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Spezial AUSGABE 9 2021 LEADER: Kirche macht mit Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums: Hier investiert Europa in die ländlichen Gebiete.
INHALT Inhalt Seite 12 Seite 18 Seite 66 LEADER – Anspruch und Wirklichkeit Re-formiert und mitten im Raum Das lokale Gemeinwesen geht uns alle an Die Fotografien in diesem Heft, die besonders ausgezeichnet sind, stammen aus dem Projekt „Lutherland“ des Leipziger Fotografen Jörg Gläscher. EINLEITUNG … Kirche macht mit! 04 Grußworte und Editorial 18 Re-formiert und mitten im Raum Lange Zeit haben sich Kirche und Theologie in Ab- grenzung zur Welt verstanden. Doch viele kirchlich En- LEADER gagierte öffnen sich den Sozialräumen, in denen sie agieren. Das schafft Weitblick – und neue Möglichkei- 09 LEADER – eine europäische Erfolgsgeschichte?! ten für Kirche und Gesellschaft. 12 LEADER – Anspruch und Wirklichkeit – Interview 21 Kirche als gute Partnerin im LEADER-Prozess Der LEADER-Ansatz baut darauf, dass sich Herausfor- derungen ländlicher Räume nicht allein durch Top- 23 Kirche im Dorf lassen down-Entscheidungen ferner Verwaltungen bewältigen lassen. Vor Ort können Menschen und Organisationen dagegen passgenaue Lösungen Kirche macht mit – PROJEKTE entwickeln. Funktioniert das in der Praxis? 24 Übersicht 26 So schön sind Ferien zu Hause INFO 27 Ein Friedhof erwacht aus dem Dornröschenschlaf 16 Auf einen Blick – Infografiken 28 Kuchen und Kultur im Café FAIR 29 Wie kirchliche Gebäude zu Klimaschützern werden 30 Gemeinsam Kulturschätze bergen 31 Vorn dabei statt hinterm Mond 32 Allein leben, ohne allein zu sein Titelbild: Jörg Gläscher, Fotos: Jörg Gläscher Was bedeutet die Abkürzung LEADER? 33 Hebammen beraten digital LEADER steht für „Liaison Entre Actions de 34 Vielfalt mit Tiefgang auf der Bühne Développement de l‘Économie Rurale“, also die Verbindung von Aktionen zur 35 Jugend gestaltet Land Entwicklung der ländlichen Wirtschaft.
INHALT ab Seite 24 Kirche macht mit – PROJEKTE Eine Reise durch Deutschland – von Oberschwaben bis Nord- friesland, von der Oberlausitz bis an den Niederrhein. An der Wegstrecke: 28 LEADER-Projekte, die von Kirchengemeinden und kirchlichen Einrichtungen getragen werden. Projekte, die im ländlichen Gemeinwesen verankert sind und einen Beitrag zur Gestaltung des Lebens auf dem Land leisten. 36 Kirche mit dem Rad erfahren PERSPEKTIVEN 37 Über Grenzen hinweg 54 Über das Bauen hinaus – Interview 38 Alte Kirche, neue Kunst 56 Nachhaltige Perspektiven für Kirche im Quartier 39 Ein Gemeindehaus ohne Hürden 57 Die Zukunft der Dörfer ist die Zukunft der Kirche im Dorf 40 Labor der Demokratie – Zukunftswerkstätten ländlicher Raum 58 Aus der Netzwerkpraxis geplaudert 41 Auf Verantwortung gebaut 59 Die Arche im Lautertal 42 Für mehr Bewegung im Arbeitsmarkt 60 Mit Musik gegen Extremismus 43 Urlaub im Pfarrhaus 62 Ein echter Mehrwert 44 Ein altes Haus wird wieder jung 63 Kirche als Partner in der regionalen Entwicklung 45 Integration fördern mit LEADER 64 Soziale Orte voller Leben 46 Neue Wege in Zeiten der Trauer 66 Das lokale Gemeinwesen geht uns alle an – Interview Wie stehen Kirche und LEADER zueinander und was 47 Ein Bündnis, das dranbleibt erwarten sie voneinander? Was sind die Perspektiven 48 Ein Ort mit Zukunft und Vergangenheit einer fruchtbaren Zusammenarbeit? Und was ist wichtig für die neue europäische Förderperiode? 49 Schlafen unterm Kirchenhimmel 50 Mehr als nur Denkmalschutz Service 51 Die Gaststätte im Dorf lassen 70 Wegweiser – Infos und Kontakte 52 Für einen Bewusstseinswandel im Umgang mit der Natur 71 Impressum Foto: iStockphoto.com / Jan Otto 53 Neues Leben im alten Waschhaus LandInForm Spezial 9/2021 3
Grußworte uns erschließen und Erfahrungen sowie Kompetenzen nutzbar machen: Für Belange und Fähigkeiten der Kirche als Ressource der Zivilgesellschaft einerseits und als Bei- trag zu einer strategischen Regionalentwicklung anderer- seits. So soll für starke lokale und regionale Partner- schaften geworben werden. Dieses Heft zeigt mit vielen Beispielen, wie in den LEADER- Prozessen kooperiert werden kann. Ganz praktisch prä- sentieren verschiedene Beiträge das breite thematische Spektrum der Zusammenarbeit mit den Kirchen und ihren verschiedenen Organisationen. Das fängt bei dem Projekt „Himmlisch Urlauben“ an, geht mit den „Telehebammen“ weiter und hört bei dem Projekt Liebe „Kunstkirche“ noch lange nicht auf. Klar ist: Die Projekte mit einem deutlichen regionalen Leserinnen Widerhall sind diejenigen, in denen es gelingt, viele Bür- gerinnen und Bürger einzubinden und über den Teller- rand zu schauen. Die Beteiligung an LEADER ermöglicht den Kirchen, sich über die seelsorgerische Aufgabenerfül- und Leser, lung hinaus mit eigenen Ideen zu präsentieren, wie sie Gemeinschaft und gesellschaftlichen Zusammenhalt in ländlichen Räumen im Rahmen von LEADER stärken möchten. der zentrale Ansatz von LEADER ist: Menschen zusam- Auch für die Lokalen Aktionsgruppen, die den LEADER- men und die Region gemeinsam voranzubringen. Dafür Ansatz prägen, bietet die Gemeinschaftsarbeit mit den können Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände starke Kirchen neue Chancen und einen Zugewinn an Ideen Partner sein, wenn sie ihre Netzwerke für andere öffnen und Fähigkeiten. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, dass Ak- sowie Fähigkeiten und Ideen teilen. Die Lokalen Aktions tive aus den Kirchen und die Aktionsgruppen sich stär- gruppen sind gute Plattformen, sich kennenzulernen, ker aufeinander zubewegen. Um die strategischen Pro- zuzuhören, regional und überinstitutionell zu denken zesse gemeinsam zu gestalten und damit sich noch und miteinander zu gestalten – und damit im wahrsten mehr Akteure an der Erarbeitung von Lokalen Entwick- Sinne des Wortes über den eigenen Kirchturm hinauszu- lungskonzepten beteiligen. Es geht bei dem Maßnah- schauen. menprogramm der Europäischen Union nicht nur um Fördermittel, sondern um die Möglichkeit, die eigene Schon jetzt wirken in vielen dieser Lokalen Aktionsgrup- Region mitzugestalten und regionale Netzwerke zu pen die örtlichen Vertreter der Kirchen aktiv mit. Sie knüpfen. So kann Kirche auch über LEADER als Akteur stimmen in Entscheidungsgremien über die Förderung der ländlichen Entwicklung sichtbar werden, das konkreter Projekte ab und bringen sich mit eigenen Pro- eigene Wissen und Erfahrung einbringen. Damit die Re- jektvorschlägen ein. Auch bei den unvermeidlichen Inter- gionen auch mit Hilfe der Kirchen gut aufgestellt in die Foto: Bundesregierung/Steffen Kugler essenskonflikten innerhalb der heterogenen Akteure, die kommenden Jahre gehen. in diesem Prozess agieren, nehmen sie oft eine mode- rierende Funktion wahr. Herzlichst Diese Sonderausgabe soll einen wichtigen Beitrag leis- Ihre Julia Klöckner ten: Wir wollen die vorhandenen Schätze gegenseitig für Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft 4 LandInForm Spezial 9/2021
