St. Marien in Gera-Untermhaus - Marienkirche-Gera

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St. Marien in Gera-Untermhaus - Marienkirche-Gera
St. Marien
 in Gera-Untermhaus

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St. Marien in Gera-Untermhaus - Marienkirche-Gera
INHALT                                                  In Gera-Untermhaus, in pittoresker Lage
    5    Überblick über die Geschichte                    zwischen Weißer Elster und Schloss Osterstein
    19   Der Untermhäuser Marienaltar                         und in unmittelbarer Nachbarschaft
    27   Erläuterungen zu einzelnen Ausstattungsstücken      zum Geburtshaus von Otto Dix gelegen,
    39   Zeittafel                                            steht eine der schönsten und ältesten
    45   Das Kriegerdenkmal                                     Kirchen Geras – die Marienkirche.
    51   Ein Altar wird Musik

2                                                                                                         3
St. Marien in Gera-Untermhaus - Marienkirche-Gera
Die Kirche St. Marien in Gera-Untermhaus
                                                                              Überblick über die Geschichte der Kirche und Kirchgemeinde

                                                                              Eine der bekanntesten Stadtansichten von Gera zeigt die St. Ma-       Es sind leider keine Aufzeichnungen bekannt, die den Bau der
                                                                              rien-Kirche am Ufer der Weißen Elster gelegen, unmittelbar hin-       Kirche zeitlich genau festlegen, man kann aber davon ausgehen,
                                                                              ter der genieteten Stahlfachwerkbrücke von 1863. Über der Kirche,     dass sie in der Mitte des 15. Jahrhunderts entstand, was auch zum
                                                                              auf dem nahen Hainberg, thronte das leider im Krieg zerstörte,        spätgotischen Stil des Bauwerks passt. In vielen, meist älteren Be-
                                                                              ehemals mächtige Schloss Osterstein, zuletzt Herrschaftssitz der      schreibungen der Kirche2 wird ein romanischer Vorgängerbau
                                                                              jüngeren Linie des reußischen Fürstenhauses.                          vermutet. Gelegentlich soll sogar der gesamte Chorraum aus ro-
                                                                                                                                                    manischer Zeit stammen. Von Romanik sind jedoch keine sichtba-
                                                                              Mit diesem Schloss ist die Entstehung der Siedlung Untermhaus         ren Spuren vorhanden. Da auf dem nahen Schloss Osterstein eine
                                                                              („unter dem Haus“, gemeint ist das Schloss) und damit auch der        anscheinend romanische, also ältere Schlosskapelle vorhanden
                                                                              Bau der Kirche untrennbar verbunden. Am Ufer des Flusses, an          war 3, ist eine weitere so alte Kapelle in der damals noch kleinen
                                                                              einer Furt siedelten sich zunächst die für das Schloss benötigten     Ansiedlung eher unwahrscheinlich und derzeit weder aus Baube-
                                                                              Handwerker und Bediensteten an. Es entstand ein Vorwerk mit           funden noch aus alten Schriften nachweisbar.
                                                                              Wirtschaftsgebäuden ebenso wie Gebäude für die Verwaltung.
                                                                              Irgendwann wurde wohl den Bewohnern des kleinen Ortes der
                                                                              Weg in die Johanneskirche der benachbarten Stadt Gera zu weit,
                                                                              zumal im sächsischen Bruderkrieg 1450 Stadt und Kirche schwere
                                                                              Zerstörungen erlitten. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wohnten
                                                                              die Herren von Gera auf Schloss Osterstein und die Siedlung Un-       1 Sammlung Trinks
                                                                              termhaus erlebte einen Aufschwung. Die im Schloss vorhandene          2 Ferdinand Hahn, 1855, Geschichte von Gera und dessen nächster Umgebung, S. 193
                                                                              alte Kapelle war für so viele Menschen ohnehin zu klein. Eine eige-   3 Geraer Hefte, Heft 5, 2017, „Gera hus und stat“ – Wo stand die Burg der Vögte von Gera –

4   Lithografierte Ansichtskarte, gelaufene Postkarte, datiert 27.07.1902 1   ne Kirche für Untermhaus wurde notwendig.                             Christine Müller, S.65                                                                       5
St. Marien in Gera-Untermhaus - Marienkirche-Gera
Schon aus dieser Zeit stammt das wertvollste Kunstwerk unserer       Historische Ansicht von Untermhaus mit Schloss Osterstein, Marienkir-
    Kirche, der Marienaltar, der im Rahmen dieses Kirchenführers je-     che und Holzbrücke nach einem Holzschnitt aus dem Jahr 1670 4
    doch nur in einer Übersicht Erwähnung findet. Auf den Altar wird
    in einem zweiten Band ausführlich eingegangen.

    Hier ein alter Holzstich mit darauf abgebildeter Marienkirche. Die
    typischen Formen von Turm, Chor und Langhaus sind deutlich zu
    erkennen:

    Untermhaus und die unmittelbar benachbarten Siedlungen Gries
    und Cuba, heute insgesamt als Untermhaus bezeichnet, bildeten
    lange Zeit keine eigene Kirchgemeinde und hatten keinen eigenen
    Pfarrer. Die Bewohner gehörten zur Stadtgemeinde mit der Pfarr-
    kirche St. Johannes. Gottesdienste wurden nur gelegentlich in der
    St. Marienkirche gehalten, Taufen, Trauungen und Beerdigungen
    mussten normalerweise in der Stadt Gera stattfinden, Ausnah-
    men waren jedoch möglich 5.

                                                                         4 Stadtarchiv Gera, Bildsammlung A-1943

6                                                                        5 Denkschrift zur Erinnerung an die 200-Jahrfeier der Kirchgemeinde Gera-Untermhaus, 1936, S.4   7
St. Marien in Gera-Untermhaus - Marienkirche-Gera
Das änderte sich im Jahr 1736. Untermhaus wurde selbständige           des Geheimen Regierungs- und Baurates K. W. Hase aus Hannover
    Pfarrgemeinde. Erster Pfarrer war der Hofprediger Mag. theol.          erfolgte eine Umgestaltung und Erweiterung unter Hinzufügung
    Gottlob Friedrich Gschwend. Er ließ die Kirche im Stile des Barock     von neogotischen Elementen.
    umgestalten. Eine neue Kanzel über dem Altartisch ersetzte die
    alte Kanzel an der Basis des Triumphbogens zwischen Chorraum
    und Langhaus, der Altarschrein wechselte an einen nicht be-
    nannten Ort, wahrscheinlich aber an die Nordwand des Chores.
    Die ganze Kirche wurde weiß ausgemalt und durch lichte Fenster
    erhellt 6. Aus dieser Zeit ist uns leider keine Darstellung des Kir-
    cheninneren erhalten, dafür aber einige Abbildungen der Kirche
    von außen, z. B dieses Foto. Man erkennt sehr schön die äußere
    Form der Kirche. Die Westfassade war im Giebelbereich eine Fach-
    werkkonstruktion. Auf der östlichen Elsterseite gab es erst wenige
    Gebäude; zu sehen sind u.a. Häuser der jetzigen Gutenbergstraße
    und die alte Cubamühle. Um die Kirche herum sind (im Uhrzei-
    gersinn rechts der Kirche beginnend) das Lummersche Backhaus,
    das Justizamt, jetzt Mohrenplatz 1 als Teil des Kammergutes, das
    spätere Geburtshaus von Otto Dix (Mohrenplatz 4) und die alte
    Porzellanmanufaktur am Gries zu erkennen.

