Human Enhancement: Einführung und Definition - WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN
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SAMW W E I T E R E O R G A N I S AT I O N E N U N D I N S T I T U T I O N E N Human Enhancement: Einführung und Definition Nikola Biller-Andorno, Unter dem Stichwort «Human Enhancement» wer «Human Enhancement» bezeichnet medizini- Michelle Salathé den medizinische Interventionen diskutiert, die sich sche oder biotechnologische Interventionen, de- nicht auf die Therapie von Krankheiten, sondern auf ren Zielsetzung nicht primär therapeutischer eine Verbesserung nichtpathologischer Merkmale oder präventiver Art, sondern eine «Verbesse- richten. Dabei werden zahlreiche Fragen aufge rung» nichtpathologischer Merkmale ist. Eine worfen: Wo verläuft eigentlich genau die Grenze Arbeitsgruppe der Akademien der Medizini- zwischen Therapie und «Enhancement»? Ist «En schen Wissenschaften (SAMW) und der Geistes- hancement» moralisch verwerflich oder vielmehr und Sozialwissenschaften (SAGW) hat die ethi- ein Teil unseres Alltags, auch des medizinischen? schen Fragen des Enhancements vertieft unter- Führt «Enhancement» dazu, dass diejenigen, die sucht und ihre Analysen und Empfehlungen in schon jetzt privilegiert sind, noch «schöner und der Broschüre «Medizin für Gesunde?» (www. reicher» werden, während andere immer mehr den akademien-schweiz.ch → Projekte und Themen) Anschluss an gesellschaftliche Chancen und Erwar veröffentlicht. In loser Folge erscheinen in der tungen verlieren? SÄZ Auszüge aus dem Bericht. Der vorliegende Bericht wendet sich diesen gesellschaftlichen und ethischen Fragen zu. Dabei fokussiert er besonders auf die Rolle der Ärzteschaft. Sie sind die Berufsgruppe, die eine wichtige Rolle in «Verbesserung» der menschlichen Spezies in den der Beschaffung, aber auch in der Bewertung von Blick nehmen, sondern auf eine graduelle Verschie Enhancementprodukten spielen würde, durch Bei bung der Leistungsgrenze mit heute oder in abseh träge zur Grundlagen und klinischen Forschung, barer Zeit verfügbaren Mitteln. Was das pharmakolo durch Beratungsgespräche mit Patienten und auch gische Enhancement betrifft, so gibt es bereits heute durch die Entwicklung berufsethischer Standards. ein breites Spektrum an Substanzen, die teils den Viele Wirkstoffe, die als Enhancer verwendet werden Drogen und Dopingmitteln (z. B. Kokain), teils den können, sind verschreibungspflichtig, und so wer Arzneimitteln (z. B. Methylphenidat) und teils Le den Ärztinnen und Ärzte ganz unmittelbar mit der bens und Genussmitteln (z. B. Energydrinks) oder Frage konfrontiert, ob sie solche Produkte zugäng Kosmetika (z. B. AntiAgingCremes) zuzuordnen lich machen sollen oder nicht. Dabei gilt es, zwei sind [1b]. Manche Enhancer, wie Koffein oder Alko Ebenen zu berücksichtigen: Zum einen geht es um hol, kommen in unserer Gesellschaft schon lange den individuellen Patienten – seine Präferenzen, zum Einsatz, während andere Substanzen (z. B. Moda seinen Nutzen, sein Risiko. Zum anderen geht es um finil) erst in letzter Zeit verstärkt «offlabel», also gesellschaftliche Auswirkungen des Einsatzes von jenseits des zugelassenen Gebrauchs für bestimmte Medikamenten zur Leistungssteigerung bei Gesun Erkrankungen, eingesetzt werden. den. In der Medizinethik wird die Diskussion um das Zur Komplexität der Debatte trägt auch bei, dass Enhancement bereits seit Jahrzehnten geführt, etwa Human Enhancement ein sehr heterogenes Phä zu Bereichen wie der Keimbahntherapie, der kosme nomen ist, das zudem verschiedenste Bereiche der tischen Chirurgie oder dem AntiAging. In den letz Medizin tangiert, z. B. Reproduktionsmedizin, Neu ten Jahren hat sich auch eine Reihe von politik rowissenschaften, Plastische