Sport, Doping und Enhancement - Sportwissenschaftliche Perspektiven - Giselher Spitzer Elk Franke (Hrsg.)
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Giselher Spitzer Elk Franke (Hrsg.) Sport, Doping und Enhancement – Sportwissenschaftliche Perspektiven
DopinG, EnHancEmEnt, PrävEntion in Sport, FrEizEit und BEruF – 2 Herausgegeben von Giselher Spitzer und Elk Franke Anschriften der Herausgeber Prof. Dr. phil. Elk Franke / Prof. Dr. habil. Giselher Spitzer Humboldt-Universität zu Berlin, Philosophische Fakultät IV Institut für Sportwissenschaft – Philippstraße 13, Haus 11, 10115 Berlin Bibliographische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliorafie; detailierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Band 2 Spitzer, Giselher / Franke, Elk Sport, doping und Enhancement – Sportwissenschaftliche perspektiven (Doping, Enhancement, Prävention in Sport, Freizeit und Beruf – Band 2) Sportverlag Strauss, Köln, 1. Aufl. 2011 ISBN 978-3-86884-011-7 © SPORTVERLAG Strauß Olympiaweg 1 – 50933 Köln Tel. (0221) 846 75 76 Fax (0221) 846 75 77 e-Mail: info@sportverlag-strauss.de http://www.sportverlag-strauss.de Umschlaggestaltung: Mike Hopf, Berlin Umschlagbild © Youri Babakhanians (Fotolia.com) Satz: Tom Kositzki / Iordanis Michail Herstellung: Digital Print Group, Nürnberg Printed in Germany
3 inhaltsverzeichnis Sport, Doping und Enhancement – Sportwissenschaftliche Perspektiven. Einführung in den zweiten Band der Reihe 7 Sport, Doping and Enhancement – Perspectives of Sport Science Introduction to the second volume of the series 23 I. Doping und Neuro-Enhancement aus Sicht der Sportphilosophie 39 Normative Probleme der pharmakologischen Leistungssteigerung (Holger Jens Schnell) 41 1. Auftakt: zur Unverzichtbarkeit einer inhaltlichen Dopingdefinition 41 2. Pawlenkas Wiedereinführung des Natürlichkeitsbegriffs in die Dopingdefinition im Lichte von Kants Organismustheorie 42 3. Natürlichkeit als „Schutzgut“ 59 4. Persönlichkeitsrechte und normative Bedingungen der Entscheidung zur Wettkampfteilnahme: zur Legitimierung eines Dopingverbots unter Kontrollbedingungen 67 5. Ethische und sportethische Gründe für ein Dopingverbot 74 6. Normative Grenzen der Verfügungsgewalt über naturgegebene Körperfunktionen in der Kritik: zur Position der Neuroenhancement- Befürworter und Transhumanisten 89 7. Ausblick 98 II. Doping und Neuro-Enhancement aus Sicht der Sportwissenschaft 111 Selbstoptimierung oder doch dopingaffines Verhalten? Zur falschen Dopingwahrnehmung des Neuro-Enhancement (Giselher Spitzer) 113 1. Einleitung 113 2. Definitionsprobleme im Bedeutungsfeld „Neuroenhancement“ und
4 „Hirndoping“ 114 3. Einige Hauptargumente von Enhancement-Theoretikern 119 4. Strukturmodell: Doping unterliegt als sportbezogene Form des Enhancements vielfältigen rechtlichen Sanktionen 123 5. Diskussion – transdisziplinäre Forschung 124 6. Ausblick: Die Notwendigkeit einer offensiven Auseinandersetzung mit Neuroenhancement 131 What impact might the discussion on a more liberal handling of neuro-enhancement have on youth sport? (Giselher Spitzer) 139 1. Introduction 139 2. “The optimised brain. A memorandum of the opportunities and the dangers of neuro enhancement” 140 3. Consequences of the neuro-enhancement concept for sport 142 4. Conclusion 146 Therapeutische Ausnahmegenehmigungen – zur erlaubten Einnahme verbotener Substanzen im Sport (Melanie Radalewski) 151 1. Einleitung 151 2. Medizinisch indizierte Testosteron-Therapie – der Fall Doug Barron 151 3. Grundlagen medizinischer Ausnahmegenehmigungen 152 4. Überarbeitung des Standards ab 2011 155 5. Schlüsselrolle der (Sport-) Mediziner 157 6. Diskussion 159 7. Fazit 161 „Das System gibt mir Sicherheit, dass ich nicht gedopt bin.“ Berliner Studie über die Wahrnehmung von Doping- kontrollen aus Sicht der Athleten (Giselher Spitzer) 165 1. Einleitung 165 2. Die neuen vom Athleten hinzunehmenden Kontroll- verfahren im Trainingsprozess als Anlass für öffentlichen Protest 166 3. Die Optimierung der Kontrollverfahren als verengt geführte
