Big Lift und andere Herausforderungen - Stadion Fonte Nova, Salvador da Bahia/BR
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Architektur Big Lift und andere Herausforderungen Stadion Fonte Nova, Salvador da Bahia/BR Alles begann mit einer E-mail, die bei Claas Schulitz im Postfach landete. „Wollen Sie mit uns zusammen arbei- ten, wenn es einen Wettbewerb für die WM in Brasilien gibt?“, fragte Marc Duwe. Der brasilianische Architekt hatte mehrere, im Stadionbau erfahrene Büros ange- mailt. Schulitz antwortete spontan mit „Ja“, ohne wei- tere Fragen zu stellen. Claas Schulitz 1969 geboren in Santa Monica/ USA 1997 Dipl.-Ing. Maschinenbau, TU München 2000 Dipl.-Ing. Architektur, TU München 1991-1999 Bürotätigkeit, HLTechnik München, Richard Rogers Partnership London/GB und PS Company Kumamoto, Tokio/JP 2000-2001 Arup Associates London/GB (Environmental Engineering) 2001 Schulitz+Partner, Braunschweig 2003 Partnerschaft mit Helmut C. Schulitz und Marc Schulitz 2007 Geschäftsführer Schulitz Architekten GmbH, Braunschweig Dr. Matthias Kutterer Matthias Kutterer arbeitet seit 1991 für die RFR Group und gründete im Jahr 1999 die Stuttgarter Niederlassung des Büros, die RFR Ingenieure GmbH. Zusammen mit seinem Team arbeitete er bereits an der AWD Arena Hannover, dem Atriumdach der SAP Offices in Galway/IR und dem Panorama- aufzug in Königstein. Seine Doktorarbeit über Sandwich-Systeme und Mehrschichtgläser verfasste er am ILEK in Stuttgart. 30 163 1–6
Architektur | Stadion Fonte Nova, Salvador da Bahia/BR Schnitt AA, M 1 : 1 750 Schnitt BB, M 1 : 1 750 Das neue Stadion umfasst ein Pano ramarestaurant, ein Fußballmuseum, Parkhäuser, Ladengeschäfte, Hotels und ein Veranstaltungszentrum Den einzigen Architekturwettbewerb für die WM hat die Kommune der Millionenstadt Salvador ausgelobt – schneller als erwartet und noch vor dem Zuschlag der FIFA für Bra- silien als Austragungsort. Ein tragisches Un- glück mit mehreren Toten forcierte die Aus- lobung: 2007 war in der alten, maroden Fußballarena eine Tribüne eingestürzt. „Für den Wettbewerb gab es keine Vorgaben – we- der ein Raumprogramm noch brasilianische Baugesetze“, erinnert sich der Braunschwei- ger Architekt, der im Team mit seinem Vater Helmut Schulitz und Bruder Marc Schulitz schon die AWD-Arena (jetzt HDI-Arena) in Hannover für die Fußball-WM 2006 gebaut hat. „Ähnlich wie in Hannover schlugen wir zunächst den Umbau des bestehenden Sta- dions vor“, fährt er fort. „Im Laufe der Pla- nungen hat sich jedoch gezeigt, dass man das Stadion nur abreißen konnte.“ Das transatlantische Architektenduo gewann den Wettbewerb im Herbst 2008, weil es die alte Form wahrte und mit einem neuen, leichten Membrandach versah. Traditionelle Hufeisenform + Nachhaltigkeit Das alte Stadion war im Grundriss wie ein Hufeisen angelegt. Diese, aus der Antike stammende Anordnung ist in Brasilien sehr beliebt. In Salvador liegt die Sportstätte nahe dem Stadtzentrum und öffnet sich mit einer großen Geste zum See im Süden. Die Öff- nung dient nicht nur der besseren Durchlüf- tung im heißen Klima sondern bietet die Möglichkeit, das 50 000 Zuschauer fassende Stadion das ganze Jahr über für weitere Ver- 32
Rendering Schulitz/ Tetra Arquitetura Foto: Ulisses Dumas (Bapress) Der Neubau ist eine reine Fußball Die Hufeisenform des Stadions arena und bietet knapp 49 000 erlaubt eine gute Durchlüftung Menschen Platz. Um Platz für das neue Stadion zu schaffen, musste das alte, 1951 errichtete Stadion an gleicher Stelle weichen Foto: Manu Dias (Agecom) Grundriss Ebene 0, M 1 : 2 000 DBZ 7 | 2013 DBZ.de 33