Chirurgie oder Ernäh beratenden Institutionen der Thematik zugewandt, rungsmedizin. Eingriffe unterscheiden sich u. a. mit Blick auf ihre Invasivität, Wirkungsweise, Effekte, Risiken und Nebenwirkungen sowie deren Dauer Mitglieder der Arbeitsgruppe und Reversibilität. So umfasst der Begriff «Enhance Prof. Dr. med. Dr. phil. Nikola Biller-Andorno (Vorsitz) ment» gleichermassen die Einnahme von Vitamin Prof. Dr. med. Anne-Françoise Allaz pillen mit vorübergehenden Effekten und geringem Dr. phil. Gaia Barazzetti (bis 2010) Risiko wie das Einpflanzen eines Neurochips mit lic. ès lettres Nadja Birbaumer, SAGW PhD Susanne Brauer, NEK-CNE Korrespondenz: Auswirkungen auf die Gehirnfunktion des betreffen Prof. Dr. med. Jürg Kesselring Schweizerische Akademie der den Individuums oder die genetische Modifikation Medizinischen Wissenschaften Prof. Dr. med. lic. phil. Iris Ritzmann (SAMW) der Keimbahn, die in nachfolgenden Generationen Dr. phil. Simone Romagnoli Petersplatz 13 fortwirkt [1a]. Dr. biol. Adrian Rüegsegger, TA-SWISS CH4051 Basel lic. iur. Michelle Salathé, MAE, SAMW Der vorliegende Bericht fokussiert weniger auf PD Dr. theol. Markus Zimmermann-Acklin mail[at]samw.ch spekulative, zukunftsgerichtete Szenarien, die eine Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 5 168 Editores Medicorum Helveticorum
SAMW W E I T E R E O R G A N I S AT I O N E N U N D I N S T I T U T I O N E N darunter der U.S. President’s Council [2], das Büro Das NEKCNEGutachten kommt hingegen zum für TechnikfolgenAbschätzung beim Deutschen Bun Schluss, dass keine nennenswerten rechtlichen destag [3], das niederländische RathenauInstitut [4] Lücken bestehen und sich für die unterschiedlichen und das ScienceandTechnologyOptionsAssess betroffenen Bereiche (Medizinalberufe, Heilmittel ment(STOA)Büro des Europäischen Parlaments [5]. usw.) folgende Grenzziehungen ableiten lassen: In der Tat wirft Enhancement interessante recht – Jegliche absichtliche genetische Veränderung liche Fragen auf, etwa bezüglich der Reichweite der oder Verbesserung von ungeborenen Kindern ist individuellen Autonomie über den eigenen Körper verboten. und der Gründe, die eine gesetzliche oder standes – Genetische Analysen dürfen nicht zu Freizeit rechtliche Einschränkung rechtfertigen. Als weitere zwecken oder im Bereich der Arbeit eingesetzt Frage lässt sich beispielhaft anführen, inwieweit werden. medizinisch indizierte Behandlungen von Folgen, – Die Entnahme und Transplantation von Orga die aus der Anwendung von Enhancement resultie nen mit dem Ziel, die Leistung eines gesunden ren, von der obligatorischen Krankenversicherung Körpers zu verbessern, ist verboten. übernommen werden sollen. Nachfolgend soll kurz – Die Möglichkeiten, Forschungsvorhaben zur der aktuelle rechtliche Rahmen in der Schweiz skiz Entwicklung von neuen Methoden und Produk ziert werden. Die Ausführungen stützen sich wesent ten zur Verbesserung des Menschen durchzufüh lich auf das von der Nationalen Ethikkommission ren, sind eingeschränkt durch das Erfordernis (NEKCNE) in Auftrag gegebene Gutachten [6] (nach einer RisikoNutzenAnalyse. folgend NEKCNEGutachten) und die rechtliche – Ärzte und weitere Fachpersonen im Gesund Beurteilung im Rahmen der TASWISSStudie [1c]. heitsbereich sind in ihrer Aktivität an die Regeln Auf Verfassungsebene stehen diverse Grund der ärztlichen Berufspflicht gebunden, das heisst, rechte in einem Bezug zum Enhancement, nament sie können Interventionen und Produkte nicht lich die Menschenwürde (Art. 7 BV), das Recht auf ohne medizinische Indikation einsetzen. Leben und auf persönliche Freiheit (Art. 10 BV) oder – Swissmedic darf die Einführung von Medi der Schutz der Kinder und Jugendlichen (Art. 11 BV). kamenten, die weder