5 öffentliche Debatte 168 4. Erste Auswertung der 25 Interviews 176 5. Diskussion 192 6. Schluss und Ausblick 198 III. Sportpädagogische und didaktische Reflexionen – Unterrichtsmodelle 207 Fächerübergreifender und fächerverbindender Unterricht für die Bedeutungsfelder „Doping“ sowie „Enhancement“ – Vorstellung eines Entwurfs für die Sekundarstufe (Giselher Spitzer) 209 1. Einleitung – integrative Sicht auf die Bedeutungsfelder 209 2. Beispiele für Unterrichtsmodelle 210 3. Fächerübergreifender Unterricht: Pädagogische Ansätze und Definitionen 212 4. Fächerverbindender Unterricht als Ergänzung 215 5. Fächerübergreifendes Konzept: Die Trias Sportunterricht-wertorientierende Unterrichtsfächer – biologische Aspekte in der Sekundarstufe I/II 216 6. Schluss 221 Modul 1, Sek.-Stufe I/II, 5 UE: „Wie wirkt Doping und warum ist es verboten?“ Sport, Ethik, Biologie – fünfstündige Einführung in die Doping-Problematik im fächerverbindenden Unterricht auf der Sekundarstufe I/II (Giselher Spitzer / Elk Franke) 229 1. Lernvoraussetzungen: 229 2. Stundenaufbau und Lernziele der Sportstunde 230 3. Einführungs-Stunde Ethik 240 4. Einführungs-Stunde Biologie 244
6 Modul 1, Sek.-Stufe I/II, 5 UE: „Wie wirkt Doping und warum ist es verboten?“ Sport, Ethik, Biologie – fünfstündige Einführung in die Doping-Problematik im fächerverbindenden Unterricht auf der Sekundarstufe I/II (Giselher Spitzer) 247 1. Geheime DDR-Forschungen belegen: Anabolika-Doping steigert die sportlichen Leistungen um bis zu 20% (1977) 247 2. Zwei Dopingverbote: 1933 und 2010 252 3. Dopingverbot seit 2009: WADA 253 4. Doping-Nebenwirkungen 256 5. Trends zu Doping-Schäden bei 52 ehemaligen Hochleistungssportlern und ihren Kindern: 260 IV. Neuro-Enhancement aus naturwissenschaftlicher Perspektive 263 Die naturwissenschaftliche Perspektive: Aufmerksamkeits- defizit-Hyperaktivitäts-Störung ADHS – Erscheinungs- formen, Diagnostik und Behandlungsmöglichkeiten (Melanie Radalewski) 265 1. Einleitung 265 2. Wissenschaftsgeschichtliche Anmerkungen 267 3. Erscheinungsformen: Symptomatik, Klassifikation und Verlauf 268 4. Grundlagen des diagnostischen Vorgehens 272 5. Hinweise zur Ätiologie aus naturwissenschaftlicher Perspektive 274 6. Diskussion ausgewählter Interventionsansätze 275 7. Ergebnis und kritische Betrachtung des Phänomens 285 Schluss und Ausblick 297 Epilogue 299 Autoren 301
7 Sport, doping und Enhancement – Sportwissenschaftliche perspektiven. Einführung in den zweiten Band der reihe Die vorliegende Reihe „Doping, Enhancement, Prävention in Sport, Freizeit und Beruf“ ist thematisch vielschichtig angelegt. Dies ist dem Phänomen des Dopings geschuldet, aber auch dem „dopingaffinen Verhalten“ als „Interesse am Gebrauch oder der Modulierung von Dopingmethoden innerhalb und außerhalb des Hoch- leistungssports“. Hiermit wird zugleich das Bedeutungsfeld „Enhancement“ berührt, welches der Forschungsarbeit eine innovative Stoßrichtung verleiht: Klassische Disziplingrenzen beispielsweise des Sports als gesellschaftlichem Subsystem werden überwunden – Bindeglied ist in diesem neu erarbeiteten Fo- cus die zielgerichtete Verwendung von pharmazeutischen Produkten oder Sub- stanzen mit leistungsbeeinflussender Wirkung (vgl. dazu Band 1, S. 136–150). Dieser zweite Band baut auf der Arbeit im Verbund auf und wird ebenso wie das zugrundeliegende Projekt mit Mitteln des BMBF gefördert. Aufbau des Forschungsverbundes 2009 bis 2012 Die Architektur des Gesamtprojektes sieht eine disziplinspezifische vertikale Gliederung in vier Teilprojekte vor, die über drei Förderjahre hinweg in drei Pha- sen bearbeitet werden: Phase A widmet sich der „Vergegenwärtigung“, Phase B der „Verständigung“, Phase C der „Übertragung“. Die beiden Teilprojekte an der Humboldt-Universität zu Berlin1, von denen auch dieser zweite Band herausgegeben wird, sowie an der Technischen Universität Berlin2 befassten sich 2009 in der Phase A „Vergegenwärtigung“ zunächst mit der Sammlung, Systematisierung und Klassifizierung von Informationen über die Definierbarkeit des Dopings, seine rechtlichen und moralischen Legitimationsformen, damit verbundenen Aporien sowie Anwendungspraktiken im Hochleistungs-, Freizeit- und Breitensport. Hinzu tritt die Anwendung in nicht-sportlichen Handlungs- feldern wie der Enhancement-Entwicklung. Zugleich sollten Voraussetzungen von Doping-Präventionsmaßnahmen hinsichtlich verschiedener Adressaten erar-
