Befunde,
    Das Werbefunkarchiv ebenso wie beispielsweise     plausibilisierbaren Hypothesen und weiterfüh-
die Spremberg-Sammlung mit über 500 Werbe-            renden Überlegungen spricht für sich selbst – wie
schallplatten der 1950er bis 1980er Jahre sind seit   für den Reichtum des RAW als einer Schatzkam-
längerem digitalisiert und online zugänglich. An-     mer der Werbegeschichte. Wir danken Dieter
dere Sammlungen hingegen, wie etwa die Werbe-         Lohr für diesen ausführlichen Einblick, auch und
filme des Bayerischen Rundfunks, harren noch der      zumal insofern er nicht zuletzt deutlich macht,
Erschließung und Digitalisierung, wieder andere,      wieviel noch zu tun bleibt!
wie das Archiv des Tonstudios Wintermeier (Werbe-
spotsammlung OPUS) mit Hörfunk- und Fern-
sehwerbung aus den Jahren 1986 bis 2000, sind
‚in Arbeit‘, und noch einmal anders liegt der Fall
zum Beispiel bei einer Sammlung wie der Com-
mercial Filmwerbung, die bereits digitalisiert, je-
doch noch nicht verfügbar ist, da bislang nur über
eine gedruckte Bestandsliste erschlossen.

1 https://www.uni-regensburg.de/bibliothek/raw/ –
  Zugriff: 10.3.2022.
2 https://werbeforschung.org/ – Zugriff: 10.3.2022.

Mitteilungen des RVW 9/2021                                                                       Seite 4
Die Kino- und Fernseh-Werbespots
                                  der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung
                                                                                                      Dieter Lohr

                                                            es „nur“ mehr 82, die immer noch zu einem
    Einleitung                                              Großteil aus reinen Skripten und Treatments in
                                                            durchschnittlich drei- bis fünffacher Ausferti-
                                                            gung bestehen und teilweise die Jahre nach 1970
Die schlechte Nachricht zuerst: Auch wenn das               betreffen, als Geldmacher „nur“ mehr Radiospots
Korpus von über 500 Werbespots aus den Jahren               produziert und „Full Service“ beraten hat; der
zirka 1951 bis 19671 recht umfänglich erscheint –           letzte verifizierbar zu datierende Fernsehspot
die Geldmacher’sche Werbespot-Sammlung ist                  wurde im März 1967 aufgenommen.
ein Ausschnitt. Weder erhebt sie Anspruch auf                  Eine inhaltliche, qualitative Systematik, was
Vollständigkeit des werblich Möglichen der 50er             die Metadaten angeht, ist nicht wirklich erkenn-
und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts noch auf                bar. Das verwundert nicht. Der Sinn der Archi-
Vollständigkeit der zu bewerbenden Produkte, sie            vierung von Korrespondenzen, Treatments, Rei-
stellt noch nicht einmal das vollständige Geld-             serouten, Listen von Konferenz-Tagesordnungs-
macher’sche Kino- und Fernsehwerbespot-Œu-                  punkten, Ideen für Werbekampagnen etc. war es
vre dar: Die Metadaten im Archiv enthalten sehr             sicherlich nicht, einem Medienwissenschaftler
viele Materialien zu Werbespots, die nicht im Re-           im 21. Jahrhundert zu erklären, wie eine Werbe-
gensburger Bestand vorhanden sind, auf der an-              agentur funktioniert, was ein Werbeberater tut,
deren Seite verfügen wir über Werbespots, die               welche Etappen ein Werbespot von der ersten
nicht dokumentiert sind, was wiederum bedeu-                Idee bis zur nachträglichen Erfolgsbewertung im
tet, dass auch die vorhandenen Metadaten nicht              Anschluss an die Ausstrahlung durchläuft.2 Auf-
das „Gesamtwerk“ abbilden. Die Metadaten zu                 gehoben wurde nicht, was künftigen Generatio-
den Spots sind, auch wenn hier der Umfang von               nen zum Verständnis dienen können sollte, son-
174 Aktenordnern auf den ersten Blick gleicher-             dern was aus unterschiedlichsten praktischen
maßen gewaltig erscheint, ebenfalls weit davon              Gründen aufhebenswert schien, in der Regel
entfernt, vollständig zu sein, nach Abzug der rei-          wohl, um für eventuelle spätere Unklarheiten als
nen Skript-Ordner, der Vorlesungsskripte und                Beleg dienen zu können. „Der Werbeberater“ ist
Kopien der Adress-Karteikarten im Bestand sind
                                                            2   Wiewohl diese Schritte zwischen den Zeilen und Blät-
1   „Zirka“ deswegen, weil sich ungefähr 10 % der Spots         tern durchaus deutlich werden und sich gut nachvoll-
    bislang (Januar 2021) noch kein Produktionsjahr zu-         ziehen lassen. Wir verfügen über Ideensammlungen
    ordnen lässt. Gesicherte Angaben sind entweder mög-         und Entwürfe zu Werbespots, Briefwechsel, in denen
    lich, wenn sich in den Metadaten Korrespondenzen,           diese Ideen erörtert werden, Protokolle von Präsentati-
    Rechnungen etc. zu den jeweiligen Spots finden, wenn        onen bei den Kunden, Aktennotizen, in denen Proble-
    die in der Regel mit Datumsangaben versehenen               me bei der Produktion und rechtliche Fragen zur Spra-
    Tonaufnahmen gesondert vorliegen oder wenn die              che kommen, Honorarverhandlungen mit Schauspie-
    Spots selbst Hinweise geben, beispielsweise durch die       lerinnen und Schauspielern, Evaluationen; an ver-
    Jahreszahlen auf Neckermann-Katalogen oder Cover-           schiedenen Stellen im Archiv und nie vollumfänglich
    Abbildungen der Stern-Hefte. Aber auch die nicht da-        auf einen einzelnen Spot oder eine einzelne Spot-Serie
    tierbaren Spots brechen aller Wahrscheinlichkeit nach       bezogen, aber doch häufig genug, um zumindest ein
    nicht aus diesem Zeitrahmen aus.                            grobes Bild der Abläufe zu vermitteln.

Mitteilungen des RVW 9/2021                                                                                        Seite 5
Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung                                   Lohr

