VON DER LEDERHOSE ZUM LAPTOP BAYERNS WEG IN DIE MODERNE

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/// Große Eröffnung: Das Museum der Bayerischen Geschichte

VON DER LEDERHOSE ZUM LAPTOP −
BAYERNS WEG IN DIE MODERNE
RICHARD LOIBL /// Das neue Museum in Regensburg zeichnet mittels eines synerge-
tischen Geschichtstheaters den Weg Bayerns zum modernen Staat nach. Mit Bayern
wurde und wird ja viel verbunden – seine Bewohner, ihr Dialekt, große Feste, nicht
nur königliche Bauwut, heiliges Theater sowie großartige Natur. Die Dauerausstel-
lung zeigt die Klischees, schaut aber auch dahinter. Wie bedroht ist das Idyll, wie
katholisch sind die Bayern wirklich, wie schaut das typische bayerische Bauwerk
aus? Es wird spannend, Bayern so zu entdecken.

              So begann es …                         richten.1 Dieser Ansatz war seiner Zeit
          Es ist ein sehr modernes Haus, das wir     weit voraus. Selbst auf Bundesebene ge-
          im Juni 2019 nach nur sieben Jahren        lang es erst 1986, also eine ganze Gene-
          Vorbereitungszeit eröffnen, sowohl von     ration später, das Haus der Geschichte
          der Architektur als auch insbesondere      der Bundesrepublik Deutschland in
          vom Konzept her. Das Projekt stammt        Bonn zu gründen.
          von einer recht alten Idee: 1961 stellte       Der zukunftsweisende Vorstoß ge-
          die SPD-Fraktion im Bayerischen Land-      riet jedoch in Bayern bald in Konflikt
          tag in der Person von Ministerpräsident    mit den Direktoren der staatlichen Mu-
          a. D. Wilhelm Hoegner den Antrag, eine     seen, die fürchteten, dafür Schätze aus
          „Stätte geschichtlicher Selbstdokumen-     ihren Häusern abgeben zu müssen. Zu-
          tation des bayerischen Staates“ zu er-     dem führte er zu einem Streit bei Profes-
                                                     soren und Schulen, die zwischen dem
                                                     veralteten Konzept des „Nationalmuse-
                                                     ums“ und dem unausgegorenen des
                                                     „Sozialmuseums“ ohne Objekte lavier-
       Den ersten Ansatz für dieses                  ten, und am Ende gar in den politischen
       Museum gab es bereits 1961.                   Disput um die neue Staatskanzlei im
                                                     Münchner Hofgarten. Schließlich ging
                                                     die Ausformung als Dauerausstellung
                                                     zur bayerischen Geschichte im Verbund
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Quelle: © Haus der Bayerischen Geschichte | Foto: Stefan Hanke

Das lichtdurchflutete Foyer
des neuen Museums bildet
eine Verbindung zwischen dem
Donau-Ufer und der Altstadt,
fotografiert im Juni 2018.
ANALYSEN

