Standpunkt zivile Sicherheit - BIGS Potsdam

 
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Standpunkt zivile Sicherheit - BIGS Potsdam
Standpunkt
        			                                         zivile Sicherheit
        Die Bereitstellung von Lufttransportkapazitäten
        im Katastrophenfall
        Maximilian Mueller   .   Brandenburgisches Institut für Gesellschaft und Sicherheit gGmbH

Bild: WFP . Simone Casetta

                                                                                          Nummer I   .   November 2010
Standpunkt zivile Sicherheit - BIGS Potsdam
impressum

    Das Brandenburgische Institut für Gesellschaft und
    Sicherheit (BIGS) gGmbH ist ein unabhängiges,
    überparteiliches    und     nicht-gewinnorientiertes
    wissenschaftliches Institut, das zu gesellschafts-
    wissenschaftlichen Fragen ziviler Sicherheit forscht.
    Das BIGS publiziert seine Forschungsergebnisse
    und vermittelt diese in Veranstaltungen an eine
    interessierte Öffentlichkeit. Das BIGS entstand im
    Frühjahr 2010 in Potsdam unter der Beteiligung der
    Universität Potsdam und ihrer UP Transfer GmbH
    sowie der Unternehmen EADS, IABG und Rolls-
    Royce. Es wird vom Land Brandenburg gefördert.

    Alle Aussagen und Meinungsäußerungen in diesem
    Papier liegen in der alleinigen Verantwortung des
    Autors bzw. der Autoren.

    Verfasser der Studie:
    Maximilian Mueller

    Titel der Studie:
    Die Bereitstellung von Lufttransportkapazitäten im
    Katastrophenfall

    Herausgeber:
    Brandenburgisches Institut für Gesellschaft und Si-
    cherheit gGmbH

    BIGS Standpunkte Nr. I, November 2010

    Weitere Informationen über die Veröffentlichungen
    des BIGS befinden sich auf der Webseite des Insti-
    tuts: www.bigs-potsdam.org.
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2   BIGS Standpunkt Nr. I / November 2010
Standpunkt zivile Sicherheit - BIGS Potsdam
inhaltsverzeichnis

1		Einleitung									 4

2		 Grundlagen für die Analyse                                     5
		  2.1   Ordnungsrahmen und Akteure der Hilfeleistung			          5
		2.1.1 Humanitäre Hilfeleistung auf EU-Ebene					 5
		  2.1.2 Humanitäre Hilfeleistung durch deutsche Organisationen		 5

 2.2 Lufttransportbedarf								 9
		2.2.1 Quantität des Bedarfs							 9
		2.2.2 Qualität des Bedarfs							11

3		Analyse									14
  3.1 Bereitstellung nach Status Quo							14
		3.1.1 Organisation und Marktübersicht					14
		3.1.2 Finanzierung								15
		3.1.3 Kritik am Status Quo							16

 3.2 Alternative Bereitstellungsvarianten						16
		3.2.1 Prüfung der Bereitstellungsmöglichkeiten				16
		3.2.2 Organisation und Marktübersicht					20
		3.2.3 Institutionelle Lösungen und Finanzierung				21
		3.2.4	Zwischenfazit								22
		3.2.5 Umsetzungshemmnisse							22

4		 Fazit                     									23
          4.1           Gegenüberstellung								23
          4.2           Grenzen der Studie und weiterer Forschungsbedarf				                                    24

5		                     Quellen und Referenzen							25
          5.1           Durchgeführte Informationsgespräche						25
          5.2           Literaturquellen									25

Abbildungsverzeichnis

Abbildung     1    –   Einsatz des THW im Ausland über Luftweg (Schematisch)			             6
Abbildung     2    –   Einsatz einer privaten Hilfsorganisation im Ausland über Luftweg 		  8
Abbildung     3    –   Ablauf eines Hilfseinsatzes (Schematisch)					                       9
Abbildung     4    –   Markt bei Status Quo								14
Abbildung     5    –   Entgelte bei überlasteter Infrastruktur						                       15
Abbildung     6    –   Finanzierung der Lufttransporte							15
Abbildung     7    –   Kostenverlauf									18
Abbildung     8    –   Markt bei alternativer Bereitstellung						                         20

Tabellenverzeichnis

Tabelle   1   –   Katastrophen der letzten 30 Jahre							                                                       9
Tabelle   2   –   Hilfseinsätze der letzten zehn Jahre im Ausland mit deutscher Beteiligung		                   10
Tabelle   3   –   Einheiten und Technik des THW im Ausland						                                                11
Tabelle   4   –   Hilfsgüter und Dienstleistungen von NGOs und UN-Organisationen (Auswahl)                      12
Tabelle   5   –   Systematisierung von Gütern nach Musgrave					                                                19

                                                                  Mueller - Lufttransportkapazitäten im Katastrophenfall
                                                                                                                           3
Standpunkt zivile Sicherheit - BIGS Potsdam
1. Einleitung

          Das Erdbeben in Haiti und auch die Flutkatastro-    Helikopterflüge oder Flüge mit kleinen Flugzeugen
          phe in Pakistan haben gezeigt, wie wichtig es für   möglich.
          die Rettung und Versorgung der betroffenen Men-
          schen ist, zügig Hilfe aus dem Ausland heranzu-    Wenn also das bislang zur Verfügung stehen-
          schaffen. Dies kann aufgrund der schieren Ent-     de Angebot unzureichend ist, wie soll dann eine
          fernung zum Katastrophenort und aufgrund der       Bereitstellung von Lufttransportkapazitäten für
          regelmäßig völlig zerstörten Straßen- und Hafen-   Katastrophenfälle erfolgen? In welcher instituti-
          infrastruktur häufig nur über einen Lufttransport  onellen Organisationsform soll die Bereitstellung
          der Hilfsgüter geschehen.                          erfolgen und welche Rolle muss der Staat dabei
                                                             spielen, wenn ordnungspolitische Grundsätze ge-
          Das Angebot an geeigneten Lufttransportkapazi- wahrt bleiben sollen?
          täten ist jedoch unzureichend, da sich unmittelbar
          nach einer Katastrophe Kapazitätsengpässe er- Im Rahmen dieser ersten Studie soll geklärt wer-
          geben, die zu erheblichen Preisaufschlägen oder den, welches die optimale Bereitstellungsform für
          Wartezeiten führen und damit müssen Versor- Lufttransportkapazitäten für Katastrophenfälle ist,
          gungsausfälle überlebensnotwendiger Güter und welche Akteure die Herstellung des Angebots an
          Dienstleistungen in Kauf genommen werden.          Lufttransportkapazitäten übernehmen können und
                                                             wie die Finanzierung gestaltet werden kann. Fer-
          Auch qualitativ ist das derzeit auf dem privaten ner soll ein Ausblick gegeben werden, in welchem
          Markt vorhandene Angebot unzureichend. Große organisatorischen Rahmen dies erfolgen kann. Am
          Transportmaschinen benötigen gut ausgebaute Ende steht eine Bewertung der unterschiedlichen
          Start- und Landebahnen. Wenn aber der nächs- Gestaltungsvarianten.
          te funktionsfähige Flughafen weit vom Katastro-
          phenort entfernt und die Straßeninfrastruktur in Das Forschungsprojekt ‚Die Bereitstellung von
          das Katastrophengebiet zerstört ist, wie es sich Lufttransportkapazitäten im Katastrophenfall‘
          am Beispiel von Pakistan zeigt, ist die Versorgung wurde unter anderem durch die finanzielle Unter-
          mit Hilfsgütern nur kostenaufwendig über viele stützung von Airbus Military ermöglicht.