8 Giselher Spitzer / Elk Franke beitet werden. Als besondere Zielgruppen wurden aktive Sportler, Eltern, Trainer, Ärzte und Lehrer benannt. Die Phase B „Verständigung“ diente 2010 in den Teilprojekten einer analytischen Vertiefung und interdisziplinären Durchdringung der Thematik. So wurde die transdisziplinäre Perspektive übergreifender Ordnungsmuster des Forschungs- gegenstandes „Doping und Enhancement“ genutzt und in allgemein verständlicher Weise präsentiert. Diese Entwicklung transdisziplinärer Methoden sowie der Kri- terien für die theoretisch-begrifflichen Rahmenkonzepte brachten eine Erweiterung der Perspektive in Richtung zu ethischen, juristischen und dopingtesttheoretischen Fragestellungen. Das sportwissenschaftlich-philosophische Teilprojekt A der Humboldt-Universität hat mit seinen Partnern an der Alma Mater Berolinensis und anderen Universitäten intensiv die transdisziplinäre Diskussion gesucht und im ersten Band der Reihe die Ergebnisse dokumentiert. Dabei war auch die Verwendung von ADHS-Medi- kamenten wie Ritalin® zur Leistungssteigerung anstatt zur Therapie bei einer nachgewiesenen ADHS-Störung Gegenstand der transdisziplinären Diskussion. Sie ist aufgrund ihrer Komplexität auch mit dem nun vorgelegten zweiten Band noch nicht abgeschlossen und verweist auf die neuen Problemlagen im Subsystem Sport und anderen gesellschaftlichen Handlungsfeldern. Parallel dazu verliefen die Arbeiten zur Bestimmung und Übertragung der ge- wonnenen Einsichten in Unterrichtskonzepte des sportwissenschaftlich-philoso- phischen Teilprojektes. Diese dienten den geplanten Präventionsmaßnahmen und wurden zunächst in exemplarischer Weise einer Evaluation in der schulischen Praxis unterzogen. So konnte ein wichtiger Schritt, die Effektivität einer solchen Übertragung der wissenschaftlichen Ergebnisse durch Spiegelung in unter- richtsdidaktischen Settings, geprüft werden. Wegen der Tragweite werden die einführenden Module in diesem Band dargestellt und kommentiert. Die 2011 angelaufene abschließende Phase C „Übertragung“ soll in den Projekt- bereichen der beiden Verbundpartner eine Transformation der systematischen und analytischen Bearbeitung vorbereiten: Hier geht es um die bereits genannten verschiedenen Anwendungsfelder und Zielgruppen. Unter Federführung des HU-Teilprojektes werden zielgruppenorientierte Materialien und Texte erstellt sowie didaktische Empfehlungen auf Grundlage der fruchtbaren transdisziplinären Arbeit in Angebote für eine präventive Antidopingpraxis übersetzt. Von dieser Phase sind daher nachhaltige Ergebnisse zu erwarten. Kinder, Jugendliche und
Einleitung in dieses Buch 9 Aktive sowie Lehrer, Trainer, Ärzte, Journalisten und natürlich die interessierte Öf- fentlichkeit erhalten damit Zugang zu spezifischen Informationsmaterialien, die der reflexiven Auseinandersetzung mit der Dopingproblematik dienen. Zum ersten Band der Reihe: „Sport, Doping und Enhancement – Trans- disziplinäre Perspektiven“ Mit „Transdisziplinäre Perspektiven“ als dem ersten von ursprünglich fünf ge- planten Bänden soll der Anspruch eingelöst werden, den transdisziplinären Dis- kurs der ersten Phase zu dokumentieren, zu dem die zahlreichen Kooperations- partner beigetragen haben: im als „Vademekum“ angelegten Band „Sport, Do- ping und Enhancement – Transdisziplinäre Perspektiven“ haben Kolleginnen und Kollegen aus mehreren Fachrichtungen mitgewirkt.3 Der Band dokumentiert Texte aus der Dopinganalytik, dem Sportrecht sowie Pädagogik, Psychologie und Psychiatrie sowie der Philosophie.4 Zur Dopinganalytik legte Wilhelm Schänzer und Patrick Diel (Köln) sowie Walter Schmidt (Bayreuth), aktuelle Untersuchungsergebnisse vor. Das Sportrecht mit seinen Spezifika wurde von Martin Nolte (Kiel), Martin Heger (HU-Berlin), Dieter Rössner (Marburg), Jürgen Robienski (Lüneburg), und Jürgen Simon (Lüneburg) dargestellt. Ihre unterschiedlichen Perspektiven aus Pädagogik, Psychologie und Psychiatrie brachten Patrick Laure (Nancy), Jürgen Fritze (Frankfurt am Main), Michael Soyka (München) und Bernd Ahrbeck (HU-Berlin) ein. Aus der Philosophie stellte die dem Projekt seit längerem verbundene Claudia Pawlenka (Düsseldorf) ihre neuesten Forschungen vor. Der Beitrag über EPO-Experimente anlässlich der öffentlichen Präsentation des Projektes im Mai 2009 wurde von Carsten Lundby (Zürich) gehalten und im ersten Band hinsichtlich der daraus zu entwickelnden transdisziplinären Fragen dokumentiert.5 Im zweiten Teil wurde die allgemeine Diskussion über Bedingungen der Leistungs- steigerung im Sport um den Aspekt des sogenannten „Enhancement“ erweitert. • Zum Ersten werden die Strukturähnlichkeiten von Sport-Doping, dopingaffinem Verhalten in der Bewegungskultur sowie Enhancement-Praktiken herausge- arbeitet. Erhebliche Konsequenzen für die Prävention nach sich und bricht zugleich manche Grenze zwischen „Sport“ und Jugendkultur auf – zugunsten eines integrativen Verständnisses des Problems (S. 41-104; 135-152; 217- 266: Pawlenka, Laure, Ahrbeck, Soyka, Fritze, Spitzer, Radalewski).