übrigens an dieser Stelle keine sprachliche politi-        Denn wenn man zu einzelnen Spots in den Zu-
sche Inkorrektheit; Werbeberaterinnen sind noch            satzmaterialien der digitalisierten Audio-Auf-
heute die deutliche Minderheit in der Branche;             nahmen im RAW „nachschlägt“, stellt sich oft ge-
in der Pionierzeit der bundesrepublikanischen              nug heraus, dass diese Spots Teile einer Serie
Agenturwerbung gab es sie überhaupt noch nicht.            sind, zu deren weiteren Spots wir zwar weder
Erwin R. Weger schreibt 1966 von einer „Handvoll           Skript noch Bild haben, wohl aber den Ton. Ab
Männer“, die in der ersten Zeit für einen großen           wann dürfen wir behaupten, dass wir über einen
Teil der Werbeplanung und Werbegestaltung im               Spot verfügen? Wenn Ton und Bild vorliegen?
Nachkriegsdeutschland verantwortlich waren.3               Wenn lediglich der Ton vorliegt, werten wir den
    Indes: Trotz ihrer Nicht-Systematik und „Zu-           Spot dann als halb-vorhanden? Und: Wenn wir
fälligkeit“ sind diese Metadaten ordentlich nach           einen vollständigen Spot in zwei Ausführungen
Jahreszahlen und Werbekunden sortiert, wenn                haben, die sich lediglich durch ein einziges Wort
auch zuweilen Ordnerbeschriftungen und -inhal-             unterscheiden oder verschiedene Abspann-Ein-
te nicht genau übereinstimmen.                             blendungen haben, sprechen wir dann von zwei
    Die gute Nachricht: Wenn wir uns darüber im            Spots? Tatsächlich sind auf den uns vorliegenden
Klaren sind, dass die Geldmacher-Sammlung ein              Bändern (die natürlich mittlerweile digitalisiert
Fragment ist, kommen wir nicht in Versuchung,              und umgespeichert wurden) 48 Werbespots „dop-
unzulässige Verallgemeinerungen aus ihr ablei-             pelt“ vorhanden, teils mit minimalen Abwei-
ten zu wollen. Was wir stattdessen machen wol-             chungen, ohne dass vermerkt wäre, ob einer der
len: Wir wollen anhand des vorhandenen Materi-             beiden Spots vielleicht eine verworfene Version
als den Tellerrand des Geldmacher’schen Schaf-             ist, teils dergestalt, dass mir trotz mehrmaligem
fens abstecken, um dann über diesen Tellerrand             akribischen Vergleichen keine Unterschiede auf-
hinauszuschauen und zu vergleichen: Was sonst              gefallen sind.
bietet die Werbewelt der 50er und 60er Jahre au-               Die Sammlung Geldmacher ist also mit einer
ßerhalb des Geldmacher-Archivs − in der BRD, in            ganzen Reihe von Fragezeichen, Vermutungen
der DDR, im internationalen Vergleich? Was bie-            und Schätzungen behaftet, allein die Anzahl der
tet sie nicht, was fehlt? Wo ist der Ort des Tonstu-       verfügbaren Werbespots anzugeben, ist proble-
dios Frankfurt in diesem Werbegefüge?                      matisch. Nichtsdestominder bietet sie ausgespro-
    Und immerhin: Die Werbeindustrie ist (und              chen Aufschlussreiches, das den Blick auf die Ki-
war es wohl immer) am Puls der Zeit, stets inno-           no- und Fernsehwerbung der 50er und 60er Jahre
vativ, stets zukunftsorientiert. Und das in einem          des letzten Jahrhunderts stark erweitern kann,
Maß, das offenbar die Rückbesinnung, das Kon-              und es lassen sich eine ganze Reihe eindeutiger
servieren des bereits Geleisteten nicht zulässt.           Trends herausarbeiten.
Werbespots werden in der Regel weder von den
sendenden Anstalten noch den Produzenten der
beworbenen Produkte noch den Produzenten der
Spots aufbewahrt.4 Dass Geldmacher über min-                Die Werbemacher in der
destens 15 Jahre hinweg zumindest einen Teil der            frühen Bundesrepublik
produzierten Spots gesammelt hat, ist also
durchaus etwas Besonderes.5                                 Deutschland
    Die zweite gute Nachricht: Unsere Sammlung
umfasst nicht nur die eingangs besagten „über              Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg war es
500“ Werbespots, sie umfasst mehr. Viel mehr.              den Deutschen zunächst untersagt, Printmedien
                                                           herauszugeben und Radiosender zu betreiben.
3   Weger (1966:55). Dabei zitiert er Peterson (1950:9).
                                                           Die Alliierten unterhielten eigene Zeitungen und
4 Reimann (2008:105).
                                                           Radiostationen, einerseits um die deutsche Be-
5   Gerber (2013:13).

Mitteilungen des RVW 9/2021                                                                             Seite 6
Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung                                        Lohr

völkerung mit Nachrichten zu versorgen, an                neral Foods [1954]9), sondern auch die Werbung
dererseits als Instrument der Re-Education.               und ihre Macher.10 Bereits 1927 hatte die 1912 in
Die Rundfunksender der Militärregierungen, die            New York gegründete Werbeagentur H. K. McCann
Heeresgruppenpresse und auch die vier deutsch-            ein Büro in Berlin eröffnet, um die Stanford Oil
sprachigen amerikanischen Zeitschriften veröf-            Company bei der Erschließung des europäischen
fentlichten keine Wirtschaftswerbung, da ein              Marktes zu unterstützen. Schon ein Jahr später
„Handel mit dem Feind auf kommerzieller                   waren die amerikanischen Werbeagenturen Lord
Grundlage“ − zumindest nach amerikanischem                & Thomas, J. Walter Thompson, Erwin Wassey & Co.
Gesetz − verboten war 6. Bereits wenige Wochen            sowie die englischen Agenturen Crawford und Lin-
nach Kriegsende begannen die Alliierten Lizen-            tas in den deutschen Markt eingetreten.11
zen für Zeitungen und Zeitschriften in bzw. aus               Diese Agenturen waren schon bald nach dem
deutscher Hand zu vergeben, in denen auch Wer-            Zweiten Weltkrieg wieder in Deutschland aktiv
bung zugelassen sein sollte, deren Umfang aller-          und steckten einen nicht unbedeutenden Teil des
dings begrenzt wurde, in der Regel auf maximal            Markt-Terrains für sich ab. Werbeagenturen gab
ein Achtel des Gesamtumfangs von vier bis acht            es in Großbritannien und den USA weitaus länger
Seiten. Praktisch enthielten diese Anzeigenteile          als in Deutschland, wo die politischen und wirt-
keine geschäftliche Produktwerbung, sondern               schaftlichen Gegebenheiten und insbesondere
private Gesuche und Tauschangebote. Wozu hätte            die beiden Weltkriege die Weiterentwicklung der
es auch der Werbung bedurft – die Nachfrage               seit Mitte des 19. Jahrhunderts bestehenden An-
nach allem war deutlich größer als das Angebot,           noncen-Expeditionen zu großen Werbebetrieben
die Kaufkraft minimal.                                    gebremst bis verhindert hatten.12
   Mit der Währungsreform im Juni 1948 stieg                  Was es gab, waren Werbeberater: freiberufli-
die Kaufkraft; die Produktpalette wurde breiter.          che Unternehmer aus verschiedenen Berufen, die
Gleichzeitig wurde die Beschränkung von Werbe-            die größeren wirtschaftlichen und soziologischen
anzeigen in Zeitungen und im September 1949               Zusammenhänge durchaus erkannten, in die die
die Lizenzpflicht aufgehoben, worauf eine Welle           Werbung eingebettet war, und die bereits Markt-
von Zeitungsneugründungen folgte. Und mit ih-             analysen anhand psychologischer Tests durch-
nen eine Werbe- und Werbungswelle, denn Medi-             führten. Für sie bedeutete Werbeberatung umfas-
en brauchen die Werbung ebenso, wie Werbung               sende Absatzberatung. Was die Werbeberater von
die Medien braucht.7 Auch die neu geschaffenen            Werbeagenturen unterschied, war die Einstellung
öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nah-             zur Werbung seitens der werbenden Unterneh-
men ab der Währungsreform Werbung in ihr                  men. Diese verstanden Werbeberater oftmals le-
Programm auf.8                                            diglich als Werbetexter, engagierten sie für einzel-
   Da gewonnene Kriege stets die Öffnung des              ne Anzeigen oder Kampagnen und misstrauten
„neu gewonnenen“ Marktes für die Produkte der             ihnen so sehr, dass sie sie häufig wechselten und
Siegermächte bedingen, liegt es nahe, dass auch           ihnen nicht allzu viel Einblick in ihre Unterneh-
die Werbung der Nachkriegszeit alliierter Mach-           men gewährten.13 Die Vermittlung blieb in den
art und Herkunft war. Nicht nur, was einen Teil           Händen der Unternehmer und wurde dort oft ge-
der zu bewerbenden Produkte anging (zum Bei-              nug vernachlässigt – zumindest aus Sicht von Er-
spiel teils bereits vor dem „Dritten Reich“ in            win R. Weger, der 1966 eine gründliche Analyse
Deutschland ansässiger Firmen wie British Ameri-
can Tobacco [seit 1926], Palmolive [seit 1927] oder Ge-   9   BAT-Germany (2020); Czartowski (2017a); Czartowski
                                                              (2017b).
                                                          10 Strauf (1959:13).
6   Hurwitz (1972:101).                                   11 Weger (1966:40 f.).
7   Dotzler (2013:7).                                     12 Weger (1966:11).
8   Welsch (2002:92); Breunig (2015:52).                  13 Weger (1966:37 ff.).