Bild: THW BIGS Standpunkt Nr. I / November 2010
Standpunkt zivile Sicherheit - BIGS Potsdam
2. Grundlagen für die Analyse

2.1   Ordnungsrahmen und Akteure der                 durch die Partnerorganisationen von ECHO.3
      Hilfeleistung                                  Die Mittel werden an die Mitglieder auf Antrag und
                                                     nach dessen Überprüfung bereitgestellt.
Die Akteure der humanitären Hilfeleistung lassen
sich in staatliche und private Organisationen un- 2.1.2 Humanitäre Hilfeleistung durch
terteilen. Hilfsorganisationen sind auf allen Ebe-            deutsche Organisationen
nen miteinander vernetzt, manche Organisationen
sind sogar weltweit aufgestellt (z. B. International a) Staatliche humanitäre Hilfeleistung
Federation of Red Cross [IFRC]).                     In Deutschland wird die staatliche Katastrophenhilfe
                                                     generell durch die Bundesanstalt Technisches Hilfs-
Beispiele für Netzwerke auf verschiedenen Ebenen: werk (THW) und durch die Bundeswehr geleistet.
•       Welt-Ebene (z. B. United Nations Office
        for the Coordination of Humanitarian Af-     Im Grundgesetz wird gemäß Art. 87a(2) und Art.
        airs [OCHA])                                 35 die Zuständigkeit der Bundeswehr für Einsät-
•       EU-Ebene (z. B. European Commission 		       ze zur Katastrophenabwehr im Inland geregelt. In
        Humanitarian Aid & Civil Protection          der Vergangenheit war die Bundeswehr auch an
        [ECHO])                                      humanitären Einsätzen im Ausland beteiligt, z. B.
•       nationale Ebene (z. B. Arbeitsstab und Ko-   bei den Tsunamikatastrophen in Thailand und In-
        ordinierungsausschuss Humanitäre Hilfe       donesien (2004) und dem Erdbeben in Sichuan in
        des Auswärtigen Amtes)                       China (2008), bei denen nicht nur Maßnahmen der
                                                     Katastrophenabwehr, sondern auch Lufttransporte
Im Folgenden wird, soweit es für diese Studie not-   mit Hilfsgütern durchgeführt wurden.4
wendig ist, eine Auswahl von Organisationen und      Derartige Einsätze sind nach ministeriellen Vorga-
Vernetzungsformen skizzenartig und beispielhaft      ben geregelt, auf deren Grundlage Truppenteile und
beschrieben.                                         Dienststellen der Bundeswehr für die Hilfeleistung
                                                     bei Naturkatastrophen, Unglücksfällen und der
2.1.1 Humanitäre Hilfeleistung auf EU-Ebene          dringenden Nothilfe eingesetzt werden können.5

Mit der European Commission Humanitarian Aid &       Grundlage für internationale Hilfseinsätze des
Civil Protection (ECHO) wurde auf EU-Ebene eine      THW sind bilaterale und multilaterale Abkommen6
Institution gegründet, in der sich mehr als 200      sowie Einsätze in besonderem Auftrag des Bun-
Partnerorganisationen, darunter Nichtregierungs-     des und bei Auftragserteilung der hilfesuchenden
organisationen (NGOs), das Rote Kreuz und Orga-      Staaten.
nisationen der Vereinten Nationen (UN), wie z. B.    Die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk wurde
die WHO, die Flüchtlingskommission und das WFP,      bewusst als nicht-militärische Organisation ge-
vereinen.1                                           gründet und leistet auf Grundlage §1 Abs. 2 des
                                                     THW-Gesetzes im Auftrag der Bundesregierung
Im Rahmen der Verordnung 1257/96 hat die Eu-         technische Hilfe auch im Ausland. Das THW be-
ropäische Kommission ein Instrumentarium ge-         findet sich im Geschäftsbereich des Bundesminis-
schaffen, um finanzielle Mittel für Soforthilfe-     teriums des Innern (BMI). Dem THW stand in den
maßnahmen, Maßnahmen zur Verhinderung von            Jahren 2008 ein Etat in Höhe von 135 Mio. Euro
Katastrophen sowie Wiederaufbaumaßnahmen             und 2009 rund 176 Mio. Euro zur Verfügung.7
unter Zuständigkeit von ECHO bereitstellen zu
können. Das jährliche Budget von ECHO beträgt Organisationsablauf für einen Hilfseinsatz
mittlerweilen mehr als 700 Mio. Euro.2           des THW

Zu den Grundaufgaben von ECHO gehört die Ver-        Wenn sich im Ausland eine Katastrophe abzeich-
sorgung mit Hilfsgütern (Grundnahrungsmittel,        net oder bereits eingetreten ist, reicht das THW
medizinische Ausrüstung, Medikamente, Kraft-         eigenständig einen Vorschlag über einen mögli-
stoff) sowie Dienstleistungen (medizinische Ver-     chen Hilfseinsatz beim Auswärtigen Amt (AA) ein.
sorgung, Wasseraufbereitung, logistische Unter-      In Abstimmung mit dem BMI erfolgt die Genehmi-
stützung). Die Erbringung der Leistungen erfolgt     gung für einen solchen Einsatz durch das AA.

                                                                                                                        5
                                                               Mueller - Lufttransportkapazitäten im Katastrophenfall
Standpunkt zivile Sicherheit - BIGS Potsdam
Ein vergleichbares Leistungsportfolio gibt es bei an-                     In der Regel wurden die Transportaufträge öf-
    deren Hilfsorganisationen in Europa bislang nicht.                        fentlich auf dem privaten Markt ausgeschrie-
    Das Know-how und die technische Ausstattung                               ben, wenn sie nicht in besonderem Auftrag des
    sollen in anderen europäischen Ländern jedoch                             Bundes durch die Bundeswehr oder etwa andere
    aufgebaut werden, wobei das THW mit seiner                                staatliche Organisationen durchgeführt wurden.9
    Expertise und Erfahrung beratend zur Seite steht.8

    Abbildung 1 - Einsatz des THW im Ausland über Luftweg

            Katastrophe im
               Ausland

      Projektvorschlag an AA nach
          Abstimmung mit BMI

                                    nein
            Genehmigung                              Vorgang
             durch AA                              abgebrochen

              ja

         Marktüberprüfung zur
            Vergabe eines
          Transportauftrages
             gemäß VOL

                                     nein           Anfrage von
             Auswertbare
                                            Lufttransportkapazitäten bei
              Angebote
                                                 BMVg und anderen

              ja

                                                                           nein       Prüfung alternativer
                                                   Auswertbare
       Auswertung und Vergabe                                                         Transportmittel und
                                                    Angebote
                                                                                            -wege

              ja                                    ja

          Koordinierung und
          Einsatzausführung
                                             Auswertung und Vergabe

                                                Koordinierung und
                                                Einsatzausführung

                                                                           (schematisch, eigener Entwurf)

6   BIGS Standpunkt Nr. I / November 2010
Liegt auf dem privaten Markt kein entsprechendes     Zusammenschlüsse von Hilfsorganisationen in
            Angebot zur Durchführung eines Transportauftra-      Deutschland sind bspw. der „Koordinierungsaus-
            ges vor, wird erst in nächster Instanz eine An-      schuss Humanitäre Hilfe des Auswärtigen Amtes“,
            frage beim Bundesministerium der Verteidigung        der neben dem THW als staatlichen Akteur einige
            (BMVg) platziert. Dies geschieht im Rahmen der       weitere private Hilfsorganisationen zusammen-
            Amtshilfe. Da für diesen Fall keine entsprechen-     führt 12, und die „Aktion Deutschland Hilft – Das
            den Bereitschaftsstufen vereinbart sind, stehen      Bündnis der Hilfsorganisationen e. V.“ (ADH). Das
            die Kapazitäten in der Regel erst nach mehr als      Einsatzspektrum der Hilfsorganisationen (z. B.
            48 Stunden bereit.                                   Deutsches Rotes Kreuz, Johanniter-Unfall-Hilfe,
            Die Verrechnungssätze für Transporte durch die       World Vision Deutschland) reicht von Medikamen-
            Bundeswehr liegen jedoch, sofern sie nicht in be-    ten- und Nahrungsmittelversorgung über medi-
            sonderen Ausnahmefällen durch den Bund getra-        zinische Versorgung (Personal, aber auch mobile
            gen werden, oberhalb des Marktpreisniveaus, weil     Krankenhäuser13) bis hin zur Unterstützung beim
            die Flüge unpaarig sind (also leer zurückfliegen),   Bau von Ver- und Entsorgungseinrichtungen.14
            während ein privater Spediteur eine Maschine in
            der Nähe des Zielortes weiter verchartern und        Ein Beispiel für die Beschaffung von Lufttrans-
            somit eine deutlich bessere Auslastungs- und Ko-     portkapazitäten durch private Hilfsorganisationen
            stenstruktur realisieren kann.10                     ist in Abbildung 2 skizziert.
            Die logistische Abwicklung im Lufttransportfall
            wird beim THW durch eine speziell geschulte          Anders als bei der staatlichen Form der huma-
            Sondereinheit (SEE-Lift) durchgeführt.11             nitären Hilfeleistung muss keine Ausschreibung
                                                                 eines Transportauftrages stattfinden. Sofern die
            b)   Private humanitäre Hilfsorganisationen          Möglichkeit der Beiladung bei einem staatlich fi-
                                                                 nanzierten Lufttransport möglich ist, findet eine
            Zum Spektrum der privaten Akteure im Bereich         Koordinierung bspw. durch das THW oder das
            der humanitären Hilfeleistung gehören sowohl         BMVg statt.
            konfessionelle als auch private Einrichtungen. Die   Gibt es keine Beilademöglichkeit, müssen die
            Form der formellen oder informellen Zusammen-        Kapazitäten auf dem privaten Markt gechartert
            arbeit untereinander bleibt davon unberührt.         werden.15