          mit der Staatskanzlei in den archäologi-      Geschichte auch zu diesem Zeitpunkt
          schen Funden im Hofgarten unter, die          nicht (abgesehen von den Büroräumen in
          den Neubau einschrumpfen und das              der Wagmüllerstraße im Münchner
          Museum verschwinden ließen.                   Lehel), außerdem keine Sammlung, aber
              Zu diesem Zeitpunkt gab es aber das       einen eigenen Etat und dazu aufwach-
          „Haus der Bayerischen Geschichte“             sende Kompetenz in Ausstellungsfragen
          schon längst. 1972 war es als Arbeits-        bei steigender Nachfrage nach histori-
          gruppe eingerichtet worden und als sich       schen Ausstellungen. Nachdem bei der
          die Umsetzung als Museum verzögerte,          Wittelsbacher-Ausstellung der Etat mehr
          machte sich der damalige Leiter Hubert        oder weniger gesprengt worden war,
          Glaser an ein neues Format, das im Ge-        wurden im Nachgang dann auch die
          gensatz zum Museum so sensationell mo-        notwendigen Strukturen für eine effekti-
          dern erschien und derart in der Luft lag,     ve Etatverwaltung geschaffen.
          dass es fast zeitgleich dreimal in der Bun-
          desrepublik angegangen wurde. 1976 re-
          alisierte die schon erwähnte Arbeitsgrup-
          pe „Haus der Bayerischen Geschichte“
          die große historische Ausstellung „Kur-         Das „HAUS DER BAYERISCHEN
          fürst Max Emanuel – Bayern und Europa           GESCHICHTE“ entstand 1972 aus einer
          um 1700“ in Schleißheim, die mit fast           Arbeitsgruppe für Ausstellungen.
          280.000 Besuchern einen grandiosen Er-
          folg feiern konnte.2 Erst danach kamen
          die Ausstellungen „Die Zeit der Staufer“
          in Stuttgart 1977 und „Preußen – Ver-
          such einer Bilanz“ in Berlin 1981, eben-
          falls historische Ausstellungen. Und ge-          Das waren die Grundlagen für den
          nau das war das eigentlich Neue, weil         „Wanderzirkus“, wie die Mitarbeiter des
          bislang ästhetisierende kunsthistorische      HdBG ihren Betrieb gerne scherzhaft
          Präsentationen üblich waren.3                 nannten. Gemeint waren damit die Lan-
              Während die Präsentationen in Stutt-      desausstellungen (so benannt seit 1992),
          gart und Berlin keine Fortsetzungen fan-      die jährlich an wechselnden Orten und
          den, machte sich die bayerische Arbeits-      zu wechselnden Themen im ganzen
          gruppe sogleich an das nächste Projekt,       Land stattfanden und -finden. Etabliert
          die große Wittelsbacher-Ausstellung, die      wurden sie unter der Leitung von Claus
          dann 1980 an drei Standorten in Lands-        Grimm (1983 bis 2007) und dann be-
          hut und München wieder mit großarti-          züglich der wissenschaftlichen Fundie-
          gem Erfolg (480.000 Besucher) realisiert      rung, aber auch der Öffentlichkeitsar-
          werden sollte. Zum 1. Oktober 1978            beit gestärkt und als Marke reformiert.
          glückte nun die förmliche Gründung des        Mit der Bayerischen Landesausstellung
          Hauses der Bayerischen Geschichte             „Götterdämmerung: König Ludwig II.“
          (HdBG) als selbständige und unmittel-         2011 auf Herrenchiemsee konnte mit sa-
          bar in das Kultusministerium eingeglie-       genhaften 575.000 Besuchern die er-
          derte Behörde durch Ministerratsbe-           folgreichste historische Präsentation in
          schluss am Ende der Ära Alfons Goppel.        der Bundesrepublik seit der Wiederver-
          Ein Haus hatte das Haus der Bayerischen       einigung realisiert werden. Hinzu ka-
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men mit der Edition Bayern und der
Bayern-Ausstellung neue Formate, die
sogleich ihre Kundschaft fanden.              2008 beschloss Ministerpräsident
                                              Seehofer den Bau eines MUSEUMS ZUR
    Die Planungsphase                         BAYERISCHEN GESCHICHTE.
In diesem so erweiterten „Wanderzir-
kus“ hatten wir uns gut eingelebt, als
mit der ersten Regierungserklärung von
Ministerpräsident Horst Seehofer 2008
die Bombe platzte: „Wir wollen unsere
bayerische Geschichte für die Menschen          Aus diesem Erfahrungsschatz schöp-
greifbarer, erlebbarer, unmittelbarer       fend konnte der Direktor des HdBG be-
machen […]. Ich denke auch daran, mit-      reits im Februar 2009 eine Einschätzung
telfristig ein Museum zur bayerischen       des Projektes mit Handlungsempfehlun-
Geschichte zu verwirklichen.“ Da war        gen, ein Grobkonzept und einen detail-
es wieder, das Museum. Aber wie sollte      lierten Plan zur Umsetzung samt realisti-
es kommen? Anstelle der Landesausstel-      schem Kostenhorizont vorlegen. Alle
lungen und für das Haus der Bayeri-         wesentlichen Eckpunkte des Projektes
schen Geschichte, als neue Institution,     waren hier bereits aufgeführt:
die der alten Konkurrenz macht, als An-
hängsel eines Lehrstuhls, im Bayeri-        •	„Das neue Museum darf […] das
schen Nationalmuseum oder als neues            HdBG mit seinen Landesausstellun-
Haus mit der „ganzen“ Bayerischen Ge-          gen nicht ersetzen, sondern kann es
schichte von Garibald bis Seehofer? Vie-       ergänzen.
les wurde damals diskutiert.                •	Vorgeschlagen wird, ein Museum des
    Das (alte) HdBG hatte man bezüg-           Freistaates Bayern mit Schwerpunkt
lich der zuvor zitierten Regierungserklä-      auf der Zeit von 1806 bis heute anzu-
rung nicht konsultiert. Dessen großer          streben, das die politische Geschich-
Vorteil war, dass Betreiber und Disku-         te darstellt, die demokratischen Tra-
tanten der Idee keinerlei praktische Er-       ditionen und nach modernen kultur-
fahrung mit Museumsprojekten besa-             historischen Fragestellungen die prä-
ßen. Dafür war der Direktor des HdBG           genden Kräfte Bayerns und seiner
aber im „Nebenamt“ gerade noch dabei,          Regionen aufzeigt. Dies schließt nicht
das neue Staatliche Textil- und Indus­         aus, dass die staatlichen Kontinuitä-
triemuseum (tim) in Augsburg zur Welt          ten in einem einleitenden Teil, der
zu bringen. Dies war ein denkbar               stark multimedial geprägt ist, bis in
schwieriges Projekt, verbunden mit der         das frühe Mittelalter zurückverfolgt
städtebaulichen Entwicklung eines gan-         werden.
zen Stadtquartiers, ausgeführt bei sehr     •	Die Federführung des Projektes erhält
angespannter Lage der öffentlichen Fi-         das Haus der Bayerischen Geschichte.
nanzen, das 2010 dann aber eröffnet            Nur das Haus kommt als Träger des
werden konnte.4 Es gab aber reichlich          Museums infrage: der zentralisierende
museale Erfahrung bei den Mitarbeitern         Ansatz eines Museums kann nur im
des HdBG und seinem stellvertretenden          Rahmen des dezentralen Ansatzes des
Direktor Rainhard Riepertinger.                Hauses der Bayerischen Geschichte in
                                                               484/2019 // POLITISCHE STUDIEN   53
ANALYSEN