    Wie unter anderem an der neuen stählernen Brücke ersichtlich,
    sie wurde durch die Geraer Fabrik Moritz Jahr anno 1863 errichtet,     Foto vom Bergfried des Schlosses Osterstein auf jetzigen Mohrenplatz
    war die Industrialisierung des Landes mittlerweile weit fortge-        mit Marienkirche und genieteter Stahlfachwerkbrücke, Aufnahmezeit-
    schritten. Es gab in Gera und selbst in Untermhaus immer mehr          raum zwischen 1863 und 1882, wahrscheinlich um 1880 7
    und größere Fabriken, die Zahl der Einwohner stieg kontinuier-
    lich an. Ende der 1870-er Jahre zeigte es sich, dass die Kirche die
    Gemeindeglieder nicht mehr fassen konnte. Zuerst plante man
    einen Abriss mit anschließendem Neubau, vielleicht im neogoti-         6 Denkschrift zur Erinnerung an die 200-Jahrfeier der Kirchgemeinde Gera-Untermhaus, 1936, S.17

8   schen Stil, besann sich dann jedoch eines Besseren: Unter Leitung      7 Stadtmuseum Gera                                                                                9
St. Marien in Gera-Untermhaus - Marienkirche-Gera
Die Kirche erhielt eine Verlängerung in westlicher Richtung um
                                                                            ca. 2 m, die bisherige, wahrscheinlich im Stile der regionstypi-
                                                                            schen Dorfkirchen, flache Balkendecke ersetzte ein hölzernes
                                                                            Tonnengewölbe unter optimaler Ausnutzung des überdachten
                                                                            Raumes. Es wird getragen durch geschnitzte spitzbogige hölzer-
                                                                            ne Arkaden, die den Einbau einer umlaufenden Empore und zu-
                                                                            sätzlich eine zweite Orgelempore ermöglichen. Die Bestuhlung
                                                                            des Kirchenschiffes wird bis in den bisherigen Chorraum vorge-
                                                                            zogen, ein Fürstenstand eingebaut, die bisherige Sakristei unten
                                                                            im Turm ebenfalls durch Einbau von Sitzbänken für die Gemein-
                                                                            de erschlossen. Die Anzahl der Plätze erhöht sich dadurch auf bis
                                                                            zu 300. Zur Erschließung der neuen Emporen erfolgt der Anbau
                                                                            zweier Treppentürme an den Ecken der Westfassade, der Fürsten-
                                                                            stand erhält einen neuen Zugang durch einen an der Nordseite
                                                                            angebauten Turm. An der Südseite wird eine neue kleine Sakristei
                                                                            zwischen zwei Strebepfeilern angebaut. Der barocke Kanzelaltar
                                                                            aus dem 18. Jahrhundert bekommt einen zeittypischen Ersatz
                                                                            und der Chorraum erhält neue farbige Glasfenster als Blickfang.
                                                                            Die ganze Kirche wird in vermeintlich gotischer Farbigkeit ausge-
                                                                            malt, alles Holzwerk ist in einem warmen Braunton gehalten. Der
                                                                            alte Marienaltar ist jetzt nachweislich in ziemlicher Höhe an der
                                                                            Nordwand des Chores befestigt. Aus dieser Zeit ist uns dieses nicht
                                                                            datierte Bild eines unbekannten Malers überliefert.

     Kircheninneres nach 1883 und vor 1936, an der Nordwand ist neben dem
     Fürstenstand der Altaraufsatz zu sehen
10                                                                                                                                                11
St. Marien in Gera-Untermhaus - Marienkirche-Gera
Zu Beginn des Jahres 1919 kam es zur Zwangseingemeindung des          zusammen mit den wichtigsten Kunstschätzen des Schlosses. Als
     Ortes Untermhaus in die Stadt Gera, was für Kirche und Kirchge-       beim größten Luftangriff auf die Stadt am 06.04.1945 das Schloss
     meinde jedoch keine wesentlichen Veränderungen brachte.               fast völlig ausbrannte, nahm man schon an, dass die dort gela-
                                                                           gerten Kunstschätze unwiederbringlich verloren wären. Wunder-
     In den Jahren nach dem 1. Weltkrieg erhielt die Kirche zur Erin-      barer Weise hatte das Gewölbe der Hitze des Brandes und dem
     nerung an die gefallenen Soldaten ein Kriegerdenkmal von Prof.        Druck des Schuttes jedoch standgehalten und der Altar konnte
     Fritz Behn aus München, gestiftet von Kommerzienrat Dr. h.c. Ge-      bald wieder an seinen gewohnten Platz zurückkehren.11
     org Hirsch. Dazu mehr in einem gesonderten Abschnitt.
                                                                           Man erkennt hier deutlich das Kriegerdenkmal im Chorraum und
     Anlässlich des 200-jährigen Bestehens der Kirchgemeinde im Jah-       die freigelegten Sandsteinumrahmungen der Chorfenster.
     re 1936 gestaltete man das Kircheninnere erneut um. Die Farbig-
     keit des Innenraumes wurde unter Betonung der vorhandenen
     Sandsteinbauteile durch Weiß ersetzt, was nach damaligen Er-
     kenntnissen dem ursprünglichen Charakter der Kirche entsprach.
     Wichtigste Maßnahme bei dieser Umgestaltung war jedoch die
     umfassende Restaurierung des alten gotischen Altarretabels8 im
     Landesmuseum Eisenach und seine Wiederanordnung auf dem
     ursprünglichen Altartisch, getragen von einer neu angefertigten
     Predella9 und gekrönt vom alten Kruzifixus von ca. 1500. Dabei
     stellte man fest, dass das zentrale Chorscheitelfenster von 1883 in
     seiner Farbigkeit und Leuchtkraft den gotischen Altar „überbrüll-
     te“ und dämpfte deshalb diese Leuchtkraft durch eine Überma-          Foto der weihnachtlich geschmückten Kirche vor 1957 12
     lung mit Kaltfarben10. Die Kirche erhielt eine neue Kanzel, da die
     bisherige von 1882/83 nicht mehr verwendbar war.                      8 Altaraufsatz