Bild: THW                                                                 Mueller - Lufttransportkapazitäten im Katastrophenfall
Abbildung 2 - Einsatz einer privaten Hilfsorganisation im Ausland über Luftweg

                    Katastrophe im
                       Ausland

              Vorschlag für einen Einsatz
                  an den Vorstand /
                Geschäftsleitung oder
                   Anforderung der
                Partnerorganisation im
                       Ausland

                   Einsatzgenehmi-              nein
                                                                 Vorgang
                   gung und Mittel-
                                                               abgebrochen
                    bereitstellung

                      ja

                                               nein

                Staatliche Beteiligung
                   an dem Einsatz

                      ja

                                               nein

                   Nachricht über
                 Beilademöglichkeit

                      ja

                  Koordinierung und
                                                              Private Buchung
                  Einsatzausführung

                                            (schematisch, eigener Entwurf)

8   BIGS Standpunkt Nr. I / November 2010
2.2 Lufttransportbedarf

2.2.1   Quantität des Bedarfs

                                               sogenannten Nachsorge, bei denen die Transporte
Ein schematischer Ablauf eines Hilfseinsatzes im
                                               in der Regel nicht mehr über den Luftweg abgewi-
Katastrophenfall ist in Abbildung 3 dargestellt.
Je nach Art der Katastrophe und Erreichbarkeit ckelt werden. Die ersten vier bis acht Wochen16 in
                                               denen die Soforthilfemaßnahmen erfolgen (und
des Zielgebietes ist dabei der Bedarf an Lufttrans-
portkapazitäten unterschiedlich hoch.          bei denen der Material- und Personalbedarf durch
                                               Lufttransporte gedeckt wird) erlauben eine gewis-
Bei „guter Erreichbarkeit“, also auch über den se Planbarkeit des weiteren Bedarfs, sodass die
See- und/oder Landweg, folgen nach den Sofort- Transporte auch über langsamere Transportwege
hilfemaßnahmen anschließende Maßnahmen der möglich und dabei weniger kostenintensiv sind.

Abbildung 3 – Ablauf eines Hilfseinsatzes

                         Erkundungs-
  Aufkommen einer
                            trupp
    Katastrophe

             Beginn eines
             Hilfseinsatzes

                                    Soforthilfe

                                                                Anschließende Maßnahmen /
                                                                         Nachsorge

        t0          t1                    t2       t3                                                      tn Zeit

                                                                                                (schematisch, eigener Entwurf)

Ist das Zielgebiet allerdings über den See- oder                (laut Tabelle 1 eine der häufigsten Katastrophen-
Landweg nicht bzw. nicht „gut“ oder nicht „sicher“              fälle), sind die Seehafeninfrastruktur und deren
erreichbar, müssen die Transporte auch nach der                 landseitige Verkehrsanbindung zumeist zerstört
Soforthilfe, also während der gesamten Nach-                    und die hilfesuchende Region ist daher über den
sorge, über den Luftweg erfolgen. Dies ist bspw.                Seeweg nicht erreichbar. Dies ist z. B. derzeit in
bei den Einsätzen des World Food Programme in                   Pakistan der Fall.
Afrika regelmäßig der Fall.17 Vor allem bei Fluten

Tabelle 1 – Katastrophen der letzten 30 Jahre

Art der Katastrophe				                                             Anzahl der Katastrophenfälle

Erdbeben								660
Dürren/Hungersnöte							640
Fluten									2.157
Vulkanische Eruptionen							123
Stürme 								1.864

                                                  Daten: Guha-Sapir et al. (2004): 30ff. übernommen in Schulz (2008): S. 24.

                                                                            Mueller - Lufttransportkapazitäten im Katastrophenfall
                                                                                                                                     9
Die durchschnittliche jährliche Häufigkeit von       Um den quantitativen Bedarf an Lufttransport-
     Katastrophen steigt.18 Zugleich nimmt auch die       kapazitäten für Hilfseinsätze zu skizzieren, sind
     Teilnahme Deutschlands an Dienstleistungen der       in Tabelle 2 die Katastrophenfälle im Ausland auf-
     Katastrophenhilfe zu und somit auch der Bedarf       gelistet, bei denen sich deutsche Hilfsorganisati-
     nach Transportkapazitäten für Katastrophenfälle.     onen mit Hilfsmaßnahmen beteiligt haben.

     Tabelle 2 – Hilfseinsätze der letzten zehn Jahre im Ausland mit deutscher Beteiligung

     Jahr			Ort					Katastrophe

     2010			Pakistan				Flut
     2010			Chile					Erdbeben
     2010			Haiti					Erdbeben
     2009			Indonesien				Erdbeben
     2009			Indonesien				Erdbeben
     2009			Vietnam					Taifun
     2009			Philippinen				Taifun
     2009			Afrika					Flut und Hochwasser
     2009			Sri Lanka				Gefechte
     2009			Simbabwe				Cholera
     2008			Pakistan				Erdbeben
     2008			Kongo					Flüchtlingskatastrophe
     2008			Birma					Zyklon
     2007			Mexiko und Mittelamerika		Flut
     2007			Afrika (Sahel/Ostafrika)			Flut
     2007			Peru					Erdbeben
     2007			Bangladesh				Zyklon
     2007			Südasien				Flut
     2006			Libanon					Hilfsprojekte
     2006			Java, Indonesien			Erdbeben
     2005			Westafrika				Hungersnot
     2005			Pakistan/Nordwest-Indien		Erdbeben
     2005			New Orleans				Hurrikan
     2004			Südasien				Seebeben
     2003			Bam, Iran				Erdbeben
     2003			Irak					Hilfseinsätze
     2003			                     Darfur, Sudan				                    Bewaffneter Konflikt zwischen der
     								Regierung und verschiedenen
     								bewaffneten Gruppen
     2002			                     Südliches Afrika (Hungersnot)		      Hilfsprojekte (Hungersnot)

     Daten: ADH (Datum unbekannt).

     Eine Ermittlung des tatsächlichen quantitativen      Bedarf, der in den meisten Fällen weder zeitlich
     Bedarfs an Lufttransportkapazitäten konnte im        noch transportmengenmäßig langfristig und ge-
     Rahmen dieser Studie noch nicht erfolgen.            nau „planbar“ ist. Es erscheint daher zielfüh-
     De facto handelt es sich bei Soforthilfemaßnah-      rend, eine qualitative Betrachtung des Bedarfs
     men im Rahmen der Katastrophenhilfe um einen         vorzunehmen.

10   BIGS Standpunkt Nr. I / November 2010
2.2.2   Qualität des Bedarfs

Neben den generellen Qualitätskriterien wie Ver-       kapazitäten hinsichtlich Ladevolumen und Ge-
fügbarkeit, Pünktlichkeit, Schnelligkeit und Sicher-   wicht bereit stehen. Das THW hält für Ausland-
heit ergeben sich je nach Einsatzart weitere, ganz     seinsätze die in Tabelle 3 beschriebenen Einheiten
besondere qualitative Anforderungen an die Trans-      und Technik vor, für welche die Mitarbeiter des
portkapazitäten. Von der Seite des Güterzuflusses      THW speziell geschult sind.19 So ist ein schneller,
müssen Transportmittel mit ausreichenden Lade-         zielgerichteter Einsatz möglich.

Tabelle 3 – Einheiten und Technik des THW im Ausland

Einheiten und Technik des THW im Ausland

High Capacity Pumping Modules (HCP)			 Hochleistungs-Wasserpumpen mit einer Leistung
							                                von bis zu 15.000 Litern pro Minute. Dabei kann
							das Wasser über eine Distanz von bis zu 1.000 m
							gepumpt werden. Die HCP-Module können auch
							in schwierigem Gelände arbeiten und sind autark
							einsetzbar.
							 • Gewicht/Volumen: bisher keine Angaben
							 • Transportmöglichkeit: derzeit nur Landweg
							Ausnahme beim Hochwasser von New Orleans, Trans-
							port in durch die US Air Force bereitgestellten Flugzeugen

Schnell-Einsatz-Einhei					Aus den Praxisanforderungen heraus entwickelte,
Bergung Ausland (SEEBA) 				 weltweit einsetzbare Einheit für Rettungs- u. Ber-
							gungseinsätze zur biologischen Ortung, techni-
							schen Bergung u. medizinischen Versorgung. Bis-
							herige Einsätze bspw. bei den Erdbeben in Indien,
							der Türkei, im Iran und in Pakistan.Das Team be-
							steht aus bis zu 68 Einsatzkräften.
							 • Gewicht/Volumen: 15 t bei 75 m³
							 • Transportmöglichkeit: nicht für High-Loader
							geeignet, Gerätschaften und Personal können
							 in herkömmlichen Transportflugzeugen nicht ge-
							 meinsam fliegen