             einen verträglichen Rahmen eingebet-    gekündigt hatte, stimmte der Bayerische
             tet werden. Zwei voneinander unab-      Ministerrat am 17. Mai 2011 dem Kon-
             hängige Institutionen würden dage-      zept zu und beauftragte das HdBG als
             gen zu einer völlig ineffektiven Kon-   Part des Wissenschaftsministeriums,
             kurrenzsituation führen.“               damals unter Leitung von Staatsminis-
                                                     ter Wolfgang Heubisch, mit der Durch-
          Diese Projektkonstruktion setzte sich      führung eines Standortwettbewerbs.
          durch. Noch im gleichen Jahr wurde das         Nun war Zug im Projekt, zumal auch
          HdBG vom Ministerrat beauftragt, ein       ein eindeutiges Ziel ins Auge gefasst
          Konzept zu erarbeiten. Zur Unterstüt-      wurde, nämlich die Eröffnung 2018 im
          zung wurde ein Beirat einberufen, in       Jubiläumsjahr „100 Jahre Freistaat
          dem die praktisch erfahrene Museums-       Bayern“. Das HdBG holte die Oberste
          seite mit Vertretern der Geschichtshäu-    Bayerische Baubehörde und die Immobi-
          ser in Bonn und Stuttgart, der wichtigen   lien Freistaat Bayern ins Boot und unter-
          bayerischen Häuser, u. a. auch des Baye-   suchte 25 Bewerbungen von Augsburg
          rischen und Germanischen National-         bis Passau und von Kempten bis Würz-
          museums sowie kommunaler Museen            burg. Bereits am 10. November 2011
          wie der Kunsthalle Schweinfurt und         konnte dem Beirat eine ausführliche
          dem Stadtmuseum Salzburg hohes Ge-         Bewertung der Bewerbungen vorgestellt
          wicht besaßen. Am 17. Juni 2010 legte      werden. Einstimmig entschied sich
          das HdBG dem Gremium ein erstes            dieser für die Empfehlung Regensburgs.
          Konzept im Sinne der zuvor zitierten       Am 7. Dezember 2011 folgte der Bayeri-
          Eckpunkte vor, welches Zustimmung          sche Ministerrat dieser Empfehlung. Die
          und Unterstützung fand. Auf dieser ge-     wichtigsten Argumente dafür waren:
          meinsamen Basis konnte ein Konflikt,
          wie er noch in den 1960er-Jahren zwi-      •	das Baugrundstück am Donaumarkt
          schen HdBG und staatlichen Museen             in hervorragender Lage von hoher
          entstanden war, verhindert werden.            städtebaulicher Relevanz und Attrak-
                                                        tivität, fußläufig nur fünf Minuten
                                                        vom Dom entfernt und direkt an der
                                                        alten bayerischen Schlagader Donau
                                                        gelegen;
       In KOOPERATION mit allen wichtigen            •	die Möglichkeit, hier einen modernen
       bayerischen Museumseinrichtungen                 städtebaulichen Akzent für Regens-
       erarbeitete das HdBG ein Konzept.                burg und einen kulturellen Leucht-
                                                        turm für Bayern zu realisieren;
                                                     •	alle Museumsfunktionen hier unter-
                                                        zubringen und dabei mit dem Öster-
                                                        reicher Stadel historische Bausub­
                                                        stanz einzubeziehen und zu erhalten;
              Nachdem Ministerpräsident Seeho-       •	über Wärmerückgewinnung aus
          fer wenige Tage zuvor bei der Eröffnung       Schmutzwasser in energetischer Hin-
          der Bayerischen Landesausstellung zu          sicht neue Wege zu beschreiten und
          König Ludwig II. auf Herrenchiemsee           dabei die Unterhaltskosten zu senken
          die Errichtung des neuen Museums an-          und
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•	schließlich die Lage Regensburgs in     funktional nutzbaren Flächen ausgelegt
     der Mitte Bayerns und seine histori-    war, sowohl für Ausstellungs- als auch
     sche Relevanz als älteste Hauptstadt    Veranstaltungszwecke.
     Bayerns, Reichsstadt und Ort des Im-        Durchgeführt wurde der Architek-
     merwährenden Reichstages.               tenwettbewerb bis zum 27. April 2013.
                                             Er verlief – das soll hier gar nicht ver-
  Jetzt war die entscheidende Frage, ob      hohlen werden – strittig. Die dem ästhe-
  die Regensburger Bewerbungsverspre-        tischen Ansatz verpflichteten Fachpreis-
  chungen der Überprüfung standhielten.      richter standen den Sachpreisrichtern
  Vorsichtig beauftragte der Ministerrat     von der praktisch ausgerichteten Muse-
  das HdBG zunächst nur mit Verhand-         umsseite gegenüber. Dass der unterlege-
  lungen mit der Stadt Regensburg. In Re-    ne Favorit der Museumsseite nach dem
  kordzeit wurden sie abgeschlossen und      Wettbewerb zum „Liebling der Herzen“
  mündeten in einen Vertrag zwischen         in Regensburg gekürt wurde, war ein
  dem Freistaat Bayern und der Stadt Re-     gewisser Trost. Noch mehr, dass mit
  gensburg, den Kunstminister Heubisch       Stefan Traxler als erstem Preisträger ein
  und Oberbürgermeister Schaidinger im       Architekt zum Zuge kam, der für die
  Beisein von Ministerpräsident Seehofer     praktischen Belange des HdBG und die
  am 23. April 2012 bei einem Festakt in     Empfehlungen seiner Museumsgestalter
  Regensburg unterzeichneten.                offen war. Als entscheidende Verstär-
      Eine Verschnaufpause trat nicht ein.   kung für das Projekt konnte kurz nach
  Das HdBG verstärkte sein Museums­          dem Architektenwettbewerb für die Ge-
                                             staltung der Dauerausstellung das Büro
                                             HG Merz aus Stuttgart gewonnen wer-
                                             den, das zu den renommiertesten Muse-
                                             umsbauern in Europa zählt. Seine Pla-
Als Standort fiel die Wahl auf               nungen beeinflussten das Innenleben
REGENSBURG.                                  des Traxlerbaus positiv und ermöglich-
                                             ten das wunderbare Foyer als Schaltzen-
                                             trale des neuen Hauses.