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Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung                                           Lohr

des Werbeagenturwesens in Deutschland publi-               Werbeagenturen, die größerenteils bereits in der
zierte. Das Verhältnis sowohl der deutschen Un-            Weimarer Zeit in Deutschland tätig gewesen wa-
ternehmer als auch der Konsumenten zur Wer-                ren − oftmals weit über 1933 hinaus − und die sich
bung war negativ, man betrachtete sie als not-             nach dem Ende des „Dritten Reichs“ schnell re-
wendiges Übel. Oder als nicht-notwendiges Übel.            etablierten.
   Entsprechend war die deutsche Werbung nach
                                                             1. H. K. McCann Company mbH, Frankfurt,
dem Zweiten Weltkrieg zunächst nicht sonderlich
                                                                New York
ausgefeilt: Die „neuen“ deutschen zu bewerben-
den Produkte waren zum Großteil „alte“ Marken,               2. Lintas GmbH, Hamburg, London
die es bereits vor 1945 gegeben hatte, in erster Li-         3. J. Walter Thompson GmbH, Frankfurt,
nie Waren des täglichen Bedarfs, Hygieneartikel,                New York
Putz- und Waschmittel. Die Nachfrage war vor-
handen, es ging vorderhand um nichts weiter als            Auf Platz 4 taucht mit William Wilkens erstmals
darum, die Wiederverfügbarkeit der Produkte                ein deutsches Unternehmen auf (auch wenn der
kund zu tun: „Persil – Endlich wieder!“, „Es gibt          Name nicht sehr deutsch klingt), 1876 gegründet
wieder Sunlicht Seife“, „Endlich wieder Nivea              und 1945 neugegründet, das bereits nur mehr
Zahncreme – Und dazu in Friedensqualität“.                 halb so viele Mitarbeiter wie McCann beschäftigte
   Die „neuen“ deutschen Werbemacher waren                 (300/650) und deutlich weniger Umsatz generier-
ebenfalls die alten, die ihr Handwerk vor 1945 er-         te (jährlich 93,2 Mio. DM/148,4 Mio. DM).17
lernt und praktiziert hatten14. Auch die NS-Wer-               Es folgen weitere deutsche Agenturen, deren
bekommunikatoren fanden schnell in ihre alten              Gründungsdaten teils deutlich vor der Wäh-
Berufe zurück, arbeiteten als Werbeberater und             rungsreform liegen. Werbeagentur Dr. Hegemann
gründeten Werbefachschulen;15 wir werden noch              (Düsseldorf, 1947)18, Werbe-Gramm, Gesellschaft für
näher darauf eingehen. Ab 1952 schlossen sich              Wirtschaftswerbung (Düsseldorf 1946)19, Heumann
führende „Vollservice leistende“ Werbeagenturen            Werbegesellschaft, (Frankfurt 1950)20. Die Namen
zu Verbänden zusammen und gelobten einander                Commercialfilm, Tonstudio Frankfurt oder gar „Geld-

     „
Qualifikationsbestimmungen, die den internatio-            macher“ scheinen in dieser Liste nicht auf. Wie-
nalen Auffassungen und Gepflogenheiten ent-                wohl die Quellen, in denen Geldmacher erwähnt

                                                                „
sprachen, „durchweg angesehene und in der Wer-             wird, ihm Großes attestieren: Er sei „einer der
bung erfolgreiche Firmen“, die die                         Macher in der deutschen Werbung“ gewesen,21
                                                           „ein Ur-Gestein der Markenführung“22, ein „be-
            Entwicklung zur Vollservice-Agentur, entwe-    deutender Werbepionier“,23 dessen
            der von der Werbeberater-Praxis oder der AE
     [Annoncen-Expedition; DL] ausgehend, schon mehr                   Tonstudio Frankfurt […] sich unter seiner
     oder weniger vollzogen haben oder zumindest zielbe-               Ägide zum bekanntesten und größten Privat-
     wusst anstreben.“16                                        studio für kommerzielle Tongestaltung, Funkwer-
                                                                bung und Werbesynchronisierung entfaltete“. 24
Offenbar wollte man sich von den Newcomern,
die in den Werbemarkt einzudringen drohten,                17 Weger (1966:196 ff.).
rechtzeitig distanzieren.                                  18 North Data (o. J.).
   Weger listet die auf dem deutschen Werbe-               19 Malsy & Müller (2013:212).
markt tätigen 44 Top-Akteure sortiert nach Um-             20 Erste Werbeagentur von 1926 bis 1938. Bongard (1963).
satz und Mitarbeiterzahl auf: Auf den oberen               21 Zinner (2016).
Rängen stehen US-amerikanische und britische               22 Mattenklott & Schimansky (2002:6).
                                                           23 Seidel (2011:222).
14 Strauf (1959:55).
                                                           24 Herbst (2003:498). Die genannten Quellen führen als
15 Hirt (2013:370 ff.).                                       Begründung je zwei oder drei knallige von Geldmacher
16 Strauf (1959:55).                                          kreierte Slogans an sowie einige populäre Marken, die

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Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung                                          Lohr

Tatsächlich erwecken die Metadaten in der                    Welches Stück des Werbekuchens blieb nun den
Sammlung Geldmacher insgesamt eher den Ein-                  deutschen Neueinsteigern ins Werbegeschäft üb-
druck, dass das Tonstudio Frankfurt, so rege sich            rig, den „Zwischenformen“? Denkbar wären:
Geldmacher auch um Gesamtentwürfe der Wer-
beplanung, -gestaltung und -durchführung be-                   •   Lokale Unternehmen, bei denen Full Service

     „
mühte, zumindest in der Anfangsphase nicht als                     in großem Maßstab keinen Sinn machen
Werbeagentur wahrgenommen wurde, sondern                           würde und die sich eine Full-Service-Agen-
eher als Werbeberatung.25 Wenn überhaupt. Gerd                     tur auch gar nicht leisten könnten,
F. Heuer schreibt 1956:                                        •   Zulieferdienste,
                                                               •   Unternehmen, die, wie oben beschrieben,
            Wegen der historischen Entwicklung der
            deutschen Werbewirtschaft und der deut-                ihren Beratern nicht allzu weit trauten oder
     schen Wirtschafts- und Werbementalität [werde es]             ihnen nicht allzu viel Zugriff auf ihre Unter-
     neben den sogenannten ‚echten‘ Werbeagenturen                 nehmen einräumen wollten.
     und reinen Werbungsmittlern noch für lange Zeit
     mancherlei Zwischenformen geben.“26                     Das Wenige, was wir über die Frühzeit des Ton-
                                                             studios Frankfurt wissen, ist in Horst Slesinas au-
Es herrschte also unter den „echten“ Werbeagen-              tobiografischem Buch „Die Fährte des Löwen“
turen ein ausgeprägter Standesdünkel vor, viel-              nachzulesen: Das Studio wurde 1948 von einem
leicht aber auch eine gewisse Angst, die „Zwi-               gewissen Herrn Marz gegründet und hatte ur-
schenformen“ könnten sich auf dem Werbemarkt                 sprünglich überhaupt nichts mit Werbung zu tun.
etablieren und konkurrenzfähig werden. Und                   Marz verdiente sein Geld damit, dass amerikani-
wirklich: Das Hamburger Branchenfernsprech-                  sche Soldaten bei ihm Grüße und Botschaften an
buch des Jahres 1955 führt neben den im Weger-               ihre Angehörigen auf Band sprachen, die dann
Ranking genannten Werbeagenturen mit Zweig-                  auf flexible Platten geschnitten und in die USA
stellen in Hamburg (Brose, Heumann, Hegemann,                geschickt wurden. Es sei „kein großes Geschäft,
Lintas, McCann und Wilkens) unter der Rubrik                 aber es läppere sich so.“28
„Werbehelfer und -mittler“ auf rund zweieinhalb                  Wer aber war Horst Slesina? Horst Slesina
Seiten über 250 – meist einzeilig annoncierte −              war einer der erwähnten „Handvoll Männer“, die
„Werbeberater und Texter“, „Gebrauchsgrafiker                das Werbegeschehen im Nachkriegsdeutschland
(Entwerfer)“, „Schaufenstergestalter“, „Werbungs-            und weit darüber hinaus maßgeblich prägten. Er
mittler“ und „Werbevertreter“.27                             war 1933/34 beim Westdeutschen Rundfunk in Köln
                                                             tätig gewesen, 1934/35 bei der Reichs-Rundfunk-
   er vertreten hat. Indes: Der „biographische Anhang“ zu    Gesellschaft in Berlin, ab 1935 Hauptabteilungslei-
   Gerulf Hirts Monografie „Verkannte Propheten“ (2013)      ter Zeitgeschehen beim Reichssender Saarbrücken
   ist ein 80-seitiges Who’s Who der deutschen Werbe-        und von 1939 bis 1942 Kriegsberichterstatter an
   kommunikation von der Weimarer Zeit bis 1967. Der         verschiedenen Fronten. 1993 veröffentlichte er
   Name „Geldmacher“ taucht darin allerdings nicht auf.
                                                             das besagte autobiografische Buch „Die Fährte
   Tebrake (2019) listet nach Jahreszahlen des Beginns ih-
   rer jeweiligen Beratertätigkeit im Zeitraum 1948−53
                                                             des Löwen“, ein wahres Wunderwerk an Selbst-
   eine ganze Reihe führender deutscher PR-Berater auf.      verliebtheit und -beweihräucherung. Der „Löwe“
   Auch unter diesen rund 20 Namen ist Geldmacher            ist der Autor selbst (er schreibt von sich in der
   nicht zu finden. Kirchgeorg, Schalk & Strahlendorf
   (2020) beleuchten verschiedene „Werbeszenen“ in ver-      27 Hamburger Adressbuch 1955 → Branchenverzeichnis
   schiedenen Werbezentren im Nachkriegsdeutschland.            → Alphabetteil: Branchen. Handels-, Industrie- und
   Auch hier: kein Erwin H. Geldmacher, kein Tonstudio          Gewerbe-Adreßbuch der Freien und Hansestadt Ham-
   Frankfurt.                                                   burg → Werbung Seite III/ 430−33, abrufbar auf den
25 Auch Geldmacher selbst bezeichnet sich als Werbebe-          Seiten der Staats- und Universitätsbibliothek
   rater. (Geldmacher 2008:164).                                Hamburg Carl von Ossietzky – Zugriff: 14.1.2021.
26 Heuer (1956), zitiert nach Weger (1966:56).               28 Slesina (1993:192).