Schnell-Einsatz-Einheit für Logistikabwicklung		 Sorgt im Inland für die schnelle Verlastung der
im Lufttransportfall (SEE-Lift)				              Einsatzeinheiten und des Materials in enger Zu-
							sammenarbeit mit dem Flughafen unter Berück-
							sichtigung aller Vorgaben und Bestimmungen,
							insbesondere Gefahrgut- und Zollabwicklung.
							                                                    • Kein Transport notwendig

Schnell-Einsatz-Einheit Wasser Ausland (SEEWA) Zu den Aufgaben der SEEWA zählen die Erkun-
							dung, die mobile Trinkwasseraufbereitung, die
         							Wasserabgabe, die Wasseranalyse, die technische
 							                                       Beratung und die Instandsetzung zerstörter Was-
							serversorgungssysteme. Die Einheiten bestehen
							aus je neun Einsatzkräften.
							 • Gewicht/ Volumen: ca. 30 t Material, modula-
							rer Aufbau der Trinkwasseraufbereitungsanlagen
						  in 15 m³ und 6 m³ Einheiten
							 • Transportmöglichkeit: gängige Transportflug-
							zeuge

Technical Assistance Support Teams (TAST) 		Technisch ausgebildete Teams zur Unterstützung
							von Erkundungs- und Koordinierungsteams in den
						                                      Bereichen Administration/IT/ Kommunikation, Logis-
							tik, Transport. Ein Team besteht aus vier Einsatz-
							kräften mit leicht transportierbarer Ausrüstung.

							                                                    • Gewicht/Volumen: leichte Ausstattung
							                                                    • Transportmöglichkeit: unproblematisch

								                                                                           (eigener Entwurf), Daten: THW

                                                                 Mueller - Lufttransportkapazitäten im Katastrophenfall
                                                                                                                          11
Wie der Tabelle zu entnehmen ist, kommen für                die Iljuschin IL-76 und Transall C-160 gechar-
     die Verlastung der Einheiten und Technik (bspw.             tert worden.21 Beide Flugzeugtypen stehen in
     die High Capacity Pumping Modules des THW zur               den kommenden Jahren zur Ausmusterung an.
     Hochwasserbekämpfung) zum Teil nur größere,
     spezielle Transportflugzeuge in Frage.                      Der Transportbedarf bei NGOs übersteigt eben-
     Vor dem Hintergrund der Ausweitung derartiger               falls zum Teil die Transportkapazitäten gängiger
     Hilfsaktivitäten mit schweren Gerätschaften aus             Verkehrsflugzeuge, so bspw. die mobilen Kran-
     anderen EU Mitgliedsstaaten20 ist mit einer Nach-           kenhäuser des Roten Kreuzes (siehe Tabelle 4).
     fragesteigerung nach Transportkapazitäten in die-           Je nach Größe, Gewicht und Zielort der Fracht
     sem Segment zu rechnen.                                     kommen also Flugzeuge der Linienfluggesell-
     Dieser Bedarf kann auf EU-Ebene derzeit nur                 schaften22 oder große Frachtflugzeuge, wie bspw.
     teilweise gedeckt werden. In der Vergangen-                 die Antonov An-124 (mit 120 t Nutzlast und
     heit sind durch das THW Transportflugzeuge wie              800 m³ Ladevolumen)23, in Frage.

     Tabelle 4 – Hilfsgüter und Dienstleistungen von NGOs und UN-Organisationen (Auswahl)

     Hilfsgüter und Dienstleistungen von NGOs und UN-Organisationen (Auswahl)

     Personal			                             Speziell auf den Katastropheneinsatz geschultes medizinisches,
     				                                    logistisches, betreuendes und anderes Personal.

     				 • Reisemöglichkeit: je nach Katastrophenort mit Flugzeugen
     					  per Linie oder charter, bzw. Helikopter oder Landweg
     					(Abhängig von der Erreichbarkeit)

     Medikamente, Nahrung,                   Kann in gemäß Standard verpackt und palettiert werden und ist in
     Decken, Zelte			                        gängigen Verkehrsflugzeugen transportierbar.

     				                                    •      Gewicht/Volumen: unproblematisch
     				                                    •      Transportmöglichkeit: je nach Katastrophenort

     Mobile Krankenhäuser (IFRC) Für den direkten Einsatz im Katastrophengebiet konzipierte, autark
     				                        funktionsfähige Krankenhäuser u.a. mit einer „Notfallaufnahme,
     				                        einen Operationsaal, eine Mutter-Kind-Station, eine Röntgeneinheit,
     				                        ein Labor und eine Apotheke. Neben der ambulanten Behandlung er-
     				möglichen bis zu 120 Betten die stationäre Aufnahme von Patienten.“24

     				 •                                         Gewicht/Volumen: keine Angaben
     				 •                                         Transportmöglichkeit:
     					                                          derzeit in Iljuschin IL-76 oder Antonov An-124

     Standard Health Kit (NEHK98) Medikamente und medizinisches Equipment zur medizinischen Versor-
     				sorgung von 10.000 Menschen über einen Zeitraum von 3 Monaten.

     				                         •      Gewicht/Volumen: 865 kg bei 3,41 m³ pro Kit
     				                         •      Transportmöglichkeit: auch in Passagierflugzeugen
     					transportierbar

     (eigener Entwurf), Daten: DRK (Datum unbekannt), WHO (Datum unbekannt), Interview mit Bundesanstalt THW und Johanniter

12   BIGS Standpunkt Nr. I / November 2010
In Bezug auf das Kriterium Landungsmöglich-           sein. Bestimmte Flugzeugtypen sollten daher als
keiten sind die Auswahl der einsetzbaren Trans-       Standard beim Transport im Rahmen der Sofort-
portmaschinen und ihre Anzahl durch die soge-         hilfe nicht zum Einsatz kommen.
nannten Entladekapazitäten am Katastrophenort
oft weiter begrenzt.25                            Sind die Landekapazitäten des Flughafens, wie
                                                  z. B. im Fall von Haiti, überlastet oder zerstört,
Beim Transportmittel Flugzeug ist die Be- und kann das Katastrophengebiet nur über einen wei-
Entladekapazität im Wesentlichen definiert durch: ter entfernten Flughafen erreicht werden (die Lo-
                                                  gistikkette wird dann um entsprechende Transpor-
• Länge, Material und Zustand der Start- und      te über den Landweg verlängert) oder es müssen
   Landebahn, wodurch die Auswahl der Muster Flugzeuge eingesetzt werden, die auch ohne
   (Flugzeugtypen) eingeschränkt wird. 		 Flughafeninfrastruktur landen können. In diesem
   Übergroße gewerbliche Transportflugzeuge 		 Fall kommen zumeist nur militärische (oder ehe-
   benötigen insbesondere bei hohem Fracht-       mals militärische) Transportflugzeuge, wie z. B.
   gewicht eine lange und gut ausgebaute Lan-     die Iljuschin IL-76, für die Nutzung in Frage. Ge-
   debahn;                                        rade ältere Flugzeuge, wie die IL-76 entsprechen
                                                  aber nicht den Umweltbestimmungen der EU und
• Personal zur Bewältigung des Materialabflus-		 dürfen nur mithilfe von Sondergenehmigungen
   ses, damit die Parkdauer der Flugzeuge wäh-    in Deutschland landen, um hier Güter aufzuneh-
   rend des Löschens der Fracht bei begrenztem men, und stehen ohnehin (wie bereits in Kapitel
   Parkflächenangebot den Betriebsablauf nicht    2.1.2 a erklärt) bald zur Ausmusterung an.
   stört;
                                                  Ist der Güterfluss im Zielland vom Flughafen
• ggf. Infrastruktur und Kapazitäten (auch Zoll		 zum eigentlichen Katastrophenort über die Stra-
   personal) zur weiteren Beförderung der Fracht, ßeninfrastruktur auch nicht möglich, wie bei der
   damit der Güterfluss der gelöschten Fracht 		 Flutkatastrophe in Pakistan, kommen für einen
   zum Zielgebiet gewährleistet ist;              One-Stop-Auftrag (also ohne nachgelagerte Lo-
                                                  gistikkette, abgesehen von der Güterverteilung
• Slotverfügbarkeit, d. h. in welchen Zeitabstän- direkt an den Endverbraucher vor Ort) ebenfalls
   den können Flugzeuge landen und starten;       nur militärische Transportflugzeuge in Frage.