                                                 Es wird gebaut
                                             Architekt, Staatliches Bauamt, Baulei-
  team, nicht zuletzt mit den erfahrenen     tung und natürlich die Baufirmen trie-
  Mitarbeiterinnen aus dem Projekt tim in    ben den Rohbau voran, sodass am 22.
  Augsburg, Christina Schmitt und Nata-      Mai 2015 die Grundsteinlegung erfol-
  scha Zödi-Schmidt, und machte sich an      gen konnte. Das Ziel – Museumseröff-
  die weitere Ausarbeitung des Muse-         nung noch 2018 – machte ein Brand am
  umskonzepts. Für den Architektenwett-      9. Juli 2017 in der Bavariathek, dem me-
  bewerb konnte bereits ein ausführliches    dienpädagogischen Zentrum des Muse-
  Konzept samt Raumprogramm vorge-           ums, leider zunichte: 10 Millionen Euro
  legt werden. Wichtigstes Vorbild dafür     Schaden! Beinahe noch schlimmer wa-
  war das Textil- und Industriemuseum in     ren die Auswirkungen auf die Moral.
  Augsburg, das von seinem Gründungs-        Sollten die Baufirmen für den Schaden
  direktor als flexibles Haus mit multi-     haftbar gemacht werden? Nicht auszu-
                                                                484/2019 // POLITISCHE STUDIEN   55
Quelle: © Staatliches Bauamt Regensburg | Foto: Nürnberg Luftbild Hajo Dietz

                                                                                    Luftbild vom Museum der Bayerischen Geschichte (August 2018).

                                                                                    schließen, nachdem die Abnahme noch             Präsentation „Was vorher geschah“ fer-
                                                                                    nicht erfolgt war. Entscheidend war die         tigzustellen. In einer sensationellen
                                                                                    Frage nach der Ursache: Brandstiftung           Rundum-Projektion zeigen hier fünf
                                                                                    oder Fehler einer Firma? Sie konnte aber        Episoden die Geschichte vor Königreich
                                                                                    nie endgültig geklärt werden. Diesmal           und Freistaat, und zwar anhand von Re-
                                                                                    brachte der Finanzausschuss im Land-            gensburger Denkmälern: vom Römer-
                                                                                    tag den Durchbruch: Der Freistaat über-         kastell bis zum Immerwährenden
                                                                                    nahm den Schaden. Es ging weiter. Was           Reichstag; Süß in 39 Rollen mit realitäts-
                                                                                    aber fehlte, war ein neues Ziel. Dieses         nahen Rekonstruktionen, meisterhaft
                                                                                    wurde der Tag der offenen Tür. Am 9.            ausgeführt von Jangled Nerves aus Stutt-
                                                                                    und 10. Juni 2018 sollte das Gebäude            gart. Am Samstag, den 9. Juni 2018, lief
                                                                                    den Besuchern außen wie innen erst-
                                                                                    mals präsentiert werden und zwar so
                                                                                    fertig wie nur möglich und mit so viel
                                                                                    Programm, wie es nur ging. Wieder war
                                                                                    es Ministerpräsident Seehofer, der die-            Beim TAG DER OFFENEN TÜR im
                                                                                    ses Vorhaben maßgeblich förderte.                  Juni 2018 bekamen die begeisterten
                                                                                        Zum Museumsfest kam dann der                   Regensburger vorab einen Einblick
                                                                                    neue Ministerpräsident Markus Söder                in das neue Museum.
                                                                                    samt neuer Kunstministerin Marion
                                                                                    Kiechle. Und vor allem kam Christoph
                                                                                    Süß. Wir schafften es, die Panorama-
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ANALYSEN

