Sonderausgabe Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung - Mitteilungen des Regensburger Verbunds für Werbeforschung ...
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Mitteilungen des Regensburger Verbunds für Werbeforschung – RVW 9/2021 Sonderausgabe Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung von Dieter Lohr
Impressum Mitteilungen des Regensburger Verbunds für Werbeforschung – RVW https://werbeforschung.org Im Auftrag des RVW herausgegeben von Bernhard J. Dotzler und Sandra Reimann ISSN 2198-0500 Elektronische Veröffentlichung Universität Regensburg, Publikationsserver https://epub.uni-regensburg.de/rvw.html Bezugsbedingungen CC BY-SA 4.0 Anschrift der Herausgeber Regensburger Verbund für Werbeforschung Prof. Dr. Sandra Reimann · Universität Regensburg 93040 Regensburg info@werbeforschung.org Einreichung von Beiträgen Unaufgefordert eingesandte Beiträge sind grund- sätzlich willkommen und werden von den Heraus- geber:innen oder geeigneten Fachreferent:innen geprüft. Redaktion, Layout & Satz Christine Fraunhofer M. A.
Inhaltsverzeichnis 4 .......................................................................................................................................... Editorial Dieter Lohr 5 ....................................................................... Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung 5 · Einleitung 6 · Die Werbemacher in der frühen Bundesrepublik Deutschland 10 · Die Werbekunden des Tonstudios Frankfurt 37 · Produktgruppen 39 · Zielgruppen 44 · Werbespot-Wurzeln 50 · Ausblick 52 · Literatur 54 · Anhang 57 ....................................................................................................................................... Notizen
Editorial Bernhard J. Dotzler & Sandra Reimann „Zentraler Gegenstand des RVW“, so steht es in Vor diesem Hintergrund ist es besonders ver- seiner Satzung, „ist das Historische Werbe- dienstvoll, wenn Forscher:innen-Neugier sich funkarchiv (HWA) der Universität Regensburg“. dennoch nicht abhalten lässt und kurzerhand Schon als diese Satzung beschlossen wurde (Juli ‚das Archiv betritt‘, um sich von seinen Bestän- 2009), waren indes weitere Sammlungen neben den ein Bild zu machen. Für die vorliegende Aus- das HWA getreten, und inzwischen firmiert das gabe unserer Mitteilungen hat Dieter Lohr dies Werbefunkarchiv nur noch als eine von vielen unternommen. Der Literatur- und Medienwis- Sammlungen des Archivs an der Universitätsbi- senschaftler, Hörspiel-Experte, Hörbuch-Verleger bliothek Regensburg, das nun, der Vielfalt seiner und Schriftsteller hat die Digitalisate eben jener Bestände an Werbematerialien aus den Jahren Commercial Filmwerbung mit über 500 Werbefil- 1948 bis 2000 entsprechend, Regensburger Archiv men aus den 1950er und 1960er Jahren gesichtet für Werbeforschung (RAW) heißt.1 „Zentraler Ge- sowie die ebenfalls im RAW vorhandenen 174 Ak- genstand des RVW ist das Regensburger Archiv tenordner durchforstet, die Treatments, Skripte, für Werbeforschung (RAW)“, liest man daher Korrespondenzen und (weitere) Metadaten zu richtigerweise auf der Homepage des RVW 2 (und diesen Spots enthalten. Sein Bericht über die eine Aktualisierung seiner Satzung steht an). hierdurch gewonnenen empirischen Befunde, Das Werbefunkarchiv ebenso wie beispielsweise plausibilisierbaren Hypothesen und weiterfüh- die Spremberg-Sammlung mit über 500 Werbe- renden Überlegungen spricht für sich selbst – wie schallplatten der 1950er bis 1980er Jahre sind seit für den Reichtum des RAW als einer Schatzkam- längerem digitalisiert und online zugänglich. An- mer der Werbegeschichte. Wir danken Dieter dere Sammlungen hingegen, wie etwa die Werbe- Lohr für diesen ausführlichen Einblick, auch und filme des Bayerischen Rundfunks, harren noch der zumal insofern er nicht zuletzt deutlich macht, Erschließung und Digitalisierung, wieder andere, wieviel noch zu tun bleibt! wie das Archiv des Tonstudios Wintermeier (Werbe- spotsammlung OPUS) mit Hörfunk- und Fern- sehwerbung aus den Jahren 1986 bis 2000, sind ‚in Arbeit‘, und noch einmal anders liegt der Fall zum Beispiel bei einer Sammlung wie der Com- mercial Filmwerbung, die bereits digitalisiert, je- doch noch nicht verfügbar ist, da bislang nur über eine gedruckte Bestandsliste erschlossen. 1 https://www.uni-regensburg.de/bibliothek/raw/ – Zugriff: 10.3.2022. 2 https://werbeforschung.org/ – Zugriff: 10.3.2022. Mitteilungen des RVW 9/2021 Seite 4
Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung Dieter Lohr es „nur“ mehr 82, die immer noch zu einem Einleitung Großteil aus reinen Skripten und Treatments in durchschnittlich drei- bis fünffacher Ausferti- gung bestehen und teilweise die Jahre nach 1970 Die schlechte Nachricht zuerst: Auch wenn das betreffen, als Geldmacher „nur“ mehr Radiospots Korpus von über 500 Werbespots aus den Jahren produziert und „Full Service“ beraten hat; der zirka 1951 bis 19671 recht umfänglich erscheint – letzte verifizierbar zu datierende Fernsehspot die Geldmacher’sche Werbespot-Sammlung ist wurde im März 1967 aufgenommen. ein Ausschnitt. Weder erhebt sie Anspruch auf Eine inhaltliche, qualitative Systematik, was Vollständigkeit des werblich Möglichen der 50er die Metadaten angeht, ist nicht wirklich erkenn- und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts noch auf bar. Das verwundert nicht. Der Sinn der Archi- Vollständigkeit der zu bewerbenden Produkte, sie vierung von Korrespondenzen, Treatments, Rei- stellt noch nicht einmal das vollständige Geld- serouten, Listen von Konferenz-Tagesordnungs- macher’sche Kino- und Fernsehwerbespot-Œu- punkten, Ideen für Werbekampagnen etc. war es vre dar: Die Metadaten im Archiv enthalten sehr sicherlich nicht, einem Medienwissenschaftler viele Materialien zu Werbespots, die nicht im Re- im 21. Jahrhundert zu erklären, wie eine Werbe- gensburger Bestand vorhanden sind, auf der an- agentur funktioniert, was ein Werbeberater tut, deren Seite verfügen wir über Werbespots, die welche Etappen ein Werbespot von der ersten nicht dokumentiert sind, was wiederum bedeu- Idee bis zur nachträglichen Erfolgsbewertung im tet, dass auch die vorhandenen Metadaten nicht Anschluss an die Ausstrahlung durchläuft.2 Auf- das „Gesamtwerk“ abbilden. Die Metadaten zu gehoben wurde nicht, was künftigen Generatio- den Spots sind, auch wenn hier der Umfang von nen zum Verständnis dienen können sollte, son- 174 Aktenordnern auf den ersten Blick gleicher- dern was aus unterschiedlichsten praktischen maßen gewaltig erscheint, ebenfalls weit davon Gründen aufhebenswert schien, in der Regel entfernt, vollständig zu sein, nach