Grußworte Nicole Podlinski Ricarda Rabe Liebe Leser und Leserinnen, ein starker ländlicher Raum ist eine Dörfern. Ohne Kirchengemeinden, senz motivieren tausende von der wichtigsten Voraussetzungen für Caritas und Diakonie sowie deren ehrenamtlichen Helfern für das ge- den inneren Frieden von Regionen. Engagement in Kindergärten, Schulen, meinsame Netz und formen so zu- Diese ländliche Entwicklung braucht Seniorenheimen oder der Nachbar- sammen mit weiteren Akteuren den jedoch eine kluge Förderung, um schaftshilfe würden viele Menschen sozialen Kitt. das Richtige am richtigen Ort zu be- einsamer sein. Die Attraktivität einer wirken. Ein starkes Instrument hier- Region wird eben nicht ausschließ- Eine höhere Wirksamkeit des ge- zu ist das LEADER-Programm, wel- lich durch gute Straßen, Internet und meinsamen Netzes ist gegeben, wenn ches die innovativen Kräfte in der Wirtschaft gewährleistet, sondern sich unterschiedliche Akteure zusam- Region wecken und zusammenbrin- durch dieses vielfältige gemeinsame mentun, um vor Ort etwas zu bewe- gen will. Darum halten kirchliche Netz von Engagement und Ehrenamt. gen. So entstehen aus der Zusam- Verbände das LEADER-Programm für menarbeit von Organisationen, wichtig und bringen sich aktiv ein. Dies ist der Schnittpunkt zwischen Arbeitgebern, Kommunen und Kir- staatlicher LEADER-Förderung und chen innovative Ideen. Im gemeinsa- Ländliche Entwicklung umschließt den beiden großen Kirchen. Die Kir- men partizipativen Prozess können nicht nur die materielle Infrastruktur, chen und ihre ländlichen Organisati- konkrete Ideen dann mithilfe von wie es Straßen, Gesundheitswesen, onen wie die Katholische Landvolk- LEADER-Mitteln umgesetzt werden. Schulen, Arbeitsplätze oder schnel- bewegung Deutschlands und ihr les Internet sind. Bei aller notwendi- Pendant, der Evangelische Dienst Hier sind die Kirchen mit ihren viel- gen Voraussetzung dieser materiel- auf dem Lande, setzen sich aktiv für fältigen Einrichtungen, ländlichen len Infrastruktur gibt es noch mehr: die Menschen auf dem Land ein. Sie Organisationen sowie den vielen Eh- Etwas, was das Land lebens- und lie- sehen sich als kirchliche Stimme für renamtlichen verlässliche und kom- benswert macht. Es ist eine Art „sozi- das Land – auf dem Land. Die Kir- petente Partner für LEADER-Projekte. ale Infrastruktur“ durch Nachbar- chen fühlen sich dem Dialog, dem Ein gemeinsamer Einsatz für eine schaftshilfe, Feuerwehr und inneren Frieden und Werten wie Entwicklung, die den Menschen in Sportvereine sowie kommunales En- Nächstenliebe und Solidarität ver- den Mittelpunkt stellt. Fotos: privat; Haus kichlicher Dienste, Jens Schulze gagement und vielfältiges Ehrenamt. pflichtet. Auf der Basis dieser Werte Ohne dieses „gemeinsame Netz“ ist eine Gemeinschaft zu schaffen und Nicole Podlinski ländliche Entwicklung nicht denkbar. eine „soziale Struktur“ zu entwickeln Bundesvorsitzende der Katholischen ist für uns Christen der wahre Schatz Landvolkbewegung Deutschlands Ein wichtiger Ankerpunkt in dieser menschlichen Miteinanders. (KLB) sozialen Infrastruktur sind die Kir- chengemeinden. Sie strukturieren Das Wichtigste jedoch ist, Kirchenge- Ricarda Rabe nicht nur das kirchliche Leben, son- meinden und kirchliche Einrichtun- Vorsitzende des Evangelischen dern bilden Gemeinschaft in den gen mit ihrer flächendeckenden Prä- Dienstes auf dem Lande (EDL) LandInForm Spezial 9/2021 5
Grußworte Dr. Peter Neher Ulrich Lilie Liebe Leserinnen, liebe Leser, Dörfer und ihre Kirchen sind immer wicklung auszugleichen. Im Vorder- macht Kirchengemeinden zu expo- wieder für eine Überraschung gut. grund der Botschaften stehen stets nierten Partnern auch im peripheren Wo die Zusammenarbeit gesucht die Menschen, die von Veränderun- ländlichen Raum. Wir wünschen uns, und gefunden wird, profitieren Ge- gen betroffen sind oder diese als Ak- dass die guten Erfahrungen, die hier meinwesen – und Gemeinde. Darum teure gestalten. dokumentiert sind, viele neue Akteu- sind Kirche und ihre Wohlfahrtsver- re zur Teilhabe bewegen. bände in den vergangenen Jahren Eine gute Möglichkeit, diese Anliegen als Partnerinnen und Anregerinnen in regionale Zusammenhänge und Das Bild von Kirchen, die den Sozial- neuer Allianzen in ländlichen Räu- Netzwerke einzubringen, bietet das raum aktiv mitgestalten und da- men in vielfältiger Weise in Erschei- EU-Programm LEADER. In demokra- durch selbst neu werden, hat eine nung getreten. So hat sich nicht nur tisch verfassten Aktionsgruppen, die Ausstrahlung, die weit über die Ge- das Zusammenspiel von Einrichtun- als öffentlich-private Partnerschaf- meinden hinauswirkt. Die Tagung in gen der Diakonie oder Caritas und ten agieren, schmieden Vertreterin- Altenkirchen hat dies eindrücklich den Kirchgemeinden vielerorts er- nen und Vertreter aus Kommunen, gezeigt. Die Broschüre, die Sie hier in neuert. Gleichzeitig findet auch eine Wirtschaft und Zivilgesellschaft ge- Händen halten, will dazu ermutigen, Öffnung für Kooperationen mit wei- meinsam Entwicklungsstrategien sich mit auf diese neuen Wege zu Fotos: Deutscher Caritasverband, Anke Jacob; Diakonie, Thomas Meyer teren Akteuren im Gemeinwesen und setzen diese konzertiert um. begeben und darauf zu vertrauen, statt. Eine spannende, wechselseiti- dass die Tore bereits offen sind: ge Entdeckungsreise. In vielen LEADER-Aktionsgruppen sind kirchliche Einrichtungen bereits Das Land ist hell und weit. Kampagnen und Jahresthemen von vertreten. Aber es gibt durchaus Caritas und Diakonie setzten immer noch Luft nach oben: Die Potenziale Ulrich Lilie wieder inhaltliche Akzente und un- ihrer Wirksamkeit sind längst noch Präsident der Diakonie Deutschland terstützen indirekt die notwendigen nicht ausgeschöpft. Durch ihre flä- Prozesse im ländlichen Raum, in de- chendeckende Präsenz bieten sie Prälat Dr. Peter Neher nen sich die Akteure vor Ort dem eine hervorragende räumliche und Präsident des Deutschen Caritas Strukturwandel stellen und so ver- institutionelle Verankerung bis in verbandes suchen, Disparitäten regionaler Ent- sehr entlegene Gegenden. Das 6 LandInForm Spezial 9/2021
Editorial Liebe Leserinnen und Leser, dieses Heft kommt zur richtigen Zeit: Eine europäische Förderperiode ist zu Ende und die Vorbereitungen für die kommende laufen. In einigen Bundesländern beginnen die Bewerbungsrunden für die Lokalen LEADER- Aktionsgruppen im Februar 2021. Bewährtes und neue Ideen werden derzeit diskutiert und fließen dann in die regionalen Entwicklungskonzepte. Die Deutsche Vernetzungsstelle Ländliche Räume ist vor etwa fünf Jahren auf Kirchen und Wohlfahrtsverbände zugegangen. Damals wurden kirchliche Ak- teure im LEADER-Umfeld durch gute Projekte und viel Engagement verstärkt sichtbar. Und das war eine sich ergänzende Bewegung. Zeitgleich startete der Deutsche Caritasverband 2015 seine Kampagne „Stadt – Land – Zukunft“, die sich mit den vielfältigen Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf ländliche Räume auseinandersetzte. Seitdem ist der ländliche Raum kontinu- ierlich im Fokus. Aktuell erprobt die Diakonie Deutschland mit dem Projekt „Dörfer mit Zukunft“, wie sich das soziale Miteinander in ländlichen Räumen durch neue Möglichkeiten der Digitalisierung fördern lässt. Die