Spezial - LEADER: Kirche macht mit - AUSGABE 9 - BLE ...

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Spezial
  AUSGABE 9   2021

 LEADER: Kirche macht mit

                            Europäischer
                            ­Landwirtschaftsfonds
                             für die Entwicklung
                             des ländlichen Raums:
                             Hier investiert Europa
                             in die ländlichen
                             Gebiete.
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Inhalt
Seite 12                                     Seite 18                                Seite 66
LEADER – Anspruch und Wirklichkeit           Re-formiert und mitten im Raum          Das lokale Gemeinwesen geht uns alle an

Die Fotografien in diesem Heft, die besonders ausgezeichnet sind, stammen
aus dem Projekt „Lutherland“ des Leipziger Fotografen Jörg Gläscher.

EINLEITUNG                                                       … Kirche macht mit!

04       Grußworte und Editorial                                 18   	
                                                                       Re-formiert und mitten im Raum
                                                                       Lange Zeit haben sich Kirche und Theologie in Ab-
                                                                       grenzung zur Welt verstanden. Doch viele kirchlich En-
LEADER                                                                 gagierte öffnen sich den Sozialräumen, in denen sie
                                                                       agieren. Das schafft Weitblick – und neue Möglichkei-
09      LEADER – eine europäische Erfolgsgeschichte?!
       	                                                              ten für Kirche und Gesellschaft.

12     	
        LEADER – Anspruch und Wirklichkeit – Interview           21     Kirche als gute Partnerin im LEADER-Prozess
        Der LEADER-Ansatz baut darauf, dass sich Herausfor-
        derungen ländlicher Räume nicht allein durch Top-        23     Kirche im Dorf lassen
        down-Entscheidungen ferner Verwaltungen
        ­bewältigen lassen. Vor Ort können Menschen und
         Organisationen dagegen passgenaue Lösungen              Kirche macht mit – PROJEKTE
         ­entwickeln. Funktioniert das in der Praxis?
                                                                 24     Übersicht

                                                                 26     So schön sind Ferien zu Hause
INFO
                                                                 27     Ein Friedhof erwacht aus dem Dornröschenschlaf
16      Auf einen Blick – Infografiken
       	
                                                                 28     Kuchen und Kultur im Café FAIR

                                                                 29     Wie kirchliche Gebäude zu Klimaschützern werden

                                                                 30     Gemeinsam Kulturschätze bergen

                                                                 31     Vorn dabei statt hinterm Mond

                                                                 32     Allein leben, ohne allein zu sein
                                                                                                                                Titelbild: Jörg Gläscher, Fotos: Jörg Gläscher

Was bedeutet die Abkürzung LEADER?                               33     Hebammen beraten digital
LEADER steht für „Liaison Entre Actions de                       34     Vielfalt mit Tiefgang auf der Bühne
Développement de l‘Économie Rurale“,
also die Verbindung von Aktionen zur                             35     Jugend gestaltet Land
Entwicklung der ländlichen Wirtschaft.
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                                                                                       ab Seite 24
                                                                                       Kirche macht mit – PROJEKTE
                                                                                       Eine Reise durch Deutschland – von Oberschwaben bis Nord-
                                                                                       friesland, von der Oberlausitz bis an den Niederrhein. An der
                                                                                       Wegstrecke: 28 LEADER-Projekte, die von Kirchengemeinden
                                                                                       und kirchlichen Einrichtungen getragen werden. Projekte,
                                                                                       die im ländlichen Gemeinwesen verankert sind und einen
                                                                                       Beitrag zur Gestaltung des Lebens auf dem Land leisten.

                                   36    Kirche mit dem Rad erfahren                    PERSPEKTIVEN

                                   37    Über Grenzen hinweg                            54        Über das Bauen hinaus – Interview

                                   38    Alte Kirche, neue Kunst                        56        Nachhaltige Perspektiven für Kirche im Quartier

                                   39    Ein Gemeindehaus ohne Hürden                   57   	Die Zukunft der Dörfer ist die Zukunft der Kirche
                                                                                               im Dorf
                                   40   	Labor der Demokratie – Zukunftswerkstätten
                                          ländlicher Raum                               58        Aus der Netzwerkpraxis geplaudert

                                   41    Auf Verantwortung gebaut                       59        Die Arche im Lautertal

                                   42    Für mehr Bewegung im Arbeitsmarkt              60        Mit Musik gegen Extremismus

                                   43    Urlaub im Pfarrhaus                            62        Ein echter Mehrwert

                                   44    Ein altes Haus wird wieder jung                63        Kirche als Partner in der regionalen Entwicklung

                                   45    Integration fördern mit LEADER                 64        Soziale Orte voller Leben

                                   46    Neue Wege in Zeiten der Trauer                 66   	
                                                                                              Das lokale Gemeinwesen geht uns alle an – Interview
                                                                                              Wie stehen Kirche und LEADER zueinander und was
                                   47    Ein Bündnis, das dranbleibt                          erwarten sie voneinander? Was sind die Perspektiven
                                   48    Ein Ort mit Zukunft und Vergangenheit                einer fruchtbaren Zusammenarbeit? Und was ist
                                                                                              wichtig für die neue europäische Förderperiode?
                                   49    Schlafen unterm Kirchenhimmel

                                   50    Mehr als nur Denkmalschutz
                                                                                        Service
                                   51    Die Gaststätte im Dorf lassen
                                                                                        70        Wegweiser – Infos und Kontakte
                                   52   	Für einen Bewusstseinswandel im Umgang
                                          mit der Natur                                 71        Impressum
Foto: iStockphoto.com / Jan Otto

                                   53    Neues Leben im alten Waschhaus

                                                                                                                     LandInForm Spezial 9/2021   3
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Grußworte

                                                                              uns erschließen und Erfahrungen sowie Kompetenzen
                                                                              nutzbar machen: Für Belange und Fähigkeiten der Kirche
                                                                              als Ressource der Zivilgesellschaft einerseits und als Bei-
                                                                              trag zu einer strategischen Regionalentwicklung anderer-
                                                                              seits. So soll für starke lokale und regionale Partner-
                                                                              schaften geworben werden.

                                                                                Dieses Heft zeigt mit vielen Beispielen, wie in den LEADER-
                                                                                Prozessen kooperiert werden kann. Ganz praktisch prä-
                                                                                sentieren verschiedene Beiträge das breite thematische
                                                                                Spektrum der Zusammenarbeit mit den Kirchen und
                                                                              ­ihren verschiedenen Organisationen. Das fängt bei
                                                                              dem Projekt „Himmlisch Urlauben“ an, geht mit den
                                                                               ­„Telehebammen“ weiter und hört bei dem Projekt

 Liebe                                                                          „Kunstkirche“ noch lange nicht auf.

                                                                              Klar ist: Die Projekte mit einem deutlichen regionalen

 Leserinnen
                                                                              Widerhall sind die­jenigen, in denen es gelingt, viele Bür-
                                                                              gerinnen und Bürger einzubinden und über den Teller-
                                                                              rand zu schauen. Die Beteiligung an LEADER ermöglicht
                                                                              den Kirchen, sich über die seelsorgerische Aufgabenerfül-

 und Leser,
                                                                              lung hinaus mit eigenen Ideen zu präsentieren, wie sie
                                                                              Gemeinschaft und gesellschaftlichen Zusammenhalt in
                                                                              ländlichen Räumen im Rahmen von LEADER stärken
                                                                              möchten.

                   der zentrale Ansatz von LEADER ist: Menschen zusam-        Auch für die Lokalen Aktionsgruppen, die den LEADER-
                   men und die Region gemeinsam voranzubringen. Dafür         Ansatz prägen, bietet die Gemeinschaftsarbeit mit den
                   können Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände starke          Kirchen neue Chancen und einen Zugewinn an Ideen
                   Partner sein, wenn sie ihre Netzwerke für andere öffnen    und Fähigkeiten. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, dass Ak-
                   sowie Fähigkeiten und Ideen teilen. Die Lokalen Aktions­   tive aus den Kirchen und die Aktionsgruppen sich stär-
                   gruppen sind gute Platt­formen, sich kennenzulernen,       ker aufeinander zubewegen. Um die strategischen Pro-
                   zuzuhören, regional und überinstitutionell zu denken       zesse gemeinsam zu gestalten und damit sich noch
                   und miteinander zu gestalten – und damit im wahrsten       mehr Akteure an der Erarbeitung von Lokalen Entwick-
                   Sinne des Wortes über den eigenen Kirchturm hinauszu-      lungskonzepten beteiligen. Es geht bei dem Maßnah-
                   schauen.                                                   menprogramm der Europäischen Union nicht nur um
                                                                              Fördermittel, sondern um die Möglichkeit, die eigene
                   Schon jetzt wirken in vielen dieser Lokalen Aktionsgrup-   Region mitzugestalten und regionale Netzwerke zu
                   pen die örtlichen Vertreter der Kirchen aktiv mit. Sie     knüpfen. So kann Kirche auch über LEADER als Akteur
                   stimmen in Entscheidungsgremien über die Förderung         der ländlichen Entwicklung sichtbar werden, das
                   konkreter Projekte ab und bringen sich mit eigenen Pro-    eigene Wissen und Erfahrung einbringen. Damit die Re-
                   jektvorschlägen ein. Auch bei den unvermeidlichen Inter-   gionen auch mit Hilfe der Kirchen gut aufgestellt in die
                                                                                                                                              Foto: Bundesregierung/Steffen Kugler

                   essenskonflikten innerhalb der heterogenen Akteure, die    kommenden Jahre gehen.
                   in diesem Prozess agieren, nehmen sie oft eine mode-
                   rierende Funktion wahr.                                    Herzlichst