10 Giselher Spitzer / Elk Franke • Außerdem zeigt sich die Problematik einer ADHS-Medikation, (medizinisch indiziert, „falsch“ verordnet oder eigenmächtig realisiert), und daraus sich ergebende Wechselwirkungen zwischen Hochleistungssport und Jugendkultur, wordurch die Strukturähnlichkeiten von Sport-Doping und dopingaffinem Verhalten der Enhancement-Praktiken ein weiteres Mal aufscheinen (S. 135- 152; 217–248; 255–266: Laure, Ahrbeck, Soyka, Fritze, Spitzer). • Darüber hinaus werden Ansatzpunkte für die Diskussion von Verbotsmecha- nismen für Enhancement-Praktiken anstatt von neuerdings geäußerten Libe- ralisierungstendenzen erkennbar. Ausgangspunkt könnte, das in Band 1 vorgestellte integrative Strukturmodell über die intentionale und rechtlich- forensische Perspektive auf Doping und Enhancement werden (S. 148-152: Spitzer). In diesem Band werden diese Fragen aus philosophischer und sportwissenschaftlicher Sicht weiterverfolgt. (Band 2: Schnell, Franke, Spit- zer). • Schliesslich sind im „Vademekum“ die strukturellen Bedingungen deutlich geworden, die eine überzeugende Dopingbekämpfung in einer pluralistischen Gesellschaft rechtlich und rechtsphilosophisch begründen können. Interessant ist dabei, dass der Bezugspunkt der Erhaltung sowohl des Wettbewerbs im Sport als auch des Kulturgutes „Sport“ selber in transdisziplinärer Sicht zum zentralen Begründungszusammenhang wird. (S. 77–104; 153–189: Pawlenka, Nolte und Heger, Rössner, Robienski, Simon, Franke). Von dieser Erkenntnis gehen auch Impulse in Richtung des verantwortbaren Gebrauchs im Enhan- cement-Bereich aus, die in diesem zweiten und im dritten Band ihren Nie- derschlag finden. • Dies gilt besonders im Bereich der Kontrollkultur und individueller Messver- fahren: Hier ist an die Evaluierung von individuellen Blutprofilen über einen längeren Zeitraum zu denken, sowie an die häufig vorzuziehende Testung von Blut – sie ist laut Diskurs des HU-Projekts sowohl aus rechtlichen wie analytischen Aspekten begründbar und die bessere Wahl (S. 153–189 und 209–216: Nolte, Heger, Rössner, Robienski, Simon, aber auch S. 77–104: Franke, Pawlenka). • Hinzu kommen die Strategien der akkreditierten Anti-Doping-Labore, die sich aktuellen wie künftigen Herausforderungen stellen müssen und zugleich auf eine transdisziplinäre Vergewisserung angewiesen sind, sollen sie nicht trotz ihrer starken Eigengesetzlichkeiten selbstreferentiell werden. Probleme
Einleitung in dieses Buch 11 sind hier Planungen für Investitionen und Abhängigkeiten von der For- schungsförderung, Akzeptanz der Träger (WADA, IOC, Internationale Fachver- bände) von neuen Testverfahren. Es geht aber auch um das Betreten neuer Wege wie in Form der individuellen (Blut-) Profile. Heraus ragen dabei innovative Methoden unter Verwendung von ethisch zuüberprüfenden Mess- instrumenten, die formal ein Gefahrenrisiko aufweisen, wie Kohlenmonoxid zur Hämoglobin-Bestimmung (S. 107–134: Schänzer, Diel, Schmidt).6 Insgesamt haben sich damit innerhalb des sportwissenschaftlich-philosophischen Teilprojektes der Humboldt-Universität zwei verantwortungsrelevante Schwerpunkte neben der integrativen Sichtweise von (erstens) Doping als Spezialfall des En- hancement (zweitens) der besondere Schutz, den – nach Alter abgestuft – Kinder und selbst noch Jugendliche erfahren: 1. Diese „advokatorische Verantwortung“ (Franke) des Erwachsenen für Schutz- befohlene ist ein Merkmal von Erziehungssituationen in Familie und schulischen wie außerschulischen Institutionen. Sie muss als besondere Herausforderung verstanden werden. Hier stecken die Beiträge des ersten Bandes neben rechtlichen und medizinrechtlichen wie -ethischen Aspekten in dem durchaus als defizitär zu betrachtenden Feld einen Rahmen ab, der Handeln, Information und Intervention überhaupt erst begründet – weit über das „klassische“ Verständnis von Doping hinaus in den Bereich der pharmazeutischen Leis- tungssteigerung aller Lebensalter hinein (S. 207–238: Heger, Laure, Soyka, Fritze, Ahrbeck). 2. Die „advokatorische Verantwortung“, die sowohl Dopingpraktiken im WADA- Sinne als auch Leistungssteigerung durch ADHS-Medikamente oder Neuro- Enhancement als dopingaffine Verhaltensweise in und außerhalb des Sports betrifft. Sie beschreibt damit eine bislang kaum beachtete Gemengelage, da sich die Forschungsperspektive hier um die möglichen Interventionsformen erweitert haben, denn es kommen noch mehr Zielgruppen hinzu, wie Kin- derärzte oder Lehrer, die eben nicht Sport unterrichten, aber mit den ADHS- Problemen in ihren Klassen umgehen müssen (S. 135–152, 239–266: Ahrbeck, Radalewski, Spitzer). Auf diese, skizzierte Weise könnten die Beiträge des ersten Bandes auch als Le- sematerial für zum Teil weiterführende Fragestellungen verwendet werden, wobei: Kritik und Anregungen zur weiterführenden wissenschaftlichen Diskussion er- wünscht sind.
