Internationales Treffen sozialer Bewegungen im Vatikan
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Internationales Treffen sozialer Bewegungen im Vatikan Papst Franziskus: Evo Morales: "Wenn ich von Land rede, von Die große Sünde der Mensch- einem Dach überm Kopf und heit ist der Kapitalismus; alles Arbeit, nennt man mich wird verkauft und gekauft, einen Kommunisten." nichts ist mehr heilig. Papst verbündet sich im Kampf gegen Unterdrückung und Ausbeutung mit sozialen Bewegungen. Evo Morales als einziges Staatsoberhaupt anwesend Von Valeska Cordier amerika21 31.10.2014 Vatikan. In Rom ist am Donnerstag ein internationales Treffen von Vertretern und Vertreterinnen von 100 sozialen Bewegungen aus aller Welt zu Ende gegangen. Die- se tagten auf Einladung von Papst Franziskus drei Tage lang zu der Frage, wie die Bewegungen Problemen wie Krieg, Vertreibung, Hunger, Armut und Arbeitslosigkeit entgegentreten können. Diskutiert wurden die Ursachen der weltweit wachsenden so- zialen Ungleichheit und der Mechanismen von Exklusion. Bei dem Treffen waren un- ter anderen die brasilianische Landlosenbewegung MST, der zambische Obdachlo- sen- und Armen-Verband, eine kurdische Jugendorganisation aus Syrien sowie eine Vereinigung koreanischer Bäuerinnen vertreten. Die drei thematischen Schwerpunkte des Treffens waren: Land (Bauern, Landwirtschaft, Nahrungsmittelsouveränität und Umwelt,), Arbeit (informelle Arbeit, Kinder- und Jugendarbeit), und Dach über dem Kopf (informelle Ansiedlungen, Wohnraumproblematik und arme urbane Peripherie). Als einziges Staatsoberhaupt nahm Boliviens Präsident Evo Morales an dem Treffen teil, jedoch vor allem als indigener Anführer. In einem Panel zu "Plurinationalität, Staat und soziale Bewegungen" hielt Morales eine Rede zu der Frage: "Wie können wir den Kapitalismus beenden?". Der erst vor zwei Wochen wiedergewählte Morales stellte anhand von Beispielen das Programm seiner Regierung vor und kritisierte den Kapitalismus als ein System, in dem alles verkauft und gekauft werde. -1-
Dadurch schaffe man eine exklusive Gesellschaft, die auf der einen Seite Überfluss und auf der anderen Seite Armut mit sich bringe. Da der "Kapitalismus eine große Verfehlung der Menschheit" sei, habe man in Bolivien die Demokratie neu geschaffen und mache eine Politik, die die Armen und das Volk ermächtige, so Morales weiter. Morales traf sich nach seiner Ansprache zu einer Privataudienz mit Papst Franziskus, um mit ihm über die Situation der Kirche in Bolivien und einen möglichen Staatsbe- such des Oberhauptes der katholischen Kirche in dem Andenland zu sprechen. Der Papst hielt vor den versammelten Vertrete- rinnen und Vertretern der sozialen Bewegungen ebenfalls eine Rede, in der er sich mit dem Be- griff der Solidarität auseinandersetzte. Rund 100 Vertreter sozialer Bewegungen aus aller Welt ka- men auf Einladung des Papstes in den Vatikan Quelle: albamovimientos.org Diese äußere sich darin, dass man an die Ge- meinschaft denke und ihr zugunsten handele und den Wert des Lebens über den Besitz Einzelner stelle. Außerdem müsse man gegen die struktu- rellen Gründe für Armut, Ungleichheit, Ar- beitslosigkeit, Landlosigkeit und die fehlen- de Umsetzung sozialer Rechte kämpfe, so Franziskus weiter. Der Papst bei seiner Ansprache Quelle: albamovimientos.org Der Papst hob die Arbeit der sozialen Be- wegungen in diesem Kampf hervor und sagte, er wolle seine Stimme zu den ihren geben und gemeinsam mit ihnen gegen die "neuen Dimensionen" von Ausbeutung und Unterdrückung kämpfen, die in der Welt herrschen würden. Zu guter Letzt äußer- te Franziskus seine Verwunderung darüber, dass er für seine Forderungen immer wieder als Kommunist bezeichnet werde. Wenn ich von Land rede, von einem Dach überm Kopf und Ar- beit, nennt man mich einen Kommunisten, sagte Papst Franziskus Der Papst plädierte für "Land, Dach überm Kopf und Arbeit" für alle Bürger und fand es befremdlich, daß, wenn er von diesen Themen spreche, einige ihn als "Kommunis- ten" bezeichnen. Das bekräftigte er in einer Ansprache vor den Teilnehmern des Welttreffens der Volksbewegungen, das diese Woche im Vatikan stattfand und an dem Vertreter von prekären Werktätigen, landlosen Bauern, indigenen Völkern und Bewohnern von Siedlungen und Armenvierteln teilnahmen, darunter etliche Organisa- tionen aus Argentinien. -2-
In seiner Botschaft an die Organisationen, die heute von Radio Vatikan verbreitet wurde, dankte der Papst den Organisationen für ihre Teilnahme, um über "solche ernsten gesellschaftlichen Probleme zu diskutieren, unter denen die Welt heutzutage zu leiden hat, gemeinsam mit Ihnen, die am eigenen Leibe die Ungleichheit und das Ausgeschlossensein spüren". "Land, Dach überm Kopf und Arbeit. Es ist seltsam, aber wenn ich davon spreche, ergibt sich daraus für einige, daß der Papst Kommunist ist", sagte Jorge Bergoglio und erinnerte daran, daß "die Liebe für die Armen im Mittelpunkt des Evangeliums und der Soziallehre der Kirche steht". In diesem Zusammenhang wies er darauf hin, daß das im Heiligen Stuhl stattfindende Treffen mit den Volksbewegungen "nicht für eine Ideologie einsteht", und erläuterte, daß der Begriff 'Solidarität', auch wenn "es nicht gut ankommt, eine Art ist, Geschichte zu gestalten, und das ist es, was die Volksbewegungen machen". "Jesus würde die als Scheinheilige bezeichnen, die den Skandal der Armut angehen, indem sie Strategien für deren Eindämmung fördern, was einzig und allein die Armen ruhig stellen und aus ihnen domestizierte und verträgliche Wesen machen soll", hob der Papst hervor. "Sie spüren, daß die Armen nicht länger warten sondern tätig werden wollen, daß sie sich organi- sieren, studieren, arbeiten, fordern und vor allem diese ganz besondere Solidarität praktizieren, die unter denen existiert, die leiden, unter den Armen, die unsere Zivilisation vergessen zu haben scheint", sagte er den Vertretern der Bewegungen. Unter den teilnehmenden Argentiniern am Treffen befindet sich Juan Grabios, Anführer der Bewe- gung der Ausgeschlossenen Werktätigen und Mitglied der Gewerkschaft der Beschäf- tigten der Volkswirtschaft (CTEP), der auch Mitglied des Organisationskomitees ist. Ebenfalls nahmen für Argentinien Esteban Castro (CTEP), Sergio Sánchez (Vorsit- zender der Altpapiersammler und Recycler Argentiniens), Deolinda del Valle Carrizo (Nationale Indigene Bauernbewegung), Luis Maidana (Nationale Bewegung der Übernommenen Betriebe) und Natalia Mabel Molina (Unabhängige Siedlerströmung) an dem Treffen teil. "Laßt uns gemeinsam aus vollem Herzen sagen: Keine Familie ohne Wohnung! Kein Bauer ohne Boden! Kein Werktätiger ohne Rechte! Kein Mensch ohne die Würde, die ihm die Arbeit verleiht!", ermahnte Franziskus zum Ende des Treffens. Als Geschenk überreichte der argentinische Papst allen Teilnehmern Rosenkränze, die von Handwerkern, Altpapiersammlern und Werktätigen der Volkswirtschaft in La- teinamerika angefertigt waren. Übersetzung: Gerhard Mertschenk Wikipedia: Die Universität La Sapienza (ital.: sapienza = Weisheit;), offiziell Sapienza – Università di Roma, auch Universität Rom I genannt, ist die größte Universität Europas und die älteste der Stadt Rom. Die Sapienza war ursprünglich eine päpstliche Universität. Am 20. April 1303 von Papst Bonifatius VIII. offiziell gegründet, um Anwärter auf die Priesterschaft in räumlicher Nähe des Heiligen Stuhls auszubilden. Seit 1870 ist die Sapienza staatlich; heute besitzt sie 21 Fakultäten und bietet rund 200 ver- schiedene Bachelor- und 120 Masterstudiengänge an. Zu La Sapienza gehören 155 Bibliotheken mit rund 4,5 Mio. Bänden, 21 Mu- seen und weitere 130 Abteilungen und Institute, die über die Stadt Rom und umliegende Ortschaften verteilt sind. -3-