                                                                           9 Altarsockel, der auf dem Altartisch steht und das Retabel trägt

     Es kamen die Jahre des 2. Weltkrieges. Die zunehmende Häufig-         10 Gemeindearchiv A I 100/1, Bericht über die Kirchgemeinde Untermhaus vom 21.01.1947,
     keit der Luftangriffe weckte die Angst vor der Zerstörung wertvol-    Pfr. Dr. jur. Deter
     ler Kulturgüter wie des gotischen Altars. Im Sommer 1942 lagerte      11 Ebenda

12   man das Altarretabel in einem Gewölbe auf Schloss Osterstein          12 Autor unbekannt, das Diapositiv wurde in sehr schlechtem Zustand überliefert          13
St. Marien in Gera-Untermhaus - Marienkirche-Gera
Im Sommer 1954 drohte neues Unheil. Es kam nach mehrtägigen         Turmknopf und Wetterfahne mit den beteiligten Handwerkern
     Regenfällen zu einem Hochwasser der Weißen Elster, die über bei-    vor Montage auf der Turmspitze 1959 13
     de Ufer trat und das Stadtgebiet großflächig überschwemmte. Das
     Wasser drang auch in unsere Kirche ein und stand bis zur Höhe
     der Altarstufen, was zu umfangreichen Feuchteschäden führte.

     Daraus resultierte eine Innenerneuerung der Kirche im Jahre
     1957. Die alte Sakristei unten im Kirchturm, 1882 mit Bänken für
     die Gemeinde versehen, wurde wieder durch eine massive Mau-
     er vom Kirchenschiff abgetrennt und damit ihrer ursprünglichen
     Bestimmung zugeführt. Die Treppen zu den Emporen erhielten
     wegen störender Zugluft hölzerne Abtrennungen mit Türen und
     teilweisen Verglasungen. Auf Anraten des Denkmalschutzes ver-
     putzte man den erst 1936 freigelegten Sandstein der Fensterum-
     randungen und des Triumphbogens ebenso wie den gesamten
     Innenraum neu und versah ihn mit einem weißen Anstrich. Der
     „Betende Krieger“ von Fritz Behn wird an seinen jetzigen Standort
     unter der Südempore umgesetzt, da er bis dahin den gesamten
     Chorraum dominierte.

     In den Folgejahren war dann der Kirchturm an der Reihe. Nach
     teilweiser Erneuerung der Holzkonstruktion erhielt er eine neue
     Schieferdeckung. Der bisher außen am Turm hochgeführte und
     einsturzgefährdete Schornstein der Heizungsanlage bekam sei-
     nen neuen Platz im Turm, von außen nicht sichtbar. Die Turmuhr
     erhielt neue Zifferblätter und die Turmspitze eine neue Wetter-
     fahne in Gestalt eines Schiffes. Bei der Gelegenheit konnte auch
     der Turmknopf geöffnet, die darin enthaltenen Urkunden einge-
14   sehen und der Inhalt fortgeschrieben und ergänzt werden.            13 Dia aufgenommen von Heinrich Trinks, Sammlung Trinks     15
St. Marien in Gera-Untermhaus - Marienkirche-Gera
Bis zur Wende 1989 versuchte die Gemeinde kontinuierlich, ihre
     Kirche instand zu setzen bzw. instand zu halten. So gab es über
     viele Jahre Erneuerungsarbeiten an der Sandsteinfassade, die aus
     Material- und Arbeitskräftemangel aber nur sehr langsam voran-
     kamen.
     Ab den 1990-er Jahren konnten neue Möglichkeiten und Materia-
     lien genutzt werden, so dass in den Folgejahren auch mit Förder-
     mitteln aus verschiedensten Quellen wieder eine Innenerneue-
     rung der Kirche sowie vielseitige Arbeiten am Kirchenäußeren
     erfolgten. Näheres dazu kann man in der Zeittafel nachlesen. An
     so einem alten Bauwerk hört die Arbeit niemals auf; derzeit ist
     die Restaurierung der Chorfenster in Arbeit und für die nächsten
     Jahre eine umfassende Sanierung der äußeren Fassade geplant
     und aktuell in Vorbereitung.

                                                                        Aktuelles Foto unserer weihnachtlich geschmückten Kirche als Blick durch
16                                                                      die einen natürlichen Rahmen bildenden Arkadenbögen der Empore             17
St. Marien in Gera-Untermhaus - Marienkirche-Gera
Der Altar

18               19
Der Untermhäuser Marienaltar

     Der kostbarste Schmuck der Marienkirche ist der von den Kauf-
     mannsfamilien Kudorff und Waltheym gestiftete spätgotische Al-
     tarschrein. Wahrscheinlich wurde er durch den Naumburger Bischof
     Peter von Schleinitz kurz nach 1443 geweiht 14 und war vermutlich für
     die Hospitalkapelle Beatae Mariae Virginis gedacht, die an der Stelle
     des heutigen Stadtmuseums stand. Es ist derzeit nicht geklärt, wann
     und warum der Altar in die Marienkirche nach Untermhaus kam. Wir
     können nur dankbar sein, dass dieser Schatz in unserer Kirche durch
     alle Wirren der Zeiten erhalten blieb.

     Auf den folgenden Seiten sind lediglich die Gesamtansichten beider
     Altarseiten mit einer kurzen Erläuterung der dargestellten Szenen zu
     finden, eine ausführliche Betrachtung dazu erscheint in einem ge-
     sonderten Heft.

20   14 Ernst Kretschmer „Die Kirchen der Stadt Gera“, 1943                  21
Übersicht über die Szenen des Marienaltars

     Mittelschrein:

     Zentrum:       Gekrönte Maria mit dem Christuskind – Offenbarung 12, 1 und Legende („Die Himmelskönigin“)

     Links oben:    Ankündigung der Geburt durch den Engel Gabriel an Maria – Lukas 1, 26-38 („Die Verkündigung“)

     Rechts oben: Maria besucht Elisabeth, die zukünftige Mutter Johannes des Täufers - Lukas 1, 36-56 („Die Heimsuchung“)

     Links unten:   Christi Geburt – Lukas 2, 1-20

     Rechts unten: Anbetung der drei Weisen – Matthäus 2, 1-12

     Außenflügel:

     Links oben:    Jesus wird von Simeon als „Licht der Völker“ erkannt und im Tempel durch ein Opfer ausgelöst („Lichtmess“)
                    – Lukas 2, 21-40 („Die Darstellung“)

     Rechts oben: Flucht nach Ägypten – Matthäus 2, 13-23

     Links unten:   Kindermord zu Bethlehem – Matthäus 2, 16-18

22   Rechts unten: Tod Mariens im Kreise der Jünger – Legende („Der Marientod“)                                                  23
Rückseite:

