Standpunkt zivile Sicherheit - BIGS Potsdam
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Standpunkt zivile Sicherheit Die Bereitstellung von Lufttransportkapazitäten im Katastrophenfall Maximilian Mueller . Brandenburgisches Institut für Gesellschaft und Sicherheit gGmbH Bild: WFP . Simone Casetta Nummer I . November 2010
impressum Das Brandenburgische Institut für Gesellschaft und Sicherheit (BIGS) gGmbH ist ein unabhängiges, überparteiliches und nicht-gewinnorientiertes wissenschaftliches Institut, das zu gesellschafts- wissenschaftlichen Fragen ziviler Sicherheit forscht. Das BIGS publiziert seine Forschungsergebnisse und vermittelt diese in Veranstaltungen an eine interessierte Öffentlichkeit. Das BIGS entstand im Frühjahr 2010 in Potsdam unter der Beteiligung der Universität Potsdam und ihrer UP Transfer GmbH sowie der Unternehmen EADS, IABG und Rolls- Royce. Es wird vom Land Brandenburg gefördert. Alle Aussagen und Meinungsäußerungen in diesem Papier liegen in der alleinigen Verantwortung des Autors bzw. der Autoren. Verfasser der Studie: Maximilian Mueller Titel der Studie: Die Bereitstellung von Lufttransportkapazitäten im Katastrophenfall Herausgeber: Brandenburgisches Institut für Gesellschaft und Si- cherheit gGmbH BIGS Standpunkte Nr. I, November 2010 Weitere Informationen über die Veröffentlichungen des BIGS befinden sich auf der Webseite des Insti- tuts: www.bigs-potsdam.org. Copyright 2010 © Brandenburgisches Institut für Gesellschaft und Sicherheit gGmbH. Alle Rechte vorbehalten. Die Reproduktion, Speicherung oder Übertragung (online oder offline) des Inhalts der vorliegen- den Publikation ist nur im Rahmen des privaten Gebrauchs gestattet. Kontaktieren Sie uns bitte, bevor Sie die Inhalte darüber hinaus verwenden. Brandenburgisches Institut für Gesellschaft und Sicherheit gGmbH Geschäftsführender Direktor: Dr. Tim H. Stuchtey Rudolf-Breitscheid-Str. 178 14482 Potsdam Telefon: +49-331-704406-0 Telefax: +49-331-704406-19 E-Mail: info@bigs-potsdam.org www.bigs-potsdam.org 2 BIGS Standpunkt Nr. I / November 2010
inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 4 2 Grundlagen für die Analyse 5 2.1 Ordnungsrahmen und Akteure der Hilfeleistung 5 2.1.1 Humanitäre Hilfeleistung auf EU-Ebene 5 2.1.2 Humanitäre Hilfeleistung durch deutsche Organisationen 5 2.2 Lufttransportbedarf 9 2.2.1 Quantität des Bedarfs 9 2.2.2 Qualität des Bedarfs 11 3 Analyse 14 3.1 Bereitstellung nach Status Quo 14 3.1.1 Organisation und Marktübersicht 14 3.1.2 Finanzierung 15 3.1.3 Kritik am Status Quo 16 3.2 Alternative Bereitstellungsvarianten 16 3.2.1 Prüfung der Bereitstellungsmöglichkeiten 16 3.2.2 Organisation und Marktübersicht 20 3.2.3 Institutionelle Lösungen und Finanzierung 21 3.2.4 Zwischenfazit 22 3.2.5 Umsetzungshemmnisse 22 4 Fazit 23 4.1 Gegenüberstellung 23 4.2 Grenzen der Studie und weiterer Forschungsbedarf 24 5 Quellen und Referenzen 25 5.1 Durchgeführte Informationsgespräche 25 5.2 Literaturquellen 25 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1 – Einsatz des THW im Ausland über Luftweg (Schematisch) 6 Abbildung 2 – Einsatz einer privaten Hilfsorganisation im Ausland über Luftweg 8 Abbildung 3 – Ablauf eines Hilfseinsatzes (Schematisch) 9 Abbildung 4 – Markt bei Status Quo 14 Abbildung 5 – Entgelte bei überlasteter Infrastruktur 15 Abbildung 6 – Finanzierung der Lufttransporte 15 Abbildung 7 – Kostenverlauf 18 Abbildung 8 – Markt bei alternativer Bereitstellung 20 Tabellenverzeichnis Tabelle 1 – Katastrophen der letzten 30 Jahre 9 Tabelle 2 – Hilfseinsätze der letzten zehn Jahre im Ausland mit deutscher Beteiligung 10 Tabelle 3 – Einheiten und Technik des THW im Ausland 11 Tabelle 4 – Hilfsgüter und Dienstleistungen von NGOs und UN-Organisationen (Auswahl) 12 Tabelle 5 – Systematisierung von Gütern nach Musgrave 19 Mueller - Lufttransportkapazitäten im Katastrophenfall 3
1. Einleitung Das Erdbeben in Haiti und auch die Flutkatastro- Helikopterflüge oder Flüge mit kleinen Flugzeugen phe in Pakistan haben gezeigt, wie wichtig es für möglich. die Rettung und Versorgung der betroffenen Men- schen ist, zügig Hilfe aus dem Ausland heranzu- Wenn also das bislang zur Verfügung stehen- schaffen. Dies kann aufgrund der schieren Ent- de Angebot unzureichend ist, wie soll dann eine fernung zum Katastrophenort und aufgrund der Bereitstellung von Lufttransportkapazitäten für regelmäßig völlig zerstörten Straßen- und Hafen- Katastrophenfälle erfolgen? In welcher instituti- infrastruktur häufig nur über einen Lufttransport onellen Organisationsform soll die Bereitstellung der Hilfsgüter geschehen. erfolgen und welche Rolle muss der Staat dabei spielen, wenn ordnungspolitische Grundsätze ge- Das Angebot an geeigneten Lufttransportkapazi- wahrt bleiben sollen? täten ist jedoch unzureichend, da sich unmittelbar nach einer Katastrophe Kapazitätsengpässe er- Im Rahmen dieser ersten Studie soll geklärt wer- geben, die zu erheblichen Preisaufschlägen oder den, welches die optimale Bereitstellungsform für Wartezeiten führen und damit müssen Versor- Lufttransportkapazitäten für Katastrophenfälle ist, gungsausfälle überlebensnotwendiger Güter und welche Akteure die Herstellung des Angebots an Dienstleistungen in Kauf genommen werden. Lufttransportkapazitäten übernehmen können und wie die Finanzierung gestaltet werden kann. Fer- Auch qualitativ ist das derzeit auf dem privaten ner soll ein Ausblick gegeben werden, in welchem Markt vorhandene Angebot unzureichend. Große organisatorischen Rahmen dies erfolgen kann. Am Transportmaschinen benötigen gut ausgebaute Ende steht eine Bewertung der unterschiedlichen Start- und Landebahnen. Wenn aber der nächs- Gestaltungsvarianten. te funktionsfähige Flughafen weit vom Katastro- phenort entfernt und die Straßeninfrastruktur in Das Forschungsprojekt ‚Die Bereitstellung von das Katastrophengebiet zerstört ist, wie es sich Lufttransportkapazitäten im Katastrophenfall‘ am Beispiel von Pakistan zeigt, ist die Versorgung wurde unter anderem durch die finanzielle Unter- mit Hilfsgütern nur kostenaufwendig über viele stützung von Airbus Military ermöglicht. Bild: THW BIGS Standpunkt Nr. I / November 2010