12 Giselher Spitzer / Elk Franke Einführung in den zweiten Band: „Sportwissenschaftliche Perspektiven“ Allgemein bekannt ist, dass es sich bei Sport-Doping nicht um deviantes Einzel- tätertum handelt, sondern um komplex vernetzte Aktionen, die längst das noch wenig bearbeitete Feld des Enhancement mit einschließt, was auch die Planung und die Konkretisierung dieses zweiten Bandes bestimmt: i. doping und neuro-Enhancement aus Sicht der Sportphilosophie ii. doping und neuro-Enhancement aus Sicht der Sportwissenschaft iii. Sportpädagogische und didaktische reflexionen – unterrichtsmodelle iv. neuro-Enhancement, adHS und Sport aus naturwissenschaftlicher perspek- tive I. Doping und Neuro-Enhancement aus Sicht der Sportphilosophie Der erste Abschnitt des vorliegenden zweiten Bandes der Schriftenreihe ist über- schrieben mit: „doping und neuro-Enhancement aus Sicht der Sportphilosophie“, und er betritt Neuland. Holger Jens Schnell setzt sich in seiner umfassenden Abhandlung für das sport- wissenschaftlich-philosophische Teilprojekt über „Normative Probleme der phar- makologischen Leistungssteigerung“ aus systematischer Perspektive mit Doping und Neuro-Enhancement auseinander. Der Beitrag setzt mit dem Versuch einer Wiedergewinnung des Natürlichkeitsbegriffs für die ethische Diskussion um ein Dopingverbot ein. Im Rückgriff auf Kants Organismustheorie geht er den theore- tischen Voraussetzungen und der Reichweite der natürlichkeitsorientierten Doping- definition nach, die Claudia Pawlenka 2010 in die Debatte eingebracht hatte. Nach einer Rekonstruktion und Verteidigung des gewonnenen Abgrenzungskri- teriums zwischen Training und Doping wendet er sich der normativen Frage des Dopingverbots zu. In Auseinandersetzung mit Freigabebefürwortern entwickelt Schnell eine tugendethische Verteidigung für ein Dopingverbot. Darüber hinaus nimmt Schnell eine vorsichtige Einschätzung der vertragstheoretischen Argu- mentation vor, die bei den normativen Festlegungen ansetzt, die ein Sportler mit seiner Entscheidung zur Wettkampfteilnahme eingeht. Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt des Textes besteht in Schnells Diagnose der sportethischen Pro- blematik einer Verabsolutierung des olympischen Leistungsprinzips. Er verfolgt eine wiederkehrende zeitgenössische Kritik am Spitzensport als instrumentalisierende
Einleitung in dieses Buch 13 Degradierung des Menschseins bis zu Kants Ethik zurück und führt deren nor- mative Konsequenzen detailliert vor Augen. Im letzten Teil geht Schnell der Frage nach, wieweit sich die gewonnenen normativen Ressourcen gegen Doping auf den Bereich des Neuro-Enhancement übertragen lassen. Von neueren Entwicklungen in der Evolutionstheorie und Me- dizin aus argumentiert er zudem gegen eine weit verbreitete, kausal vereinfachende Sicht auf pharmakologische Eingriffe, die nach seiner Einschätzung schwer wie- gendere Folgen haben können als bislang angenommen. Der Beitrag schließt mit einem Plädoyer für eine humane Leistungskultur, die gegen die Vision der Transhumanisten verteidigt wird. II. Doping und Neuro-Enhancement aus Sicht der Sportwissenschaft Das Hauptkapitel „doping und neuro-Enhancement aus Sicht der Sportwissenschaft“ beginnt mit einem kritischem Resümee des Verbundkoordinators Giselher Spitzer. Unter dem Titel „Selbstoptimierung oder doch dopingaffines Verhalten? Zur falschen Dopingwahrnehmung des Neuro-Enhancement“ skizziert er Elemente einer sportwissenschaftlichen Enhancement-Kritik. Zunächst werden die gleichsam historischen Hauptargumente von Enhancement-Theoretikern dargestellt, wobei erkennbar wird, in welch starkem Maße diese Methode der Leistungssteigerung sowie der Befindlichkeitsverbesserung das Konstrukt „Doping“ in negativer Weise nutzt, um sich selbst als positives Verhalten davon abzugrenzen. Dadurch, dass Spitzer die zeitgenössische Interpretation mit Inhalten über die tatsächliche Wirkung des Dopings füllt, führt er den Nachweis, dass Neuroen- hancement oder auch Hirn-Doping sich nicht grundsätzlich unterscheiden. Die im Enhancement-Bereich verwendeten Mittel haben demnach (erstens) an sich Nebenwirkungen und bleiben (zweitens), so wie in diesem Band bei Schnell auf- gezeigt, beim Einsatz als Heilmittel für Gesunde an sich niemals ohne „Neben- wirkungen“. Insofern ist dieser Beitrag ein Aufruf dazu, den Umgang mit Heilmitteln für Zwecke, die außerhalb des Begriffsfeldes „Doping“ liegen, bei Erwachsenen kritisch zu sehen, und mit der Folge, dass das bekannte Argument der Selbstver- antwortung auf neue Weise definiert werden solle: Nicht als Liberalismus zugunsten der Einnahme potenter Heilmittel, sondern zur verantwortungsvollen Lebensgestaltung. Aspekte wie das „gelingende Leben“ oder „Nachhaltigkeit“ und „Ganzheitlichkeit“ sollen ausblickend sensibilisieren.
14 Giselher Spitzer / Elk Franke Für englischsprachige Leser wird danach der auf den Text in Band 1 aufbauende aktualisierende Vortrag „What impact might the discussion on a more liberal handling of neuroenhancement have on youth sport?“ anlässlich der Tagung „Body enhancements and (il)legal drugs in sport and exercise – human and social perspectives“, Doping conference 2010, University of Copenhagen, 10. November 2010, von Giselher Spitzer in der Übersetzung von Gerald Nixon, (Berlin), dokumentiert. Dadurch zeigt sich die doppelte Problematik, die sich da- raus ergibt, dass bestimmte Präparate einen Doping-Befund erzeugen, unabhängig davon, ob sie im Sport als „Doping“ oder zur Befindlichkeitssteigerung oder zum Zweck eines wie immer verstandenen Neuro-Enhancement angewendet werden. Abschließend wird prognostisch darauf verwiesen, welche Folgen eine Ausweitung des Medikamentenmissbrauchs von ADHS-Präparaten haben könnte. Melanie Radalewski, Dipl.