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dritten Person). Er ist über alle Maßen intelligent,      wohl gewusst haben, woher die Sachen kamen,
willensstark und charakterfest, Spitzensportler,          ohne, dass man darüber sprechen musste, allzu
die Herzen der Frauen fliegen ihm zu, er ist ein          viele Möglichkeiten gab es nicht. Und gleichge-
überaus wortgewandter Redekünstler, der im                sinnt waren Herr Marz und Herr Slesina. Man
Gespräch alle für sich einnimmt. Immerhin deu-            verstand sich auf Anhieb, und dank seines Rede-
tet der Untertitel seines Buchs, „Roman eines             geschicks überzeugte Slesina Herrn Marz, dass
Lebens“, ehrlicherweise darauf hin, dass womög-           man jetzt Rundfunkwerbung machen müsse, be-
lich nicht alles, was drinsteht, für bare Münze zu        kam binnen kurzem über alte Verbindungen Pro-
nehmen ist. Wenngleich das, was er über seine             duktionsaufträge und von Herrn Marz drei Vier-
Rolle in der Nachkriegswerbung schreibt, zumin-           tel der Anteile am Tonstudio.31
dest der Sache nach tatsächlich stimmt: Er war                Dergestalt war das Fluidum, in das vier Jahre

                                                               „
1952 Mitbegründer der Gesellschaft Werbeagenturen         später der 28- oder 29-jährige Erwin H. Geldma-
(GWA, auch heute noch der Verband der führen-             cher eintrat, als Slesina zur Agentur Heumann
den Kommunikationsagenturen Deutschlands)                 wechselte und nach einem Nachfolger Ausschau
und sechs Jahre lang deren Vorsitzender, war we-          hielt. Er
sentlich am Aufbau der William Heumann Werbege-
sellschaft beteiligt und Schöpfer des Slogans „Ihr                     fand in der Person von Ermuth [für ‚Erwin
guter Stern auf allen Straßen“, mit dem Mercedes                       Helmut‘] Geldmacher, dem Sohn seines ehe-
                                                               maligen Professors für Betriebswirtschaft, eine mehr
Benz jahrzehntelang seine Fahrzeuge bewarb. 29                 als geeignete und würdige Persönlichkeit, die das
Ein paar Details auf seinem Erfolgsweg erwähnt                 Tonstudio einer neuen Blüte zuführte.“32
Slesina in seiner Biografie indes nicht: Seine An-
stellung im Rundfunk erfolgte im Anschluss an             Werfen wir einen Blick auf unser Korpus.
die Säuberungswelle im Rundfunkwesen nach
der „Machtergreifung“, er war seit 1933 Mitglied
der SA und seit 1937 der NSDAP, bei der Reichs-
Rundfunk-Gesellschaft (RRG) in Berlin Mitarbeiter          Die Werbekunden des
von „Dr. Goebbels“, wie er ihn mehrfach respekt-           Tonstudios Frankfurt
voll nennt, und von 1943 bis zum Ende des „Drit-
ten Reichs“ Gaupropagandaleiter und Landeskul-
turverwalter des Gaus Westmark.30                         In den 513 vollständig in Bild und Ton vorliegen-
    Und eben dieser Horst Slesina stieß, nachdem          den Werbespots (ohne Dubletten) werden 103
er 1948 aus dem Entnazifizierungslager entlassen          verschiedene Produkte von rund 80 Herstellern
worden war, auf der Suche nach einem neuen                beworben (detaillierte Auflistung im Anhang).
Auskommen (beim Rundfunk wollte man ihn                   Die Daten lassen sich nach verschiedenen Kriteri-
nicht mehr einstellen …) eher zufällig auf Herrn          en sortieren, die bereits einige Aufschlüsse geben.
Marz und das Tonstudio Frankfurt. Das Tonstudio           Ordnen wir zunächst nach den Auftraggebern der
sei perfekt eingerichtet gewesen, zwei Magne-             Werbespots. Diese lassen sich grob in sechs Kate-
tophonbandgeräte, entsprechende Verstärker,               gorien unterteilen:
sehr gute Mikrophone und Plattenschneidegerä-
                                                           •    die Großkunden der „frühen“, also der 50er
te. „Woher die ganze Einrichtung stammte, kam
                                                                Jahre, Reemtsma und Neckermann;
nicht zur Sprache“, merkt Slesina beiläufig an.
Was man nicht weiß, macht einen nicht heiß. Be-            •    die Firma Henkel, mit der Geldmacher die am
ziehungsweise: Als Gleichgesinnter wird man                     längsten dauernde Geschäftsbeziehung un-

29 Jeske (1999:18).
30 Rheinland-Pfälzische Personendatenbank (2009);        31 Slesina (1993:191 f.).
   Muskalla (1995:589); Hirt (2013:564).                 32 Slesina (1993:200 f.).