der Diagnose noch der Prä Relevant ist die Frage, inwieweit sich aus der Ver vention oder Behandlung einer Krankheit, son fassung Grundrechtsansprüche (z. B. Recht der Kon dern ausschliesslich dem Enhancement dienen, sumenten auf Nutzung von Enhancement, der For nicht zulassen. schenden auf Durchführung von Forschungsprojek – Das Verschreiben von Medikamenten für den ten zu Enhancement usw.) und Schranken ableiten OffLabelUse ist nur unter strengen Vorausset lassen. Im Bereich der Erlasse auf gesetzlicher Ebene zungen erlaubt; Interventionen im Bereich des empfiehlt der TABericht eine Unterscheidung nach Enhancements fallen nicht a priori darunter. Handlungsbereichen: Behandlungsverhältnis (insb. – Das Arbeitsrecht verpflichtet den Arbeitgeber Aufklärungs und Sorgfaltspflichten), Forschung, Be dazu, die Arbeitsbedingungen den Arbeitneh rufszulassung, Marktzulassung sowie sozialer Aus mern anzupassen (und nicht umgekehrt) und ver gleich. Er setzt sich mit der Frage auseinander, in bietet explizite oder stillschweigende Forderun welchen Bereichen bereits spezifische Regeln für gen nach Enhancements bei den Arbeitnehmern. Enhancementbehandlungen bestehen oder ableit – Die ärztlichen Interventionen im Bereich des bar sind und wo solche fehlen. Zusammenfassend Enhancements erfüllen die Kriterien für die kann festgehalten werden, dass der TABericht Übernahme dieser Leistungen im Bereich der durchaus Regelungsbedarf für den Gesetzgeber sieht. Sozialversicherungen, KVG oder UVG nicht. So hält er es für wünschbar, dass dieser sich aus drücklich zum Behandlungszweck des Enhance Aufgrund dieser Analyse empfiehlt das NEKCNE ments äussert und Klarheit darüber schafft, ob Perso Gutachten, dass die in diesen Bereichen tätigen nen, die Enhancement anbieten, einer Berufszulas Personen und die Öffentlichkeit, namentlich die sung bedürfen. Ausserdem müsste eventuell geklärt Patienten und Konsumenten, klar über die bestehen werden, inwieweit das Heilmittelrecht zur Anwen den Regelungen und deren Grenzen zu informieren dung kommt und welche Regeln bei der Verschrei seien. bung für den OffLabelUse gelten. Schliesslich stelle Eine Schwierigkeit in der aktuellen kontroversen * So wurde z. B. im NEKCNE Gutachten eine eigene, weite sich die Frage, ob es Regelungen in anderen Wettbe Diskussion zum Regulierungsbedarf auf nationaler Definition für Aktivitäten im werbsbereichen als dem Sport, namentlich in der wie auf internationaler Ebene ist das Fehlen einer Bereich des Human Enhance Bildung und der Arbeit, braucht. Zu diskutieren wäre Einigung bezüglich der Definition von Enhance ment entwickelt und diese unter dem Begriff «développe für die Verfasser auch die aktuell bestehende Ver ment*. Auch weitere zentrale Begriffsbestimmungen ment humain artificiel» pflichtung zur Übernahme der Kosten durch die wie z. B. «Gesundheit – Krankheit», die der Abgren gefasst. Die TASWISSStudie obligatorische Krankenversicherung, die durch eine zung von Therapie und Enhancement zugrunde lie hingegen hat die von der medizinischindizierte Behandlung eines Folgescha gen, werden je nach Rechtsbereich unterschiedlich Arbeitsgruppe entwickelte und nachfolgend vorgestellte dens von Enhancementanwendungen entstehen verwendet und erschweren damit eine rechtswissen Definition aufgegriffen. würden. schaftliche Debatte der Gesamtentwicklung [7]. Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 5 169 Editores Medicorum Helveticorum