Foto: Schulitz Architekten Detail Schnitt, M 1 : 500 Der äußere Druckring wurde ebenfalls in Stahl ausge führt, obwohl er zuerst in Beton geplant war anstaltungen zu nutzen. In der offenen Zone können temporäre Bühnen für Konzerte oder Theater errichtet werden. Besonders spekta- kulär ist das Restaurant, das als schmale Brücke in der Öffnung schwebt. Die gute An- bindung des Stadions an den öffentlichen Nahverkehr soll den Individualverkehr und die Umweltbelastung reduzieren. Auch soll der Neubau die Umgebung sozial aufwerten. Schon jetzt steigen die Mieten im Umfeld. „Leider hatten wir als Planer keinen Einfluss auf die Gestaltung des direkten Umfelds“, betont Claas Schulitz. Die größte Heraus- forderung für ihn war, „überhaupt an dem Detailpunkt 1, Isometrie, o.M. Detailpunkt 2, Isometrie, o.M. Projekt dranzubleiben“, wie er sagt. Er ist in den fünf Jahren Bau- und Planungszeit fast 30 Mal nach Brasilien geflogen, hat Portugie- sisch gelernt, „weil man mit Englisch in Bra- silien nicht weiter kommt“, und ein halbes Jahr vor Ort gearbeitet. „Die Planungskultur in Brasilien ist eine andere“, sagt er diploma- tisch. „Da es überhaupt keine Vorschriften gab, haben wir zunächst nach deutschen Re- geln geplant (Versammlungsstätten VO). Dann kam die FIFA und ordnete an, nach den englischen Regeln (Green Guide) umzuplanen. Das galt vor allem für die Rettungswege.“ Besonders stolz ist er auf die Realisierung Detailpunkt 3, Isometrie, o.M. Detailpunkt 4, Isometrie, o.M. des Membrandaches. Materialminimiertes Membrandach „Seilverspannte Membrandächer waren in Brasilien bisher nicht so bekannt“, meint Claas Schulitz. „Die Brasilianer hatten Angst davor. Deshalb wollten sie immer wieder zu einem Kragdach als Tribünendach wechseln und haben Gegenentwürfe gemacht.“ Nach viel Überzeugungsarbeit ist schließlich das extrem materialminimierte Dach verwirklicht worden, das stützenfrei über den Zuschauer- rängen schwebt und so eine optimale Sicht auf das Spielfeld bietet. Die filigrane Stahl- konstruktion, die den Prinzipien eines Spei- Detailpunkt 5, Isometrie, o.M. Detailpunkt 6, Isometrie, o.M. chenrades folgt, entstand im Team mit den 34
Stadion Fonte Nova, Salvador da Bahia/BR | Architektur Foto: Schulitz Architekten Foto: Schulitz Architekten Foto: Schulitz Architekten Das Stadion ist nach LEED zertifiziert. Redukti Für die Dachkonstruktion wurde eine geschlossene Argentinische Gebirgskletterer spannten die on des Wasserverbrauchs durch Regenwassernut Ringkonstruktion entwickelt. Mit Kränen und Seil PTFEPlanen in schwindelerregender Höhe über zung; Wiederverwendung von Materialien; Op winden wurde das Dach „hochgezogen“. Eine Be das leichte Stahltragwerk timierung des Energieverbrauches; Nachhaltige sonderheit ist die zwischen den Seilringen ange Organisation des Bauablaufs; Bewertung des Pri ordnete Dachmembran, die von hohen Luftstützen märenergieverbrauches der einzelnen Materialien durchstoßen wird. Das Gewicht liegt bei 45 kg/m² Stuttgarter Ingenieuren RFR, die schon er- folgreich mit den Architekten das Stadion- dach in Hannover realisiert haben und in Salvador vom Wettbewerb an dabei waren. Für den Generalunternehmer, ein Konsorti- um aus zwei