Abzug der rei- wohl, um für eventuelle spätere Unklarheiten als nen Skript-Ordner, der Vorlesungsskripte und Beleg dienen zu können. „Der Werbeberater“ ist Kopien der Adress-Karteikarten im Bestand sind 2 Wiewohl diese Schritte zwischen den Zeilen und Blät- 1 „Zirka“ deswegen, weil sich ungefähr 10 % der Spots tern durchaus deutlich werden und sich gut nachvoll- bislang (Januar 2021) noch kein Produktionsjahr zu- ziehen lassen. Wir verfügen über Ideensammlungen ordnen lässt. Gesicherte Angaben sind entweder mög- und Entwürfe zu Werbespots, Briefwechsel, in denen lich, wenn sich in den Metadaten Korrespondenzen, diese Ideen erörtert werden, Protokolle von Präsentati- Rechnungen etc. zu den jeweiligen Spots finden, wenn onen bei den Kunden, Aktennotizen, in denen Proble- die in der Regel mit Datumsangaben versehenen me bei der Produktion und rechtliche Fragen zur Spra- Tonaufnahmen gesondert vorliegen oder wenn die che kommen, Honorarverhandlungen mit Schauspie- Spots selbst Hinweise geben, beispielsweise durch die lerinnen und Schauspielern, Evaluationen; an ver- Jahreszahlen auf Neckermann-Katalogen oder Cover- schiedenen Stellen im Archiv und nie vollumfänglich Abbildungen der Stern-Hefte. Aber auch die nicht da- auf einen einzelnen Spot oder eine einzelne Spot-Serie tierbaren Spots brechen aller Wahrscheinlichkeit nach bezogen, aber doch häufig genug, um zumindest ein nicht aus diesem Zeitrahmen aus. grobes Bild der Abläufe zu vermitteln. Mitteilungen des RVW 9/2021 Seite 5
Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung Lohr übrigens an dieser Stelle keine sprachliche politi- Denn wenn man zu einzelnen Spots in den Zu- sche Inkorrektheit; Werbeberaterinnen sind noch satzmaterialien der digitalisierten Audio-Auf- heute die deutliche Minderheit in der Branche; nahmen im RAW „nachschlägt“, stellt sich oft ge- in der Pionierzeit der bundesrepublikanischen nug heraus, dass diese Spots Teile einer Serie Agenturwerbung gab es sie überhaupt noch nicht. sind, zu deren weiteren Spots wir zwar weder Erwin R. Weger schreibt 1966 von einer „Handvoll Skript noch Bild haben, wohl aber den Ton. Ab Männer“, die in der ersten Zeit für einen großen wann dürfen wir behaupten, dass wir über einen Teil der Werbeplanung und Werbegestaltung im Spot verfügen? Wenn Ton und Bild vorliegen? Nachkriegsdeutschland verantwortlich waren.3 Wenn lediglich der Ton vorliegt, werten wir den Indes: Trotz ihrer Nicht-Systematik und „Zu- Spot dann als halb-vorhanden? Und: Wenn wir fälligkeit“ sind diese Metadaten ordentlich nach einen vollständigen Spot in zwei Ausführungen Jahreszahlen und Werbekunden sortiert, wenn haben, die sich lediglich durch ein einziges Wort auch zuweilen Ordnerbeschriftungen und -inhal- unterscheiden oder verschiedene Abspann-Ein- te nicht genau übereinstimmen. blendungen haben, sprechen wir dann von zwei Die gute Nachricht: Wenn wir uns darüber im Spots? Tatsächlich sind auf den uns vorliegenden Klaren sind, dass die Geldmacher-Sammlung ein Bändern (die natürlich mittlerweile digitalisiert Fragment ist, kommen wir nicht in Versuchung, und umgespeichert wurden) 48 Werbespots „dop- unzulässige Verallgemeinerungen aus ihr ablei- pelt“ vorhanden, teils mit minimalen Abwei- ten zu wollen. Was wir stattdessen machen wol- chungen, ohne dass vermerkt wäre, ob einer der len: Wir wollen anhand des vorhandenen Materi- beiden Spots vielleicht eine verworfene Version als den Tellerrand des Geldmacher’schen Schaf- ist, teils dergestalt, dass mir trotz mehrmaligem fens abstecken, um dann über diesen Tellerrand akribischen Vergleichen keine Unterschiede auf- hinauszuschauen und zu vergleichen: Was sonst gefallen sind. bietet die Werbewelt der 50er und 60er Jahre au- Die Sammlung Geldmacher ist also mit einer ßerhalb des Geldmacher-Archivs − in der BRD, in ganzen Reihe von Fragezeichen, Vermutungen der DDR, im internationalen Vergleich? Was bie- und Schätzungen behaftet, allein die Anzahl der tet sie nicht, was fehlt? Wo ist der Ort des Tonstu- verfügbaren Werbespots anzugeben, ist proble- dios Frankfurt in diesem Werbegefüge? matisch. Nichtsdestominder bietet sie ausgespro- Und immerhin: Die Werbeindustrie ist (und chen Aufschlussreiches, das den Blick auf die Ki- war es wohl immer) am Puls der Zeit, stets inno- no- und Fernsehwerbung der 50er und 60er Jahre vativ, stets zukunftsorientiert. Und das in einem des letzten Jahrhunderts stark erweitern kann, Maß, das offenbar die Rückbesinnung, das Kon- und es lassen sich eine ganze Reihe eindeutiger servieren des bereits Geleisteten nicht zulässt. Trends herausarbeiten. Werbespots werden in der Regel weder von den sendenden Anstalten noch den Produzenten der beworbenen Produkte noch den Produzenten der Spots aufbewahrt.4 Dass Geldmacher über min- Die Werbemacher in der destens 15 Jahre hinweg zumindest einen Teil der frühen Bundesrepublik produzierten Spots gesammelt hat, ist also durchaus etwas Besonderes.5 Deutschland Die zweite gute Nachricht: Unsere Sammlung umfasst nicht nur die eingangs besagten „über Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg war es 500“ Werbespots, sie umfasst mehr. Viel mehr. den Deutschen zunächst untersagt, Printmedien herauszugeben und Radiosender zu betreiben. 3 Weger (1966:55). Dabei zitiert er Peterson (1950:9). Die Alliierten unterhielten eigene Zeitungen und 4 Reimann (2008:105). Radiostationen, einerseits um die deutsche Be- 5 Gerber (2013:13). Mitteilungen des RVW 9/2021 Seite 6
Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung Lohr völkerung mit Nachrichten zu versorgen, an neral Foods [1954]9), sondern auch die Werbung dererseits als Instrument der Re-Education. und ihre Macher.10 Bereits 1927 hatte die 1912 in Die Rundfunksender der Militärregierungen, die New York gegründete Werbeagentur H. K. McCann Heeresgruppenpresse und auch die vier deutsch- ein Büro in Berlin eröffnet, um die Stanford Oil sprachigen amerikanischen Zeitschriften veröf- Company bei der Erschließung des europäischen fentlichten keine Wirtschaftswerbung, da ein Marktes zu unterstützen. Schon ein Jahr später „Handel mit dem Feind auf kommerzieller waren die amerikanischen Werbeagenturen Lord Grundlage“ − zumindest nach amerikanischem & Thomas, J. Walter Thompson, Erwin Wassey & Co. Gesetz − verboten war 6. Bereits wenige Wochen sowie die englischen Agenturen Crawford und Lin- nach Kriegsende begannen die Alliierten Lizen- tas in den deutschen Markt eingetreten.11 zen für Zeitungen und Zeitschriften in bzw. aus Diese Agenturen waren schon bald nach dem deutscher Hand zu vergeben, in denen auch Wer- Zweiten Weltkrieg wieder in Deutschland aktiv bung zugelassen