2. Grundlagen für die Analyse 2.1 Ordnungsrahmen und Akteure der durch die Partnerorganisationen von ECHO.3 Hilfeleistung Die Mittel werden an die Mitglieder auf Antrag und nach dessen Überprüfung bereitgestellt. Die Akteure der humanitären Hilfeleistung lassen sich in staatliche und private Organisationen un- 2.1.2 Humanitäre Hilfeleistung durch terteilen. Hilfsorganisationen sind auf allen Ebe- deutsche Organisationen nen miteinander vernetzt, manche Organisationen sind sogar weltweit aufgestellt (z. B. International a) Staatliche humanitäre Hilfeleistung Federation of Red Cross [IFRC]). In Deutschland wird die staatliche Katastrophenhilfe generell durch die Bundesanstalt Technisches Hilfs- Beispiele für Netzwerke auf verschiedenen Ebenen: werk (THW) und durch die Bundeswehr geleistet. • Welt-Ebene (z. B. United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Af- Im Grundgesetz wird gemäß Art. 87a(2) und Art. airs [OCHA]) 35 die Zuständigkeit der Bundeswehr für Einsät- • EU-Ebene (z. B. European Commission ze zur Katastrophenabwehr im Inland geregelt. In Humanitarian Aid & Civil Protection der Vergangenheit war die Bundeswehr auch an [ECHO]) humanitären Einsätzen im Ausland beteiligt, z. B. • nationale Ebene (z. B. Arbeitsstab und Ko- bei den Tsunamikatastrophen in Thailand und In- ordinierungsausschuss Humanitäre Hilfe donesien (2004) und dem Erdbeben in Sichuan in des Auswärtigen Amtes) China (2008), bei denen nicht nur Maßnahmen der Katastrophenabwehr, sondern auch Lufttransporte Im Folgenden wird, soweit es für diese Studie not- mit Hilfsgütern durchgeführt wurden.4 wendig ist, eine Auswahl von Organisationen und Derartige Einsätze sind nach ministeriellen Vorga- Vernetzungsformen skizzenartig und beispielhaft ben geregelt, auf deren Grundlage Truppenteile und beschrieben. Dienststellen der Bundeswehr für die Hilfeleistung bei Naturkatastrophen, Unglücksfällen und der 2.1.1 Humanitäre Hilfeleistung auf EU-Ebene dringenden Nothilfe eingesetzt werden können.5 Mit der European Commission Humanitarian Aid & Grundlage für internationale Hilfseinsätze des Civil Protection (ECHO) wurde auf EU-Ebene eine THW sind bilaterale und multilaterale Abkommen6 Institution gegründet, in der sich mehr als 200 sowie Einsätze in besonderem Auftrag des Bun- Partnerorganisationen, darunter Nichtregierungs- des und bei Auftragserteilung der hilfesuchenden organisationen (NGOs), das Rote Kreuz und Orga- Staaten. nisationen der Vereinten Nationen (UN), wie z. B. Die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk wurde die WHO, die Flüchtlingskommission und das WFP, bewusst als nicht-militärische Organisation ge- vereinen.1 gründet und leistet auf Grundlage §1 Abs. 2 des THW-Gesetzes im Auftrag der Bundesregierung Im Rahmen der Verordnung 1257/96 hat die Eu- technische Hilfe auch im Ausland. Das THW be- ropäische Kommission ein Instrumentarium ge- findet sich im Geschäftsbereich des Bundesminis- schaffen, um finanzielle Mittel für Soforthilfe- teriums des Innern (BMI). Dem THW stand in den maßnahmen, Maßnahmen zur Verhinderung von Jahren 2008 ein Etat in Höhe von 135 Mio. Euro Katastrophen sowie Wiederaufbaumaßnahmen und 2009 rund 176 Mio. Euro zur Verfügung.7 unter Zuständigkeit von ECHO bereitstellen zu können. Das jährliche Budget von ECHO beträgt Organisationsablauf für einen Hilfseinsatz mittlerweilen mehr als 700 Mio. Euro.2 des THW Zu den Grundaufgaben von ECHO gehört die Ver- Wenn sich im Ausland eine Katastrophe abzeich- sorgung mit Hilfsgütern (Grundnahrungsmittel, net oder bereits eingetreten ist, reicht das THW medizinische Ausrüstung, Medikamente, Kraft- eigenständig einen Vorschlag über einen mögli- stoff) sowie Dienstleistungen (medizinische Ver- chen Hilfseinsatz beim Auswärtigen Amt (AA) ein. sorgung, Wasseraufbereitung, logistische Unter- In Abstimmung mit dem BMI erfolgt die Genehmi- stützung). Die Erbringung der Leistungen erfolgt gung für einen solchen Einsatz durch das AA. 5 Mueller - Lufttransportkapazitäten im Katastrophenfall
Ein vergleichbares Leistungsportfolio gibt es bei an- In der Regel wurden die Transportaufträge öf- deren Hilfsorganisationen in Europa bislang nicht. fentlich auf dem privaten Markt ausgeschrie- Das Know-how und die technische Ausstattung ben, wenn sie nicht in besonderem Auftrag des sollen in anderen europäischen Ländern jedoch Bundes durch die Bundeswehr oder etwa andere aufgebaut werden, wobei das THW mit seiner staatliche Organisationen durchgeführt wurden.9 Expertise und Erfahrung beratend zur Seite steht.8 Abbildung 1 - Einsatz des THW im Ausland über Luftweg Katastrophe im Ausland Projektvorschlag an AA nach Abstimmung mit BMI nein Genehmigung Vorgang durch AA abgebrochen ja Marktüberprüfung zur Vergabe eines Transportauftrages gemäß VOL nein Anfrage von Auswertbare Lufttransportkapazitäten bei Angebote BMVg und anderen ja nein Prüfung alternativer Auswertbare Auswertung und Vergabe Transportmittel und Angebote -wege ja ja Koordinierung und Einsatzausführung Auswertung und Vergabe Koordinierung und Einsatzausführung (schematisch, eigener Entwurf) 6 BIGS Standpunkt Nr. I / November 2010
