Sprachentwicklung von Late Talkers bis ins Schulalter
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Anke Buschmann und Christina Gertje Originalia Sprachentwicklung von Late Talkers bis ins Schulalter: Langzeiteffekte einer frühen systematischen Elternanleitung Language development of late talkers up to school-age: Long-term effects of an early parent-based language intervention Schlüsselwörter: Sprachentwicklungsverzögerung, Late Talkers, Sprachentwicklung, elternzentrierte Frühintervention Keywords: language delay, late talkers, language development, parent-based intervention Zusammenfassung: Im Rahmen einer Längsschnittstudie wurde die Abstract: This long-term study examined the language sprachliche Entwicklung ehemaliger Late Talkers (LT) bis ins Schul- development of former children with language delay alter untersucht. Hierzu wurden Kinder, die mit 24 Monaten eine (late talkers) into school age. Children identified with isoliert expressive oder rezeptiv-expressive Sprachentwicklungs- expressive and receptive-expressive language difficul- verzögerung aufwiesen, randomisiert einer Interventionsgruppe (IG ties at the age of 24 months were randomly assigned n=22) und einer unbehandelten Kontrollgruppe (KG n=22) zugewie- to an intervention group (IG n=22), and an untreated sen. Es erfolgte eine standardisierte Untersuchung des produktiven control group (CG n=22). Their language development Wortschatzes, der Grammatik und des Sprachverständnisses im was compared to a sample of non-late talkers (NLT Vergleich zu einer Stichprobe alterstypisch entwickelter Nicht-Late n=24). After the pretest, mothers in the IG participa- Talkers (NLT n=24). Nach der Eingangsdiagnostik nahmen die Müt- ted in the three-month long “Heidelberg Parent-based ter der IG an dem dreimonatigen „Heidelberger Elterntraining zur Language Intervention” (HPLI) program. All children frühen Sprachförderung“ (HET Late Talkers) teil. Die Kinder aller were reassessed at the age of 2 ½, 3, 4 and 5 years, drei Gruppen wurden mit zweieinhalb, drei, vier und fünf Jahren and at the end of second grade. Tests for productive sowie am Ende der zweiten Klasse nachuntersucht. Die Gruppen- vocabulary, grammar, and language comprehension vergleiche mittels Varianzanalysen ergaben für die drei getesteten were administered at each point in time. Analyses of Sprachbereiche signifikante Interaktionen zwischen Zeit und Gruppe. variance showed significant interactions between time Post-hoc-Tests zeigten, dass die KG zu allen Messzeitpunkten über and group for the three tested language aspects. Post- signifikant niedrigere sprachliche Fähigkeiten in Wortschatz und hoc tests revealed significant differences between the Grammatik verfügte als die NLT. Dagegen unterschied sich die IG ab CG and the NLT for all language areas, with the CG dem Alter von drei Jahren nicht mehr von den NLT im produktiven scoring significantly lower at all measuring points in Wortschatz und im Sprachverständnis, ab vier Jahren auch nicht the areas of vocabulary and grammar. In contrast, the mehr in den grammatischen Fähigkeiten. Zwischen der IG und der IG had caught up with the NLT by the age of 3 years in KG zeigten sich im Wortschatz mit drei Jahren und in der Grammatik productive vocabulary and language comprehension, mit vier Jahren signifikante Unterschiede zugunsten der IG. Zudem and by the age of 4 years in grammar. Additionally, gab es in der IG nach der Intervention zu jedem Messzeitpunkt pro- there were more children showing normal language zentual mehr Kinder mit altersentsprechenden Resultaten in den abilities over time in the IG than in the CG. The HPLI can Sprachtests als in der KG. Die Ergebnisse belegen die Effektivität des therefore be considered a highly effective intervention HET in Bezug auf eine langfristige Verbesserung der sprachlichen contributing to long-term improvement of late talkers’ Fähigkeiten von LT. language development. 4 Logos Jg. 29 | Ausg. 1 | 2021 | 4 - 16
Einleitung rezeptiven Schwierigkeiten (Lyytinen et al., 2006). KURZBIOGRAFIE Originalia Etwa 15% der Kinder weisen im Alter In der Münchner Längsschnittstudie von zwei Jahren eine verzögerte Sprach- Dr. Anke Buschmann, Dipl.-Psych., wurde die SE einer sorgfältig ausge- langjährige klinische und wissen- entwicklung (SE) bei ansonsten alters- wählten Stichprobe von LT mit isoliert schaftliche Tätigkeit im Sozialpädi- entsprechender Allgemeinentwicklung expressiven bzw. rezeptiv-expressiven atrischen Zentrum, Universitätskli- auf (Horwitz et al., 2003; Sachse & von nikum Heidelberg; 2002 bis 2006 Defiziten im Vergleich zu einer Stich- Suchodoletz, 2007). Diese sogenannten Entwicklung und Evaluation „Hei- probe von NLT zu mehreren Messzeit- Late Talkers („Spätsprecher“) können im delberger Elterntraining zur frühen punkten bis ins Schulalter untersucht Alter von 24 Monaten mittels Elternfra- Sprachförderung“; 2009 Promotion (Grossheinrich et al., 2019; Kühn et al., an der Universität Frankfurt; 2010 gebögen zum aktiven Wortschatz zuver- 2016). Während die LT mit zwei Jahren bis 2012 Vertretung einer Professur lässig erkannt werden (Law & Roy, 2008; deutlich schwächere sprachproduk- für Entwicklungspsychologie mit Rescorla & Alley, 2001; Sachse & von tive und in geringerem Ausmaß auch Schwerpunkt Sprache an der Päda- Suchodoletz, 2008). Die verzögerte SE gogischen Hochschule Heidelberg; sprachrezeptive Fähigkeiten aufwiesen, kann sich sowohl ausschließlich auf die 2015 Gründung des ZEL–Zentrum näherten sie sich bis zum Einschulungs- Sprachproduktion beziehen (expressive für Entwicklung und Lernen in alter kontinuierlich an das Niveau der Sprachentwicklungsverzögerung), als Heidelberg, mit den Schwerpunk- NLT an. Insbesondere im dritten, aber ten psychologische Diagnostik bei auch zusätzlich das Sprachverständnis auch im vierten Lebensjahr verringerten Entwicklungs- und Lernstörungen, betreffen (rezeptiv-expressive Sprach- sich die Abstände zwischen den Grup- Heidelberger Elterntraining und entwicklungsverzögerung). pen. Mit Ausnahme der grammatischen Fortbildungen für Fachkräfte/Lehre Fähigkeiten blieben die Unterschiede und anwendungsbezogene For- Sprachliche Entwicklung von dennoch auch mit knapp sechs Jahren schungsaufträge an der Pädagogi- Late Talkers (LT) signifikant. Obwohl im Laufe der Vor- schen Hochschule Heidelberg. 