Bezüge zu den von der Europäischen Union gesetzten Themen sind un- übersehbar: Neben dem verstärkten Kampf gegen den Klimawandel und für mehr Biodiversität geht es hier auch um Smart Villages und soziale Belange in der Daseinsvorsorge. In der Kirche ist es Tradition, dass sich Ehrenamtliche und Hauptamtliche gegenseitig unterstützen. Häufig sind Ehrenamtliche für ihre Aufgabengebiete speziell geschult, beispielsweise in der Sozialberatung, als Seniorenbeauftragte, für Einkaufs- oder Fahrgemeinschaften sowie in der Begleitung von Migranten. Die Kommunikation in Gruppen und Aushandlungsprozesse mit verschiede- nen Partnern laufen dabei ähnlich ab wie bei LEADER-Gruppen und ihren re- gionalen Netzwerken. Hier, wie im kirchlichen Kontext, werden in Kooperation mit anderen Angebote entwickelt, Kenntnisse ausgetauscht und damit ver- schiedene Zielgruppen erreicht. Man ist sich also näher, als man erwarten könnte. Das zeigt sich auch beim Vergleich der Programmorganisation: Kirchliche Strukturen warten mit ähnlicher Komplexität auf wie LEADER. Seit einigen Jahren ist ein zunehmendes Interesse kirchlicher Einrichtungen an LEADER zu erkennen. Und LEADER-Managements haben durch eine wach- sende Präsenz von Gemeinden und Wohlfahrtsverbänden in Lokalen Aktions- gruppen ein besseres Verständnis von Kirche entwickelt; man hört sich mitt- lerweile geduldiger zu – und lädt einander ein. Das Potenzial dieser Annäherung und Zusammenarbeit ist noch lange nicht erschöpft. Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre! Leiter der Deutschen Vernetzungsstelle Ländliche Räume LandInForm Spezial 9/2021 7
Marienbrunnen, Landsberg am Lech Europas Sterne über weitem Land „Kirche und LEADER – Welten verbinden und Kräfte bün- Wir alle sind Europa – das europäische Projekt ist auf deln“ war unser Motto, als wir uns im März 2019 in Al- eine starke Zivilgesellschaft insbesondere im ländlichen tenkirchen im Westerwald trafen. Über 120 Teilnehmen- Raum mehr denn je angewiesen. Wie wichtig es ist, die de von LEADER-Aktionsgruppen und kirchlichen Kräfte in der Region zu stärken, zeigt auch die Corona- Institutionen kamen zusammen, um Antworten auf die Pandemie: Die Europäische Union sollte vor Ort besser Fragen zu finden: Wie aktiv sind Kirchen und ihre Wohl- in die politische Diskussion gebracht, sichtbarer ge- fahrtsverbände als Akteure in LEADER-Aktionsgruppen? macht werden. Aus unserer Sicht ist kaum ein europäi- Und: Wie kann die Zusammenarbeit in Zukunft gestärkt sches Programm dafür besser geeignet als der LEADER- werden? Ansatz, der auch in der europäischen Förderperiode 2021 bis 2027 angemessen ausgestattet sein, ja, mög- In lebendigen und oft auch kurzweiligen Formaten hiel- lichst effektiv aufgestockt werden sollte. ten viele der Diskussionsteilnehmenden es für wichtig, dass zwischen kirchlichen Akteuren und den LEADER- Man muss kein Sterndeuter sein, um zu spüren, dass der Regionen ein Austausch stattfindet. Denn die Kirche Geist von Altenkirchen nachwirkt. Und wir wollen ihn könne nicht nur ihr Engagement einbringen, sondern gerne lebendig erhalten, indem wir auch Ihnen, liebe auch ihre Strukturen, die anderen, kleinen Trägern zu- Leserinnen und Leser, mit dieser LandInForm-Sonder- gutekommen. ausgabe ein wenig Gelegenheit schaffen, daran teilzu- haben. Foto: Albrecht Fietz, https://pixabay.com Von welchem Stern die Akteure kamen, vermittelte die thematische Bandbreite ihrer Projekte. Sie reichte vom Eine anregende Lektüre wünschen Umgang mit Leerständen über Nachhaltigkeit und neue Wohnformen in der alternden Gesellschaft bis hin zu Volker Amrhein (Diakonie Deutschland), Stefan Kämper Netzwerkthemen. Andere Akteure wiederum beschäftig- (Deutsche Vernetzungsstelle Ländliche Räume), ten sich mit der regionalpolitischen Forderung, Kirche Barbara Siebert (Evangelisch-lutherische Landeskirche und LEADER-Gruppen mögen doch (noch) aktiver aufei- Hannovers), Ulrike Truderung (EKD, Büro nander zugehen. Brüssel), Dr. Johan Wagner (Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische SERVICE: Dass es sich für beide Seiten lohnt, die Kräfte zu bün- Oberlausitz), Susanne Wander (EKD, Dokumentation der Veranstaltung deln, zeigen viele der in diesem Heft vorgestellten Bei- Büro Brüssel) „Kirche und LEADER – Welten verbin- spiele. Und sie dokumentieren auch: Mehr als andere den und Kräfte bündeln“ und die Programme macht LEADER deutlich, dass Europa wirkt – für das Redaktionsteam „Erklärung von Altenkirchen“ unter: und zwar vor Ort. www.netzwerk-laendlicher-raum.de/ kircheundleader 8 LandInForm Spezial 9/2021
LEADER LEADER – eine europäische Erfolgsgeschichte?! Der vor fast 30 Jahren von der Europäischen Kom- mission entworfene Regionalentwicklungsansatz stellt eine europäische Erfolgsgeschichte dar. Aber LEADER steht heute im Spannungsfeld von Experi- ment und Standardförderung, hohem Wirkungsgrad vor Ort und „Bureaucrazy“. [VON PEDRO BROSEI] Ende der Achtzigerjahre entwickelten schen Strukturfonds angebunden. zeichnung CLLD (Community-Led progressive Köpfe in der General Die Gemeinschaftsinitiative wurde Local Development). In Deutschland direktion Landwirtschaft der Euro- nun über Programme der Mitglied- wurde außer in Sachsen-Anhalt nur päischen Kommission die Idee zu staaten umgesetzt, die die Kommis- sehr zurückhaltend von diesem LEADER. Im Jahr 1991 wurde der An- sion zuvor genehmigt hatte. So lag Wachstumspotenzial für LEADER satz als eine der sogenannten „Ge- die Verantwortung für die ordnungs- durch eine Finanzierung mit mehre- meinschaftsinitiativen“ auf den Weg gemäße Abwicklung nun bei den ren Fonds (Multifonds-Ansatz) Ge- gebracht. Diese startete die EU, um Mitgliedstaaten – und sie mussten brauch gemacht. verschiedene sektorale und räumli- Projekte mit eigenem Geld kofinan- che Herausforderungen zu bewälti- zieren. In dieser Phase wurde LEADER Mit LEADER wollte die EU der zu gen. Ein Beispiel dafür ist auch die in Deutschland auch erstmals in den nehmenden Bedeutung der Politik Initiative INTERREG, mit der neue neuen Bundesländern umgesetzt. für ländliche Entwicklung Rechnung grenzübergreifende Ansätze erprobt Mit dem Nachfolger LEADER+ von tragen: Sie schuf ein Instrument, das wurden. LEADER sollte das Labor ei- 2000 bis 2006 konsolidierte sich die zunächst vor allem Einfluss auf die nes neuartigen Förderinstruments Arbeit der LAG, wobei sich LEADER Entwicklung in eher sozial und wirt- für den ländlichen Raum sein. Da- nun erstmals vollständig aus dem schaftlich abgehängten ländlichen mals hätte wohl niemand gedacht, Europäischen Agrarfonds finanzierte. Gebieten nimmt. Das Einzigartige dass 30 Jahre später das LEADER- Die größte Veränderung für LEADER daran: In den ländlichen Regionen Logo mit der Pflanze von Transsylva- folgte ab der Förderperiode 2007 bis vor Ort sind Akteure verschiedener nien bis zum Alentejo in Portugal, 2013 mit über 2 000 LAG nach der Sektoren von Beginn an in den Pro- von Sizilien bis Lappland an Eingän- Erweiterung der EU nach Osten, die zess eingebunden. Sie setzen gebiets- gen zu Gemeinschaftshäusern, Mu- LEADER in Pilotprojekten zuvor