     Links oben:    Maria Magdalena trifft den Auferstandenen, den sie für den Gärtner hält - Johannes 20, 11-18

     Rechts oben: Der Auferstandene und der ungläubige Thomas – Johannes 20, 24-31

     Links unten:   Die Heilige Margarete von Antiochien / Wappen der Stifterfamilie Kudorff

24   Rechts unten: Die Heilige Elisabeth speist einen Bedürftigen / Wappen der Stifterfamilie Waltheym             25
Erläuterungen
         zu einzelnen
     Ausstattungsstücken

26                         27
Die Orgel stammt von der Firma Ernst Poppe & Sohn in Roda (heu-       Das Chorscheitelfenster stammt aus dem Jahr 1882. Es zeigt Christus
                                                                              te Stadtroda) und wurde 1894 eingebaut. 1908 und mehrfach in der      als Weltenherrscher umgeben von den vier Evangelisten Matthäus,
                                                                              Folgezeit bis zum Beginn der 1940-er Jahre erfolgte eine Erneuerung   Markus, Lukas und Johannes.
                                                                              bzw. ein Umbau durch die Firma Jehmlich in Dresden. Die Orgel hat
                                                                              auf zwei Manualen und Pedal 26 klingende Stimmen, 1274 Pfeifen        Unten sind das reußische und das württembergische Wappen mit
                                                                              und eine Transmission, Kegelladen und pneumatische Ton- und Re-       der Jahreszahl MDCCCLXXXII zu sehen. Der Stifter Heinrich XIV. war
                                                                              gistertraktur.15 Im Jahr 2000 wurde sie durch die Firma Bochmann      in erster Ehe mit Agnes, einer württembergischen Prinzessin verhei-
                                                                              aus Kohren-Sahlis restauriert und der Prospekt mit einem neuen        ratet.
                                                                              Farbanstrich versehen.

                                                                              15 Dr. Hartmut Haupt „Orgeln im Bezirk Gera“ 198

     Chorraum der Kirche mit dem Fürstenstand von 1882 und der Kanzel
     von 1936. Gut zu sehen ist hier das gotische Gewölbe aus dem 15. Jahr-
28   hundert.                                                                                                                                                                                                             29
Bei der Umgestaltung der Kirche 1882/83 wurde die ursprünglich ein-   An der Brüstung des ehemaligen Fürstenstandes ist zwischen ge-
     fache Mittelempore für die Orgel durch eine dreiseitig umlaufende     schnitzten Verzierungen das reußische Wappen abgebildet. Es wurde
     Empore mit Arkaden bildendem, spitzbogigen und geschnitzten Bal-      den Reußen am 06.12.1561 in einer kaiserlichen Urkunde verliehen 16.
     kenwerk ersetzt, welches das neu eingebaute Holzgewölbe und die
     obere Empore mit der Orgel trägt. Besonders bemerkenswert sind die    16 Sven Michael Klein, „Zum Reußischen Wappen“

     Durchblicke durch diese Arkaden, die sich von der Mittelempore er-
     geben und den Blick auf den Chorraum regelrecht einrahmen.

     Das Langhaus wirkt für seine geringe Größe sehr hoch und erhält
     durch das dunkle Holz eine warme Atmosphäre. Die für unsere Regi-
     on ungewöhnliche Holztonne als oberer Abschluss des Innenraumes
     nutzt den Platz unter dem Satteldach optimal aus.
                                                                           Das hier abgebildete Chorraumgestühl wurde 1882/83 aus den ver-
                                                                           wendbaren Teilen eines Vorgängergestühls geschaffen. Die Sitzflä-
                                                                           chen lassen sich hochklappen, so dass ein Abstützen auch im Stehen
                                                                           möglich ist.

30                                                                                                                                                31
In der Nordwand der Sakristei ist eine alte gotisch verzierte Säule                                                                             Die nur in der Weihnachtszeit aufgestellte geschnitzte Krippe wurde    Den Chorraum schließt ein gotisches Gewölbe mit sechskappigem
     verbaut, die vor 1882 als Untersatz für die Treppe zum alten Fürsten-                                                                           von Prof. Hermann Blechschmidt vor 1934 gestaltet. Er war der Leiter   Schlussjoch und vierkappigem Westjoch nach oben ab, hier ist auch
     stand diente; ihr ursprünglicher Zweck ist unbekannt, denkbar wäre                                                                              der noch heute existierenden Schnitzschule Empfertshausen in der       die in den 1990-er Jahren in einem kleinen Bereich freigelegte florale
     eine Nutzung als Fuß der ursprünglichen Kanzel vor der barocken                                                                                 Rhön.                                                                  Ausmalung der Decke aus der Entstehungszeit des Gotteshauses zu
     Umgestaltung in der Mitte des 18. Jahrhunderts.                                                                                                                                                                        sehen.

                                                                             Die Kanzel ist eine Stiftung des Fabrikanten Alfred Dix von 1936. Die
                                                                             Vorgängerkanzel aus dem Jahr 1882 war nach der Umgestaltung
                                                                             1936 anlässlich des 200-jährigen Jubiläums der Kirchgemeinde nicht
32                                                                           mehr zu verwenden.                                                                                                                                                                                                      33
Bei der Umgestaltung der Kirche im Jahr 1936 hängte man diese
                                                                            „Zeppelin“-Leuchten auf. Der Entwurf stammt von Prof. Emil Högg
                                                                            und wurde durch die Kunstglaserei Kraus in Weimar realisiert.

     Über der Tür zur Sakristei von 1882/83, heute Nebenraum und Zu-
     gang zur Kirche, finden wir ein Fenster mit der sogenannten Luther-
     rose, dem Wappen Martin Luthers.

                                                                                                                                              Hinter dem Altar finden wir in der Ostwand (bis 1882 in NO-Wand)
                                                                                                                                              die sogenannte „Blende“, ursprünglich wohl Sakramentsschrein,
                                                                                                                                              später Aufbewahrungsort des Bornkindl, der „Puppe“, eines angeb-
                                                                                                                                              lich wundertätigen Marienbildes, das erst 1882, weil völlig verfallen,
     Kruzifixus von ca. 1500, der ursprüngliche Aufstellungsort ist unbe-                                                                     beseitigt wurde; unter der Blende ein ausgehöhlter Stein, der wohl
     kannt, von 1936 bis zum Anfang der 1990-er Jahre war er über dem                                                                         einen Opferstock aufnahm. Das geschmiedete Gitter stammt wahr-
34   Marienaltar angeordnet.                                                                                                                  scheinlich aus der Entstehungszeit der Kirche.                           35
Der heutige Taufstein wurde im Jahre 1975 angeschafft. Auf dem Foto   Der Turm aus der Entstehungszeit der Kirche hat Rechteckfenster und
     ist er für den Erntedankgottesdienst geschmückt.                      zwei sich kreuzende Satteldächer, die an den vier charakteristischen
                                                                           Giebeln gotisches Blendmaßwerk mit sich schneidenden Schweifbo-
                                                                           gen und kleeblattbogigen Füllungen tragen und durch einen schlan-
                                                                           ken, beschieferten Dachreiter gekrönt sind. 17
                                                                           Unten im Foto ist das spitzkeglige Dach des Treppenturmes zum
                                                                           Fürstenstand aus dem Jahr 1882 zu sehen.