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      terhielt und die in unseren Metadaten am                    ckermann Versand KG 1950 gegründet) hatten
      ausführlichsten dokumentiert ist;                           ihre Marktposition durch den kostengünsti-
  •   den besten Kunden der späten Jahre unserer                  gen Erwerb „arisierter“ Betriebe beträchtlich
      Sammlung (1963−67), den Stern-Verlag Henri                  ausgebaut und im großen Stil Zwangsarbei-
      Nannen bzw. ab 1965 Gruner + Jahr;                          ter beschäftigt, beide hatten als offizielle
                                                                  Ausstatter der SA (Reemtsma) bzw. der Wehr-
  •   einige der nicht-deutschen Kunden in der                    macht (Neckermann) gut vom Nationalsozia-
      Sammlung, Gevaert, Pfizer, Canada Dry und                   lismus profitiert, beide hatten hervorragen-
      Cinzano;                                                    de Kontakte nach „ganz oben“.36 Womöglich
  •   schließlich die zahlenmäßig größte Kunden-                  war die Voraussetzung, um in dieser Früh-
      gruppe, Unternehmen, die nur wenige Spots                   zeit genug Geld zu haben, das man für Wer-
      produzieren ließen, teilweise einen einzi-                  bung ausgeben konnte (Fernsehwerbung zu-
      gen.                                                        mal, die für alle Beteiligten reines und dar-
                                                                  über hinaus kostenintensives Neuland und
Die besten Werbekunden der frühen Geldma-                         Experiment war), dass man es zuvor erwor-
cher-Werbung waren die Firmen Reemtsma und                        ben hatte, mithin also während des „Dritten
Neckermann: Im Archiv befinden sich – jeweils ex-                 Reichs“.
klusive der Dubletten − 46 vollständige Kino- und
                                                              •   Beide blickten auf langjährige Erfahrung
Fernsehspots für Reemtsma aus den Jahren 1951
                                                                  mit Werbung zurück und ließen sich Wer-
bis 1958, 29 für Neckermann aus den Jahren 1956
                                                                  bung etwas kosten: Neckermann hatte Anfang
bis 1960.33 Diese beiden ansonsten eher unter-
                                                                  der 60er Jahre einen Werbeetat von rund 35
schiedlichen Firmen weisen einige Gemeinsam-
                                                                  Millionen DM jährlich, Reemtsma beschäftig-
keiten auf:
                                                                  te seit 1921 den Begründer der Markentech-
  •   Sie gehörten zu den herausragenden Groß-                    nik Hans Domizlaff in führender Position
      unternehmen ihrer Zeit: Die Auflagen der                    und arbeitete mit etlichen namhaften Wer-
      Neckermann-Kataloge gingen in die Millionen                 beagenturen zusammen.37
      (zum zehnjährigen Bestehen 1960 laut Josef              •   Das für uns bedauerlichste gemeinsame
      Neckermann34 18 Mio.), Reemtsma hielt mit                   Merkmal ist: In der durchaus umfangreichen
      einer Milliarde verkaufter Zigaretten pro                   Literatur zu den Historien der Firmen
      Monat 1952 einen Anteil von 35 Prozent am                   Reemtsma und Neckermann tauchen die Na-
      deutschen Zigarettenmarkt, Ende der 50er-                   men Tonstudio Frankfurt, Commercialfilm oder
      Jahre von über 44 Prozent.35                                „Geldmacher“ nicht auf. In unserem Archiv
  •   Die Geschäftspraktiken zwischen den Jah-                    hinwieder bestehen die wenigen Metadaten
      ren 1933 und 1945 weisen starke Ähnlichkei-                 zu den Werbespots dieser beiden Geldma-
      ten auf: Sowohl Reemtsma als auch Josef                     cher-Kunden fast ausschließlich aus Dreh-
      Neckermanns Unternehmen (die Textilgesell-                  buchvorschlägen und Treatments; ergänzen-
      schaft Neckermann KG wurde erst 1948, die Ne-               de Informationen, Begleitschreiben etc. sind
                                                                  ausgesprochen spärlich.
33 Um mit konkreten Zahlenangaben zu Kino- und Fern-
   sehspots arbeiten zu können, zähle ich im Folgenden
   nur die faktisch in Bild und Ton vorliegenden. Wenn es   „Reemtsma“
   sich bei diesen Spots um Teile eine Spot-Serie handelt   Die auf den Spots im Archiv meistbeworbene
   oder wenn es anderweitig erkenntnisreich ist, greife
   ich zuweilen auch auf die zusätzlichen Spots zurück,
                                                            Marke ist die Juno-Zigarette. Wir haben 46 Wer-
   von denen wir „nur“ die Tonaufnahmen im Archiv ha-
   ben.                                                     36 Grunenberg (2006:33 ff.); Lindner (2007); Veszelits
34 Neckermann (1990:258 f.).                                   (2005); Roth & Abraham (2011).
35 Reemtsma (2020).                                         37 Veszelits (2005:303); Hirt (2010:18 ff.).

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Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung                                               Lohr

befilme: 36 davon in Farbe, also fürs Kino, einer         Kunde des Tonstudios Frankfurt gewesen, bevor
schwarz-weiß, also fürs Fernsehen, und neun in            Geldmacher in das Unternehmen einstieg.
merkwürdig rosastichigem Schwarzweiß und ei-                  William Heumann war von der Juno-Werbung
nem bunten Abspann fürs Kino, womöglich also              dergestalt begeistert, dass er noch weitere Kam-
fürs Fernsehen konzipiert und fürs Kino „zweit-           pagnen mit Slesina durchführte und ihn schließ-
verwertet“. Die meisten ähneln einander hin-              lich vom Tonstudio Frankfurt abwarb und zum Ge-
sichtlich textlicher, bildlicher und musikalischer        schäftsführer seiner Agentur machte. 41 Wir dür-
Machart frappant, und das, obwohl sie über einen          fen annehmen, dass Slesina dafür Sorge trug,
Zeitraum von sieben Jahren hinweg entstanden              dass die Tonspuren der Reemtsma-Aufträge auch
sind (1951 bis 1958). Wir haben in den Aktenord-          weiterhin im Tonstudio Frankfurt aufgenommen
nern Treatments zu ungefähr zehn weiteren                 wurden.
Spots aus den Jahren 1960 und 1963,38 über Hin-               Der von Just Scheu komponierte Werbeschla-
tergrundinformationen hinsichtlich des Wie,               ger, aufgenommen mit dem berühmten Sänger
Wann, Wer oder Warum der Reemtsma-Werbung                 Bully Buhlan und dem Orchester Erich Börschel,
verfügen wir jedoch nicht.                                erschien entweder kurz vor oder gleichzeitig mit
    Auch hier hilft uns Horst Slesina weiter. Willi-      den Radiospots:
am Heumann, der bereits in den 20er Jahren
Werbung für Reemtsma gemacht und 1950 seine                   Es geht ein Spruch von Mund zu Mund, der tut es allen
Agentur wiedereröffnet hatte, sei – wohl im                   Rauchern kund: Aus gutem Grund ist Juno rund. […] Was
                                                              schon die Spatzen von den Dächern pfeifen: Man kann
Herbst 1950 − im Tonstudio Frankfurt vorbeige-
                                                              jetzt wieder zu der Juno greifen. Der echte Raucher wird’s
schneit und habe Slesina um Hilfe gebeten, da                 wie früher halten, mit der Runden, der guten Alten.
Reemtsma für die Wiedereinführung der Juno auch
Radiowerbung machen wolle, wovon er, Heu-                 Unser Radiospot im Archiv beginnt mit der ge-
mann, nicht viel verstehe und sich deshalb an             sungenen Liedzeile (allerdings nicht gesungen
Slesina wende. In gewohnt souveräner Art und              von Bully Buhlan) „Ein netter junger Mann
Weise hatte Slesina innerhalb einer Woche nicht           sprach einmal ein Mädchen an“, es folgen ein ge-
nur Funkspots, sondern auch ein Gesamtkonzept             sprochener Dialog zwischen den beiden und ab-
entwickelt, zusammen mit dem seinerzeit wohl-             schließend noch ein paar Takte der Musikaufnah-
bekannten Komponisten, Schauspieler, Regisseur            me.
und Rundfunksprecher Just Scheu, der die Melo-
                                                              Der Schlager bildet auch die Grundlage für die
die beisteuerte, und einem „berühmten Münch-
                                                          Fernsehspots. Der gesprochene Textanteil ist ge-
ner Grafiker“, der Plakate und Anzeigen gestalte-
                                                          ring, manche der Filme kommen gänzlich ohne
te.39 Einen dieser Radiospots, datiert auf den
                                                          Text aus, zuweilen wird die Refrainzeile im Ab-
1.1.1951 sowie einen Hinweis auf ein Layout vom
                                                          spann noch gesungen. Dabei ist die musikalische
18.12.1950 haben wir im RAW vorliegen.40 Reemts-
                                                          Ausgestaltung, auch wenn man das Motiv nach
ma war also bereits über die Agentur Heumann
                                                          dem ersten halben Takt sofort wiedererkennt,
                                                          sehr aufwendig gehalten: Es gibt etliche Varia-
                                                          tionen, gespielt von einer Bigband und auf zahl-
38 Ordner CF 26 – Vorderhand habe ich die Ordner, bis     reichen Instrumenten, die teils direkt auf die
   eine sinnvolle bibliothekarische Kennzeichnung parat
                                                          Spots zugeschnitten sind, am prägnantesten viel-
   ist, von 01 bis 82 fortlaufend durchnummeriert; „CF“
   steht für „Commercialfilm“.
                                                          leicht im Clip WR 5.06, wo ein Musiker verschie-
39 Slesina (1993:197 f.).
                                                          dene Instrumente spielt – Schlagzeug, Saxophon,
40 R-Nummer 298 und R-Nummer 512 − Zugriff:
                                                          Trompete, Ziehharmonika −, die parallel im
   14.1.2021. Die Werbespots sind in der Datenbank des    Soundtrack zu hören sind.42
   RAW mit R-Nummern, Verwaltungsnummern, Ar-
   chivnummern und BR-Nummern versehen, anhand
   derer sie sich leicht finden lassen.                   41 Slesina (1993:199 ff.).