LECTIO MAGISTRALIS des Präsidenten Evo Morales an der Sapienza-Universität Rom “Solidarität, Komplementarietät und Selbstbestimmung der Völker” Mit Begrüßungsworten des Rektors Frati und des Vizerektors Rector Biagini, vor- gestellt und moderiert von Prof. Vasapollo Am 29. Oktober 2014 hielt Evo Morales Ayma, Präsident des Plurinationalen Staates Bolivien, in der Aula der “Organi Collegiali” des Rektorats der La Sapienza-Universität Rom im Rahmen internationaler Zusammenkünfte in Sapienza die lectio magistralis, das Hauptreferat: "Solidarität, Komplementarität und Selbstbestimmung der Völker". In seiner Begrüßung bezeichnete der Rektor Luigi Frati die Anwesenheit von Präsi- dent Evo Morales, einer Person großen moralischen Charakters, als eine ganz be- sondere Gelegenheit während der Amtszeit eines Rektors, um in der Sapienza die Geschichte seines Einstiegs in die Politik zu hören, auch dank der großartigen Inten- sivierung der internationalen Beziehungen der Sapienza, die seit einigen Jahren vom Vizerektor Vikar Antonello Biagini und von Luciano Vasapollo, dem Beauftragten des Rektor für die Beziehungen mit den ALBA-Ländern, betrieben wurde. Vizerektor Biagini hob im selben Sinne hervor, wie die von der Sapienza verfolgte Politik geprägt ist von der Öffnung der internationalen Beziehungen, wie eben auch diese Ini- tiative, ebenso wie alle fruchtbringenden und bedeutenden kulturellen Aktivitäten und Forschungen, die mit den AL- BA-Ländern betrieben werden, und zwar immer ge- wünscht und realisiert von Prof. Vasapollo, dem Beauf- tragten des Rektors. Es wird außerdem erwartet, daß in der Zukunft eine Steigerung der bereits optimalen Beziehungen mit den bolivianischen Universitäten herbeigeführt werden kann. Er be- dankte sich nicht einfach nur formal, sondern mit aufrichtigem Gefühl dafür, daß Prä- sident Morales die Sapienza mit seiner Anwesenheit und dem Versprechen eines er- neuten und ausführlichen Besuches der verschiedenen Strukturen der Sapienza eh- ren wollte. Professor Luciano Vasapollo richtete besonderen Dank an das diplomatische Corps und den Außenminister Boliviens und lud die Anwesenden ein, den zum dritten Mal gewählten Präsidenten Evo Morales mit kultureller, sozialer und politischer Zuneigung und einem großen Applaus zu begrüßen, einen großen Führer der gesamten Menschheit, der mit seinen Worten und seiner Politik zur Verteidigung der Ausgebeu- teten eine Epoche prägt. Der Internationalismus des Kapitals, betonte Prof. Vasapollo, bringt die Schwächung der ideologisch-kulturellen Dimension mit sich, bis hin zur Entwürdigung und Banali- sierung der kulturellen Werdegänge und der Rolle der Universitäten, wie man sie in den Konsensfabriken des einheitlichen Denkens an Profit haben möchte, aber de- mentgegen sollte die Universität wieder zum ideologischen Bindemittel des Volkes werden, um Bewußtsein zu schaffen und die Distanzierungsprozesse von der Zivilisa- -4-
tion (vielleicht besser gesagt: Nichtzivilisation) zu unterbrechen, die uns von der Krise der Gesellschaft des Kapitals aufgedrückt wurde, in erster Linie eine Krise der Werte, und dann noch der Wirtschaft. Aus diesem Grunde war das gestrige Treffen im Vati- kan äußerst wichtig; und in der Tat erinnerte er an das Treffen am Vortag zwischen Papst Franziskus und den sozialen und Volksbewe- gungen aus Lateinamerika, zu dem Präsident Evo Morales als einziger anwesender Staatschef eingela- den war, und wie auf diesem Treffen der Aufruf zu sozialen Kämpfen gegen die schwerwiegenden Un- gerechtigkeiten des Kapitalismus lebendig geblieben ist, daß wir nicht resignieren sollen, daß es darauf ankomme, politische, gesellschaftliche und kulturelle Alternativen aufzubauen, so wie es die lateinamerikanischen Völker machen, die trotz der Armutssituation, in der sie sich befinden, sich niemals ergeben haben. Auch in dem sogenannten "reichen Teil der Welt", stellte der Beauftragte des Rektors klar, hat die Profit- und Ausbeutungswirtschaft zu einer Gewöhnung an die prekäre Situation der Werktätigen geführt, die die Hoffnung hegen, eigene Gesinnungen zu entwickeln, ohne daß sie dahin kommen, ein "echtes Leben" zu leben, ein soziales Leben mit freiwilligen Verhältnissen, die nicht durch den Rhythmus einer Gesellschaft eines prekären Lebens auferlegt werden. Eine Gesellschaft mit krassen sozialen Unterschieden, in der das gesellschaftliche Schutzsystem für schwächsten Mitglieder der Gesellschaft, für unsere Werktätigen immer kleiner wird. Unsere Studenten, führte Prof. Vasapallo aus, stellen jetzt ein neues Segment marginalisierter Arbeit und der Nicht-Arbeit dar, das sich immer mehr ausbreitet, so daß sogar die Teile der Gesellschaft erfaßt werden, die sich bis vor ei- nigen wenigen Jahren als gefeit angesehen wurden. Es muß an eine radikale kulturel- le Alternative gedacht und die Auffassung aufgegeben werden, daß das europäische Modell ein exportfähiges Modell ist in der Form einer neuen Kolonisation anderer Länder. Im europäischen Raum müssen grundsätzliche neue Arbeits- , soziale und Bürgerrechte eingeführt werden, die Rechte plurizentrischen und volksnahen Wis- sens, das nicht ohne ein gesellschaftliches und politisches Regelwerk existieren kann. Dieser Besuch und die Lektion, mit denen uns Präsident Morales beehrt hat, hob Prof. Vasapallo hervor, ist wesentlich dafür, daß wir uns erklären, wie ein kollektiver Wille geschaffen wird, zu verstehen, wie man zu einem Anführer der Volksmenge wird, zu verstehen, wie ein hegemonisches Zusammenführen quer durch die Gesell- schaft und alle Schichten die Grundlage für die Schaffung einer ideologischen, sprich kulturellen Zugehörigkeit sein kann. Prof. Vasapallo erinnerte an den bäuerlichen Ursprung seiner Familie, das Verhältnis zum Boden und das Solidaritätsgefühl, das stets unter den Arbeitern und Söhnen und Töchtern des Bodens vorherrschte, und daß er - so wie die bolivianischen Kokabau- ern - in den Massenbewegungen für das Wasser die Hoffnung unserer Welt des Sü- dens gesehen hat. Aus diesem Grunde müssen wir die Konzepte und die Anwendung der Solidarität und der Komplementarität in den Mittelpunkt der Debatten und der poli- tisch-kulturellen Aktion für neue internationale Beziehungen stellen, die auf die Praxis -5-