                   Diese Sonderausgabe soll einen wichtigen Beitrag leis-     Ihre Julia Klöckner
                   ten: Wir wollen die vorhandenen Schätze gegenseitig für    Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft

4 LandInForm Spezial 9/2021
Spezial - LEADER: Kirche macht mit - AUSGABE 9 - BLE ...
Grußworte

                                                                                                                  Nicole Podlinski                                  Ricarda Rabe

                                                       Liebe Leser und
                                                       Leserinnen,
                                                          ein starker ländlicher Raum ist eine      Dörfern. Ohne Kirchengemeinden,          senz motivieren tausende von
                                                          der wichtigsten Voraussetzungen für       Caritas und Diakonie sowie deren         ehrenamtlichen Helfern für das ge-
                                                          den inneren Frieden von Regionen.         Engagement in Kindergärten, Schulen,     meinsame Netz und formen so zu-
                                                          Diese ländliche Entwicklung braucht       Seniorenheimen oder der Nachbar-         sammen mit weiteren Akteuren den
                                                          jedoch eine kluge Förderung, um           schaftshilfe würden viele Menschen       sozialen Kitt.
                                                          das Richtige am richtigen Ort zu be-      einsamer sein. Die Attraktivität einer
                                                          wirken. Ein starkes Instrument hier-      Region wird eben nicht ausschließ-       Eine höhere Wirksamkeit des ge-
                                                          zu ist das LEADER-Programm, wel-          lich durch gute Straßen, Internet und    meinsamen Netzes ist gegeben, wenn
                                                          ches die innovativen Kräfte in der        Wirtschaft gewährleistet, sondern        sich unterschiedliche Akteure zusam-
                                                          Region wecken und zusammenbrin-           durch dieses vielfältige gemeinsame      mentun, um vor Ort etwas zu bewe-
                                                          gen will. Darum halten kirchliche         Netz von Engagement und Ehrenamt.        gen. So entstehen aus der Zusam-
                                                          Verbände das LEADER-Programm für                                                   menarbeit von Organisationen,
                                                          wichtig und bringen sich aktiv ein.       Dies ist der Schnittpunkt zwischen       Arbeitgebern, Kommunen und Kir-
                                                                                                    staatlicher LEADER-Förderung und         chen innovative Ideen. Im gemeinsa-
                                                          Ländliche Entwicklung umschließt          den beiden großen Kirchen. Die Kir-      men partizipativen Prozess können
                                                          nicht nur die materielle Infrastruktur,   chen und ihre ländlichen Organisati-     konkrete Ideen dann mithilfe von
                                                          wie es Straßen, Gesundheitswesen,         onen wie die Katholische Landvolk-       LEADER-Mitteln umgesetzt werden.
                                                          Schulen, Arbeitsplätze oder schnel-       bewegung Deutschlands und ihr
                                                          les Internet sind. Bei aller notwendi-    Pendant, der Evangelische Dienst         Hier sind die Kirchen mit ihren viel-
                                                          gen Voraussetzung dieser materiel-        auf dem Lande, setzen sich aktiv für     fältigen Einrichtungen, ländlichen
                                                          len Infrastruktur gibt es noch mehr:      die Menschen auf dem Land ein. Sie       Organisationen sowie den vielen Eh-
                                                          Etwas, was das Land lebens- und lie-      sehen sich als kirchliche Stimme für     renamtlichen verlässliche und kom-
                                                          benswert macht. Es ist eine Art „sozi-    das Land – auf dem Land. Die Kir-        petente Partner für LEADER-Projekte.
                                                          ale Infrastruktur“ durch Nachbar-         chen fühlen sich dem Dialog, dem         Ein gemeinsamer Einsatz für eine
                                                          schaftshilfe, Feuerwehr und               inneren Frieden und Werten wie           Entwicklung, die den Menschen in
                                                          Sportvereine sowie kommunales En-         Nächstenliebe und Solidarität ver-       den Mittelpunkt stellt.
Fotos: privat; Haus kichlicher Dienste, Jens Schulze

                                                          gagement und vielfältiges Ehrenamt.       pflichtet. Auf der Basis dieser Werte
                                                          Ohne dieses „gemeinsame Netz“ ist         eine Gemeinschaft zu schaffen und        Nicole Podlinski
                                                          ländliche Entwicklung nicht denkbar.      eine „soziale Struktur“ zu entwickeln    Bundesvorsitzende der Katholischen
                                                                                                    ist für uns Christen der wahre Schatz    Landvolkbewegung Deutschlands
                                                          Ein wichtiger Ankerpunkt in dieser        menschlichen Miteinanders.               (KLB)
                                                          sozialen Infrastruktur sind die Kir-
                                                          chengemeinden. Sie strukturieren          Das Wichtigste jedoch ist, Kirchenge-    Ricarda Rabe
                                                          nicht nur das kirchliche Leben, son-      meinden und kirchliche Einrichtun-       Vorsitzende des Evangelischen
                                                          dern bilden Gemeinschaft in den           gen mit ihrer flächendeckenden Prä-      Dienstes auf dem Lande (EDL)

                                                                                                                                               LandInForm Spezial 9/2021   5
Spezial - LEADER: Kirche macht mit - AUSGABE 9 - BLE ...
Grußworte

                                                                 Dr. Peter Neher                                              Ulrich Lilie

 Liebe Leserinnen,
 liebe Leser,

                   Dörfer und ihre Kirchen sind immer      wicklung auszugleichen. Im Vorder-      macht Kirchengemeinden zu expo-
                   wieder für eine Überraschung gut.       grund der Botschaften stehen stets      nierten Partnern auch im peripheren
                   Wo die Zusammenarbeit gesucht           die Menschen, die von Veränderun-       ländlichen Raum. Wir wünschen uns,
                   und gefunden wird, profitieren Ge-      gen betroffen sind oder diese als Ak-   dass die guten Erfahrungen, die hier
                   meinwesen – und Gemeinde. Darum         teure gestalten.                        dokumentiert sind, viele neue Akteu-
                   sind Kirche und ihre Wohlfahrtsver-                                             re zur Teilhabe bewegen.
                   bände in den vergangenen Jahren         Eine gute Möglichkeit, diese Anliegen
                   als Partnerinnen und Anregerinnen       in regionale Zusammenhänge und          Das Bild von Kirchen, die den Sozial-
                   neuer Allianzen in ländlichen Räu-      Netzwerke einzubringen, bietet das      raum aktiv mitgestalten und da-
                   men in vielfältiger Weise in Erschei-   EU-Programm LEADER. In demokra-         durch selbst neu werden, hat eine
                   nung getreten. So hat sich nicht nur    tisch verfassten Aktionsgruppen, die    Ausstrahlung, die weit über die Ge-
                   das Zusammenspiel von Einrichtun-       als öffentlich-private Partnerschaf-    meinden hinauswirkt. Die Tagung in
                   gen der Diakonie oder Caritas und       ten agieren, schmieden Vertreterin-     Altenkirchen hat dies eindrücklich
                   den Kirchgemeinden vielerorts er-       nen und Vertreter aus Kommunen,         gezeigt. Die Broschüre, die Sie hier in
                   neuert. Gleichzeitig findet auch eine   Wirtschaft und Zivilgesellschaft ge-    Händen halten, will dazu ermutigen,
                   Öffnung für Kooperationen mit wei-      meinsam Entwicklungsstrategien          sich mit auf diese neuen Wege zu
                                                                                                                                             Fotos: Deutscher Caritasverband, Anke Jacob; Diakonie, Thomas Meyer

                   teren Akteuren im Gemeinwesen           und setzen diese konzertiert um.        begeben und darauf zu vertrauen,
                   statt. Eine spannende, wechselseiti-                                            dass die Tore bereits offen sind:
                   ge Entdeckungsreise.                    In vielen LEADER-Aktionsgruppen
                                                           sind kirchliche Einrichtungen bereits   Das Land ist hell und weit.
                   Kampagnen und Jahresthemen von          vertreten. Aber es gibt durchaus
                   Caritas und Diakonie setzten immer      noch Luft nach oben: Die Potenziale     Ulrich Lilie
                   wieder inhaltliche Akzente und un-      ihrer Wirksamkeit sind längst noch      Präsident der Diakonie Deutschland
                   terstützen indirekt die notwendigen     nicht ausgeschöpft. Durch ihre flä-
                   Prozesse im ländlichen Raum, in de-     chendeckende Präsenz bieten sie         Prälat Dr. Peter Neher
                   nen sich die Akteure vor Ort dem        eine hervorragende räumliche und        Präsident des Deutschen Caritas­
                   Strukturwandel stellen und so ver-      institutionelle Verankerung bis in      verbandes
                   suchen, Disparitäten regionaler Ent-    sehr entlegene Gegenden. Das

6 LandInForm Spezial 9/2021
Spezial - LEADER: Kirche macht mit - AUSGABE 9 - BLE ...
Editorial

Liebe Leserinnen
und Leser,
dieses Heft kommt zur richtigen Zeit: Eine europäische Förder­periode ist
 zu Ende und die Vorbereitungen für die kommende laufen. In einigen
­Bundesländern beginnen die Bewerbungsrunden für die Lokalen LEADER-
 Aktionsgruppen im Februar 2021. ­Bewährtes und neue Ideen werden derzeit
 diskutiert und fließen dann in die regionalen Entwicklungskonzepte.