be- bezogene Entwicklungsstrategien seen und vielen anderen Orten zu reits getestet hatten. Es war aber um, die sie selbst partizipativ erar- sehen ist. gleichzeitig auch der große Umbruch beitet und beschlossen haben – ein für LEADER, da der Ansatz nun als Bottom-up-Ansatz. Neue Regelungen mit jeder „horizontale Maßnahme“ für die Mit- Förderperiode gliedstaaten verpflichtend in die Das Ziel: Lücken schließen Die erste Generation von Lokalen Programme überführt wurde, die Auch heute noch soll LEADER andere Aktionsgruppen (LAG) von 1991 bis aus dem Europäischen Landwirt- Förderinstrumente ergänzen – indem 1994 bekam noch 100 Prozent des schaftsfonds für die Entwicklung des es vorhandene Ressourcen aktiviert Geldes direkt von der Kommission ländlichen Raums (ELER) finanziert und Prozesse anstößt. Es geht dabei überwiesen, die Verwaltungen der werden (mit mindestens fünf Pro- weniger um „harte“ Investitionen Mitgliedstaaten nahmen auf LEADER zent der Mittel). Von nun an unterlag wie Bau- oder Infrastrukturmaßnah- keinen Einfluss. Die zweite Genera LEADER auch deren strikteren Re- men, sondern um „weichere“ Projek- tion in der Gemeinschaftsinitiative geln. Neu in der Förderperiode 2014 te wie Konzepte, Aktionen zur Be- LEADER II von 1995 bis 1999 zählte bis 2020 war die Einführung des LEA- wusstseins- oder Imagebildung oder mehr als 900 LAG und war bereits an DER-Ansatzes in die fünf Struktur- auch Personalkosten. LEADER soll die Verwaltungsabläufe der Europäi- und Investitionsfonds unter der Be- auch Lücken schließen und Akteuren LandInForm Spezial 9/2021 9
Elbtaufe bei Dessau unter die Arme greifen, für die im prägt, war LEADER wie für diese Län- ländlichen Tourismus und die Wert- ländlichen Raum andere Fördertöp- der gemacht: Mit etwas Geld konnten schöpfung durch regionale Produk- fe nur schwierig zu finden sind, etwa die LEADER-Regionen selbst über die te, sondern organisierten auch etwa in Bereichen wie Kultur und Kultur- Förderung interessanter Projekte berufliche Wiedereingliederungs- erbe. In den ersten Jahren galt dies entscheiden und dadurch die Ent- programme oder Fahrdienste in ih- auch sehr stark für die Förderung wicklung nachhaltig verbessern, ren Regionen. So waren sie für den der Vermarktung von regionalen ohne dafür in der Hauptstadt nach- wirtschaftlichen Aufschwung des Produkten und des ländlichen Tou- fragen zu müssen. In diesen Ländern Landes mit verantwortlich. rismus. Im Lauf der Zeit konnten bildeten sich durch LEADER gut sich in diesen Bereichen viele ländli- funktionierende regionale Agenturen Einige sagen, dass der Stimulus che Gebiete in Europa gut positio- für ländliche Entwicklung, die ange- durch Europa essenziell für solche nieren – nicht zuletzt durch die Hilfe sichts schwacher kommunaler Prozesse in den ärmeren Mitglied- von LEADER. Die Ergebnisse fußen Strukturen und fehlender regionaler staaten war. Entsprechend dem Fi- letztendlich auf guter sektorenüber- Wirtschaftsförderung im Laufe der nanzschlüssel für die Verteilung der greifender Zusammenarbeit von Zeit weitreichende Aufgaben als Ent- EU-Gelder haben die LEADER-Regio- Ehrenamtlichen aus der Zivilgesell- wicklungs-Broker übernahmen und nen in diesen Ländern vergleichs- schaft, Verwaltung und Wirtschaft. auch für die finanzielle Abwicklung weise mehr Gelder erhalten, wobei Viele Engagierte sind mit voller Be- der Programme verantwortlich wa- zu bedenken ist, dass diese Mittel geisterung dabei, sie sprechen vom ren. oft die einzige Finanzquelle darstell- sogenannten „LEADER spirit“. ten, um Rückstände im ländlichen Vielfältige Umsetzung in Irland Raum aufzuholen. Heute ist der größte Teil der ländli- In Irland, einem mit sechs Millionen chen Räume in der EU mit LEADER Einwohnern bevölkerungsmäßig Engagement über die EU-Grenzen abgedeckt. Fast 4 000 LAG setzen kleinen Land mit überwiegend ärme- hinweg Bottom-up-Strategien in ihren Regi- ren ländlichen Strukturen, verwalte- Dabei hat sich LEADER über jede onen um. Vor allem dort, wo LEADER ten gemeinnützige sogenannte Local EU-Erweiterung hinaus auch jenseits neu ist, und für die Selbstorganisati- Development Companies Budgets in der EU-Grenzen etabliert, insbeson- on der Zivilgesellschaft im ländlichen Höhe von mehreren Millionen Euro. dere in den EU-Nachbarstaaten im Raum eine große Rolle spielen kann, Dem LEADER-Prozess wurde nach Balkan und im Kaukasus. Dort wur- ist der Enthusiasmus am größten. So seinem Start damit eine viel größere den LAG in Pilot-Projekten gegrün- war es auch Anfang der 90er-Jahre Bedeutung zugemessen als in det, finanziert durch Gelder aus der in den ländlichen Räumen der da- Deutschland, wo die LAG mit deut- Entwicklungshilfe. Diese testen die Foto: Jörg Gläscher mals ärmeren Mitgliedstaaten wie lich weniger Mitteln ausgestattet Methode vor Ort, unterstützt durch Irland, Spanien oder Portugal. Struk- waren. Die Iren kümmerten sich mit Expertise aus der EU. So haben turschwach und zentralistisch ge- LEADER-Mitteln nicht nur um den LEADER-Akteure aus der EU früh 10 LandInForm Spezial 9/2021
LEADER angefangen, beim Aufbau von Akti- Steigende Bürokratie bringt von LEADER enttäuscht abgewandt onsgruppen in den Beitrittsstaaten neue Hürden oder haben, wenn sie immer noch und Nachbarstaaten mitzuhelfen, Bei der Einbettung von LEADER in mit Begeisterung dabei sind, zumin- nicht zuletzt unterstützt durch die die ELER-Programme seit 2007 wur- dest einen kritischen Blick auf die ebenfalls von der EU geförderte eu- de die Förderung allen Regeln für Entwicklung, den die Umsetzung des ropäische Vernetzungsarbeit. die Umsetzung von Standardmaß- LEADER-Ansatzes im Lauf der Zeit nahmen unterworfen. Das bedeutete genommen hat. So wie etwa Stefan Neben der wichtigen Vernetzung auf für alle Beteiligten einen erhöhten Niedermoser, Regionalmanager aus nationaler und europäischer Ebene Verwaltungsaufwand. Es fehlte die Österreich: „Rückblickend ist LEADER setzte die EU auch auf transnationa- Freiheit aus der Zeit der Gemein- immer noch das beste und richtige le Kooperation, die für Akteure im schaftsinitiativen, relativ unkompli- Instrument für eine integrierte Regi- ländlichen Raum ein Novum war. Sie ziert zu fördern. Zudem verlangte onalentwicklung und genießt bei sollte ein gewisses Extra darstellen, der Europäische Rechnungshof nun der Bevölkerung hohes Ansehen. den LAG einen Blick über den Teller- die strenge Einhaltung dogmatischer Aber irgendwie haben wir unsere rand gewähren und Inspiration für Merkmale des LEADER-Ansatzes (s. S. Mission verloren. Wir haben uns zu neue Ideen bieten. 16). So gab die EU in der Verordnung sehr auf Regeln und Vorschriften beispielsweise vor, dass der Anteil konzentriert, anstatt an den LEADER- Austausch, der verbindet der Wirtschafts- und Sozialpartner Ansatz und die Verantwortung einer Ein typisches Kooperationsprojekt des Entscheidungsgremiums größer Region zu glauben und ihm zu ver- umfasst zum Beispiel, gemeinsam als 50 Prozent sein muss, damit Mit- trauen. Auch das Vertrauen und der einen Umsetzungsansatz für die glieder aus Politik und Verwaltung Mut der Verwaltung müssen gestärkt Regionalentwicklung zu erarbeiten, nicht dominieren. Bestehende LAG werden, und wir müssen LEADER in wie etwa im Projekt „Flourishing mussten sich mit den neuen Regeln allen Facetten kommunizieren, nicht destinations approach“. Aktions- arrangieren, die neueren (insbeson- nur als Förderinstrument.