                                                                           17 Ernst Kretschmer „Die Kirchen der Stadt Gera“, 1943

                                                                           Wie fast alle Glocken in Deutschland schmolz man auch die Bron-
                                                                           zeglocken unserer Kirche während des 1. Weltkrieges (1917) für Rüs-
                                                                           tungszwecke ein. Am 31.01.1923 lieferte die Firma Schilling/Apolda
                                                                           die in Lauchhammer gegossenen neuen Stahlglocken. Am 18.02.1923
                                                                           fand die Glockenweihe statt. Die Glocken wiegen 890, 530 und 320 kg
                                                                           und haben die Töne g1, b1 und c2.

                                                                                                                                                  Im Jahr 2007 fand in Gera und Ronneburg die Bundesgartenschau
                                                                                                                                                  statt. Die Kirche lag unmittelbar am Rande des Geraer Ausstellungs-
                                                                                                                                                  geländes. Viele BUGA-Gäste besuchten sie während der täglichen
36                                                                                                                                                Öffnungszeiten.                                                       37
Zeittafel

38               39
15. Jahrhundert                                                          bogigem und passförmigen Füllungen tragen und durch einen
     Turm, Altarraum und ältester Teil des jetzigen Langhauses im             schlanken, beschieferten Dachreiter gekrönt sind.
     spätgotischen Stil errichtet aus Falkaer Sandstein (wie Schloss
     Tinz und Rathaus Gera).                                                  1736
                                                                              Untermhaus mit Cuba und Gries, vorher zur Parochie Gera gehö-
     Gotische Merkmale                                                        rig, wird eigene Pfarrgemeinde. Der 1. Seelsorger, zugleich Hofpre-
     Gewölbe im Chorraum mit sechskappigem Schlussjoch und vier-              diger auf Schloss Osterstein, gestaltet das Kircheninnere im Stile
     kappigem Westjoch, hier ist auch die in einem kleinen Bereich            des Barock um; Verlegung des alten Altarschreines vermutlich an
     freigelegte florale Ausmalung der Chorraumdecke aus der Ent-             nördliche Seitenwand: Errichtung der Kanzel über dem Altar, zwi-
     stehungszeit zu sehen.                                                   schen Holzsäulen angeordnet; alles Holzwerk Weiß und Gold ge-
                                                                              strichen; Fenster gelichtet
     charakteristischer Triumphbogen; in der Ostwand hinter dem
     Altar (bis 1882 in NO-Wand) die sogenannte „Blende“, ursprüng-           1882/83
     lich wohl Sakramentsschrein, später Aufbewahrungsort des Born-           Statt eines schon fest geplanten Kirchenneubaus gründliche Er-
     kindl, der „Puppe“, eines angeblich wundertätigen Marienbildes,          neuerung der Kirche, um für schnell wachsende Gemeinde Raum
     das erst 1882, weil völlig verfallen, beseitigt wurde; unter der Blen-   zu schaffen (Leitung Geheimer Regierungs- und Baurat Haase /
     de ein ausgehöhlter Stein, der wahrscheinlich einen Opferstock           Hannover):
     aufnahm.                                                                 Schiff bis in Chorraum verlängert und um 2 m nach Westen er-
                                                                              weitert. Neue Westfassade mit zwei runden Türmchen als Trep-
     Die Längsachse zwischen Chorraum und Schiff ist, wie in vielen           penaufgänge. Unter den hoch angelegten Fenstern des Langhau-
     alten Kirchen, gebrochen. Über die Gründe hierfür besteht keine          ses vier neue rechteckige Fenster und Südeingang zu Kirchenschiff
     volle Klarheit.                                                          geschaffen. Neue Verglasung der Chorraumfenster.
     In Sakristei Spitzbogentür mit sich kreuzendem Stabwerk und alte         Alte Sakristei geöffnet und als Seitenschiff benutzt. Über dersel-
     gotisch verzierte Säule, die vor 1882 als Treppenuntersatz diente;       ben Einbau des Fürstenstandes mit Emporenbrüstung und dar-
     der ursprüngliche Zweck ist unbekannt.                                   auf abgebildetem reussischem Wappen. Kanzel wieder an Seite
                                                                              verlegt. Vorbau errichtet an Westseite des Turmes als Zugang zu
     Turm mit Rechteckfenstern und zwei sich kreuzenden Satteldä-             Fürstenloge und neuem Seitenschiff; darüber eigenartiges Rund-
     chern, die an den vier charakteristischen Giebeln gotisches Blend-       türmchen, kleine neue Sakristei an Südseite angebaut. Erhöhung
40   maßwerk von sich schneidenden Schweifbogen und kleeblatt-                des Langhauses durch Einbau eines hölzernen Tonnengewölbes.           41
Verlegung der Orgel auf neu gewonnene obere Empore. Erweite-      hängende, von ca. 1500 stammende Kruzifixus einen würdigen           die alte Sakristei vom Kircheninneren trennte, wird aus gleichem    terläden als Schutz vor Vandalismus, nachdem es zu einer schwe-
     rung der unteren Emporen. In Spitzbogen endendes, nach 3 Seiten   Platz. Freilegung des Sandsteines an Gewölberippen, Triumphbo-       Grund durch massives Mauerwerk ersetzt, der Altarraum mit           ren Beschädigung des Altares infolge eines Einbruches gekom-
     Arkaden bildendes Balkenwerk mit schönem Durchblick.              gen und Fensterwölbungen. Neue Kanzel als Stiftung des Fabri-        neuen Beleuchtungskörpern versehen.                                 men war. Äußere Sanierung von Turm und Dächern, Öffnung des
                                                                       kanten Alfred Dix auf Südseite. Nach 1. Weltkrieg durch Familie      Wegen störender Zugluft wird die Westseite des Schiffes durch       Turmknopfes,
     1908                                                              Hirsch gestifteter betender Krieger von Prof. Behn / München jetzt   Holzverschläge gegen das Treppenhaus abgeschlossen; an den          Kruzifixus wird an Chorraumnordwand umgesetzt.
     Einbau einer neuen Orgel der Fa. Jehmlich aus Dresden als Stif-   der Kanzel gegenüber aufgestellt. (1957 umgesetzt an Südostecke      Emporen werden Türen angebracht.
     tung des Fabrikanten Dix                                          des Kirchenschiffes). Einbau einer Heißluftheizung anstelle einer                                                                        1999/2000
                                                                       früheren Dampfheizung. Installation der „Zeppelin“-Leuchten          1959–60                                                             Einbau einer Toilette über dem nicht mehr benötigten Heizungs-
     1916                                                              von Prof. Emil Högg über den Seitenemporen                           Neueindeckung des Turmes mit Schiefer, teilweise Erneuerung         keller
     neue Turmuhr (Stiftung Walter Dix)                                                                                                     Balkenwerk, neue Wetterfahne (Schiff), neue Zifferblätter und
                                                                       1942–1945                                                            Zeiger der Uhr in der jetzigen Form                                 2003/04
     1917                                                              Auslagerung des gotischen Altarretabels in ein Gewölbe auf                                                                               Sanierung von Gewölbe und Treppe im Nordtürmchen von 1882
     Einschmelzung der Bronzeglocken für Rüstungszwecke                Schloss Osterstein, wo er den Bombenangriff auf das Schloss am       1968
                                                                       06.04.1945 unbeschadet übersteht                                     Einbau einer elektrischen Läuteanlage                               2007
     1923                                                                                                                                                                                                       Bundesgartenschau in Gera und Ronneburg, die Kirche liegt un-
     Lieferung und Einbau neuer Stahlglocken                           1956                                                                 1975                                                                mittelbar am Rande des Ausstellungsgeländes, ist täglich geöff-
                                                                       Abriss alter Heizungsschornstein außerhalb des Turmes, der ein-      Stiftung des neuen Taufsteines                                      net und wird von sehr vielen BUGA-Gästen besucht
     1927                                                              zustürzen drohte, Errichtung eines neuen Schornsteines im Turm
     Erneuerung Zifferblätter Turmuhr (Milchglas mit schwarzen Stri-                                                                        1985                                                                2009/11
     chen)                                                             1957                                                                 Einbau Fußbodenheizung                                              Erneuerung der Bekrönung (Fialen) beider westlichen Treppen-
                                                                       Innenerneuerung der Kirche, da besonders durch Hochwasser                                                                                türme
     vor 1934                                                          1954, welches die Altarstufe noch überflutete, schwere Schäden       Anfang der 90-er Jahre
     geschnitzte Weihnachtskrippe von Prof. Hermann Blechschmidt       am Putz entstanden waren.                                            Innen- und Außenerneuerung der Kirche: weitere Entfernung des
     wird erworben                                                     Dicker Asphaltanstrich (von 1883 oder 1936) unter dem Putz des       Asphaltanstriches, neuer Putz in großen Teilen von Chorraum und
                                                                       Chorraumes wird zur besseren Durchlüftung des Mauerwerkes            Schiff, Freilegung der unter vielen Farbschichten verborgenen go-   Die älteste Urkunde von 1662 im Turmknopf (1959 und Anfang der
     1936                                                              mühsam entfernt, der Chorraum in hellem Ton neu verputzt und         tischen Bemalung der Chorraumdecke in einem kleinen Bereich,        90-er Jahre geöffnet) beginnt mit Sprüche 18, V.10:
     Innenerneuerung der Kirche: Der in ursprünglicher Schönheit       gemalt einschließlich der Fensterwölbungen, da dies nach Urteil      Einbau einer Alarmanlage, Einbau einer Funkuhr zur Steuerung
     wiederhergestellte Flügelaltar rückt wieder an zentrale Stelle.   der Sachverständigen dem ursprünglichen Charakter der Kirche         der Turmuhr, Erneuerung der elektrischen Läuteanlage,               Der Name des Herrn ist ein festes Schloss;
42   Über ihm findet nach gründlicher Renovierung der zuvor seitlich   besser entspreche. Die 1950 angebrachte Holzverkleidung, welche      Erneuerung und Ausbesserung des Sandsteines, Anbau von Fens-        der Gerechte läuft dahin und wird beschirmt!                      43
Das Kriegerdenkmal