die Präsentation zum ersten Mal, danach      •	Der Ausstellungsbereich mit der Dau-
die Mundpropaganda, und am Sonntag              erausstellung im Ersten Obergeschoss,
wollten sie 30.000 sehen. Viele standen         die eine zusammenhängende Nutzflä-
zwei Stunden und länger dafür an. Jetzt         che von 2451 qm2 sowie großzügige
war die Stimmung gut. Die Stadt freute          Raumhöhen und abgesehen von den
sich auf ihr neues Museum.                      Kulturkabinetten keine abgetrennten
    Dann war wieder das HdBG an der             Raumbereiche aufweist – eine exzepti-
Reihe. Im Januar 2019 begann die Ob-            onell herausragende Basis für die Ge-
jektmontage und im April startet der Pro-       staltung der Ausstellung. Das Flä-
bebetrieb. Das Museumswirtshaus und             chenangebot, das dem Bedarf von
der Laden wurden bereits verpachtet,            zwei Landesausstellungen entspricht,
Führungs- und Aufsichtsdienst vergeben.         ermöglicht es, Kulturgut des 19. und
Im Juni 2019 wollen wir eröffnen. Wenn          20. Jahrhunderts, also auch Maschi-
es gelingt, dann waren wir gemeinsam            nen und Automobile, zu präsentieren.
auf Rekordkurs unterwegs. So schnell            Andererseits überfordert es den Besu-
wurde nach allem, was wir wissen, noch          cher ob der schieren Ausdehnung
nie ein vergleichbares Museum, das ohne         nicht. Eine Besonderheit des Muse-
Sammlung begonnen hat, eröffnet.                ums ist der kombinierte Bereich im
                                                Erdgeschoss für Sonderausstellungen
    Das Museumskonzept                          und Veranstaltungen mit 923 qm2
Ausschlaggebend für den schnellen               Nutzfläche. Durch mobile Trennwän-
Fortschritt war das Konzept. Es erwies          de ist er in zwei Bereiche von jeweils
sich als so tragfähig, dass es während der      ca. 450 bzw. 470 qm2 teilbar. Diese
Genese niemals abgeändert, sondern              Flexibilität ermöglicht es, sparsam mit
hinsichtlich Standort und Architektur           dem Raumangebot umzugehen und
lediglich leicht modifiziert werden muss-       die Flächen effektiv zu nutzen.
te. Kernelemente sind die folgenden          •	Dazu bedarf es aber auch eines opti-
klassischen Museumsfunktionen, für              malen, ebenfalls flexibel nutzbaren
die eine Nutzfläche von insgesamt ca.           Foyers mit zwei Zugängen von der Do-
8.000 qm2 zur Verfügung steht:                  nau aus im Norden und zur Altstadt
                                                im Süden. Alle wesentlichen Funktio-
•	Das Sammlungsdepot: Dafür wurde              nen sind von hier aus erreichbar:
   von der Stadt Regensburg der Öster-          -	Museumsladen mit Kasse und In-
   reicher Stadel, ein Nutzbau aus Stein-          formation,
   mauerwerk, saniert und hergerichtet.         -	Museumswirtshaus mit Vollküche
•	Die Bavariathek als moderne, päda-              und Biergarten auf der Donauseite,
   gogische Einrichtung mit Bildarchiv,         -	Sonderausstellungs- / Veranstal-
   Tonstudio und Schulungsräumen ist               tungsbereich,
   gleichzeitig Sitz der Museumsverwal-         -	Museumspädagogische Räume im
   tung. Der Entwurf von Traxler stellte           Zwischengeschoss sowie
   hier deutlich mehr Fläche als gefor-         -	das Panorama (Schauraum) mit
   dert zur Verfügung, weshalb erfreuli-           der Einführung „Was vorher ge-
   cherweise für Bildarchiv und Schu-              schah“ von Christoph Süß, das für
   lungsräume großzügiger geplant wer-             Veranstaltungen aber auch „zuge-
   den konnte.                                     schaltet“ werden kann.
                                                                 484/2019 // POLITISCHE STUDIEN   57
ANALYSEN

          So wird es beispielsweise möglich, im          de Begrifflichkeiten heraus, die mit Bay-
          September 2019 die Bayerische Landes-          ern besonders verbunden werden:5
          ausstellung „Hundert Schätze aus tau-          •	Landschaften,
          send Jahren“ im Foyer mit 500 Gästen           •	wirtschaftlicher Erfolg,
          zu eröffnen und diese anschließend zu          •	Geschichte, Kultur und Tradition,
          bewirten.                                      •	regionale Vielfalt sowie
                                                         •	(daraus resultierend) eine besondere
                                                            (staatliche, föderale) Identität und
                                                            politische Kultur.