SAMW W E I T E R E O R G A N I S AT I O N E N U N D I N S T I T U T I O N E N Wenn normative Fragen mit Blick auf «Human Debatte zu Fragen des Enhancements bei ande Enhancement» verhandelt werden sollen, ist eine ren Spezies ihre Berechtigung. geeignete Definition eine Voraussetzung. Nicht nur – in ihren Fähigkeiten oder in ihrer Gestalt: Es geht weil sie das Feld der Untersuchung absteckt, sondern nicht nur um Fähigkeiten, sondern auch um auch, weil sie erkenntnistheoretische Prämissen be andere physische Aspekte, die in der betreffen züglich der Möglichkeit einer «neutralen», objekti den Gesellschaft positiv konnotiert sind, z. B. ven Grenzziehung zwischen gesund und krank, nor Körpergrösse, Körperproportionen, «Schönheit». mal und anormal, Enhancement und Therapie bzw. – in einer Weise zu verändern, die in den jeweiligen Prävention widerspiegelt. soziokulturellen Kontexten als eine Verbesserung Die Arbeitsgruppe ging zunächst von der ein wahrgenommen wird: Was eine Verbesserung ist, schlägigen Definition von Eric Juengst – «Eingriffe, kann nicht allgemein formuliert werden, da die die menschliche Gestalt oder Leistungsfähigkeit Enhancement immer auch den Grad der Passung über das Mass hinaus verbessern sollen, das für die bzw. des Übertreffens spezifischer gesellschaft Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit licher Erwartungen und Bewertungen reflektiert. erforderlich ist» [8] – aus, fand sie jedoch in verschie Was als Enhancement wahrgenommen wird, ist dener Hinsicht nicht zufriedenstellend. also vom jeweiligen soziokulturellen Kontext Die in der Arbeitsgruppe angestellten Überlegun abhängig; dies soll nicht suggerieren, dass in gen führten zu folgendem Definitionsvorschlag**: einer Gesellschaft bestimmte Präferenzen und Wertungen von allen Individuen geteilt würden. «Medizinische oder biotechnologische Interventio- Vielmehr ist in diesen Fragen von einer gesell nen, deren Zielsetzung nicht primär therapeu- schaftlichen Heterogenität auszugehen, daher tischer oder präventiver Art ist und die darauf ab- die Formulierung «in den jeweiligen soziokultu zielen, Menschen in ihren Fähigkeiten oder in ihrer rellen Kontexten» im Plural. Gestalt in einer Weise zu verändern, die in den je- – (eine Verbesserung,) deren Zielsetzung nicht primär weiligen soziokulturellen Kontexten als Verbesse- therapeutischer oder präventiver Art ist: Wiederum rung wahrgenommen wird.» geht es um die Intention; die Tatsache, dass die – Medizinische oder biotechnologische Interventionen: Motivation vielfach nicht eindeutig dem Enhan Diese können sich in mehrfacher Hinsicht unter cement einerseits oder den Bereichen «Therapie» scheiden: Sie können u. a. dauerhaft oder zeit und «Prävention» andererseits zuzuordnen ist weise, reversibel oder nicht reversibel, mehr oder (z. B. im Falle von Stimmungsschwankungen oder weniger risiko und nebenwirkungsbehaftet sein. eines «mild cognitive impairment»), wird durch Es geht nicht allein um medikamentöse Mass die Qualifikation «primär» Rechnung getragen. nahmen, doch beschränkt sich die Definition auf solche, die sich im medizinischbiologischen Die von der Arbeitsgruppe entwickelte Definition Bereich bewegen. Soziale Interventionen würden von «Enhancement» bezieht sich somit nicht in Ärzte sind die Berufsgruppe, die eine wichtige Rolle in der Beschaffung, aber auch in der Bewertung von Enhancementprodukten spielen würde. damit nicht unter die Definition «Enhance deskriptivobjektivistischer, naturalistischer Weise ment» fallen. Gezielte verhaltenstherapeutische auf die menschliche Natur bzw. auf objektiv be Massnahmen könnten hingegen durchaus als stimmbare Begriffe von «Gesundheit», «Krankheit» medizinische Interventionen verstanden wer und «Normalität». Die Arbeitsgruppe ist nicht der den. Die Grenze ist allerdings fliessend. Ansicht, man könne unabhängig von soziokultu – die darauf abzielen: Es geht um die Intention; über rellen Kontexten bestimmen, was als Verbesserung die Wirksamkeit wird zunächst noch keine Aus oder gar als relevante Verbesserung zu