30% bis 50% der LT gelingt es, den schulzeit immer mehr ehemalige LT ein sprachlichen Rückstand bis zum dritten altersgemäßes sprachliches Niveau auf- Geburtstag aufzuholen („Late Bloom wiesen, war der Anteil der Kinder, die ers“). Bei einem Großteil der Kinder be- in standardisierten Sprachtests unter- stehen die sprachlichen Defizite jedoch ten als Kinder ohne sprachliche Auf- durchschnittliche Ergebnisse erzielten, auch noch mit drei Jahren, davon bei fälligkeiten. Bei einem substanziellen zu jedem Untersuchungszeitpunkt höher einigen so schwer, dass eine Sprach- Teil sind die sprachlichen Defizite mit als in der Gruppe der NLT (Kühn et al., entwicklungsstörung (SES) diagnosti- sozio-emotionalen und Verhaltenspro- 2016). In der dritten Klasse erreichten ziert wird (Dale et al., 2003; Sachse & blemen, Schwierigkeiten im Umgang die LT im Mittel zwar Werte im Normbe- von Suchodoletz, 2009). Längsschnitt- mit Gleichaltrigen sowie im Erwach- reich, im Vergleich zu den NLT verfügten liche Untersuchungen über das dritte senenalter mit psychischen Problemen sie jedoch über einen geringeren Wort- Lebensjahr hinaus zeigen, dass sich die schatzumfang und schnitten im Verbali- assoziiert (Johnson et al., 2010; McKean sprachlichen Fähigkeiten ehemaliger LT sieren von semantischen Relationen, im et al., 2017; Schoon et al., 2010). im Vorschulalter teilweise im Normbe- Buchstabieren und im Nachsprechen von reich bewegen, das Niveau von Kindern Kunstwörtern schlechter als diese ab. Elternzentrierte Frühförderung mit einer von Beginn an alterstypischen Die Unterschiede in den sprachlichen Um ungünstigen Entwicklungsverläufen SE (Nicht-Late Talkers, NLT) allerdings Leistungen zwischen den Kindern mit bei LT vorzubeugen, sind wirksame und nicht erreichen. Ehemalige LT zeigen und ohne verzögerte SE ließen sich zu ökonomische Frühinterventionen erfor- bis ins Jugendalter hinein geringere einem großen Teil durch Defizite im pho- derlich. Eine Möglichkeit der sprachli- sprachliche Kompetenzen. Besonders nologischen Arbeitsgedächtnis bei den chen Frühförderung stellen elternzen- ausgeprägt sind die Defizite in der Gram- ehemaligen LT erklären (Grossheinrich trierte Konzepte dar. Dabei wird die matik und im Wortschatz. Auch wenn et al., 2019). SE des Kindes nicht, wie bei der kind- sich die verzögerte SE mit zwei Jahren Aus verschiedenen Studien geht hervor, zentrierten Sprachtherapie, unmittelbar vorwiegend auf die produktive Sprache dass ein Anhalten der sprachlichen De- gefördert, sondern indirekt über eine beschränkt, schneiden LT oft auch im fizite bis ins Schulalter hinein beson- systematische Anleitung der Eltern zu Sprachverständnis schlechter ab als Kin- ders kritisch ist, da viele dieser Kinder sprachförderlichem Verhalten. Ziel ist der mit von Beginn an altersgerechter SE Schwierigkeiten im Schriftspracherwerb es, die Kommunikation der Eltern mit (Rescorla, 2002; 2005; 2009; Rescorla et oder sogar allgemeine Schulleistungs- dem Kind dahingehend zu verändern, al., 2000; Rescorla et al., 1997; Rescorla probleme entwickeln. Häufig erreichen dass sprachförderliche Interaktionen & Turner, 2015). Besonders ungünstig sie niedrigere Bildungsabschlüsse und intensiviert und sprachhemmende Ver- ist die Prognose für LT mit zusätzlichen haben somit schlechtere Berufsaussich- haltensweisen abgebaut werden (Busch- Logos Jg. 29 | Ausg. 1 | 2021 | 4 - 16 5
mann, 2017). Der große Vorteil besteht Kinder in der Interventionsgruppe (IG) ter Mütter. Zudem war der Anteil der darin, dass die sprachliche Förderung keine sprachlichen Auffälligkeiten mehr, Kinder, die mit vier Jahren keine sprach- Originalia des Kindes nicht auf ein bis zwei The- während dies nur 44% in der unbehan- lichen Auffälligkeiten mehr zeigten, in rapieeinheiten pro Woche beschränkt delten Kontrollgruppe (KG) gelang. Der der Interventionsgruppe höher (74% vs. ist, sondern im Alltag und in natürli- Anteil an Kindern mit der Diagnose einer 50%), während in der Kontrollgruppe chen Situationen viele Stunden in der SES lag in der KG bei 26% und in der mehr Kinder die Kriterien einer SES Woche bzw. sogar am Tag stattfinden IG bei 8%. Auch bei LT mit rezeptiven erfüllten (25% vs. 9%). Allerdings er- kann. Denn die Eltern werden angeleitet, Beeinträchtigungen wirkte sich die Teil- folgte kein Vergleich mit NLT, sodass wiederkehrende Situationen, wie das nahme am HET positiv auf die Sprach- aus dieser Studie nicht ersichtlich ist, Einkaufen, das gemeinsame Spiel oder entwicklung aus (Buschmann, 2012). ob die Verbesserungen so weit reich- Anschauen eines Bilderbuchs, sprach- Bisher gibt es nur wenige Studien, in ten, dass von einer Normalisierung der förderlich zu gestalten. Sie erlernen ein denen folgenden Fragen nachgegangen sprachlichen Fähigkeiten gesprochen feinfühliges (responsives) Interaktions- wurde: 1. Bleiben die Trainingseffekte werden kann. verhalten, wie dem Interesse des Kindes von elternzentrierten Frühinterventionen Bei der Überprüfung der langfristigen folgen und sich sprachlich darauf be- langfristig bestehen? 