Sonderthema dOCUMENTA (13)
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JULI / AUG. 2012 SCHUTZGEBÜHR EUR 4,80 / CHF 7,80 Sonder thema dOCUMENTA (13) Künstlerpor trait Herber t Maier Augen-Blick Goethe und das Straßburger Münster Ausstellung Architekturmodelle im DAM Frankfur t ISSN 1868-7946 Das Museum 75 Jahre Haus der Kunst München
KÜNSTLERPORTRAIT · HERBERT MAIER Malerei als sehendes Denken Herber t Maier erzeugt Dinglichkeit durch Transparenz von Anita Brockmann Betrachtet man die Ölgemälde des Malers Herbert Maier, so nehmen sie nicht nur durch ihre beeindruckende Größe ge- 4 fangen. Es ist vielmehr der perlmutterne Schimmer, der den Betrachter fesselt. Unwillkürlich zieht dieser Glanz den Blick auf sich und in die Tiefe der Bildfläche, beginnt sich die Fläche in Raum aufzulösen und gerät in Bewegung. Diese Faszination entsteht unter anderem aus dem Wider- spruch, „dass in meinen Arbeiten eine Fläche haptisch ding- fest gemacht wird, die aus einer ungreifbaren Farbe, die trans- parent ist, entsteht. Bei der Lasurtechnik bricht sich das Licht nicht an der Bildoberfläche, sondern geht durch die Farbe hindurch und reflektiert am Bildgrund“, erklärt Maier. Das zu erreichen, bedarf es eines langwierigen Arbeitsprozes- ses, dessen Verlauf der Künstler mit der Tätigkeit eines Gärt- ners vergleicht, der den Wuchs der Pflanzen auf dem von ihm vorbereiteten Boden unter bestimmten Witterungsbedin- gungen beobachtet und fördert: Auf direkten Untermalungen Foto: Klaus Zinser
KÜNSTLERPORTRAIT · HERBERT MAIER entstehen rote, gelbe, grüne, blaue, graue und schwarze Farb- flächen, indem die Ölfarbe in einem aufwendigen Prozess hauchzart und dünnflüssig immer wieder lasierend in Schichten übereinander aufgetragen wird. Dabei geht nichts verloren. „Die eingeschriebenen und über Monate eingemal- ten Schichten und Raum-Zeit-Ebenen verbinden sich mit- und zueinander und werden füreinander durchlässig (das Auge gleitet unbemerkt von einer Ebene in eine andere)“, schreibt Maier in seinem Skizzenbuch 2012.1 – Lissabon/Paris. Anders als bei der Collage, wo die zueinandergesetzten Elemente sich addieren, spricht er daher bei seinen Werken von einer Multi- plikation der Ebenen. Da die Arbeit an einem Bild bis zu 70 Lagen umfassen kann und jede einzelne etwa eine Woche Trockenzeit benötigt, kann es schon einmal länger als ein Jahr dauern, bis ein Werk fer- tiggestellt ist. Der abschließenden ganzflächigen Lasurschicht fügt der Künstler dann durch Harzsubstanzen etwas Glanz bei, ohne den das Licht nicht ins Bild käme. Die Farbbrillanz und das Farbspektrum, die auf diese Weise in Maiers Bilder einziehen, sind überwältigend. „Ich selbst behandele die Far- be aber immer gleichwertig, neben dem Licht sind es die sub- traktive Farbmischung und das Übereinanderschichten der Lasuren, die die Farbe beeinflussen“, erläutert er deren unge- wohnte und reizvolle Wirkung, durch die etwa Gelbocker wie Gold anmuten kann. In der vormodernen Malerei wurde diese Farbe für Kelche und prachtvolle Brokatgewänder ver- wendet, bei Maier entziehen sich die Glanzfarben der tradi- tionellen Verwendung, die jeder Betrachter in sich gespeichert hat. Sie sind befreit von bekannten Oberflächen und präsen- tieren lediglich sich selbst. Neue Bildweisen durch traditionelle Technik Das sind die maltechnischen Voraussetzungen für Experimente und Erfahrungen mit der Wahrnehmung. Sie fußen auf den [2] [2] Speicher/Naturzeit – Gebautezeit, 2006/2007, Öl auf Leinwand, 240 x 200 cm in der Ausstellung im Morat-Institut für Kunst und Kunstwissenschaft, Freiburg, 2009/2010, Foto: Rüdiger Buhl