Liegt auf dem privaten Markt kein entsprechendes Zusammenschlüsse von Hilfsorganisationen in Angebot zur Durchführung eines Transportauftra- Deutschland sind bspw. der „Koordinierungsaus- ges vor, wird erst in nächster Instanz eine An- schuss Humanitäre Hilfe des Auswärtigen Amtes“, frage beim Bundesministerium der Verteidigung der neben dem THW als staatlichen Akteur einige (BMVg) platziert. Dies geschieht im Rahmen der weitere private Hilfsorganisationen zusammen- Amtshilfe. Da für diesen Fall keine entsprechen- führt 12, und die „Aktion Deutschland Hilft – Das den Bereitschaftsstufen vereinbart sind, stehen Bündnis der Hilfsorganisationen e. V.“ (ADH). Das die Kapazitäten in der Regel erst nach mehr als Einsatzspektrum der Hilfsorganisationen (z. B. 48 Stunden bereit. Deutsches Rotes Kreuz, Johanniter-Unfall-Hilfe, Die Verrechnungssätze für Transporte durch die World Vision Deutschland) reicht von Medikamen- Bundeswehr liegen jedoch, sofern sie nicht in be- ten- und Nahrungsmittelversorgung über medi- sonderen Ausnahmefällen durch den Bund getra- zinische Versorgung (Personal, aber auch mobile gen werden, oberhalb des Marktpreisniveaus, weil Krankenhäuser13) bis hin zur Unterstützung beim die Flüge unpaarig sind (also leer zurückfliegen), Bau von Ver- und Entsorgungseinrichtungen.14 während ein privater Spediteur eine Maschine in der Nähe des Zielortes weiter verchartern und Ein Beispiel für die Beschaffung von Lufttrans- somit eine deutlich bessere Auslastungs- und Ko- portkapazitäten durch private Hilfsorganisationen stenstruktur realisieren kann.10 ist in Abbildung 2 skizziert. Die logistische Abwicklung im Lufttransportfall wird beim THW durch eine speziell geschulte Anders als bei der staatlichen Form der huma- Sondereinheit (SEE-Lift) durchgeführt.11 nitären Hilfeleistung muss keine Ausschreibung eines Transportauftrages stattfinden. Sofern die b) Private humanitäre Hilfsorganisationen Möglichkeit der Beiladung bei einem staatlich fi- nanzierten Lufttransport möglich ist, findet eine Zum Spektrum der privaten Akteure im Bereich Koordinierung bspw. durch das THW oder das der humanitären Hilfeleistung gehören sowohl BMVg statt. konfessionelle als auch private Einrichtungen. Die Gibt es keine Beilademöglichkeit, müssen die Form der formellen oder informellen Zusammen- Kapazitäten auf dem privaten Markt gechartert arbeit untereinander bleibt davon unberührt. werden.15 Bild: THW Mueller - Lufttransportkapazitäten im Katastrophenfall
Abbildung 2 - Einsatz einer privaten Hilfsorganisation im Ausland über Luftweg Katastrophe im Ausland Vorschlag für einen Einsatz an den Vorstand / Geschäftsleitung oder Anforderung der Partnerorganisation im Ausland Einsatzgenehmi- nein Vorgang gung und Mittel- abgebrochen bereitstellung ja nein Staatliche Beteiligung an dem Einsatz ja nein Nachricht über Beilademöglichkeit ja Koordinierung und Private Buchung Einsatzausführung (schematisch, eigener Entwurf) 8 BIGS Standpunkt Nr. I / November 2010
2.2 Lufttransportbedarf 2.2.1 Quantität des Bedarfs sogenannten Nachsorge, bei denen die Transporte Ein schematischer Ablauf eines Hilfseinsatzes im in der Regel nicht mehr über den Luftweg abgewi- Katastrophenfall ist in Abbildung 3 dargestellt. Je nach Art der Katastrophe und Erreichbarkeit ckelt werden. Die ersten vier bis acht Wochen16 in denen die Soforthilfemaßnahmen erfolgen (und des Zielgebietes ist dabei der Bedarf an Lufttrans- portkapazitäten unterschiedlich hoch. bei denen der Material- und Personalbedarf durch Lufttransporte gedeckt wird) erlauben eine gewis- Bei „guter Erreichbarkeit“, also auch über den se Planbarkeit des weiteren Bedarfs, sodass die See- und/oder Landweg, folgen nach den Sofort- Transporte auch über langsamere Transportwege hilfemaßnahmen anschließende Maßnahmen der möglich und dabei weniger kostenintensiv sind. Abbildung 3 – Ablauf eines Hilfseinsatzes Erkundungs- Aufkommen einer trupp Katastrophe Beginn eines Hilfseinsatzes Soforthilfe Anschließende Maßnahmen / Nachsorge t0 t1 t2 t3 tn Zeit (schematisch, eigener Entwurf) Ist das Zielgebiet allerdings über den See- oder (laut Tabelle 1 eine der häufigsten Katastrophen- Landweg nicht bzw. nicht „gut“ oder nicht „sicher“ fälle), sind die Seehafeninfrastruktur und deren erreichbar, müssen die Transporte auch nach der landseitige Verkehrsanbindung zumeist zerstört Soforthilfe, also während der gesamten Nach- und die hilfesuchende Region ist daher über den sorge, über den Luftweg erfolgen. Dies ist bspw. Seeweg nicht erreichbar. Dies ist z. B. derzeit in bei den Einsätzen des World Food Programme in Pakistan der Fall. Afrika regelmäßig der Fall.17 Vor allem bei Fluten Tabelle 1 – Katastrophen der letzten 30 Jahre Art der Katastrophe Anzahl der Katastrophenfälle Erdbeben 660 Dürren/Hungersnöte 640 Fluten 2.157 Vulkanische Eruptionen 123 Stürme 1.864 Daten: Guha-Sapir et al. (2004): 30ff. übernommen in Schulz (2008): S. 24. Mueller - Lufttransportkapazitäten im Katastrophenfall 9