Die Deutsche Vernetzungsstelle Ländliche Räume ist vor etwa fünf Jahren auf
Kirchen und Wohlfahrtsverbände zugegangen. Damals wurden kirchliche Ak-
teure im LEADER-Umfeld durch gute Projekte und viel Engagement verstärkt
sichtbar. Und das war eine sich ergänzende Bewegung. Zeitgleich startete der
Deutsche Caritasverband 2015 seine Kampagne „Stadt – Land – Zukunft“, die
sich mit den vielfältigen Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf
ländliche Räume auseinandersetzte. Seitdem ist der ländliche Raum kontinu-
ierlich im Fokus. Aktuell erprobt die Diakonie Deutschland mit dem Projekt
„Dörfer mit Zukunft“, wie sich das soziale Miteinander in ländlichen Räumen
durch neue Möglichkeiten der Digitalisierung fördern lässt.

Die Bezüge zu den von der Europäischen Union gesetzten Themen sind un-
übersehbar: Neben dem verstärkten Kampf gegen den Klimawandel und für
mehr Biodiversität geht es hier auch um Smart Villages und soziale Belange
in der Daseinsvorsorge. In der Kirche ist es Tradition, dass sich Ehrenamtliche
und Hauptamtliche gegenseitig unterstützen. Häufig sind Ehrenamtliche für
ihre Aufgabengebiete speziell geschult, beispielsweise in der Sozialberatung,
als Seniorenbeauftragte, für Einkaufs- oder Fahrgemeinschaften sowie in der
Begleitung von Migranten.

Die Kommunikation in Gruppen und Aushandlungsprozesse mit verschiede-
nen Partnern laufen dabei ähnlich ab wie bei LEADER-Gruppen und ihren re-
gionalen Netzwerken. Hier, wie im kirchlichen Kontext, werden in Kooperation
mit anderen Angebote entwickelt, Kenntnisse ausgetauscht und damit ver-
schiedene Zielgruppen erreicht. Man ist sich also näher, als man erwarten
könnte. Das zeigt sich auch beim Vergleich der Programmorganisation:
Kirchliche Strukturen warten mit ähnlicher Komplexität auf wie LEADER.

Seit einigen Jahren ist ein zunehmendes Interesse kirchlicher Einrichtungen
an LEADER zu erkennen. Und LEADER-Managements haben durch eine wach-
sende Präsenz von Gemeinden und Wohlfahrtsverbänden in Lokalen Aktions-
gruppen ein besseres Verständnis von Kirche entwickelt; man hört sich mitt-
lerweile geduldiger zu – und lädt einander ein.

Das Potenzial dieser Annäherung und Zusammenarbeit ist noch
lange nicht erschöpft.

Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre!

Leiter der Deutschen Vernetzungsstelle Ländliche Räume

                                                                                  LandInForm Spezial 9/2021   7
Spezial - LEADER: Kirche macht mit - AUSGABE 9 - BLE ...
Marienbrunnen,
                                                                                              Landsberg am
                                                                                              Lech

Europas Sterne
über weitem Land
„Kirche und LEADER – Welten verbinden und Kräfte bün-      Wir alle sind Europa – das europäische Projekt ist auf
deln“ war unser Motto, als wir uns im März 2019 in Al-     eine starke Zivilgesellschaft insbesondere im ländlichen
tenkirchen im Westerwald trafen. Über 120 Teilnehmen-      Raum mehr denn je angewiesen. Wie wichtig es ist, die
de von LEADER-Aktionsgruppen und kirchlichen               Kräfte in der Region zu stärken, zeigt auch die Corona-
Institutionen kamen zusammen, um Antworten auf die         Pandemie: Die Europäische Union sollte vor Ort besser
Fragen zu finden: Wie aktiv sind Kirchen und ihre Wohl-    in die politische Diskussion gebracht, sichtbarer ge-
fahrtsverbände als Akteure in LEADER-Aktionsgruppen?       macht werden. Aus unserer Sicht ist kaum ein europäi-
Und: Wie kann die Zusammenarbeit in Zukunft gestärkt       sches Programm dafür besser geeignet als der LEADER-
werden?                                                    Ansatz, der auch in der europäischen Förderperiode
                                                           2021 bis 2027 angemessen ausgestattet sein, ja, mög-
In lebendigen und oft auch kurzweiligen Formaten hiel-     lichst effektiv aufgestockt werden sollte.
ten viele der Diskussionsteilnehmenden es für wichtig,
dass zwischen kirchlichen Akteuren und den LEADER-         Man muss kein Sterndeuter sein, um zu spüren, dass der
Regionen ein Austausch stattfindet. Denn die Kirche        Geist von Altenkirchen nachwirkt. Und wir wollen ihn
könne nicht nur ihr Engagement einbringen, sondern         gerne lebendig erhalten, indem wir auch Ihnen, liebe
auch ihre Strukturen, die anderen, kleinen Trägern zu-     Leserinnen und Leser, mit dieser LandInForm-Sonder-
gutekommen.                                                ausgabe ein wenig Gelegenheit schaffen, daran teilzu-
                                                           haben.
                                                                                                                                              Foto: Albrecht Fietz, https://pixabay.com

Von welchem Stern die Akteure kamen, vermittelte die
thematische Bandbreite ihrer Projekte. Sie reichte vom     Eine anregende Lektüre wünschen
Umgang mit Leerständen über Nachhaltigkeit und neue
Wohnformen in der alternden Gesellschaft bis hin zu        Volker Amrhein (Diakonie Deutschland), Stefan Kämper
Netzwerkthemen. Andere Akteure wiederum beschäftig-        (Deutsche Vernetzungsstelle Ländliche Räume),
ten sich mit der regionalpolitischen Forderung, Kirche     Barbara Siebert (Evangelisch-lutherische Landeskirche
und LEADER-Gruppen mögen doch (noch) aktiver aufei-        Hannovers), Ulrike Truderung (EKD, Büro
nander zugehen.                                            Brüssel), Dr. Johan Wagner (Evangelische
                                                           Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische          SERVICE:
Dass es sich für beide Seiten lohnt, die Kräfte zu bün-    Oberlausitz), Susanne Wander (EKD,            Dokumentation der Veranstaltung
deln, zeigen viele der in diesem Heft vorgestellten Bei-   Büro Brüssel)                                „Kirche und LEADER – Welten verbin-
spiele. Und sie dokumentieren auch: Mehr als andere                                                      den und Kräfte bündeln“ und die
Programme macht LEADER deutlich, dass Europa wirkt –       für das Redaktionsteam                       „Erklärung von Altenkirchen“ unter:
und zwar vor Ort.                                                                                      www.netzwerk-laendlicher-raum.de/
                                                                                                       kircheundleader

     8 LandInForm Spezial 9/2021
Spezial - LEADER: Kirche macht mit - AUSGABE 9 - BLE ...
LEADER

LEADER – eine
europäische
Erfolgsgeschichte?!
Der vor fast 30 Jahren von der Europäischen Kom-
mission entworfene Regionalentwicklungsansatz
stellt eine europäische Erfolgsgeschichte dar. Aber
LEADER steht heute im Spannungsfeld von Experi-
ment und Standardförderung, hohem Wirkungsgrad
vor Ort und „Bureaucrazy“. [VON PEDRO BROSEI]

