Danke für - 2,20 EUR - Hempels

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Danke für - 2,20 EUR - Hempels
# 297                                                         2,20 EUR
Februar 2021
                                                           davon 1,10 EUR
                                                               für die Ver-
                                                             käufer/innen

               Das Straßenmagazin für Schleswig-Holstein

               Danke für
                25 Jahre
Danke für - 2,20 EUR - Hempels
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
         dass diese Ausgabe eine besondere ist, werden Sie schon an der Titelseite erkannt
    haben: HEMPELS feiert in diesem Monat 25-jähriges Bestehen. Wobei: »Feiern«
    könnte an dieser Stelle eine vielleicht etwas unscharfe Formulierung sein. Zu den Be-
    sonderheiten der derzeitigen Pandemielage gehört ja auch, dass im Moment keine Fei-
    ern möglich sind. Alle schon vor längerer Zeit gefassten Pläne, mit unseren Verkäufe-
    rinnen und Verkäufern und mit vielen weiteren Gästen diese 25 Jahre bei einer großen
    Veranstaltung Revue passieren zu lassen, mussten wir vorerst auf Eis legen. 25 Jahre
    HEMPELS bedeuten 25 Jahre Journalismus für und mit Menschen, die sich in prekä-
    ren Lebenssituationen befinden und in vielfältiger Form von Obdachlosigkeit, Armut
    und sozialer Ausgrenzung betroffen sind. Ihnen geben wir eine Stimme, mit der wir
    auf Sorgen und Nöte hinweisen und Veränderungen bewirken. Und: HEMPELS ist ein
    landesweiter niedrigschwelliger Zugang zu Arbeit und gesellschaftlicher Teilhabe.
         In dieser 48-seitigen Jubiläumsausgabe stellen wir Ihnen verschiedene Aspekte
    unserer Arbeit vor. Zum Beispiel die Erfolgsgeschichte unseres Verkäufers Hans aus
    Husum, der viele Jahre obdachlos war und über die Arbeit als Zeitungsverkäufer wie-
    der Struktur in seinen Alltag bekam und mit Unterstützung unseres örtlichen Koopera-
    tionspartners, der Bahnhofsmission, auch wieder eine Wohnung fand.
         Unseren Leserinnen und Lesern, allen Anzeigenkunden und Förderern ein großes
    Dankeschön, dass Sie uns auf diesem Weg begleiten!            Ihre HEMPELS -Redaktion

                                                                    gewinnspiel

                     sofarätsel                                                 Gewinne
         Auf welcher Seite dieser HEMPELS-Ausgabe versteckt               3 x je ein Buch der Ullstein Verlagsgruppe. Im Januar war das kleine Sofa
         sich das kleine Sofa? Wenn Sie die Lösung wissen, dann           auf Seite 24 versteckt. Die Gewinner werden im März veröffentlicht.
         schicken Sie die Seitenzahl an: raetsel@hempels-sh.de
         oder: HEMPELS, Schaßstraße 4, 24103 Kiel. Teilnehmende           Im Dezember 2020 haben gewonnen:
         erklären sich einverstanden, dass im Falle eines Gewinns         Inge-Lore Dold (Altenholz), Birgit Legerlotz (Kiel) und Wolf Rhein
         ihr Name in HEMPELS veröffentlicht wird.                         (Neustadt) je ein Buch des Ullstein Verlags. Allen Gewinnern herzlichen
                                                                          Glückwunsch!
         Einsendeschluss ist der 28.2.2021.
         Der Rechtsweg ist wie immer ausgeschlossen.

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HEMPELS in Zahlen                     Einfach Ehrensache

                             4   25 Jahre HEMPELS in Zahlen        22 Ehrenamtliche wie Dietrich
                                                                      Anger unterstützen HEMPELS

                             Ein starkes Blatt auf der Hand        Roadtrip

                             6   Interview mit Jo Tein und         24 Wie die Zeitung zu den
                                 Catharina Paulsen, die               Verkaufenden im ganzen
                                 HEMPELS seit Anfang an               Land kommt
                                 begleiten

                             Glücklich und zufrieden               Viel gefragt

                             10 Günther Diercksen aus              30 Organisationen wie die Lübecker
                                 Eckernförde ist mit 87 Jahren        Vorwerker Diakonie betreuen
                                 unser ältester Verkäufer             vor Ort unsere Verkaufenden

                             Eine groSSe Familie                   Es fehlt Wohnraum

                             14 Hans Linke aus Husum war           34 Interview mit
                                 lange obdachlos. Als Verkäufer       Diakoniechef Heiko Naß
                                 hat er jetzt wieder Struktur im
                                 Alltag

                             Das Sechsbuchstabenproblem            Seite für Seite

                             18 Welche Schwierigkeiten             38 Wie unseren Leserinnen
                                 unsere Verkaufenden bei der          und Lesern die Zeitung gefällt
                                 Wohnungssuche haben

rubriken

     45 impressum
     46 Sudoku, K arik atur
     47 Leserbriefe
                                                                              Bitte kaufen Sie
                                                                              HEMPELS nur bei
                                                                              Verkaufenden, die diesen
                                                                              Ausweis sichtbar tragen
Titelillustration: Tim Eckhorst

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25 JAHRE HEMPELS

               25 JAHRE HEMPELS
                   IN ZAHLEN

   Mehr als                                  Vor 10 Jahren
    1500                                    startete in der JVA Lübeck die erste HEMPELS-
                                          Schreibwerkstatt für Gefangene. Das in dieser Form
                                          in Deutschland einmalige Projekt findet inzwischen
 Frauen und Männer haben sich                       auch in der JVA Neumünster statt
 bislang mit dem Verkauf einen
   Zuverdienst erwirtschaftet

                                                    19 plus 15
            Für 370
                                              Frauen und Männer arbeiten bei und für
                                             HEMPELS: 19 fest angestellt, 15 ehrenamtlich

             Tsd. €
       hat unsere Stiftung                   3,5 Mio. €
   »HEMPELS hilft wohnen«
 in Kiel 2017 ein Haus gekauft,                  Einnahmen insgesamt
    in dem jetzt auch zuvor                     (geschätzt) erzielten die
    Wohnungslose leben. Ein                  Verkaufenden im vergangenen
Erweiterungsbau ist in Planung.               Vierteljahrhundert für sich.
In weiteren Städten soll ebenfalls              Anfangs kostete das Heft
 Wohnraum geschaffen werden                            2 D-Mark

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7                          Landesweit 220
                                              Verkäuferinnen und Verkäufer bieten aktuell die Zeitung an
  Ausgabestellen über das Land
    verteilt sorgen dafür, dass
  Verkaufende immer rechtzeitig

                                                       Rd. 4 Mio.
     Nachschub bekommen:
      in Flensburg, Husum,
   Kiel (2), Lübeck, Rendsburg
          und Schleswig                                 Hefte wurden bislang verkauft

                              Jährlich 27.500
     Frauen und Männer suchen und finden Unterstützung in unseren Kieler Einrichtungen (Zahl aus 2019)

      12.000                               9.800                                5.700
   Besucher Trinkraum Gaarden         Besucher Trinkraum Innenstadt          Besucher Café »Zum Sofa«

                             298                                                     100
                                                                             Besucherinnen und Besucher
    Printausgaben sind bisher erschienen,
                                                                             unserer Kieler Einrichtungen
 inklusive der Start-Nullnummer im Februar                                  werden durch unsere Treuhand-
  1996. Ein weiteres Heft erschien zu Beginn                                kontoverwaltung in alltäglichen
der Corona-Pandemie als digitale Notausgabe                                 Geldangelegenheiten unterstützt

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25 JAHRE HEMPELS

                          Ein starkes Blatt
                            auf der Hand
       Jo Tein ist Mitbegründer von HEMPELS, auch Catharina Paulsen
           engagiert sich seit dem ersten Tag. Ein Gespräch mit beiden
          Vorstandsmitgliedern über Anfänge, Gegenwart und Zukunft