“ gruppen aus Gemeinden in Rumäni- dere in Osteuropa) haben nie etwas en, Belgien und Schottland haben anderes kennengelernt als die „Bu- Angst um LEADER muss man den- gemeinsam ein Modell geschaffen, reaucrazy“, wie es ein niederländi- noch nicht haben. Hinter den 4 000 wie die Bewohner der Regionen scher Regionalmanager ausdrückte. LAG in Europa stecken zumeist moti- selbst einen nachhaltigen Tourismus Erfahrungen aus der aktuellen För- vierte Akteure und viele verantwor- entwickeln können – trotz aller Un- derperiode zeigen auch, dass der tungsvolle Politiker unterstützen terschiede. Obwohl solche Aus- neue Multifonds-Ansatz in seiner diesen Prozess wohlwollend. Es gibt tauschprojekte oft keine messbaren Konzeption und Umsetzung kompli- genug Freunde von LEADER – in 27 Ergebnisse hinterlassen, erhöht sich ziert ist, da die Regeln der verschie- Ländern der Europäischen Union die Identifikation mit Europa als denen Fonds mitunter parallel gel- und darüber hinaus. Kaum etwas Raum des Zusammenlebens. LEADER ten. charakterisiert LEADER wohl besser wurde deshalb schon oft als das EU- als ein afrikanisches Sprichwort: Programm neben Erasmus+ bezeich- Doch die kritischen Stimmen wurden „Wenn du schnell gehen willst, geh net, das den Austausch von Bürgern gehört. In der Vorbereitung auf die alleine; aber, wenn du weit gehen in Europa mit in den Vordergrund anstehende Förderperiode gibt es willst, geh zusammen.“ stellt. nun spürbare Anstrengungen, den Umsetzungsprozess zu entbürokrati- Es gibt jedoch seit jeher auch kriti- sieren, etwa durch die Einführung KONTAKT: sche Stimmen zur Effizienz von vereinfachter Fördergrundsätze für LEADER, sei es im Hinblick auf die Projekte. Es bleibt abzuwarten, wie Pedro Brosei Nachhaltigkeit der Projekte, die Um- sehr die Mitgliedstaaten diesen Vor- Bundesarbeitsgemeinschaft setzungsstrukturen im Spannungs- schlägen folgen. der LEADER-Aktionsgruppen feld zwischen Bottom-up und Top- in Deutschland (BAG LAG) down und vor allem die übermäßige Wenn man Akteure befragt, die pedro.brosei@baglag.de Bürokratie. schon in den Anfangsjahren dabei www.baglag.de waren, haben sie sich entweder LandInForm Spezial 9/2021 11
LEADER LEADER ist das Instrument, das den Menschen vor Ort die Chance gibt, mitzubestimmen.“ Heiko Bansen Meike Lücke Heiko Bansen LEADER – Anspruch und Wirklichkeit Mit dem LEADER-Ansatz ist der Gedanke verbunden, Meike Lücke ist seit 2006 Regionalmanagerin der LEADER-Region Wesermarsch in Bewegung in Nieder- dass sich Herausforderungen in ländlichen Gebieten sachsen und Vorsitzende des Niedersächsischen nicht durch Top-down-Entscheidungen von Verwaltun- LEADER-Lenkungsausschusses. www.wesermarsch-in-bewegung.de gen in weit entfernten Städten lösen lassen. Vielmehr sollen die Menschen und Organisationen auf lokaler Heiko Bansen ist seit 2002 Regionalmanager der LEADER-Region Fläming-Havel in Brandenburg und Ebene an der Entwicklung ihrer Region teilhaben. Sprecher der Regionalmanager in Brandenburg. Funktioniert das in der Praxis? www.flaeming-havel.de Frau Lücke, Herr Bansen, bei LEADER entwickeln die re- gionalen Akteure für ihr Gebiet passgenaue Strategien und setzen diese dann innerhalb einer Förderperiode von etwa sieben Jahren um. Warum ist das ein gutes Vorgehen für die Entwicklung ländlicher Regionen? Heiko Bansen (HB): Oft wird vom ländlichen Raum als Einheit gesprochen. Alle, die auf dem Land leben, wis- sen, dass es große Unterschiede gibt. Da ist LEADER ge- nau das Instrument, das den Menschen vor Ort die Chance gibt, mitzubestimmen und festzulegen, was in ihrer unmittelbaren Umgebung passieren soll. 12 LandInForm Spezial 9/2021
LEADER Meike Lücke (ML): Die Menschen vor Ort sind die Exper- HB: Die Lokale Aktionsgruppe (LAG) ist offen für alle, und ten für ihre Region – niemand sonst weiß besser, was die das meinen wir auch ernst. Aber für die kontinuierliche lokalen Stärken und Schwächen sind. Die LEADER-För- Mitarbeit gibt es eine gewisse Verbindlichkeit: regelmä- dergelder sind zielgerichtet auf die Region zugeschnitten ßige Gremiensitzungen, wenn es um die Projektauswahl und kommen da an, wo sie am meisten benötigt werden. geht. Wir stellen fest, dass es Unternehmern schwerfällt, Es ist wichtig, in einer Lokalen Entwicklungsstrategie un- diese Termine in ihren Arbeitsalltag zu integrieren. Das ter breiter Beteiligung von Akteuren Ziele und Themen führt dazu, dass wir bei den Vertretern dieses Bereiches für eine Förderperiode festzulegen. Wenn wir kein Ziel im LAG-Vorstand häufiger einen Wechsel haben. Bisher haben, können wir auch an keinem ankommen. Mit einer ist es aber immer gelungen, ihre sehr wichtige Sicht mit Strategie hat man eine gemeinsame Verabredung für ei- einzubeziehen. Ich habe auch bei dem Problem der Be- nen bestimmten Zeitraum und schafft Verbindlichkeit. teiligung von Jugendlichen genickt, weil wir da noch kei- nen gangbaren Weg gefunden haben. Gibt es in Ihren Regionen Themen, die innerhalb einer solchen Strategie systematisch weiterentwickelt wurden? ML: Die Lebenswelt von Jugendlichen ist kurz getaktet HB: Wir sind seit 2002 LEADER-Region. Wenn ich jetzt auf und LEADER ist ein langwieriger Prozess. Selbst wenn sie die fast 20 Jahre zurückblicke, fällt mir das Beispiel der wollen – wir sind einfach zu langsam für Jugendliche. Entwicklung des Hohen Fläming zur Wanderregion ein. 2016 haben wir begonnen, einen vom Jugendparlament Die Idee entstand von unten. Sie wird noch heute von initiierten Fitnessparcours umzusetzen. Für die Jugendli- vielen Menschen mitgetragen und das hätte nicht funk- chen war schwer zu ertragen, wie lange es von der Idee tioniert, wenn die Idee aus der Landeshauptstadt vorge- bis zur Umsetzung dauerte: rund zweieinhalb Jahre. Als geben worden wäre. der Parcours dann endlich eröffnet wurde, waren die beiden Ideengeber des Jugendparlaments mit dabei – ML: Unsere LEADER-Region ist seit 2001 dabei. In den aber sie kamen beide von ihren Studienorten angereist. ersten zwei Förderperioden hat sich bei uns der Fahrrad- tourismus als Schwerpunkt herauskristallisiert: Beschil- Wie müssen Menschen vorgehen, die sich derung, Wegekonzepte, Rasthütten oder die Melkhüs, beteiligen wollen? in denen man regionale Produkte wie Milchshakes und HB: Oft ergibt sich ein erster Kontakt über Ideen und Pro- Quarkspeisen bekommt. Die Wesermarsch wird jetzt jekte. Menschen wollen etwas für ihren Ort tun und suchen überregional im Tourismus wahrgenommen. Weil wir Unterstützung. Darüber finden sie einen Einstieg in den nach zehn, zwölf Jahren eine gute Radwege-Infrastruktur regionalen Prozess. Sie merken, dass sie ihre Erfahrung aufgebaut hatten, hat sich die Strategie geändert und einbringen können; oder sie wollen Einfluss auf die LAG neue Themen sind aufgekommen: Klimaschutz oder