bewerten sei. sage gemacht. Damit trägt die Definition dem Enhancement als realitäts und alltagsnahes Phäno Umstand Rechnung, dass Interventionen, die men (unbeachtet der Transhumanismusdebatte) be ** Die TASWISSStudie [1] hat heutzutage als Enhancement definiert werden, zieht sich in der Regel nicht auf Funktionen oder sich in einem gemeinsamen bislang vielfach in ihrer Wirksamkeit umstritten Charakteristika, bei denen eine kulturunabhängige Abstimmungsprozess mit sind. Definition von gesund und krank bzw. normal und Blick auf die Komplementari – Menschen: Eingrenzung für den Zweck des Ar anomal möglich wäre. So wird z. B. das Körperge tät zum vorliegenden Bericht diese Arbeitsdefinition zu beitsauftrags auf «Human Enhancement»; sicher wicht in ästhetischer Hinsicht historisch und kultu eigen gemacht. lich hat darüber hinaus auch eine tierethische rell sehr unterschiedlich bewertet. Auch welche Eigen Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 5 170 Editores Medicorum Helveticorum
SAMW W E I T E R E O R G A N I S AT I O N E N U N D I N S T I T U T I O N E N schaften relevant sind, mag von Zeit zu Zeit und von einher. Der Fokus wurde so gewählt, weil die Arbeits Gesellschaft zu Gesellschaft variieren. Während gruppe sich vor allem den ethischen Fragen zuwen heute bei uns Jugendlichkeit, Dynamik, Wettbe det, die sich Ärzten und anderen im Gesundheits werbsfähigkeit, körperliche und vor allem kognitive wesen tätigen Berufsgruppen stellen. Leistungsfähigkeit betont werden, muss dies nicht Insgesamt soll die Definition dazu dienen, das für andere Gesellschaften gelten. Insofern kann eine Arbeitsgebiet zu erfassen – sie ist nicht per se taug Analyse der «Enhancement»Angebote bzw. Ver lich als moralisches Kriterium. Sie ist als deskriptives suche aufzeigen, welche Prioritäten und Schwer und analytisches, nicht aber als normatives Instru punkte die jeweiligen Gesellschaften setzen. Die ment zu verstehen. Für eine ethische Bewertung des Definition macht sich somit eine subjektivistisch heterogenen Feldes von Enhancementinterventio kulturalistische Perspektive zu eigen: Enhancement nen müssen die moralisch relevanten Kriterien iden ist das, was die jeweiligen Gesellschaften als solches tifiziert werden, die sich unter anderem auf Aspekte erachten. wie Art der Intervention (Reversibilität, Risiko, Ver Enhancement ist in diesem Sinne auch kein schieben der individuellen Leistungsgrenze vs. der neues Phänomen, das durch Biotechnologie ermög Speziesnorm usw.) und die Umstände der Anwen licht worden wäre, sondern ein menschliches Bestre dung (Urteilsfähigkeit des Betreffenden, Freiwillig ben, mithalten oder besser sein zu können. En keit vs. sozialer Zwang) beziehen werden. hancement als solches ist nicht historisch einzigar Dieses Verständnis von Enhancement ist in Ein tig, sondern Ausdruck dessen, was die jeweilige klang mit den Schlussfolgerungen der Experten Gesellschaft als erwünschte und wichtige Merkmale gruppe «Zukunft Medizin Schweiz», die in ihrer Aus erachtet und was den Betreffenden somit einen einandersetzung mit dem Krankheitsbegriff betont, Wettbewerbsvorteil bringt, wenngleich entspre dass nicht allein biologische Funktionsparameter, chende Anliegen erst in der Moderne an die Medizin sondern auch subjektive, psychosoziale und kultu herangetragen wurden. Auch wenn Enhancement relle Faktoren zu berücksichtigen sind und die Über medizinisch gesehen als irrelevanter «Luxus» be gänge zwischen Gesundheit und Krankheit Grau trachtet werden kann, mögen entsprechende Inter bereiche bleiben [9]. Was wir als Krankheit verste ventionen in bestimmten sozialen Kontexten als hen, hängt – ähnlich wie beim Enhancement – nicht dringendes Desiderat erachtet werden, weil dem be nur von den