44                        45
Zuhause ist Krieg!
     Wort zum Sonntag für die Osthüringer Zeitung vom 30. Juni 2018

     „Was ist das für ein Mann? Er trägt einen Helm. Seht ihr?“ Ich lege   sich neben mir ein Mädchen: „Bei uns zu Hause ist Krieg.“ – „Wo
     dem Standbild meine rechte Hand auf den Kopf. Er ist aus rotem        kommst du denn her?“ – „Aus dem Irak.“ Ich nicke. „Bei uns war
     Mamor. Es dauert eine Weile. Dann meldet sich ein Junge: „Ein         schon lange kein Krieg mehr. Aber bei euch zu Hause ist Krieg.“
     Soldat!“ Ich stehe mit einer Klasse Grundschüler in der Marien-       Nun erzählt das Mädchen: „Meine Oma, meine Tante und deren
     kirche, und der betende Krieger von Fritz Behn hat ihre Aufmerk-      Familie sind noch dort. Meine Mutter betet jeden Abend, dass ih-
     samkeit gefesselt. „Warum steht ein Soldat in der Kirche?“, frage     nen nichts passiert.“
     ich. Schweigen. „Ist er traurig oder fröhlich?“ Die Antwort kommt
     sofort: „Traurig.“ – „Warum ist er traurig?“ Wieder großes Über-      Wissen die Kinder, was beten ist? Vorsichtig sage ich: „Keiner von
     legen. „Seine Frau ist gestorben.“ – „Er musste seine Familie um-     uns kann machen, dass kein Krieg mehr ist. Aber wir können Gott
     bringen.“ – „Er hat Angst.“                                           bitten, dass er deine Familie beschützt. Und dass der Krieg einmal
                                                                           aufhört im Irak. Und auf der ganzen Welt.“ Das Mädchen nickt
     Ich stutze. Dies ist die erste Schulklasse, die nichts mehr von den   ernst. Sie weiß, wovon sie spricht und wovon ich spreche.
     Weltkriegen weiß. Sie haben wahrscheinlich noch nie ein Krieger-
     denkmal bewusst gesehen. Kein Wunder. Die Großväter dieser            Kriegerdenkmale fallen uns nicht mehr auf. Die Flüchtlinge erin-
     Kinder sind nach dem Krieg und selbst nach der Nachkriegszeit         nern uns jetzt an den Krieg.
     geboren. Wer soll ihnen davon erzählt haben?
                                                                           Frank Hiddemann, Pfarrer Sankt Marien, Gera-Untermhaus
     So erzähle ich kurz von den beiden Kriegen. Wie viele Menschen
     gestorben sind und dass Teile der Stadt zerstört wurden. Dann
     sage ich: „Die Menschen haben diesen Soldaten in die Kirche ge-
46   stellt, weil sie sich an den Krieg erinnern wollten.“ Da meldet                                                                            47
In den Jahren nach dem 1. Weltkrieg stiftete der in Untermhaus woh-
     nende Kommerzienrat Dr. h. c. Georg Hirsch ein Kriegerdenkmal. Prof.
     Fritz Behn aus München gestaltete es aus Salzburger Marmor.