der Selbstbestimmung der Völker und gegen die Vorherrschaft einiger Länder abzie- len, die selbst Beschlüsse internationaler Organisationen mißachten. Als Beispiel führte Prof. Vasapallo das Abstimmungsergebnis vom Vortage in der UNO an, wo in 23 aufeinanderfolgender Jahre 188 Länder für eine Beendigung der unglaublichen und äußerst schädlichen einseitigen wirtschaftlichen, finanziellen und Handelsblockade Kubas stimmten, mit den einzigen Gegenstimmen von den USA und Israel, und anachronistische Vetorecht bei einer bedeutsamen internationalen Beschlußfassung, das nicht mehr hingenommen werden kann. Die an Evo Morales, als Großmeister der Ansammlung – Ansammlung im Sinne einer wahrhaftigen, konstruktiven Aufmischung der Kulturen mit dem Vivir Bien, die dienlich sein kann, vor allem heute, wo wir nicht nur eine Wirtschaftskrise, sondern eine Krise der Werte durchleben, gerichteten Grußworte beendete mit einem Zitat des Aymarahäuptlings Tupac Katari: "Ich werde wiederkommen und werde Millionen sein", und er ist mit Evo Morales wiedergekommen. Der Präsident des Plurinationalen Staates Bolivien entbot dem Rektor Frati, den Vize- rektoren Biagini und Vasapollo ein speziellen Dank für die großartige Gastfreund- schaft und bedankte sich herzlich bei den Botschaftern, den Lehrkräften und den zahlreichen Studenten, denen er versucht habe, seine politische Erfahrung zu vermit- teln, für ihre Anwesenheit beim Vortrag. Der Aymara-Präsident hat unter den Bedingungen eines armen Bauern gelebt und die Verachtung der herrschenden Klassen für die Bauern kennengelernt, wie sein Va- ter ihn immer daran erinnert hat, daß es den Indigenen verboten war, auf den für die europäischen Siedler reservierten Bürgersteigen zu gehen, so wie es auch unvor- stellbar war, in die wohlhabenden Schichten aufzusteigen. Aber andererseits haben die Vorfahren die ethischen Werte vermittelt, die Kultur für den Kampf gegen den Imperialismus, egal ob interner oder äußerer Art. Viele Menschen starben bei der Verteidigung ihrer eigenen kulturellen und plurinationalen Identität und der Naturreichtümer Boliviens; so kam es zu den ers- ten Gewerkschaftskämpfen der Arbeiter- und Bau- ernbewegungen, die sich durch ideologischen Plura- lismus auszeichneten, eine Bewegung, die eine eigene politische Partei aufbaute, die MAS-IPSP, die Bewegung zum Sozialismus, Politisches Instrument für die Souveräni- tät der Völker. Der Präsident erläuterte, wie es der MAS in Bolivien möglich war, der politischen und wirtschaftlichen Macht und der Profitkultur der vorangegangenen neokolonialen Re- gierungen bzw. einer hypothetischen fortschrittlichen Formierung bei den neoliberalen Handlungen etwas entgegenzusetzen und so eine beträchtliche Verbesserung der Bedingungen für Mensch und Umwelt in der Arbeitswelt zu erreichen, indem eine au- tonomer Prozeß des Übergangs zum Sozialismus vollzogen wird. Das war möglich dank der Koppelung eines wahrhaften und eigenen politischen In- struments, der MAS, die in der Lage war, ein Bündnis zwischen den sozialen Bewe- gungen und ihren Kämpfen gegen die Privatisierung der Güter der allgemeinen Da- -6-
seinsvorsorge und den Kämpfen um und der Erziehung im Geiste der historischen vorgeschlagenen Alternative seitens der einheimischen indigenen Völker zu schmie- den, wobei dieses mit der von den Kokabauern, den Bergarbeitern und allen politi- schen Strukturen und Organisationen kombiniert wurde, die historisch in Bolivien auf dem antikolonialen und antiimperialistischen Konfliktfeld Position bezogen haben. Das hat dem sozialen Konflikt einen größeren Schub und Organisiertheit verliehen, weil die realen Bedürfnisse der verschiedenen Teile des werktätigen und ländlichen Volkes Boliviens in den Mittelpunkt gestellt wurden. Damit wurden drei gewaltige Sie- ge bei den Präsidentschaftswahlen eingefahren. Zugleich wurde die Unabhängigkeit der sozialen, auch der bäuerlichen Basisbewegungen gestärkt und den politischen und wirtschaftlichen Formen einer breiteren Solidarität, die über die Grenzen der Landarbeiter hinausgeht, neue Elemente und neuen Schub hinzugefügt. Diese Soli- darität ergreift vor allem andere Gruppen von Werktätigen in ihrer ganzen Vielfalt und Kompliziertheit, Bergarbeiter, Handwerker, die in den Städten und Metropolen leben- den Aymara, die sich alle mittels kultureller, sozialer und politischer Beziehungen selbst mit den indianischen Brüdern auf dem Lande vereinen. Morales erinnerte daran, wie die US-Botschaft in Bolivien ihn bei seinem Einstieg in die Politik "verteufelte", ihn als den Bin Laden Lateinamerikas hinstellte, und wie er immer die Unterstützung und Solidarität Fidel Castros hatte, wie dieser ihn wegen seiner Sorgen beruhigte, daß die USA gegen Bolivien eine Wirtschaftsblockade ver- hängen könnten, indem er ihn darauf hinwies, daß Bolivien über die nötigen natürli- chen Energieressourcen verfügte, um die Wirtschaft am Laufen zu halten, und wie die Nationalisierung das Schlüsselscharnier für eine Umverteilung des vom boliviani- schen Volk geschaffenen gesellschaftlichen Reichtums für das Volk war, der der Mut- ter Erde gehöre, unserer Pachamama. Nach dem Wahlsieg basierte die Regierungstätigkeit auf der Wiederaufnahme der Politik, auf der Nationalisierung der Ressourcen und auf dem sozialen Wachstum. Mit der Annahme der Verfassung des Plurinationalen Staats erfuhren alle eine Anerken- nung ihrer eigenen Rechte, angefangen beim Privateigentum bis hin zum Kollektivei- gentum. Mit der Nationalisierung der Naturressourcen am 1. Mai 2006 und der Neu- fassung der Gesetze über Erdöl und Erdgas erhöhten sich der nationale Reichtum von 300 Millionen US-Dollar auf 5 Milliarden US$, was es dem Staat erlaubte, mittels finanzieller Unterstützung für Familien in das Bildungswesen zu investieren, um den weiteren Schulbesuch ab dem zwölften Lebensjahr in den Grundschulen zu fördern. Dank dieser Maßnahmen sank die Ausfallrate beim Schulbesuch von 6% auf 1%. Ein weiterer Erfolg konnte dank der Durchführung von Programmen zur Reduzierung der extremen Armut von 18% auf 8% erzielt werden. Die Nationalisierung der Erdöl- und Erdgasvorkommen sieht ein staatliches Eigentum dergestalt vor, daß 85% der Ein- nahmen in den Staatshaushalt fließen, während 15% dem ausländischen multinatio- nalen Konzernen als Dienstleister zuerkannt werden. Das ist das bolivianische Mo- dell, das ein exponentielles Wachstum und wirtschaftliche Stabilität zur Folge hat. In einem Land mit 10 Millionen Einwohnern stiegen die Bankeinlagen von 3 Milliarden US$ auf 16 Milliarden US$. Das bolivianische Modell genießt eine solche Wertschätzung, daß die Amerikanische Universität und der Internationale Währungsfonds um die Entsendung von Beamten -7-