•   ggf. Treibstoffverfügbarkeit und entsprechen-     Anderenfalls muss die Verteilung der Güter über
    de Pumpen, damit die gelandeten Flugzeuge         alternative Absetzverfahren oder vom nächstlie-
    ihren Rückflug aufnehmen können;                  genden intakten Flughafen aus über kostenin-
                                                      tensive Federflüge per Helikopter oder kleinen
•   ggf. Lagerkapazitäten zur Zwischenlagerung        Flugzeugen erfolgen, was sich insbesondere beim
    der Fracht, falls eine direkte Weiterbeförde-		   Transport von übergroßen, sperrigen Gerätschäf-
    rung der Fracht nicht möglich oder nicht er-		    ten als problematisch darstellt.
    wünscht ist.
                                                   Für diese speziellen Fälle kann und sollte eine
                                                   Nutzen-Kosten-Abwägung stattfinden. Zur Er-
                                                   mittlung einer allgemein haltbaren Aussage eig-
Je nach Entladekapazitäten kommen nur bestimm- net sich eine dedizierte Analyse vergangener
te Flugzeugmuster in Betracht, was die Auswahl Katastrophenhilfseinsätze im Rahmen von Fall-
stark eingrenzt. Vor allem im Rahmen der Sofort- studien.
hilfe empfiehlt es sich zudem, möglichst autark
agieren zu können und die Katastrophenhilfe un-
abhängig von äußeren Faktoren (wie bspw. den
Entladekapazitäten) zu machen um die Hand-
lungsfähigkeit sicherzustellen. Die Verlastung der
Fracht sollte daher unabhängig von High-Loadern

                                                                                                                        13
                                                               Mueller - Lufttransportkapazitäten im Katastrophenfall
3. analyse

     Die Beziehung zwischen Hilfsorganisationen und durch Angebot (von Transportkapazitäten) und
     den für Transporte von Hilfsgütern benötigten Nachfrage (nach Transportkapazitäten) abge-
     Transportkapazitäten werden auf einem Markt bildet.

     3.1       Bereitstellung nach Status Quo

     3.1.1     Organisation und Marktübersicht

     Abbildung 4 – Markt bei Status Quo
              N1
                                        Koordinierung der Nachfrage

         a              THW                                                                              A1
                                            Teilweise informelle

                                                                      Für N1a, wenn A2 nicht verfügbar
                                                                      Für N1b, wenn Beiladung möglich         öffentliche
                    Rotes Kreuz
         b                                                                                                    Kapazitäten
                    Johanniter
                                                                                                              z. B. Luftwaffe
                      Caritas
                        …

              N2                                                                                         A2

              Private Nachfrage                                                                          Privates Angebot

                    Herkömmliches                                                                            z. B. FedEX, UPS,
                   Luftfrachtgeschäft                                                                     Lufthansa Cargo, usw.

                                                                                                                    (schematisch, eigener Entwurf)

     Die Nachfrage nach Lufttransportkapazitäten       Bundeswehr nur unregelmäßig zur Verfügung.
     im Katastrophenfall (N1) teilt sich in öffentlicheZum Anderen übersteigt der Verrechnungssatz für
     (N1a) und zivile Nachfrage (N1b). Die Akteure     die öffentlichen Kapazitäten dabei den Marktpreis
     sind entsprechend Kapitel 2.1 zugeordnet.         privater Transportkapazitäten, da (wie unter 2.1.2
                                                       beschrieben) die Flüge unpaarig sind, aber Kosten
     Das öffentliche Angebot (A1) setzt sich für für Hin- und Rückflug anfallen.
     Deutschland im Wesentlichen aus den Kapazi-
     täten der Luftwaffe zusammen. Qualitativ zäh- Die privaten Hilfsorganisationen (N1b) grei-
     len zu diesem Angebot derzeit insbesondere die fen, wie in Abbildung 2 dargestellt, auf das öffent-
     Transportflugzeuge Transall C-160, Airbus A310, liche Angebot (A1) nur zu, wenn die Möglichkeit
     sowie der Großraumtransporter Antonov An-124, der Beiladung besteht.
     der über das SALIS-Abkommen26 gechartert wird.
     Dieses Angebot wird durch N1a selten nachgefragt Die Nachfrage nach Transportkapazitäten für
     und stellt aus Nutzersicht die Ultima Ratio dar.  humanitäre Zwecke (N1) wird demnach aus
                                                       rechtlichen und finanziellen Gründen sowie aus
     Zum Einen ist dies begründet durch die einge- Gründen der Flexibilität im Wesentlichen durch
     schränkte Verfügbarkeit öffentlicher Kapazitäten, das Angebot auf dem privaten Markt (A2) mit
     da diese weitestgehend durch den eigenen Bedarf herkömmlichen Passagier- und Frachtmaschinen
     des BMVg gebunden sind. Eine Gewährleistung ziviler Luftfahrtgesellschaften gedeckt.
     für die Verfügbarkeit gegenüber N1a ist nicht ge- Diese Nachfrage N1 nach A2 steht in Konkurrenz
     geben. Tatsächlich stehen diese Transportkapazi- mit der herkömmlichen privaten Nachfrage
     täten durch die zahlreichen Auslandseinsätze der nach Lufttransportkapazitäten (N2).

14
     BIGS Standpunkt Nr. I / November 2010
Abbildung 5 – Entgelte bei überlasteter Infrastruktur

     p
                                A

   p1
                                              N1
   p0
                                              N0
                                                        x         x‘ = Kapazitätsgrenze

                              x‘                                  p1 - p0 = Knappheitszuschläge

                                                                             nach Aberle (2009): S. 346, verändert

Im Falle einer Katastrophe steigt die Nachfrage         nach p1). Die Transportkapazitäten (A) werden
nach Lufttransportkapazitäten im Katastro-              dann demjenigen Nachfrager (N) zugeteilt, der
phenfall sprunghaft an. Da diese und die private        die höchste Zahlungsbereitschaft hat.
Nachfrage gemeinsam (N) auf dasselbe Angebot            In der Regel handelt es sich bei der Nachfrage
auf dem privaten Markt (A) entfallen, gerät das         durch Hilfsorganisationen um zeitkritische Abrufe.
private Angebot an seine Kapazitätsgrenze (x´),         Die Zahlungsbereitschaft liegt dementsprechend
d. h. es sind keine zusätzlichen Transportkapazitä-     höher als bei sonstigen privaten Nachfragern und
ten mehr verfügbar (vgl. Abbildung 5). Dies führt       es werden Knappheitspreise mit Aufschlägen von
zu Knappheitszuschlägen auf den Preis (p0 steigt        teilweise mehr als einhundert Prozent bezahlt.27

3.1.2    Finanzierung

Die Kosten der Beförderung von Hilfsgütern wer-         Anteilen in der Finanzierung durch private und
den sowohl bei staatlichen (hier THW) wie auch          öffentliche Mittel. Während das THW einen grö-
privaten Akteuren (private Hilfsorganisationen wie      ßeren Anteil seiner Finanzierung durch öffentliche
z. B. Rotes Kreuz u. a.)28 durch öffentliche und pri-   Mittel bestreitet, finanzieren sich private Hilfsor-
vate Mittel ermöglicht.29 Staatliche und private        ganisationen mehrheitlich durch private Mittel.

Abbildung 6 – Finanzierung der Lufttransporte
                                                                                  öffentlich

                                                                                           THW
                                     Eigenmittel

                                                                                  privat
                                      Spenden
                                                                                       Rotes Kreuz

                                     Steuern (AA)

                                                                                        Johanniter

                                      EU-Mittel

                                                                                              …
                                                                                      (schematisch, eigener Entwurf)

                                                                  Mueller - Lufttransportkapazitäten im Katastrophenfall
                                                                                                                           15
Zu den öffentlichen Mitteln zählen dabei die Mittel       Hilfsorganisationen die Standardisierung
     des Bundes (diese Mittel werden den Hilfsorgani-          von logistischen Prozessen und damit die
     sationen durch das Auswärtige Amt zur Verfügung           Ausschöpfung von Effizienzvorteilen.
     gestellt) und EU-Mittel, wie z. B. die unter Kapi-
     tel 2.1.1 erwähnten ECHO-Mittel. Private Mittel •         Das Ausschöpfen von Gruppenvorteilen bei
     stammen im Wesentlichen aus Spendengeldern.               der Nutzung von Lufttransportkapazitäten
                                                               ist nicht geregelt und geschieht bestenfalls
     Zum Teil müssen Organisationen die im Zeitraum            informell.
     vor einer Katastrophe angesparten Eigenmit-
     tel selbst vorstrecken (oder aufbringen), da die     •    Viele Hilfsorganisationen sind teilweise hand-
     Finanzierungsinstrumente zu unterschiedlichen             lungsunfähig, da sie als einzelne „kleine“
     Zeitpunkten greifen. Die z. B. durch ECHO bereit-         Akteure in Krisengebieten institutionellen
     gestellten Mittel auf EU-Ebene können erst nach           Mächten gegenüber stehen.
     sechs Wochen beantragt und bewilligt werden.
     Sofern also für einen Einsatz im Rahmen der So-
     forthilfe (unmittelbar nach der Katastrophe)30 die
     Mittel des Auswärtigen Amtes (nach Überprüfung
     und Bewilligung des Antrags) nicht ausreichen und    3.2 Alternative Bereitstellungsvarianten
     Spendengelder nicht sofort eingeworben wurden,
                                                          Bei alternativen Bereitstellungsvarianten wird an-
     ist ein sogenannter „Swing“ (also das Vorstrecken
                                                          genommen, dass neben dem privaten Angebot an
     von Rückerstattungsfähigen Mitteln) erforderlich.
                                                          Lufttransportkapazitäten weitere Transportkapazi-
                                                          täten zur Verfügung stehen, die insbesondere für
                                                          Hilfsgütertransporte vorgehalten werden.31