sein sollte, deren Umfang aller- und steckten einen nicht unbedeutenden Teil des dings begrenzt wurde, in der Regel auf maximal Markt-Terrains für sich ab. Werbeagenturen gab ein Achtel des Gesamtumfangs von vier bis acht es in Großbritannien und den USA weitaus länger Seiten. Praktisch enthielten diese Anzeigenteile als in Deutschland, wo die politischen und wirt- keine geschäftliche Produktwerbung, sondern schaftlichen Gegebenheiten und insbesondere private Gesuche und Tauschangebote. Wozu hätte die beiden Weltkriege die Weiterentwicklung der es auch der Werbung bedurft – die Nachfrage seit Mitte des 19. Jahrhunderts bestehenden An- nach allem war deutlich größer als das Angebot, noncen-Expeditionen zu großen Werbebetrieben die Kaufkraft minimal. gebremst bis verhindert hatten.12 Mit der Währungsreform im Juni 1948 stieg Was es gab, waren Werbeberater: freiberufli- die Kaufkraft; die Produktpalette wurde breiter. che Unternehmer aus verschiedenen Berufen, die Gleichzeitig wurde die Beschränkung von Werbe- die größeren wirtschaftlichen und soziologischen anzeigen in Zeitungen und im September 1949 Zusammenhänge durchaus erkannten, in die die die Lizenzpflicht aufgehoben, worauf eine Welle Werbung eingebettet war, und die bereits Markt- von Zeitungsneugründungen folgte. Und mit ih- analysen anhand psychologischer Tests durch- nen eine Werbe- und Werbungswelle, denn Medi- führten. Für sie bedeutete Werbeberatung umfas- en brauchen die Werbung ebenso, wie Werbung sende Absatzberatung. Was die Werbeberater von die Medien braucht.7 Auch die neu geschaffenen Werbeagenturen unterschied, war die Einstellung öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nah- zur Werbung seitens der werbenden Unterneh- men ab der Währungsreform Werbung in ihr men. Diese verstanden Werbeberater oftmals le- Programm auf.8 diglich als Werbetexter, engagierten sie für einzel- Da gewonnene Kriege stets die Öffnung des ne Anzeigen oder Kampagnen und misstrauten „neu gewonnenen“ Marktes für die Produkte der ihnen so sehr, dass sie sie häufig wechselten und Siegermächte bedingen, liegt es nahe, dass auch ihnen nicht allzu viel Einblick in ihre Unterneh- die Werbung der Nachkriegszeit alliierter Mach- men gewährten.13 Die Vermittlung blieb in den art und Herkunft war. Nicht nur, was einen Teil Händen der Unternehmer und wurde dort oft ge- der zu bewerbenden Produkte anging (zum Bei- nug vernachlässigt – zumindest aus Sicht von Er- spiel teils bereits vor dem „Dritten Reich“ in win R. Weger, der 1966 eine gründliche Analyse Deutschland ansässiger Firmen wie British Ameri- can Tobacco [seit 1926], Palmolive [seit 1927] oder Ge- 9 BAT-Germany (2020); Czartowski (2017a); Czartowski (2017b). 10 Strauf (1959:13). 6 Hurwitz (1972:101). 11 Weger (1966:40 f.). 7 Dotzler (2013:7). 12 Weger (1966:11). 8 Welsch (2002:92); Breunig (2015:52). 13 Weger (1966:37 ff.). Mitteilungen des RVW 9/2021 Seite 7
Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung Lohr des Werbeagenturwesens in Deutschland publi- Werbeagenturen, die größerenteils bereits in der zierte. Das Verhältnis sowohl der deutschen Un- Weimarer Zeit in Deutschland tätig gewesen wa- ternehmer als auch der Konsumenten zur Wer- ren − oftmals weit über 1933 hinaus − und die sich bung war negativ, man betrachtete sie als not- nach dem Ende des „Dritten Reichs“ schnell re- wendiges Übel. Oder als nicht-notwendiges Übel. etablierten. Entsprechend war die deutsche Werbung nach 1. H. K. McCann Company mbH, Frankfurt, dem Zweiten Weltkrieg zunächst nicht sonderlich New York ausgefeilt: Die „neuen“ deutschen zu bewerben- den Produkte waren zum Großteil „alte“ Marken, 2. Lintas GmbH, Hamburg, London die es bereits vor 1945 gegeben hatte, in erster Li- 3. J. Walter Thompson GmbH, Frankfurt, nie Waren des täglichen Bedarfs, Hygieneartikel, New York Putz- und Waschmittel. Die Nachfrage war vor- handen, es ging vorderhand um nichts weiter als Auf Platz 4 taucht mit William Wilkens erstmals darum, die Wiederverfügbarkeit der Produkte ein deutsches Unternehmen auf (auch wenn der kund zu tun: „Persil – Endlich wieder!“, „Es gibt Name nicht sehr deutsch klingt), 1876 gegründet wieder Sunlicht Seife“, „Endlich wieder Nivea und 1945 neugegründet, das bereits nur mehr Zahncreme – Und dazu in Friedensqualität“. halb so viele Mitarbeiter wie McCann beschäftigte Die „neuen“ deutschen Werbemacher waren (300/650) und deutlich weniger Umsatz generier- ebenfalls die alten, die ihr Handwerk vor 1945 er- te (jährlich 93,2 Mio. DM/148,4 Mio. DM).17 lernt und praktiziert hatten14. Auch die NS-Wer- Es folgen weitere deutsche Agenturen, deren bekommunikatoren fanden schnell in ihre alten Gründungsdaten teils deutlich vor der Wäh- Berufe zurück, arbeiteten als Werbeberater und rungsreform liegen. Werbeagentur Dr. Hegemann gründeten Werbefachschulen;15 wir werden noch (Düsseldorf, 1947)18, Werbe-Gramm, Gesellschaft für näher darauf eingehen. Ab 1952 schlossen sich Wirtschaftswerbung (Düsseldorf 1946)19, Heumann führende „Vollservice leistende“ Werbeagenturen Werbegesellschaft, (Frankfurt 1950)20. Die Namen zu Verbänden zusammen und gelobten einander Commercialfilm, Tonstudio Frankfurt oder gar „Geld- „ Qualifikationsbestimmungen, die den internatio- macher“ scheinen in dieser Liste nicht auf. Wie- nalen Auffassungen und Gepflogenheiten ent- wohl die Quellen, in denen Geldmacher erwähnt „ sprachen, „durchweg angesehene und in der Wer- wird, ihm Großes attestieren: Er sei „einer der bung erfolgreiche Firmen“, die die Macher in der deutschen Werbung“ gewesen,21 „ein Ur-Gestein der Markenführung“22, ein „be- Entwicklung zur Vollservice-Agentur, entwe- deutender Werbepionier“,23 dessen der von der Werbeberater-Praxis oder der AE [Annoncen-Expedition; DL] ausgehend, schon mehr Tonstudio Frankfurt […] sich unter seiner oder weniger vollzogen haben oder zumindest zielbe- Ägide zum bekanntesten und größten Privat- wusst anstreben.“16 studio für kommerzielle Tongestaltung, Funkwer- bung und Werbesynchronisierung entfaltete“. 24 Offenbar wollte man sich von den Newcomern, die in den Werbemarkt einzudringen drohten, 17 Weger (1966:196 ff.). rechtzeitig distanzieren. 18 North Data (o. J.). Weger listet die auf dem deutschen Werbe- 19 Malsy & Müller (2013:212). markt tätigen 44 Top-Akteure sortiert nach Um- 20 Erste Werbeagentur von 1926 bis 1938. Bongard (1963). satz und Mitarbeiterzahl auf: Auf den oberen 21 Zinner (2016). Rängen stehen US-amerikanische und britische 22 Mattenklott & Schimansky (2002:6). 23 Seidel (2011:222). 14 Strauf (1959:55). 24 Herbst (2003:498). Die genannten Quellen führen als 15 Hirt (2013:370 ff.). Begründung je zwei oder drei knallige von Geldmacher 16 Strauf (1959:55). kreierte Slogans an sowie einige populäre Marken, die Mitteilungen des RVW 9/2021 Seite 8
Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung Lohr Tatsächlich erwecken die Metadaten in der Welches Stück des Werbekuchens blieb nun den Sammlung Geldmacher insgesamt eher den Ein- deutschen Neueinsteigern ins Werbegeschäft üb- druck, dass das Tonstudio Frankfurt, so rege sich rig, den „Zwischenformen“? Denkbar wären: Geldmacher auch um Gesamtentwürfe der Wer- beplanung, -gestaltung und -durchführung be- • Lokale Unternehmen, bei denen Full Service „ mühte, zumindest in der Anfangsphase nicht als in großem Maßstab keinen Sinn machen Werbeagentur wahrgenommen wurde, sondern würde und die sich eine Full-Service-Agen- eher als Werbeberatung.25 Wenn überhaupt. Gerd tur auch gar nicht leisten könnten, F. Heuer schreibt 1956: • Zulieferdienste, • Unternehmen, die, wie oben beschrieben, Wegen der historischen Entwicklung der deutschen Werbewirtschaft und der deut- ihren Beratern nicht allzu weit trauten oder schen Wirtschafts- und Werbementalität [werde es] ihnen nicht allzu viel Zugriff auf ihre Unter- neben den sogenannten ‚echten‘ Werbeagenturen nehmen einräumen wollten. und reinen Werbungsmittlern noch für lange Zeit mancherlei Zwischenformen geben.“26 Das Wenige, was wir über die Frühzeit des Ton- studios Frankfurt wissen, ist in Horst Slesinas au- Es herrschte also unter den „echten“ Werbeagen- tobiografischem Buch „Die Fährte des Löwen“ turen ein ausgeprägter Standesdünkel vor, viel- nachzulesen: Das Studio wurde 1948 von einem leicht aber auch eine gewisse Angst, die „Zwi- gewissen Herrn Marz gegründet und hatte ur- schenformen“ könnten sich auf dem Werbemarkt sprünglich überhaupt nichts mit Werbung zu tun. etablieren und konkurrenzfähig werden. Und Marz verdiente sein Geld damit, dass amerikani- wirklich: Das Hamburger Branchenfernsprech- sche Soldaten bei ihm Grüße und Botschaften an buch des Jahres 1955 führt neben den im Weger- ihre Angehörigen auf Band sprachen, die dann Ranking genannten Werbeagenturen mit Zweig- auf flexible Platten geschnitten und in die USA stellen in Hamburg (Brose, Heumann, Hegemann, geschickt wurden. Es sei „kein großes Geschäft, Lintas, McCann und Wilkens) unter der Rubrik aber es läppere sich so.“28 „Werbehelfer und -mittler“ auf rund zweieinhalb Wer aber war Horst Slesina? Horst Slesina Seiten über 250 – meist einzeilig annoncierte − war einer der erwähnten „Handvoll Männer“, die „Werbeberater und Texter“, „Gebrauchsgrafiker das Werbegeschehen im Nachkriegsdeutschland (Entwerfer)“, „Schaufenstergestalter“, „Werbungs- und weit darüber hinaus maßgeblich prägten. Er mittler“ und „Werbevertreter“.27 war 1933/34 beim Westdeutschen Rundfunk in Köln tätig gewesen, 1934/35 bei der Reichs-Rundfunk- er vertreten hat. Indes: Der „biographische Anhang“ zu Gesellschaft in Berlin, ab 1935 Hauptabteilungslei- Gerulf Hirts Monografie „Verkannte Propheten“ (2013) ter Zeitgeschehen beim Reichssender Saarbrücken ist ein 80-seitiges Who’s Who der deutschen Werbe- und von 1939 bis 1942 Kriegsberichterstatter an kommunikation von der Weimarer Zeit bis 1967. Der verschiedenen Fronten. 1993 veröffentlichte er Name „Geldmacher“ taucht darin allerdings nicht auf. das besagte autobiografische Buch „Die Fährte Tebrake (2019) listet nach Jahreszahlen des Beginns ih- rer jeweiligen Beratertätigkeit im Zeitraum 1948−53 des Löwen“, ein wahres Wunderwerk an Selbst- eine ganze Reihe führender deutscher PR-Berater auf. verliebtheit und -beweihräucherung. Der „Löwe“ Auch unter diesen rund 20 Namen ist Geldmacher ist der Autor selbst (er schreibt von sich in der nicht zu finden. Kirchgeorg, Schalk & Strahlendorf (2020) beleuchten verschiedene „Werbeszenen“ in ver- 27 Hamburger Adressbuch 1955 → Branchenverzeichnis schiedenen Werbezentren im Nachkriegsdeutschland. → Alphabetteil: Branchen. Handels-, Industrie- und Auch hier: kein Erwin H. Geldmacher, kein Tonstudio Gewerbe-Adreßbuch der Freien und Hansestadt Ham- Frankfurt. burg → Werbung Seite III/ 430−33, abrufbar auf den 25 Auch Geldmacher selbst bezeichnet sich als Werbebe- Seiten der Staats- und Universitätsbibliothek rater. (Geldmacher 2008:164). Hamburg Carl von Ossietzky – Zugriff: 14.1.2021. 26 Heuer (1956), zitiert nach Weger (1966:56). 28 Slesina (1993:192). Mitteilungen des RVW 9/2021 Seite 9
Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung Lohr dritten Person). Er ist über alle Maßen intelligent, wohl gewusst haben, woher die Sachen kamen, willensstark und charakterfest, Spitzensportler, ohne, dass man darüber sprechen musste, allzu die Herzen der Frauen fliegen ihm zu, er ist ein viele Möglichkeiten gab es nicht. Und gleichge- überaus wortgewandter Redekünstler, der im sinnt waren Herr Marz und Herr Slesina. Man Gespräch alle für sich einnimmt. Immerhin deu- verstand sich auf Anhieb, und dank seines Rede- tet der Untertitel seines Buchs, „Roman eines geschicks überzeugte Slesina Herrn Marz, dass Lebens“, ehrlicherweise darauf hin, dass womög- man jetzt Rundfunkwerbung machen müsse, be- lich nicht alles, was drinsteht, für bare Münze zu kam binnen kurzem über alte Verbindungen Pro- nehmen ist. Wenngleich das, was er über seine duktionsaufträge und von Herrn Marz drei Vier- Rolle in der Nachkriegswerbung schreibt, zumin- tel der Anteile am Tonstudio.31 dest der Sache nach tatsächlich stimmt: Er war Dergestalt war das Fluidum, in das vier Jahre „ 1952 Mitbegründer der Gesellschaft Werbeagenturen später der 28- oder 29-jährige Erwin H. Geldma- (GWA, auch heute noch der Verband der führen- cher eintrat, als Slesina zur Agentur Heumann den Kommunikationsagenturen Deutschlands) wechselte und nach einem Nachfolger Ausschau und sechs Jahre lang deren Vorsitzender, war we- hielt. Er sentlich am Aufbau der William Heumann Werbege- sellschaft beteiligt und Schöpfer des Slogans „Ihr fand in der Person von Ermuth [für ‚Erwin guter Stern auf allen Straßen“, mit dem Mercedes Helmut‘] Geldmacher, dem Sohn seines ehe- maligen Professors für Betriebswirtschaft, eine mehr Benz jahrzehntelang seine Fahrzeuge bewarb. 29 als geeignete und würdige Persönlichkeit, die das Ein paar Details auf seinem Erfolgsweg erwähnt Tonstudio einer neuen Blüte zuführte.