2. Wie verläuft die Wirksamkeit des im englischsprachi- ziehen, den Sprachstil an den Entwick- sprachliche Entwicklung von LT nach gen Raum weit verbreiteten Hanen- lungsstand des Kindes anpassen und einer elternzentrierten Frühfördermaß- Programms erreichten 86% der LT von gezielt Sprachlehrstrategien einsetzen. nahme im Vergleich zu von Beginn an geschulten Müttern im Alter von fünf sprachlich alterstypisch entwickelten Jahren durchschnittliche Werte in stan- Wirksamkeit elternzentrierter Kindern (NLT)? dardisierten Sprachtests. Verglichen mit Frühinterventionen Solche Vergleiche sind von Bedeutung, NLT schnitten sie jedoch sowohl bei da sie nicht nur Aussagen darüber er- allgemeinsprachlichen (z. B. Grammatik Aus Wirksamkeitsstudien und Metaana- lauben, ob Elterntrainings überhaupt und Wortschatz) als auch bei komplexen lysen geht hervor, dass eine Anleitung wirken, sondern auch, ob sie in der Lage sprachlichen Leistungen (z. B. verbales der Eltern die SE von LT bedeutsam sind, die sprachliche Entwicklung von Kurzzeitgedächtnis und Erzählfähigkeit) fördern kann (DeVeney et al., 2017; schlechter ab (Girolametto et al., 2001). Heidlage et al., 2020; Roberts & Kaiser, LT langfristig positiv zu unterstützen. Da in dieser Studie kein Vergleich mit 2011; Tosh et al., 2017). Dabei sind die Einige Daten liegen bereits vor und wer- einer Gruppe von LT ohne Frühinter- Effekte eines systematischen Trainings den im Folgenden zusammenfassend vention erfolgte, können keine Aussagen einer bloßen Beratung der Eltern zur dargestellt: Für das HET konnten nach- über Trainingseffekte abgeleitet werden. Anregung der kindlichen SE weit über- haltige Effekte gefunden werden (Busch- Beim Vergleich von (rezeptiv-)expressi- legen (Gibbard et al., 2004). Auch LT mann et al., 2015). Die expressiven LT ven LT einer elternzentrierten Interventi- mit zusätzlichen Beeinträchtigungen der geschulten Mütter zeigten im Alter onsgruppe (IG) und einer unbehandelten im Sprachverständnis profitieren von von vier Jahren und damit eineinhalb Kontrollgruppe (KG) mit einer Gruppe der Teilnahme an einem Elterntraining Jahre nach Abschluss des HET bessere von NLT zeigten sich unterschiedliche (Roberts & Kaiser, 2015). Der Einsatz Leistungen im Sprachverständnis, im Verläufe in der sprachlichen Entwicklung elternzentrierter Programme zur frühen phonologischen Arbeitsgedächtnis und (Roberts & Kaiser, 2012): Die Kinder der Sprachförderung ist international bereits im Satzgedächtnis als die LT ungeschul- IG zeigten nach Schulung der Eltern im weit verbreitet und anerkannt (Law et produktiven Wortschatz deutlich größe- al., 2019). re Wachstumsraten als die Kinder der Ein in Deutschland entwickeltes Pro- KURZBIOGRAFIE KG. Zudem wiesen sie bessere rezeptive gramm ist das „Heidelberger Eltern- Christina Gertje, M.Sc., beendete 2018 Sprachfähigkeiten auf. Im Vergleich zu training zur frühen Sprachförderung“ ihr Studium der Psychologie an der den NLT verfügten die Kinder der IG (HET Late Talkers; Buschmann, 2017). In Ruprecht-Karls-Universität Heidel- zwar immer noch über einen geringeren einer RCT-Studie zeigte sich, dass Kin- berg. Von 2016 bis 2018 war sie als Wortschatzumfang, sie unterschieden der, deren Mütter am HET teilgenommen wissenschaftliche Hilfskraft am sich über den Zeitraum von drei Monaten ZEL–Zentrum für Entwicklung und hatten, sowohl drei als auch neun Mona- aber nicht mehr in den Wachstumsraten Lernen in Heidelberg tätig. Derzeit te nach dem Training deutlich bessere absolviert sie eine Ausbildung zur für den Wortschatz und in der mittle- sprachliche Fähigkeiten aufwiesen als Kinder- und Jugendlichenpsycho- ren Äußerungslänge. Die Kinder der KG Kinder ohne geschulte Mütter (Busch- therapeutin am Zentrum für Psy- zeigten dagegen signifikant langsamere mann et al., 2009). Sie verfügten über chologische Psychotherapie (ZPP) Wachstumsraten als die NLT. Diese Er- einen größeren produktiven Wortschatz Mannheim. gebnisse bestätigen o. g. Resultate, dass und bessere grammatische Fähigkeiten. mittels einer systematischen Elternanlei- Im Alter von drei Jahren zeigten 75% der tung zu einem responsiven Interaktions- 6 Logos Jg. 29 | Ausg. 1 | 2021 | 4 - 16
und Sprachverhalten die sprachlichen higkeiten verfügen, jedoch nicht das Eltern von zwei- bis drei Fähigkeiten von LT verbessert werden Niveau der NLT erreichen. Originalia jährigen Kindern mit isoliert können. Da diese Studie nicht im Längs- Des Weiteren interessierte, wie viele Zielgruppe expressiver oder kombiniert schnitt angelegt war, erlaubt sie jedoch LT den Sprachrückstand mit bzw. ohne rezeptiv-expressiver Sprach entwicklungsverzögerung keine Aussagen über die Nachhaltigkeit elternzentrierte Intervention aufholen dieser Effekte. Eine Aussage hierzu fin- bzw. wie viele Kinder langfristig Sprach- • Stärkung der Eltern in ihrer auffälligkeiten bis hin zu einer SES zei- Kompetenz als wichtigste det sich bei Buschmann et al. (2009). Die Kommunikationspartner AutorInnen verglichen LT mit und ohne gen. Erwartet wurde, dass der Anteil an des Kindes elternzentrierte Frühintervention (HET) AufholerInnen in der IG höher ausfällt • Responsiver Interaktionsstil mit NLT hinsichtlich ihrer sprachlichen als in der KG. • Anpassung des Sprachange Fähigkeiten über einen Zeitraum von bots an den Entwicklungs einem Jahr. Es zeigte sich, dass die LT, Methode Ziele stand des Kindes deren Eltern am HET teilgenommen • Sensibilisierung für Mög Studiendesign lichkeiten der alltäglichen hatten, in der Sprachproduktion enorme Sprachförderung Die Heidelberger LT-Längsschnittstudie Fortschritte gegenüber den unbehan- • Abbau von sprach ist eine randomisiert-kontrollierte Stu- delten LT zeigten. Sie erreichten jedoch hemmenden Verhaltens die. Die Rekrutierung der Stichprobe weisen und negativen nicht das gleiche sprachliche Niveau erfolgte im Alter von 21 bis 24 Monaten Interaktionen wie die NLT. Über das Alter von drei in Zusammenarbeit mit niedergelasse- Jahren hinaus existieren jedoch bisher 7 Sitzungen à 2 Stunden im nen PädiaterInnen durch Einsatz des Abstand von 1 bis 3 Wochen, keine Befunde. Umfang „Elternfragebogens zur Früherkennung ein Nachschulungstermin nach von Risikokindern“ (ELFRA-2; Grimm einem halben Jahr Fragestellung und Hypothesen & Doil, 2000) im Rahmen der Vorsor- Gruppen von 5 bis 10 Aufgrund des Mangels an wissenschaft- geuntersuchung U7. Bei Kindern mit Teilnehmer Teilnehmern; Eltern oder lichen Daten zur