Funktionseinschränkungen und der treffenden Merkmal dort so hohe Relevanz zu subjektiven Befindlichkeit ab, sondern auch vom kommt – wie z. B. der Sauerstoffaufnahmefähigkeit Umfeld, mit dem das betroffene Individuum inter des Bluts bei Radrennen oder der Fähigkeit, mit we agiert, und von einem sozialen Aushandlungspro nig Schlaf zu «funktionieren», bei Piloten oder Sol zess, wer die Leistungen, die Kranken gewährt wer daten. Je nach Umfeld können Enhancementinter den (Zuwendung, Versicherungsleistungen usw.), ventionen also zwischen «überflüssiger Spielerei» für sich in Anspruch nehmen darf. und «überlebenswichtig» variieren. Wichtig für die Beschäftigung mit dem Thema Die Definition bietet keine scharfe Abgrenzung «Enhancement» ist die Einsicht, dass der Krankheits zu Therapie bzw. Prävention, und die Arbeitsgruppe begriff interessengeleiteten Ausweitungen bzw. Ein geht auch nicht davon aus, dass eine solche scharfe schränkungen unterliegt. So hat zum Beispiel in den Abgrenzung hinsichtlich alltagsrelevanter Interven letzten Jahrzehnten im Zuge der Entwicklung von tionen möglich ist. Die Interventionen, die an dieser Psychopharmaka eine deutliche Ausweitung der psy Stelle vor allem in den Blick genommen werden chiatrischen Diagnosen stattgefunden [10]. Kritiker sollen, befinden sich im Grenzbereich dessen, was verweisen auf eine zunehmende Medikalisierung bei uns heute als «normal» oder «gesund» wahrge z.B. von Befindlichkeiten oder Persönlichkeitsmerk nommen wird: Psychopharmaka bei Verstimmun malen wie Schwermut oder Schüchternheit, mit der gen, die das «Funktionieren» der Betreffenden im Konsequenz einer zunehmenden Standardisierung Alltag beeinträchtigen, aber nicht notwendiger und dem Verlust persönlicher Identität und Authen weise als Depression zu diagnostizieren sind, oder tizität [11]. Die Unterscheidung «medizinische Indi die helfen sollen, eine (allzu?) grosse Schüchternheit kation – Therapie» und «keine Indikation vorliegend in sozialen Kontakten zu überwinden. – Enhancement» mag zwar in formalrechtlicher Die Definition zielt zudem darauf ab, diejenigen Hinsicht nützlich sein; die zugrunde liegenden ethi Eingriffe in den Fokus zu nehmen, die derzeit in schen, medizintheoretischen und gesundheitssozio ethischer Hinsicht diskutiert werden, also gezielte logischen Fragen werden dadurch nicht gelöst. medizinische und biotechnologische Interventio Wenn es darum geht, den Begriff des Enhance nen und weniger alltägliche Interventionen oder ments im weiteren Begriffsumfeld von Gesundheit unspezifischere Massnahmen wie z. B. die Erziehung und Krankheit zu situieren, so stellt sich auch die von Kindern. Mit dieser Eingrenzung geht jedoch Frage nach der Beziehung zum Begriff der Präven keine moralische Bewertung von medizinischbio tion. Auch hier gibt es relevante Bezüge: Die Abgren logischen Interventionen als problematischer bzw. zung von Prävention und Enhancement ist ebenso von sozialen Interventionen als unproblematischer unscharf wie die Grenzziehung zur Therapie: Sind Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 5 171 Editores Medicorum Helveticorum
SAMW W E I T E R E O R G A N I S AT I O N E N U N D I N S T I T U T I O N E N synthetisch hergestellte Bakterien, die Arterien von Literatur Kalkeinlagerungen säubern, Prävention oder Enhan 1 Eckhardt A, Bachmann A, Marti M, Rütsche B, cement? Diese Frage verliert allerdings an Relevanz, Telser H. Human Enhancement. TASWISS 56, vdf Hochschulverlag ETH Zürich; 2011. [1a] S. 14–18; [1b] wenn man von der Zuteilung zur einen oder anderen S. 19–20; [1c] S. 191–234. Kategorie nicht erwartet, dass sie die normative 2 President’s Council on Bioethics. Beyond Therapy: Frage nach der moralischen Zulässigkeit löst. Eine Biotechnology