     Der ursprüngliche Standort des Kriegers ist nicht bekannt. Im Jahre
     1936 wurde das Denkmal auf einen hohen Sockel an der Nordwand
     des Chores gestellt, wo es den gesamten Raum dominierte (siehe
     Foto auf Seite 11). Bei der Sanierung der Kirche 1957 kam es dann an
     die Trennwand zwischen Chor und Schiff unter die südliche Seiten-
     empore.

     Die Statue stellt einen betenden Krieger dar und kann durchaus auf
     unterschiedliche Weise interpretiert werden. In der heutigen Zeit
     sollte es für den Betrachter jedoch immer eine Mahnung zum Frie-
48   den sein.                                                              49
… und sie bewegte die Worte
          in ihrem Herzen

50                                 51
Ein Altar wird Musik
     Die Kammerkantate zum Untermhäuser Marienaltar von Peter Helmut Lang

     Neben ihrer reichen Ausstattung an materiellen Kunstwerken         nung nicht auf Bestehendes zurückzugreifen, sondern mit der
     besitzt die Untermhäuser Marienkirche mit der Kammerkan-           Beauftragung des Komponisten Peter Helmut Lang dem Un-
     tate … und sie bewegte die Worte in ihrem Herzen von Peter         termhäuser Marienaltar etwas Neues und untrennbar zu ihm
     Helmut Lang auch ein immaterielles Kunstwerk, das sich in          Gehörendes zu widmen.
     besonderer Weise ihrem Marienaltar widmet. In ihrer komplet-
     ten Form stellt sie ein abendfüllendes Werk dar, das die Details   Über den ungewöhnlichen Auftrag aus Gera äußerte sich der
     des Untermhäuser Marienaltars musikalisch erlebbar macht,          Weimarer Komponist später wie folgt:
     seinen Darstellungen in kammermusikalischen Klängen nach-
     spürt und dem Altar somit auch eine nicht zu unterschätzende       Einen Altar und seine neun Gemälde und Reliefs in eine mehr-
     musikhistorische Bedeutung verleiht.                               sätzige Kammerkantate zu übersetzen, war schon eine besondere
                                                                        Aufgabe.
     Ihren Anfang nahm die Kantate mit dem Vorhaben des Pfarrers          Zu einer Herausforderung wurde sie, da die einzelnen Musik-
     Dr. Frank Hiddemann, die einzelnen Altarbilder in einer Gottes-    sätze jeweils zu bestimmten, in das Kirchenjahr eingebetteten
     dienstreihe vorstellen zu wollen, und der Anfrage an das Geraer    Gottesdiensten erklingen sollten und die Entstehungszeit so
     ensemble diX, diese Reihe mit Musik zu begleiten.                  einen ungewöhnlich langen Zeitraum umfasste. Um diesen zu
                                                                        überbrücken und der Kantate einen inneren Zusammenhalt zu
     Das ensemble diX, eine Vereinigung von Mitgliedern des Philhar-    geben, entschloss ich mich zu einer Kompositionsweise mit Leit-
     monischen Orchesters Altenburg Gera, war bis dahin vor allem       motiven. So entwickelte ich neben anderen Motiven ein Engels-
     mit Bach-Adaptionen und Vertonungen von Gemälden seines            motiv, ein Motiv der Göttlichkeit, ein Motiv der Königswürde und
     Namensgebers – Otto Dix – in Erscheinung getreten. Schnell         ein Motiv der Demut, welche sich durch die einzelnen Sätze der
52   entschloss es sich, für die reizvolle Aufgabe einer Altarverto-    Kantate ziehen sollten.                                            53
Dass Peter Helmut Lang dabei den Anspruch erhob, keine allge-        Von April 2016 bis Mai 2017 erfolgten die Uraufführungen der                                                                                                                                                                              CD & BUCH
     meine Vertonung des Marienlebens zu komponieren, sondern             einzelnen Kantatensätze in der Reihenfolge: Die Verkündigung              In Gera-Untermhaus, in pittoresker Lage zwischen Weißer Elster und Schloss
     den Versuch unternahm, die speziellen Eigenheiten des Altars zu      (17.04.2016), Im Tempel (22.05.2016), Die Flucht (03.07.2016), Der        Osterstein und in unmittelbarer Nachbarschaft zum Geburtshaus von Otto
                                                                                                                                                    Dix gelegen, steht eine der schönsten und ältesten Kirchen Geras – die
     reflektieren, spiegelte sich in seiner Herangehensweise wider:       Tod Marias (04.09.2016), Der Besuch bei Elisabeth (11.12.2016), Die       Marienkirche. Ihre Baugeschichte reicht bis in die Zeit um 1200 zurück; ihr
                                                                          Geburt Jesu (25.12. 2016), Die Anbetung der Weisen (22.01.2017),          kostbarstes Schmuckstück ist ein spätgotischer Flügelaltar.

     Im Vorfeld zur Komposition eines jeden Kantatensatzes galt es, das   Der Kindermord zu Bethlehem (02.04.2017) und Die Himmels-                 Der Komponist Peter Helmut Lang hat die Bilder dieses Marienaltars in einer
                                                                                                                                                    Kantate vertont und mit dem Geraer ensemble diX und der Untermhäuser
     jeweilige Altarbild zu deuten und seine Eigenheit herauszuarbei-     königin (28.05.2017). Über ein Jahr hatte die Beschäftigung mit           Kirchgemeinde in neun Themengottesdiensten gleichsam eine mehrmonatige
     ten, um eine angemessene musikalische Entsprechung finden zu         ihrem Altar das Leben der Kirchgemeinde geprägt. Immer mehr            Peter Helmut Lang
                                                                                                                                                    Reise durch das Leben der Heiligen Maria unternommen. Eine Reise, die nun