großen brasilianischen Bau- firmen, schien die Errichtung der seilver- Baudaten Fachplaner spannten Konstruktion immer problematisch. Objekt: Membrandach: Denn man kann erst nach dem so genannten Itaipava Arena Fonte Nova, BR RFR Ingenieure GmbH, Stuttgart, www.rfr-stuttgart.de „Big Lift“ mit dem „Innenausbau“ im Stadi- www.itaipavafontenova.com.br on beginnen. Im Herbst 2012 war es endlich Tribüne und Gründung: Standort: Salvador da Bahia/BR Setepla Tecnometal Engenharia Ltda, São Paulo,BR soweit: Mit einer Armada von Kränen und www.setepla.com.br Seilwinden wurde das Dach „hochgezogen“, Bauherr/Nutzer: fast vergleichbar mit dem Richten eines Fla- Fonte Nova Negócios e Participações S/A – FNP, Technische Gebäudeausrüstung: Ladeira Fonte das Pedras, s/nº, Nazaré, Salvador/BR Setepla Tecnometal Engenharia Ltda, São Paulo, schenschiffes, nur in anderen Dimensionen. www.setepla.com.br Argentinische Gebirgskletterer spannten an- Architekt: schließend die PTFE-Planen in schwindel- Schulitz Architekten mit Tetra Arquitetura Lichtplanung: Setepla, s.o. Schulitz + Partner Architekten, Braunschweig, erregender Höhe über das leichte Stahltrag- www.schulitz.de Akustik: Setepla, s.o. werk. Sein Gewicht liegt bei nur 45 kg/m². In Tetra Arquitetura, São Paulo/BR, www.tetraarq.com.br der Planung wurde sogar der äußere Druck- Projektteam: ring, der zunächst in Beton geplant war, in Claas Schulitz (Projektleiter bei Schulitz) und Marc Projektdaten Stahl umgewandelt, um Material zu sparen. Duwe (Projektleiter bei Tetra Arquitetura), Helmut Nach dem Big Lift blieben sechs Monate Bau- C. Schulitz, Sebastian Moll, Philipp Heitger, Rodrigo Dachkonstruktion: Liboni, Alessandra Agostini, Danilo Benites, Thiago Gesamtfläche: 36 500 m² zeit bis zur Stadioneinweihung am 7. April Saburo Inoue, Carlos Eduardo Viani Caser, Filipe 2013. Zum Teil arbeiteten bis zu 4 000 Arbei- General Silva Membraneindeckung (PTFE): ca. 28 000 m² ter in drei Schichten Tag und Nacht bis zur Bauleitung: von Baufirma erbracht Metalleindeckung (Druckring): ca. 8 500 m² Fertigstellung. Der Einsatz hat sich gelohnt. Ein Jahr vor der Fußball-WM finden in der ProjektIngenieur: Baukosten: ca. 230 Mio. € neuen Arena schon drei Spiele des Confede- Landschaftsarchitekt: André Sá & Francisco Mota Arquitetos, www.afa.arq.br ration-Cups statt. Ohne Zweifel wird die Arena di Fonte Nova auch nach der Fußball- Bauunternehmer: WM attraktiv bleiben. In der Millionenstadt Consortio Arena Salvador Konsortium von Odebrecht / Brazil mit OAS / BR Salvador gibt es zwei große Fußballvereine, die in der Arena antreten. 2016 wird sie Aus- tragungsort olympischer Fußballspiele sein. Planungs und Bauzeit Ganz zu schweigen von den alternativen Foto: Schulitz Architekten Nutzungen für Konzerte oder andere Groß- Planung: veranstaltungen. Für Schulitz und Partner Wettbewerb 2008, Planungszeit 2009-2012, Bauzeit 08/2010–03/2013 geht das Abenteuer Sportbau weiter: In ih- rem Heimatort Braunschweig optimieren sie gerade das Stadion für die Eintracht, die nach 28 Jahren wieder in die erste Bundesliga Die Dachkonstruktion ist extrem materialmini miert. Die Geometrie der Dachhaut sowie der tra aufgestiegen ist. Susanne Kreykenbohm, genden Seilringe muss den unterschiedlichsten Hannover Webcode DBZ3Q0UB Anforderungen optimal gerecht werden DBZ 7 | 2013 DBZ.de 35
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