Ende der Achtzigerjahre entwickelten   schen Strukturfonds angebunden.          zeichnung CLLD (Community-Led
progressive Köpfe in der General­      Die Gemeinschaftsinitiative wurde        Local Development). In Deutschland
direktion Landwirtschaft der Euro-     nun über Programme der Mitglied-         wurde außer in Sachsen-Anhalt nur
päischen Kommission die Idee zu        staaten umgesetzt, die die Kommis-       sehr zurückhaltend von diesem
LEADER. Im Jahr 1991 wurde der An-     sion zuvor genehmigt hatte. So lag       Wachstumspotenzial für LEADER
satz als eine der sogenannten „Ge-     die Verantwortung für die ordnungs-      durch eine Finanzierung mit mehre-
meinschaftsinitiativen“ auf den Weg    gemäße Abwicklung nun bei den            ren Fonds (Multifonds-Ansatz) Ge-
gebracht. Diese startete die EU, um    Mitgliedstaaten – und sie mussten        brauch gemacht.
verschiedene sektorale und räumli-     Projekte mit eigenem Geld kofinan-
che Herausforderungen zu bewälti-      zieren. In dieser Phase wurde LEADER     Mit LEADER wollte die EU der zu­
gen. Ein Beispiel dafür ist auch die   in Deutschland auch erstmals in den      nehmenden Bedeutung der Politik
Initiative INTERREG, mit der neue      neuen Bundesländern umgesetzt.           für ländliche Entwicklung Rechnung
grenzübergreifende Ansätze erprobt     Mit dem Nachfolger LEADER+ von           ­tragen: Sie schuf ein Instrument, das
wurden. LEADER sollte das Labor ei-    2000 bis 2006 konsolidierte sich die      zunächst vor allem Einfluss auf die
nes neuartigen Förderinstruments       Arbeit der LAG, wobei sich LEADER         Entwicklung in eher sozial und wirt-
für den ländlichen Raum sein. Da-      nun erstmals vollständig aus dem          schaftlich abgehängten ländlichen
mals hätte wohl niemand gedacht,       Europäischen Agrarfonds finanzierte.      Gebieten nimmt. Das Einzigartige
dass 30 Jahre später das LEADER-­      Die größte Veränderung für LEADER         daran: In den ländlichen Regionen
Logo mit der Pflanze von Transsylva-   folgte ab der Förderperiode 2007 bis      vor Ort sind Akteure verschiedener
nien bis zum Alentejo in Portugal,     2013 mit über 2 000 LAG nach der          Sektoren von Beginn an in den Pro-
von Sizilien bis Lappland an Eingän-   ­Erweiterung der EU nach Osten, die       zess eingebunden. Sie setzen gebiets-
gen zu Gemeinschaftshäusern, Mu-        LEADER in Pilotprojekten zuvor be-       bezogene Entwicklungsstrategien
seen und vielen anderen Orten zu        reits getestet hatten. Es war aber       um, die sie selbst partizipativ erar-
sehen ist.                              gleichzeitig auch der große Umbruch      beitet und beschlossen haben – ein
                                        für LEADER, da der Ansatz nun als        Bottom-up-Ansatz.
Neue Regelungen mit jeder               „horizontale Maßnahme“ für die Mit-
Förderperiode                           gliedstaaten verpflichtend in die       Das Ziel: Lücken schließen
Die erste Generation von Lokalen        Programme überführt wurde, die          Auch heute noch soll LEADER andere
Aktionsgruppen (LAG) von 1991 bis       aus dem Europäischen Landwirt-          Förderinstrumente ergänzen – indem
1994 bekam noch 100 Prozent des         schaftsfonds für die Entwicklung des    es vorhandene Ressourcen aktiviert
Geldes direkt von der Kommission        ländlichen Raums (ELER) finanziert      und Prozesse anstößt. Es geht dabei
überwiesen, die Verwaltungen der        werden (mit mindestens fünf Pro-        weniger um „harte“ Investitionen
Mitgliedstaaten nahmen auf LEADER       zent der Mittel). Von nun an unterlag   wie Bau- oder Infrastrukturmaßnah-
keinen Einfluss. Die zweite Genera­     LEADER auch deren strikteren Re-        men, sondern um „weichere“ Projek-
tion in der Gemeinschaftsinitiative     geln. Neu in der Förderperiode 2014     te wie Konzepte, Aktionen zur Be-
LEADER II von 1995 bis 1999 zählte      bis 2020 war die Einführung des LEA-    wusstseins- oder Imagebildung oder
mehr als 900 LAG und war bereits an     DER-Ansatzes in die fünf Struktur-      auch Personalkosten. LEADER soll
die Verwaltungsabläufe der Europäi-     und Investitionsfonds unter der Be-     auch Lücken schließen und Akteuren

                                                                                  LandInForm Spezial 9/2021   9
Spezial - LEADER: Kirche macht mit - AUSGABE 9 - BLE ...
Elbtaufe bei Dessau

 unter die Arme greifen, für die im       prägt, war LEADER wie für diese Län-   ländlichen Tourismus und die Wert-
 ländlichen Raum andere Fördertöp-        der gemacht: Mit etwas Geld konnten    schöpfung durch regionale Produk-
 fe nur schwierig zu finden sind, etwa    die LEADER-Regionen selbst über die    te, sondern organisierten auch etwa
 in Bereichen wie Kultur und Kultur-      Förderung interessanter Projekte       berufliche Wiedereingliederungs-
 erbe. In den ersten Jahren galt dies     entscheiden und dadurch die Ent-       programme oder Fahrdienste in ih-
 auch sehr stark für die Förderung        wicklung nachhaltig verbessern,        ren Regionen. So waren sie für den
 der Vermarktung von regionalen           ohne dafür in der Hauptstadt nach-     wirtschaftlichen Aufschwung des
 Produkten und des ländlichen Tou-        fragen zu müssen. In diesen Ländern    Landes mit verantwortlich.
 rismus. Im Lauf der Zeit konnten         bildeten sich durch LEADER gut
 sich in diesen Bereichen viele ländli-   funktionierende regionale Agenturen    Einige sagen, dass der Stimulus
 che Gebiete in Europa gut positio-       für ländliche Entwicklung, die ange-   durch Europa essenziell für solche
 nieren – nicht zuletzt durch die Hilfe   sichts schwacher kommunaler            Prozesse in den ärmeren Mitglied-
 von LEADER. Die Ergebnisse fußen         Strukturen und fehlender regionaler    staaten war. Entsprechend dem Fi-
 letztendlich auf guter sektorenüber-     Wirtschaftsförderung im Laufe der      nanzschlüssel für die Verteilung der
 greifender Zusammenarbeit von            Zeit weitreichende Aufgaben als Ent-   EU-Gelder haben die LEADER-Regio-
­Ehrenamtlichen aus der Zivilgesell-      wicklungs-Broker übernahmen und        nen in diesen Ländern vergleichs-
schaft, Verwaltung und Wirtschaft.        auch für die finanzielle Abwicklung    weise mehr Gelder erhalten, wobei
Viele Engagierte sind mit voller Be-      der Programme verantwortlich wa-       zu bedenken ist, dass diese Mittel
geisterung dabei, sie sprechen vom        ren.                                   oft die einzige Finanzquelle darstell-
sogenannten „LEADER spirit“.                                                     ten, um Rückstände im ländlichen
                                          Vielfältige Umsetzung in Irland        Raum aufzuholen.
Heute ist der größte Teil der ländli-     In Irland, einem mit sechs Millionen
chen Räume in der EU mit LEADER           Einwohnern bevölkerungsmäßig           Engagement über die EU-Grenzen
abgedeckt. Fast 4 000 LAG setzen          kleinen Land mit überwiegend ärme-     hinweg
Bottom-up-Strategien in ihren Regi-       ren ländlichen Strukturen, verwalte-   Dabei hat sich LEADER über jede
onen um. Vor allem dort, wo LEADER        ten gemeinnützige sogenannte Local     EU-Erweiterung hinaus auch jenseits
neu ist, und für die Selbstorganisati-    Development Companies Budgets in       der EU-Grenzen etabliert, insbeson-
on der Zivilgesellschaft im ländlichen    Höhe von mehreren Millionen Euro.      dere in den EU-Nachbarstaaten im
Raum eine große Rolle spielen kann,       Dem LEADER-Prozess wurde nach          Balkan und im Kaukasus. Dort wur-
ist der Enthusiasmus am größten. So       seinem Start damit eine viel größere   den LAG in Pilot-Projekten gegrün-
war es auch Anfang der 90er-Jahre         Bedeutung zugemessen als in            det, finanziert durch Gelder aus der
in den ländlichen Räumen der da-          Deutschland, wo die LAG mit deut-      Entwicklungshilfe. Diese testen die
                                                                                                                                 Foto: Jörg Gläscher

mals ärmeren Mitgliedstaaten wie          lich weniger Mitteln ausgestattet      Methode vor Ort, unterstützt durch
Irland, Spanien oder Portugal. Struk-     waren. Die Iren kümmerten sich mit     Expertise aus der EU. So haben
turschwach und zentralistisch ge-         LEADER-Mitteln nicht nur um den        ­LEADER-Akteure aus der EU früh