aus dem Wirtschaftsministerium nachsuchten, damit diese den Erfolg des boliviani- schen Modells erklären. Mit der Planung wächst Bolivien weiterhin, und es ist heutzu- tage ein Land, in dem Wasser, Strom, Gas, Telefon, Gesundheit und Bildung verfas- sungsmäßige Rechte der Menschheit sind. Zum Schluß seiner Ausführungen schickte Präsident Evo Morales eine Grußbotschaft an die europäischen Brüder, in der er daran erinnerte, daß die Menschenrechte in Bo- livien grundsätzlichen Charakter haben und daß es das Volk ist, das regiert, und nicht die Banken oder die multinationalen Konzerne. Der Besuch endete mit einer vielbesuchten Pressekon- ferenz im Pressesaal des Rektorats der Sapienza. Vielen Dank an den Präsidenten, Lehrer und Kamera- den Evo Morales für seinen erneuten Besuch hier bei uns nach den vorherigen Besuchen im Jahre 2007 in der Sapienza, bei allen wahren und politisch sehr akti- ven sozialen Bewegungen hier in Rom und in Bergamo 2012 und 2013. Es war eine erneute Gelegenheit, vom großartigen Evo zu lernen, daß die Kultur der Völker und der gesellschaftliche Kampf die einzige Möglichkeit darstellen, eine Systemalternative zur Krise einer Profitgesellschaft und des Kapitals aufzuzeigen, die die gesamte Menschheit erdrosselt und umbringt. Redaktion "Revista nuestra América", italienische Abteilung des Netzwerks zur Verteidigung der Menschheit Übersetzung: Gerhard Mertschenk Auszüge aus der Ansprache des Papstes auf dem Welttreffen Papst Franziskus: Dieses Treffen der Volksbewegungen setzt ein großes Zeichen Erneut "Guten Tag", ich bin glücklich, bei Euch zu sein. Außerdem verrate ich Euch eine Vertraulichkeit: Es ist das erste Mal, daß ich nach hier unten gestiegen bin, nie- mals zuvor war ich hier. Wie ich schon sagte, empfinde ich große Freude und heiße Euch ganz herzlich willkommen. (...) Dieses Treffen der Volksbewegungen setzt ein großes Zeichen, ist in der Tat ein großes Zeichen. Ihr seid hierhergekommen, um in Anwesenheit von Gott, der Kirche, der Völker eine Realität aufzuzeigen, die oftmals verschwiegen wird. Die Armen lei- den nicht nur unter der Ungerechtigkeit, sondern sie kämpfen auch gegen sie an. (...) Sie geben sich nicht zufrieden mit illusorischen Versprechen, Ausreden oder Vorwän- den. Sie warten auch nicht mit verschränkten Armen auf die Hilfe von NRO, Fürsor- gepläne oder Lösungen, die niemals kommen, oder wenn sie kommen, kommen sie dergestalt, daß sie in eine der Richtungen gehen: entweder narkotisieren oder do- mestizieren. Das ist ein gefährliches Mittel. Ihr spürt, daß die Armen nicht mehr ab- warten, sie wollen vielmehr selber handeln, sich organisieren, studieren, arbeiten, fordern und vor allem diese ganz besondere Solidarität praktizieren, die unter denen -8-
existiert, die leiden, unter den Armen, unter denen, die unsere Zivilisation vergessen zu haben scheint oder zumindest sehr gerne in Vergessenheit geraten lassen möch- te. Solidarität ist ein Begriff, der nicht immer gut ankommt (…), aber dieses Wort ist viel mehr als einige Handlungen sporadischer Großzügigkeit. Solidarität bedeutet in Beziehungen der Gemeinschaft zu denken und zu handeln, des Vorrangs des Lebens aller vor der Aneignung von Gütern durch einige. Das bedeutet auch, gegen die strukturellen Ursachen der Armut, der Ungleichheit, der Arbeitslosigkeit, der Landlosigkeit und der Wohnungslosigkeit, der Verweigerung von sozialen und Arbeitsrechten zu kämpfen. Bedeutet, sich den zer- störerischen Auswirkungen der Geldherrschaft entgegenzustellen: den Zwangsver- treibungen, der leidvollen Emigration, dem Menschenhandel, den Drogen, dem Krieg, der Gewalt und all dieser Realitäten, unter denen viele von Ihnen leiden, und die wir alle aufgerufen sind abzuändern. Die Solidarität, in ihrem tiefsten Sinne verstanden, ist eine Art, Geschichte zu machen, und das ist es, was die Volksbewegungen tun. (...) Wie traurig ist es zu sehen, wenn angeblich altruistische Werke, den anderen zur Passivität verleiten, oder sich hinter ihnen Geschäftemacherei und persönliches Machtstreben verbergen. (…) Dieses unser Treffen entspricht einem ganz konkreten Anliegen, etwas, was jeder Va- ter, jede Mutter für ihre Kinder wollen, ein Anliegen, das in Reichweite aller liegen sollte, aber heutzutage sehen wir mit Traurigkeit, daß es der Mehrheit immer weiter entrückt: Land, ein Dach überm Kopf und Arbeit. Es ist seltsam, aber wenn davon re- de, denken einige, der Papst ist Kommunist. Es wird nicht verstanden, daß die Liebe für die Armen im Mittelpunkt des Evangeli- ums steht. Land, Dach überm Kopf und Arbeit ist das, wofür Sie kämpfen, das sind geheiligte Rechte. Das einzufordern ist nichts Absonderliches, es ist die Soziallehre der Kirche. (…) Land. Am Anfang der Schöpfung schuf Gott den Menschen, Wächter seines Wer- kes, dem er auftrug, es zu pflegen und zu schützen. Ich sehe, daß hier unter Euch Dutzende Bauern und Bäuerinnen sind, und ich möchte sie dafür beglückwünschen, daß sie das Land bewahren, es pflegen und daß sie das gemeinschaftlich tun. Mich besorgt die Beseitigung von so vielen bäuerlichen Brüdern, die leidvoll entwurzelt werden, und das nicht durch Kriege oder Naturkatastrophen. Die Anhäufung von Landbesitz, das Abholzen von Wäldern, die Aneignung von Wasser, die unangemes- senen Giftstoffe in der Landwirtschaft, das alles sind nur einige der Übel, die den Menschen von seiner Geburtsscholle vertreiben. Dieses schmerzvolle Trennung ist nicht nur körperlicher, sondern auch existentieller und geistiger Art, weil es eine Be- ziehung zum Boden ergibt, die die ländliche Gemeinschaft und ihre besondere Le- bensweise anerkanntermaßen dem Zerfall, ja sogar dem Aussterben preisgibt. Eine andere Dimension dieses schon globalen Prozesses ist der Hunger. Wenn die Finanzspekulation die Lebensmittelpreise bestimmt und diese wie irgendeine andere Ware behandelt, dann leiden Millionen Menschen Hunger und sterben daran. Ande- rerseits werden Lebensmittel tonnenweise weggeworfen. Das ist ein echter Skandal. -9-