     3.1.3    Kritik am Status Quo

                                                        3.2.1 Prüfung der Bereitstellungsmöglich-
     Im Status-Quo treffen humanitäre und privatwirt-
                                                                 keiten
     schaftliche Interessen aufeinander. Der Bedarf der
     hilfeleistenden Organisationen ist ad hoc, nicht
                                                        Anhand eines von Heinz Grossekettler entwickel-
     planbar und ggf. auch nicht aufschiebbar.
                                                        ten Prüfschemas zur Bereitstellung von Kollektiv-
                                                        gütern kann im folgenden Schritt geklärt werden,
     Am Status Quo ergeben sich folgende Kritikpunkte:
                                                        wie das speziell für Katastrophenfälle vorgehalte-
                                                        ne Angebot an Lufttransportkapazitäten bereitge-
     •     Die sprunghaft ansteigende Nachfrage nach
                                                        stellt werden muss.32
           Lufttransportkapazitäten im Katastrophen-
           fall geht zugleich mit einer Knappheit auf
                                                        Zur Ermittlung müssen vor allem zwei Größen be-
           der Angebotsseite einher und es werden ent-
                                                        stimmt werden:
           sprechende Knappheitspreise fällig.

                                                          •       Rivalitätsgrad: Besteht eine Konkurrenz
     •    Es besteht keine gesicherte Verfügbarkeit
                                                                  um die Nutzung der Transportkapazi-
          von Kapazitäten. Gerade diese gilt es sicher
                                                                  täten?
          zu stellen, damit im Bedarfsfall zügig darauf
          zugegriffen werden kann, ohne erst ein ent-
                                                          •       Exkludierbarkeit: Ist ein Ausschluss von
          sprechendes Angebot suchen und herbei
                                                                  der Nutzung der Transportkapazitäten-
          schaffen zu müssen. Ist das angefragte An-
                                                                  möglich?
          gebot zum gegebenen Zeitpunkt nicht ver-
          fügbar, muss ggf. auf andere Flugmuster
          oder Transportwege ausgewichen werden.

     •    Die ungesicherte Verfügbarkeit v. a. der Art
          von Kapazitäten (Flugzeugtyp) erschwert

16   BIGS Standpunkt Nr. I / November 2010
a)    Bestimmung des Rivalitätsgrades                 Es stellt sich also nicht nur die Frage, ob Rivali-
                                                                       tät beim Konsum besteht, sondern „wie viel“ Ri-
                 Die Bestimmung der optimalen Bereitstellung ei-       valität besteht, da zwischen den oben skizzierten
                 nes Gutes, hier Lufttransportkapazitäten, basiert     Extremfällen ein Kontinuum an möglichen Werten
                 auf der Frage, ob Konsumenten bei der Nutzung         existiert. Dieses Kontinuum beschreibt den Rivali-
                 rivalisieren. Die gegenseitige Beeinflussung der      tätsgrad.
                 Konsumenten beim Konsum eines Gutes wird mit-         Der Rivalitätsgrad ς ergibt sich im Normalfall aus
                 hilfe des Rivalitätsgrades gemessen und soll für      dem Kostenverlauf für die Herstellung und Nut-
                 das Gut Lufttransportkapazitäten in diesem Ab-        zung der Lufttransportkapazitäten. Dieser wird
                 schnitt abgeschätzt werden.                           berechnet durch Multiplikation der Mengen- und
                                                                       Nutzungselastizität.
                 Nutzungsrivalität besteht dann, wenn der Konsum
                 eines Gutes durch ein Individuum den Konsum des       Die Mengenelastizität der Bereitstellungsko-
                 gleichen Gutes durch ein anderes Individuum ein-      sten δ zeigt, ob Skalenvorteile bei der Produktion
                 schränkt oder ausschließt. Zwischen den beiden        auftreten. Gemessen werden Kostendegressions-
                 Extremfällen:                                         vorteile für die Herstellung von Bereitstellungsein-
                                                                       heiten (x), also Flugzeugen. Die Mengenelastizität
                 •          der Konsum eines Gutes durch ein In-		     kann die Werte δ > 1 bei überproportionalem bzw.
                            dividuum schließt den Konsum dessel-       δ = 1 bei proportionalem Kostenanstieg (es treten
                            ben Gutes durch ein anderes Individu		     also keine Skalenvorteile auf) und 0 < δ < 1 für
                            um aus (polares Individualgut);            einen unterproportionalen Kostenanstieg haben.

                 •          der Konsum eines Gutes durch ein Indi-		   Die in Abbildung 7 dargestellte schematische Ko-
                            viduum beeinträchtigt den Konsum des-		    stenfunktion für den Luftfrachttransport hat einen
                            selben Gutes durch ein anderes Indivi-		   unterproportionalen Verlauf und somit treten Ska-
                            duum nicht (polares Kollektivgut);         leneffekte auf. Die Kosten steigen also um weni-
                                                                       ger als das Doppelte bei Verdopplung der Herstel-
                 gibt es auch Mischformen, in denen etwa der Kon-      lungsmenge (also bei Erhöhung der Anzahl von
                 sum eines Gutes durch ein Individuum durch den        Flugzeugen (x) von 1 auf 2). Dies ist auf die ge-
                 Konsum desselben Gutes durch andere Individuen        meinsame Nutzungsmöglichkeit der für den Flug-
                 bis zu einer bestimmten Menge keine oder keine        zeugbetrieb vorgehaltenen Infrastruktur zurück-
                 ausschließenden Beeinträchtigungen haben.33           zuführen (Bsp.: Bei Erhöhung der Stückzahl von
                                                                       ein auf zwei Flugzeuge müssen nicht zwei Hangars
                                                                       gebaut werden, sondern eine größere Halle. Das
                                                                       Ersatzteillager muss nicht genau den doppelten
                                                                       Ersatzteilvorrat vorhalten etc.). Die Mengenelasti-
                                                                       zität δ hat daher den Wert 0 < δ < 1.

                                                                       Die Nutzungselastizität der Bereitstellungs-
                                                                       menge γ zeigt an, ob in einem Verein zusätzliche
                                                                       Mitglieder (Hilfsorganisationen) „voll zählen“ (γ =
                                                                       1 oder γ > 1), speziell, ob der aus dem Beitritt
                                                                       einer weiteren Hilfsorganisation resultierende zu-
                                                                       sätzliche Transportbedarf (q) impliziert, dass ein
                                                                       weiteres Flugzeug vorgehalten werden muss, ob
                                                                       Gruppenvorteile auftreten (durch gemeinsame,
                                                                       zeitgleiche Nutzung von Flugzeugen zur Beförde-
                                                                       rung von Gütern mehrerer Hilfsorganisationen)
                                                                       (0 < γ < 1) oder ob keine zusätzlichen Einheiten
                                                                       (Flugzeuge) benötigt werden (γ = 0) unabhängig
                                                                       von der Transportmenge (q).

                                                                                 Mueller - Lufttransportkapazitäten im Katastrophenfall
                                                                                                                                          17
Bild: Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
Abbildung 7 – Kostenverlauf

                K       (1 Flugzeug)                 (2 Flugzeuge)             (3 Flugzeuge)
      (Kosten)             x=1                          x=2                       x=3

                                                                                                      b

                                                                  a

                                                     K
                                                                           b

                                             a   K ̃                                a = Variable Kosten
                                                                                        Flugzeugbetrieb
                                                 b
                                                                                   b = Frachtabhängige
                                                                                       Kosten
            a

                      Fixkosten (Vorhaltung der Infrastruktur, regelmäßige Wartung etc.)