    10 LandInForm Spezial 9/2021
LEADER

­angefangen, beim Aufbau von Akti-      Steigende Bürokratie bringt              von LEADER enttäuscht abgewandt
onsgruppen in den Beitrittsstaaten      neue Hürden                              oder haben, wenn sie immer noch
und Nachbarstaaten mitzuhelfen,         Bei der Einbettung von LEADER in         mit Begeisterung dabei sind, zumin-
nicht zuletzt unterstützt durch die     die ELER-Programme seit 2007 wur-        dest einen kritischen Blick auf die
ebenfalls von der EU geförderte eu-     de die Förderung allen Regeln für        Entwicklung, den die Umsetzung des
ropäische Vernetzungsarbeit.            die Umsetzung von Standardmaß-           LEADER-Ansatzes im Lauf der Zeit
                                        nahmen unterworfen. Das bedeutete        genommen hat. So wie etwa Stefan
Neben der wichtigen Vernetzung auf      für alle Beteiligten einen erhöhten      Niedermoser, Regionalmanager aus
nationaler und europäischer Ebene       Verwaltungsaufwand. Es fehlte die        Österreich: „Rückblickend ist LEADER
setzte die EU auch auf transnationa-    Freiheit aus der Zeit der Gemein-        immer noch das beste und richtige
le Kooperation, die für Akteure im      schaftsinitiativen, relativ unkompli-    Instrument für eine integrierte Regi-
ländlichen Raum ein Novum war. Sie      ziert zu fördern. Zudem verlangte        onalentwicklung und genießt bei
sollte ein gewisses Extra darstellen,   der Europäische Rechnungshof nun         der Bevölkerung hohes Ansehen.
den LAG einen Blick über den Teller-    die strenge Einhaltung dogmatischer      Aber irgendwie haben wir unsere
rand gewähren und Inspiration für       Merkmale des LEADER-Ansatzes (s. S.      Mission verloren. Wir haben uns zu
neue Ideen bieten.                      16). So gab die EU in der Verordnung     sehr auf Regeln und Vorschriften
                                        beispielsweise vor, dass der Anteil      konzentriert, anstatt an den LEADER-
Austausch, der verbindet                der Wirtschafts- und Sozialpartner       Ansatz und die Verantwortung einer
Ein typisches Kooperationsprojekt       des Entscheidungsgremiums größer         Region zu glauben und ihm zu ver-
umfasst zum Beispiel, gemeinsam         als 50 Prozent sein muss, damit Mit-     trauen. Auch das Vertrauen und der
einen Umsetzungsansatz für die          glieder aus Politik und Verwaltung       Mut der Verwaltung müssen gestärkt
­Regionalentwicklung zu erarbeiten,     nicht dominieren. Bestehende LAG         werden, und wir müssen LEADER in
 wie etwa im Projekt „Flourishing       mussten sich mit den neuen Regeln        allen Facetten kommunizieren, nicht
 ­destinations approach“. Aktions-      arrangieren, die neueren (insbeson-      nur als Förderinstrument.“
gruppen aus Gemeinden in Rumäni-        dere in Osteuropa) haben nie etwas
en, Belgien und Schottland haben        anderes kennengelernt als die „Bu-       Angst um LEADER muss man den-
gemeinsam ein Modell geschaffen,        reaucrazy“, wie es ein niederländi-      noch nicht haben. Hinter den 4 000
wie die Bewohner der Regionen           scher Regional­manager ausdrückte.       LAG in Europa stecken zumeist moti-
selbst einen nachhaltigen Tourismus     Erfahrungen aus der aktuellen För-       vierte Akteure und viele verantwor-
entwickeln können – trotz aller Un-     derperiode zeigen auch, dass der         tungsvolle Politiker unterstützen
terschiede. Obwohl solche Aus-          neue Multi­fonds-Ansatz in seiner        diesen Prozess wohlwollend. Es gibt
tauschprojekte oft keine messbaren      Konzeption und Umsetzung kompli-         genug Freunde von LEADER – in 27
Ergebnisse hinterlassen, erhöht sich    ziert ist, da die Regeln der verschie-   Ländern der Europäischen Union
die Identifikation mit Europa als       denen Fonds mitunter parallel gel-       und darüber hinaus. Kaum etwas
Raum des Zusammenlebens. LEADER         ten.                                     charakterisiert LEADER wohl besser
wurde deshalb schon oft als das EU-                                              als ein afrikanisches Sprichwort:
Programm neben Erasmus+ bezeich-        Doch die kritischen Stimmen wurden       „Wenn du schnell gehen willst, geh
net, das den Austausch von Bürgern      gehört. In der Vorbereitung auf die      alleine; aber, wenn du weit gehen
in Europa mit in den Vordergrund        anstehende Förderperiode gibt es         willst, geh zusammen.“
stellt.                                 nun spürbare Anstrengungen, den
                                        Umsetzungsprozess zu entbürokrati-
Es gibt jedoch seit jeher auch kriti-   sieren, etwa durch die Einführung
                                                                                          KONTAKT:
sche Stimmen zur Effizienz von          vereinfachter Fördergrundsätze für
­LEADER, sei es im Hinblick auf die     Projekte. Es bleibt abzuwarten, wie               Pedro Brosei
 Nachhaltigkeit der Projekte, die Um-   sehr die Mitgliedstaaten diesen Vor-             Bundesarbeitsgemeinschaft
 setzungsstrukturen im Spannungs-       schlägen folgen.                                 der LEADER-Aktionsgruppen
 feld zwischen Bottom-up und Top-                                                       in Deutschland (BAG LAG)
 down und vor allem die übermäßige      Wenn man Akteure befragt, die                  pedro.brosei@baglag.de
 Bürokratie.                            schon in den Anfangsjahren dabei               www.baglag.de
                                        waren, haben sie sich entweder

                                                                                   LandInForm Spezial 9/2021   11
LEADER

                                                                    LEADER ist das Instrument,
                                                                    das den Menschen vor Ort
                                                                    die Chance gibt,
                                                                    mitzubestimmen.“
                                                                    Heiko Bansen

                 Meike Lücke                     Heiko Bansen

LEADER – Anspruch
und Wirklichkeit
Mit dem LEADER-Ansatz ist der Gedanke verbunden,          Meike Lücke ist seit 2006 Regionalmanagerin der
                                                          LEADER-Region Wesermarsch in Bewegung in Nieder-
dass sich Herausforderungen in ländlichen Gebieten        sachsen und Vorsitzende des Niedersächsischen
nicht durch Top-down-Entscheidungen von Verwaltun-        LEADER-Lenkungsausschusses.
                                                          www.wesermarsch-in-bewegung.de
gen in weit entfernten Städten lösen lassen. Vielmehr
sollen die Menschen und Organisationen auf lokaler        Heiko Bansen ist seit 2002 Regionalmanager der
                                                          LEADER-Region Fläming-Havel in Brandenburg und
Ebene an der Entwicklung ihrer Region teilhaben.          Sprecher der Regionalmanager in Brandenburg.
Funktioniert das in der Praxis?                           www.flaeming-havel.de

                                                          Frau Lücke, Herr Bansen, bei LEADER entwickeln die re-
                                                          gionalen Akteure für ihr Gebiet passgenaue Strategien
                                                          und setzen diese dann innerhalb einer Förderperiode
                                                          von etwa sieben Jahren um. Warum ist das ein gutes
                                                          Vorgehen für die Entwicklung ländlicher Regionen?
                                                          Heiko Bansen (HB): Oft wird vom ländlichen Raum als
                                                          Einheit gesprochen. Alle, die auf dem Land leben, wis-
                                                          sen, dass es große Unterschiede gibt. Da ist LEADER ge-
                                                          nau das Instrument, das den Menschen vor Ort die
                                                          Chance gibt, mitzubestimmen und festzulegen, was in
                                                          ihrer unmittelbaren Umgebung passieren soll.