                                       INTERVIEW: PETER BRANDHORST, FOTOS: AXEL SCHÖN

   In diesem Monat Februar 2021 wird          mit Sozialarbeitsangeboten sinnvoll ist.    diengattung. Wie kam es zu der Idee,
HEMPELS 25 Jahre alt. Wofür steht                Catharina Paulsen: 25 Jahre              in Schleswig-Holstein eine solche Zei-
diese Zahl?                                   HEMPELS bedeuten auch: Menschen,            tung zu gründen?
   Jo Tein: Für ein Vierteljahrhundert        die aus unterschiedlichen Gründen auf          Tein: Ich war Mitte 1995 Sozialar-
erfolgreiche Arbeit der Zeitung und dass      dem Arbeitsmarkt keine Chance haben,        beiter im Tagestreff der Kieler Stadt-
es wichtig war, damals dieses Projekt zu      wird seither die Möglichkeit geboten,       mission für Wohnungslose. Eines Tages
starten. Wir können politisch und gesell-     sich mit eigener Arbeit gesellschaftliche   besuchte uns ein sogenannter Fahr-
schaftlich einwirken. Wir mischen uns         Teilhabe und einen kleinen Zuverdienst      radberber – ein Obdachloser, der mit
ein und helfen damit prekär lebenden          zu erwirtschaften.                          seinem Rad durch Deutschland reiste –
Menschen. Und es hat sich gezeigt, dass          Straßenmagazine waren damals             und erzählte von gerade frisch gegrün-
die Verknüpfung des Zeitungsprojekts          eine noch weithin unbekannte Me-            deten Straßenzeitungen in Hamburg
                                                                                          und München. Seine Idee war, so was
                                                                                          doch auch in Kiel zu etablieren. Man
                                                                                          könne damit als Verkäufer etwas Geld
                                                                                          verdienen, und man könne gleichzei-
                                                                                          tig den Leserinnen und Lesern ein un-
                                                                                          geschminktes Bild vom Leben auf der
                                                                                          Straße vermitteln.
                                                                                             Die Initiative ging also von Betrof-
                                                                                          fenen aus? Sie wurde nicht »von oben«
                                                                                          vorgegeben?
                                                                                             Tein: Genau. Von Obdachlosigkeit
                                                                                          und Arbeitslosigkeit betroffene Men-
                                                                                          schen sind initiativ geworden und haben
                                                                                          sich selbst gekümmert; sie haben sich im
                                                                                          besten Sinne eingemischt. Catharina
                                                                                          Paulsen, mein inzwischen verstorbener
                                                                                          damaliger Kollege Jürgen Knudsen und
                                                                                          ich haben zunächst nur für den organi-
                                                                                          satorischen Rahmen gesorgt und dafür,
                                                                                          dass auch die Arbeiten erledigt wurden,
Catharina Paulsen mit Redaktionsleiter Peter Brandhorst. Das Interview wurde              für die gerade niemand anderes zur Ver-
vor dem Lockdown geführt.                                                                 fügung stand.

6 | 25 JA HR E HE MPELS                                                                                       Hempel s # 2 97 2/2 02 1
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Vorstand Jo Tein ist Mitbegründer von HEMPELS.

He mpe l s # 2 97 2/2 02 1                              25 JA HR E HE MPELS | 7
Danke für - 2,20 EUR - Hempels
25 JAHRE HEMPELS

   Welche Erwartungshaltung, wo-
möglich auch Skepsis gab es damals
auch außerhalb des Gründerkreises?
   Paulsen: Im Gründerkreis war der
Glaube an ein Gelingen groß. Und dass
wir jetzt 25-jähriges Jubiläum feiern, be-
stätigt die Motivation des Gründungs-
kreises ja auch. Wenn ich damals jedoch
außerhalb dieses Kreises über unsere
Zeitungsidee sprach, überwog deutlich
die Skepsis. Das wird doch nie was, habe
ich oft zu hören bekommen. Dass der
Gründerkreis die Puste haben und bei
der Sache bleiben würde, das wurde ihm
anfangs nicht zugetraut.
   Tein: Skepsis zeigte sich zum Bei-
spiel auch bei der Finanzierung: Wo
bekommt man ein nötiges Startkapi-
tal her? Das war schwierig zu organi-            »Die Zeitung legt den Finger in gesellschaftliche Wunden«: HEMPELS-Vorstand Jo Tein.
sieren, wir haben lediglich eine kleine
Anschubfinanzierung vom Diakoni-             sein mit einem professionellen Ange-           Nicht nur die Zeitung mit ihren In-
schen Werk Schleswig-Holstein erhal-         bot, das ist auch der Anspruch unserer      halten hat sich verändert, HEMPELS
ten. Aber wir haben uns gesagt: Okay,        Leserinnen und Leser. Das haben wir         insgesamt hat sich im Laufe der Jahre
dann versuchen wir es eben ohne viel         geschafft. Heute verkaufen wir pro Jahr     breiter aufgestellt.
Geld. Heute darf man sagen: Schon            fast 250.000 Hefte.                            Tein: Ganz wichtig war der Schritt
lange trägt sich HEMPELS selbst, und            Paulsen: Viele der anfangs Mitar-        in weitere Städte und Gemeinden im
niemand würde noch infrage stellen,          beitenden sind inzwischen leider auch       Land. Heute können wir sagen, dass
dass wir eine wichtige Zeitung heraus-                                                   HEMPELS eine Straßenzeitung für
bringen, die aus der schleswig-holstei-                                                  ganz Schleswig-Holstein ist, das hat die
nischen Medienlandschaft nicht mehr                                                      Akzeptanz deutlich erhöht. Zudem ha-
wegzudenken ist.                             Info HEMPELS-Vorstand                       ben wir mit sozialen Angeboten in Kiel
   In den Anfangsjahren wurde die                                                        zusätzliche Hilfeangebote geschaffen.
Zeitung vor allem von Menschen ge-           Jo Tein ist Mitbegründer von HEM-           2003 konnten wir zusammen mit der
macht, die unmittelbar und direkt            PELS, Catharina Paulsen hat                 Stadt Kiel in unserem Stammhaus in
selbst von Armut und Ausgrenzung             das Projekt vom ersten Tag an zu-           der Kieler Innenstadt den ersten Trink-
betroffen waren: Sie haben die meis-         nächst als ehrenamtliche Unterstütze-       raum Deutschlands für alkoholkranke
ten Artikel geschrieben und anschlie-        rin begleitet. Seit vielen Jahren lenken    Menschen eröffnen, vor gut zehn Jah-
ßend das fertige Heft verkauft. Warum        beide zusammen mit Lutz Regen-              ren in Gaarden den zweiten. Das hat
war es wichtig, dann professionelle          berg aus Lübeck im ehrenamtlich             enormes Renommee geschaffen weit
Strukturen zu schaffen?                      arbeitenden HEMPELS-Vorstand die            über Schleswig-Holstein hinaus bis in
   Tein: Es war bald klar, dass viel         Geschicke des Trägervereins und da-         benachbarte Länder wie Luxemburg
mehr Aufwand erforderlich war, als           mit auch der Zeitung. Hauptberuflich        und England.
wir alle ihn damals leisten konnten.         arbeitet Tein, 62, als Referatsleiter im       Paulsen: Seit Jahren bieten wir
Wir hatten zu Beginn ja kein Geld, um        Justizministerium; Paulsen, 53, ist         über ein Treuhandkonto auch eine Geld-
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter be-         selbstständig tätig.                        verwaltung an, wir betreiben seit 1999
zahlen zu können. Gleich zu Beginn                                                       in der Innenstadt ein Café für unsere
erreichten wir zwar eine Auflage von                                                     Verkäufer und Besucher, wir haben eine
mehr als 10.000 Heften. Das ließ dann        schon verstorben. Professionelle Jour-      Suppenküche, unsere Sozialarbeiterin-
aber nach einiger Zeit wieder nach.          nalisten und Fotografen – die weibliche     nen schaffen Orientierung nicht nur in
Deshalb war mir klar: Dauerhaft beste-       Form ist mitgemeint – haben es über-        Notsituationen. Wir erreichen darüber
hen können wir nur, wenn wir Struktu-        nommen, die Fahne der ursprünglichen        viele Menschen, nicht nur unsere Ver-
ren und Inhalte verbreitern und profes-      Macherinnen und Macher hochzuhal-           käuferinnen und Verkäufer. Wir helfen
sionalisieren. Man kann nur erfolgreich      ten. Der Erfolg gibt uns recht.             vielen.