                                                                                                  q
                                                                                  (Transportmenge)

     Der Treppenverlauf der Kurve zeigt, dass eine zu-      enthalten und gerade so hoch sind, dass die vor-
     sätzliche Beladung eines Flugzeuges möglich ist,       handene Kapazität durch die Nachfrage mit der
     ohne dass unmittelbar ein weiteres Flugzeug ge-        höchsten Zahlungsbereitschaft ausgelastet wird.
     nutzt werden muss, so lange bis das Flugzeug an        Diese natürliche Anpassungsreaktion des Marktes
     seine Kapazitätsgrenze stößt. Die Menge der Aus-       ist im vorliegenden Falle jedoch unerwünscht, weil
     stattungseinheiten (Flugzeuge) bleibt also bis zu      nicht die Zahlungsbereitschaft einer Hilfsorgani-
     einer bestimmten Transportmenge konstant. Da-          sation – und letztlich damit auch ihre Finanzkraft
     raus folgt der Wert für die Nutzungselastizität der    – über die zeitliche Verteilung des Transports von
     Bereitstellungsmenge γ von 0 < γ < 1. Bei Über-        Hilfsgütern entscheiden soll, sondern die Bedarfs-
     schreitung der Kapazitätsgrenze einer Ausstat-         notwendigkeit der Hilfsgüter am Katastrophenort.
     tungseinheit (eines Flugzeuges) treten sprungfixe      Daraus leitet sich die Notwendigkeit ab, dass die
     Kosten auf. Diesen Sachverhalt zeigt die Kurve K       vorhandene Kapazität nicht nach der Zahlungsbe-
     in Abbildung 7. Findet jedoch eine Grenzbetrach-       reitschaft der Hilfsorganisation zugeteilt werden
     tung statt, ist mit der approximativen Funktion        kann, sondern durch eine Koordinierungsinstitu-
     K~ zu rechnen. Diese verläuft über den gesamten        tion der Nachfrage (Priorisierung der Aufträge,
     Wertebereich unterproportional, demnach gilt für       zeitliche Planung, etc.) erfolgen soll, sodass auf
     γ der Wertebereich 0 < γ < 1.                          das Angebot keine Überhangnachfrage entfällt.

     Im Fall, dass die Kapazitäten (Anzahl der Flugzeu-     Die Vereinsmitglieder (Hilfsorganisationen) müs-
     ge) an ihre Grenze stoßen und eine Angebotsaus-        sen sich also nach den zeitlichen Vorgaben der
     dehnung nicht möglich ist (also kein zusätzliches      koordinierenden Instanz richten. Wird einem Auf-
     Flugzeug mehr zur Verfügung gestellt werden            trag eine geringe Priorität zugewiesen, so hat
     kann), würden bei einer marktlichen Regelung,          dies eine Auftragsausführung zu einem späteren
     wie in Kapitel 3.1.1 beschrieben, Verdrängungs-        Zeitpunkt zur Folge.34
     preise erhoben, die einen Knappheitszuschlag

18   BIGS Standpunkt Nr. I / November 2010
Die Werte hinsichtlich Nutzungs- und Mengene-        nach sich zieht. Aufgrund der zuletzt genannten,
lastizität ergeben für den Rivalitätsgrad ς ei-      sehr restriktiven Annahme der Koordinierung der
nen Wertebereich von 0 < ς < 1, was die Vor-         Nachfrage ergibt sich für den Rivalitätsgrad je-
teilhaftigkeit der organisationsübergreifenden,      doch sogar der Wert ς = 0 oder nahe 0 (keine
gemeinsamen Nutzung von Transportkapazitäten         oder begrenzte Rivalität).

b)    Bestimmung der Exkludierbarkeit

Die Frage der Ausschließbarkeit von der Nutzung      Tragen die Hilfsorganisationen die Grenzkosten
(Exklusion vom Konsum) soll die Probleme der         der Nutzung selbst, so ist eine effiziente Entschei-
nicht effizienten Nutzung der Transportkapazitä-     dung über einen potentiellen Einsatz im Rahmen
ten und des Trittbrettfahrens (also des Erschlei-    der Nutzen-Kosten-Abwägung begrenzt gegeben.
chens von Leistungen) klären.                        Würden nicht nur Preise in Höhe der Grenzkos-
                                                     ten, sondern Vollkostenpreise zzgl. Knappheits-
Auf die im Modell bereitgestellten Lufttransport-    zuschlägen anfallen, würde damit die Entschei-
kapazitäten für Hilfsgütertransporte können vor-     dungseffizienz gesteigert, aber der beschriebene
rangig nur Vereinsmitglieder (Hilfsorganisationen)   Ausweicheffekt würde eintreten. Die Nutzung der
zugreifen. An der Spitze des Vereins steht eine      Kapazitäten muss also zu einem Preis unterhalb
koordinierende Einheit (die Notwendigkeit dafür      des Marktniveaus gegeben sein.
wurde schon unter 3.2.1 a) erläutert). Aufgrund
dieser Koordination ist zugleich die Möglichkeit Sind die bereitgestellten Lufttransportkapazitäten
des Trittbrettfahrens nicht gegeben und ein Aus- durch die Vereinsmitglieder (Hilfsorganisationen)
schluss von der Nutzung kann jederzeit und ohne  nicht voll ausgelastet, so besteht die Möglichkeit,
relevante Transaktionskosten erfolgen.           dass die koordinierende Einheit freie Kapazitäten
                                                 an Nicht-Vereinsmitglieder verchartert.
Im nächsten Schritt muss jedoch auch die Frage In diesem Fall müs-sen diese Nutzer eine Gast-
nach der effizienten Nutzung der Kapazitäten ge- gebühr entrichten, die höher ist als der von den
klärt werden. Diese ist abhängig von der Finan- Mitgliedern bezahlte Preis.35 Es ergibt sich dar-
zierungsform der Transportkapazitäten.           aus also die Möglichkeit, ungenutzte Kapazitäten
                                                 weiter auszulasten.

 c)   Klassifikation

Auf Grundlage von Rivalitätsgrad und Exkludier- klassifizieren (vgl. Tabelle 5). Die optimale Form
barkeitsgrad lassen sich die Lufttransportkapazi- der Bereitstellung wäre, um der Theorie von Gros-
täten für Katastrophenfälle als Klubkollektivgut.36 sekettler zu folgen, ein Verein.

 Tabelle 5 – Systematisierung von Gütern nach Musgrave

Konsum (Rivalitätsgrad)         Ausschluss (Exkludierbarkeitsgrad)

				Möglich				Nicht möglich

Rivalisierend			Individualgüter			Quasikollektivgüter
Nicht rivalisierend		           Klubkollektivgüter		Zwangskollektivgüter

                                                                        Grossekettler (1985): S. 212, verändert.

                                                               Mueller - Lufttransportkapazitäten im Katastrophenfall
                                                                                                                        19
Vergleichbar mit einem Tennisclub würden sich die             fragekoordinierenden Instanz (ohne Mitsprache-
     Nutzer zusammenschließen, das Gut Tennisplatz                 recht der Vereinsmitglieder) unterordnen müssen,
     vorzuhalten. Bei Unterauslastung stünde der Ten-              schließt eine rein private Bereitstellung aus. Die
     nisplatz dann Nicht-Vereinsmitgliedern zu einer               Gruppenvorteile, die sich aus der Vereinslösung
     Gästegebühr, die über der Mitgliedergebühr liegt,             ergeben, sind nicht so groß, dass die Mitglieder
     für die Nutzung zur Verfügung. Idealtypisch wür-              unbedingt an die Kapazitäten gebunden sind. Eine
     den sich also die staatlichen und nicht-staatlichen           öffentliche Koordinierung der Kapazitätsnutzung
     Hilfsorganisationen zu einem Verein zusammen-                 und eine staatliche finanzielle Bezuschussung
     schließen, der zum Ziel hat, die Lufttransport-               bei der Nutzung sind daher notwendig. Erst da-
     kapazitäten in Form von geeigneten Flugzeugen                 mit wird eine Vereinsmitgliedschaft mit der damit
     bereitzustellen.                                              verbundenen Unterwerfung einer koordinieren-
     Die Grundannahme, dass sich die Mitglieder die-               den Einheit für die Hilfsorganisationen attraktiv.
     ses Vereins (die Hilfsorganisationen) einer nach-

     3.2.2    Organisation und Marktübersicht

     Aus den Annahmen von Kapitel 3.2 ergibt sich der              bis zur Kapazitätsgrenze nicht auf das private An-
     in Abbildung 8 dargestellte Markt.                            gebot zu.37
     Aufgrund der Annahme, dass die Nachfrage nach                 Sofern die vorgehaltenen Lufttransportkapazi-
     Lufttransportkapazitäten für Hilfsgütertransporte             täten für Katastrophenfälle (LTraK) (A1) nicht
     (N1) koordiniert wird, ist also N1 eine nachfrage-            ausgelastet sind, können diese an Dritte (N2) zu
     koordinierende Einheit nachgeschaltet. N1 greift              Marktpreisen verchartert werden.