Die durchschnittliche jährliche Häufigkeit von Um den quantitativen Bedarf an Lufttransport- Katastrophen steigt.18 Zugleich nimmt auch die kapazitäten für Hilfseinsätze zu skizzieren, sind Teilnahme Deutschlands an Dienstleistungen der in Tabelle 2 die Katastrophenfälle im Ausland auf- Katastrophenhilfe zu und somit auch der Bedarf gelistet, bei denen sich deutsche Hilfsorganisati- nach Transportkapazitäten für Katastrophenfälle. onen mit Hilfsmaßnahmen beteiligt haben. Tabelle 2 – Hilfseinsätze der letzten zehn Jahre im Ausland mit deutscher Beteiligung Jahr Ort Katastrophe 2010 Pakistan Flut 2010 Chile Erdbeben 2010 Haiti Erdbeben 2009 Indonesien Erdbeben 2009 Indonesien Erdbeben 2009 Vietnam Taifun 2009 Philippinen Taifun 2009 Afrika Flut und Hochwasser 2009 Sri Lanka Gefechte 2009 Simbabwe Cholera 2008 Pakistan Erdbeben 2008 Kongo Flüchtlingskatastrophe 2008 Birma Zyklon 2007 Mexiko und Mittelamerika Flut 2007 Afrika (Sahel/Ostafrika) Flut 2007 Peru Erdbeben 2007 Bangladesh Zyklon 2007 Südasien Flut 2006 Libanon Hilfsprojekte 2006 Java, Indonesien Erdbeben 2005 Westafrika Hungersnot 2005 Pakistan/Nordwest-Indien Erdbeben 2005 New Orleans Hurrikan 2004 Südasien Seebeben 2003 Bam, Iran Erdbeben 2003 Irak Hilfseinsätze 2003 Darfur, Sudan Bewaffneter Konflikt zwischen der Regierung und verschiedenen bewaffneten Gruppen 2002 Südliches Afrika (Hungersnot) Hilfsprojekte (Hungersnot) Daten: ADH (Datum unbekannt). Eine Ermittlung des tatsächlichen quantitativen Bedarf, der in den meisten Fällen weder zeitlich Bedarfs an Lufttransportkapazitäten konnte im noch transportmengenmäßig langfristig und ge- Rahmen dieser Studie noch nicht erfolgen. nau „planbar“ ist. Es erscheint daher zielfüh- De facto handelt es sich bei Soforthilfemaßnah- rend, eine qualitative Betrachtung des Bedarfs men im Rahmen der Katastrophenhilfe um einen vorzunehmen. 10 BIGS Standpunkt Nr. I / November 2010
2.2.2 Qualität des Bedarfs Neben den generellen Qualitätskriterien wie Ver- kapazitäten hinsichtlich Ladevolumen und Ge- fügbarkeit, Pünktlichkeit, Schnelligkeit und Sicher- wicht bereit stehen. Das THW hält für Ausland- heit ergeben sich je nach Einsatzart weitere, ganz seinsätze die in Tabelle 3 beschriebenen Einheiten besondere qualitative Anforderungen an die Trans- und Technik vor, für welche die Mitarbeiter des portkapazitäten. Von der Seite des Güterzuflusses THW speziell geschult sind.19 So ist ein schneller, müssen Transportmittel mit ausreichenden Lade- zielgerichteter Einsatz möglich. Tabelle 3 – Einheiten und Technik des THW im Ausland Einheiten und Technik des THW im Ausland High Capacity Pumping Modules (HCP) Hochleistungs-Wasserpumpen mit einer Leistung von bis zu 15.000 Litern pro Minute. Dabei kann das Wasser über eine Distanz von bis zu 1.000 m gepumpt werden. Die HCP-Module können auch in schwierigem Gelände arbeiten und sind autark einsetzbar. • Gewicht/Volumen: bisher keine Angaben • Transportmöglichkeit: derzeit nur Landweg Ausnahme beim Hochwasser von New Orleans, Trans- port in durch die US Air Force bereitgestellten Flugzeugen Schnell-Einsatz-Einhei Aus den Praxisanforderungen heraus entwickelte, Bergung Ausland (SEEBA) weltweit einsetzbare Einheit für Rettungs- u. Ber- gungseinsätze zur biologischen Ortung, techni- schen Bergung u. medizinischen Versorgung. Bis- herige Einsätze bspw. bei den Erdbeben in Indien, der Türkei, im Iran und in Pakistan.Das Team be- steht aus bis zu 68 Einsatzkräften. • Gewicht/Volumen: 15 t bei 75 m³ • Transportmöglichkeit: nicht für High-Loader geeignet, Gerätschaften und Personal können in herkömmlichen Transportflugzeugen nicht ge- meinsam fliegen Schnell-Einsatz-Einheit für Logistikabwicklung Sorgt im Inland für die schnelle Verlastung der im Lufttransportfall (SEE-Lift) Einsatzeinheiten und des Materials in enger Zu- sammenarbeit mit dem Flughafen unter Berück- sichtigung aller Vorgaben und Bestimmungen, insbesondere Gefahrgut- und Zollabwicklung. • Kein Transport notwendig Schnell-Einsatz-Einheit Wasser Ausland (SEEWA) Zu den Aufgaben der SEEWA zählen die Erkun- dung, die mobile Trinkwasseraufbereitung, die Wasserabgabe, die Wasseranalyse, die technische Beratung und die Instandsetzung zerstörter Was- serversorgungssysteme. Die Einheiten bestehen aus je neun Einsatzkräften. • Gewicht/ Volumen: ca. 30 t Material, modula- rer Aufbau der Trinkwasseraufbereitungsanlagen in 15 m³ und 6 m³ Einheiten • Transportmöglichkeit: gängige Transportflug- zeuge Technical Assistance Support Teams (TAST) Technisch ausgebildete Teams zur Unterstützung von Erkundungs- und Koordinierungsteams in den Bereichen Administration/IT/ Kommunikation, Logis- tik, Transport. Ein Team besteht aus vier Einsatz- kräften mit leicht transportierbarer Ausrüstung. • Gewicht/Volumen: leichte Ausstattung • Transportmöglichkeit: unproblematisch (eigener Entwurf), Daten: THW Mueller - Lufttransportkapazitäten im Katastrophenfall 11
Wie der Tabelle zu entnehmen ist, kommen für die Iljuschin IL-76 und Transall C-160 gechar- die Verlastung der Einheiten und Technik (bspw. tert worden.21 Beide Flugzeugtypen stehen in die High Capacity Pumping Modules des THW zur den kommenden Jahren zur Ausmusterung an. Hochwasserbekämpfung) zum Teil nur größere, spezielle Transportflugzeuge in Frage. Der Transportbedarf bei NGOs übersteigt eben- Vor dem Hintergrund der Ausweitung derartiger falls zum Teil die Transportkapazitäten gängiger Hilfsaktivitäten mit schweren Gerätschaften aus Verkehrsflugzeuge, so bspw. die mobilen Kran- anderen EU Mitgliedsstaaten20 ist mit einer Nach- kenhäuser des Roten Kreuzes (siehe Tabelle 4). fragesteigerung nach Transportkapazitäten in die- Je nach Größe, Gewicht und Zielort der Fracht sem Segment zu rechnen. kommen also Flugzeuge der Linienfluggesell- Dieser Bedarf kann auf EU-Ebene derzeit nur schaften22 oder große Frachtflugzeuge, wie bspw. teilweise gedeckt werden. In der Vergangen- die Antonov An-124 (mit 120 t Nutzlast und heit sind durch das THW