KÜNSTLERPORTRAIT · HERBERT MAIER [3] „Farbfeldmalereien“ in den Gemälden florentinischer und nie- Sehzeit derländischer Maler, insbesondere in den Werken Jan van Eycks, 7 dessen Technik Maier weiterentwickelt und perfektioniert. In den Lasurschichten bleiben die einzelnen Pinselstriche Im Zuge einer Schaffenskrise Ende der 1990er-Jahre keimte nachvollziehbar. Sie sind als eigenständiges Element raum- in ihm das Bedürfnis nach mehr Komplexität und Transparenz konstituierend am strukturellen Aufbau der Bilder beteiligt: in den Bildern. Gleichzeitig suchte er nach Möglichkeiten, Als Linien, die horizontal oder vertikal über die Leinwand- die Fläche als Ausgangspunkt der Malerei in ihrer elementa- fläche gestrichen werden oder sich in Wellenbewegungen kreu- ren Wesenheit darzustellen und das Erbe der Malerei in seine zen, erzeugen sie verschiedene Ebenen, die trotz des Fehlens Bilder zu integrieren, ohne direkt darauf Bezug zu nehmen. einer perspektivischen Konstruktion auf der Bildfläche Räu- Das führte ihn zu der altmeisterlichen Lasurtechnik. Er be- me entstehen lassen. Diese Räume sind mit dem Blick des gann im Hinblick auf die Fragestellungen „Ist diese Technik Betrachters begehbar und werden lediglich durch einen zu- auf heutige Bildsprachen anwendbar?“ und „Kann ich mit ihr meist hell abgesetzten Streifen an den Bildrändern umfasst. neue Bildweisen schaffen?“ (Skizzenbuch 2008.4 – Refle- Maier nennt diese Streifen „die harte Grenze“. Es ist die xionen) mit ihr zu experimentieren. „Schließlich habe ich die Schnittstelle, die dem Betrachter einerseits den Raum eröff- ursprüngliche Absicht dieser Technik in ihr Gegenteil ver- net, ihn jedoch andererseits auch wieder auf die Flächigkeit kehrt“, stellt Maier fest. „Wo die Lasur früher für mehr Vo- des Malgrundes zurückführt. So ergibt sich eine eigenwillige lumen und Plastizität sorgen sollte, erreiche ich mittels Schich- Dynamik: Obwohl vom Maler fertiggestellt, scheinen sich die tenverschachtelung mehr Fläche durch Tiefe und Bewegung.“ Bilder weiter im Prozess des Entstehens zu befinden: Sie tre- [3] Speicher/New York – Bamako II, 2005–2007, Öl auf Leinwand, 200 x 650 cm, fünfteilig, Foto: Bernhard Strauss
KÜNSTLERPORTRAIT · HERBERT MAIER [4] [5] ten nach vorne, verschränken sich für einen kurzen Augen- der heutigen Physik Raum nicht denkbar. Bei Herbert Maier 8 blick, gehen dann wieder in die Tiefe, um sich erneut nach öffnet sich durch die Zeitlichkeit des Sehens die Zeit zum vorne zu drängen. „Diese Räume, die sich vor dem Betrachter Raum. Was das konkret bedeutet, lässt sich an den neueren auf der Fläche der Bilder ohne die illusionäre Konstruktion Werken aus der Serie der „Scheibenräume“ nachvollziehen, der Perspektive aufbauen, sind keine statischen Räume, schon die derzeit in seinem Freiburger Atelier entstehen. Schon der gar nicht Räume von einer festen hierarchischen Ordnung: widersprüchliche Titel deutet die bildimmanente Dualität an: Wo hinten war, ist vorne, wo das Zentrum sich zu bilden Was oberflächlich wie das Bild einer Scheibe erscheint, öffnet schien, breitet sich die Leere aus“, beschreibt Noemi Smolik sich zum Raum. Maier notiert in seinem Skizzenbuch 2012.1 den Prozess der Betrachtung. „Die Zeit ist gegenwärtig. Die – Lissabon/Paris: „Scheibenraum Raumkörper Raum- Bilder sind nicht einfach da, sie geschehen und um dieses Ge- zeitkörper: „Die Inwendigkeit der Körper als Raum- und schehen verfolgen zu können, braucht das betrachtende Auge Körpererfahrung aus der (Seh)zeit heraus.“ Was geschieht beim Zeit, viel Zeit.