8 | 25 JA HR E HE MPELS                                                                                        Hempel s # 2 97 2/2 02 1
Danke für - 2,20 EUR - Hempels
Tein: Die stark gewachsene Bedeu-       ren Wohnungen. Es funktioniert, wenn          erst die Möglichkeit entstehen könnte,
tung unserer Arbeit insgesamt spiegelt     man einen engen Draht hat zu den Leu-         unsere journalistische Unabhängigkeit
sich ja auch in den Zahlen wieder. 19      ten. Den haben wir.                           in einen Zusammenhang zu bringen mit
Frauen und Männer sind mittlerweile in        Während sich die Zeitung aus-              Mittelzuweisungen in anderen Berei-
den verschiedenen Arbeitsbereichen bei     schließlich selbst finanziert über Ver-       chen.
uns fest beschäftigt, 15 Ehrenamtliche     kaufserlöse, Anzeigen und Spenden,               Nach 25 Jahren: Wie würde das sozi-
unterstützen uns zusätzlich. Der Jahres-   werden einzelne andere Angebote des           ale Leben in Schleswig-Holstein ausse-
umsatz beträgt 700.000 Euro. Weitere       Trägervereins wie die Trinkräume              hen, würde es HEMPELS nicht geben?
300.000 Euro kommen als Verdienst          auch von städtischer Seite gefördert.            Tein: Schwer zu sagen. Klar ist: Ak-
für unsere Verkäuferinnen und Verkäu-      Könnte da nicht auch die Gefahr von           tuell mehr als 220 Verkäuferinnen und
fer hinzu. Ein Gesamtumsatz von einer      Interessenskonflikten entstehen?              Verkäufer haben eine sinnvolle Beschäf-
Million Euro also.                            Tein: Wir haben eine unabhängige           tigung und können sich so ein wenig
   Ein neben der Zeitung besonders         Zeitung, die aus sich selbst heraus funk-     hinzuverdienen, im Laufe der Jahre wa-
wichtiges Projekt ist die Stiftung         tioniert. Sie ist unabhängig von der Poli-    ren das schon über 1500 Menschen. Und
»HEMPELS hilft wohnen«. Vor gut            tik, unabhängig von staatlichen Geldge-       klar ist auch: Die Zeitung wird in Poli-
drei Jahren konnte mit Unterstützung       bern. Diese Unabhängigkeit der Zeitung        tik und Gesellschaft wahrgenommen,
vieler Leserinnen und Leser in Kiel        wollen wir weiter stärken, indem wir          sie hat ein großes Gewicht. Wir können
ein erstes Wohnhaus für zuvor woh-         unsere geförderten Angebote künftig           Themen platzieren, die anschließend
nungslose Menschen gekauft werden.         gemeinsam mit einem größeren Träger           auch von anderen Medien aufgegriffen
Welche Bedeutung ergibt sich daraus?       betreiben, konkret mit der Diakonie           werden. Das war und ist nicht immer
   Tein: Die Stiftung ist wichtig, weil    Altholstein. Mit der haben wir eine eige-     nur angenehm für Politik und Verwal-
es die öffentliche Hand nicht schafft,     ne Gesellschaft gegründet, in der HEM-        tung. Aber den Finger in gesellschaftli-
Menschen mit mehrfachen Problemla-         PELS in den entscheidenden Fragen ein         che Wunden zu legen, ist nun einmal die
gen dauerhaft in Wohnraum unterzu-         Vetorecht besitzt. So schließen wir aus,      Aufgabe einer demokratischen Presse.
bringen. Mit ihr zeigen wir, dass man      dass einerseits die Qualität der dort ge-     Und für die Menschen, für die wir uns
das schaffen kann, wenn man will. Man      leisteten sozialen Arbeit verändert wer-      engagieren, war und ist dies immer ein
muss die Menschen dann betreuen in ih-     den könnte und andererseits überhaupt         Gewinn.

                                                      »Unsere Arbeit hilft vielen Menschen«: Catharina Paulsen, Mitglied im Vorstand.

He mpe l s # 2 97 2/2 02 1                                                                                      25 JA HR E HE MPE LS | 9
Danke für - 2,20 EUR - Hempels
25 JAHRE
                                                             Rubrik
                                                                 HEMPELS

                           »Ich bin glücklich
                            und zufrieden«
      Auch unser Verkäufer Günther aus Eckernförde feiert in diesem Monat
       Geburtstag: Er wird 87 und ist damit unser ältester aktiver Verkäufer

»Die Aufgabe macht große Freude«: Günther Diercksen aus Eckernförde, mit 87 unser ältester Verkäufer.

10 | 25 JA HR E HE MPELS                                                                                Hempel s # 2 97 2/2 02 1
TEXT UND FOTO: PETER BRANDHORST

                                »Ach, wirklich?«, fragt Günther zu-      und inzwischen so etwas wie eine In-
                             rück, in seinem Gesicht meint man jetzt     stitution. Mehr noch: In seinem hohen
                             ein eher schüchternes Lächeln zu entde-     Alter ist er täglich, außer sonntags, an
                             cken, bei genauem Hinsehen vielleicht       seinen Verkaufsplätzen vor Famila und
                             sogar eine schmale Prise Stolz.             am Wochenmarkt anzutreffen. Gün-
                                Ein Mittag in Eckernförde. »Darf         ther ist unser ältester aktiver Verkäufer
                             ich du zu Ihnen sagen?«, war man von        in Schleswig-Holstein und wohl einer
                             Günther empfangen worden, er mag            der ältesten Straßenzeitungsverkäufer
                             nicht so sehr das Förmliche und achtet      in ganz Deutschland. In diesem Monat
                             dabei doch stets auf die höfliche Form,     Februar, am 25., wird er 87 Jahre alt. In
                             wie er dies seinem Gegenüber vermit-        dem Monat zufällig, wenn auch wir Ju-
                             telt. Und jetzt, da das mit der gegensei-   biläum feiern, unser 25-jähriges.
                             tigen Anrede geklärt ist und auch der
                             Kellner im türkischen Imbiss das Glas
                             Tee auf den Tisch gestellt und den feh-
                             lenden Süßstoff nachgereicht hat, jetzt           »Bei meiner Arbeit
                             also zunächst schnell die Übermittlung
                             eines Lobes. Ein Leser hatte sich näm-       habe ich richtige Freund-
                             lich kürzlich bei uns von HEMPELS ge-
                             meldet, voll mit anerkennenden Worten             schaften gefunden«
                             über das freundliche Auftreten unseres
                             Verkäufers Günther aus Eckernförde.
                                »Ach, wirklich?«, sagt Günther jetzt
                             also, als man ihm davon erzählt, rund         Was macht die Person Günther aus,
                             um die Augen tatsächlich auch eine Pri-     wie viel Lust – womöglich auch Last –
                             se Stolz, »das freut mich sehr.«            bereitet ihr die Verkaufsarbeit? »Hast
                                Natürlich war man nicht ausschließ-      du gerade von Last gesprochen?«, ruft
                             lich deshalb zu Günther nach Eckern-        Günther, rechts im Ohr ein Ring, auf
                             förde gefahren, um ihm dieses Lob           dem Kopf eine Prinz-Heinrich-Mütze,
                             auszurichten. Andererseits: Die Gele-       »nee nee, keine Last, die Aufgabe macht
                             genheit dazu, das zu tun, ist passend;      große Freude. Auch wenn ich mein Alter
                             Günther Diercksen – man darf das ohne       deutlich spüre.«
                             Übertreibung so feststellen – ist mit         Aus Hamburg stammt Günther, seine
                             seinem stets freundlichen und zurück-       Mutter starb, da war er zwei Jahre alt.
                             haltendem Auftreten in Eckernförde          Wenige Jahre später, 1939, wurde sein
                             ein ganz wichtiges HEMPELS-Gesicht          Vater von den Nazis ermordet, weil er

He mpe l s # 2 97 2/2 02 1                                                                    25 JA HR E HE MPE LS | 11
25 JAHRE
                                                                    Rubrik
                                                                        HEMPELS