Transportflugzeuge wie 800 m³ Ladevolumen)23, in Frage. Tabelle 4 – Hilfsgüter und Dienstleistungen von NGOs und UN-Organisationen (Auswahl) Hilfsgüter und Dienstleistungen von NGOs und UN-Organisationen (Auswahl) Personal Speziell auf den Katastropheneinsatz geschultes medizinisches, logistisches, betreuendes und anderes Personal. • Reisemöglichkeit: je nach Katastrophenort mit Flugzeugen per Linie oder charter, bzw. Helikopter oder Landweg (Abhängig von der Erreichbarkeit) Medikamente, Nahrung, Kann in gemäß Standard verpackt und palettiert werden und ist in Decken, Zelte gängigen Verkehrsflugzeugen transportierbar. • Gewicht/Volumen: unproblematisch • Transportmöglichkeit: je nach Katastrophenort Mobile Krankenhäuser (IFRC) Für den direkten Einsatz im Katastrophengebiet konzipierte, autark funktionsfähige Krankenhäuser u.a. mit einer „Notfallaufnahme, einen Operationsaal, eine Mutter-Kind-Station, eine Röntgeneinheit, ein Labor und eine Apotheke. Neben der ambulanten Behandlung er- möglichen bis zu 120 Betten die stationäre Aufnahme von Patienten.“24 • Gewicht/Volumen: keine Angaben • Transportmöglichkeit: derzeit in Iljuschin IL-76 oder Antonov An-124 Standard Health Kit (NEHK98) Medikamente und medizinisches Equipment zur medizinischen Versor- sorgung von 10.000 Menschen über einen Zeitraum von 3 Monaten. • Gewicht/Volumen: 865 kg bei 3,41 m³ pro Kit • Transportmöglichkeit: auch in Passagierflugzeugen transportierbar (eigener Entwurf), Daten: DRK (Datum unbekannt), WHO (Datum unbekannt), Interview mit Bundesanstalt THW und Johanniter 12 BIGS Standpunkt Nr. I / November 2010
In Bezug auf das Kriterium Landungsmöglich- sein. Bestimmte Flugzeugtypen sollten daher als keiten sind die Auswahl der einsetzbaren Trans- Standard beim Transport im Rahmen der Sofort- portmaschinen und ihre Anzahl durch die soge- hilfe nicht zum Einsatz kommen. nannten Entladekapazitäten am Katastrophenort oft weiter begrenzt.25 Sind die Landekapazitäten des Flughafens, wie z. B. im Fall von Haiti, überlastet oder zerstört, Beim Transportmittel Flugzeug ist die Be- und kann das Katastrophengebiet nur über einen wei- Entladekapazität im Wesentlichen definiert durch: ter entfernten Flughafen erreicht werden (die Lo- gistikkette wird dann um entsprechende Transpor- • Länge, Material und Zustand der Start- und te über den Landweg verlängert) oder es müssen Landebahn, wodurch die Auswahl der Muster Flugzeuge eingesetzt werden, die auch ohne (Flugzeugtypen) eingeschränkt wird. Flughafeninfrastruktur landen können. In diesem Übergroße gewerbliche Transportflugzeuge Fall kommen zumeist nur militärische (oder ehe- benötigen insbesondere bei hohem Fracht- mals militärische) Transportflugzeuge, wie z. B. gewicht eine lange und gut ausgebaute Lan- die Iljuschin IL-76, für die Nutzung in Frage. Ge- debahn; rade ältere Flugzeuge, wie die IL-76 entsprechen aber nicht den Umweltbestimmungen der EU und • Personal zur Bewältigung des Materialabflus- dürfen nur mithilfe von Sondergenehmigungen ses, damit die Parkdauer der Flugzeuge wäh- in Deutschland landen, um hier Güter aufzuneh- rend des Löschens der Fracht bei begrenztem men, und stehen ohnehin (wie bereits in Kapitel Parkflächenangebot den Betriebsablauf nicht 2.1.2 a erklärt) bald zur Ausmusterung an. stört; Ist der Güterfluss im Zielland vom Flughafen • ggf. Infrastruktur und Kapazitäten (auch Zoll zum eigentlichen Katastrophenort über die Stra- personal) zur weiteren Beförderung der Fracht, ßeninfrastruktur auch nicht möglich, wie bei der damit der Güterfluss der gelöschten Fracht Flutkatastrophe in Pakistan, kommen für einen zum Zielgebiet gewährleistet ist; One-Stop-Auftrag (also ohne nachgelagerte Lo- gistikkette, abgesehen von der Güterverteilung • Slotverfügbarkeit, d. h. in welchen Zeitabstän- direkt an den Endverbraucher vor Ort) ebenfalls den können Flugzeuge landen und starten; nur militärische Transportflugzeuge in Frage. • ggf. Treibstoffverfügbarkeit und entsprechen- Anderenfalls muss die Verteilung der Güter über de Pumpen, damit die gelandeten Flugzeuge alternative Absetzverfahren oder vom nächstlie- ihren Rückflug aufnehmen können; genden intakten Flughafen aus über kostenin- tensive Federflüge per Helikopter oder kleinen • ggf. Lagerkapazitäten zur Zwischenlagerung Flugzeugen erfolgen, was sich insbesondere beim der Fracht, falls eine direkte Weiterbeförde- Transport von übergroßen, sperrigen Gerätschäf- rung der Fracht nicht möglich oder nicht er- ten als problematisch darstellt. wünscht ist. Für diese speziellen Fälle kann und sollte eine Nutzen-Kosten-Abwägung stattfinden. Zur Er- mittlung einer allgemein haltbaren Aussage eig- Je nach Entladekapazitäten kommen nur bestimm- net sich eine dedizierte Analyse vergangener te Flugzeugmuster in Betracht, was die Auswahl Katastrophenhilfseinsätze im Rahmen von Fall- stark eingrenzt. Vor allem im Rahmen der Sofort- studien. hilfe empfiehlt es sich zudem, möglichst autark agieren zu können und die Katastrophenhilfe un- abhängig von äußeren Faktoren (wie bspw. den Entladekapazitäten) zu machen um die Hand- lungsfähigkeit sicherzustellen. Die Verlastung der Fracht sollte daher unabhängig von High-Loadern 13 Mueller - Lufttransportkapazitäten im Katastrophenfall