and the pursuit of happiness. New Antwort auf die Frage, was Enhancement ist und was York: Dana Press; 2003. nicht, löst keineswegs die normative Frage nach der 3 Sauter A, Gerlinger K. Der pharmakologisch verbes moralischen Zulässigkeit. serte Mensch: Pharmakologische Interventionen zur Ein weiterer Bezug ist hingegen von grosser Leistungssteigerung als gesellschaftliche Herausforde Bedeutung: Wenn Enhancement als eine bisweilen rung. Studien des Büros für TechnikfolgenAbschät zung beim Deutschen Bundestag, Bd. 34. Berlin: medizinisch problematische gesellschaftliche Praxis edition sigma; 2011. verstanden wird, muss auch über eine Prävention 4 Zonneveld L, Dijstelblowem H, Ringoir D (Hrsg.). von Enhancement – in gewisser Hinsicht vergleich Reshaping the Human Condition: Exploring human bar dem Umgang mit Suchtmitteln – nachgedacht enhancement. The Hague: Rathenau Institute; 2008. werden. Somit spielt Enhancement nicht nur mit 5 Science and Technology Options Assessment (STOA) Blick auf das Individuum und seine Präferenzen eine European Parliament, Human Enhancement (IP/A/ Rolle, sondern ist auch aus einer PublicHealthPers STOA/FWC/200528/SC35, 41 & 45). Brussels; 2009. pektive zu betrachten. 6 Sprumont D, Monbaron SP. Le développement humain artificiel communément appelé «human Fazit enhancement»: Législation actuelle et besoins de 1. Enhancement – im Sinne der Verbesserung réglementation, survol de la problématique. Etude juridique préliminaire, mandatée par la Commission nichtpathologischer Merkmale – hat vielfach nationale d’éthique pour la médecine humaine die Konnotation des Überflüssigen oder mora (NEKCNE); 2010. lisch Fragwürdigen und ist doch zugleich ein All 7 Beck S. Die fehlende rechtliche Debatte einer tagsphänomen, in das auch verschiedene Berei gesellschaftlichen Entwicklung. MedR. 2006; 26(2): che der Medizin involviert sind. Was als Verbes 95–102. serung verstanden wird, hängt dabei von den 8 Juengst ET. Was bedeutet Enhancement. In: Schöne Erwartungen und Präferenzen der jeweiligen Ge Seifert B, Talbot D (Hrsg.). Enhancement – die ethische sellschaft ab. Debatte. Paderborn: mentis; 2009: 25–45. 2. Enhancementinterventionen sind vielgestaltig 9 Schweizerische Akademie der Medizinischen und unterscheiden sich in ethisch relevanter Wissenschaften (SAMW) in Zusammenarbeit mit Hinsicht u. a. mit Blick auf die Invasivität der Experten und Expertinnen der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) und der Eingriffe, die Irreversibilität sowie die Risiken für Medizinischen Fakultäten. Projekt «Zukunft Medizin die individuelle und öffentliche Gesundheit. Die Schweiz»: Ziele und Aufgaben der Medizin zu Beginn Zuordnung einer Intervention zu Enhancement des 21. Jahrhunderts. Basel; 2004. löst somit nicht bereits die Frage nach der mora 10 Angell M. The Epidemic of Mental Illness: Why? lischen Zulässigkeit. The New York Review of Books, June 23; 2011. 3. Enhancement wirft interessante rechtliche Fra 11 Elliott C. Better than well: American medicine meets gen auf (etwa bezüglich der Einschränkung des the American dream. New York: Norton & Company; Zugangs zu Substanzen oder bezüglich der Er 2003. stattungsfähigkeit von Kosten durch die obli gatorische Krankenversicherung), doch ist der aktuelle gesetzliche Regelungsbedarf in der Schweiz umstritten. 4. Den Analysen und Empfehlungen zum Umgang mit Enhancement müssen eine Definition zu grunde liegen, damit der Rahmen abgesteckt und erkenntnistheoretische Prämissen offenge legt werden. Eine solche Definition muss der Relevanz des soziokulturellen Kontexts Rech nung tragen. Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 5 172 Editores Medicorum Helveticorum
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