-Psych. (HU-Berlin), diskutiert danach einen wichtigen Mechanismus des WADA-Codes: „Therapeutische Ausnahmegenehmigun- gen – zur erlaubten Einnahme verbotener Substanzen im Sport“. Die Autorin geht auf das relativ neue Instrument der Ausnahmegenehmigung im Krankheitsfall ein. Damit ist eine praktikable Antwort auf die schwierige Situation entstanden, falls ein Athlet zu seiner Heilung Mittel anwenden muss, deren Gebrauch im Sport verboten ist oder deren Wirkung später noch in einem Dopingtest nachweisbar wäre. Anhaltspunkt ist der Fall von Doug Barron, der als erster Pro- figolfer 2009 wegen des Nachweises von Testosteron und eines Beta-Blockers wegen Dopings gesperrt worden ist. Um die Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen erlaubter Einnahme und „Doping“ zu erläutern, werden zunächst die aktuell geltenden rechtlichen Grundlagen für medizinische Ausnahmegenehmi- gungen dargestellt, auch rückwirkende Genehmigungen, die nur bei Notfällen oder einer akuten Erkrankung sowie nachgewiesenem Zeitmangel bei der An- tragstellung bedingt sind. Um die Zahl der Anträge zu reduzieren, wurden seit dem 1. Januar 2011 zwar Atteste für Sportler auf nationaler Ebene gefordert, aber die uneingeschränkte Pflicht zur formgemäßen Abgabe des Formulars „TUE“ auf die Angehörigen der drei Testpools blieb erhalten. Radalewski folgt hier der Argumentation der WADA/NADA, wonach die Präparate für TUE im All- gemeinen nicht die besonders wirksamen Dopingmittel wie die Anabolika, EPO, Wachstumshormon bzw. Peptidhormone oder Blutdoping betrifft. Die spannende Frage, ob sich durch TUE Dopingmentalitäten ausdrücken, wird durch Erklärungsmodelle für die Mitwirkung von Ärzten an Dopingpraktiken be- antwortet. Obwohl das Arztethos nach dem Genfer Gelöbnis des Weltärztebundes
Einleitung in dieses Buch 15 eine solche Mitwirkung bei gefährlichen Praktiken ausschließt. Trotzdem finden sich Fälle von Mitwirkung. In der Diskussion wird das einleitende Beispiel aufge- griffen: der ursprünglich gesperrte Golfer wurde rückwirkend wieder entlastet, indem man mit einer medizinischen Diagnose die Berechtigung für den Gebrauch der verbotenen Substanz gestattete. Radalewski problematisiert allerdings, dass das Testosteron, der Stoff der Dopingprobe, eindeutig leistungssteigernde Wir- kung habe, sodass in diesem Fall an den Aspekt eines Schlupfloch im TUE-Sys- tem gedacht werden kann. Trotz der Möglichkeit eines Missbrauchs plädiert Ra- dalewski dafür, bei TUE den Athleten die Einhaltung „eines gewissen Spielraums“ zu gewähren. Auch dieser Aspekt wird später in die Handreichungen eingehen, denn die Vor- behalte mancher Athleten, in der Öffentlichkeit Asthmasprays gegen ihre ver- schriebene Krankheit zu nutzen, um nicht in einen Dopingverdacht zu geraten, ist eine falsche Handlungsweise, die gegen die Interessen der Aktiven gerichtet ist. Sie muss durch Aufklärung korrigiert werden, um zu verdeutlichen, dass Ärzte zu einer besonderen Sorgfalt gezwungen sind, wenn sie leistungssteigernde Präparate im Rahmen der TUE anwenden. In einem weiteren Beitrag stellt Giselher Spitzer unter dem Titel „Das System gibt mir Sicherheit, dass ich nicht gedopt bin“ „Die Berliner Studie über die Wahr- nehmung der Dopingkontrollen aus Sicht der Athleten“ dar. Die Titelzeile mit der Einschätzung einer Befragten soll anregen und zugleich die Emotionalität dieses Bereiches anzeigen. Erstmals wurden Teilnehmer am Kontrollprogramm systematisch befragt; die Zahl von 25 durch die ehemalige Kaderathletin Aileen Herrmann Be- fragten lässt vermuten, dass durch diese Explorationsstudie ein großer Teil mög- licher Einstellungen und Erfahrungen repräsentiert wird. Nach der Skizzierung der neuen vom Athleten hinzunehmenden Kontrollverfahren im Trainingsprozess einschließlich der strengen Meldepflicht mit „ADAMS“ wird die Spannweite der Meinungen zum Urin- und Bluttest, zu der Ein-Stunden-Re- gel der WADA und vermuteten Ungerechtigkeiten der Kontrollsysteme im interna- tionalen Vergleich dargestellt. Die Studie lässt verschiedene Schlüsse auf Einstellungen und einen bemerkens- werten Wandel durch Gewöhnung an Kontrollabläufe zu; auch zeigt sie die Strategien auf, mit denen die Meldepflichten individuell erträglicher gestaltet werden können, wie Nutzung der Randzeiten oder des Trainings für die Meldung
16 Giselher Spitzer / Elk Franke nach der „whereabout“-Regel. Ohne die differenzierten Ergebnisse hier einleitend bewerten zu wollen, verdienen zwei Trends jedoch eine Hervorhebung: • Die Mehrheit akzeptiert „ADAMS“ sowie die Abgabe der Urinprobe unter Sichtkontrollbedingungen letztlich zur Gewährleistung ihres „Berufs“ Hoch- leistungssport sowie als Beleg für „sauberes“ Trainieren. • Mehr als die Hälfte der befragten Kaderathleten zogen einen Bluttest der Urinabgabe vor. Interviews dieser Art dienen nicht nur der Erschließung des Feldes. Sie bieten auch Möglichkeiten für die Prävention, indem die verschrifteten und authentischen Aussagen und Meinungen selbst Gegenstand von Unterrichtsengagements wer- den. III. Sportpädagogische und didaktische Reflexionen – Unterrichtsmo- delle Der dritte Hauptabschnitt in zweiten Band stellt „Sportpädagogische und didaktische reflexionen – unterrichtsmodelle“ in den Mittelpunkt. Giselher Spitzer präsentiert im Vorgriff auf die ausführliche Darstellung, die für den dritten Band vorgesehen ist, den Rahmen für „Fächerübergreifenden Unterricht“. Als Einordnung für das später realisierte Unterrichtsmodell wird das Konzept eines fächerübergreifenden Unterrichtes für die Sekundarstufe I geschildert. Im HU-Teilprojekt erfolgte die Grundsatzentscheidung, den Schwerpunkt auf Lehrhilfen für die Sekundarstufe I zu legen, da dort noch Interventionen zu einem Zeitpunkt stattfinden können, in dem eventuelle Aktivitäten im Bereich von Doping oder aber Neuro-Enhance- ment-Praktiken noch nicht anstehen bzw. noch nicht ausgeprägt sind. Hier wird eine lohnende Situation gesehen, um durch Lehr- und Unterrichtsprozesse hand- lungsfähig zu werden. Es wird begründet, warum im Projekt drei Fächerkombina- tionen mit jeweils besonderen Möglichkeiten ausgewählt worden sind: • Zunächst der Sportunterricht, da im Sport die Doping- und Antidopingpolitik allgemein thematisiert wird, • wertorientierende Unterrichtsfächer wie Philosophie, Ethik, Religion, Geschichte und Politik, sowie die Fächer Biologie und Chemie, • um die Aspekte von Wirkung, Nebenwirkung und Gefahren des Dopings ge- nauer bestimmen zu können.