          Kommunist war. Sohn Günther weiß             Stuttgarter Straßenzeitung auf, 2008       kontern. »So wie du war ich auch schon
          das nur aus Erzählungen seiner älteren       zieht der inzwischen zweifache Großva-     mal dran«, habe sie ihm im Vorbeigehen
          Geschwister. Gut erinnern – besser ge-       ter nach Eckernförde und beginnt dort      zugerufen. Günthers Antwort: »Ja? Wie
          sagt: schlecht erinnern – kann er sich an    als HEMPELS-Verkäufer zu arbeiten.         denn?«
          die dann folgenden Jahre in Waisenhei-          Und heute? »Ich bin glücklich und zu-      Man muss sich nicht schämen für sein
          men und Pflegefamilien, wo er der NS-        frieden«, antwortet Günther, »ich habe     Leben, das ist Günther eine ganz wichti-
          Pädagogik ausgesetzt war. »Hamburg           eine kleine Wohnung, habe Freunde und      ge Botschaft. »Ich mache meinen Job und
          hat mich damals schlecht behandelt«,         was zu essen.« Über seine Begegnungen      verdiene mir damit etwas Geld«, sagt
          sagt er irgendwann nachdenklich, »aber       auf der Straße, mit Kunden und anderen     er, »diese Arbeit hat nichts mit Bettelei
          ich habe mir bis heute mein soziales         Passanten, weiß er nur positiv zu be-      zu tun.« Ganz im Gegenteil, so fügt er
          Denken und den Sinn für Gerechtigkeit        richten. »Jedenfalls zu bestimmt mehr      noch hinzu: »Die Zeitung ist eine ganz
          bewahrt.«                                    als 80 Prozent«, sagt Günther, »richtige   wichtige soziale Stimme; meine Kunden
             Er schließt die Volksschule ab, bei ei-   Freundschaften habe ich da gefunden.«      sagen mir immer wieder, wie gut sie die
          nem Bauern, auf dessen Hof er damals         Einen dieser Menschen, Erwin, lernt        Themen und Berichte finden.« Er selbst
          lebt, beginnt er eine Ausbildung zum         man an diesem Tag auch kurz kennen;        liest auch die Texte, bevor er die Zeitung
          landwirtschaftlichen Gehilfen, fliegt        er hatte unseren Verkäufer zum verab-      seinen Kunden anbietet. »Besonders ge-
          jedoch noch vor dem Abschluss raus,          redeten Treffpunkt gefahren, will beim     fällt mir, dass HEMPELS sich um die
          weil er aus der Speisekammer ein Stück       anschließenden Gespräch aber nicht         Schicksale Obdachloser kümmert und
          Kuchen geklaut haben soll. »Ich muss         weiter stören.                             mit der Stiftung inzwischen ein eigenes
          das Kind beim Namen nennen, und das                                                     Wohnhaus erworben hat.«
          tue ich auch ohne Scham«, sagt er jetzt                                                    Ach ja, eine vielleicht nicht ganz un-
          mit dem Tee in der Hand, »ich hab kei-                                                  wichtige Frage zum Schluss – wie lange
          nen Beruf gelernt.« Dann fügt er noch              »Die Kunden sagen                    will er seiner Arbeit noch nachgehen?
          selbstbewusst hinzu und wirkt dabei                                                     »Wie lange noch?«, fragt Günther mit
          überhaupt nicht aufgesetzt: »Ich kann            immer, wie gut sie die                 erstauntem Blick zurück, »natürlich
          mich aber trotzdem ausdrücken.«                                                         so lange ich kann«, antwortet er dann,
             Keinen Beruf erlernt, aber dennoch                Zeitung finden«                    »hoffentlich lange also noch. Es geht ja
          das ganze Berufsleben gearbeitet: Als                                                   nicht nur um den kleinen Zuverdienst,
          junger Mann zieht Günther nach Stutt-                                                   es geht auch um die vielen guten Kon-
          gart und arbeitet dort als Möbelpacker                                                  takte.«
          in Arbeitsverhältnissen, die man heute          Viele freundschaftliche Begegnungen        »Is' so«, sagt Günther, »wirklich.«
          wohl als prekär bezeichnen würde. Aus        also, über die Günther sich alltäglich
          zwei Ehen stammen vier Kinder, seiner        freuen darf. Und wenn ihm so wie neu-
          Arbeit geht er nach, bis sie ihm als Mit-    lich eine fremde Frau doch mal jemand
          sechziger körperlich zu schwer wird.         anscheinend etwas schräg daherkommt,
          Danach bessert er seine schmale Rente        was von ihr aus vielleicht noch nicht
          mit dem Zuverdienst als Verkäufer der        einmal so gemeint war, dann weiß er zu
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          12 | 25 JA HR E HE MPELS                                                                                     Hempel s # 2 97 2/2 02 1
He mpe l s # 2 97 2/2 02 1   a nze ige n | 13
25 JAHRE HEMPELS

                           Eine große Familie
    Hans Linke aus Husum war lange obdachlos. Dann begann er mit der
    Arbeit als HEMPELS-Verkäufer, fand mit Hilfe der Bahnhofsmission
           eine Wohnung und konnte so seinen Alltag neu ordnen

                            TEXT: PETER BRANDHORST

   »Man darf den Mut nicht verlieren«,     Leiter der Einrichtung. Paulsen nickt
sagt Hans Linke irgendwann.                jetzt zustimmend: »Das hat er gemacht.
   60 ist Linke inzwischen, und im-        Er hat nie den Mut verloren und immer
mer wenn man ihm in Husum begeg-           nach Unterstützung gesucht.«
net – seit vielen Jahren seine Stadt –,       Bloß nicht aufgeben, gemeinsam
dann bemerkt man zunächst eine stille      die Gegenwart verändern, um selbst-
Zurückhaltung. »Wie es mir geht? Gut       bewusster in die Zukunft blicken zu
natürlich!«, antwortet er auf die Frage    können – dafür soll diese Geschichte
nach seinem Befinden und scheint über-     stehen. Denn Hans Linke hat es ja ge-
rascht, dass man diese Frage überhaupt     schafft, mit Hilfe von HEMPELS und
gestellt hat. »Gut gehts«, wiederholt er   der Husumer Bahnhofsmission seinem
also nochmal, keinen Zweifel daran las-    Leben eine neue Struktur zu geben.
send, dass er mit seinem Alltag inzwi-     Er hat es geschafft, seinen Alltag so zu
schen mehr als nur zufrieden ist.          ordnen, dass er heute sagen kann: »Ich
                                           bin wirklich zufrieden mit dem, was
                                           jetzt ist.«
                                              Vor dreißig Jahren sah das alles
        »Ohne HEMPELS                      noch anders aus. Aus Ibbenbüren in
                                           Nordrhein-Westfallen stammt Linke,
     und Bahnhofsmission                   nach der Schule hatte er eine Ausbil-
                                           dung zum Bergmechaniker gemacht
     sähe mein Leben wohl                  und anschließend im Steinkohleabbau
                                           gearbeitet; ein Alltag, wie ihn damals
         ganz anders aus«                  viele andere junge Männer auch hatten.
                                           Nach zehn Jahren unter Tage dann der
                                           Bruch im Leben von Hans Linke: »Aus
                                           privaten Gründen« beendet er sein Be-
   Dann fügt er hinzu: »Und man muss       schäftigungsverhältnis; seine Bezie-
sich immer Unterstützung holen.«           hung war in die Brüche gegangen und
   Im Büro der Bahnhofsmission Hu-         hatte ihn aus der Bahn geworfen. Linke
sum hat man sich mit ihm verabredet,       wird obdachlos, reist durch Deutsch-
mit mehreren Stuhlbreiten Coronaab-        land, vor allem durch den südlichen
stand sitzt Diakon und Diplom-Sozi-        Teil, und hält sich mit Gelegenheits-
alpädagoge Erk Paulsen mit am Tisch,       jobs über Wasser. Eher zufällig führen

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Foto: Peter Brandhorst

                             »Man darf den Mut nicht verlieren«: HEMPELS-Verkäufer Hans Linke aus Husum.

He mpe l s # 2 97 2/2 02 1                                                          25 JA HR E HE MPELS | 15
25 JAHRE HEMPELS

ihn seine Wege irgendwann auch nach
Norddeutschland, nach Husum.
   »Muss sagen, das war mein großes
Glück«, sagt Hans Linke bei Kaffee und
Keksen am Tisch in der Bahnhofsmission.
   Zwar lebt er auch in Husum die ersten
Jahre zunächst obdachlos. Aber Stadt
und Menschen gefallen ihm, er baut
Bekanntschaften auf, bekommt Kon-
takt zur Bahnhofsmission und beginnt
bei HEMPELS als Zeitungsverkäufer.
Vor 18 Jahren kommt er mit Hilfe der
Bahnhofsmission in einer städtischen
Übergangswohnung unter, einige Jahre
später kann er in eine eigene Wohnung
                                              Foto: Peter Werner