Hunger ist ein Verbrechen, die Ernährung ist ein unveräußerliches Recht. (…) In eini- gen Ländern ist "die Bodenreform nicht nur eine politische Notwendigkeit, sondern eine moralische Verpflichtung". Das sage nicht ich, sondern das steht im Kompendi- um der Soziallehre der Kirche (CDSI, 300). Bitte setzt den Kampf um die Würde der ländlichen Familie fort, um das Wasser, um das Leben und daß alle aus den Früchten der Erde Nutzen ziehen können. Zweitens. Dach überm Kopf. Ich habe es bereits gesagt und ich wiederhole es: ein Haus für jede Familie. Niemals sollte vergessen werden, daß Jesus in einem Stall geboren wurde, weil es in der Herberge keinen Platz mehr gab. (…) Heutzutage gibt es so viele Familien ohne Wohnung, weil sie nie eine hatten, oder weil sie sie aus ir- gendeinem Grunde verloren haben. Familie und Wohnung gehen Hand in Hand. Aber ein Dach überm Kopf, damit es ein Heim sein kann, hat noch eine gemeinschaftliche Dimension; das ist das Wohnviertel (…) Heute leben wir in unübersehbaren Städten, die sich modern, stolz, ja selbst eitel geben. Städte, die unzählige Annehmlichkeiten und Wohlleben für eine glückliche Minderheit bieten. Aber Tausenden von Nachbarn, unseren Brüdern, wird das Dach überm Kopf verweigert, selbst Kindern, und man nennt sie eleganterweise "Leute, die auf der Straße leben". Es ist merkwürdig, daß es in einer Welt der Ungerechtigkeiten von euphemistischen Ausdrücken wimmelt. Man benutzt nicht die schlagkräftigen Worte, die die Wirklichkeit widerspiegeln, man sucht vielmehr nach Euphemismen. (…) Jeder Euphemismus verbirgt eine Straftat. (…) Es gibt aber auch Projekte der städtischen Integration, die die Armenviertel lediglich lackieren und die sozialen Wunden kaschieren wollen, statt sie zu beseitigen bzw. zu heilen, indem eine authentische und respektvolle Integration gefördert wird. (…) Laßt uns weiterhin daran arbeiten, daß alle Familien eine Wohnung haben, daß alle Wohnviertel eine angemessene Infrastruktur haben: Kanalisation, Strom, Gas, befes- tigte Straßen, Schulen, Krankenhäuser bzw. Rettungsstellen, Sportgemeinschaften und all die Dinge, die Bindungen schaffen und zusammenführen, Zugang zum Gesundheitswesen, zur Bildung und Sicherheit für den Besitz. Drittens. Arbeit Es gibt keine schlimmere materielle Not – und es treibt mich, das zu unterstreichen -, es gibt keine schlimmere materielle Not als die, die es einem nicht gestattet, sich das Brot zu verdienen, und einem die Würde der Arbeit raubt. Die Ju- gendarbeitslosigkeit, der graue Arbeitsmarkt und das Fehlen von Arbeitsrechten sind nicht unvermeidlich, sie sind das Ergebnis der bisherigen sozialen Option, eines Wirt- schaftssystems, das den Gewinn höher schätzt als den Menschen; wenn der Gewinn nur ökonomisch gemessen wird, sich über die Menschheit und über den Menschen erhebt, dann sind das Auswirkungen einer Wegwerfgesellschaft, die den Menschen an sich als ein Konsumgut ansieht, das man benutzen und danach wegwerfen kann. Heutzutage gesellt sich zum Phänomen der Ausbeutung und der Unterdrückung eine neue Dimension, ein anschaulicher und harter Beiklang der sozialen Ungerechtigkeit. Diejenigen, die nicht integriert werden können, die Ausgestoßenen sind "überflüssi- ger" Abfall. Das ist die Wegwerfkultur, und dazu möchte ich etwas ausführlicher sa- gen, was nicht in meinem Manuskript steht, aber was mir jetzt gerade in den Sinn kommt. Das geschieht, wenn im Mittelpunkt eines Wirtschaftssystem der Gott Geld steht und nicht der Mensch, die menschliche Person. Ja, im Mittelpunkt eines jeden Gesellschafts- oder Wirtschaftssystem muß der Mensch stehen, das Ebenbild Gottes, - 10 -
dafür geschaffen, Hauptnenner des Universums zu sein. Wenn dieser Mensch ver- trieben wird und stattdessen der Gott Geld anseine Stelle tritt, dann kommt es zu die- ser Werteverschiebung. (...) Jeder Werktätige, sei er im offiziellen System der Lohnarbeit beschäftigt oder nicht, hat ein Recht auf eine würdige Bezahlung, auf soziale Absicherung und Altersversor- gung. Hier im Saal sind Altpapiersammler, Müllhaldensammler, Straßenverkäufer, Näher, Handwerker, Fischer, Bauern, Bauarbeiter, Bergleute, Arbeiter von selbstver- walteten Betrieben, alle Art von Genossenschaftern und Gewerbetreibenden, die ausgeschlossen sind von Arbeitsrechten, denen die Möglichkeit zur gewerkschaftli- chen Vereinigung vorenthalten wird, die kein angemessenes und sicheres Einkom- men haben. Hier und heute möchte ich meine Stimme mit der Eurigen vereinen und Euch in Eurem Kampf begleiten. Auf diesem Treffen wurden auch der Frieden und die Ökologie angesprochen. Das ist logisch, denn es kann kein Land, kein Dach überm Kopf und keine Arbeit geben, wenn wir nicht in Frieden leben und unseren Planeten zerstören. Das sind so wichtige Themen, daß die Völker und ihre Basisorganisationen nicht umhin können, darüber zu diskutieren. Sie dürfen nicht allein den politischen Führern überlassen werden. Alle Völker dieser Erde, alle Männer und Frauen guten Willens müssen ihre Stimme erhe- ben in Verteidigung dieser beiden kostbaren Gaben: Frieden und Natur. Die Schwes- ter Mutter Erde, wie sie der Heilige Franziskus von Asissi nannte. Ich wiederhole, was ich schon vor Kurzem sagte: Wir leben im dritten Weltkrieg, aber auf Raten. Es gibt Wirtschaftssysteme, die Krieg führen müssen, um zu überleben. Deshalb werden Waffen hergestellt und verkauft, und damit werden offensichtlich die Bilanzen der Wirtschaften saniert, die den Menschen zu Füßen des Idols Geld opfern. Und dabei denkt man nicht an die hungernden Kinder in den Flüchtlingslagern, man denkt nicht an die Zwangsvertriebenen, man denkt nicht an die zerstörten Wohnun- gen, und man denkt schon gar nicht an die vielen dahingemähten Menschenleben. (...) Ein Wirtschaftssystem, das auf den Gott Geld fokussiert ist, ist auch darauf angewiesen, die Natur zu plündern, um den frenetischen Konsumrhythmus aufrechtzuerhalten, der ihm innewohnt. Der Klimawandel, der Verlust der Biodiver- sität, die Abholzung zeigen bereits ihre verheerenden Auswirkungen in den gewaltigen Kataklismen, die wir erle- ben. Und die am meisten darunter leiden, seid Ihr, die ein- fachen Leute, die in ärmlichen Behausungen nahe der Küsten leben oder wirtschaftlich so schwach sind, daß sie bei einer Naturkatastrophe alles verlieren. Die Schöpfung ist kein Besitz, mit dem wir nach Lust und Laune umgehen können; noch viel weniger ist sie ein Besitz, der nur eini- gen Wenigen gehört; Die Schöpfung ist eine Gabe, ein Geschenk, eine wunderbare Gabe, die uns Gott gegeben hat, damit wir sie hüten und sie zum Nutzen aller gebrauchen, aber immer mit Res- pekt und Dankbarkeit. (…) - 11 -
Warum haben wir uns daran gewöhnt zuzusehen, wie würdige Arbeit vernichtet wird, wie so viele Familien zwangsgeräumt werden, die Bauern vertrieben werden, Krieg geführt wird und Mißbrauch mit der Natur betrieben wird? Weil in diesem System der Mensch, das menschliche Wesen, aus dem Mittelpunkt gezerrt wurde und durch et- was anderes ersetzt wurde. Weil sich einem Götzenkult hingegeben wird, das Geld angebetet wird. Weil die Gleichgültigkeit globalisiert wurde. Die Gleichgültigkeit wurde globalisiert: Was geht es mich an, was anderen geschieht, solange ich das Meine ver- teidige? (…) Etliche von Euch haben erklärt: Dieses System ist nicht länger zu ertragen. Wir müs- sen es ändern, wir müssen die menschliche Würde wieder in den Mittelpunkt rücken, und auf diesem Pfeiler dann die sozialen Strukturen errichten, die wir benötigen. Das muß mit Mut angegangen werden, aber auch mit Klugheit, mit Hartnäckigkeit, aber ohne Fanatismus. Mit Leidenschaft, aber ohne Gewalt. Und mit allen, die Konflikte angehen, ohne sich in ihnen zu verfangen, immer auf der Suche danach, die Span- nungen abzubauen, um eine höhere Ebene der