langfristigen Wirkung einem produktiven Wortschatz von andere Bezugspersonen einer elternzentrierten Frühintervention weniger als 50 Wörtern im ELFRA-2 u. a. Präsentationen, Video auf die SE von LT widmet sich vorliegen- fanden eine ausführliche Entwick- illustrationen, Diskussionen, de Arbeit folgenden Fragen: lungs- und Sprachdiagnostik sowie gemeinsames Erarbeiten, Methoden Rollenspiele, Arbeit in Klein 1. Wie entwickeln sich die sprachlichen eine pädaudiologische Untersuchung gruppen, Hausaufgaben, Fähigkeiten von LT, deren Mütter an im Sozialpädiatrischen Zentrum des Videosupervision einer systematischen Schulung zur Zentrums für Kinder- und Jugendme- • Voraussetzungen für den alltagsintegrierten Sprachförderung dizin des Universitätsklinikums Hei- Spracherwerb und Ursachen (IG) teilgenommen haben, bis ins delberg statt. Ausschlusskriterien für der verzögerten Sprach Schulalter hinein? die Aufnahme in die Längsschnittstudie entwicklung waren ein mehrsprachiges Aufwachsen, • Grundprinzipien sprach 2. Wie schneiden diese Kinder in ver- förderlicher Kommunikation schiedenen sprachlichen Facetten im Mehrlings- oder Frühgeburten, prä-, • Optimierung der peri- oder postnatale Komplikationen, Vergleich zu LT ohne elternzentrierte Bilderbuch-Situation sensorische oder neurologische Beein- • Gemeinsamen Aufmerk Frühintervention (KG) und sprachlich trächtigungen, tiefgreifende Entwick- samkeitsfokus herstellen altersentsprechend entwickelten Kin- Inhalte • Einsatz von Sprachlehr lungsstörungen, genetische Syndrome dern (NLT) ab? strategien und unterdurchschnittliche nonverbale • Stellen gezielter Fragen Als Sprachmaße dienten der produktive kognitive Fähigkeiten. Die Stichprobe • Sprachförderung in all Wortschatz, grammatische Fähigkeiten bestand schließlich aus 67 Kindern mit täglichen Situationen und das Sprachverständnis. isoliert rezeptiv-expressiver bzw. isoliert • Sprachhemmende Ver Es wurde erwartet, dass die LT der IG zu expressiver Sprachentwicklungsverzö- haltensweisen allen Messzeitpunkten im Mittel bessere gerung (SEV). Zusätzlich wurde eine • Das gemeinsame Spiel Leistungen im produktiven Wortschatz, Stichprobe von Kindern mit alterstypi- • Sprachspiele in den grammatischen und rezeptiven scher SE, genannt „Nicht-Late Talkers“ • Umgang mit Medien Fähigkeiten zeigen als die LT der KG und (NLT n=36), rekrutiert. Für eine umfas- sie sich in ihrer sprachlichen Entwick- sende Beschreibung der Rekrutierung, Tabelle 1 Kurzbeschreibung „Heidelberger Elterntraining zur frühen Sprach lung an das Niveau der NLT annähern. Einschlusskriterien und Stichproben- förderung“ (HET Late Talkers) Zudem bestand die Annahme, dass die charakteristika sei auf Buschmann et LT der KG langfristig im Mittel zwar al. (2008) und Buschmann et al. (2009) über durchschnittliche sprachliche Fä- verwiesen. Logos Jg. 29 | Ausg. 1 | 2021 | 4 - 16 7
Nach der Eingangsdiagnostik (Prätest) durchgängig alle sechs Messzeitpunkte Kinder (IG n=22, KG n=22, NLT n=24), erfolgte eine randomisierte Zuweisung wahrgenommen haben. Dies traf auf davon 60,3% Jungen. Von den LT wiesen Originalia der LT zur Interventions- (IG) oder Kon- insgesamt 73 Kinder zu, was einer Quo- n=31 (70,5%) rein expressive und n=13 trollgruppe (KG). Die Mütter der IG nah- te von 71% entspricht. Zwischen die- (29,5%) rezeptiv-expressive Defizite auf. men am Heidelberger Elterntraining zur sen und denjenigen, die nicht an allen Die Kinder waren zu Beginn der Studie frühen Sprachförderung (Buschmann, Messzeitpunkten teilgenommen hatten, 2;0 Jahre alt (M=24,60 Monate, SD=0,83). 2017), welches sich über einen Zeitraum gibt es keine Unterschiede in Bezug Beim Posttest betrug das durchschnitt- von drei Monaten erstreckte, teil (eine auf soziodemografische und sprachliche liche Alter 2;6 Jahre (M=30,65 Mona- Beschreibung des HET LT ist Tab. 1 zu Variablen sowie auf die Gruppenzugehö- te, SD=0,77), beim ersten Follow-up entnehmen). Zwecks Vergleichbarkeit rigkeit. Um eine Stichprobe von Kindern 3;1 Jahre (M=37,41 Monate, SD=1,38), der Ergebnisse nahmen nur Mütter an beim zweiten 4;3 Jahre (M=51,68 Mo- zu erhalten, die in ihrer allgemeinen Ent- der Intervention teil, prinzipiell ist das nate, SD=0,87), beim dritten 5;10 Jahre wicklung miteinander vergleichbar sind, HET jedoch für alle Bezugspersonen (M=70,65 Monate, SD=1,02) und beim wurden mithilfe von Boxplots Ausreißer vierten Follow-up 8;4 Jahre (M=100,62 zugänglich. Ein halbes Jahr nach dem in der nonverbalen Intelligenz und im Monate, SD=4,27). Die Gruppen waren Prätest folgte ein Posttest. Vier weitere Alter zum jeweiligen Messzeitpunkt aus hinsichtlich des Geschlechts, der Ge- Nachuntersuchungen fanden im Alter den Analysen entfernt. Als Ausreißer gal- burtsreihe, des Alters der Mutter bei der von drei, vier und fünf Jahren sowie am ten Werte, die mehr als das 1,5-fache des Geburt und des Schulabschlusses der Ende der zweiten Klasse statt. Interquartilabstands unter dem ersten Mutter vergleichbar (Tab. 2). Die non- bzw. über dem dritten Quartil lagen. Die verbalen kognitiven Fähigkeiten, welche Stichprobe Ausreißer verteilten sich unsystematisch mit zwei Jahren mit den „Bayley Scales Die vorliegende Auswertung berück- auf alle drei Gruppen. of Infant Development-II“ (BSID-II-NL; sichtigt nur diejenigen LT und NLT, die Die finale Stichprobe umfasste somit 68 Van der Meulen et al., 2002) und mit vier Jahren mit dem „Snijders-Oomen Non-verbaler Intelligenztest“ (SON-R IG KG NLT Teststatistik* 2½-7; Tellegen et al., 2007) erfasst wur- (n=22) (n=22) (n=24) den, unterschieden sich ebenfalls nicht Geschlecht n zwischen den Gruppen. Unterschiede Jungen 13 15 13 χ²(2)=0,96, p=,618 zeigten sich allerdings in Bezug auf Mädchen 9 7 11 das Vorliegen familiärer Sprachschwä- chen. Im Vergleich zu den NLT gab es Geburtsreihe % bei den LT häufiger sprachliche Auf- erstgeboren 22,7 40,9 37,5 Fisher‘s exact, p=,766 fälligkeiten bei Eltern oder Geschwis- zweitgeboren 59,1 45,5 50,0 tern (F²(1)=13,46, p