umziehen.
   »Man darf den Mut nicht verlieren«,
hatte Hans Linke eingangs gesagt. Jetzt
fügt er hinzu: »Gäbe es HEMPELS und
die Bahnhofsmission nicht, dann würde
mir was ganz Wichtiges fehlen und mein                              Auch unser im vergangenen Jahr verstorbener Husumer Verkäufer Willi Wallner (re.)
                                                                          fand nach 36 Jahren Obdachlosigkeit über die Verkaufsarbeit wieder Struktur.
Leben sähe wohl anders aus.«
                                                                                            Auf dem Foto mit Erk Paulsen, Leiter der Bahnhofsmission.
   Dass er sich in Husum seit Jahren
so wohlfühlt, hat ja auch etwas mit der
Struktur zu tun, die er sich jetzt im All-   und die Unterstützung durch die Bahn-                        ren Leiter Erk Paulsen, »wir schnacken
tag wieder geschaffen hat. »Ich muss         hofsmission ganz wichtig, um nach                            dann ein bisschen zum Beispiel über
immer raus«, sagt Hans Linke, »ich bin       vielen Jahren aus der Obdachlosigkeit                        Fußball«, beide sind ja große Fans dieses
niemand, der sich den ganzen Tag allein      rauszukommen.« Vergangenen Mai war                           Sports, Paulsen vom Hamburger SV und
oder in geschlossenen Räumen aufhalten       Willi Wallner 69-jährig in seiner Woh-                       Linke von Borussia Dortmund.
kann.« Vielleicht hat das auch mit den       nung verstorben. »Wenn HEMPELS in                                Vor mehr als dreißig Jahren, als Berg-
mehr als zwanzig obdachlosen Jahren          diesem Artikel über mich an Willi erin-                      mann, hatte Linke auch mal eine Dauer-
zu tun, auf jeden Fall aber damit, dass      nern könnte, dann würde mich das sehr                        karte für das Dortmunder Stadion. Als
ihm soziale Kontakte, die Gespräche          freuen«, sagt Hans Linke.                                    wir 2015 in einem kleinen Porträt darü-
mit Kunden beim Zeitungsverkauf oder                                                                      ber und über seinen Wunsch schrieben,
anderen Gästen in der Bahnhofsmission                                                                     noch einmal im Leben ein Spiel live im
wichtiges Lebenselixier sind. Seine Hu-                                                                   Stadion mitzuerleben, hatte ein HEM-
sumer Kontakte sind ihm so bedeutsam                               »Ich bin inzwischen                    PELS-Leser sogar Karten für ein Spiel
»wie die in einer großen Familie«.                                                                        organisiert und die dazugehörige Bahn-
   Lange gehörte dazu auch unser in-                               sehr zufrieden mit                     fahrt geschenkt.
zwischen verstorbener Verkäufer Willi                                                                         »Ein großartiges Erlebnis war das
Wallner. »Willi war einer meiner ersten                              meinem Leben«                        damals, bei der letzten Saison mit dem
Kontakte hier in Husum«, sagt Linke,                                                                      legendären Trainer Jürgen Klopp durf-
»ein großer Freund, wir waren ganz eng                                                                    te ich nochmal live dabei sein«, erinnert
miteinander und haben uns gegenseitig                                                                     Hans Linke heute im Rückblick, sogar
geholfen.« Auch Willi Wallner hatte ja          Hans Linke, Willi Wallner und                             die Regionalzeitung hatte anschließend
viele Jahre obdachlos gelebt, insgesamt      manch anderer auch in anderen Städten                        größer über diesen Ausflug berichtet.
36, bevor er vor gut zehn Jahren eben-       haben es geschafft, über die Jahre wieder                        »Was soll ich sagen«, sagt Hans Linke,
falls mit Hilfe der Bahnhofsmission eine     Struktur zu bekommen in ihrem jewei-                         »ich bin schon länger sehr zufrieden mit
eigene Wohnung fand.                         ligen Alltag. Eigenes Wollen war dabei                       meinem Leben hier in Husum.«
   »Eigentlich müssten wir jetzt beide       wichtig, aber genauso auch das Vorhan-
hier beim Interview sitzen, Willi und        densein unterstützender Hilfeangebote.
ich«, sagt Linke, »auch für Willi waren      »Hans kommt weiterhin regelmäßig zu
ja die Arbeit als HEMPELS-Verkäufer          uns in die Bahnhofsmission«, sagt de-

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He mpe l s # 2 97 2/2 02 1   S chl e s wig - hol s t ein s ozi a l | 17
25 JAHRE HEMPELS

          Das
 Sechsbuchstabenproblem
      Mit welchen Schwierigkeiten HEMPELS-Verkaufende bei der
    Wohnungssuche zu tun haben und warum unsere Stiftung wichtig ist

                                  TEXT: PETER BRANDHORST, FOTO: KLAUS-HENNING HANSEN

   Beginnen wir diese Geschichte mit       gattung noch erklärbar gewesen sein.       mag so aussehen, und das gilt in Kiel
einer Binse: Wohnen ist Menschen-          In weiten Teilen falsch war sie aber       nicht anders als in Lübeck oder Flens-
recht; jede Frau, jeder Mann sollte ein    schon damals, so wie sie auch heute        burg: Ein, vielleicht auch mal zwei
Dach über dem Kopf haben, das ihr          falsch ist.                                kleine Zimmer in Wohnvierteln, die
oder ihm auch eine eigene Privatsphä-                                                 nicht zu den Vorzeigestadtteilen ge-
re sichert. Jetzt ein Blick auf die Rea-                                              hören. Bei Beziehern von Transferleis-
lität: Etwa 10.000 Frauen und Männer                                                  tungen achten schon allein die Ämter
in Schleswig-Holstein haben nach             Nur wer eine Wohnung                     darauf, dass es sich um einfache Woh-
Schätzungen des Diakonischen Werks                                                    nungen mit niedrigem Standard han-
überhaupt keine eigene Wohnung oder           hat, kann auch andere                   delt – aber es sind Wohnungen.
sind akut bedroht von Wohnungslosig-                                                     Wer versucht, auf eigene Faust eine
keit, sie schlafen meist bei Freunden,        Alltagsprobleme lösen                   Wohnung zu finden, vielleicht gar in
Bekannten, in Schrebergartenlauben                                                    einem anderen Viertel als den sonst
oder öffentlichen Notunterkünften.                                                    üblichen, ist oft sofort mit einem
Mehrere Hundert machen sogar auf                                                      Sechsbuchstabenproblem         konfron-
der Straße »Platte«.                                                                  tiert: Schufa. Zehn Prozent der Men-
   Und nun zu HEMPELS und den                 Unsere Verkäuferinnen und Ver-          schen in Deutschland haben einen
Verkäuferinnen und Verkäufern un-          käufer leben aus unterschiedlichen         negativen Schufa-Eintrag; das sind
serer Obdachlosenzeitung. Wobei –          Gründen prekär, doch die wenigsten         bei weitem nicht nur Verkäufer von
schon ist uns hier ein grober Fehler       von ihnen leben auch obdachlos auf         Straßenzeitungen, betroffen sind in-
unterlaufen.      Obdachlosenzeitung?      der Straße. Manche, die das in frühe-      zwischen auch viele Angehörige aus
Eine solche Schubladenbezeichnung          ren Jahren mussten, konnten ihre Si-       der sogenannten Mittelschicht. Aber
für eine ausschließlich auf der Straße     tuation selbst oder mit Unterstützung      eben auch Teile unserer Verkaufenden
verkaufte Zeitung – für ein Straßen-       von Hilfeeinrichtungen verändern,          müssen mit diesem negativen Etikett
magazin also – mag vor einem Vier-         anderen haben wir von HEMPELS              leben.
teljahrhundert bei der Gründung von        über all die Jahre geholfen. Das ist gut      Heißt: Wer einmal eine Wohnung
HEMPELS und anderen vergleichba-           so, aber ist deshalb auch alles gut?       verloren hat, weil er oder sie die Miete
ren Publikationen als Klassifizierung         Die typische Wohnung eines HEM-         nicht mehr bezahlen konnte, oder wer
einer bis dahin unbekannten Medien-        PELS-Verkäufers, einer Verkäuferin         mal einen Handyvertrag nicht bedie-

18 | 25 JA HR E HE MPELS                                                                                  Hempel s # 2 97 2/2 02 1
Bewohner Turan zusammen mit unserer Verkäuferbetreuerin Cathrina Neubert vor dem von der HEMPELS-Stiftung gekauften
                                                                        Wohnhaus in Kiel. Früher war Turan lange ohne eigene Wohnung.