“ Herbert Maier nennt das ‚Sehzeit'. Sie steht Betrachten eines solchen Bildes? Je länger sich der Betrachter in Relation zur Entstehungsdauer der Bilder. in es versenkt und je nachdem, wie er seinen Blick steuert, ob er ihn fixiert oder weitet, erhält die Scheibe Volumen und Struktur. Das Auge bildet daraus einen Raum, der sich Scheibenraum Raumkörper entweder zur bildinneren Ferne hin öffnet oder in den Raumzeitkörper Betrachterraum erstreckt. Weil es keinen Fluchtpunkt gibt, läuft der Betrachter regelrecht in das Bild hinein und kommt In der Sehzeit spiegelt sich auch das Interesse des Malers an zu keinem Ende – erst wenn der Blick an die harte Grenze den Naturwissenschaften, speziell der Physik. Ohne Zeit ist in der Scheibe stößt, zerfällt der Raum und das Auge wird wie- [4] Speicher/Scheibenraum 6 und [5] Speicher/Scheibenraum 7, jeweils 2011-2012, Öl auf Leinwand, 130 x 140 cm, Fotos: Bernhard Strauss
KÜNSTLERPORTRAIT · HERBERT MAIER [6] der der Fläche gewahr. Doch sogleich öffnet sich wieder der Speicher Raum ... In dieser Kontinuität und Wechselhaftigkeit wird 9 Sehen zu einem konstitutiv erfahrenen Akt. Die Polarität seiner Arbeiten spiegelt sich auch in den Benen- nungen, die Maier für seine Serien wählt. Schon als er noch pastos malte, hatte er den Begriff „Speicher“ gefunden, um Polarität seine Vorstellung von der Malerei adäquat in einem Bildtitel zu fassen. Dabei ist der Prozess des Speicherns niemals als Dass Herbert Maier dies gelingt, ist neben dem lasierten Farb- abgeschlossen zu verstehen. Er unterliegt keinerlei Grenzen auftrag auch auf die Spannungsbögen zurückzuführen, die er und ist wie Herbert Maiers Malerei ein nie endender Prozess, in seine Bilder bringt. Dabei gilt es ihm, „möglichst viele der sich immer weiter fortsetzt. Er impliziert den Gedanken Widersprüche ins Bild zu setzen, sie einerseits nicht in einem eines Speichers von Zeit, eines Speichers von Erinnerungen, neutralen, lavierenden Einerlei ihrer Kraft zu berauben“, eines Speichers von Erfahrungen, eines Speichers von Ener- andererseits aber auch nicht im bloßen Nebeneinander- gie. – Im Ansammeln und Verdichten von Ereignissen, Ab- setzen von Dualismen die bildnerische Lösung zu sehen. läufen oder Lebenserfahrung sind die Speicher somit maleri- Paare wie Raum – Fläche, Form – Farbe, Geometrisches – sche Verdinglichung von Zeiten und Räumen und enthalten Vegetabilität, Figur – Grund, Wärme – Kälte, Oberfläche – als solche auch die Informationen, mit denen der Maler vor- Tiefe, Entrückung – Annäherung, Statik – Dynamik, Flüssiges gibt, welche Bilder er im Betrachter auslöst. – Festes, Licht – Schatten, Transparenz – Verhüllung,Vorher – Nachher, Fülle – Reduktion versteht er als komplementäre Kaum ein Bild vereint die Vielschichtigkeit der maierschen Pole ein und derselben Sache. Bildtheorie so augenfällig wie das dreiteilige Monumentalge- [6] Speicher/Grosses Mexiko, 2008/2009, Öl auf Leinwand, 240 x 990 cm, dreiteilig, Foto: Bernhard Strauss
KÜNSTLERPORTRAIT · HERBERT MAIER [7] mälde „Speicher – Grosses Mexiko“. Angefangen bei den im LeereKörper Lasurauftrag entstandenen Pinselspuren und der Leuchtkraft 10 der Farbpigmente über die Assoziation an südamerikanische Beinahe genauso lange, also schon, bevor er mit der Lasur- Pyramiden, die sich aus der Anordnung der Farbriegel ergibt, technik zu experimentieren begann, arbeitet Maier mit dem ohne dass ein Architekturbild beabsichtigt wäre, bis hin zum Begriff der „LeereKörper“. Während einer Reise nach Ne- unvermittelten Vor- und Zurückspringen der Farbbalken, die apel wurde ihm beim Anblick einer Grottenöffnung bewusst, die Wahrnehmung von Fläche und Raum fortwährend hin- dass auch die Leere, die Aussparung, das