3. analyse Die Beziehung zwischen Hilfsorganisationen und durch Angebot (von Transportkapazitäten) und den für Transporte von Hilfsgütern benötigten Nachfrage (nach Transportkapazitäten) abge- Transportkapazitäten werden auf einem Markt bildet. 3.1 Bereitstellung nach Status Quo 3.1.1 Organisation und Marktübersicht Abbildung 4 – Markt bei Status Quo N1 Koordinierung der Nachfrage a THW A1 Teilweise informelle Für N1a, wenn A2 nicht verfügbar Für N1b, wenn Beiladung möglich öffentliche Rotes Kreuz b Kapazitäten Johanniter z. B. Luftwaffe Caritas … N2 A2 Private Nachfrage Privates Angebot Herkömmliches z. B. FedEX, UPS, Luftfrachtgeschäft Lufthansa Cargo, usw. (schematisch, eigener Entwurf) Die Nachfrage nach Lufttransportkapazitäten Bundeswehr nur unregelmäßig zur Verfügung. im Katastrophenfall (N1) teilt sich in öffentlicheZum Anderen übersteigt der Verrechnungssatz für (N1a) und zivile Nachfrage (N1b). Die Akteure die öffentlichen Kapazitäten dabei den Marktpreis sind entsprechend Kapitel 2.1 zugeordnet. privater Transportkapazitäten, da (wie unter 2.1.2 beschrieben) die Flüge unpaarig sind, aber Kosten Das öffentliche Angebot (A1) setzt sich für für Hin- und Rückflug anfallen. Deutschland im Wesentlichen aus den Kapazi- täten der Luftwaffe zusammen. Qualitativ zäh- Die privaten Hilfsorganisationen (N1b) grei- len zu diesem Angebot derzeit insbesondere die fen, wie in Abbildung 2 dargestellt, auf das öffent- Transportflugzeuge Transall C-160, Airbus A310, liche Angebot (A1) nur zu, wenn die Möglichkeit sowie der Großraumtransporter Antonov An-124, der Beiladung besteht. der über das SALIS-Abkommen26 gechartert wird. Dieses Angebot wird durch N1a selten nachgefragt Die Nachfrage nach Transportkapazitäten für und stellt aus Nutzersicht die Ultima Ratio dar. humanitäre Zwecke (N1) wird demnach aus rechtlichen und finanziellen Gründen sowie aus Zum Einen ist dies begründet durch die einge- Gründen der Flexibilität im Wesentlichen durch schränkte Verfügbarkeit öffentlicher Kapazitäten, das Angebot auf dem privaten Markt (A2) mit da diese weitestgehend durch den eigenen Bedarf herkömmlichen Passagier- und Frachtmaschinen des BMVg gebunden sind. Eine Gewährleistung ziviler Luftfahrtgesellschaften gedeckt. für die Verfügbarkeit gegenüber N1a ist nicht ge- Diese Nachfrage N1 nach A2 steht in Konkurrenz geben. Tatsächlich stehen diese Transportkapazi- mit der herkömmlichen privaten Nachfrage täten durch die zahlreichen Auslandseinsätze der nach Lufttransportkapazitäten (N2). 14 BIGS Standpunkt Nr. I / November 2010
Abbildung 5 – Entgelte bei überlasteter Infrastruktur p A p1 N1 p0 N0 x x‘ = Kapazitätsgrenze x‘ p1 - p0 = Knappheitszuschläge nach Aberle (2009): S. 346, verändert Im Falle einer Katastrophe steigt die Nachfrage nach p1). Die Transportkapazitäten (A) werden nach Lufttransportkapazitäten im Katastro- dann demjenigen Nachfrager (N) zugeteilt, der phenfall sprunghaft an. Da diese und die private die höchste Zahlungsbereitschaft hat. Nachfrage gemeinsam (N) auf dasselbe Angebot In der Regel handelt es sich bei der Nachfrage auf dem privaten Markt (A) entfallen, gerät das durch Hilfsorganisationen um zeitkritische Abrufe. private Angebot an seine Kapazitätsgrenze (x´), Die Zahlungsbereitschaft liegt dementsprechend d. h. es sind keine zusätzlichen Transportkapazitä- höher als bei sonstigen privaten Nachfragern und ten mehr verfügbar (vgl. Abbildung 5). Dies führt es werden Knappheitspreise mit Aufschlägen von zu Knappheitszuschlägen auf den Preis (p0 steigt teilweise mehr als einhundert Prozent bezahlt.27 3.1.2 Finanzierung Die Kosten der Beförderung von Hilfsgütern wer- Anteilen in der Finanzierung durch private und den sowohl bei staatlichen (hier THW) wie auch öffentliche Mittel. Während das THW einen grö- privaten Akteuren (private Hilfsorganisationen wie ßeren Anteil seiner Finanzierung durch öffentliche z. B. Rotes Kreuz u. a.)28 durch öffentliche und pri- Mittel bestreitet, finanzieren sich private Hilfsor- vate Mittel ermöglicht.29 Staatliche und private ganisationen mehrheitlich durch private Mittel. Abbildung 6 – Finanzierung der Lufttransporte öffentlich THW Eigenmittel privat Spenden Rotes Kreuz Steuern (AA) Johanniter EU-Mittel … (schematisch, eigener Entwurf) Mueller - Lufttransportkapazitäten im Katastrophenfall 15
Zu den öffentlichen Mitteln zählen dabei die Mittel Hilfsorganisationen die Standardisierung des Bundes (diese Mittel werden den Hilfsorgani- von logistischen Prozessen und damit die sationen durch das Auswärtige Amt zur Verfügung Ausschöpfung von Effizienzvorteilen. gestellt) und EU-Mittel, wie z. B. die unter Kapi- tel 2.1.1 erwähnten ECHO-Mittel. Private Mittel • Das Ausschöpfen von Gruppenvorteilen bei stammen im Wesentlichen aus Spendengeldern. der Nutzung von Lufttransportkapazitäten ist nicht geregelt und geschieht bestenfalls Zum Teil müssen Organisationen die im Zeitraum informell. vor einer Katastrophe angesparten Eigenmit- tel selbst vorstrecken (oder aufbringen), da die • Viele Hilfsorganisationen sind teilweise hand- Finanzierungsinstrumente zu unterschiedlichen lungsunfähig, da sie als einzelne „kleine“ Zeitpunkten greifen. Die z. B. durch ECHO bereit- Akteure in Krisengebieten institutionellen gestellten Mittel auf EU-Ebene können erst nach Mächten gegenüber stehen. sechs Wochen beantragt und bewilligt werden. Sofern also für einen Einsatz im Rahmen der So- forthilfe (unmittelbar nach der Katastrophe)30 die Mittel des Auswärtigen Amtes (nach Überprüfung und Bewilligung des Antrags) nicht ausreichen und 3.2 Alternative Bereitstellungsvarianten Spendengelder nicht sofort eingeworben wurden, Bei alternativen Bereitstellungsvarianten wird an- ist ein sogenannter „Swing“ (also das Vorstrecken genommen, dass neben dem privaten Angebot an von Rückerstattungsfähigen Mitteln) erforderlich. Lufttransportkapazitäten weitere Transportkapazi- täten