en aufgrund von lückenhaften Angaben Wortschatz nicht sinnvoll ermittelt werden. Originalia Zeitpunkt Test Beschreibung Prätest ELFRA-2 Eltern kreuzen auf Wortliste an, welche Untersuchungsmethoden Wörter Kind spricht, Sprachverzögerung bei Die verwendeten Testverfahren zur < 50 Wörter Überprüfung des produktiven Wort- Posttest ELFRA-2 schatzes, der grammatischen Fähig- Follow-up 1 ELFRA-2 keiten und des Sprachverständnisses Follow-up 2 AWST-R Kinder benennen Bilder von Objekten und zu den jeweiligen Messzeitpunkten Handlungen sind in Tabelle 3 beschrieben. Follow-up 4 WISC-IV „Wortschatztest“ (WT) Begriffe erklären Grammatik Statistische Analysen Zeitpunkt Test Beschreibung Es wurden gemischte Varianzanalysen Prätest SETK-2 Untertest „Produktion von Bildkarten beschreiben Sätzen“ (P2) getrennt für Wortschatz, Sprachver- ständnis und Grammatik berechnet. Posttest SETK-2 (P2) Für die Messwiederholung wurden als Follow-up 1 SETK 3-5 Untertest „Morphologische Bilden von Pluralformen Regelbildung“ (MR) Innersubjektfaktor jeweils die Sprach- testwerte zu den sechs (bzw. fünf) Follow-up 2 SETK 3-5 Untertest „Satzgedächtnis“ Nachsprechen von Sätzen (SG) Messzeitpunkten eingesetzt. Als Zwi- Follow-up 3 HSET Untertests „Korrektur KS: Korrigieren von falschen Sätzen; schensubjektfaktor diente die Grup- semantisch inkonsistenter Sätze“ SB: aus Wörtern einen sinnvollen und penzugehörigkeit. Für das Sprachver- (KS) und „Satzbildung“ (SB) grammatikalisch korrekten Satz bilden ständnis wurden zum Prä- und Posttest Follow-up 4 HSET (SB) die Werte der Untertests V1 und V2 des Sprachverständnis SETK-2 gemittelt. Die grammatischen Zeitpunkt Test Beschreibung Fähigkeiten zum Follow-up 3 wurden Prätest SETK-2 Untertests „Verstehen von auf die Abbildung zeigen, die dem durch das Mittel aus den Untertests Wörtern“ (V1) und „Verstehen von vorgesprochenen Wort bzw. Satz entspricht KS und SB des HSET gebildet. Da die Sätzen“ (V2) verschiedenen Tests unterschiedliche Posttest SETK-2 (V1 und V2) Skalierungen aufweisen, wurden für Follow-up 1 SETK 3-5 Untertest „Verstehen von Bildauswahlaufgaben und die Messwiederholung die Rohwerte Sätzen“ (VS) Manipulationsaufgaben (Handlungen z-standardisiert, um die Ergebnisse mit Materialien aus dem Testkoffer durchführen) im Verlauf vergleichbar zu halten. Die Follow-up 2 SETK 3-5 (VS) Manipulationsaufgaben Gruppenvergleiche für die einzelnen Messzeitpunkte wurden mithilfe ein- Follow-up 3 TROG-D Bildauswahlaufgaben faktorieller Varianzanalysen berechnet, Follow-up 4 SET 5-10 Untertest Nachspielen von Handlungsanweisungen „Handlungssequenzen“ (HS) gefolgt von Bonferroni korrigierten paarweisen Vergleichen. Da hierfür Tabelle 3 Testverfahren ELFRA-2=„Elternfragebogen zur Früherkennung von Risikokindern“ (Grimm & Doil, 2000), jeweils nur ein Test separat betrach- AWST-R=„Aktiver Wortschatztest für drei- bis fünfjährige Kinder“ (Kiese-Himmel, 2005), WISC- tet wird, wurde zur besseren Inter- IV=„Wechsler Intelligence Scale for Children – Fourth Edition“ (Petermann & Petermann, 2011), pretierbarkeit der Unterschiede mit SETK-2=„Sprachentwicklungstest für zweijährige Kinder“ (Grimm, 2000), SETK 3-5=„Sprachent- T-Werten gerechnet (mit Ausnahme des wicklungstest für drei- bis fünfjährige Kinder“ (Grimm, 2001), HSET=„Heidelberger Sprachent- wicklungstest“ (Grimm & Schöler, 1991), TROG-D=„Test zur Überprüfung des Grammatikver- ELFRA-2, da hier nur Rohwerte vorlie- ständnisses“ (Fox, 2006), SET 5-10=„Sprachstandserhebungstest für Kinder im Alter zwischen gen). Das Alpha wurde auf 5% gesetzt. fünf und zehn Jahren“ (Petermann et al., 2010) Zusätzlich erfolgte für die Vergleiche zwischen IG und KG eine Berechnung der Effektstärke mit Cohen’s d (Cohen, fälligkeiten. Als AufholerIn galt ein Kind, ≤ 35 vor. Aufgrund der veralteten Nor- 1988). Die Interpretation erfolgt ana- wenn es zu einem Erhebungszeitpunkt men des HSET, welche seit 1976 nicht log zu Cohen (1988): kleiner Effekt in allen Sprachtests Werte im Normbe- erneuert wurden, blieb dieser Test hier ab d=0,20, mittlerer Effekt ab d=0,50, reich aufwies (T-Werte ≥ 40). Als sprach- unberücksichtigt. Da für das Follow-up 3 großer Effekt ab d=0,80. schwach wurden Kinder eingestuft, die folglich nur der TROG-D zur Verfügung Zu jeder Nacherhebung interessierte in mindestens einem der Untertests ei- stand, konnte für diesen Messzeitpunkt zudem die Rate der AufholerInnen und nen T-Wert von 36-39 erreichten. Eine eine Aufholrate nicht sinnvoll ermittelt der Kinder mit langfristigen Sprachauf- SES lag bei mindestens einem T-Wert werden. Logos Jg. 29 | Ausg. 1 | 2021 | 4 - 16 9
Unterschiede im Wortschatzumfang gab, näherte sich die IG rasch an das Niveau Originalia der NLT an. Ab dem Alter von drei Jah- ren gab es zwischen der IG und den NLT keine signifikanten Abweichungen mehr. Während sich die beiden LT-Gruppen zum Prä- und Posttest nicht in ihrem Wortschatz unterschieden, sprachen die Kinder der IG mit drei Jahren laut Eltern urteil signifikant mehr Wörter als die Kinder der KG. Ab dem Alter von vier Jahren – bei Durchführung standardi- sierter Wortschatztests – erreichten die Abbildung 1 Entwicklung des Wortschatzes im Gruppenvergleich IG=Interventionsgruppe, KG=Kontrollgruppe, NLT=Nicht-Late Talkers, ELFRA=Untertest „Pro- Unterschiede zwischen IG und KG keine duktiver Wortschatz“ des ELFRA-2, AWST-R=„Aktiver Wortschatztest für drei- bis fünfjährige statistische Signifikanz mehr, die Kinder Kinder“, WISC-IV (WT)=„Wortschatztest“ der „Wechsler Intelligence Scale for Children – Fourth der IG wiesen im Mittel jedoch einen Edition“ leicht höheren Wortschatzumfang auf als die Kinder der KG. Die Effektstärken zum Vergleich der IG und der KG sind Ergebnisse punkten sich die Gruppen unterscheiden, wurden einfaktorielle ANOVAs berech- beim Posttest klein, zu den späteren Wortschatz Messzeitpunkten jedoch hoch. net (Tab. 4). Die Gruppenunterschiede Die mixed ANOVA ergab einen sta- waren jederzeit signifikant. Post-hoc- tistisch signifikanten Haupteffekt der Fazit zur Entwicklung des produktiven Tests zeigten, dass die IG und die KG Gruppe, F(2,65)=46,12, p