       Das neue Museum „Haus der                         Diese Zuschreibungen sind aus der Ge-
       Bayerischen Geschichte“basiert auf                schichte herzuleiten. Bayern erlebte
       einem SYNERGETISCHEN Konzept.                     – vormals noch stark agrarisch geprägt
                                                         – in der Nachkriegszeit im bundesdeut-
                                                         schen und europäischen Kontext einen
                                                         beachtlichen wirtschaftlichen Auf-
                                                         schwung und entwickelte sich mit be-
                                                         sonderer Dynamik seit der Wiederverei-
              Synergie ist eine der wesentlichen         nigung, dem Fall des Eisernen Vorhangs
          Grundlagen des Museumskonzeptes.               und der EU-Osterweiterung zu einer der
          Das neue Museum der Bayerischen Ge-            wirtschaftsstärksten „Regionen“ Euro-
          schichte (MdBG) bleibt organisatori-           pas mit Schwerpunkten auf Industrie,
          scher Teil des HdBG. Dieses behält für         High Tech und Dienstleistung, neuer-
          die Bayerischen Landesausstellungen            dings auch der Digitalisierung in allen
          die Direktion in Augsburg, gewinnt als         Daseinsbereichen. Parallel stieg die An-
          zweiten Standort Regensburg hinzu und          ziehungskraft des Landes.
          nutzt Technik, Konzeption, Rekon­                  Gleichzeitig wurden und werden
          struktionen und wissenschaftliche Er-          kulturelle Phänomene in Bayern weit
          träge der Bayerischen Landesausstellun-        über den Freistaat hinaus wahrgenom-
          gen, um das Museum aktuell zu halten.          men, bisweilen als typisch bayerisch
          Um die Zusammengehörigkeit zu beto-            apostrophiert oder international sogar
          nen und der vom HdBG selbst begrün-            als Charakteristikum für die Bundesre-
          deten Tradition treu zu bleiben, für           publik gewertet (z. B. Schloss Neu-
          moderne Geschichtshäuser den Titel             schwanstein, die Bierkultur, insbeson-
          „Museum“ zurückzustellen, wird es zu-          dere das Oktoberfest, alpenländische
          künftig Haus der Bayerischen Geschich-         Tracht, der FC Bayern München, der
          te heißen. Für dieses neue HdBG erfand         Christkindlesmarkt in Nürnberg, die
          die Peter Schmidt Group ein neues              Augsburger Puppenkiste usw.).6 Man-
          Corporate Design, das 2018 mit dem             che Elemente und Stereotype bayeri-
          German Brand Award in Gold ausge-              scher Lebensformen und Kultur sind
          zeichnet wurde.                                mittlerweile außerhalb Bayerns verbrei-
              Ausgangspunkt für das inhaltliche          tet, von der Trachtenwelle auf dem
          Konzept ist das Bayern von heute. Wertet       Cannstatter Volksfest in Stuttgart bis zu
          man die Umfragen und Veröffentlichun-          den „bayerischen“ Bierfesten in den
          gen hierzu aus, kristallisieren sich folgen-   USA, China und Brasilien. In den Medi-
58   POLITISCHE STUDIEN // 484/2019
en wurde sogar von einer „Bajuwarisie-         Zeitlicher Rahmen
 rung“ der Bundesrepublik gesprochen.7      Den zeitlichen Rahmen bilden die rund
     Andererseits wurden in Bayern          letzten 200 Jahre, ausgehend von der
 selbst ein beschleunigter kultureller      seit dem Mittelalter gewachsenen Terri-
 und gesellschaftlicher Wandel und eine     toriallandschaft, die nach 1800 in das
 zunehmende gesellschaftliche Plurali-      neue Königreich Bayern integriert wur-
 sierung greifbar. 8 Nach der Bildung der   de. Hier wurde das heutige Staatsgebiet
 Koalitionsregierung von CSU und FDP        geschaffen, kamen die Altbayern und
 2008 titelten Medien „Wird Bayern          Pfälzer mit den Franken und Schwaben
 deutsch?“9, und nach der Landtags-         – die wesentliche Grundlage für die
 wahl 2018 hieß die Heute Show des          Vielfalt des Landes – zusammen. Auf
 ZDF in der Sendung vom 19. Oktober         den vergleichbaren Ansatz des Hauses
 Bayern als „normales Bundesland“           der Geschichte Baden-Württemberg in
 willkommen. Konkret nachweisbar ist        Stuttgart sei verwiesen. Wir orientieren
 in diesem Zusammenhang der Rück-           uns am Bayerischen Nationalmuseum
 zug der Dialekte aus den bayerischen       und schließen, mit einer „Schnittmen-
 Ballungsräumen. Zahlreiche kulturelle      ge“ im 19. Jahrhundert, zeitlich an des-
 Phänomene in Bayern – der im Dialekt       sen Präsentation bei anderer themati-
 gehaltene Bayernfilm, bayerische Mu-       scher Ausrichtung an. Gleichermaßen
 sikgruppen, entsprechende Internetfo-      richten wir daran unser Sammlungs-
 ren, vielfältige Geschichtskultur, neue    konzept aus, das den Schwerpunkt im
 Zeitschriften wie MUH oder das Kaba-       20. und 21. Jahrhundert setzt und damit
 rett – zeigen komplementär zum Phä-        in die Zukunft zielt und dementspre-
 nomen der Internationalisierung und        chend auch die mediale Überlieferung
 Globalisierung einen vielfältigen, auf     besonders beachtet.
 Bayern bezogenen Identitätsdiskurs ge-         Neben den Grundlagen, die im 19.
 rade auch in der jüngeren Generation.      Jahrhundert für das moderne Bayern
 Insgesamt erweist sich der Freistaat       gelegt wurden, wirken sehr viel ältere
 Bayern als ein Land erheblicher Dy­        Traditionslinien in die Gegenwart, wel-
 namik. Dieser Entwicklungsprozess          che ohne deren Kenntnis nur schwer
 – das Werden des modernen, heutigen        verstanden werden kann. Dem tragen
 Bayern – soll in der Dauerausstellung      wir dadurch Rechnung, dass in eigenen
 des MdBG nachvollzogen, soweit mög-        Ausstellungssequenzen, den sogenann-
 lich erklärt und attraktiv präsentiert     ten „Kulturkabinetten“, derartige Tra-
 werden.                                    ditionen präsentiert werden, wobei wir
                                            hier über die „untere“ Zeitgrenze in die
                                            Vergangenheit zurückschreiten. Zu-
                                            dem wird im „Schauraum“, der an das
                                            Foyer grenzt, die filmische Präsentati-
Die Dauerausstellung soll an-               on „Was vorher geschah“ angeboten,
schaulich das WERDEN des modernen,          die in fünf Sequenzen die bayerische
heutigen Bayern zeigen.                     Geschichte vor 1800 zeigt. Sie eröffnet
                                            neue „Geschichtswege“ – über Monu-
                                            mente in der Stadt Regensburg, anhand
                                            derer die „gesamte“ bayerische Ge-
                                                               484/2019 // POLITISCHE STUDIEN   59
ANALYSEN