zur Verfügung stehen, die insbesondere für Hilfsgütertransporte vorgehalten werden.31 3.1.3 Kritik am Status Quo 3.2.1 Prüfung der Bereitstellungsmöglich- Im Status-Quo treffen humanitäre und privatwirt- keiten schaftliche Interessen aufeinander. Der Bedarf der hilfeleistenden Organisationen ist ad hoc, nicht Anhand eines von Heinz Grossekettler entwickel- planbar und ggf. auch nicht aufschiebbar. ten Prüfschemas zur Bereitstellung von Kollektiv- gütern kann im folgenden Schritt geklärt werden, Am Status Quo ergeben sich folgende Kritikpunkte: wie das speziell für Katastrophenfälle vorgehalte- ne Angebot an Lufttransportkapazitäten bereitge- • Die sprunghaft ansteigende Nachfrage nach stellt werden muss.32 Lufttransportkapazitäten im Katastrophen- fall geht zugleich mit einer Knappheit auf Zur Ermittlung müssen vor allem zwei Größen be- der Angebotsseite einher und es werden ent- stimmt werden: sprechende Knappheitspreise fällig. • Rivalitätsgrad: Besteht eine Konkurrenz • Es besteht keine gesicherte Verfügbarkeit um die Nutzung der Transportkapazi- von Kapazitäten. Gerade diese gilt es sicher täten? zu stellen, damit im Bedarfsfall zügig darauf zugegriffen werden kann, ohne erst ein ent- • Exkludierbarkeit: Ist ein Ausschluss von sprechendes Angebot suchen und herbei der Nutzung der Transportkapazitäten- schaffen zu müssen. Ist das angefragte An- möglich? gebot zum gegebenen Zeitpunkt nicht ver- fügbar, muss ggf. auf andere Flugmuster oder Transportwege ausgewichen werden. • Die ungesicherte Verfügbarkeit v. a. der Art von Kapazitäten (Flugzeugtyp) erschwert 16 BIGS Standpunkt Nr. I / November 2010
a) Bestimmung des Rivalitätsgrades Es stellt sich also nicht nur die Frage, ob Rivali- tät beim Konsum besteht, sondern „wie viel“ Ri- Die Bestimmung der optimalen Bereitstellung ei- valität besteht, da zwischen den oben skizzierten nes Gutes, hier Lufttransportkapazitäten, basiert Extremfällen ein Kontinuum an möglichen Werten auf der Frage, ob Konsumenten bei der Nutzung existiert. Dieses Kontinuum beschreibt den Rivali- rivalisieren. Die gegenseitige Beeinflussung der tätsgrad. Konsumenten beim Konsum eines Gutes wird mit- Der Rivalitätsgrad ς ergibt sich im Normalfall aus hilfe des Rivalitätsgrades gemessen und soll für dem Kostenverlauf für die Herstellung und Nut- das Gut Lufttransportkapazitäten in diesem Ab- zung der Lufttransportkapazitäten. Dieser wird schnitt abgeschätzt werden. berechnet durch Multiplikation der Mengen- und Nutzungselastizität. Nutzungsrivalität besteht dann, wenn der Konsum eines Gutes durch ein Individuum den Konsum des Die Mengenelastizität der Bereitstellungsko- gleichen Gutes durch ein anderes Individuum ein- sten δ zeigt, ob Skalenvorteile bei der Produktion schränkt oder ausschließt. Zwischen den beiden auftreten. Gemessen werden Kostendegressions- Extremfällen: vorteile für die Herstellung von Bereitstellungsein- heiten (x), also Flugzeugen. Die Mengenelastizität • der Konsum eines Gutes durch ein In- kann die Werte δ > 1 bei überproportionalem bzw. dividuum schließt den Konsum dessel- δ = 1 bei proportionalem Kostenanstieg (es treten ben Gutes durch ein anderes Individu also keine Skalenvorteile auf) und 0 < δ < 1 für um aus (polares Individualgut); einen unterproportionalen Kostenanstieg haben. • der Konsum eines Gutes durch ein Indi- Die in Abbildung 7 dargestellte schematische Ko- viduum beeinträchtigt den Konsum des- stenfunktion für den Luftfrachttransport hat einen selben Gutes durch ein anderes Indivi- unterproportionalen Verlauf und somit treten Ska- duum nicht (polares Kollektivgut); leneffekte auf. Die Kosten steigen also um weni- ger als das Doppelte bei Verdopplung der Herstel- gibt es auch Mischformen, in denen etwa der Kon- lungsmenge (also bei Erhöhung der Anzahl von sum eines Gutes durch ein Individuum durch den Flugzeugen (x) von 1 auf 2). Dies ist auf die ge- Konsum desselben Gutes durch andere Individuen meinsame Nutzungsmöglichkeit der für den Flug- bis zu einer bestimmten Menge keine oder keine zeugbetrieb vorgehaltenen Infrastruktur zurück- ausschließenden Beeinträchtigungen haben.33 zuführen (Bsp.: Bei Erhöhung der Stückzahl von ein auf zwei Flugzeuge müssen nicht zwei Hangars gebaut werden, sondern eine größere Halle. Das Ersatzteillager muss nicht genau den doppelten Ersatzteilvorrat vorhalten etc.). Die Mengenelasti- zität δ hat daher den Wert 0 < δ < 1. Die Nutzungselastizität der Bereitstellungs- menge γ zeigt an, ob in einem Verein zusätzliche Mitglieder (Hilfsorganisationen) „voll zählen“ (γ = 1 oder γ > 1), speziell, ob der aus dem Beitritt einer weiteren Hilfsorganisation resultierende zu- sätzliche Transportbedarf (q) impliziert, dass ein weiteres Flugzeug vorgehalten werden muss, ob Gruppenvorteile auftreten (durch gemeinsame, zeitgleiche Nutzung von Flugzeugen zur Beförde- rung von Gütern mehrerer Hilfsorganisationen) (0 < γ < 1) oder ob keine zusätzlichen Einheiten (Flugzeuge) benötigt werden (γ = 0) unabhängig von der Transportmenge (q). Mueller - Lufttransportkapazitäten im Katastrophenfall 17 Bild: Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