  12 LandInForm Spezial 9/2021
LEADER

                Meike Lücke (ML): Die Menschen vor Ort sind die Exper-       HB: Die Lokale Aktionsgruppe (LAG) ist offen für alle, und
                ten für ihre Region – niemand sonst weiß besser, was die     das meinen wir auch ernst. Aber für die kontinuierliche
                lokalen Stärken und Schwächen sind. Die LEADER-För-          Mitarbeit gibt es eine gewisse Verbindlichkeit: regelmä-
                dergelder sind zielgerichtet auf die Region zugeschnitten    ßige Gremiensitzungen, wenn es um die Projektauswahl
                und kommen da an, wo sie am meisten benötigt werden.         geht. Wir stellen fest, dass es Unternehmern schwerfällt,
                Es ist wichtig, in einer Lokalen Entwicklungsstrategie un-   diese Termine in ihren Arbeitsalltag zu integrieren. Das
                ter breiter Beteiligung von Akteuren Ziele und Themen        führt dazu, dass wir bei den Vertretern dieses Bereiches
                für eine Förderperiode festzulegen. Wenn wir kein Ziel       im LAG-Vorstand häufiger einen Wechsel haben. Bisher
                haben, können wir auch an keinem ankommen. Mit einer         ist es aber immer gelungen, ihre sehr wichtige Sicht mit
                Strategie hat man eine gemeinsame Verabredung für ei-        einzubeziehen. Ich habe auch bei dem Problem der Be-
                nen bestimmten Zeitraum und schafft Verbindlichkeit.         teiligung von Jugendlichen genickt, weil wir da noch kei-
                                                                             nen gangbaren Weg gefunden haben.
                Gibt es in Ihren Regionen Themen, die innerhalb einer
                solchen Strategie systematisch weiterentwickelt wurden?      ML: Die Lebenswelt von Jugendlichen ist kurz getaktet
                HB: Wir sind seit 2002 LEADER-Region. Wenn ich jetzt auf     und LEADER ist ein langwieriger Prozess. Selbst wenn sie
                die fast 20 Jahre zurückblicke, fällt mir das Beispiel der   wollen – wir sind einfach zu langsam für Jugendliche.
                Entwicklung des Hohen Fläming zur Wanderregion ein.          2016 haben wir begonnen, einen vom Jugendparlament
                Die Idee entstand von unten. Sie wird noch heute von         initiierten Fitnessparcours umzusetzen. Für die Jugendli-
                vielen Menschen mitgetragen und das hätte nicht funk-        chen war schwer zu ertragen, wie lange es von der Idee
                tioniert, wenn die Idee aus der Landeshauptstadt vorge-      bis zur Umsetzung dauerte: rund zweieinhalb Jahre. Als
                geben worden wäre.                                           der Parcours dann endlich eröffnet wurde, waren die
                                                                             beiden Ideengeber des Jugendparlaments mit dabei –
                ML: Unsere LEADER-Region ist seit 2001 dabei. In den         aber sie kamen beide von ihren Studienorten angereist.
                ersten zwei Förderperioden hat sich bei uns der Fahrrad-
                tourismus als Schwerpunkt herauskristallisiert: Beschil-     Wie müssen Menschen vorgehen, die sich
                derung, Wegekonzepte, Rasthütten oder die Melkhüs,           beteiligen wollen?
                in denen man regionale Produkte wie Milchshakes und          HB: Oft ergibt sich ein erster Kontakt über Ideen und Pro-
                Quarkspeisen bekommt. Die Wesermarsch wird jetzt             jekte. Menschen wollen etwas für ihren Ort tun und suchen
                überregional im Tourismus wahrgenommen. Weil wir             Unterstützung. Darüber finden sie einen Einstieg in den
                nach zehn, zwölf Jahren eine gute Radwege-Infrastruktur      regionalen Prozess. Sie merken, dass sie ihre Erfahrung
                aufgebaut hatten, hat sich die Strategie geändert und        einbringen können; oder sie wollen Einfluss auf die LAG
                neue Themen sind aufgekommen: Klimaschutz oder Dorf-         nehmen: aus eigenem Interesse, dem Interesse des Hei-
                gemeinschaftshäuser. Das ist von unten gewachsen.            matortes oder einer Gruppe. Das Regionalmanagement
                                                                             ist hierbei in der Regel der erste Ansprechpartner und
                Der LEADER-Prozess soll nach dem Bottom-up-Prinzip           vermittelt. Viele LEADER-Regionen – auch wir – haben
Bottom-up       erfolgen. Wie drückt sich das in Ihren Regionen aus?         eine informative niedrigschwellige Ebene, die Arbeits-
                HB: Die Projektauswahl in LEADER erfolgt auf Grundlage       gruppen. Sie finden in regelmäßigen Abständen in ver-
funktioniert,   der Strategie. Die Aufstellungsphase der Strategie zu Be-    schiedenen Ecken der Region statt. Darin stellen sich Pro-
sofern die      ginn der Förderperiode ist deshalb sehr bedeutend. Es        jektträger mit ihren Ideen vor und holen sich Anregungen.
                ist wichtig, dort einen echten, breiten Beteiligungspro-     Bis zu 50 Interessierte nehmen an jeder Runde teil und
richtigen –     zess zu starten. In dieser Phase vor sechs Jahren waren      können in einem gewissen Rahmen mitsprechen.
und genügend    rund 300 Menschen bei unseren Veranstaltungen dabei.
                In einer Runde mit fast 100 Personen haben die Anwe-         ML: Jeder kann beim Regionalmanagement anrufen,
– Leute         senden ihre Prioritäten in den Handlungsfeldern der          um Themen zu setzen, Projektanträge einzureichen oder
einbezogen
   ­            Strategie festgelegt. Sie haben uns die Daseinsvorsorge      zu fragen, ob es für eine Idee Fördermittel gibt oder wir
                als wichtiges Thema für die LEADER-Arbeit bis 2020 mit       den Kontakt zum Bürgermeister herstellen können. Wir
werden.“        auf den Weg gegeben.                                         sind Türöffner für das Netzwerk. Da muss man eigentlich
                                                                             nur zum Hörer greifen oder eine Mail schreiben.
Meike Lücke     ML: Bottom-up funktioniert bei der Erstellung der Loka-
                len Entwicklungsstrategie, sofern die richtigen – bezie-     Kann jeder Interessierte Mitglied der LAG werden
                hungsweise genügend – Leute einbezogen werden. Neue          und über Projekte mitentscheiden?
                LEADER-Regionen müssen erst einmal Netzwerke auf-            ML: Unsere LAG ist ein nicht rechtsfähiger Verein nach
                bauen. Da kann es manchmal sein, dass eine Entwick-          § 54 BGB – das ist bei mehreren der 41 LEADER-Regionen
                lungsstrategie nicht mit hunderten von Akteuren entwi-       in Niedersachen so. Eigentlich kann jeder mitmachen –
                ckelt wird, sondern mit einem kleinen Kreis. Darin sind      die LAG-Sitze sind jedoch auf 26 Personen beschränkt.
                vielleicht relativ viele kommunale Akteure vertreten.        Die Anzahl der Sitze können und wollen wir nicht erwei-
                Oder es fehlen bestimmte zivilgesellschaftliche Grup-        tern – die LAG ist das Gremium, das bei uns über die
                pen, weil man sie noch nicht kennt.                          Förderwürdigkeit von Projekten entscheidet. Denn aus
                                                                             Evaluierungsergebnissen wissen wir, dass das fast schon
                Das heißt aber, mit den Jahren kann es gelingen,             zu viele sind, um arbeitsfähig zu sein. Weil wir zu Beginn
                die breite Vielfalt der Akteursgruppen in den                dieser Förderperiode aber vor der Herausforderung
                LEADER-Prozess einzubeziehen?                                standen, dass mehr Menschen als früher in der LAG mit-
                ML: Eine große Schwierigkeit bei uns ist, Unternehmer        machen wollten, haben wir die sogenannten Projektwerk-
                mit einzubinden. Und ein Riesen-Thema bei uns: Jugend-       stätten eingeführt – ähnlich den Arbeitsgruppen in der
                liche.                                                       Region Fläming-Havel.

                                                                                                    LandInForm Spezial 9/2021   13
LEADER

Auf einen Blick – Finanzausstattung der LEADER-Regionen Wesermarsch in Bewegung und Fläming-Havel (2014 bis 2020)

                                            Wesermarsch in Bewegung                                                    Fläming-Havel
                                            Niedersachsen                                                              Brandenburg

 Mittel (gesamt)                            5,2 Mio. Euro1                                                             57,3 Mio. Euro1

 LEADER-Mittel*                             2,5 Mio. Euro2                                                             32,9 Mio. Euro2

 Kofinanzierung                             0,9 Mio. Euro3                                                             2,3 Mio. Euro3

 Eigenmittel der Projektträger              1,1 Mio. Euro4                                                             22,1 Mio. Euro4

 Eingeworbene Drittmittel                   0,7 Mio. Euro5
 *
     EU-Mittel aus dem Europäischen Land-   1
                                                Stand: Dezember 2020; Gesamtinvestitionsvolumen gerundet               1
                                                                                                                           Stand: Dezember 2020; Gesamtinvestitionsvolumen gerundet
     wirtschaftsfonds für die Entwicklung   2
                                                Gesamtkontingent, davon etwa 1 900 000 Euro für Projekte,              2
                                                                                                                           davon 32,0 Mio. Euro für Projekte, 900 000 Euro für Regionalmanage-
     des ländlichen Raums (ELER)                600 000 Euro für Regionalmanagement                                        ment
                                            3
                                                kommunaler Kofinanzierungsfonds (Landkreis und kreisangehörige         3
                                                                                                                           Landeskofinanzierung für private Projekte
                                                Kommunen); Kofinanzierung von Gemeinschaftsprojekten und Unter-        4
                                                                                                                           Eigenmittel der Projektträger; darunter kommunale Mittel, die
                                                stützung von privaten Projekten; etwa 700 000 Euro für Projekte, 140       gleichzeitig nationale Kofinanzierung sind
                                                000 Euro für Kofinanzierung des Regionalmanagements;
                                                etwa 60 000 Euro Landeskofinanzierung für private Projekte und
                                                Mittel nach KofiRL
                                            4
                                                etwa 700 000 Euro durch private Antragsteller, 400 000 Euro durch
                                                öffentliche Antragsteller
                                            5
                                                davon etwa 600 000 Euro öffentliche Kofinanzierung

Zum Vergleich – LEADER-Mittel und Anzahl der LEADER-Regionen in Niedersachsen und Brandenburg (2014 bis 2020)

Die Bundesländer stellen für LEADER unterschiedlich viel Geld zur                                  gung steht (siehe Seite 17). Abhängig davon und von der Anzahl der
Verfügung. Je nach thematischer Schwerpunktsetzung innerhalb                                       LEADER-Regionen eines Landes ergeben sich rechnerisch sehr unter-
­eines Landes variiert der Anteil der Mittel, der für LEADER zur Verfü-                            schiedliche Mittelanteile pro LAG.