Einleitung in dieses Buch 17 Bei der Konzepterstellung wird auf Jürgen Mittelstraß und seinen transdisziplinären Ansatz Bezug genommen, der im Gespräch mit dem Sportpädagogen Klaus Moegling das fächerübergreifende Lernen unterstützt und eine „Stärkung der In- ter- und (vor allem) der Transdisziplinarität sowohl in der Forschungs- als auch in der Lehrorganisation“ anregt7. Die Widerspiegelung des transdisziplinären Ar- beitens zeigt aber auch die Probleme in der Unterrichtspraxis: Hier zeigen auch unsere exemplarischen Sequenzen, dass die Lehrkräfte zusätzliche Zeit aufbringen müssen, um solche anspruchsvollen integrativen und transdisziplinären Unter- richtsprozesse zu initiieren, durchzuführen und zu steuern. Es sollte beachtet werden, dass diese Unterrichtseinheiten auch einführend für die Sekundarstufe II eingesetzt werden können. Die kurze Kapiteleinführung in das Fächerübergreifende Konzept des sportwis- senschaftlich-philosophischen Teilprojekts wird dann im dritten Band hinsichtlich bislang vorliegender Konzepte fächerübergreifenden Arbeitens ergänzt. Gerade die Ansätze im Sinne von „models of best practice“ zur Realisierung von Antido- pingsequenzen im Unterricht sowie erste Ansätze zur Problematisierung von En- hancement außerhalb des Sports werden dann dort noch ausführlicher diskutiert werden. Als Konkretisierung des im HU-Teilprojekt entwickelten transdisziplinären Konzeptes stellen Giselher Spitzer und Elk Franke einen problemorientierten, fächerübergreifend und -verbindend angelegten Kurs vor, der bereits in der Praxis erprobt wurde: „Wie wirkt Doping und warum ist es verboten?“ Sport, Ethik, Biologie – fünf in die Doping-Problematik einführende Doppelstunden im fächerverbindenden Un- terricht auf der Sekundarstufe I/II“. Hier wird exemplarisch und in Modulform in die Thematik eingeführt. Die Doppelstunde Sport leitet die einführende Unterrichts- reihe ein. Die Schüler erfahren eine Situation „am eigenen Körper“, welche die Möglichkeit der Leistungsbeeinflussung durch Medikamente oder Doping in den Erfahrungshorizont der Lerngruppe bringen kann. Anlass ist ein anstrengendes Zirkeltraining mit dem Schwerpunkt auf der Kreislaufregulierung. Anschließend wird ein Fragebogen ausgefüllt, wobei erwartet wird, dass sich aufgrund der An- strengungssituation sowie der erzwungenen Eile bei der Beantwortung einige Schüler für leistungssteigernde Mittel entscheiden. Im anschließenden Theorieteil werden die Fragebogen ausgewertet und die Lernziele der Doppelstunde Sport erarbeitet:
18 Giselher Spitzer / Elk Franke • Ein Element des weltweiten Dopingverbots ist durch die Chancengleichheit im sportlichen Wettkampf begründet. • Die Schüler erfahren in einer sportpraktischen Situation, dass hohe Belastungen Dopingpraktiken verursachen können: Dabei sollen die eigenen Grenzen überschritten und die Dopingpräparate die messbare Leistung verbessern helfen. • Die Schüler erkennen, dass Dopingmitteleinsatz bei der Benotung eines Zir- keltrainings die Chancengleichheit verletzt. Am Ende des Modulteils „Sportunterricht“ kann bereits erarbeitet werden, warum analog zum Dopingverbot im Hochleistungssport auch im Breitensport, im Schulsport oder im Fitnesssport Möglichkeiten diskutiert werden, um die Einnahme leistungssteigernder Substanzen zu verhindern. Auf diese Stunden und ihre Inhalte nehmen die Fächer Ethik und Biologie Bezug. Im Fach Biologie soll erarbeitet werden: • Die biologischen Gesetzmäßigkeiten im Hinblick auf eine Schädigung des Organismus durch für Doping bestimmungswidrig angewendete Substanzen sind im individuellen Fall von Zufälligkeiten bestimmt und nicht exakt vorher- sehbar, aber in einer größeren Gruppe können die negativen Aspekte syste- matisch nachgewiesen werden. • Biologische Schäden hängen nicht von der individuellen Zielstellung (wie dem Medaillengewinn bei Olympischen Spielen) ab, sondern sind Ergebnis der biologischen Wirkung der verwendeten Substanz: Anabolika erzeugen beispielsweise immer dieselben Nebenwirkungen, ganz gleich ob im Spit- zensport verwendet oder individuell im Freizeit- und Fitnesssport. Die Ethik-Stunden sollen zu dem Ergebnis führen: • Doping im Sport ist nicht nur ein Betrug gegenüber anderen gleichgesinnt handelnden Personen, sondern durch die Missachtung der prinzipiellen Be- dingungen (Natürlichkeitsversprechen, Akzeptanz der individuellen Ungleichheit im Rahmen formaler Gleichheit) kommt es auch zur Relativierung bzw. Zer- störung der besonderen Regeln („Sonderwelt“) des Sports. Im dritten Band werden weitere Module zu finden sein, die insgesamt als längere Reihe oder im Sinne eines Baukastens in der schulischen Praxis eingesetzt wer- den können.