Einigkeit, des Friedens und der Ge- rechtigkeit zu erreichen. Wir Christen haben etwas sehr Schönes, eine Handlungsan- leitung, ein – man könnte sagen – revolutionäres Programm. Ich empfehle Euch ein- dringlich, es zu lesen, lest es bei den Seligpreisungen nach, die im Kapitel 5 bei Mat- thäus und Kapitel 6 bei Lukas beschrieben sind, und lesen Sie auch die Passage bei Matthäus 25. (...) Die Volksbewegungen bringen die dringende Notwendigkeit zum Ausdruck, unsere Demokratien, die so oft durch unzählige Faktoren entführt wurden, mit neuem Leben zu erfüllen. Es ist unmöglich, sich eine Zukunft für die Gesellschaft ohne aktive Teil- nahme der großen Mehrheiten vorzustellen, und diese aktive Teilhabe geht über die logischen Verfahrensweisen der formalen Demokratie hinaus. Die Perspektive einer Welt dauerhaften Friedens und dauerhafter Gerechtigkeit fordert uns auf, die paterna- listische Armenfürsorge zu überwinden, verlangt von uns, neue Formen der Teilnah- me zu schaffen, die die Volksbewegungen einbeziehen und die Strukturen der loka- len, nationalen und internationalen Regierungsbehörden mit diesem Schwall an mora- lischer Energie mit Leben zu erfüllen, der sich aus der Einbeziehung der Ausgesto- ßenen bei der Gestaltung des gemeinsamen Schicksals ergibt. Und das mit konstruk- tivem Geist, ohne Ressentiments, mit Liebe. Auf diesem Wege begleite ich Sie aus vollem Herzen. Laßt uns gemeinsam mit vol- lem Herzen sagen: keine Familie ohne Wohnung, kein Bauer ohne Land, kein Arbei- tender ohne Rechte, kein Mensch ohne die Würde, die ihm die Arbeit verleiht. Liebe Schwestern und Brüder: führt Euren Kampf fort, das ist für uns alle gut. Es ist wie eine Segnung der Menschheit. Zur Erinnerung überlasse ich Euch ein Geschenk und meinen Segen, Rosenkränze, die von Handwerkern, Altpapiersammlern und Ar- beitenden auf dem grauen Arbeitsmarkt in Lateinamerika hergestellt wurden. Und in dieser Begleitung bete ich für Euch, bete ich mit Euch und werde unseren Gottvater bitten, daß er Euch begleiten möge und Euch segne, daß er Euch mit sei- ner Liebe überhäuft und Euch auf dem Weg begleiten möge und Euch reichlich mit der Kraft ausstatte, die uns aufrecht hält: Diese Stärke ist die Hoffnung, eine Hoff- nung, die nicht enttäuscht. Danke. Aula Vieja del Sínodo, 28. Oktober 2014 Übersetzung: Gerhard Mertschenk - 12 -
Ministerium für Kommunikation Boliviens: Präsident Morales benennt drei Aspekte, die den Wandel in Bolivien gestatteten "Ich würdige die Einheit allein auf der Grundlage von Prinzipien und Werten. So kam es zum (Regierungs)Programm, das weder vom Internationalen Währungsfonds noch von der Weltbank erarbeitet wurde, sondern von den Bolivianern stammte. Es war in- spiriert vom Kampf des Volkes. Und was machten wir? Drei Dinge: in der Politik die Neugründung des Staates, in der Wirtschaft die Nationalisierung, im sozialen Bereich die Neuverteilung der Reichtümer", betonte Boliviens Präsident Morales. Diese Erläuterung wurde im Rahmen eines Vortrages in der La Sapienza-Universität Rom gegeben, wo er an dem vom Papst einberufenen Welttreffen der Volksbewe- gungen teilnahm. Morales sprach über seine Erfahrungen während seiner Amtszeit von acht Jahren und neun Monaten und erinnerte dabei in erster Linie daran, daß der Wandel in der Politik es notwendig machte, mit dem Kolonialstaat Schluß zu machen, weshalb die Verfassunggebende Versammlung (2006-2007) einberufen wurde, und zu einem Plurinationalen Staat voranzuschreiten, in dem alle die gleichen Rechte haben und das private, gemeinschaftliche und staatliche Eigentum respektiert wird. Parallel zu diesem politischen Fortschritt wurde die wirtschaftliche Entwicklung eingeleitet, die mit der Nationalisierung der strategischen Naturreichtümer, vor allem von Erdgas und Erdöl, wirksam wurde. Damit wurde die "ökonomische Befreiung von den von der Weltbank, insbesondere vom Internationalen Währungsfonds ausgehenden Bedin- gungen und Erpressungen" erreicht, stellte Morales klar. Und das dritte Bindeglied, das in der Praxis die ers- ten beiden (die Neugründung und die Nationalisie- rung) mit der Neuverteilung der Reichtümer ver- band und diese in Form von Sozialleistungen und - vergütungen für Sektoren verwirklichte, die unter den Regierungen vor 2006 unsichtbar gemacht wurden: Kindergeld für Schüler der Grund- und Mit- telschulen (Bono Juancito Pinto), Schwangerengeld (Bono Juana Azurduy de Padilla) und die Würde- volle Rente für Senioren (Renta Dignidad). "Dieses Geld, das früher mittels der Privatunternehmen ins Ausland ging, bleibt jetzt in den Händen des Staates, und der Staat verteilt die Transferleistungen an die loka- len und städtischen Verwaltungen, zudem an die Sozialfonds und den Haushalt der Landesregierung", führte Morales weiter aus. Bolivien liegt nicht mehr wie zuvor an letzter Stelle in Südamerika, sondern ist jetzt ein Beispiel für Entwicklung mit Programmen eines staatlichen Wirtschaftsmodell, das Länder in Europa und Amerika nachzumachen suchen und Gegenstand von Untersu- chungen ist. Vom Diskriminierten auf den Präsidentensessel Im vorigen Jahrhundert, erzählte mir meine Mutter, durfte sie nicht die Stadt betreten, es war verboten, die Bürgersteige zu benutzen, die für die Europäer reserviert waren. - 13 -
"Das war die Realität in Bolivien, es war unmöglich, die großen öffentlichen Plätze zu betreten", rief der Staatschef in Erinnerung. Aber die gegenwärtige Regierung Bolivi- ens erreichte eine solche qualitative Veränderung, daß ein ehemaliger Diskriminierter, der vormalige Bauerngewerkschaftsführer Evo Morales Präsident wurde. "Jetzt haben wir Bolivien uns zu eigen gemacht, haben wir auf der Grundlage unserer Identität auf gesellschaftlichem und politischem Gebiet mit großer sozialer und kultureller Kraft zu uns selbst gefunden. Jedoch, hob er hervor, war all das der Einheit des Volkes geschuldet, das sich in den 90er Jahren um ein politisches Projekt scharte, das sich MAS-IPSP nannte, das Ende 2005 triumphierte und bis in die Gegenwart die bolivianische Entwicklung stabil ge- staltet. "Es war wichtig, uns zusammenzuschließen, ich kann noch mehr zur Einheit sagen, wir hatten sie mehr im sozialen, gemeinschaftlichen, kulturellen Sinne. Unsere Bau- ernvereinigungen kämpften gegen die Militärdiktaturen, gegen Staatsstreiche. Unsere Generation kämpfte gegen das neoliberale Modell und stellte die von den Regierun- gen praktizierte Wirtschaftspolitik zutiefst in Frage. Was sagten wir damals? Wir wa- ren gewerkschaftlich und gemeinschaftlich sehr stark, aber in den Wahlen traten wir getrennt auf", sinnierte er. So war es nötig, die bolivianische indigene Bauernbewegung zu schaffen und vom Gewerkschaftskampf zum Wahlkampf über zu gehen. "Auf diese Weise wurde ein Programm auf der Grundlage unserer Werte erstellt. Ab 1995 gewannen wir die Wah- len in Cochabamba, und deshalb empfinde ich, daß von dort her die erste