Nichts über Dichte, terfragen, offeriert es dem Betrachter zahlreiche Möglichkei- Materie, Dinglichkeit verfügen kann. Diesen Gedanken greift ten, das Bild zu erfahren. er in seinen Holzschnitten auf. Mit einem begrenzten Voka- bular von meist schwarzen gehaltenen blockhaft umgesetzten Obwohl in ihrer ästhetischen Anmutung, in Pinselduktus und Gestalttypen auf weißem Papiergrund wachsen die Farb- Farbgebung gänzlich anders ausgerichtet, speisen sich auch flächen in sich verräumlichende, verdringlichende (Seh)Zeit die zeitgleich in Freiburg entstandenen Speicher-Bilder des aus, nehmen physische Präsenz an, wölben sich aus der Fläche Zyklus „Naturzeit – Gebautezeit“ aus einer variantenreichen oder graben sich in den Malgrund. Verarbeitung gesammelter Formerscheinungen, schreibt Rü- diger Heinze im Ausstellungskatalog 2009. Ohne die gerins- Die übergroßen Aquarelle heben als LeereKörper sogar den te Absicht zur mimetischen Darstellung zu offenbaren, verlei- vermeintlichen Widerspruch von Transparenz, Durchlässig- ten sie zu der Vermutung, es könne sich dabei um Chro- keit und opaker, dinghafter Dichte auf, denn der Lasurenblock mosomen-Darstellung oder die Hell-Dunkel-Strukturen von kann beides gleichzeitig sein: Nichts und Körper/Raum, leer Birkenrinde handeln. und dicht wie Schwarze Löcher im Universum, schreibt [7] Aus der Serie „Speicher/Naturzeit – Gebautezeit“, 2006/2007, Öl auf Leinwand, die beiden Bilder links je 240 x 200 cm, die drei Bilder rechts je 240 x 330 cm, Ausstellung im Morat-Institut für Kunst und Kunstwissenschaft, Freiburg, 2009/2010, Foto-Panorama: Rüdiger Buhl
KÜNSTLERPORTRAIT · HERBERT MAIER Herbert Maier im Skizzenbuch 2008.5 – Kreta. Durch die Repertoire gehören neben Öl- und Aquarellmalerei sowie Schichtung, die sukzessive sich verdichtende Flüssigkeit, ver- Holzschnitt unter anderem auch Fotografie, Radierung und tiefen sich die Blätter nach innen, und „der Betrachter schaut Skizzenbuch: Sie alle stehen für ihn gleichberechtigt neben- 11 förmlich in die Bilder hinein, als wären sie räumlich“, um- einander. Dabei denkt er immer von den Bedingungen des schreibt Volker Bauermeister die Wirkung. „Selbst wenn sie Materials aus, die Bilder müssen sich aus ihrer Stofflichkeit sich oberflächlich zu verschließen scheinen, ist Öffnung ihre erklären.Wäre die Arbeit in einer Gattung ersetzbar durch die Potenz.“ in einer anderen, würde er sie nicht weiterverfolgen. Indem er die spezifischen Unterschiede der jeweiligen Techniken Die Lasurmalerei in Öl ist letztlich eine Synthese aus der herausarbeitet, kommt auch hier wieder das Speicherprinzip Transparenz der Aquarellmalerei, Leere und Körper kommen zum Tragen: Die Gattungen fungieren wie Brennstrahlen, die aus dem Holzschnitt. auf einen Brennpunkt hin ausgerichtet sind. Was auf den ersten Blick wie Zerstreuung wirkt, baut lange aufeinander auf und fügt sich am Ende zusammen. Parallelität So finden sich in Maiers Fotografien häufig Motive, die auf Die Parallelität der Widersprüchlichkeiten, die sich in den die Malerei zu verweisen scheinen, tatsächlich aber erst da- einzelnen Arbeiten ausmachen lässt, ist auch ein Aspekt, der nach entstanden sind. „Was die Fotografien betrifft, und darin sich durch das Gesamtwerk von Herbert Maier zieht. Immer liegt ihre Wichtigkeit auf meine malerische Arbeit bezogen, arbeitet er gleichzeitig an mehreren Arbeiten, an unterschied- so finde ich Motive auf Reisen oder im Alltag, die meine lichen Serien, oft in verschiedenen Gattungen. Zu seinem Malerei, die von ihren reinen Mitteln ausgeht (Fläche/Farbe)