          schichte im Kontext der deutschen und      netzung bei entsprechenden Transfer-
          europäischen Geschichte erlebt werden      prozessen zur Geltung gebracht. Sie öff-
          kann.                                      net sich damit für Fragestellungen auch
                                                     der deutschen und europäischen Ge-
              Raum und Themen                        schichte.
          Entsprechend dem zeitlichen Rahmen
          steht im MdBG das Land Bayern von              Museumswissenschaftliche
          heute im Zentrum, wobei zu berück-             Methoden
          sichtigen ist, dass vor 1945 auch die      Für die Ausstellung ergibt sich aus den
          Pfalz mit Speyer, Kaiserslautern und       Fragestellungen eine chronologische
          Ludwigshafen zum Königreich bzw.           Gliederung für den Hauptteil und zu-
          Freistaat gehörte. Um den Prozess nach-    gleich eine erzählende Herangehenswei-
          vollziehen zu können, sind die wichti-     se, die in der Geschichtsforschung wie-
          gen Stationen der politischen Entwick-     der größere Beachtung findet.10 Dadurch
          lung und der Wandel der staatlichen In-    bietet sich im Sinne moderner Ge-
          stitutionen wie Regierung, Landtag         schichtsdidaktik auch ein emotionaler
          oder Judikative aufzuzeigen. Dabei wer-    Zugang,11 insbesondere durch die Erör-
          den politische Prozesse und der Wandel     terung nicht nur allgemeiner histori-
          bayerischer Staatlichkeit in Wechselbe-    scher Sachverhalte, sondern die Konkre-
          ziehung zu Gesellschaft, Wirtschaft,       tisierung an persönlichen Schicksalen.
          Kultur und Alltag entwickelt. Entspre-         Aus musealer Sicht kommt als ent-
          chend dem politischen Auftrag, das de-     scheidendes Kriterium hinzu, inwie-
          mokratische Bewusstsein zu stärken,        fern die als wichtig erachteten Sachver-
          wird es um Demokratiegeschichte ge-        halte durch Objekte darstellbar sind.
          hen, wobei die freiheitlichen und kon-     Wir wollen mit unserem Projekt die
          sensualen Traditionen Bayerns, aber        Institution „Museum“ zwar in die Zu-
          auch Brüche und Verwerfungen beson-        kunft führen, die wesentlichen Grund-
          ders zu beachten sind. Insgesamt geht es   konstanten – das Sammeln, Bewahren,
          um einen multidisziplinären Zugriff,       Präsentieren und Erschließen von Ex-
          der Impulse der „Neuen Kulturge-           ponaten – aber nicht verlassen, zumal
          schichte“ aufgreift. Die Geschichte Bay-   in der Präsentation von Originalen, ih-
          erns wird im Kontext der europäischen      rer Wahrnehmung im Kontext und
          Zentrallage des Landes verortet und in     Raum ein Alleinstellungsmerkmal des
          seiner regionalen Vielfalt und in seiner   Museums im Vergleich zu Film und
          nationalen sowie internationalen Ver-      Web besteht. Dabei können wir nicht
                                                     auf eine umfangreiche, alle Fragestel-
                                                     lungen abdeckende Sammlung zurück-
                                                     greifen. Vielfach sind wir auf Leihga-
                                                     ben angewiesen, die dem MdBG nur
       Das MdBG zeigt auf                            für eine begrenzte Zeit überlassen wer-
       MULTIDISIZIPLINÄRE Weise die                  den. Dies engt den Umfang der präsen-
       Geschichte Bayerns.                           tierbaren Themen ein und stellt hohe
                                                     Anforderungen an die Ausstellungsge-
                                                     staltung, die den partiellen Wechsel
                                                     von Exponaten ermöglichen muss,
60   POLITISCHE STUDIEN // 484/2019
ohne die gesamte Ausstellung umzuge-        dem Rat des Klassikers der Kulturge-
stalten. Ferner soll sie die Möglichkeit    schichte Johan Huizinga, der bereits
bieten, wichtige historische Themen         1919 fragte: „Welches Bild können wir
über Medien zu präsentieren, freilich       uns von einer Zeit machen, wenn wir
ohne den Besucher durch die Aneinan-        darin keine Menschen sehen?“13
derreihung von Bildschirmen sowie
Jahreszahlen- und Ereigniskolonnen zu
überfordern.
    Dem tragen wir Rechnung, indem
wir verschiedene, für den Besucher klar       Hauptthemen werden anhand
erkennbare Formate anbieten, Haupt-           konkreter Geschichten in großen
themen in „großen Bildern“ präsentie-         BILDERN präsentiert.
ren und davon Nebenthemen ableiten.
Eine zusätzliche Erschließungshilfe bie-
tet der Mediaguide, mit dem man an
derartige Ereignisfelder anschließen, sie
vertiefen und gegebenenfalls über Medi-
en nachvollziehen kann.                         Von unseren Bildern spinnen wir den
    Wichtigste – weil augenfälligste –      Erzählfaden weiter zu wichtigen Perso-
Elemente des Museums werden die             nen und verwandten Sachbereichen.
„großen Bilder“ oder „Bühnen“ sein.         Entscheidend ist dabei für den Besucher,
Darunter kann man im eigentlichen           dass er durch die Präsentation klar er-
Sinn des Wortes tatsächlich Bilder wie      kennt: Was ist das Hauptbild, was ist die
Gemälde, Fotos oder Filme verstehen,        Vertiefung? In einem Museum, das sich
wenn sie selbsterklärend einen Sachver-     demokratischen Grundsätzen besonders
halt aufzeigen. Im besten Sinn klassi-      verpflichtet zeigt, wollen wir den Besu-
scher Museumsarbeit wird es sich aber       cher nicht in eine Zwangsführung pres-
auch um „Arrangements“ handeln, das         sen, sondern ihm ein überschaubares
Zusammenführen von Objekten, deren          und individuell gestaltbares Angebot
historische Bedeutung sich erst durch       machen, bei dem er selbst auswählt, wel-
diese Inszenierung erschließt und den       che Themen er vertiefen will. Lediglich
Besucher zur intensiveren Beschäfti-        die Präsentation der NS-Zeit wird man
gung mit dem Thema anregt.                  durchqueren müssen. Folgendes Beispiel
    Wir suchen dabei die konkrete Ge-       soll diese Vorgehensweise verdeutlichen:
schichte. Diese Bilder wollen wir genau     Eines der Hauptbilder wird „Bayern in-
analysieren – das Mikroskop ist hier die    dustrialisiert mit Maß“ sein. Hier setzen
Alternative zum Teleskop. Hier endet        wir die großen Werbeschilder bayeri-
die Untersuchung und zugleich Präsen-       scher Brauereien in Verbindung mit einer
tation jedoch nicht, sie betrachtet viel-   der ersten Kältemaschinen nach dem
mehr die Wahrnehmung und auch die           Prinzip Linde. Sie ermöglichte den
Auswirkung des Ereignisses auf die          Sprung des traditionellen Bierbrauer-
Menschen und verbindet sich so mit der      Handwerks zur Exportindustrie. 1913
von Edward Thompson formulierten            stammte jedes zehnte auf der Welt ge-
Forderung, Geschichte „von unten“ zu        trunkene Bier aus Bayern.14 Diese Ge-
analysieren.12 Dabei folgen wir auch        schichte steht beispielhaft für die beson-
                                                                484/2019 // POLITISCHE STUDIEN   61
ANALYSEN