Linkspartei geboren wurde", meinte er. Den einheimischen Vorfahren schrieb er die Bollwerke zu, die zu Prinzipien und Wer- ten wurde, auf daß jeder Bauer, Indigene, Interkulturelle die bolivianische Identität verteidige. Die MAS zeigte Bolivien und der Welt die andine indigene Trilogie auf: Ama Sua, Ama Llulla und Ama Quella, (sei nicht faul, sei kein Dieb und lüge nicht). Evo Morales in Rom: Bolivien ist kein 'Bettlerland' mehr In der Diktion der spanischen Presseagentur EFE Evo Morales hielt eine Vorlesung in der Aula Magna der römischen Universität La Sapienza zu dem Thema "Solidarität, Komplementarität und Selbstbestimmung der Völker". Der Präsident Boliviens ließ seine Tätigkeit als Präsident Boliviens Revue passieren und verwies darauf, daß sein Land in der Region nicht mehr als Bettlerland schief an- gesehen wird, sondern daß es gegenwärtig drei lateinamerikanischen Ländern Geld leiht. "Als Regierung haben wir Wort gehalten", betonte der bolivianische Präsident under- läuterte, wie er es schaffte, die Gewerkschaften des Landes zusammenzuführen, um "eine Gewerkschaftseinheit" zu festigen, die in eine "Wählereinheit" mündete, die in der Lage war, die Macht zu erringen. - 14 -
In seiner Schilderung sah er sich gezwungen, einer Sache die Stirn zu bieten, die er als "erstrangiges Problem" bezeichnete, die Botschaft der Vereinigten Staaten. Trotz der Angriffe aus Washington gegen ihn, das ihn als den "Bin Laden der Anden" an- sah, wurde er 2006 zum ersten Indigenen, der in Bolivien ins Präsidentenamt kam. Die "ständige Drohung aus den Vereinigten Staaten", daß es zu keinen ausländi- schen Investitionen in Bolivien mehr käme, falls Morales, der Indigene aus dem Ay- mara-Volk seine Ankündigungen wahrmache, habe ihm anfänglich Angst gemacht, sagte er, bis er Kontakt zu anderen Staatsmännern aus der Region aufnahm wie den damaligen Präsidenten Kubas, Fidel Castro, und Venezuelas, Hugo Chávez, die ihn beruhigten. Zwei Amtsperioden später und nach der kürzlichen Wiederwahl ins Präsidentenamt für ein drittes Mal verwies Morales stolz auf einige Meilensteine seiner Amtsführung wie den Kampf gegen die extreme Armut oder die Nationalisierung der Naturreichtü- mer, um sich von der Druckausübung seitens der internationalen Institutionen "zu be- freien". In einem brechend voll mit Studenten angefüllten Saal bei Anwesenheit der Botschaf- ter Ecuadors, Argentiniens, Venezuelas und Kubas, verteidigte Morales das, was er als "demokratische Revolution in Lateinamerika" ansieht, wo, wie er sagte, "den Aus- plünderungen der Naturreichtümer und den Militärdiktaturen" Einhalt geboten wurde. Zudem verteidigte er das politische Panorama in Lateinamerika und erinnerte daran, daß "frühere Guerrilleros jetzt Regierungen anführen", wie es der Fall ist beim ge- genwärtigen Präsidenten Uruguays, José Mujica, oder der kürzlich wiedergewählten brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff. "Die Revolutionen werden nicht mehr mit den Waffen ausgetragen, sondern mit dem Bewußtsein der Völker", unterstrich Morales. Er kündigte auch an, daß er danach strebe, sein Land zum "energetischen Zentrum" Südamerikas zu machen, nachdem die Ausbeutung der Naturreichtümer durch die Nationalisierungen auf diesem Gebiet "wiedererlangt" wurde. Wie er erläuterte, ist durch diesen Prozeß erreicht worden, daß 92% der Einnahmen aus dem Energiesek- tor jetzt den Bolivianern zugute kommen. "Die Nationalisierungen waren deshalb so wichtig, weil wir uns dadurch von den Er- pressungen seitens der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) be- freit haben", vermerkte Morales mit Nachdruck und fügte hinzu, daß der Staat jetzt grundlegende Dienste der Daseinsvorsorge wie Wasser, Telefon- und Energienetz kontrolliere. Er erwähnte, daß er gegenwärtig eingeladen werde, um an Universitäten der Verei- nigten Staaten "das Modell gegen die IWF-Erpressungen zu erklären". Nach diesen Nationalisierungen, verfocht Morales die Maßnahmen, werde Bolivien die Einnahmen in die Solarenergie investieren – was, wie er versicherte, bereits ge- schehe – und nächstes Jahr auf die geothermische Energie setzen mit dem Ziel, "2020 tausende MW zu exportieren". "Der Export von Energie in andere Länder der Umgebung garantiert das Wirtschafts- wachstum des Landes", fügte er hinzu. - 15 -
Bezüglich der extremen Armut hat sich Morales das Ziel gesetzt, sie bis 2020 auf 8% zu drücken, wobei er zugab, daß es sich um eine "konservative" Angabe handele, da er sie in Wirklichkeit auf 6% senken wolle. Nach dem fast zweistündigen Vortrag und Treffen mit Medienvertretern sowie der Entgegennahme von Geschenken von in Italien ansässigen Bolivianern verließ Evo Morales das Universitätsgelände, um mit José Graziano Da Silva, dem Direktor der UNO-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft, ein Fußballspiel zu bestreiten. Morales hielt sich drei Tage in Rom auf, während der er ein Treffen mit Papst Fran- ziskus hatte, am Welttreffen von ca. 100 Basisorganisationen von Volksbewegungen mit 200 Teilnehmern teilnahm und sich mit der Rom-Abteilung der Gruppe G 77 + China traf, um über Ernährungsfragen zu sprechen. Übersetzung: Gerhard Mertschenk Abschlußerklärung des Welttreffens der Volksbewegungen Zum Abschluß des Welttreffens möchten wir der Öffentlichkeit eine kurze Zu- sammenfassung von den Geschehnissen auf dem Treffen geben: 1. Einberufen vom Pontifikalrat für Gerechtigkeit und Frieden, der Päpstlichen Aka- demie der Wissenschaften und diverser Volksbewegungen in der Welt und inspiriert von Papst Franziskus haben sich in Rom mehr als 100 Vertreter sozialer Bewegungen aus allen Kontinenten versammelt, um anhand von drei Themenachsen – Land, Arbeit, Wohnung – aus der Sicht der Armen und ihrer Organisationen über die großen Probleme und Herausforderungen zu diskutieren, mit denen sich die Menschheitsfamilie konfrontiert sieht (speziell Ausgren- zung, Ungleichheit, Gewalt und Umweltkrise). 2. Die Arbeitssitzungen vollzogen sich in der Absicht, die Kultur des Treffens zu prak- tizieren und alle Kameraden, Kameradinnen, Brüder und Schwestern aus verschie- denen Kontinenten, Generationen, Berufen, Religionen, Ideen und Erfahrungen zu integrieren. Neben den repräsentativen Sektoren der drei Hauptthemen des Treffens nahm eine bedeutende Anzahl von Bischöfen und Seelsorgern, Intellektuellen und Akademikern teil, die bedeutsame Beiträge zum Treffen leisteten, wobei immer das Auftreten der Sektoren und Volksbewegungen respektiert wurde. Das Treffen verlief nicht frei von Spannungen, die wir aber im Kollektiv als Brüder verkraften konnten. 3. In erster Linie und immer aus der Sicht der Armen und der armen Völker, in diesem Falle der Bauern, rechtlosen Arbeitern und Bewohnern von Armenvierteln, wurden die strukturellen Ursachen der Ungleichheit und der Ausgrenzung analysiert, ausgehend von ihren systemischen globalen Verflechtungen bis hin zu ihren lokalen Erschei- nungsformen. Die schrecklichen Zahlen bezüglich der Ungleichheit und der Konzent- ration von Reichtum in einer Handvoll von Megamillionären wurden gemeinsam zur Kenntnis genommen. Die Podiumsteilnehmer und Redner stimmten darin überein, - 16 -