“32 Slesina in seiner Biografie indes nicht: Seine An- stellung im Rundfunk erfolgte im Anschluss an Werfen wir einen Blick auf unser Korpus. die Säuberungswelle im Rundfunkwesen nach der „Machtergreifung“, er war seit 1933 Mitglied der SA und seit 1937 der NSDAP, bei der Reichs- Rundfunk-Gesellschaft (RRG) in Berlin Mitarbeiter Die Werbekunden des von „Dr. Goebbels“, wie er ihn mehrfach respekt- Tonstudios Frankfurt voll nennt, und von 1943 bis zum Ende des „Drit- ten Reichs“ Gaupropagandaleiter und Landeskul- turverwalter des Gaus Westmark.30 In den 513 vollständig in Bild und Ton vorliegen- Und eben dieser Horst Slesina stieß, nachdem den Werbespots (ohne Dubletten) werden 103 er 1948 aus dem Entnazifizierungslager entlassen verschiedene Produkte von rund 80 Herstellern worden war, auf der Suche nach einem neuen beworben (detaillierte Auflistung im Anhang). Auskommen (beim Rundfunk wollte man ihn Die Daten lassen sich nach verschiedenen Kriteri- nicht mehr einstellen …) eher zufällig auf Herrn en sortieren, die bereits einige Aufschlüsse geben. Marz und das Tonstudio Frankfurt. Das Tonstudio Ordnen wir zunächst nach den Auftraggebern der sei perfekt eingerichtet gewesen, zwei Magne- Werbespots. Diese lassen sich grob in sechs Kate- tophonbandgeräte, entsprechende Verstärker, gorien unterteilen: sehr gute Mikrophone und Plattenschneidegerä- • die Großkunden der „frühen“, also der 50er te. „Woher die ganze Einrichtung stammte, kam Jahre, Reemtsma und Neckermann; nicht zur Sprache“, merkt Slesina beiläufig an. Was man nicht weiß, macht einen nicht heiß. Be- • die Firma Henkel, mit der Geldmacher die am ziehungsweise: Als Gleichgesinnter wird man längsten dauernde Geschäftsbeziehung un- 29 Jeske (1999:18). 30 Rheinland-Pfälzische Personendatenbank (2009); 31 Slesina (1993:191 f.). Muskalla (1995:589); Hirt (2013:564). 32 Slesina (1993:200 f.). Mitteilungen des RVW 9/2021 Seite 10
Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung Lohr terhielt und die in unseren Metadaten am ckermann Versand KG 1950 gegründet) hatten ausführlichsten dokumentiert ist; ihre Marktposition durch den kostengünsti- • den besten Kunden der späten Jahre unserer gen Erwerb „arisierter“ Betriebe beträchtlich Sammlung (1963−67), den Stern-Verlag Henri ausgebaut und im großen Stil Zwangsarbei- Nannen bzw. ab 1965 Gruner + Jahr; ter beschäftigt, beide hatten als offizielle Ausstatter der SA (Reemtsma) bzw. der Wehr- • einige der nicht-deutschen Kunden in der macht (Neckermann) gut vom Nationalsozia- Sammlung, Gevaert, Pfizer, Canada Dry und lismus profitiert, beide hatten hervorragen- Cinzano; de Kontakte nach „ganz oben“.36 Womöglich • schließlich die zahlenmäßig größte Kunden- war die Voraussetzung, um in dieser Früh- gruppe, Unternehmen, die nur wenige Spots zeit genug Geld zu haben, das man für Wer- produzieren ließen, teilweise einen einzi- bung ausgeben konnte (Fernsehwerbung zu- gen. mal, die für alle Beteiligten reines und dar- über hinaus kostenintensives Neuland und Die besten Werbekunden der frühen Geldma- Experiment war), dass man es zuvor erwor- cher-Werbung waren die Firmen Reemtsma und ben hatte, mithin also während des „Dritten Neckermann: Im Archiv befinden sich – jeweils ex- Reichs“. klusive der Dubletten − 46 vollständige Kino- und • Beide blickten auf langjährige Erfahrung Fernsehspots für Reemtsma aus den Jahren 1951 mit Werbung zurück und ließen sich Wer- bis 1958, 29 für Neckermann aus den Jahren 1956 bung etwas kosten: Neckermann hatte Anfang bis 1960.33 Diese beiden ansonsten eher unter- der 60er Jahre einen Werbeetat von rund 35 schiedlichen Firmen weisen einige Gemeinsam- Millionen DM jährlich, Reemtsma beschäftig- keiten auf: te seit 1921 den Begründer der Markentech- • Sie gehörten zu den herausragenden Groß- nik Hans Domizlaff in führender Position unternehmen ihrer Zeit: Die Auflagen der und arbeitete mit etlichen namhaften Wer- Neckermann-Kataloge gingen in die Millionen beagenturen zusammen.37 (zum zehnjährigen Bestehen 1960 laut Josef • Das für uns bedauerlichste gemeinsame Neckermann34 18 Mio.), Reemtsma hielt mit Merkmal ist: In der durchaus umfangreichen einer Milliarde verkaufter Zigaretten pro Literatur zu den Historien der Firmen Monat 1952 einen Anteil von 35 Prozent am Reemtsma und Neckermann tauchen die Na- deutschen Zigarettenmarkt, Ende der 50er- men Tonstudio Frankfurt, Commercialfilm oder Jahre von über 44 Prozent.35 „Geldmacher“ nicht auf. In unserem Archiv • Die Geschäftspraktiken zwischen den Jah- hinwieder bestehen die wenigen Metadaten ren 1933 und 1945 weisen starke Ähnlichkei- zu den Werbespots dieser beiden Geldma- ten auf: Sowohl Reemtsma als auch Josef cher-Kunden fast ausschließlich aus Dreh- Neckermanns Unternehmen (die Textilgesell- buchvorschlägen und Treatments; ergänzen- schaft Neckermann KG wurde erst 1948, die Ne- de Informationen, Begleitschreiben etc. sind ausgesprochen spärlich. 33 Um mit konkreten Zahlenangaben zu Kino- und Fern- sehspots arbeiten zu können, zähle ich im Folgenden nur die faktisch in Bild und Ton vorliegenden. Wenn es „Reemtsma“ sich bei diesen Spots um Teile eine Spot-Serie handelt Die auf den Spots im Archiv meistbeworbene oder wenn es anderweitig erkenntnisreich ist, greife ich zuweilen auch auf die zusätzlichen Spots zurück, Marke ist die Juno-Zigarette. Wir haben 46 Wer- von denen wir „nur“ die Tonaufnahmen im Archiv ha- ben. 36 Grunenberg (2006:33 ff.); Lindner (2007); Veszelits 34 Neckermann (1990:258 f.). (2005); Roth & Abraham (2011). 35 Reemtsma (2020). 37 Veszelits (2005:303); Hirt (2010:18 ff.). Mitteilungen des RVW 9/2021 Seite 11
Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung Lohr befilme: 36 davon in Farbe, also fürs Kino, einer Kunde des Tonstudios Frankfurt gewesen, bevor schwarz-weiß, also fürs Fernsehen, und neun in Geldmacher in das Unternehmen einstieg. merkwürdig rosastichigem Schwarzweiß und ei- William Heumann war von der Juno-Werbung nem bunten Abspann fürs Kino, womöglich also dergestalt begeistert, dass er noch weitere Kam- fürs Fernsehen konzipiert und fürs Kino „zweit- pagnen mit Slesina durchführte und ihn schließ- verwertet“. Die meisten ähneln einander hin- lich vom Tonstudio Frankfurt abwarb und zum Ge- sichtlich textlicher, bildlicher und musikalischer schäftsführer seiner Agentur machte. 