Dorf- nehmen: aus eigenem Interesse, dem Interesse des Hei- gemeinschaftshäuser. Das ist von unten gewachsen. matortes oder einer Gruppe. Das Regionalmanagement ist hierbei in der Regel der erste Ansprechpartner und Der LEADER-Prozess soll nach dem Bottom-up-Prinzip vermittelt. Viele LEADER-Regionen – auch wir – haben Bottom-up erfolgen. Wie drückt sich das in Ihren Regionen aus? eine informative niedrigschwellige Ebene, die Arbeits- HB: Die Projektauswahl in LEADER erfolgt auf Grundlage gruppen. Sie finden in regelmäßigen Abständen in ver- funktioniert, der Strategie. Die Aufstellungsphase der Strategie zu Be- schiedenen Ecken der Region statt. Darin stellen sich Pro- sofern die ginn der Förderperiode ist deshalb sehr bedeutend. Es jektträger mit ihren Ideen vor und holen sich Anregungen. ist wichtig, dort einen echten, breiten Beteiligungspro- Bis zu 50 Interessierte nehmen an jeder Runde teil und richtigen – zess zu starten. In dieser Phase vor sechs Jahren waren können in einem gewissen Rahmen mitsprechen. und genügend rund 300 Menschen bei unseren Veranstaltungen dabei. In einer Runde mit fast 100 Personen haben die Anwe- ML: Jeder kann beim Regionalmanagement anrufen, – Leute senden ihre Prioritäten in den Handlungsfeldern der um Themen zu setzen, Projektanträge einzureichen oder einbezogen Strategie festgelegt. Sie haben uns die Daseinsvorsorge zu fragen, ob es für eine Idee Fördermittel gibt oder wir als wichtiges Thema für die LEADER-Arbeit bis 2020 mit den Kontakt zum Bürgermeister herstellen können. Wir werden.“ auf den Weg gegeben. sind Türöffner für das Netzwerk. Da muss man eigentlich nur zum Hörer greifen oder eine Mail schreiben. Meike Lücke ML: Bottom-up funktioniert bei der Erstellung der Loka- len Entwicklungsstrategie, sofern die richtigen – bezie- Kann jeder Interessierte Mitglied der LAG werden hungsweise genügend – Leute einbezogen werden. Neue und über Projekte mitentscheiden? LEADER-Regionen müssen erst einmal Netzwerke auf- ML: Unsere LAG ist ein nicht rechtsfähiger Verein nach bauen. Da kann es manchmal sein, dass eine Entwick- § 54 BGB – das ist bei mehreren der 41 LEADER-Regionen lungsstrategie nicht mit hunderten von Akteuren entwi- in Niedersachen so. Eigentlich kann jeder mitmachen – ckelt wird, sondern mit einem kleinen Kreis. Darin sind die LAG-Sitze sind jedoch auf 26 Personen beschränkt. vielleicht relativ viele kommunale Akteure vertreten. Die Anzahl der Sitze können und wollen wir nicht erwei- Oder es fehlen bestimmte zivilgesellschaftliche Grup- tern – die LAG ist das Gremium, das bei uns über die pen, weil man sie noch nicht kennt. Förderwürdigkeit von Projekten entscheidet. Denn aus Evaluierungsergebnissen wissen wir, dass das fast schon Das heißt aber, mit den Jahren kann es gelingen, zu viele sind, um arbeitsfähig zu sein. Weil wir zu Beginn die breite Vielfalt der Akteursgruppen in den dieser Förderperiode aber vor der Herausforderung LEADER-Prozess einzubeziehen? standen, dass mehr Menschen als früher in der LAG mit- ML: Eine große Schwierigkeit bei uns ist, Unternehmer machen wollten, haben wir die sogenannten Projektwerk- mit einzubinden. Und ein Riesen-Thema bei uns: Jugend- stätten eingeführt – ähnlich den Arbeitsgruppen in der liche. Region Fläming-Havel. LandInForm Spezial 9/2021 13
LEADER Auf einen Blick – Finanzausstattung der LEADER-Regionen Wesermarsch in Bewegung und Fläming-Havel (2014 bis 2020) Wesermarsch in Bewegung Fläming-Havel Niedersachsen Brandenburg Mittel (gesamt) 5,2 Mio. Euro1 57,3 Mio. Euro1 LEADER-Mittel* 2,5 Mio. Euro2 32,9 Mio. Euro2 Kofinanzierung 0,9 Mio. Euro3 2,3 Mio. Euro3 Eigenmittel der Projektträger 1,1 Mio. Euro4 22,1 Mio. Euro4 Eingeworbene Drittmittel 0,7 Mio. Euro5 * EU-Mittel aus dem Europäischen Land- 1 Stand: Dezember 2020; Gesamtinvestitionsvolumen gerundet 1 Stand: Dezember 2020; Gesamtinvestitionsvolumen gerundet wirtschaftsfonds für die Entwicklung 2 Gesamtkontingent, davon etwa 1 900 000 Euro für Projekte, 2 davon 32,0 Mio. Euro für Projekte, 900 000 Euro für Regionalmanage- des ländlichen Raums (ELER) 600 000 Euro für Regionalmanagement ment 3 kommunaler Kofinanzierungsfonds (Landkreis und kreisangehörige 3 Landeskofinanzierung für private Projekte Kommunen); Kofinanzierung von Gemeinschaftsprojekten und Unter- 4 Eigenmittel der Projektträger; darunter kommunale Mittel, die stützung von privaten Projekten; etwa 700 000 Euro für Projekte, 140 gleichzeitig nationale Kofinanzierung sind 000 Euro für Kofinanzierung des Regionalmanagements; etwa 60 000 Euro Landeskofinanzierung für private Projekte und Mittel nach KofiRL 4 etwa 700 000 Euro durch private Antragsteller, 400 000 Euro durch öffentliche Antragsteller 5 davon etwa 600 000 Euro öffentliche Kofinanzierung Zum Vergleich – LEADER-Mittel und Anzahl der LEADER-Regionen in Niedersachsen und Brandenburg (2014 bis 2020) Die Bundesländer stellen für LEADER unterschiedlich viel Geld zur gung steht (siehe Seite 17). Abhängig davon und von der Anzahl der Verfügung. Je nach thematischer Schwerpunktsetzung innerhalb LEADER-Regionen eines Landes ergeben sich rechnerisch sehr unter- eines Landes variiert der Anteil der Mittel, der für LEADER zur Verfü- schiedliche Mittelanteile pro LAG. Niedersachsen Brandenburg Anteil LEADER-Mittel* 9,2 Prozent (103 Mio. Euro1) 28 Prozent (292 Mio. Euro1) Anzahl LEADER-Regionen 41 14 * nteil an gesamten EU-Mitteln aus A 1 eplant; Ende Dezember 2020 waren 85,4 Mio. Euro ELER-Mittel für g 1 geplant; Ende Dezember 2020 waren 245 Mio. Euro ELER-Mittel für dem Europäischen Landwirtschafts- LEADER bewilligt LEADER bewilligt fonds für die Entwicklung des länd lichen Raums (ELER) HB: Wir sind als Verein organisiert und haben mehr als HB: Ein Beispiel, wo diese Arbeit hinführt: Wir hatten aus 100 Mitglieder, darunter auch Gemeinden und Institutio- früheren Aktionen Kontakte zu den Verkehrsunterneh- nen. Von denen sind einige sehr aktiv, andere wollen mit men und den Touristikern. Wir haben eine relativ offene ihrer Mitgliedschaft nur die Arbeit des Vereins unterstüt- Workshop-Situation für beide Gruppen geschaffen. Die zen. Das Projektauswahlgremium ist bei uns der Vor- Touristiker haben gesagt: Zu uns in die Region kommen stand – er besteht aus elf Personen. Die bereits genann- die Leute am Wochenende nur mit dem eigenen Auto, ten Arbeitsgruppen können ihm für die wie können wir das ändern? Darauf hat der Vertreter der Projektbewertung Hinweise mit auf den Weg geben. Verkehrsunternehmen geantwortet: Denken wir doch mal über eine Busrundlinie nach! So wurde die Burgenli- Schaffen es Lokale Aktionsgruppen Akteure verschie- nie geboren, die bis jetzt super läuft und am Wochenen- dener Interessengruppen an einen Tisch zu bringen? de ein Rückgrat der Mobilität für die Bewohner, aber vor ML: Bei uns klappt das sehr gut. Auch Naturschützer und allen Dingen für die Gäste ist. Landwirte sind sich nicht spinnefeind, sie reden mitein- ander. Durch die Arbeit in der LAG, durch die gemeinsa- Beteiligen sich in Ihren Lokalen Aktionsgruppen men Projekterfolge ist Vertrauen gewachsen. Wir wissen auch Akteure aus Kirchen oder kirchlichen Wohlfahrts- aus anonymen Interviews mit LAG-Mitgliedern, dass die organisationen? Arbeitsweise und Atmosphäre in einer LAG-Sitzung an- HB: Wir haben im Verein einige Kirchengemeinden als ders ist als in sonstigen Gremien, in denen sie mit den Mitglieder, aber nicht im Entscheidungsgremium. Auf gleichen Leuten zusammenkommen. Denn sie teilen das Projektebene gibt es eine sehr gute Zusammenarbeit. Interesse, die Region voranzubringen. Und es gibt För- In Brandenburg haben die LEADER-Regionen relativ viel dermittel – und zwar nur, wenn man gemeinsam spricht Geld zur Verfügung und können auch größere investive und agiert und nicht versucht, Partialinteressen durch- Vorhaben, wie Sanierungsprojekte, unterstützen. Wenn zudrücken. wir merken, dass es der Kirchgemeinde bei einem Projekt 14 LandInForm Spezial 9/2021