Einleitung in dieses Buch 19 IV. Neuro-Enhancement, ADHS und Sport aus naturwissenschaftlicher Perspektive Der zweite Beitrag von Melanie Radalewski in diesem Buch ist selbst transdisziplinär angelegt. Als Diplompsychologin hat sie durchaus eine naturwissenschaftliche Perspektive, wenn sie sich mit ADHS auseinandersetzt: „Die naturwissenschaftliche Perspektive: Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung ADHS – kritische Bewertung von Erscheinungsformen, Diagnostik und Behandlungsmöglichkeiten“. ADHS ist kein nebensächliches Problem, sondern gehört mit zu den häufigsten seelischen Gesundheitsproblemen der Gegenwart, gerade auch bei Kindern und Jugendlichen. Ausgehend von dem im ersten Band bereits skizzierten Ansteigen der Verschreibungshäufigkeit der ADHS-Medikamente – die auch laut „Vademekum“ für Dopingzwecke geeignet sind bzw. zum Teil einen positiven Dopingbefund erzeugen – geht es um eine wissenschaftsgeschichtliche Einordnung des Syndroms sowie die im deutschen Bereich differenziert be- schriebene Symptomatik dieser „Störung“. Die häufig kritisierte Problematik einer den Normen nicht genügenden Diagnosestellung könnte zu falschen Ergebnissen führen. Diese kritischen Bemerkungen zur Diagnostik werden auch Einfluss auf die Handreichungen für Kinderärzte und Eltern in einem späteren Band dieser Reihe haben. Es werden Interventionsansätze präsentiert und kritisch eingeordnet, wobei Radalewski die heute in Deutschland als angemessen geltende „multimodale Therapie“ als Kombination der Vergabe von Heilmitteln und Psychotherapie und anderen Interventionen der reinen Pharmakotherapie entgegengestellt. Auch psychoanalytische Ansätze sowie die relativ neue Methode des Neurofeedbacks werden vorgestellt. Abschließend arbeitet die Verfasserin heraus, dass in der aktuellen Situation nicht mehr die Frage im Vordergrund steht, ob ADHS-Medikamente wie Methyl- phenidat vergeben werden sollen oder nicht, sondern dass eine „sowohl-als- auch-Attitüde“ angemessen sei. Dies entspricht auch den Expertenmeinungen, wie sie im Teilprojekt der HU im letzten Jahr diskutiert worden sind (Band 1, Soyka und Fritze). Die Autorin kommt zu dem Schluss, dass es bisher keiner der betroffenen Diszip- linen gelungen sei, ein integratives Modell zu entwickeln, so dass nur der inter- disziplinäre Dialog eine neue Ebene bei Diagnostik und Therapie erreichen kann. Diese Gedanken werden die geplanten Handreichungen beispielsweise für Eltern und Sportlehrer beeinflussen können.
20 Giselher Spitzer / Elk Franke Ausblick auf die weiteren Bände der Reihe und den Schlussbericht Bereits hier sei auf den folgenden Band „Sport, Doping und Enhancement – Prä- ventive Möglichkeiten“ verwiesen, der noch im vierten Quartal 2011 erscheinen soll. Dort finden sich ergänzende Beiträge, die einerseits Band 2 „Sport, Doping und Enhancement – Sportwissenschaftliche Perspektiven“ aufgreifen. Andererseits wird es zu der in der Einleitung anklingenden Vertiefung der Projektbereiche kommen, sowie zur Vorbereitung von problemorientierten Materialien für Journalisten und die interessierte Öffentlichkeit. Die methodische Transformation der Ergebnisse erfolgt dabei unter Berücksichtigung der Anforderungen von Prävention für die bereits erwähnten ausgewählten Settings. Band 3 „Sport, Doping und Enhance- ment – Präventive Möglichkeiten“, kann damit, wie oben angedeutet, zusammen mit dem nun vorliegenden zweiten Band als Ganzes gesehen werden. Diskussion und Ergebnisse des „Vademekums“ werden dabei systematisch ausgewertet und ermöglichen die im Forschungsplan angelegten Übertragungsmöglichkeiten, bis in die Praxis. Den nächsten Schritt in der Bearbeitung stellt ein selbstständiger Schlussbericht im BMBF-geförderten Verbundprojekt zur Thematik „Translating Doping – Doping übersetzen“ dar. Er wird von der Sportwissenschaft verantwortet. Hier ist auf- grund der Einarbeitung der neuesten Projekt-Ergebnisse aus dem ersten Quartal 2012 mit einem Erscheinungstermin etwa ein halbes Jahr nach Projektende zu rechnen, worauf in den kommenden Bänden des sportwissenschaftlich-philoso- phischen Teilprojekts und im HU-Internetauftritt (http://www2.hu-berlin.de/ translating-doping) hingewiesen wird. Daneben wird die Reihe „Doping, Enhancement, Prävention in Sport, Freizeit und Beruf“ auch fortgesetzt: Dort werden als nächstes weitere Unterrichtsmodule veröffentlicht und für die Nutzung vorbereitet. Außerdem sollen dort in zwei Bän- den zielgruppenspezifische Materialien erscheinen, die für die Praxis im Sport und die Zielgruppen des Verbundes gedacht sind. Es wird noch einen Sammelband mit theoretischen Texten geben, der neben den Forschungsphasen die Umsetzung noch einmal retrospektiv Revue passieren lässt und zugleich im Ergebnis der intensiven Diskussion an der Humboldt- Universität die nächsten Schritte zu einer Transformation des Erarbeiteten für neue Fragen gehen möchte.8
Einleitung in dieses Buch 21 Dabei wird in der Reihe „Doping, Enhancement, Prävention in Sport, Freizeit und Beruf“ durch das Entgegenkommen des Sportverlags Strauß darauf geachtet, dass die Preisgestaltung eine Nutzung besonders in den Zielgruppen mit geringe- ren Ressourcen möglich macht. Weitere Beiträge von neuen Autoren und Projekten sind erwünscht. Die Arbeit soll mit Beendigung der Förderphase im März 2012 nicht eingestellt werden: Die Bearbeitung der Fragen von Doping und Enhancement soll weitergeführt werden. An dieser Stelle ist noch einmal ausdrücklich für die Förderung durch das Bun- desministerium für Bildung und Forschung zu danken. Giselher Spitzer und Elk Franke
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