daß man sie in der räuberischen Natur der Ungleichheit des kapitalistischen Systems suchen muß, das den Profit über den Menschen stellt. Das ist die Wurzel aller sozia- len und Umweltübel. Die gewaltige Macht der transnationalen Konzerne, die alles verschlingen und privatisieren wollen – Waren, Dienstleistungen, Gedanken – spielen die erste Geige in dieser Sinfonie der Zerstörung. 4. Bei den Beratungen in den Arbeitsgruppen kam man zu dem Schluß, daß der voll- ständige, stabile, sichere und integrale Zugang zu Land, Arbeit und Wohnung unver- äußerliche Menschenrechte darstellen, die dem Menschen und seiner Würde innewoh- nen, die garantiert und respektiert werden müssen. Die Wohnung und das Wohnviertel als unantastbarer Raum für den Staat und Körperschaften; der Boden als gemein- schaftliches Gut, das unter allen, die ihn be- arbeiten aufgeteilt werden muß, um seine Anhäufung in wenigen Händen zu verhin- dern, und eine würdige Arbeit als Strukturachse für einen Lebensentwurf waren einige der gemeinsamen Forderungen. 5. Wir haben auch das Problem der Gewalt und Krieg angesprochen, eines totalen Krieges, oder wie Franziskus sagt, eines dritten Weltkriegs auf Raten. Ohne den glo- balen Charakter dieser Probleme aus den Augen zu verlieren, wurde mit besonderer Intensität die Situation im Mittleren Osten, hauptsächlich die Aggression gegen das palästinensische und kurdische Volk. Die Gewalt, die vom Drogenterrorismus, vom Waffen- und Menschenhandel ausgeht, war ebenfalls Gegenstand einer tief gehen- den Diskussion. Die gewalttätigen Zwangsvertreibungen, das Agrogeschäft, der kon- taminierende Bergbau und alle Formen des Extraktivismus sowie die Unterdrückung der Bauern, der einheimischen und afrostämmigen Völker waren ebenso präsent in den Arbeitsgruppen. Ebenso das ernste Problem der Staatsstreiche wie in Honduras und Paraguay und der Interventionismus der Großmächte gegenüber den ärmsten Ländern. 6. Die Umweltfrage war präsent bei einem gehaltreichen Austausch zwischen der akademischen Sicht und der der Völker. Wir konnten die neuesten Daten zur Konta- minierung und zum Klimawandel zur Kenntnis nehmen, die Vorhersagen bezüglich künftiger Naturkatastrophen und die wissenschaftlichen Beweise, daß der unersättli- che Konsumismus und die Praktizierung einer unverantwortlichen Industriepolitik zur Steigerung der wirtschaftlichen Macht die ökologische Katastrophe in vollem Umfang erklärt. 7. Erneut konnten wir die Schlußfolgerung ziehen, daß Krieg und Gewalt, die Ver- schärfung der ethnischen Konflikte und die Ausnutzung der Religion zur Legitimierung von Gewalt sowie die Abholzung, der Klimawandel und der Verlust an Biodiversität ihren Hauptantriebsmotor im unerbittlichen Profitstreben und in dem Anspruch haben, die ärmsten Völker zu unterwerfen, um ihre Naturreichtümer und ihre Menschen aus- zuplündern. Wir sind der Ansicht, daß die Tätigkeit und die Worte der Volksbewegun- gen und der Kirche unerläßlich sind, um diesen wahrhaftigen Völkermord und den Genozid an der Erde zu bremsen. - 17 -
8. Besondere Beachtung verdient die Lage der von diesem System besonders ge- schlagenen Frauen. In der gegebenen Realität anerkennen wir die dringende Not- wendigkeit einer tiefgreifenden und ernsthaften Verpflichtung gegenüber allen unse- ren Gefährtinnen bei dieser gerechten und historischen Sache, dem Motor bei den Kämpfen, Prozessen und emanzipatorischen und inspirierenden Lebensvorschlägen. Wir fordern auch die Beendigung der Stigmatisierung, der Nichtbeachtung und Ver- nachlässigung der Kinder und Jugendlichen, besonders der armen, afrostämmigen und migrantischen. Wenn die Kinder keine Kindheit haben, wenn die Jugendlichen keine Perspektive haben, dann hat die Erde keine Zukunft. 9. Weit davon entfernt, uns der Selbstbemitleidung und dem Wehklagen ob dieser zerstörerischen Realitäten hinzugeben, fordern wir, besonders die hier auf diesem Treffen versammelten Volksbewegungen, und sagen, daß die Ausgeschlossenen, die Unterdrückten, die organisierten Armen, die nicht resigniert haben, sich mit aller Kraft der chaotischen Situation entgegenstemmen können und sollen, in die uns dieses System gebracht hat. In diesem Sinne wurden unzählige Erfahrungen der Arbeit, der Organisiertheit und des Kampfes untereinander ausgetauscht, die es gestattet haben, Millionen würdige Arbeitsmöglichkeiten im grauen Arbeitsmarkt zu schaffen, Millionen Hektar Land für die bäuerliche Landwirtschaft zurückzugewinnen, und Millionen von Wohnungen und städtischen Gemeinschaften auf der ganzen Welt zu errichten, ein- zugliedern, zu sanieren bzw. zu verteidigen. Die aktive Teilhabe der Volksschichten im Rahmen von entfremdeter Demokratien bzw. offener Plutokratien ist unumgänglich für die Veränderungen, die wir brauchen. 10. Den speziellen Kontext dieses Treffens und den unschätzbaren Beitrag der von Papst Franziskus angeführten katholischen Kirche, die seine Durchführung ermög- lichte, in Betracht ziehend, hielten wir inne, um im Rahmen unserer Realitäten den unerläßlichen Beitrag der Soziallehre der Kirche und die Vorstellungen ihres Hirten zum Kampf um soziale Gerechtigkeit zu analysieren. Unser Hauptarbeitsmaterial war die Enzyklika "Evangelii Gaudium", die unter Beachtung der Notwendigkeit durchge- arbeitet wurde, ethische Verhaltensleitlinien im Leben der Menschen für das Individu- um, für Gruppen und für die Gesellschaft wieder erstarken zu lassen. Es ist ange- bracht, die Teilnahme und das Auftreten zahlreicher katholischer Pfarrer und Bischöfe während des ganzen Verlaufs des Treffens nicht unerwähnt zu lassen, eine lebendige Verkörperung all jener Laien- und geweihter Seelsorger, die sich den Kämpfen der Völker verpflichtet fühlen, und die, wie wir glauben, in ihrer wichtigen Arbeit gestärkt werden müssen. 11. Wir alle, viele von uns Katholiken, konnten an einer Messe in der Sankt-Petrus- Kathedrale teilnehmen, die vom Kardinal Peter Turkson, einem unserer Gastgeber, zelebriert wurde, während der als Weihgaben drei Symbole unserer Bestrebungen, Entbehrungen und Kämpfe dargebracht wurden: der Karren eines Altpapiersammlers, Früchte von bäuerlichem Land und eine typische Hütte aus einem Armenviertel. An- wesend war eine beträchtliche Anzahl von Bischöfen aus allen Kontinenten. 12. In dieser Atmosphäre leidenschaftlicher Debatten und interkultureller Brüderlich- keit hatten wir die unvergeßliche Gelegenheit, einem historischen Moment beizuwoh- nen: der Teilnahme des Papstes Franziskus an unserem Treffen, der in seiner An- sprache einen Großteil unserer Realität, unsere Anklagen und unsere Vorschläge - 18 -
Sie können auch lesen