LEADER Bei allen Schwierigkeiten mit den Sprachen wächst ein Verständnis für die Vielfalt in Europa.“ Heiko Bansen nicht nur um ihr Eigeninteresse geht, sondern die Dorfge- projekt hier in Brandenburg zum Thema Precision Dairy meinschaft mit eingebunden ist, Vernetzung und Kulturar- Farming. Es geht darum, Betriebe in unseren Regionen beit stattfindet, dann sehen wir das als Stärkung des Ortes dabei zu unterstützen, moderne Technik und Datenverar- und sind offen für eine Förderung. Für uns ist entschei- beitung in der Milchwirtschaft einzusetzen. Das ist dend, dass die Dorfgemeinschaft das Projekt für richtig zumindest für Brandenburg innovativ. Im investiven Be- hält und nicht allein die Kirchenverwaltung. reich sieht die Richtlinie ein Scheitern leider nicht vor: Da hat der Projektträger eine Zweckbindungsfrist und ML: Genau, das sehen wir hier in der Wesermarsch auch wenn er scheitert, weil zum Beispiel die Geschäftsidee so, das ist Bottom-up! Wir haben seit dieser Förderperio- nicht wie vorgesehen läuft, wird er noch zusätzlich durch de einen der 26 LAG-Sitze für einen Kirchenvertreter vor- die Rückforderung der Fördermittel bestraft. Investitio- gesehen, weil zu den wichtigen Playern hier vor Ort auch nen und Experimente schließen sich deshalb bei LEADER die Kirchen gehören. Bei uns zählt der Mensch mehr als in Brandenburg aus. Ich würde begrüßen, wenn mehr die Funktion – er darf nicht nur an sich denken. Daher ist Flexibilität möglich wäre. ein Pfarrer LAG-Mitglied, der noch in einem Kulturverein engagiert ist und somit mehrere Themen abdeckt. ML: Wenn der Fördermittelgeber oder die EU möchten, dass über LEADER Innovationen möglich sind, müsste ins LEADER ist ein europäischer Ansatz, der Kooperationen Zuwendungsrecht vielleicht eine Experimentierklausel inte- zwischen ländlichen Gebieten über nationale Grenzen griert werden. hinaus fördern soll. Welche Vorteile haben Ihre Regio- nen davon? Was sind Ihre Wünsche für die neue Förderperiode? ML: Uns ist es – in Anführungsstrichen – gelungen, in 19 ML: Entbürokratisierung! Damit die Regionen, die Akteure Jahren ein einziges transnationales Projekt umzusetzen, – egal ob Regionalmanagements oder Bewilligungsstel- eine Konzeptstudie mit den Niederlanden zum Thema len – mehr Kapazitäten für echte Beteiligung haben; Bot- Häfen. Wir haben auch mal versucht, mit Finnland, den tom-up macht sich nicht von allein. Es ist die Kernaufga- Niederlanden und Rumänien etwas auf die Beine zu stel- be eines Regionalmanagements, diesen Prozess zu len – und sind an den rechtlichen Rahmenbedingungen koordinieren, zu organisieren und zu aktivieren. LEADER gescheitert. Deutschland ist für die anderen kein guter ist kein Förderprogramm, sondern ein Partizipationsprin- Kooperationspartner – man denke an unser komplizier- zip! tes Vergaberecht. HB: Ich würde mir eine Vereinfachung insbesondere HB: Wir arbeiten seit zehn Jahren mit einer polnischen, für die privatrechtlichen Projektträger und Vereine wün- neuerdings auch einer slowakischen Partnerregion, zu- schen, keine komplizierten Vergaberegeln. Vielleicht sind sammen und sind jetzt im dritten Projekt. Für uns stehen Pauschalen ein sinnvoller Ansatz und ich würde mich gegenseitiges Kennenlernen, Erfahrungsaustausch, posi- freuen, wenn wir ihn in der nächsten Förderperiode aus- tive Erlebnisse und die persönliche Weiterentwicklung probieren können. der Menschen, die wir in die Partnerregion mitnehmen, im Vordergrund. Bei allen Schwierigkeiten mit den Spra- Was ist das Beste, das durch LEADER in Ihren chen wächst ein Verständnis für die Vielfalt in Europa. Je- Regionen angestoßen wurde? des Projekt hat konkrete Inhalte, so sind eine Broschüre HB: Da würde ich einfach gerne das zitieren, was viele mit Schlössern in Brandenburg und in der polnischen unserer Mitglieder und Akteure immer wieder sagen: Partnerregion oder Videos über die Heimatorte deut- Durch LEADER hat sich die Kommunikation in der Region, scher und polnischer Jugendliche entstanden. Für mich das gegenseitige Verständnis und das Miteinander- sind die Projekte aber eher ein Baustein für das gemein- Arbeiten etabliert und deutlich verbessert. same Haus Europa – etwas pathetisch gesprochen. ML: Für mich ist das die Bildung von Netzwerken – durch LEADER hat den Anspruch innovative Projekte die Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen kommu- zu fördern. Gelingt das? nalen Partnern und Zivilgesellschaft. Das gibt es meines HB: In der laufenden Förderperiode ist das bei uns ein Erachtens nirgendwo, außer bei LEADER. Bewertungskriterium für Projekte – neben vielen. Im nicht-investiven Bereich ist es eher möglich, Neuartiges Vielen Dank für das Gespräch! anzustoßen. Hervorheben möchte ich ein Kooperations- Das Interview führten Stefan Kämper und Isabella Mahler. LandInForm Spezial 9/2021 15
INFO Auf einen Blick Die Welt der Kirchen ist komplex, die von LEADER ebenfalls. Einige Übersichten und Zahlen geben Einblick und Orientierung (siehe auch Seite 70). LEADER in Deutschland (2014 bis 2020) 1,7 Milliarden Euro ELER (EU-Mittel) und nationale Kofinanzierung 30,4 Millionen Menschen in 321 Deutschland leben in einer LEADER-Region; das sind etwa 37 % der Bevölkerung LEADER-Regionen in Deutschland 2786 LEADER-Regionen in Europa Quelle: BMEL 813, 2019, www.destatis.de, eigene Berechnungen; https://enrd.ec.europa.eu/leader-clld_de LEADER – Von der Idee zum Projekt 1 PROJEKT IN LEADER-REGION? 3 IDEE IN DER LAG VORSTELLEN 4 ENTSCHEIDUNG DER LAG 6 PROJEKTSTART NACH BEWILLIGUNG 2 REGIONALMANAGEMENT BERÄT 5 FÖRDERANTRAG BEI BEHÖRDE LEADER – Merkmale Bottom-up netzwerken LAG _Menschen in der Region – aus Kommunen, Wirtschaft, Sozialbereich, Zivilgesellschaft – schließen sich zu Lokalen Aktionsgruppen (LAG) zusammen. gebiets- kooperieren bezogen _Die LAG entwickelt eine Lokale Entwicklungsstrategie (LES) für ein geographisch abgegrenztes Gebiet. multi- _Die LAG entscheidet über Projektförderung auf innovativ sektoral Grundlage der LES. _Einzelpersonen, Vereine, Unternehmen, Kirchengemeinden, Kommunen etc. bewerben sich um Projektförderung bei der LAG. _Hauptamtliche Regionalmanagements organisieren LAG, Gestaltung sowie Umsetzung 16 LandInForm Spezial 9/2021 der LES und unterstützen Projektträger.