     Abbildung 8 – Markt bei alternativer Bereitstellung

        N1
                                     Koordinierung der Nachfrage

        Hilfsorganisationen                                                      A1
        (u. a. THW, Rotes
        Kreuz, Johanniter,                                                              LTraK
           Caritas u. s. w.)                                                          (Verein)

        N2                                                                       A2

        Private Nachfrage                                                        Privates Angebot

                                                                                           (schematisch, eigener Entwurf)

20   BIGS Standpunkt Nr. I / November 2010
3.2.3 Institutionelle Lösungen & Finanzierung

Das Modell lässt die Skalierung der Vereinslösung •      von staatlicher Seite oder von Hilfsor-
zur Bereitstellung von Lufttransportkapazitä-            ganisationen (letzteres ist ohne ent-
ten offen. Vorstellbare Lösungen gehen von ei-           sprechenden staatlichen Zuschuss prak-
nem Zusammenschluss einer begrenzten Anzahl              tisch nicht vorstellbar) werden Nutzungs-
nationaler Hilfsorganisationen bis hin zu einem          optionen erworben, die Koordinierung
großen internationalen Verbund. Ein solcher Ver-         wird von staatlicher Seite vorgenommen;
ein kann sowohl vollständig selbstständig organi-
siert werden oder an eine staatliche Organisation •      offener Nutzerkreis (Nutzungsoptionen
angebunden sein.                                         gemäß Kapazitätsangebot verfügbar).

Folgende institutionelle Lösungen sind denkbar:
                                               Durch Angliederung der Transportkapazitäten an
„Staatlich auf EU-Ebene“:                      eine vorhandene Flotte von Flugzeugen ergeben
                                               sich Skalenvorteile (bei Wartung und Unterstel-
• im Geschäftsbereich von ECHO oder bes-		     lung, Musterberechtigungen von Piloten, Perso-
   ser: ein Mitgliedstaat übernimmt die Lea-		 nalkosten etc.) und Effizienzsteigerungspotenti-
   dership-Funktion, Beispiel Deutschland:		ale (bei Auslastung). Der Flottenbetreiber sollte
   im Geschäftsbereich des BMI unter Ein-		    also bereits eine entsprechende Infrastruktur für
   bindung des THW (oder möglicherweise 		     den Flugzeugbetrieb vorhalten.
    auch des AA);38,39

•   Angliederung der Flotte über das Euro-		         Hinsichtlich der Finanzierung und Tarifierung
    päische Lufttransportkommando an die 		          bestehen folgende Möglichkeiten:
    entsprechende nationale Luftwaffe oder
    separate Vorhaltung der Kapazitäten;             •   Die Vereinsmitglieder (Hilfsorganisationen)
                                                         zahlen die Bereitstellungskosten in Form ei-
                                                         nes Beitrags und einen Grenzkostenpreis in
•   Nutzung durch alle EU-Staaten („Verein“
                                                         Höhe der flugabhängigen Kosten. Der Ver-
    auf Staatenebene);
                                                         ein erhält vom Staat in Katastrophenfällen
                                                         einsatzabhängige staatliche Zuschüsse.

„Staatlich auf nationaler Ebene“:
                                                     •   Hilfsorganisationen zahlen nur den trans-
                                                         portabhängigen Anteil (Grenzkosten), der
•   im Geschäftsbereich des BMI unter Ein-
                                                         Staat trägt die Fixkosten der Bereitstel-
    bindung des THW (oder möglicherweise
                                                         lung der Flugzeuge. Daraus ergibt sich für
    auch des AA);
                                                         den Staat die Berechtigung den Koordinator
                                                         zu stellen.
•   unmittelbare Nutzung durch deutsche
    Hilfsorganisationen, andere EU-Staaten 		        •   Der Staat trägt alle Kosten (bzw. die EU-
    können Nutzungsoptionen kaufen;                      Mitgliedsstaaten tragen alle Kosten), stellt
                                                         dann aber auch den Koordinator, der über
                                                         die Zuteilung der Kapazitäten an die Ver-
„Privat“:                                                einsmitglieder entscheidet. Hierbei würde
                                                         es sich aber um eine unechte Vereinslösung
•   die Kapazitäten werden von einem exis-
                                                         handeln, die eher einer staatlichen Bereit-
    tierenden Transportunternehmen oder                  stellung ähnelt.
    anderen Flottenbetreibern vorgehalten
    und in deren Flotte integriert oder ein pri-
    vates Unternehmen wird zur separaten
    Vorhaltung der Kapazitäten gegründet;

                                                              Mueller - Lufttransportkapazitäten im Katastrophenfall
                                                                                                                       21
3.2.4    Zwischenfazit                              3.2.5 Umsetzungshemmnisse

     Hinsichtlich der Herstellung sind vor dem Hinter- Umsetzungshemmnise bestehen vorallem hin-
     grund der ermittelten optimalen Bereitstellung sichtlich:
     folgende Ausgestaltungsvarianten in die engere
     Wahl einzubeziehen:                                 • des politischen und gesellschaftlichen Wider-
                                                           standes, der bei der Vorhaltung von geson-
     „Öffentliche Variante“:                               derten Lufttransportkapazitäten für Katastro-
                                                           phenfälle zu erwarten ist, von:
     •    Der Verein würde einer öffentlichen Institu-
          tion angegliedert. Dies kann sowohl auf          o Parteien und Regierungen (insbesondere
          multinationaler Ebene (bspw. Luftwaffen 		 aufgrund des öffentlichen Mittelbedarfs.
          von Frankreich, Deutschland, Niederlande 		 Eine Willensbekundung von politischer Seite
          und Belgien, die ihre Organisation dem Eu- 		 ist für ein solches Vorhaben unabdingbar;
          ropäschen Lufttransportkommando unter-
          stellen) erfolgen oder z. B. beim Bundes-        o privaten Transportgesellschaften, die trotz
          innenministerium (ggf. auch AA). Hier kön- 		 einer geringen Beeinflussung des Marktes
          nen durch die Nutzung der vorhandenen 		 auf die Marktverzerrungen verweisen könn-
          technischen Ausstattung und des Know-hows 		ten;
          der öffentlichen Hand (BMVg bzw. Luftwaffe)
          Größenvorteile bei der Wartung und Instand-      o Hilfsorganisationen, insbesondere in Bezug
          haltung genutzt werden. Die Flotte der Fracht- 		 auf den Koordinierungszwang bei Nutzung
          maschinen würde also vom Verein unter 		 der Kapazitäten, aber auch hinsichtlich der
          der Obhut des BMI betrieben, der technische 		Zahlungsbereitschaft (je nach Finanzierungs-
          Betrieb aber von der Luftwaffe übernommen. 		modell);

     •   Die Kapazitäten an militärischen Frachtflug  o        der Bevölkerung, die je nach Finanzierungs-
         zeugen eines Typs würden zu diesem Zwec- 		           modell über Steuern einen Anteil der Kosten
         ke erhöht, die zusätzlichen Maschinen aber 		         der Vorhaltung mittragen muss, denen aber
         vorwiegend für Katastropheneinsätze und 		            Einsparungen gegenüberstehen;
         zivile Einsätze vorgehalten.

                                                         •   noch zu prüfender rechtlicher Umsetzungs-
     „Private-Variante“:                                     hemmnisse, wie beispielsweise:

     •   Die Kapazitäten werden bei einem existie-       o Bestimmungen für Landegenehmigungen
         renden Transportunternehmen oder Flotten 		 von zivilen und militärischen Luftfahzeugen
         betreiber vorgehalten und homogen in des- 		 (je nach Modellausgestaltung);
         sen Flotte integriert. Dabei werden die Effi-
         zienzvorteile des privaten Lufttransport-       o Prüfung von Möglichkeiten und Beschrän-
         marktes genutzt.                              		 kungen beim Einsatz von fliegerischem und
                                                       		 technischem Personal hinsichtlich ziviler
     •   Hinsichtlich der Wahl des Flugzeugtyps sind 		 oder militärischer Lizensierung.
         unter Abwägung der Einsetzbarkeit in Kata-
         strophenfällen Skalenvorteile zu nutzen.

         Für alle Varianten muss gelten: Zur Grund-
         fianzierung können Nutzungsoptionen von
         staatlicher Seite (EU-weit) oder von Hilfsor-
         ganisationen gemäß Kapazitätsangebot er-
         worben werden (Bereitstellung im Verein).40

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     BIGS Standpunkt Nr. I / November 2010
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