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25 JAHRE HEMPELS

          nen konnte, hat kaum Aussicht, auf                                                schleswig-holsteinischen Städten sol-
          dem freien Wohnungsmarkt je wieder                                                len folgen –, das sollte der öffentlichen
          eine neue Unterkunft zu finden. Und      Stiftung                                 Hand doch erst recht möglich sein.
          wer mit Suchterkrankungen oder psy-      »HEMPELS hilft wohnen«                      Noch etwas ist wichtig: Von Woh-
          chischen Krankheiten zu kämpfen hat                                               nungslosigkeit betroffenen Menschen
          oder Sozialleistungen bezieht, bleibt    Mit unserem Stiftungsprojekt »HEM-       muss rechtzeitig geholfen werden,
          sowieso außen vor. Solange Vermie-       PELS hilft wohnen« haben wir Ende        nämlich bevor Vermieter Wohnraum
          ter am Markt auswählen können, ent-      2017 in Kiel für 370.000 Euro ein        kündigen und das Kind endgültig in
          scheiden sie sich gegen den aktuell      Haus mit zwölf Wohnungen erworben,       den Brunnen gefallen ist. Untersu-
          oder ehemals Wohnungs- oder Ob-          durch Aus- sowie einen Neubau auf        chungen zeigen, dass 80 Prozent der
          dachlosen, gegen den Suchtkranken,       einer angrenzenden Fläche sollen wei-    Betroffenen ihre jeweilige Wohnung
          gegen den langjährig Arbeitslosen.       tere Wohnungen entstehen. Möglich        deshalb verloren haben, weil sie die
             Zusätzlich verschärft ist die Situ-   wurde der Kauf erst durch Spenden        Miete nicht mehr bezahlen konnten.
          ation für bitterarme osteuropäische      und Zustiftungen vieler Leserinnen          Nur wer eine Wohnung hat oder
          Menschen, die seit ein paar Jahren       und Leser. Auch in weiteren Städten      wieder eine findet, kann auch ande-
          überall in Deutschland ihre kleine       wollen wir Wohnraum für Wohnungs-        re Alltagsprobleme lösen, sich bei-
          Chance suchen, auch als Verkäufer        lose schaffen. Werden Sie Zustifter      spielsweise auf die Suche nach Arbeit
          bei Straßenzeitungen wie unserer.        und helfen Sie mit:                      begeben. Eine einfache Binse ist das.
          Sie kommen häufig in ganzen Fami-                                                 Womit wir wieder am Anfang dieser
          lienverbünden, hoffen auf Bildung für    Konto:                                   Geschichte wären. Denn wo eine Sa-
          ihre Kinder und sind manchmal skru-      Diakonie Stiftung Schleswig-Holstein     che nicht in die andere greift, sieht Re-
          pellosen Vermietern ausgesetzt, die      Stichwort: HEMPELS hilft wohnen          alität ganz anders aus.
          Wohnungen zimmerweise vermieten,         Evangelische Bank e.G.
          pro Familie ein Zimmer zu einem Wu-      IBAN: DE03 5206 0410 0806 4140 10
          cherzins. Behörden und Ämter sind        BIC: GENODEF1EK1
          hier vor allem gefragt.
             Überall gilt: Es fehlt bezahlbarer
          Wohnraum. Vor gut drei Jahren hat
          unsere HEMPELS-Stiftung, mit gro-        schen leben. Das damit verbundene Si-
          ßer finanzieller Unterstützung vieler    gnal in die Politik: Es geht, wenn man
          Leserinnen und Leser, deshalb in Kiel    denn will. Und was HEMPELS in ver-
          ein erstes Wohnhaus gekauft, in dem      gleichsweise kleinen Schritten schafft
          jetzt auch zuvor wohnungslose Men-       – weitere Wohnungen auch in anderen
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25 JAHRE HEMPELS

                      Einfach Ehrensache
         Ob in der Küche, den Trinkräumen oder der Verwaltung – an diesen
                und vielen anderen Stellen unterstützen Ehrenamtliche
          unsere Arbeit bei HEMPELS. Dietrich Anger ist einer von ihnen

                                      TEXT: GEORG MEGGERS, FOTO: KLAUS-HENNING HANSEN

   »Endlich wieder etwas tun!« Das           Ausgabe. Per Post gehen sie raus an eini-    Gründung. Viele Jahre hatte ich ein sehr
habe er sich vor vier Jahren gedacht, sagt   ge Autorinnen und Fotografen des Hefts       nettes Verhältnis zu meinem Stamm-
Dietrich Anger heute. Damals hatte der       sowie die darin Interviewten und Foto-       verkäufer, bis der leider verstorben ist.«
Kieler nach längerer Zeit seine gesund-      grafierten. Ärztinnen und Anwälte, die       Also meldete er sich bei uns. Gemeinsam
heitlichen Probleme überwunden, und          unser Wartezimmer-Abo abgeschlossen          mit unserem damaligen Geschäftsfüh-
er war auf der Suche nach einer neuen        haben, bekommen ihre Ausgabe zuge-           rer überlegte er, wie er am besten helfen
Aufgabe. »Ich war fit und im Ruhestand:      sendet, wie auch andere Straßenma-           könne – und sie kamen auf den Maga-
Also konnte ich mich gut für andere          gazine, mit denen wir postalisch Hefte       zinversand. »Eine schöne Aufgabe, bei
Menschen einsetzen«, sagt Dietrich.          austauschen. Zudem stehen jeden Monat        der ich selbst entscheiden kann, wann
   Seither ist der heute 71-Jährige einer    drei Bücher auf Dietrichs Liste: Sie wer-    genau am Monatsende ich sie erledige.«
von vielen Helfenden, die ehrenamt-          den verschickt an die Gewinnenden un-        Und auch seine Frau unterstützt ihn bei
lich wichtige Aufgaben bei HEMPELS           seres Sofa-Rätsels. Insgesamt brauche er     seinem Ehrenamt. »Als ich einmal Rü-
übernehmen: Sie unterstützen etwa            dafür »drei bis vier Stunden – je nach Ta-   cken hatte – wie man so sagt –, ist sie mit
die Teams des Mittagstisches und der         gesform und Menge«. Den großen Stapel        in die Redaktion gekommen und hat mir
Trink­räume, sie übernehmen Fahrdiens-       adressierter und frankierter Versand-        geholfen.«
te und Verwaltungsaufgaben, und sie          taschen müssen andere Mitarbeitende              Neben seinem Engagement für uns
bieten Sprachkurse für Verkaufende an,       dann nur noch zur Post bringen.              nutzt Dietrich seinen Ruhestand auch
die nicht so gut Deutsch können. Unser          Routine hilft Dietrich bei seiner Auf-    dazu, sich intensiv mit Musik, Fotogra-
Geschäftsführer Lukas Lehmann sagt:          gabe: »Ich weiß inzwischen, wo ich alle      fie und Literatur zu beschäftigen, seinen
»Ehrenamtliche helfen uns, anderen zu        wichtigen Gegenstände wie Schere,            »großen Leidenschaften«. Und jeden
helfen. Ohne sie wären viele Bereiche        Kleber und Versandtaschen im Redak-          Monat steckt er ein Heft unseres Stra-
unserer Arbeit undenkbar – deshalb           tionsraum finde und wie alles funktio-       ßenmagazins nicht in eine Versandta-
können wir ihnen gar nicht genug dan-        niert – das spart Zeit.« Und die nutzt er    sche, sondern klemmt es sich unter den
ken!« Stellvertretend für sie alle stellen   gerne für einen kurzen Schnack mit den       Arm. »Für die Lektüre zu Hause. Als
wir an dieser Stelle Dietrich Anger und      anderen Mitarbeiterinnen und Mitar-          langjähriger Leser freue ich mich, nun
sein Engagement vor.                         beitern; »auch wenn wir uns natürlich        zum HEMPELS-Team zu gehören – und
   Zum Interview treffen wir Dietrich,       nicht gegenseitig von der Arbeit abhal-      solange meine Gesundheit mitspielt,
der mit allen im Haus per Du ist, in der     ten wollen«, sagt er und lacht. Nach ei-     möchte ich auf jeden Fall weitermachen.«
Kieler Schaßstraße. Seit 2017 kommt er       nem abgebrochenen Jura-Studium hat
einmal im Monat hierher und setzt sich       der gebürtige Rendsburger zunächst als          Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser,
dann in unserem Redaktionsraum auf           Einzelhandels- und Industriekaufmann         HEMPELS ehrenamtlich unterstützen
ein Sofa. Vor ihm auf dem Tisch: ein Sta-    gearbeitet, anschließend viele Jahre bis     wollen, schreiben Sie einfach eine E-Mail
pel Versandtaschen sowie Kartons voll        zu seiner Rente als Sacharbeiter einer ge-   an verwaltung@hempels-sh.de oder ei-
frisch gedruckter Magazine. Jede Tasche      setzlichen Unfallversicherung.               nen Brief an HEMPELS e.V., Schaßstra-
beklebt Dietrich mit einer ausgedruck-          Nun ist er bei HEMPELS – warum            ße 4, 24103 Kiel. Gemeinsam finden wir
ten Adresse und steckt ein oder mehrere      eigentlich? Engagieren könnte man sich       bestimmt eine Möglichkeit, wie Sie Ihre
Hefte hinein – monatlich etwa 120 bis        ja auch woanders. Dietrich sagt: »Das        Talente bei uns einbringen können.
200 Exemplare der neuen HEMPELS-             Straßenmagazin lese ich fast seit seiner

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»Eine schöne Aufgabe«: Der 71-jährige Dietrich Anger kümmert sich ehrenamtlich um unseren Magazinversand.