KÜNSTLERPORTRAIT · HERBERT MAIER [8] [9] und sich in Richtung der (sichtbaren) Wirklichkeit bewegt (...), die meine Malerei geradezu als empirische Wirklichkeit zu bestätigen scheinen, ohne dass ich auf ein Abbildhaftes zu- 12 rückgegriffen hätte“, erklärt er die Bedeutung dieser Gattung. Seine Skizzenbücher begleiten Herbert Maier seit Jahren. Sie haben ihren Ursprung im Text. In ihnen reflektiert er unter anderem seine Ideen und überprüft, ob und inwiefern sie mit den Bildern, an denen er arbeitet, übereinstimmen. Diese Re- flexionen stellt er häufig erst an, nachdem er eine Frage- stellung oder eine Serie abgeschlossen hat. So kommt es, dass Text und Bild zwar auf einer Skizzenbuchdoppelseite neben- einanderstehen, aber nicht zwingend in einem engen Zusam- menhang zueinander. Auch in den Radierungen, die ganz ohne Farbe auskommen und ein weiteres eigenständiges Feld seiner Arbeit darstellen, rekapituliert und reflektiert der Künst- ler die Malerei eines vorangegangenen Zyklus. [8] Aus dem „Skizzenbuch 2008.4 – Freiburg“, Foto: Bernhard Strauss [9] Aus der „Visuellen Bibliothek“, seit 2010, Aquarell, je 30 x 20 cm, Foto: Herbert Maier [10] Detail aus der „Visuellen Bibliothek“, seit 2010, Aquarell, je 30 x 20 cm, Foto: Herbert Maier
BIOGRAPHIE 1959 Geboren in Haslach / Schwarzwald 1983 Rotary-Stipendium Paris 1992 Regio-Preis für Bildende Kunst 1994 Preis der Kritik, Internationale Graphik Triennale Prag, Tschechien seit 1994 Lehrauftrag für Radierung an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg 1997 Stipendium der Kunststiftung Baden-Wür ttemberg 1999 Stipendium Cité Internationale [10] des Ar ts in Paris (2000/2001) 2002 Workshop an der Pontificia Universidad del Peru, Facultad de Ar te, Lima, Peru 2002/03 Dozent für Kunstgeschichte Visuelle Bibliothek an der Hochschule Holzen Neben den 20-30 Ölbildern, an denen er im Atelier parallel 2005 Ar tist in Residence der Edward F. Albee malt und „die sich gegenseitig korrigieren“, wächst seit 2010 Foundation, Montauk, New York, USA 13 auch eine auf 500 Aquarelle angelegte Kulturgeschichte der 2004 + 2005 + 2008 Welt, die der Künstler „Visuelle Bibliothek“ nennt. Immer Ar tist in Residence of the auf weißem Papier stehend, werden „Forminkunabeln der Josef and Anni Albers Foundation, Menschheit“ zigmal mit Farblasur überschichtet. Die bekann- Bethany, Connecticut, USA ten Gesichter von Lebenden und Toten oder wegweisende 2011 Arbeitsstipendium im Künstlerhaus Lukas Erfindungen der Menschen aus aller Welt werden dadurch Ahrenshoop, geförder t durch das Land flächig und leuchten von innen – es entsteht Ferne über Prä- Mecklenburg-Vorpommern senz, Gleichzeitigkeit im Ungleichzeitigen, die der Betrachter darüber hinaus durch eine unchronologische Hängung in lebt und arbeitet in Freiburg im Breisgau mehreren Reihen erlebt. In seinem Bestreben, „eine Parallelwelt, eine Art Gegenwelt AUSSTELLUNGEN 2012 zu dieser äußeren, empirischen, in sinnenhafter Wahrnehmung und Empfindung sich mitteilenden Welt zu schaffen“, ent- Juli 2012 wickelt Herbert Maier in dieser noch unvollendeten Serie Based on AD (Albrecht Dürer) eine weitere Facette seiner Raum-Zeit-Überlegungen: Mit der Galerie Bode Nürnberg ganzflächigen Lasur als Stilmittel der Volumenbildung erhalten die aquarellierten Figuren und Köpfe wieder eine Flächen- September/Oktober 2012 haftigkeit, durch die sie wie Scherenschnitte auf weißem Kimreeaa Galley, Seoul/Korea Papier ohne Hintergrund stehen und wie Stempel wirken. K O N TA K T www.herber tmaier.org