Sie wiesen durchgehend einen größe- ren Wortschatz als die Kinder der KG Originalia auf. Statistische Signifikanz erzielte der Unterschied nur mit drei Jahren. Grammatik Für den Bereich der Grammatik konn- te ein signifikanter Gruppeneffekt, F(2, 61)=29,53, p
signifikante Interaktion zwischen Grup- pe und Zeit, F(10, 325)=3,35, p
Diskussion Originalia Ziel vorliegender Arbeit war es, den Verlauf der sprachlichen Entwicklung von Kindern, die mit 24 Monaten als LT diagnostiziert wurden, bis ins Schulalter zu erfassen. Des Weiteren sollte die lang- fristige Effektivität einer elternzentrier- ten Frühintervention, in der die Eltern zu einem bewusst sprachförderlichen Verhalten angeleitet wurden, geprüft werden. Hierfür erfolgte der Vergleich von drei Gruppen: 1. LT ohne Frühintervention (Kontroll- gruppe, KG), 2. LT, deren Mütter am Heidelberger El- terntraining zur frühen Sprachförde- rung (HET Late Talkers) teilnahmen Abbildung 4 Aufholraten in Prozent (Interventionsgruppe, IG), NLT=Nicht-Late Talkers, IG=Interventionsgruppe, KG=Kontrollgruppe 3. Kinder, die von Beginn an eine alters- typische Sprachentwicklung aufwie- sen (Nicht-Late Talkers, NLT). Sprachliche Entwicklung der kurz beleuchtet. Diese erzielten im Mittel Late Talkers mit Intervention (IG) erwartungsgemäß zu jedem Messzeit- punkt in allen erfassten Sprachberei- Sprachliche Entwicklung der LT, deren Mütter am Heidelberger El- chen altersentsprechende Ergebnisse. Late Talkers ohne Intervention terntraining teilgenommen hatten, ge- Bei Betrachtung der z-standardisierten (KG) lang es, im Vorschul- und Schulalter in Rohwerte fällt ein leichter Abfall dieser Die Ergebnisse zur sprachlichen Ent- Aufgaben zum produktiven Wortschatz vom Kleinkind- bis ins Schulalter auf. wicklung derjenigen LT, deren Mütter und zu grammatischen Fähigkeiten Er- Vermutlich ist dies darauf zurückzu- keine Anleitung zu einem sprachförder- gebnisse im Normbereich zu erzielen. führen, dass die NLT im Alter von zwei lichen Interaktionsverhalten erhielten Darüber hinaus schafften sie es, zu den und drei Jahren in ihrer Sprachent- (KG), decken sich mit Befunden aus frü- Leistungen der NLT aufzuschließen. wicklung weit voraus waren, denn ihre heren Längsschnittstudien (Grosshein- Denn es gab keine bedeutsamen Un- Ergebnisse lagen im Mittel im oberen rich et al., 2019; Kühn et al., 2016). Die terschiede mehr zwischen diesen bei- Normbereich. Im weiteren Verlauf fand Leistungen in Tests zum produktiven den Gruppen; im Wortschatz bereits jedoch eine Regression zur Mitte statt Wortschatz und zu grammatischen Fä- mit drei Jahren, in den grammatischen und die Ergebnisse pendelten sich im higkeiten bewegten sich im Vorschul- Fähigkeiten (Satzbildung, -gedächtnis, durchschnittlichen Bereich ein. Eine Er- und Schulalter im durchschnittlichen Korrektur semantisch inkonsistenter Sät- klärung für die sehr guten sprachlichen Bereich, blieben allerdings deutlich un- ze) mit vier Jahren. Dies stützt Befunde Fähigkeiten im Kleinkindalter könnte der ter dem Niveau von Kindern mit von Be- zur Wirksamkeit elternzentrierter Früh- hohe Anteil an Kindern von Eltern mit ginn an altersentsprechender SE (NLT). interventionsmaßnahmen: Durch eine hohem Bildungsabschluss liefern. Denn Die LT der KG wiesen bis zum Ende der intensive und systematische Anleitung diese bieten ihren Kindern in der Regel zweiten Klasse einen signifikant gerin- der Eltern kann die SE von LT positiv ein quantitativ und qualitativ reichhal- geren produktiven Wortschatz auf als die und nachhaltig beeinflusst werden, so- tigeres Sprachangebot als Eltern aus NLT. Anders als bei Kühn et al. (2016) dass sich diese im weiteren Verlauf nicht niedrigeren Bildungsschichten, was zu schafften sie es auch in der grammati- mehr von denjenigen mit von Beginn an besseren sprachlichen Fähigkeiten bei schen Entwicklung zu keinem Zeitpunkt, alterstypischer Entwicklung unterschei- den Kindern führt (Hart & Risley, 2003). auf das Niveau der NLT aufzuschließen. den (Roberts & Kaiser, 2012). Der elterliche Einfluss reduziert sich je- Im Verstehen von Wörtern und Sätzen doch im Entwicklungsverlauf und andere zeigten die Kinder der KG bereits mit Sprachliche Entwicklung der Faktoren wie die sprachliche Anregung zwei Jahren im Mittel altersentsprechen- Nicht-Late Talkers (NLT) in der Kindertagesstätte spielen eine de Werte. Wenngleich es nicht im Fokus dieser größere Rolle. Arbeit stand, wird auch die SE der NLT Logos Jg. 29 | Ausg. 1 | 2021 | 4 - 16 13
Vergleich der Late Talkers mit lediglich der Hälfte der KG gelungen. an AufholerInnen mit drei Jahren an- und ohne elternzentrierte Dies entspricht dem Befund von Busch- hand der expressiven Sprachleistungen Originalia Frühintervention mann et al. (2009). Auch zu den späteren je nach Test zwischen 58% und 79% Mit zwei Jahren zeigten die LT beider Messzeitpunkten gab es in der IG stets schwankte. Eine Klassifikation anhand mehr Kinder, die über altersentspre- der grammatischen Fähigkeiten resul- Gruppen vergleichbar niedrige Mittel- chende sprachliche Fähigkeiten verfüg- tierte dagegen in niedrigeren Aufhol- werte im produktiven Wortschatz und in ten, als in der KG. Besonders nach dem raten, schwankend zwischen 24% und den grammatischen Fähigkeiten, wäh- vierten Geburtstag und auch im Schul- 35%. Hinzu kommt, dass im Schulalter rend sie im Mittel über durchschnitt- alter entsprachen die prozentualen Häu- der Schwierigkeitsgrad des Untertests liche rezeptive Fähigkeiten verfügten. figkeiten von Kindern mit altersentspre- „Handlungssequenzen“ des SET 5-10 Bereits zum Posttest mit zweieinhalb chenden sprachlichen Fähigkeiten in der offenbar für alle Kinder der untersuchten Jahren sowie im weiteren Verlauf bis IG fast der NLT-Gruppe. In der KG gab Stichprobe zu hoch