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                                             Roadtrip
                 Wie kommen unsere Verkaufenden eigentlich an ihre Hefte?
                  Wir sind mitgefahren bei einer Auslieferung zu unseren
                             Partnerorganisationen im Land

           TEXT: GEORG MEGGERS, FOTOS: TILMAN KÖNEKE, GEORG MEGGERS

   8:42 Uhr, Schaßstraße Kiel. Im            fenden vor Ort. Fin Jacobsen arbeitet
HEMPELS-Vereinscafé »Zum Sofa«               erst seit kurzem hier, »aber wir haben
stürzt Jan Hölzel noch schnell die letz-     uns schon mal gesehen, oder?«, fragt
ten Schlucke seines Kaffees hinunter.        Jan. »Ja«, sagt Fin Jacobsen. »in Kiel-

                                                                                                            Foto: MGG
Den Lieferwagen im Innenhof hatte            Gaarden. Dort habe ich vorher für
er zuvor schon mit grauen Pappkar-           Wohnungslose und Bedürftige gear-
tons beladen; nun startet er den Motor       beitet – und wir haben uns bei einem
und dreht an der Musikanlage. Ra-            Mittagstisch getroffen, den du belie-
dio? »Nee, Johnny Cash«, sagt Jan und        fert hast.«
lacht. Wenig später ist er auf der Au-
tobahn. Ziel Nummer eins: Schleswig.
   Jan Hölzel ist seit über 20 Jahren
bei HEMPELS. Im ersten Jahr war der                         Radio?
heute 57-Jährige Straßenverkäufer,
seither ist er in Teilzeit fest angestell-       »Nee, Johnny Cash«,
ter Mitarbeiter. Eine Stellenbeschrei-
bung von Jan würde mehrere Seiten                   sagt Jan und lacht
befüllen – oder man fasst sie in dieser
Zeile zusammen: Jan hilft, wo Hilfe
benötigt wird. Eine seiner Aufgaben:
Im Wechsel mit einem Kollegen liefert           Etappenziel zwei ist Flensburg. Un-
er warme Mahlzeiten an wohnungslo-           sere Außenstellen dort sowie in Husum
se und bedürftige Menschen aus. Und          und Lübeck bekommen ihre Hefte di-
sie fahren jeden Monat Exemplare der         rekt vom Druckort in Westerrönfeld
neuen Ausgabe unseres Straßenmaga-           per Spedition geliefert. Dass Jan trotz-
zins – verpackt in graue Pappkartons         dem nach Flensburg fährt, hat einen
– zu den Ausgabestellen in Schleswig-        besonderen Grund: Neben den grauen
Holstein. Wie heute.                         Pappkartons hat er seinen Lieferwagen
   9:27 Uhr, Norderdomstraße Schles-         auch mit Stoffbeuteln und Schirmmüt-
wig. Jan parkt neben dem St.-Petri-          zen beladen – jeweils mit HEMPELS-
Dom, dann klingelt er an der Tür des         Logo darauf. Sie sind das Weihnachts-
Diakonischen Werks. Mit Mund-Na-             geschenk unseres Vereins an die rund
sen-Schutz und Abstand reicht er ei-         220 Verkäuferinnen und Verkäufer in
nige Kartons an Fin Jacobsen. Der ist        ganz Schleswig-Holstein. In seine Stel-
Gesundheitspädagoge und berät Woh-           lenbeschreibung könnte Jan nun auch
nungslose für die Schleswiger Diako-         »Weihnachtsmann« eintragen.
nie. Zudem betreut er in Vertretung             10:37 Uhr, Johanniskirchhof Flens-
einer Kollegin unsere Straßenverkau-         burg. Wieder parkt Jan neben einem

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Seit über 20 Jahren ist Jan Hölzel bei HEMPELS. Aufgabe heute: unser neues Heft zu den Ausgabestellen in Schleswig-Holstein fahren.

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25 JAHRE HEMPELS

Sakralbau; diesmal ist es die St. Jo-
hannis Kirche. Kein Zufall, sind un-
sere Partnerorganisationen in den
verschiedenen Städten doch meist
diakonisch. Jan schnappt sich einen
Sack voller Geschenke und bringt ihn
zu den Mitarbeiterinnen des Flens-
burger Tagestreffs für wohnungslose
Männer, die unsere Verkaufenden in
Flensburg und dem Umland betreuen.
Im Tagestreff hat an diesem Vormit-
tag Sigrun Römer alle Hände voll zu
tun: Denn wie jeden Freitag gibt die
Rechtsanwältin auch heute ehrenamt-
lich Frühstücksmahlzeiten aus. Bevor
Jans Roadtrip weitergeht, noch kurz
nachgefragt: Warum tut sie das? Si-
grun Römer sagt: »Weil mir Hilfe für
Obdachlose wichtig ist.« Notiert, wei-
ter gehts. Nächster Halt: Husum.
   11.46 Uhr, Poggenburgstraße eben-                          Gleich gehts los: Jan in der Kieler Schaßstraße vor dem beladenen Lieferwagen.
dort. Vor der Bahnhofsmission des Di-
akonischen Werkes Husum treffen wir           Wohnungslose. Und er betreut unsere             Obdachlosen geht, die sich auf dem
Erk Paulsen. Der Diplom-Sozialpäda-           Husumer Straßenverkaufenden. Eben               Marktplatz und anderswo aufhalten.
goge und Diakon leitet die Bahnhofs-          war Erk Paulsen in der Stadt unter-             »Und ich habe vorhin eine Wohnung
mission sowie die Beratungsstelle für         wegs – um nachzuschauen, wie es den             für einen wohnungslosen Herrn ge-
                                                                                              funden. Hoffentlich klappt das!« Für
                                                                                              unsere Verkäufer lässt Jan Stoffbeutel
                                                                                              und Schirmmützen da, dann steigt er
                                                                                              wieder in den Lieferwagen. »Tschüss,
                                                                                              Erk!«

                                                                                                         An jedem Ort
                                                                                                        engagieren sich
                                                                                                   Menschen für andere

                                                                                                 Um einem Stau auszuweichen, fährt
                                                                                              Jan durch einige kleinere Örtchen zu
                                                                                              unserer letzten Etappe nach Rends-
                                                                                              burg. Zeit, ein wenig über unsere Aus-
                                                                                              gabestellen nachzudenken. Überall,
                                                                                              wo wir heute waren, engagieren sich
                                                                                              Menschen für andere Menschen, die
                                                                                              keine Wohnung haben oder sogar auf
                                                                                              der Straße leben. So wie HEMPELS es
                                                                                              in Kiel tut – und so, wie wir es auch mit
Sigrun Römer gibt im Flensburger Tagestreff für wohnungslose Männer ehrenamtlich              unserem Straßenmagazin tun wollen.
Frühstücksmahlzeiten aus. Jan trifft sie auf seiner zweiten Station.                          Für uns sind sie somit die perfekten

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Erste Etappe: Jan (li.) und Fin Jacobsen von der Schleswiger Diakonie.

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25 JAHRE HEMPELS

Partnerorganisationen. (Das gilt na-
türlich auch für unsere nächste Station
an diesem Tag in Rendsburg sowie für
die Zentrale Beratungsstelle für Män-
ner der Vorwerker Diakonie – unsere
Lübecker Ausgabestelle –, die heute
nicht auf Jans Route liegt.)