                                            Niedersachsen                                                              Brandenburg

 Anteil LEADER-Mittel*                      9,2 Prozent (103 Mio. Euro1)                                               28 Prozent (292 Mio. Euro1)

 Anzahl LEADER-Regionen                     41                                                                         14
 *
      nteil an gesamten EU-Mitteln aus
     A                                      1
                                                 eplant; Ende Dezember 2020 waren 85,4 Mio. Euro ELER-Mittel für
                                                g                                                                      1
                                                                                                                           geplant; Ende Dezember 2020 waren 245 Mio. Euro ELER-Mittel für
     dem Europäischen Landwirtschafts-          LEADER bewilligt                                                           LEADER bewilligt
     fonds für die Entwicklung des länd­
     lichen Raums (ELER)

HB: Wir sind als Verein organisiert und haben mehr als                            HB: Ein Beispiel, wo diese Arbeit hinführt: Wir hatten aus
100 Mitglieder, darunter auch Gemeinden und Institutio-                           früheren Aktionen Kontakte zu den Verkehrsunterneh-
nen. Von denen sind einige sehr aktiv, andere wollen mit                          men und den Touristikern. Wir haben eine relativ offene
ihrer Mitgliedschaft nur die Arbeit des Vereins unterstüt-                        Workshop-Situation für beide Gruppen geschaffen. Die
zen. Das Projektauswahlgremium ist bei uns der Vor-                               Touristiker haben gesagt: Zu uns in die Region kommen
stand – er besteht aus elf Personen. Die bereits genann-                          die Leute am Wochenende nur mit dem eigenen Auto,
ten Arbeitsgruppen können ihm für die                                             wie können wir das ändern? Darauf hat der Vertreter der
Projektbewertung Hinweise mit auf den Weg geben.                                  Verkehrsunternehmen geantwortet: Denken wir doch
                                                                                  mal über eine Busrundlinie nach! So wurde die Burgenli-
Schaffen es Lokale Aktionsgruppen Akteure verschie-                               nie geboren, die bis jetzt super läuft und am Wochenen-
dener Interessengruppen an einen Tisch zu bringen?                                de ein Rückgrat der Mobilität für die Bewohner, aber vor
ML: Bei uns klappt das sehr gut. Auch Naturschützer und                           allen Dingen für die Gäste ist.
Landwirte sind sich nicht spinnefeind, sie reden mitein-
ander. Durch die Arbeit in der LAG, durch die gemeinsa-                           Beteiligen sich in Ihren Lokalen Aktionsgruppen
men Projekterfolge ist Vertrauen gewachsen. Wir wissen                            auch Akteure aus Kirchen oder kirchlichen Wohlfahrts-
aus anonymen Interviews mit LAG-Mitgliedern, dass die                             organisationen?
Arbeitsweise und Atmosphäre in einer LAG-Sitzung an-                              HB: Wir haben im Verein einige Kirchengemeinden als
ders ist als in sonstigen Gremien, in denen sie mit den                           Mitglieder, aber nicht im Entscheidungsgremium. Auf
gleichen Leuten zusammenkommen. Denn sie teilen das                               Projektebene gibt es eine sehr gute Zusammenarbeit.
Interesse, die Region voranzubringen. Und es gibt För-                            In Brandenburg haben die LEADER-Regionen relativ viel
dermittel – und zwar nur, wenn man gemeinsam spricht                              Geld zur Verfügung und können auch größere investive
und agiert und nicht versucht, Partialinteressen durch-                           Vorhaben, wie Sanierungsprojekte, unterstützen. Wenn
zudrücken.                                                                        wir merken, dass es der Kirchgemeinde bei einem Projekt

       14 LandInForm Spezial 9/2021
LEADER

Bei allen Schwierigkeiten
mit den Sprachen wächst
ein Verständnis für die
Vielfalt in Europa.“
Heiko Bansen

nicht nur um ihr Eigeninteresse geht, sondern die Dorfge-     projekt hier in Brandenburg zum Thema Precision Dairy
meinschaft mit eingebunden ist, Vernetzung und Kulturar-      Farming. Es geht darum, Betriebe in unseren Regionen
beit stattfindet, dann sehen wir das als Stärkung des Ortes   dabei zu unterstützen, moderne Technik und Datenverar-
und sind offen für eine Förderung. Für uns ist entschei-      beitung in der Milchwirtschaft einzusetzen. Das ist
dend, dass die Dorfgemeinschaft das Projekt für richtig       zumindest für Brandenburg innovativ. Im investiven Be-
hält und nicht allein die Kirchenverwaltung.                  reich sieht die Richtlinie ein Scheitern leider nicht vor:
                                                              Da hat der Projektträger eine Zweckbindungsfrist und
ML: Genau, das sehen wir hier in der Wesermarsch auch         wenn er scheitert, weil zum Beispiel die Geschäftsidee
so, das ist Bottom-up! Wir haben seit dieser Förderperio-     nicht wie vorgesehen läuft, wird er noch zusätzlich durch
de einen der 26 LAG-Sitze für einen Kirchenvertreter vor-     die Rückforderung der Fördermittel bestraft. Investitio-
gesehen, weil zu den wichtigen Playern hier vor Ort auch      nen und Experimente schließen sich deshalb bei LEADER
die Kirchen gehören. Bei uns zählt der Mensch mehr als        in Brandenburg aus. Ich würde begrüßen, wenn mehr
die Funktion – er darf nicht nur an sich denken. Daher ist    Flexibilität möglich wäre.
ein Pfarrer LAG-Mitglied, der noch in einem Kulturverein
engagiert ist und somit mehrere Themen abdeckt.               ML: Wenn der Fördermittelgeber oder die EU möchten,
                                                              dass über LEADER Innovationen möglich sind, müsste ins
LEADER ist ein europäischer Ansatz, der Kooperationen         Zuwendungsrecht vielleicht eine Experimentierklausel inte-
zwischen ländlichen Gebieten über nationale Grenzen           griert werden.
hinaus fördern soll. Welche Vorteile haben Ihre Regio-
nen davon?                                                    Was sind Ihre Wünsche für die neue Förderperiode?
ML: Uns ist es – in Anführungsstrichen – gelungen, in 19      ML: Entbürokratisierung! Damit die Regionen, die Akteure
Jahren ein einziges transnationales Projekt umzusetzen,       – egal ob Regionalmanagements oder Bewilligungsstel-
eine Konzeptstudie mit den Niederlanden zum Thema             len – mehr Kapazitäten für echte Beteiligung haben; Bot-
Häfen. Wir haben auch mal versucht, mit Finnland, den         tom-up macht sich nicht von allein. Es ist die Kernaufga-
Niederlanden und Rumänien etwas auf die Beine zu stel-        be eines Regionalmanagements, diesen Prozess zu
len – und sind an den rechtlichen Rahmenbedingungen           koordinieren, zu organisieren und zu aktivieren. LEADER
gescheitert. Deutschland ist für die anderen kein guter       ist kein Förderprogramm, sondern ein Partizipationsprin-
Kooperationspartner – man denke an unser komplizier-          zip!
tes Vergaberecht.
                                                              HB: Ich würde mir eine Vereinfachung insbesondere
HB: Wir arbeiten seit zehn Jahren mit einer polnischen,       für die privatrechtlichen Projektträger und Vereine wün-
neuerdings auch einer slowakischen Partnerregion, zu-         schen, keine komplizierten Vergaberegeln. Vielleicht sind
sammen und sind jetzt im dritten Projekt. Für uns stehen      Pauschalen ein sinnvoller Ansatz und ich würde mich
gegenseitiges Kennenlernen, Erfahrungsaustausch, posi-        freuen, wenn wir ihn in der nächsten Förderperiode aus-
tive Erlebnisse und die persönliche Weiterentwicklung         probieren können.
der Menschen, die wir in die Partnerregion mitnehmen,
im Vordergrund. Bei allen Schwierigkeiten mit den Spra-       Was ist das Beste, das durch LEADER in Ihren
chen wächst ein Verständnis für die Vielfalt in Europa. Je-   Regionen angestoßen wurde?
des Projekt hat konkrete Inhalte, so sind eine Broschüre      HB: Da würde ich einfach gerne das zitieren, was viele
mit Schlössern in Brandenburg und in der polnischen           unserer Mitglieder und Akteure immer wieder sagen:
Partnerregion oder Videos über die Heimatorte deut-           Durch LEADER hat sich die Kommunikation in der Region,
scher und polnischer Jugendliche entstanden. Für mich         das gegenseitige Verständnis und das Miteinander-
sind die Projekte aber eher ein Baustein für das gemein-      Arbeiten etabliert und deutlich verbessert.
same Haus Europa – etwas pathetisch gesprochen.
                                                              ML: Für mich ist das die Bildung von Netzwerken – durch
LEADER hat den Anspruch innovative Projekte                   die Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen kommu-
zu fördern. Gelingt das?                                      nalen Partnern und Zivilgesellschaft. Das gibt es meines
HB: In der laufenden Förderperiode ist das bei uns ein        Erachtens nirgendwo, außer bei LEADER.
Bewertungskriterium für Projekte – neben vielen. Im
nicht-investiven Bereich ist es eher möglich, Neuartiges      Vielen Dank für das Gespräch!
anzustoßen. Hervorheben möchte ich ein Kooperations-          Das Interview führten Stefan Kämper und Isabella Mahler.

                                                                                     LandInForm Spezial 9/2021   15
INFO

Auf einen Blick
Die Welt der Kirchen ist komplex, die von LEADER ebenfalls.
Einige Übersichten und Zahlen geben Einblick und Orientierung (siehe auch Seite 70).