Mitteilungen des RVW 9/2021                                                                                        Seite 12
Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung                                                       Lohr

                                                                 „Aus gutem Grund nach guter Sitte sagt man gerne ̦Juno
                                                                 bitte‘.“

                                                              In den Skripts liest sich das beispielsweise fol-
                                                              gendermaßen:

                                                                 Bild:
                                                                 Aufblenden: Bahnschranke, die gerade niederfällt. Hinter
                                                                 der Schranke erscheinen Menschen, zu Fuss, per Rad
                                                                 oder auf Motorroller. […]
                                                                 Ton:
                                                                 Junofanfare. „Es ist im Leben so bestellt, dass immer mal
                                                                 die Schranke fällt. Für den zu Fuss, für den per Rad, für
                                                                 den, der einen Roller hat […]“.

  Abbildung 1 a − d: Screenshots des Juno-Clips aus dem Ar-   Der handschriftliche Vermerk „Köpfe und
  chiv. Quelle: RAW.
                                                              Schranke fehlen noch“ scheint darauf hinzudeu-
                                                              ten, dass der Spot zumindest begonnen und wohl
Die im Archiv vorhandenen Spots sowie die                     auch beendet und gesendet wurde.
Treatments zu den nicht-vorhandenen ähneln                       Lediglich ein paar Spots brechen aus dem
einander hinsichtlich Stil und Duktus sehr: Die               Muster ein wenig aus: So wird in WR 5.13 keine
Protagonisten sind Zeichentrickfiguren von Men-               Geschichte erzählt, sondern mit einem Alternativ-
schen verschiedenster Berufsgruppen (Autome-                  Schlagertext gesungen, wiederum nicht von Bully
chaniker, Sekretärin, Professor, Maler, Kapitän,              Buhlan:
Reporter …) mit verschiedensten Hobbys (Gärt-
nern, Radfahren, Tanzen, Angeln, Reisen …). Die                  „Aus gutem Grund weiß jedermann, wie schnell man sich
                                                                 verlieben kann. Mit ̦Juno bitte‘ fängt es an.“
meisten von ihnen haben keine Zigarette, hätten
jedoch gerne eine und bekommen sie letztendlich
                                                              Der visuelle Anteil besteht aus ein- und ausflie-
auch. Entweder sie artikulieren ihren Wunsch
                                                              genden Motiven des Gesungenen, Telefonhörer,
verbal – „Juno bitte“ – oder sie formen und for-
                                                              Blumen, Stock und Hut und natürlich immer wie-
mulieren ihren Wunsch, indem sie Bestandteile
                                                              der der Zigarette.
ihres Umfelds, Werkzeuge etc., zur Buchstaben-
folge „J – U – N – O“ zusammenlegen. Die Zei-
chentrickzigarette fliegt ihnen buchstäblich aus
dem Nichts zu, gerade zwischen die Lippen. Text-
lich sind die Spots eher spartanisch gehalten,
entweder mit ein paar erklärenden gereimten
Zeilen zur dargestellten Situation oder lediglich
einem Slogan, der ebenfalls im Lauf der Jahre
nicht wesentlich variiert:

    „Aus gutem Grund nach alter Sitte – hierzulande ̦Juno
    bitte.‘“
    „Juno bitte.“
    „Wie bitte? Juno bitte.“
                                                                  Abbildung 2 a − d: Screenshots des Juno-Clips aus dem Ar-
                                                                  chiv. Quelle: RAW.
42 Die Nummerierung lehnt sich an die Liste an, die zu-
   sammen mit den Bändern an die Uni Regensburg ge-
   kommen ist. „WR“ steht für „Werberolle“.

Mitteilungen des RVW 9/2021                                                                                             Seite 13
Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung                                        Lohr

In WR 4.17 wird ungereimt geworben:                           Die gesamte Marke Juno spricht den traditionsbe-
                                                              wussten Raucher an. (Und die traditionsbewusste
     „Aus gutem Grund: Juno lang und rund [was auch auf der   Raucherin, allerdings in sehr viel geringerem
     abgebildeten Zigarettenpackung steht]. Denn Tabakmi-     Ausmaß; wir werden darauf zu sprechen kom-
     schung und Format bestimmen den Geschmack der Ziga-
                                                              men.) Entsprechend war die Werbung gestaltet:
     rette.“
                                                              wenig Änderungen, Betonung der guten alten Zi-
Abschließend wird der Refrain der Original-Auf-               garette. (Die Assoziation zur „guten alten Zeit“
nahme mit Bully Buhlan eingespielt. Womöglich                 drängt sich förmlich auf. Wenn man die Reemts-
handelt es sich bei diesen Spots um die ersten, die           ma-Vergangenheit kennt, möchte einem zuweilen
noch nicht als Serie konzipiert waren. Dreierlei              etwas mulmig werden.) Die Juno war die älteste
fällt auf:                                                    der zahlreichen Zigarettenmarken im Hause
                                                              Reemtsma. Kreiert wurde sie 1896 von der Berliner
 •     Dass die Spots, wie erwähnt, im Laufe der              Firma Josetti, und sie war seinerzeit tatsächlich
       Zeit so wenig variieren, dass sich ein extrem          ein Novum, da sie statt der bis dato favorisierten
       hoher Wiedererkennungswert einstellt, der              Orient-Tabake Virginia-Tabak enthielt. Die Ori-
       indes subjektiv auch als monoton bis ermü-             ent-Zigaretten waren im Querschnitt oval, die
       dend empfunden werden kann.                            Juno war, um sich auch optisch abzusetzen – eben
 •     Die opulente musikalische Ausgestaltung.               rund. Der Slogan der Einführungszeit hieß denn
       Die Musik ist hier keineswegs – wie in den             auch „dick und rund“. „Aus gutem Grund ist Juno
       allermeisten anderen Werbespots im Geld-               rund“ dürfte in den frühen 30er Jahren hinzuge-
       macher-Archiv − nur Hintergrundmusik,                  kommen sein. Reemtsma hatte seit 1928 die Mar-
       sondern ein wesentliches gestalterisches               kenrechte an der Juno inne und meldete den Slo-
       Element.                                               gan 1934 als Wortmarke an.43 Ende 1943 wurde
                                                              die Produktion der Juno eingestellt, vermutlich,
 •     Die vorhandenen Treatments aus dem Jahr                weil die Produktionsbetriebe in Berlin bei Luft-
       1960 tragen noch keinen Copyright-Ver-                 angriffen zerstört worden waren. Ab März 1951
       merk; diejenigen aus dem Jahr 1963 sind                produzierte Reemtsma wieder Juno-Zigaretten,
       markiert mit „Copyright 1963 by E.H. Geld-             jetzt in Hamburg.44 Ein halbes Jahr später begann
       macher“. Die ersten Juno-Spots können noch             man im VEB Josetti in Ost-Berlin eine „Ost-Juno“
       nicht von Geldmacher gewesen sein, da sie              zu produzieren, die zwar einerseits flach und
       vor seiner Zeit im Tonstudio Frankfurt produ-          oval war und damit der noch älteren guten alten
       ziert worden waren. Bis 1963 war er also so-           Zeit verhaftet, allerdings im Format 100, also in
       weit „aufgestiegen“, dass er eigene Spots für          Überlänge, um die Überlegenheit des Sozialismus
       Reemtsma entwarf. (Wir müssen so vage blei-            zu demonstrieren.45
       ben. Dass die Spots aus dem Jahr 1960 kei-
                                                                 Ihre Vorkriegspopularität konnte die Juno in
       nen Copyright-Hinweis tragen, mag bedeu-
                                                              der BRD nicht mehr erreichen; der Reemtsma-
       ten, dass Geldmacher nicht ihr Urheber ist
                                                              Biograph Erik Lindner erwähnt die Marke in sei-
       und also sein Aufstieg vom rein Ausführen-
                                                              nem Fast-600-Seiten-Werk „Die Reemtsmas. Ge-
       den zum Produzenten zwischen 1960 und 63
                                                              schichte einer deutschen Unternehmerfamilie“ 46
       liegt, zwingend notwendig ist es allerdings
                                                              lediglich an einer Handvoll unauffälliger Stellen,
       nicht. Der Vermerk könnte aus uns nicht be-
                                                              ganz im Gegensatz beispielsweise zu den Schla-
       kannten Gründen weggelassen oder auch
       schlicht vergessen worden sein, immerhin
       wird ja auch kein anderer Urheber angege-
                                                              43 DPMA (2021a).
       ben.)
                                                              44 DPMA (2021b).
                                                              45 Neues Deutschland (1951).
                                                              46 Lindner (2007:112; 232; 386; 420; 430).