                                                                                                                                                ... und sie bewegte die Worte in ihrem Herzen
                                                                                                                                                    vollendet ist und die in Wort, Bild und Musik nachzuvollziehen Sie hiermit
     können. Hierfür wandte ich mich immer wieder an Herrn Pfarrer        Interessierte waren den Aufführungen gefolgt, bis schließlich             herzlich eingeladen sind.
     Hiddemann und es entstanden angeregte, tiefgreifende Diskussio-      am 25. August 2017 die vollendete Kammerkantate vor einer gro-
     nen und wunderbare gemeinsame Interpretationsversuche.               ßen Zuhörerschaft erstmals komplett erklang.                          Kammerkantate
                                                                                                                                                   ... und sie bewegte  zumdie Untermhäuser     Marienaltar
                                                                                                                                                                                   Worte in ihrem Herzen
                                                                                                                                                fürKammerkantate
                                                                                                                                                     Sopran und       Holzbläserquartett      (2016/17)

                                                                                                                                                                                                                                                                    ... und sie bewegte die Worte in ihrem Herzen
                                                                                                                                                                 zum Untermhäuser Marienaltar
     Ganz einfach war die Übersetzung in eine kammermusikalische          Noch am Abend dieser Erstaufführung entstand die Idee, das                von Peter Helmut Lang für Sopran und Holzbläserquartett (2016/17)
                                                                                                                                                    Texte nach dem Matthäus-Evangelium, dem Lukas-Evangelium und der Schrift Transitus Mariae.
     Form jedoch nicht und es erforderte eine besondere Sichtweise,       Werk in Form einer CD mit Begleitbuch festzuhalten. Knapp ein         Texte nach dem Matthäus-Evangelium,
                                                                                                                                                   1. Prolog – Die Himmelskönigin 2:33
     die Vielzahl der Figuren des Altars in eine überschaubare Anzahl     Jahr später, am 26. Mai 2018, konnte dank der Unterstützung           dem   Lukas-Evangelium
                                                                                                                                                   2. Die Verkündigung 4:57       und der Schrift Transitus Mariae.
     von Musikern und eine schlüssige Dramaturgie zu führen.              zahlreicher Vereine, Unternehmen und Privatpersonen diese in              3. Der Besuch bei Elisabeth         3:19
                                                                                                                                                    4. Die Geburt Jesu 4:54
                                                                          einem Erscheinungsfest der Öffentlichkeit übergeben werden.           Akiho
                                                                                                                                                   5. DieTsujii
                                                                                                                                                          Anbetung– Sopran
                                                                                                                                                                     der Weisen 4:35
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Peter Helmut Lang
     Um Maria in den Mittelpunkt zu rücken, wurde die Kantate ledig-      Seither gehört sie als besonderes Exponat zum Inventar der Ma-        & 6. Im Tempel 5:51
                                                                                                                                                   7. Der Kindermord zu Bethlehem 4:12
     lich mit einem Sopran als einzige Gesangsstimme besetzt. Damit       rienkirche von Gera-Untermhaus.                                       ensemble
                                                                                                                                                   8. Die FluchtdiX
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    ... und sie bewegte
                                                                                                                                                                   3:42
     dennoch die verschiedenen im Altar dargestellten Personen zu                                                                               Andreas      Knoop      – Flöte, Altflöte
                                                                                                                                                   9. Der Tod Marias 6:11
                                                                                                                                                   10. Epilog – Die Gottesmutter 3:16                        Gesamt 43:32
     Wort kommen konnten, wählte ich eine Perspektive, in der Maria
     Worte singt, wie sie sie entsprechend der Bibel-Szenen von an-
                                                                                                                                                Albrecht Pinquart – Oboe, Englischhorn
                                                                                                                                                Hendrik     Schnöke
                                                                                                                                                   Akiho Tsujii – Sopran •– Bassetthorn
                                                                                                                                                                            ensemble diX
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    die Worte in ihrem Herzen
                                                                                                                                                   Andreas Knoop – Flöte, Altflöte; Albrecht Pinquart – Oboe, Englischhorn;                                                                                         Kammerkantate zum Untermhäuser Marienaltar
     deren gehört hat – quasi als innerliches Nachhören, Reflektieren                                                                           Roland
                                                                                                                                                   HendrikSchulenburg          – Fagott
                                                                                                                                                            Schnöke – Bassetthorn;  Roland Schulenburg – Fagott
     und Nachspüren des Gesagten. Der biblische Satz „Maria aber be-                                                                                Buchtexte von Dr. Frank Hiddemann, Thomas Stöß und Hendrik Schnöke
     hielt all die Worte und bewegte sie in ihrem Herzen“ wurde somit                                                                                                                                                                                                                                               Akiho Tsujii I ensemble diX
     zum Motto und Titel meines Werkes.                                                                                                                                                                 Aufnahme: 19. – 21.01.2018 | Aufnahmeort: Konzertsaal des   VKJK
                                                                                                                                                Eine Produktion von querstand,          dem         Klassiklabel                 derLangVerlags-
                                                                                                                                                                                               GEMA
                                                                                                                                                                          DDD     Theaters Gera | Aufnahme und Schnitt: Peter Helmut          1803
                                                                                                                                                                                  Mischung und Mastering: Harms Achtergarde
                                                                                                                                                gruppe Kamprad (VKJK 1803). ©Kamprad
                                                                                                                                                                        VKJK 1803
                                                                                                                                                                                    2018 by querstand, dem Klassiklabel der Verlagsgruppe
                                                                                                                                                                                            | www.vkjk.de
54                                                                                                                                              Erhältlich über das Gemeindekirchenbüro bzw. im Fachhandel.                                                                                                                                                      55
„Du hast uns großer Gott dein Heiligthum erhalten,
Da schnell entstandne Gluth den Untergang gedroht,
Laß deine Güt und Treu noch ferner ob uns walten,
Bewahre Hof und Stadt und Land vor aller Noth ...“
(aus einer im Turmknopf befindlichen Urkunde von 1769)

                                                                   Dieses Heft wurde geschrieben, um dem Besucher der Marien-
                                                                   kirche einen Überblick über ihre Geschichte zu verschaffen und
                                                                   gleichzeitig die wichtigsten Ausstattungsstücke der Kirche vor-
                                                                   zustellen. Das Ziel ist erreicht, wenn das Büchlein zum erneuten
                                                                   Besuch des Gotteshauses anregt: um offene Fragen zu klären, ein-
IMPRESSUM                                                          zelne Details genauer zu betrachten oder auch an einem Gottes-
Layout: Christoph Beer                                             dienst teilzunehmen bzw. ein Konzert zu besuchen.
Texte: Dr. Frank Hiddemann (Seiten 23–25, 47)

Hendrik Schnöke (Seiten 53–55)                                     Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass unser Marienaltar
Johann-Christoph Trinks (restliche Seiten)                         hier nur im Überblick erläutert wird, da dafür eine gesonderte
Fotos: Karsten Heinig (Titel), Wolfgang Hesse (Seite 52)           Publikation vorgesehen ist.
Johann-Christoph Trinks (wenn im Bildtext nicht anders vermerkt)   					                                        Gera, im Mai 2020
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