                                         LEADER in Deutschland (2014 bis 2020)

                          1,7 Milliarden Euro
                                       ELER (EU-Mittel) und
                                       nationale Kofinanzierung                                                                30,4
                                                                                                                               Millionen Menschen in

                                                              321                                                              Deutschland leben in einer
                                                                                                                               LEADER-Region; das sind
                                                                                                                               etwa 37 % der Bevölkerung
                    LEADER-Regionen in
                          Deutschland

                           2786
                       LEADER-Regionen in Europa

                 Quelle: BMEL 813, 2019, www.destatis.de, eigene Berechnungen;
                 https://enrd.ec.europa.eu/leader-clld_de

 LEADER – Von der Idee zum Projekt

  1   PROJEKT IN LEADER-REGION?
                                             3       IDEE IN DER LAG VORSTELLEN             4   ENTSCHEIDUNG DER LAG
                                                                                                                            6     PROJEKTSTART
                                                                                                                                  NACH BEWILLIGUNG

                  2        REGIONALMANAGEMENT
                           BERÄT
                                                                                                  5   FÖRDERANTRAG BEI BEHÖRDE

          LEADER – Merkmale

                                               Bottom-up

                       netzwerken                                          LAG
                                                                                            _Menschen in der Region – aus Kommunen,
                                                                                             Wirtschaft, Sozialbereich, Zivilgesellschaft –
                                                                                             schließen sich zu Lokalen Aktionsgruppen (LAG)
                                                                                             zusammen.
                                                                                 gebiets-
                 kooperieren
                                                                                 bezogen
                                                                                            _Die LAG entwickelt eine Lokale
                                                                                             Entwicklungsstrategie (LES) für ein geographisch
                                                                                             abgegrenztes Gebiet.
                                                                multi-                      _Die LAG entscheidet über Projektförderung auf
                                    innovativ
                                                               sektoral                      Grundlage der LES.
                                                                                            _Einzelpersonen, Vereine, Unternehmen,
                                                                                             Kirchengemeinden, Kommunen etc. bewerben
                                                                                             sich um Projektförderung bei der LAG.
                                                                                            _Hauptamtliche Regionalmanagements
                                                                                             organisieren LAG, Gestaltung sowie Umsetzung
   16 LandInForm Spezial 9/2021
                                                                                             der LES und unterstützen Projektträger.
INFO

                                 Strukturen und Einrichtungen in den beiden großen Kirchen in Deutschland

                                                Evangelische Kirche                                               Katholische Kirche
                                                  und Wohlfahrt                                                     und Wohlfahrt
                                                                                                                                             10 Personalfach-
                                                                                                                             Deutscher       verbände 7 Ein-
                                      Evangelische Kirche           Diakonie Deutschland              Deutsche                               richtungsfachver-
                                                                                                                             Caritas-        bände 4 karitative
                                      in Deutschland (EKD)          (EWDE e.V.)                       Bischofskonferenz
                                                                                                                             verband         Vereinigungen
                                                                                                                                             1 Orden

                                                                    17          67                                           27 Diözesan-
                                                                                                                                             Personalfach-
                                      20 Gliedkirchen               Landes-     Fach-                 27 (Erz-)Bistümer      caritasver-     verbände
                                                                    verbände    verbände                                     bände

                                      Kirchenkreise (auch:          Diakonische                       Dekanate               Einrichtungen   Örtliche
                                      Sprengel / Dekanate)                                                                   und Dienste     Gliederungen
                                                                    Einrichtungen und
                                                                    Dienste vor Ort                                          der Caritas     Dienste und
                                      Kirchengemeinden                                                Pfarrgemeinden         vor Ort         Einrichtungen

      Förderung aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für
      die Entwicklung ländlicher Räume (ELER)
      LEADER in Deutschland (Förderperiode 2014 bis 2020, geplanter Mitteleinsatz)

                          Thüringen                                                                                 ELER-Mittel und nationale Kofinanzierung

             Schleswig-Holstein                                                                                     davon LEADER
                  Sachsen-Anhalt
                           Sachsen
                           Saarland
                  Rheinland-Pfalz
          Nordrhein-Westfalen
      Niedersachsen/Bremen
               Mecklenburg-
                Vorpommern
                     Hessen
           Berlin/Brandenburg
                            Bayern
          Baden-Württemberg
                                       0                      500                  1000                    1500                   2000                  2500
                                                                                                                                              Millionen Euro
Quelle: BMEL, 813, 2020

                                           In der Region für Europa – LEADER in der Förderperiode 2021 bis 2027

                                                                                                  LEADER – Menschen entscheiden vor Ort
                                                                                                 Lokale Aktionsgruppen (LAG) und Entwicklungsstrategien (LES)
                                                             Region

                                                                                 Länderregeln und -Richtlinien für LEADER
                                            Bundesländer                                                                             Nationaler Rahmen,
                                                                                                                                         Regeln der
                                                                                Nationaler GAP-Strategieplan                             Umsetzung,
                                                                               Direktzahlungen Landwirtschaft (1. Säule)               Kofinanzierung

                                               Deutschland                      Ländliche Entwicklung, ELER (2. Säule)

                                                                                   Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP) / Strukturpolitik
                                                                                                      Europäischer Rechtsrahmen und Finanzierung
                                                             Europa
                                                                                                                                                          LandInForm Spezial 9/2021   17
… Kirche macht mit

                    Re-formiert
                    und mitten
                    im Raum
                     Lange Zeit haben sich Kirche und Theologie in Abgrenzung zur
                     Welt verstanden. Doch viele kirchlich Engagierte öffnen sich
                     gegenüber den Sozialräumen, in denen sie agieren. Das schafft
                     Weitblick – und neue Möglichkeiten für Kirche und Gesellschaft.

                     [VON RALF KÖTTER]

Die evangelische Kirche in Deutsch-      in, den Gürtel enger zu schnallen       überzugehen. Als zivilgesellschaftli-
land ist in Bewegung geraten. An         und ihre Versorgungs-Angebote mit       che Akteure setzen inzwischen viele
vielen Orten sucht sie den Weg in        weniger Personal auf immer größere      Diakonische Werke Impulse für
die Sozialräume und beteiligt sich       Räume gestreckt zu verteilen wie        nachhaltige, generationengerechte
als zivilgesellschaftliche Akteurin      eine fade Suppe, die zunehmend an       Strukturen in Stadtteil, Kiez, Dorf
daran, das Gemeinwesen zu gestal-        Geschmack verliert. Stattdessen set-    und Quartier. In diesen Räumen
ten. In nahezu allen evangelischen       zen sie auf eine offene, neugierige     überwinden Kirche und Diakonie
Landeskirchen gibt es solche ermu-       und gespannte Haltung, die sich er-     ihre Versäulung, eine Entfremdung,
tigenden Aufbrüche, die das innova-      wartungsvoll nach dem streckt, was      die mit dem Wesen des Christlichen
tive Potenzial einer Kirche nachwei-     ihnen entgegenkommt. Und das ist        unvereinbar ist. Konkurrenzen wan-
sen, die sich nicht mehr aus immer       einiges: Neue Allianzen werden über     deln sich in Kohärenzen, der müh­
gleichen Gewohnheiten angestrengt        alte Gräben hinweg geschmiedet,         same Kampf um den eigenen Kirch-
reproduziert, sondern sich auf aktu-     reiche Ressourcen stellen sich im       turm in lustvolle Kollaboration für
elle Entwicklungen einlässt – und of-    ergebnisoffenen Zusammenspiel           ein menschenwürdiges Leben.
fen auf neue Herausforderungen           ein. Ungeahnte Spielräume öffnen
und Möglichkeiten zugeht. So kommt       sich. Vieles, was in Sackgassen gera-   Umsetzen, was möglich und was
die praktische Theologin Uta Pohl-       ten schien, wird beweglich. Im un-      nötig ist
Patalong zum Schluss, dass die Ori-      verstellten Blick auf die Räume         Kirchengemeinden profitieren von
entierung an Sozialräumen immer          macht Kirche das, was sie von An-       dieser Erfahrung. Sie legen das
häufiger als eine mögliche Richtung      fang an kennzeichnet: Sie wächst        selbstmitleidige Image armer Kir-
genannt werde auf die Frage, wie die     von unten, sie entwickelt sich viel-    chenmäuse ab, um die man sich sor-
Kirche zukunftsfähig werden könne.       fältig und unterschiedlich aus den      gen müsste, und sorgen sich statt-
Sie schreibt: „Dass die Kirche sich im   individuellen Formationen und           dessen selbstlos mit anderen um
Dorf oder im Stadtteil engagiert,        ­Bewegungen vor Ort. Aus einem          andere. Dabei entpuppen sie sich
aufmerksam ist für das, was Men-          Standardhaus mit verbindlichen         als begabte Akteure mit ungeahn-
schen dort brauchen, und sich ge-         Funktionen verwandelt sie sich in      tem Sozialkapital, etwa indem sie zi-
meinsam mit säkularen Einrichtun-         interaktiven, selbstordnenden Pro-     vilgesellschaftlichem Engagement
gen um eine Verbesserung der              zessen zu einem vielfältigen Orga-     verlässliche Rahmenbedingungen
Lebensbedingungen bemüht, er-             nismus, der sich an die Bedürfnisse    bieten. An vielen unterschiedlichen
scheint kirchlich Engagierten mehr        der Menschen vor Ort anpasst.          Orten wachsen agile Bewegungen,
und mehr als produktiver Weg in die                                              die dem verzagten Zeitgeist wider-
Zukunft.“                                Wichtige Impulse kommen aus dem         stehen: Ja, eine andere Welt ist mög-
                                         Bereich der Diakonie. Das Konzept       lich! An die Stelle u
                                                                                                     ­ nrealistischer
Neue Brücken über alte Gräben            der Gemeinwesendiakonie zeigt, wie      Utopien treten kontextgerechte Pro-
Die Ressourcen der Kirche schwin-        wertvoll es sein kann, von der Ein-     jekte, die das umsetzen, was mög-
den. Doch kirchlich Engagierte er-       zelfallhilfe zur systemischen und       lich und was nötig ist – ein kleiner
schöpfen sich heute nicht mehr dar-      partizipativen Feld-Orientierung        Perspektivenwechsel nur, und doch

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