gewesen ist. Denn zum Schulalter erzielten die Kinder der es mit drei Jahren zudem mehr Kinder, viele Kinder erzielten ein Ergebnis im IG im Vergleich zur KG im Mittel hö- die die Kriterien einer SES erfüllten, als (weit) unterdurchschnittlichen Bereich, here Werte in allen sprachlichen Be- in der IG, sodass die Notwendigkeit zur auch in der NLT-Gruppe. Die Klassifi- reichen. Die Effektstärken, welche den Durchführung einer sprachtherapeu- kation zu diesem Messzeitpunkt sollte Grad der Wirksamkeit unabhängig von tischen Maßnahme in der KG deutlich deshalb mit Vorsicht interpretiert und der Stichprobengröße erfassen, liegen höher lag. Erstaunlicherweise war der eher als Schätzung angesehen werden. zumeist im mittleren bis hohen Bereich. Anteil an Kindern mit einer SES mit vier Generell wäre es sinnvoll, eine Klassifi- Dies spricht für die Wirksamkeit der Jahren und am Ende der zweiten Klasse kation vor allem für die Diagnose einer elternzentrierten Maßnahme. Zudem in allen Gruppen etwa gleich hoch. D. h. Sprachentwicklungsstörung anhand erzielten diese Unterschiede mit drei auch in der Gruppe der NLT erzielten im mehrerer valider Testwerte vorzuneh- Jahren im Wortschatz und mit vier Jah- Alter von vier Jahren, und besonders am men und durch ein klinisches Urteil zu ren in den grammatischen Fähigkeiten Ende der zweiten Klasse, einzelne Kinder ergänzen. im Untertest „Satzgedächtnis“ statis- weit unterdurchschnittliche Ergebnisse tische Signifikanz. Die höheren Werte in einigen sprachlichen Bereichen. Die der IG im Nachsprechen von Sätzen Limitationen Ursache hierfür ist nicht eindeutig zu repräsentieren eine bessere Fähigkeit, Stichprobe klären. Zum einen könnte dieses Resultat grammatisches Regelwissen zu nutzen, Aufgrund des hohen Anteils an Familien eine Bestätigung für Befunde liefern, die denn die nachzusprechenden Sätze sind aus der mittleren und hohen Bildungs- gezeigt haben, dass auch Spätmanifesta- zu lang und zu komplex, um sie ohne schicht ist die Generalisierbarkeit der tionen von SES möglich sind (Zambrana grammatische Kenntnisse rekonstru- Ergebnisse dieser Studie eingeschränkt. et al., 2014). Zum anderen muss an der ieren zu können (Grimm, 2001). Der Menschen mit höheren Bildungsab- Qualität der Aussagekraft der verwen- Befund, dass die LT der IG in diesem Test schlüssen sind in der Regel motivierter deten Testverfahren gezweifelt werden. besser abschneiden als die KG, deckt für eine (langfristige) Studienteilnahme. Denn im Schulalter gab es in allen Grup- sich mit der Vorgängerstudie von Busch- Ferner könnten die Eltern dieser Stich- pen mehr Kinder, die in mindestens ei- mann et al. (2015). Es ist zu vermuten, nem Sprachtest unterdurchschnittlich probe eher daran interessiert gewesen dass die grammatische Entwicklung der oder sogar weit unterdurchschnittlich sein, die sprachliche Entwicklung ih- Kinder aus der IG durch den im Laufe abschnitten. Zu beachten ist ferner, res Kindes zu fördern als Eltern mit des Elterntrainings erfolgten raschen dass die Klassifikation als „sprachnor- niedrigem Bildungshintergrund. Es ist Anstieg des rezeptiven und produkti- mal“, „-schwach“ oder „-gestört“ zum anzunehmen, dass sich die Eltern der ven Wortschatzes angekurbelt wurde letzten Messzeitpunkt nur anhand der KG, die nicht das Angebot zur Teilnahme (Szagun et al., 2006). Ein Grund dafür, zwei Subtests „Wortschatztest“ (WISC- am HET erhalten hatten, über Förder- dass die Unterschiede zwischen IG und IV) und „Handlungssequenzen“ (SET möglichkeiten ihres Kindes informierten. KG das Signifikanzniveau häufig ver- 5-10) erfolgen konnte. Denn der HSET, Des Weiteren ist die Stichprobenzusam- fehlten, könnte im Einschluss von Kin- mit dem die grammatischen Fähigkei- mensetzung die sprachlichen Defizite dern mit zusätzlichen Schwierigkeiten ten gemessen wurden, erhielt seit mehr der Kinder betreffend bei der Interpre- im Sprachverständnis liegen (s. Kap. als 40 Jahren keine Neunormierung, tation der Ergebnisse zu berücksichti- „Limitationen“). weshalb es als nicht sinnvoll erachtet gen. Der Anteil an Kindern mit rezeptiv- wurde, diesen miteinzubeziehen. Des expressiver SEV war deutlich geringer Sprachliche Diagnose im Verlauf Weiteren hängen solche Klassifikationen als der Anteil von Kindern mit lediglich Während mit drei Jahren etwa zwei Drit- stark davon ab, welche Testverfahren expressiven Defiziten. Da die Prognose tel der LT aus der IG den Sprachrück- herangezogen werden. So fanden Res- für LT mit zusätzlichen rezeptiven Defizi- stand bereits aufgeholt hatten, war dies corla et al. (1997) heraus, dass der Anteil ten besonders ungünstig ist (Lyytinen et 14 Logos Jg. 29 | Ausg. 1 | 2021 | 4 - 16
al., 2006), wäre es denkbar, dass sich bei tatsächlich zu Hause umsetzten. Dafür Literatur Buschmann, A. (2012). Frühe Sprachförderung rezeptiven LT geringere Effekte durch wären detaillierte Videoanalysen von Originalia bei Late Talkers. Effektivität des Heidelber- eine Anleitung der Eltern zu sprach- Interaktionen zwischen Mutter und Kind ger Elterntrainings bei rezeptiv-expressiver förderndem Verhalten einstellen als bei zu den verschiedenen Messzeitpunkten Sprachentwicklungsverzögerung. Pädiatrische Praxis, 78, 377–389. expressiven LT. Dies war bei Buschmann erforderlich gewesen. Aufgrund der Er- Buschmann, A. (2017). Heidelberger Elterntrai- (2012) der Fall gewesen. Auch eine kind- gebnisse auf Seiten des Kindes sowie des ning zur frühen Sprachförderung. Elsevier. Buschmann, A., Jooss, B., Rupp, A., Dockter, zentrierte Therapie scheint bei rezep- Resultats einer vergleichbaren Interven- S., Blaschtikowitz, H., Heggen, I., & Pietz, J. tiven Defiziten weniger erfolgreich zu tionsstudie von Simon und Sachse (2011) (2008). Children with developmental language delay at 24 months of age: Results of a diag- sein (Law et al., 2003). Aufschlussreich ist jedoch davon auszugehen, dass die nostic work-up. Developmental Medicine & Child wären Untersuchungen