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Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung                                                 Lohr

gern Ernte 23 oder R6 und der Nachkriegskreation            vom 1.10.1956. Man übersende anbei die Ausar-
Peter Stuyvesant.                                           beitung eines Neckermann-Werbefernseh-Films
   Die im Archiv vorhandenen Kinospots stam-                [sic, zwei Bindestriche]. Man glaube, dass man
men aus den Jahren 1951 bis 1957, Tonaufnahmen              „recht gut hinkomme“ und bereite alles für Don-
zu Fernsehspots gibt es für die Jahre 1958/59               nerstag als Drehtag vor. Am 2.10.56 folgt – ohne
und 63. Im Herbst 1969/Frühjahr 1970 produzier-             weitere Erklärung – das „2. ausgearbeitete Manu-
te Geldmacher einige Radiospots für eine Juno-              skript für Neckermann Werbefernsehfilm [sic,
Novität, die                                                zwei Wörter, kein Bindestrich]“.48
                                                                Am 12.10.1956 schreibt die Universal Dia- und
    „vollkommen neue Juno Filter, eine Zigarette wie Mu-    Filmwerbung GmbH aus Düsseldorf, das „Bayeri-
    sik. […] Juno Filter mit Modern-Blend-Mischung. Eine    sche Werbefernsehen“ bitte um schnellstmögli-
    eigenwillige Mischung, eigenwillig komponiert.“         che Übersendung des Drehbuchs für einen Necker-
                                                            mann-Fernsehwerbefilm [abermals sic].
Dazu tatsächlich flotte, rhythmische Musik (die
                                                                Wem genau welche Produktionsschritte bei
indes bei genauerem Hinhören zu diesem Zeit-
                                                            diesem Film oblagen, bleibt Interpretationssache,
punkt bereits drei bis fünf Jahre alt war …47).
                                                            fest steht auf alle Fälle, dass der berühmte ers-
Vielleicht war man 1969 des zwischenzeitlich 18
                                                            te Fernsehspot mit Liesl Karlstadt und Beppo
Jahre alten Juno-Schlagers überdrüssig geworden,
                                                            Brehm, der am 3.11.1956 im Bayerischen Fernsehen
womöglich wollte man der DDR-Juno zur Ab-
                                                            ausgestrahlt wurde, keine rundweg singuläre Er-
wechslung etwas Flottes – sprich flotte westliche
                                                            scheinung war, ein Eindruck, der gerne entsteht,
Musik − entgegensetzen.
                                                            wenn man über die Anfänge der deutschen Fern-
                                                            sehwerbung recherchiert. Es ist klar: Die Anzahl
„Neckermann“                                                der von 1956 bis heute produzierten Werbefilme
Zu den Neckermann-Spots haben wir deutlich                  ist unüberschaubar; um den Durchblick zu be-
mehr Daten als zur Reemtsma-Werbung, haupt-                 wahren, muss man sich – so wie wir es tun − auf
sächlich Treatments, alle bereits mit den Ur-               einen Ausschnitt konzentrieren oder die Superla-
heberrechtsvermerken „Copyright by Tonstudio                tive miteinander in Beziehung setzen: den angeb-
Frankfurt“ oder „Copyright by E.H. Geldmacher“.             lich dümmsten, intelligentesten, witzigsten, wir-
Zumindest für die frühen Reemtsma-Spots war                 kungsvollsten, teuersten Spot, den ersten Spot
Geldmacher noch reiner Zulieferer gewesen, Mu-              mit einer unbekleideten Frau49 etc. Der zweite
sik und Bild waren vorgegeben, und der aufzu-               oder dritte ist kein Superlativ mehr und wird von
nehmende Sprachanteil war übersichtlich. Necker-            der Forschung gemeinhin übergangen. Dabei
mann gegenüber trat er von Anfang an (1956) als             wurden im Produktionszeitraum des ersten
Berater auf, der für die Werbespots die Ideen und           Werbefilms noch zahlreiche weitere gedreht,
Texte selbst einbrachte, die dann auch umgesetzt            bereits im ersten Sendemonat, eben dem Novem-
wurden.                                                     ber 1956, bedienten sich 25 Unternehmen des
   Die Neckermann-Angelegenheiten sind nicht                neuen Werbemediums. An den verfügbaren 23
auf verschiedene Ordner verteilt, sondern füllen            Sendetagen liefen insgesamt 108 Werbespots; 50
einen eigenen Aktenordner, der neben den Treat-             zwischen dem ersten und dem zweiten Spot
ments auch Hintergrundinformationen und Zu-                 dürften nur ein paar Sekunden Sendezeit gelegen
satzmaterialien enthält.                                    haben. Womöglich ist der zweite oder dritte ein
   Eines der frühesten Dokumente der komplet-
ten Sammlung ist ein Brief der Duo Film GmbH                48 CF 01.
Cartharius – Burk aus Darmstadt an Geldmacher               49 Als der allgemein ein Fa-Clip aus dem Jahr 1969 gilt –
                                                               wir haben einen älteren in der Sammlung, aber dazu
47 Cover-Versionen von Udo Jürgens’ Merci, Chérie, Dionne      später.
   Warwicks Reach out for me etc.                           50 Fischer & Westermann (2001:38).

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Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung                                                 Lohr

Geldmacher-Spot – zwei, die die Neckermann-                  film, weil man den Katalog in natura und das An-
Herbst/Winter-Kollektion 1956/57 anpreisen, ha-              gebotene bewusst ehrlich darstellen wolle und
ben wir im Archiv.                                           weil zwei große Wettbewerber aktuell Zeichen-
    Geldmacher selbst unterschreibt um diese                 trick-Werbefilme senden.