41 Wir dür- Machart frappant, und das, obwohl sie über einen fen annehmen, dass Slesina dafür Sorge trug, Zeitraum von sieben Jahren hinweg entstanden dass die Tonspuren der Reemtsma-Aufträge auch sind (1951 bis 1958). Wir haben in den Aktenord- weiterhin im Tonstudio Frankfurt aufgenommen nern Treatments zu ungefähr zehn weiteren wurden. Spots aus den Jahren 1960 und 1963,38 über Hin- Der von Just Scheu komponierte Werbeschla- tergrundinformationen hinsichtlich des Wie, ger, aufgenommen mit dem berühmten Sänger Wann, Wer oder Warum der Reemtsma-Werbung Bully Buhlan und dem Orchester Erich Börschel, verfügen wir jedoch nicht. erschien entweder kurz vor oder gleichzeitig mit Auch hier hilft uns Horst Slesina weiter. Willi- den Radiospots: am Heumann, der bereits in den 20er Jahren Werbung für Reemtsma gemacht und 1950 seine Es geht ein Spruch von Mund zu Mund, der tut es allen Agentur wiedereröffnet hatte, sei – wohl im Rauchern kund: Aus gutem Grund ist Juno rund. […] Was schon die Spatzen von den Dächern pfeifen: Man kann Herbst 1950 − im Tonstudio Frankfurt vorbeige- jetzt wieder zu der Juno greifen. Der echte Raucher wird’s schneit und habe Slesina um Hilfe gebeten, da wie früher halten, mit der Runden, der guten Alten. Reemtsma für die Wiedereinführung der Juno auch Radiowerbung machen wolle, wovon er, Heu- Unser Radiospot im Archiv beginnt mit der ge- mann, nicht viel verstehe und sich deshalb an sungenen Liedzeile (allerdings nicht gesungen Slesina wende. In gewohnt souveräner Art und von Bully Buhlan) „Ein netter junger Mann Weise hatte Slesina innerhalb einer Woche nicht sprach einmal ein Mädchen an“, es folgen ein ge- nur Funkspots, sondern auch ein Gesamtkonzept sprochener Dialog zwischen den beiden und ab- entwickelt, zusammen mit dem seinerzeit wohl- schließend noch ein paar Takte der Musikaufnah- bekannten Komponisten, Schauspieler, Regisseur me. und Rundfunksprecher Just Scheu, der die Melo- Der Schlager bildet auch die Grundlage für die die beisteuerte, und einem „berühmten Münch- Fernsehspots. Der gesprochene Textanteil ist ge- ner Grafiker“, der Plakate und Anzeigen gestalte- ring, manche der Filme kommen gänzlich ohne te.39 Einen dieser Radiospots, datiert auf den Text aus, zuweilen wird die Refrainzeile im Ab- 1.1.1951 sowie einen Hinweis auf ein Layout vom spann noch gesungen. Dabei ist die musikalische 18.12.1950 haben wir im RAW vorliegen.40 Reemts- Ausgestaltung, auch wenn man das Motiv nach ma war also bereits über die Agentur Heumann dem ersten halben Takt sofort wiedererkennt, sehr aufwendig gehalten: Es gibt etliche Varia- tionen, gespielt von einer Bigband und auf zahl- 38 Ordner CF 26 – Vorderhand habe ich die Ordner, bis reichen Instrumenten, die teils direkt auf die eine sinnvolle bibliothekarische Kennzeichnung parat Spots zugeschnitten sind, am prägnantesten viel- ist, von 01 bis 82 fortlaufend durchnummeriert; „CF“ steht für „Commercialfilm“. leicht im Clip WR 5.06, wo ein Musiker verschie- 39 Slesina (1993:197 f.). dene Instrumente spielt – Schlagzeug, Saxophon, 40 R-Nummer 298 und R-Nummer 512 − Zugriff: Trompete, Ziehharmonika −, die parallel im 14.1.2021. Die Werbespots sind in der Datenbank des Soundtrack zu hören sind.42 RAW mit R-Nummern, Verwaltungsnummern, Ar- chivnummern und BR-Nummern versehen, anhand derer sie sich leicht finden lassen. 41 Slesina (1993:199 ff.). Mitteilungen des RVW 9/2021 Seite 12
Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung Lohr „Aus gutem Grund nach guter Sitte sagt man gerne ̦Juno bitte‘.“ In den Skripts liest sich das beispielsweise fol- gendermaßen: Bild: Aufblenden: Bahnschranke, die gerade niederfällt. Hinter der Schranke erscheinen Menschen, zu Fuss, per Rad oder auf Motorroller. […] Ton: Junofanfare. „Es ist im Leben so bestellt, dass immer mal die Schranke fällt. Für den zu Fuss, für den per Rad, für den, der einen Roller hat […]“. Abbildung 1 a − d: Screenshots des Juno-Clips aus dem Ar- Der handschriftliche Vermerk „Köpfe und chiv. Quelle: RAW. Schranke fehlen noch“ scheint darauf hinzudeu- ten, dass der Spot zumindest begonnen und wohl Die im Archiv vorhandenen Spots sowie die auch beendet und gesendet wurde. Treatments zu den nicht-vorhandenen ähneln Lediglich ein paar Spots brechen aus dem einander hinsichtlich Stil und Duktus sehr: Die Muster ein wenig aus: So wird in WR 5.13 keine Protagonisten sind Zeichentrickfiguren von Men- Geschichte erzählt, sondern mit einem Alternativ- schen verschiedenster Berufsgruppen (Autome- Schlagertext gesungen, wiederum nicht von Bully chaniker, Sekretärin, Professor, Maler, Kapitän, Buhlan: Reporter …) mit verschiedensten Hobbys (Gärt- nern, Radfahren, Tanzen, Angeln, Reisen …). Die „Aus gutem Grund weiß jedermann, wie schnell man sich verlieben kann. Mit ̦Juno bitte‘ fängt es an.“ meisten von ihnen haben keine Zigarette, hätten jedoch gerne eine und bekommen sie letztendlich Der visuelle Anteil besteht aus ein- und ausflie- auch. Entweder sie artikulieren ihren Wunsch genden Motiven des Gesungenen, Telefonhörer, verbal – „Juno bitte“ – oder sie formen und for- Blumen, Stock und Hut und natürlich immer wie- mulieren ihren Wunsch, indem sie Bestandteile der der Zigarette. ihres Umfelds, Werkzeuge etc., zur Buchstaben- folge „J – U – N – O“ zusammenlegen. Die Zei- chentrickzigarette fliegt ihnen buchstäblich aus dem Nichts zu, gerade zwischen die Lippen. Text- lich sind die Spots eher spartanisch gehalten, entweder mit ein paar erklärenden gereimten Zeilen zur dargestellten Situation oder lediglich einem Slogan, der ebenfalls im Lauf der Jahre nicht wesentlich variiert: „Aus gutem Grund nach alter Sitte – hierzulande ̦Juno bitte.‘“ „Juno bitte.“ „Wie bitte? Juno bitte.“ Abbildung 2 a − d: Screenshots des Juno-Clips aus dem Ar- chiv. Quelle: RAW. 42 Die Nummerierung lehnt sich an die Liste an, die zu- sammen mit den Bändern an die Uni Regensburg ge- kommen ist. „WR“ steht für „Werberolle“. Mitteilungen des RVW 9/2021 Seite 13
Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung Lohr In WR 4.17 wird ungereimt geworben: Die gesamte Marke Juno spricht den traditionsbe- wussten Raucher an. (Und die traditionsbewusste „Aus gutem Grund: Juno lang und rund [was auch auf der Raucherin, allerdings in sehr viel geringerem abgebildeten Zigarettenpackung steht]. Denn Tabakmi- Ausmaß; wir werden darauf zu sprechen kom- schung und Format bestimmen den Geschmack der Ziga- men.) Entsprechend war die Werbung gestaltet: rette.