INFO Strukturen und Einrichtungen in den beiden großen Kirchen in Deutschland Evangelische Kirche Katholische Kirche und Wohlfahrt und Wohlfahrt 10 Personalfach- Deutscher verbände 7 Ein- Evangelische Kirche Diakonie Deutschland Deutsche richtungsfachver- Caritas- bände 4 karitative in Deutschland (EKD) (EWDE e.V.) Bischofskonferenz verband Vereinigungen 1 Orden 17 67 27 Diözesan- Personalfach- 20 Gliedkirchen Landes- Fach- 27 (Erz-)Bistümer caritasver- verbände verbände verbände bände Kirchenkreise (auch: Diakonische Dekanate Einrichtungen Örtliche Sprengel / Dekanate) und Dienste Gliederungen Einrichtungen und Dienste vor Ort der Caritas Dienste und Kirchengemeinden Pfarrgemeinden vor Ort Einrichtungen Förderung aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung ländlicher Räume (ELER) LEADER in Deutschland (Förderperiode 2014 bis 2020, geplanter Mitteleinsatz) Thüringen ELER-Mittel und nationale Kofinanzierung Schleswig-Holstein davon LEADER Sachsen-Anhalt Sachsen Saarland Rheinland-Pfalz Nordrhein-Westfalen Niedersachsen/Bremen Mecklenburg- Vorpommern Hessen Berlin/Brandenburg Bayern Baden-Württemberg 0 500 1000 1500 2000 2500 Millionen Euro Quelle: BMEL, 813, 2020 In der Region für Europa – LEADER in der Förderperiode 2021 bis 2027 LEADER – Menschen entscheiden vor Ort Lokale Aktionsgruppen (LAG) und Entwicklungsstrategien (LES) Region Länderregeln und -Richtlinien für LEADER Bundesländer Nationaler Rahmen, Regeln der Nationaler GAP-Strategieplan Umsetzung, Direktzahlungen Landwirtschaft (1. Säule) Kofinanzierung Deutschland Ländliche Entwicklung, ELER (2. Säule) Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP) / Strukturpolitik Europäischer Rechtsrahmen und Finanzierung Europa LandInForm Spezial 9/2021 17
… Kirche macht mit Re-formiert und mitten im Raum Lange Zeit haben sich Kirche und Theologie in Abgrenzung zur Welt verstanden. Doch viele kirchlich Engagierte öffnen sich gegenüber den Sozialräumen, in denen sie agieren. Das schafft Weitblick – und neue Möglichkeiten für Kirche und Gesellschaft. [VON RALF KÖTTER] Die evangelische Kirche in Deutsch- in, den Gürtel enger zu schnallen überzugehen. Als zivilgesellschaftli- land ist in Bewegung geraten. An und ihre Versorgungs-Angebote mit che Akteure setzen inzwischen viele vielen Orten sucht sie den Weg in weniger Personal auf immer größere Diakonische Werke Impulse für die Sozialräume und beteiligt sich Räume gestreckt zu verteilen wie nachhaltige, generationengerechte als zivilgesellschaftliche Akteurin eine fade Suppe, die zunehmend an Strukturen in Stadtteil, Kiez, Dorf daran, das Gemeinwesen zu gestal- Geschmack verliert. Stattdessen set- und Quartier. In diesen Räumen ten. In nahezu allen evangelischen zen sie auf eine offene, neugierige überwinden Kirche und Diakonie Landeskirchen gibt es solche ermu- und gespannte Haltung, die sich er- ihre Versäulung, eine Entfremdung, tigenden Aufbrüche, die das innova- wartungsvoll nach dem streckt, was die mit dem Wesen des Christlichen tive Potenzial einer Kirche nachwei- ihnen entgegenkommt. Und das ist unvereinbar ist. Konkurrenzen wan- sen, die sich nicht mehr aus immer einiges: Neue Allianzen werden über deln sich in Kohärenzen, der müh gleichen Gewohnheiten angestrengt alte Gräben hinweg geschmiedet, same Kampf um den eigenen Kirch- reproduziert, sondern sich auf aktu- reiche Ressourcen stellen sich im turm in lustvolle Kollaboration für elle Entwicklungen einlässt – und of- ergebnisoffenen Zusammenspiel ein menschenwürdiges Leben. fen auf neue Herausforderungen ein. Ungeahnte Spielräume öffnen und Möglichkeiten zugeht. So kommt sich. Vieles, was in Sackgassen gera- Umsetzen, was möglich und was die praktische Theologin Uta Pohl- ten schien, wird beweglich. Im un- nötig ist Patalong zum Schluss, dass die Ori- verstellten Blick auf die Räume Kirchengemeinden profitieren von entierung an Sozialräumen immer macht Kirche das, was sie von An- dieser Erfahrung. Sie legen das häufiger als eine mögliche Richtung fang an kennzeichnet: Sie wächst selbstmitleidige Image armer Kir- genannt werde auf die Frage, wie die von unten, sie entwickelt sich viel- chenmäuse ab, um die man sich sor- Kirche zukunftsfähig werden könne. fältig und unterschiedlich aus den gen müsste, und sorgen sich statt- Sie schreibt: „Dass die Kirche sich im individuellen Formationen und dessen selbstlos mit anderen um Dorf oder im Stadtteil engagiert, Bewegungen vor Ort. Aus einem andere. Dabei entpuppen sie sich aufmerksam ist für das, was Men- Standardhaus mit verbindlichen als begabte Akteure mit ungeahn- schen dort brauchen, und sich ge- Funktionen verwandelt sie sich in tem Sozialkapital, etwa indem sie zi- meinsam mit säkularen Einrichtun- interaktiven, selbstordnenden Pro- vilgesellschaftlichem Engagement gen um eine Verbesserung der zessen zu einem vielfältigen Orga- verlässliche Rahmenbedingungen Lebensbedingungen bemüht, er- nismus, der sich an die Bedürfnisse bieten. An vielen unterschiedlichen scheint kirchlich Engagierten mehr der Menschen vor Ort anpasst. Orten wachsen agile Bewegungen, und mehr als produktiver Weg in die die dem verzagten Zeitgeist wider- Zukunft.“ Wichtige Impulse kommen aus dem stehen: Ja, eine andere Welt ist mög- Bereich der Diakonie. Das Konzept lich! An die Stelle u nrealistischer Neue Brücken über alte Gräben der Gemeinwesendiakonie zeigt, wie Utopien treten kontextgerechte Pro- Die Ressourcen der Kirche schwin- wertvoll es sein kann, von der Ein- jekte, die das umsetzen, was mög- den. Doch kirchlich Engagierte er- zelfallhilfe zur systemischen und lich und was nötig ist – ein kleiner schöpfen sich heute nicht mehr dar- partizipativen Feld-Orientierung Perspektivenwechsel nur, und doch 18 LandInForm Spezial 9/2021
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