                                                                      Anmerkungen
                                                                       1 Vollhardt, Ulla-Britta: Geschichtspolitik im Frei-
                                                                          staat Bayern: Das Haus der Bayerischen Geschich-
       NACHGEORDNETE Ausstellungseinheiten                                te. Idee, Debatte, Institutionalisierung, München
       greifen fakultative weiterführende                              2
                                                                          2003.
                                                                          Glaser, Hubert (Hrsg.): Kurfürst Max Emanuel.
       und vertiefende Nebenthemen auf.                                   Bayern und Europa um 1700, München 1976.
                                                                       3 Haussherr, Reiner (Hrsg.): Die Zeit der Staufer:
                                                                          Geschichte, Kunst, Kultur, Stuttgart 1977, beson-
                                                                          ders das Vorwort von Hans Filbinger in Bd. 1, S.
                                                                          V-X; Korff, Gottfried: Zur Einführung, in: Preu-
                                                                          ßen – Versuch einer Bilanz. Bilder und Texte einer
                                                                          Ausstellung, hrsg. von Ulrich Eckhardt, Berlin
                                                                          1982, S. 14-17.
                                                                       4 L oibl, Richard (Hrsg.): Das Bayerische Textil- und
          dere Form der bayerischen Industriali-                          Industriemuseum (tim) in Augsburg, Schriften des
          sierung, die mangels Steinkohlevorkom-                          tim, Heft 1/2008, Augsburg, besonders S. 4-10.
                                                                       5 Heimatgefühl und Leben in Bayern, hrsg. von der
          men nicht auf Schwerindustrie, sondern                          Hanns-Seidel-Stiftung, München 2009; Gruber,
          auf die Weiterentwicklung klassischer                           Thomas (Hrsg.): Ansichtssache Bayern. Annähe-
                                                                          rung an eine Heimat, BR-Bayernstudie, Frankfurt
          Handwerkszweige setzte. Der Besucher                            a. M. 2010.
          kann sich ausgehend von diesem Bild die                      6 L oibl, Richard: Forschungsreise in den Mythos,
                                                                          in: Wald, Gebirg und Königstraum – Mythos Bay-
          weiteren Erscheinungsformen der Indus-                          ern. Katalog zur Bayerischen Landesausstellung
          trialisierung und ihre Auswirkungen                             2018 im Kloster Ettal, hrsg. von Margot Hamm
                                                                          u. a., Augsburg 2018, S. 12-21.
          auf Politik und Gesellschaft in nachge-                      7 Vgl. Strohmaier, Brenda: Ganz Deutschland wird

          ordneten Ausstellungseinheiten weiter                        8
                                                                          zum Hofbräuhaus, in: Die Welt, 24.3.2014.
                                                                          K ramer, Ferdinand: Kulturelle Identitäten im
          erschließen sowie ferner auf dem Media-                         Wandel, in: Archive in Bayern 3/2007, S. 171-183.
          guide zusätzliche Informationen wie                          9 Z . B. Die Zeit, 18.9.2008.
                                                                      10 Burke, Peter: Was ist Kulturgeschichte?, Frankfurt
          Film- und Hörfunkbeiträge abrufen. ///                          a. M. 2005, S. 178.
                                                                      11 Frevert, Ute: Was haben Gefühle in der Geschich-
                                                                         te zu suchen?, in: Geschichte und Gesellschaft
                                  © Haus der Bayerischen Geschichte

                                                                         35/2009, S. 183-207; Frevert, Ute / Schmidt,
                                                                         Anne: Geschichte, Emotionen und die Macht der
                                                                         Bilder, in: Geschichte und Gesellschaft 37/2011,
                                                                         S. 5-25.
                                                                      12 Thompson, Edward: The Making of the English
                                  Foto: Fred Schöllhorn

                                                                          Working Class, London 1963.
                                                                      13 Huizinga, Johan: Herbst des Mittelalters. Studien
                                                                          über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15.
                                                                          Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlan-
                                                                          den (Vorwort), Stuttgart 1975.
                                                                      14 
                                                                         L oibl, Richard: Bier in Bayern, Mythos im My-
                                                                         thos? – eine Einleitung, in: Bier in Bayern. Katalog
              /// D
                   R. RICHARD LOIBL                                     zur Bayerischen Landesausstellung 2016 in Al-
              ist Direktor des Hauses der Bayerischen                    dersbach, hrsg. von Rainhard Riepertinger u. a.,
                                                                         Augsburg 2016, S. 14-21, hier S. 20.
              Geschichte, Augsburg.

62   POLITISCHE STUDIEN // 484/2019
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