“ wenig Änderungen, Betonung der guten alten Zi- Abschließend wird der Refrain der Original-Auf- garette. (Die Assoziation zur „guten alten Zeit“ nahme mit Bully Buhlan eingespielt. Womöglich drängt sich förmlich auf. Wenn man die Reemts- handelt es sich bei diesen Spots um die ersten, die ma-Vergangenheit kennt, möchte einem zuweilen noch nicht als Serie konzipiert waren. Dreierlei etwas mulmig werden.) Die Juno war die älteste fällt auf: der zahlreichen Zigarettenmarken im Hause Reemtsma. Kreiert wurde sie 1896 von der Berliner • Dass die Spots, wie erwähnt, im Laufe der Firma Josetti, und sie war seinerzeit tatsächlich Zeit so wenig variieren, dass sich ein extrem ein Novum, da sie statt der bis dato favorisierten hoher Wiedererkennungswert einstellt, der Orient-Tabake Virginia-Tabak enthielt. Die Ori- indes subjektiv auch als monoton bis ermü- ent-Zigaretten waren im Querschnitt oval, die dend empfunden werden kann. Juno war, um sich auch optisch abzusetzen – eben • Die opulente musikalische Ausgestaltung. rund. Der Slogan der Einführungszeit hieß denn Die Musik ist hier keineswegs – wie in den auch „dick und rund“. „Aus gutem Grund ist Juno allermeisten anderen Werbespots im Geld- rund“ dürfte in den frühen 30er Jahren hinzuge- macher-Archiv − nur Hintergrundmusik, kommen sein. Reemtsma hatte seit 1928 die Mar- sondern ein wesentliches gestalterisches kenrechte an der Juno inne und meldete den Slo- Element. gan 1934 als Wortmarke an.43 Ende 1943 wurde die Produktion der Juno eingestellt, vermutlich, • Die vorhandenen Treatments aus dem Jahr weil die Produktionsbetriebe in Berlin bei Luft- 1960 tragen noch keinen Copyright-Ver- angriffen zerstört worden waren. Ab März 1951 merk; diejenigen aus dem Jahr 1963 sind produzierte Reemtsma wieder Juno-Zigaretten, markiert mit „Copyright 1963 by E.H. Geld- jetzt in Hamburg.44 Ein halbes Jahr später begann macher“. Die ersten Juno-Spots können noch man im VEB Josetti in Ost-Berlin eine „Ost-Juno“ nicht von Geldmacher gewesen sein, da sie zu produzieren, die zwar einerseits flach und vor seiner Zeit im Tonstudio Frankfurt produ- oval war und damit der noch älteren guten alten ziert worden waren. Bis 1963 war er also so- Zeit verhaftet, allerdings im Format 100, also in weit „aufgestiegen“, dass er eigene Spots für Überlänge, um die Überlegenheit des Sozialismus Reemtsma entwarf. (Wir müssen so vage blei- zu demonstrieren.45 ben. Dass die Spots aus dem Jahr 1960 kei- Ihre Vorkriegspopularität konnte die Juno in nen Copyright-Hinweis tragen, mag bedeu- der BRD nicht mehr erreichen; der Reemtsma- ten, dass Geldmacher nicht ihr Urheber ist Biograph Erik Lindner erwähnt die Marke in sei- und also sein Aufstieg vom rein Ausführen- nem Fast-600-Seiten-Werk „Die Reemtsmas. Ge- den zum Produzenten zwischen 1960 und 63 schichte einer deutschen Unternehmerfamilie“ 46 liegt, zwingend notwendig ist es allerdings lediglich an einer Handvoll unauffälliger Stellen, nicht. Der Vermerk könnte aus uns nicht be- ganz im Gegensatz beispielsweise zu den Schla- kannten Gründen weggelassen oder auch schlicht vergessen worden sein, immerhin wird ja auch kein anderer Urheber angege- 43 DPMA (2021a). ben.) 44 DPMA (2021b). 45 Neues Deutschland (1951). 46 Lindner (2007:112; 232; 386; 420; 430). Mitteilungen des RVW 9/2021 Seite 14
Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung Lohr gern Ernte 23 oder R6 und der Nachkriegskreation vom 1.10.1956. Man übersende anbei die Ausar- Peter Stuyvesant. beitung eines Neckermann-Werbefernseh-Films Die im Archiv vorhandenen Kinospots stam- [sic, zwei Bindestriche]. Man glaube, dass man men aus den Jahren 1951 bis 1957, Tonaufnahmen „recht gut hinkomme“ und bereite alles für Don- zu Fernsehspots gibt es für die Jahre 1958/59 nerstag als Drehtag vor. Am 2.10.56 folgt – ohne und 63. Im Herbst 1969/Frühjahr 1970 produzier- weitere Erklärung – das „2. ausgearbeitete Manu- te Geldmacher einige Radiospots für eine Juno- skript für Neckermann Werbefernsehfilm [sic, Novität, die zwei Wörter, kein Bindestrich]“.48 Am 12.10.1956 schreibt die Universal Dia- und „vollkommen neue Juno Filter, eine Zigarette wie Mu- Filmwerbung GmbH aus Düsseldorf, das „Bayeri- sik. […] Juno Filter mit Modern-Blend-Mischung. Eine sche Werbefernsehen“ bitte um schnellstmögli- eigenwillige Mischung, eigenwillig komponiert.“ che Übersendung des Drehbuchs für einen Necker- mann-Fernsehwerbefilm [abermals sic]. Dazu tatsächlich flotte, rhythmische Musik (die Wem genau welche Produktionsschritte bei indes bei genauerem Hinhören zu diesem Zeit- diesem Film oblagen, bleibt Interpretationssache, punkt bereits drei bis fünf Jahre alt war …47). fest steht auf alle Fälle, dass der berühmte ers- Vielleicht war man 1969 des zwischenzeitlich 18 te Fernsehspot mit Liesl Karlstadt und Beppo Jahre alten Juno-Schlagers überdrüssig geworden, Brehm, der am 3.11.1956 im Bayerischen Fernsehen womöglich wollte man der DDR-Juno zur Ab- ausgestrahlt wurde, keine rundweg singuläre Er- wechslung etwas Flottes – sprich flotte westliche scheinung war, ein Eindruck, der gerne entsteht, Musik − entgegensetzen. wenn man über die Anfänge der deutschen Fern- sehwerbung recherchiert. Es ist klar: Die Anzahl „Neckermann“ der von 1956 bis heute produzierten Werbefilme Zu den Neckermann-Spots haben wir deutlich ist unüberschaubar; um den Durchblick zu be- mehr Daten als zur Reemtsma-Werbung, haupt- wahren, muss man sich – so wie wir es tun − auf sächlich Treatments, alle bereits mit den Ur- einen Ausschnitt konzentrieren oder die Superla- heberrechtsvermerken „Copyright by Tonstudio tive miteinander in Beziehung setzen: den angeb- Frankfurt“ oder „Copyright by E.H. Geldmacher“. lich dümmsten, intelligentesten, witzigsten, wir- Zumindest für die frühen Reemtsma-Spots war kungsvollsten, teuersten Spot, den ersten Spot Geldmacher noch reiner Zulieferer gewesen, Mu- mit einer unbekleideten Frau49 etc. Der zweite sik und Bild waren vorgegeben, und der aufzu- oder dritte ist kein Superlativ mehr und wird von nehmende Sprachanteil war übersichtlich. Necker- der Forschung gemeinhin übergangen. Dabei mann gegenüber trat er von Anfang an (1956) als wurden im Produktionszeitraum des ersten Berater auf, der für die Werbespots die Ideen und Werbefilms noch zahlreiche weitere gedreht, Texte selbst einbrachte, die dann auch umgesetzt bereits im ersten Sendemonat, eben dem Novem- wurden. ber 1956, bedienten sich 25 Unternehmen des Die Neckermann-Angelegenheiten sind nicht neuen Werbemediums. An den verfügbaren 23 auf verschiedene Ordner verteilt, sondern füllen Sendetagen liefen insgesamt 108 Werbespots; 50 einen eigenen Aktenordner, der neben den Treat- zwischen dem ersten und dem zweiten Spot ments auch Hintergrundinformationen und Zu- dürften nur ein paar Sekunden Sendezeit gelegen satzmaterialien enthält. haben. Womöglich ist der zweite oder dritte ein Eines der frühesten Dokumente der komplet- ten Sammlung ist ein Brief der Duo Film GmbH 48 CF 01. Cartharius – Burk aus Darmstadt an Geldmacher 49 Als der allgemein ein Fa-Clip aus dem Jahr 1969 gilt – wir haben einen älteren in der Sammlung, aber dazu 47 Cover-Versionen von Udo Jürgens’ Merci, Chérie, Dionne später. Warwicks Reach out for me etc. 50 Fischer & Westermann (2001:38). Mitteilungen des RVW 9/2021 Seite 15
Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung Lohr Geldmacher-Spot – zwei, die die Neckermann- film, weil man den Katalog in natura und das An- Herbst/Winter-Kollektion 1956/57 anpreisen, ha- gebotene bewusst ehrlich darstellen wolle und ben wir im Archiv. weil zwei große Wettbewerber aktuell Zeichen- Geldmacher selbst unterschreibt um diese trick-Werbefilme senden. „ Zeit bereits als Geschäftsführer der Commercial- Hauptakteur der Spots ist ein Reporter, der film GmbH, so in einem Begleitschreiben zu Treat- Menschen präsentiert, die „das Geheimnis ken- „ ments an einen Herrn Herkommer der Firma Ne- nen, immer mit ihrem Geld auszukommen, ohne ckermann vom 21.1.1957: auf Qualität zu verzichten.“ „Ein Geheimnis zu erwähnen“, schreibt Geldma- Laut den Bedingungen des Bayerischen Wer- cher, befernsehens müssen die Filme praktisch be- reits am 1. Februar beim Sender vorliegen. Es wird bedeutet immer, die Neugierde herauszufor- also höchste Zeit, dass wir mit den Dreharbeiten be- dern. Ein Geheimnis mit anderen zu teilen, ginnen können.“ bedeutet immer, zu den Bevorzugten zu zählen. Der Weg dazu, ‚Mitwisser zu werden‘, führt bei den hier Neben dem Tonstudio Frankfurt haben wir also be- vorgelegten Vorschlägen über den Katalog.“ reits Commercialfilm mit einem Geschäftsführer. Geldmacher scheint nach vier Jahren in der Bran- Die Filme der Serie folgen alle dem gleichen che bereits eine beachtliche Karriere gemacht zu Schema: Der Reporter – erkennbar am Mikrofon haben. und dem reporterhaften Sprachduktus – stellt Über eine zehnteilige Spot-Serie „Reporter: Verbraucherinnen bzw. Verbraucher verschiede- Geheimnisse“ aus den Jahren 1959 und 60 finden ner gesellschaftlicher Schichten und Hintergrün- wir einige Hintergrundinformationen; drei dieser de in ihren Privaträumen vor. Wir haben im Ar- Spots haben wir im Archiv.51 chiv „Frau Berger, 36 Jahre alt, Hausfrau“, „Inge In einem fünfseitigen Schriftstück (leider Wolters, 23 Jahre alt, Sekretärin“, den „Bankbe- ohne Anschreiben oder Ähnliches ) vom 4.8.59 an amte[n] Werner Weber, 48 Jahre alt, daneben sei- die Werbeabteilung von Neckermann − „Betr. Fern- ne Frau Brigitte, Sekretärin.“ sehwerbung 1960“ − listet Geldmacher die Beson- derheiten auf, die beim Versandhaus gegenüber „ anderen Werbekunden auftreten: Angesichts der breiten Produktpalette sei nicht jedes im Film ge- zeigte Neckermann-Produkt auf Anhieb als solches zu erkennen. Das bedinge, um die Wirksamkeit der Fernsehwerbung zu gewährleisten, starke Standardaussagen „ (Slogan: Schreib an NECKERMANN [Versalien im Text], wiederkehrende Bild- und Wortelemente, akustisches NECKERMANN-Motiv)“ sowie Abbildung 3 a − d: Screenshots des Neckermann-Clips aus eine genügend große Variante (Darstellung dem Archiv. Quelle: RAW. der Vielfalt des Angebots, um aktuell zu blei- ben, zur Wacherhaltung des Zuschauerinteresses)“. Der Reporter weist darauf hin, dass die oder der Man entscheide sich bei dem angedachten, ge- Betreffende „das Geheimnis“ kennt, und lenkt planten oder zu realisierenden Projekt für Real- dann die Aufmerksamkeit auf ein Produkt, das sie oder er kürzlich bei Neckermann erworben hat, 51 WR 9.01−03. Mitteilungen des RVW 9/2021 Seite 16
Die Kino- und Fernseh-Werbespots der Sammlung Geldmacher: Eine Sichtung Lohr beispielsweise einen Mantel. Es werden noch mann“, „Vorteilhaft mit Neckermann“, „Fortschritt- weitere Artikel gezeigt, die im Warensachgebiet lich mit Neckermann“, „Allen voran: Neckermann“, möglichst weit vom erstgenannten Produkt ent- etc. Was diese Ideensammlung nicht enthält, ist fernt liegen, Möbel, Radio, Kühlschrank etc. Die der zweitberühmteste Neckermann-Slogan „Besser Filme enden mit der Aufforderung an die Zu- dran mit Neckermann“. In einem Brief an Necker- „ schauer, „das Geheimnis“ mittels des Katalogs mann, „z. Hd. Herrn Herkommer“ vom 11.1.1960, ebenfalls kennenzulernen, und dem Slogan in dem Geldmacher Vorschläge zur Gestaltung „Schreib an Neckermann!“ der Werbefilme für das Jubiläumsjahr 1960 (10 „Darüber hinaus“, schreibt Geldmacher, und Jahre Neckermann) unterbreitet, schreibt er: „ da wir weder die entsprechenden Filme noch zu- gehörige Tonspuren im Archiv haben, wissen wir Das Zehnjahresjubiläum forderte, wie Sie uns mitteilten, neue frische Gestaltungsim- nicht, ob sie realisiert wurden, bestünde die Mög- pulse. So soll die Werbung unter dem neuen Slogan lichkeit, ‚Besser dran mit Neckermann‘ stehen.“ Sonderfilme herzustellen, beispielsweise Das klingt eher danach, als stamme der Slogan über eine einzelne Warengruppe, über die nicht von Geldmacher, sondern sei von anderer Gründe der Vorteile, die der Versandhauskauf bietet (nach dem Motto: Warum kann eigentlich Neckermann Seite vorgegeben. billiger sein als andere), über ein public relations Interessant ist die Sache deswegen, weil der Thema, z. B. Thema Neubau. Jedes einzelne Sonder- Konkurrent Quelle Anfang 1960 vor Gericht eine thema kann behandelt werden, ohne dass die Ge- einstweilige Verfügung wegen vergleichender „ samtlinie (Geheimnisse, Reporter, Verlangen Sie den Werbung gegen diesen Slogan erwirkte. Der be- Katalog) verlassen wird.“ reits gedruckte Katalog durfte nicht weiter ver- Schließlich verweist Geldmacher auf ein mögli- breitet werden.52 Zumindest einer der von Geld- ches Gesamtkonzept: macher vorgeschlagenen Werbefilme zum Jubilä- um wurde realisiert und findet sich im Die hier vorgelegten Realfilmdrehbücher ge- Regensburger Archiv. Als Schriftzug scheint der ben überdies die Möglichkeit, bei der Reali- Slogan nicht auf, dafür wird er in 40 Werbese- sierung der Filme gewisse Elemente auch in andere kunden sechsmal gesungen.53 Werbemittel zu übernehmen. So kann z. B. der Re- porter zur Katalogfigur werden, auf Anzeigen er- scheinen – und zwar sowohl in Illustrierten als auch in Tageszeitungen. Seine Stimme und seine Art zu sprechen können in die Gestaltung der Funkwerbung übernommen werden. Auch wird es möglich sein, zwei Fernsehfilme zu kombinieren und diese in aus- gesuchten Gebieten in Lichtspieltheatern einzuset- zen. In einem solchen Falle müssen allerdings die Fil- me in Farbe gedreht werden. Es ist also möglich, unter den Werbemitteln eine gewisse Kongruenz zu schaffen, die die Werbewirkung jedes einzelnen Wer- beträgers noch verstärkt. Damit würde sich das Wer- befernsehen, bei entsprechender Schaltungshäufig- keit, nutzbringend in die Werbebemühungen um das Versandhaus einfügen.“ Abbildung 4 a − d: Screenshots des Neckermann-Clips aus dem Archiv. Quelle: RAW. Ein Einhängeregister im Ordner, beschriftet mit „1959“, enthält vorwiegend Slogan-Vorschläge: „Immer voran mit Neckermann“, „Immer voran: Neckermann“, „Der Fortschritt geht mit Necker- 52 Neckermann (1990:258 f.). 53 WR 9.11. Mitteilungen des RVW 9/2021 Seite 17
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