     Auf dem Handy ploppt
        eine Nachricht auf:
      »FEIERABEND!!!!«

   13:13 Uhr, Materialhofstraße Rends-
burg. Anke Höft und die anderen Mitar-
beiterinnen der Rendsburger Tafel haben
gerade Mahlzeiten an Wohnungslose
und Bedürftige verteilt; Kartoffelpü-
ree, angedickten Kohl und Seelachs-
filet. Nun steht Jan vor der Tür – mit
einem Stapel grauer Pappkartons und
einer Tüte voller Weihnachtsgeschen-
ke für unsere Rendsburger Verkau-
fenden in den Händen. »Schön, dass               Dritter Halt in Husum: Jan (li.) und Erk Paulsen, der die Bahnhofsmission
                                                                         sowie die Beratungsstelle für Wohnungslose leitet.
wir uns treffen, Anke«, sagt Jan. Zum
Abschied bekommt er von Anke Höft
noch einen selbstgenähten Mund-Na-
sen-Schutz geschenkt. »Sieht richtig
cool aus«, sagt er und setzt ihn sich
gleich auf.
   14:25 Uhr, Jan ist zurück in der
Schaßstraße. Feierabend? »Nee.« Er
muss gleich weiter: Mahlzeiten abho-
len, die am nächsten Tag von unserem
»Mittagstisch Manna« ausgegeben
werden. Um 15:01 Uhr ploppt auf dem
Handy dann eine Nachricht von Jan
Hölzel auf – in Großbuchstaben und
mit vier Ausrufezeichen versehen:
»FEIER ABEND!!!!«

                                                Im Innenhof der Rendsburger Tafel: Anke Höft hat Jan einen selbstgenähten
                                                                                         Mund-Nasen-Schutz geschenkt.

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  Telefon (04 31) 67 44 94; verwaltung@hempels-sh.de

                                Das Straßenmagazin für Schleswig-Holstein

He mpe l s # 2 97 2/2 02 1                                                  a nze ige n | 2 9
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                                    Viel gefragt
     Die Zentrale Beratungsstelle der Vorwerker Diakonie Lübeck betreut
  unsere Verkaufenden aus der Region. Ein Besuch an einem offenen Fenster

                                               TEXT UND FOTOS: GEORG MEGGERS

   »Kann man auch weniger schief               Seine Erklärung muss warten. Ein          gleich zu Arbeitsbeginn erledigen woll-
machen«, sagt Thomas Grümmer und            Interview mit Thomas zu führen ist           te: die Post. »Das ging aber nicht – als
lacht. Von außen blickt er auf etwas, das   nicht so einfach, denn nicht nur der         ich heute früh in die ZBS kam, stand
er eben von innen an die Fensterschei-      HEMPELS-Reporter möchte etwas von            schon jemand vor meinem Fenster und
be geklebt hat: ein Exemplar unseres        ihm wissen: »Wo ist …?« »Und wann ist        wartete auf die neue Ausgabe.« Als der
Straßenmagazins. Wer in der Lübecker        eigentlich …?« »Sag mal, weißt du, wer       dann seine Hefte hatte, wartete bereits
Wahmstraße die Zentrale Beratungs-          …?« Kaum jemand geht ohne Frage an           der nächste Verkäufer. Und so weiter.
stelle für Männer (ZBS) passiert, sieht     Thomas vorbei. Und schnell wird klar,           Nun greift sich Thomas eine Hand-
nun, dass wir eine neue Ausgabe drau-       warum sich alle an ihn wenden: Kom-          voll Briefe. Was es damit auf sich hat?
ßen haben. »Bisschen Werbung ma-            petent wie geduldig gibt er jedem Aus-       260 Menschen bekommen ihre Post in
chen«, sagt Thomas.                         kunft.                                       die ZBS geschickt: Sie haben keine eige-
                                               Zweiter Versuch: Warum ist dieser
                                            Tag der stressigste im Monat? »Weil wir
                                            heute die von uns verwalteten Gelder
   »Heute ist der stressigste               auszahlen – und weil heute der Verkauf       bessere zeiten
                                            der neuen HEMPELS startet.« Das ist
          Tag des Monats«                   eine weitere Aufgabe von Thomas: Er          hieß das Straßenmagazin aus Lübeck,
                                            betreut unsere Straßenverkaufenden           das 1996 zum ersten Mal erschien
                                            aus Lübeck und dem Umland. Viele             – und somit wie wir in diesem Jahr
                                            von ihnen holen sich gleich am ersten        25-jähriges Jubiläum gefeiert hätte.
   HEMPELS arbeitet in mehreren             Ausgabetag ihre Hefte für den gesam-         Wegen fehlender Finanzkraft konn-
Städten Schleswig-Holsteins mit ähn-        ten Monat. Dafür stellen sie sich mit        te Bessere Zeiten nicht regelmäßig
lich strukturierten Partnerorganisati-      Abstand draußen vor dem historischen         erscheinen, weshalb die Verkaufenden
onen zusammen, eine davon ist die zur       Stadthaus in der Wahmstraße an, um           keine sicheren Einnahmen hatten.
Vorwerker Diakonie gehörende ZBS.           sich und die Mitarbeitenden vor einer        Darum entschlossen sich Bessere
Deren Aufgabe: Menschen beraten und         Infektion zu schützen. Im Erdgeschoss        Zeiten, die Lübecker Vorwerker Di-
unterstützen, die durch das soziale Netz    der ZBS hat Thomas das Fenster gleich        akonie und HEMPELS 2008 zu einer
gefallen sind. Mitarbeitende setzen sich    neben der Scheibe mit der eingeklebten       Kooperation; seither erscheint unser
dafür ein, dass Wohnungslose und Be-        Außenwerbung geöffnet und reicht ih-         Straßenmagazin in der Hansestadt.
dürftige Grundsicherung bekommen            nen die Magazine hindurch.                   Viele ehemalige Verkäuferinnen und
und wieder krankenversichert sind.             Jetzt ist Mittagszeit. Die meisten Ver-   Verkäufer von Bessere Zeiten bieten
Zudem übernehmen sie die Geldver-           kaufenden haben ihre Hefte inzwischen        noch heute HEMPELS an. Und auch
waltung für Personen, die kein eigenes      bekommen, und Thomas holt sich ein           an der Ausgabestelle hat sich nichts
Konto besitzen. Der 51-Jährige Tho-         Käsebrötchen vom Bäcker. »Rushhour           geändert: Damals wie heute bekom-
mas, der gerade in bisschen Werbung         vorbei«, sagt er. »Zeit für ein spätes       men Lübecker Straßenverkaufende
gemacht hat, ist Mitarbeiter der ZBS.       Frühstück.« Nachdem er die Brötchen-         ihre Hefte in der ZBS. MGG
»Heute ist der stressigste Tag des Mo-      tüte zusammengeknüllt hat, nimmt er
nats«, sagt er. Warum das?                  sich eine Aufgabe vor, die er eigentlich

30 | 25 JA HR E HE MPE LS                                                                                    Hempel s # 2 97 2/2 02 1
Thomas Grümmer vor dem Eingang der Zentralen Beratungsstelle für Männer in der Lübecker Wahmstraße.

He mpe l s # 2 97 2/2 02 1                                                                                  25 JA HR E HE MPE LS | 3 1
25 JAHRE HEMPELS

                                                                                                          ne Wohnung und somit auch keine eige-
                                                                                                          ne Adresse, die sie etwa bei Ämtern oder
                                                                                                          Versicherungen angeben könnten. Tho-
                                                                                                          mas sortiert die Briefe in alphabetischer
                                                                                                          Reihenfolge in eine Kiste ein. »Wenn
                                                                                                          sich die Leute nach ihrer Post erkundi-
                                                                                                          gen, weiß ich sofort, wer was bekommt.«
                                                                                                             »Moin Chef«, sagt ein junger Mann,
                                                                                                          der in der Wahmstraße vor dem offe-
                                                                                                          nen Fenster und der etwas schief einge-
                                                                                                          klebten Außenwerbung steht. »Moin«,
                                                                                                          sagt Thomas und blickt kurz von seinen
                                                                                                          Briefen auf. Doch es folgt keine Frage auf
                                                                                                          die Begrüßung; der Mann geht weiter
                                                                                                          und Thomas kann weiter sortieren. Und
                                                                                                          auch der Reporter möchte am stressigs-
                                                                                                          ten Tag im Monat nicht weiter stören.

Bei einer seiner vielen Aufgaben: Thomas kümmert sich um die Post von Menschen, die keine
eigene Wohnung und somit keine eigene Adresse haben.

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Datum, Unterschrift                                    PLZ, Ort

3 2 | 25 JA HR E HE MPELS                                                                                                           Hempel s # 2 97 2/2 02 1
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