zur sprachlichen systematisch geschulten Mütter nach Neurology, 50(3), 223–229. Buschmann, A., Jooss, B., Rupp, A., Feldhusen, Entwicklung von rezeptiv-expressiven der Teilnahme am HET über ein respon- F., Pietz, J., & Philippi, H. (2009). Parent based LT mit und ohne elternzentrierte Inter- siveres Interaktions- und Sprachverhal- language intervention for 2-year-old children with specific expressive language delay: A vention. ten verfügten als die ungeschulten. Das randomised controlled trial. Archives of Disease Ausmaß ist jedoch nicht bekannt. in Childhood, 94(2), 110–116. Buschmann, A., Multhauf, B., Hasselhorn, M., & Messinstrumente und Erfassung Pietz, J. (2015). Long-term effects of a parent- anamnestischer Daten Fazit based language intervention on language out- comes and working memory for late-talking Eine Einschränkung dieser Längs- Die Ergebnisse dieser Studie stützen toddlers. Journal of Early Intervention, 37(3), schnittstudie besteht darin, dass, je nach frühere Befunde und implizieren, dass 175–189. Cohen, J. (1988). Statistical power analysis for Alter der Kinder, die sprachlichen Fähig- ein Abwarten nach der Feststellung einer the behavioral sciences (2nd ed). Erlbaum As- keiten mit verschiedenen Testverfahren SEV nicht anzuraten ist. Für LT besteht sociates. Dale, P. S., Price, T. S., Bishop, D. V. M., & Plo- beurteilt wurden. Dadurch ist es möglich, ein erhöhtes Risiko, langfristig deutlich min, R. (2003). Outcomes of early language dass zur Messung einer sprachlichen geringere sprachliche Kompetenzen bis delay: I. Predicting persistent and transient language difficulties at 3 and 4 years. Journal Dimension Verfahren zum Einsatz ka- hin zu klinisch bedeutsamen Sprach- of Speech, Language, and Hearing Research, men, die konzeptionell nicht vollständig defiziten aufzuweisen als Kinder mit 46(3), 544–560. miteinander vergleichbar sind oder in DeVeney, S. L., Hagaman, J. L., & Bjornsen, A. L. alterstypischem Sprachbeginn, trotz (2017). Parent-implemented versus clinician- der Verlaufsbetrachtung verschiedene durchschnittlicher nonverbal-kognitiver directed interventions for late-talking toddlers: Facetten einer Sprachkompetenz mitei- A systematic review of the literature. Commu- Fähigkeiten. Das HET – eine systema- nication Disorders Quarterly, 39(1), 293–302. nander vermischt wurden. tische Anleitung der Eltern zu einem Fox, A. V. (2006). Test zur Überprüfung des Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die Grammatikverständnisses (TROG-D). Schulz- sprachförderlichen Interaktionsverhal- Kirchner. Inanspruchnahme weiterer Therapie- ten – ist eine effektive und ökonomische Gibbard, D., Coglan, L., & MacDonald, J. (2004). maßnahmen wie Logopädie/Sprachthe- Cost-effectiveness analysis of current practice Maßnahme, die SE von LT langfristig and parent intervention for children under 3 rapie nicht kontrolliert wurde. In der zu verbessern, und kommt zudem dem years presenting with expressive language Vorgängerstudie von Buschmann et al. delay. International Journal of Language & Com- Wunsch vieler Eltern entgegen, ihrem munication Disorders, 39(2), 229–244. (2015) hatte sich gezeigt, dass ein Teil Kind selbst helfen zu wollen. Die Teil- Girolametto, L., Wiigs, M., Smyth, R., Weitzman, der LT nach dem ersten Follow-up mit E., & Pearce, P. S. (2001). Children with a his- nahme am Elterntraining kann sowohl tory of expressive vocabulary delay. American drei Jahren eine Behandlung begon- zum Wortschatzwachstum beitragen Journal of Speech-Language Pathology, 10(4), nen hatte. Obwohl der Anteil in der KG als auch die grammatische SE und das 358–369. Grimm, H. (2000). Sprachentwicklungstest für leicht höher als in der IG war, bei zudem Sprachverständnis von LT fördern. Der zweijährige Kinder, SETK-2. Hogrefe. erhöhter Therapiefrequenz, schnitten Vergleich mit von Beginn an sprachlich Grimm, H. (2001). Sprachentwicklungstest für drei- bis fünfjährige Kinder, SETK 3-5. Hogrefe. sie in den meisten Sprachtests mit vier alterstypisch entwickelten Kindern zeigt, Grimm, H., & Doil, H. (2000). Elternfragebogen Jahren dennoch schlechter als die IG ab. dass das Training die sprachliche Ent- zur Früherkennung von Risikokindern, ELFRA. Hogrefe. Eine Sprachtherapie zu Studienzwecken wicklung von LT in eine normale Bahn Grimm, H., & Schöler, H. (1991). Heidelberger vorzuenthalten, war aus ethischen Grün- lenken kann. Möglicherweise ergeben Sprachentwicklungstest. Westermann. Grossheinrich, N., Schulte-Körne, G., Marschik, den nicht vertretbar. Eine statistische sich durch die verbesserte Sprachkom- P. B., Kademann, S., von Suchodoletz, W., & Kontrolle dieser Variablen konnte auf- petenz auch bessere Perspektiven für Sachse, S. (2019). School-age outcomes of grund von lückenhaften Informationen late-talking toddlers: Long-term effects of an die gesamte Entwicklung. Dies gilt es in early lexical deficit. Developmental Science, nicht erfolgen. Aus ebendiesem Grund zukünftiger Forschung zu prüfen. 22(6), e12826. konnten auch mögliche pädagogische Hart, B., & Risley, T. R. (2003). The early ca- tastrophe: The 30 million word gap by age 3. Einflüsse, wie der Kindergartenbesuch, Interessenkonflikt American Educator, 27(1), 4–9. nicht mitberücksichtigt werden. Die Autorinnen geben an, dass kein Interes- Heidlage, J. K., Cunningham, J. E., Kaiser, A. senkonflikt besteht. P., Trivette, C. M., Barton, E. E., Frey, J. R., & Roberts, M. Y. (2020). The effects of parent- Änderung des mütterlichen Verhaltens implemented language interventions on child Drittmittelförderung linguistic outcomes: A meta-analysis. Early In dieser Arbeit wurde nicht erfasst, in- Dieses Projekt wurde von der Elke & Günter Childhood Research Quarterly, 50(1), 6–23. wieweit die Mütter die Inhalte des HET Reimann-Dubbers Stiftung gefördert. Horwitz, S. M., Irwin, J. R., Briggs-Gowan, M. Logos Jg. 29 | Ausg. 1 | 2021 | 4 - 16 15
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