    „
Zeit bereits als Geschäftsführer der Commercial-                 Hauptakteur der Spots ist ein Reporter, der
film GmbH, so in einem Begleitschreiben zu Treat-            Menschen präsentiert, die „das Geheimnis ken-

                                                                „
ments an einen Herrn Herkommer der Firma Ne-                 nen, immer mit ihrem Geld auszukommen, ohne
ckermann vom 21.1.1957:                                      auf Qualität zu verzichten.“
                                                             „Ein Geheimnis zu erwähnen“, schreibt Geldma-
            Laut den Bedingungen des Bayerischen Wer-        cher,
            befernsehens müssen die Filme praktisch be-
    reits am 1. Februar beim Sender vorliegen. Es wird
                                                                       bedeutet immer, die Neugierde herauszufor-
    also höchste Zeit, dass wir mit den Dreharbeiten be-
                                                                       dern. Ein Geheimnis mit anderen zu teilen,
    ginnen können.“
                                                                bedeutet immer, zu den Bevorzugten zu zählen. Der
                                                                Weg dazu, ‚Mitwisser zu werden‘, führt bei den hier
Neben dem Tonstudio Frankfurt haben wir also be-                vorgelegten Vorschlägen über den Katalog.“
reits Commercialfilm mit einem Geschäftsführer.
Geldmacher scheint nach vier Jahren in der Bran-             Die Filme der Serie folgen alle dem gleichen
che bereits eine beachtliche Karriere gemacht zu             Schema: Der Reporter – erkennbar am Mikrofon
haben.                                                       und dem reporterhaften Sprachduktus – stellt
   Über eine zehnteilige Spot-Serie „Reporter:               Verbraucherinnen bzw. Verbraucher verschiede-
Geheimnisse“ aus den Jahren 1959 und 60 finden               ner gesellschaftlicher Schichten und Hintergrün-
wir einige Hintergrundinformationen; drei dieser             de in ihren Privaträumen vor. Wir haben im Ar-
Spots haben wir im Archiv.51                                 chiv „Frau Berger, 36 Jahre alt, Hausfrau“, „Inge
   In einem fünfseitigen Schriftstück (leider                Wolters, 23 Jahre alt, Sekretärin“, den „Bankbe-
ohne Anschreiben oder Ähnliches ) vom 4.8.59 an              amte[n] Werner Weber, 48 Jahre alt, daneben sei-
die Werbeabteilung von Neckermann − „Betr. Fern-             ne Frau Brigitte, Sekretärin.“
sehwerbung 1960“ − listet Geldmacher die Beson-
derheiten auf, die beim Versandhaus gegenüber

    „
anderen Werbekunden auftreten: Angesichts der
breiten Produktpalette sei nicht jedes im Film ge-
zeigte Neckermann-Produkt auf Anhieb als solches
zu erkennen. Das bedinge,

            um die Wirksamkeit der Fernsehwerbung zu
            gewährleisten, starke Standardaussagen

    „
    (Slogan: Schreib an NECKERMANN [Versalien im
    Text], wiederkehrende Bild- und Wortelemente,
    akustisches NECKERMANN-Motiv)“

 sowie
                                                              Abbildung 3 a − d: Screenshots des Neckermann-Clips aus
            eine genügend große Variante (Darstellung         dem Archiv. Quelle: RAW.
            der Vielfalt des Angebots, um aktuell zu blei-
    ben, zur Wacherhaltung des Zuschauerinteresses)“.
                                                             Der Reporter weist darauf hin, dass die oder der
Man entscheide sich bei dem angedachten, ge-                 Betreffende „das Geheimnis“ kennt, und lenkt
planten oder zu realisierenden Projekt für Real-             dann die Aufmerksamkeit auf ein Produkt, das
                                                             sie oder er kürzlich bei Neckermann erworben hat,
51 WR 9.01−03.

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Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung                                                  Lohr

beispielsweise einen Mantel. Es werden noch                  mann“, „Vorteilhaft mit Neckermann“, „Fortschritt-
weitere Artikel gezeigt, die im Warensachgebiet              lich mit Neckermann“, „Allen voran: Neckermann“,
möglichst weit vom erstgenannten Produkt ent-                etc. Was diese Ideensammlung nicht enthält, ist
fernt liegen, Möbel, Radio, Kühlschrank etc. Die             der zweitberühmteste Neckermann-Slogan „Besser
Filme enden mit der Aufforderung an die Zu-                  dran mit Neckermann“. In einem Brief an Necker-

                                                                 „
schauer, „das Geheimnis“ mittels des Katalogs                mann, „z. Hd. Herrn Herkommer“ vom 11.1.1960,
ebenfalls kennenzulernen, und dem Slogan                     in dem Geldmacher Vorschläge zur Gestaltung
„Schreib an Neckermann!“                                     der Werbefilme für das Jubiläumsjahr 1960 (10
    „Darüber hinaus“, schreibt Geldmacher, und               Jahre Neckermann) unterbreitet, schreibt er:

    „
da wir weder die entsprechenden Filme noch zu-
gehörige Tonspuren im Archiv haben, wissen wir                           Das Zehnjahresjubiläum forderte, wie Sie
                                                                         uns mitteilten, neue frische Gestaltungsim-
nicht, ob sie realisiert wurden, bestünde die Mög-
                                                                 pulse. So soll die Werbung unter dem neuen Slogan
lichkeit,                                                        ‚Besser dran mit Neckermann‘ stehen.“

             Sonderfilme herzustellen, beispielsweise        Das klingt eher danach, als stamme der Slogan
             über eine einzelne Warengruppe, über die
                                                             nicht von Geldmacher, sondern sei von anderer
    Gründe der Vorteile, die der Versandhauskauf bietet
    (nach dem Motto: Warum kann eigentlich Neckermann        Seite vorgegeben.
    billiger sein als andere), über ein public relations        Interessant ist die Sache deswegen, weil der
    Thema, z. B. Thema Neubau. Jedes einzelne Sonder-        Konkurrent Quelle Anfang 1960 vor Gericht eine
    thema kann behandelt werden, ohne dass die Ge-           einstweilige Verfügung wegen vergleichender

    „
    samtlinie (Geheimnisse, Reporter, Verlangen Sie den
                                                             Werbung gegen diesen Slogan erwirkte. Der be-
    Katalog) verlassen wird.“
                                                             reits gedruckte Katalog durfte nicht weiter ver-
Schließlich verweist Geldmacher auf ein mögli-               breitet werden.52 Zumindest einer der von Geld-
ches Gesamtkonzept:                                          macher vorgeschlagenen Werbefilme zum Jubilä-
                                                             um wurde realisiert und findet sich im
             Die hier vorgelegten Realfilmdrehbücher ge-     Regensburger Archiv. Als Schriftzug scheint der
             ben überdies die Möglichkeit, bei der Reali-    Slogan nicht auf, dafür wird er in 40 Werbese-
    sierung der Filme gewisse Elemente auch in andere        kunden sechsmal gesungen.53
    Werbemittel zu übernehmen. So kann z. B. der Re-
    porter zur Katalogfigur werden, auf Anzeigen er-
    scheinen – und zwar sowohl in Illustrierten als auch
    in Tageszeitungen. Seine Stimme und seine Art zu
    sprechen können in die Gestaltung der Funkwerbung
    übernommen werden. Auch wird es möglich sein,
    zwei Fernsehfilme zu kombinieren und diese in aus-
    gesuchten Gebieten in Lichtspieltheatern einzuset-
    zen. In einem solchen Falle müssen allerdings die Fil-
    me in Farbe gedreht werden. Es ist also möglich,
    unter den Werbemitteln eine gewisse Kongruenz zu
    schaffen, die die Werbewirkung jedes einzelnen Wer-
    beträgers noch verstärkt. Damit würde sich das Wer-
    befernsehen, bei entsprechender Schaltungshäufig-
    keit, nutzbringend in die Werbebemühungen um das
    Versandhaus einfügen.“
                                                               Abbildung 4 a − d: Screenshots des Neckermann-Clips aus
                                                               dem Archiv. Quelle: RAW.
Ein Einhängeregister im Ordner, beschriftet mit
„1959“, enthält vorwiegend Slogan-Vorschläge:
   „Immer voran mit Neckermann“, „Immer voran:
Neckermann“, „Der Fortschritt geht mit Necker-               52 Neckermann (1990:258 f.).
                                                             53 WR 9.11.

Mitteilungen des RVW 9/2021                                                                                          Seite 17
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