IM GESPRÄCH Marcel fragt Herbert Streng genommen fragt hier gar nicht Marcel Proust selbst – vielmehr hat der be- rühmte Schriftsteller, dessen Werk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ als einer der größten Romane der Weltliteratur gilt, dem berühmt gewordenen Frage- bogen seinen Namen gegeben. Proust hat einen solchen Fragebogen wohl mindes- tens zweimal selbst beantwortet – um die Wende zum 20. Jahrhundert galt das Ausfüllen als beliebtes Gesellschaftsspiel in gehobenen Kreisen. Der erste Bogen, aus- gefüllt vom heranwachsenden Proust während eines Festes, wurde posthum 1924 veröffentlicht. Den zweiten Fragebogen betitelte Proust mit „Marcel Proust par lui- Valentin Louis Georges Eugène Marcel Proust même“ („Marcel Proust über sich selbst“). Die ursprünglich 33 Fragen wurden für (1871-1922), französischer Schriftsteller, Kunst & material auf 29 reduziert – und bieten spannende und nachdenkliche Ein- Kritiker und Intellektueller. blicke in die Gedanken- und Gefühlswelt unserer Befragten. Wo möchten Sie leben? Da wo ich lebe. den am meisten? Dass sie meine Freunde Wenn es mir zu eng wird, reise ich. Was sind und sein wollen. Ihr größter Fehler? Herbert Maier (*1959) ist für sie das vollkommene irdische Glück? Ich werde mich hüten; also gut: Miss- Maler und Radierer in Freiburg i. Br Kein Kuhhandel mit dem Glück, es sind trauen zuweilen. Ihr Traum vom Glück? stille wunderbare Momente, in denen alles Wie schon gesagt, kein Kuhhandel mit stimmig ist. Welche Fehler entschuldigen dem Glück! Es stellt sich spontan ein „Offen und in Sie am ehesten? Jeden der geklärt wer- wie Regen. Der kann lange ausbleiben Fragestellung bleiben“ den kann. Was ist für Sie das größte Un- und kommt doch sicher immer wieder. 78 glück? Ein Leben in Unfreiheit und Ihre Lieblingsfarbe? Jeder Farbe ihren Fremdbestimmung. Ihre liebsten Roman- Wirkraum. Ihre Lieblingsblume? Ein helden? Die wechseln, meist menschli- blühender Garten,Vielfalt mit blutroten che Antihelden. Ihre Lieblingsgestalt in Mohnblumen. Ihr Lieblingsvogel? Jedes der Geschichte? Es gibt einfach viele. Zu Gezwitscher. Ihre Helden der Wirklich- den Lieblingsfragen hier kann ich sagen, keit? Den Heldenbegriff mag ich nicht. dass mich mit Entschiedenheit Unter- Wie Menschen eine Familie durchbrin- schiedlichstes interessiert, auf einen Lieb- gen ist schon beachtenswert. Ihre Lieb- ling ist das nicht zu reduzieren. Trotz- lingsnamen? Jeder Name, den ich ganz dem: Heraklit, Gandhi. Ihr Lieblings- subjektiv zu einem Gesicht oder einer maler? Giorgio Morandi, Edouard Ma- Gestalt passend finde. Was verabscheuen net u.a. Ihr Lieblingsautor? Jean-Philippe Sie am meisten? Ungerechtigkeit. Welche Toussaint, John Berger u.a. Ihr Lieblings- geschichtlichen Gestalten verabscheuen komponist? Anton Bruckner und Miles Sie am meisten? Jeden Diktator. Welche Davis gehören dazu. Welche Eigenschaf- Reform bewundern Sie am meisten? Zu- ten schätzen Sie bei einem Menschen am erst eine Doktrin, dann eine Reform, also meisten? Inspiriertes Einfühlungsver mö- wieder eine Doktrin. Welche natürliche gen, Großzügigkeit. Ihre Lieblingstugend? Gabe möchten Sie besitzen? Es geht um Zuviel Tugenden auf der Welt und also die Verfeinerung derer, die ich habe. Wie zuviel Heuchelei. Ihre Lieblingsbeschäf- möchten Sie gern sterben? Malen können tigung? Malen, lesen und in Cafes rum- bis zum letzten Tag und dann im letzten sitzen, reisen. Wer oder was hätten Sie gern Hauch mit dem Gelebten einig sein. Ihre sein mögen? Was ich bin. Ihr Haupt- gegenwärtige Geistesverfassung? Spannend, charakterzug? Ich bin vielseitig interes- was gerade passiert. Ihr Motto? Offen siert. Was schätzen Sie bei Ihren Freun- und in Fragestellung bleiben.
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