Abbildung 7 – Kostenverlauf K (1 Flugzeug) (2 Flugzeuge) (3 Flugzeuge) (Kosten) x=1 x=2 x=3 b a K b a K ̃ a = Variable Kosten Flugzeugbetrieb b b = Frachtabhängige Kosten a Fixkosten (Vorhaltung der Infrastruktur, regelmäßige Wartung etc.) q (Transportmenge) Der Treppenverlauf der Kurve zeigt, dass eine zu- enthalten und gerade so hoch sind, dass die vor- sätzliche Beladung eines Flugzeuges möglich ist, handene Kapazität durch die Nachfrage mit der ohne dass unmittelbar ein weiteres Flugzeug ge- höchsten Zahlungsbereitschaft ausgelastet wird. nutzt werden muss, so lange bis das Flugzeug an Diese natürliche Anpassungsreaktion des Marktes seine Kapazitätsgrenze stößt. Die Menge der Aus- ist im vorliegenden Falle jedoch unerwünscht, weil stattungseinheiten (Flugzeuge) bleibt also bis zu nicht die Zahlungsbereitschaft einer Hilfsorgani- einer bestimmten Transportmenge konstant. Da- sation – und letztlich damit auch ihre Finanzkraft raus folgt der Wert für die Nutzungselastizität der – über die zeitliche Verteilung des Transports von Bereitstellungsmenge γ von 0 < γ < 1. Bei Über- Hilfsgütern entscheiden soll, sondern die Bedarfs- schreitung der Kapazitätsgrenze einer Ausstat- notwendigkeit der Hilfsgüter am Katastrophenort. tungseinheit (eines Flugzeuges) treten sprungfixe Daraus leitet sich die Notwendigkeit ab, dass die Kosten auf. Diesen Sachverhalt zeigt die Kurve K vorhandene Kapazität nicht nach der Zahlungsbe- in Abbildung 7. Findet jedoch eine Grenzbetrach- reitschaft der Hilfsorganisation zugeteilt werden tung statt, ist mit der approximativen Funktion kann, sondern durch eine Koordinierungsinstitu- K~ zu rechnen. Diese verläuft über den gesamten tion der Nachfrage (Priorisierung der Aufträge, Wertebereich unterproportional, demnach gilt für zeitliche Planung, etc.) erfolgen soll, sodass auf γ der Wertebereich 0 < γ < 1. das Angebot keine Überhangnachfrage entfällt. Im Fall, dass die Kapazitäten (Anzahl der Flugzeu- Die Vereinsmitglieder (Hilfsorganisationen) müs- ge) an ihre Grenze stoßen und eine Angebotsaus- sen sich also nach den zeitlichen Vorgaben der dehnung nicht möglich ist (also kein zusätzliches koordinierenden Instanz richten. Wird einem Auf- Flugzeug mehr zur Verfügung gestellt werden trag eine geringe Priorität zugewiesen, so hat kann), würden bei einer marktlichen Regelung, dies eine Auftragsausführung zu einem späteren wie in Kapitel 3.1.1 beschrieben, Verdrängungs- Zeitpunkt zur Folge.34 preise erhoben, die einen Knappheitszuschlag 18 BIGS Standpunkt Nr. I / November 2010
Die Werte hinsichtlich Nutzungs- und Mengene- nach sich zieht. Aufgrund der zuletzt genannten, lastizität ergeben für den Rivalitätsgrad ς ei- sehr restriktiven Annahme der Koordinierung der nen Wertebereich von 0 < ς < 1, was die Vor- Nachfrage ergibt sich für den Rivalitätsgrad je- teilhaftigkeit der organisationsübergreifenden, doch sogar der Wert ς = 0 oder nahe 0 (keine gemeinsamen Nutzung von Transportkapazitäten oder begrenzte Rivalität). b) Bestimmung der Exkludierbarkeit Die Frage der Ausschließbarkeit von der Nutzung Tragen die Hilfsorganisationen die Grenzkosten (Exklusion vom Konsum) soll die Probleme der der Nutzung selbst, so ist eine effiziente Entschei- nicht effizienten Nutzung der Transportkapazitä- dung über einen potentiellen Einsatz im Rahmen ten und des Trittbrettfahrens (also des Erschlei- der Nutzen-Kosten-Abwägung begrenzt gegeben. chens von Leistungen) klären. Würden nicht nur Preise in Höhe der Grenzkos- ten, sondern Vollkostenpreise zzgl. Knappheits- Auf die im Modell bereitgestellten Lufttransport- zuschlägen anfallen, würde damit die Entschei- kapazitäten für Hilfsgütertransporte können vor- dungseffizienz gesteigert, aber der beschriebene rangig nur Vereinsmitglieder (Hilfsorganisationen) Ausweicheffekt würde eintreten. Die Nutzung der zugreifen. An der Spitze des Vereins steht eine Kapazitäten muss also zu einem Preis unterhalb koordinierende Einheit (die Notwendigkeit dafür des Marktniveaus gegeben sein. wurde schon unter 3.2.1 a) erläutert). Aufgrund dieser Koordination ist zugleich die Möglichkeit Sind die bereitgestellten Lufttransportkapazitäten des Trittbrettfahrens nicht gegeben und ein Aus- durch die Vereinsmitglieder (Hilfsorganisationen) schluss von der Nutzung kann jederzeit und ohne nicht voll ausgelastet, so besteht die Möglichkeit, relevante Transaktionskosten erfolgen. dass die koordinierende Einheit freie Kapazitäten an Nicht-Vereinsmitglieder verchartert. Im nächsten Schritt muss jedoch auch die Frage In diesem Fall müs-sen diese Nutzer eine Gast- nach der effizienten Nutzung der Kapazitäten ge- gebühr entrichten, die höher ist als der von den klärt werden. Diese ist abhängig von der Finan- Mitgliedern bezahlte Preis.35 Es ergibt sich dar- zierungsform der Transportkapazitäten. aus also die Möglichkeit, ungenutzte Kapazitäten weiter auszulasten. c) Klassifikation Auf Grundlage von Rivalitätsgrad und Exkludier- klassifizieren (vgl. Tabelle 5). Die optimale Form barkeitsgrad lassen sich die Lufttransportkapazi- der Bereitstellung wäre, um der Theorie von Gros- täten für Katastrophenfälle als Klubkollektivgut.36 sekettler zu folgen, ein Verein. Tabelle 5 – Systematisierung von Gütern nach Musgrave Konsum (Rivalitätsgrad) Ausschluss (Exkludierbarkeitsgrad) Möglich Nicht möglich Rivalisierend Individualgüter Quasikollektivgüter Nicht rivalisierend Klubkollektivgüter Zwangskollektivgüter Grossekettler (1985): S. 212, verändert. Mueller - Lufttransportkapazitäten im Katastrophenfall 19
Vergleichbar mit einem Tennisclub würden sich die fragekoordinierenden Instanz (ohne Mitsprache- Nutzer zusammenschließen, das Gut Tennisplatz recht der Vereinsmitglieder) unterordnen müssen, vorzuhalten. Bei Unterauslastung stünde der Ten- schließt eine rein private Bereitstellung aus. Die nisplatz dann Nicht-Vereinsmitgliedern zu einer Gruppenvorteile, die sich aus der Vereinslösung Gästegebühr, die über der Mitgliedergebühr liegt, ergeben, sind nicht so groß, dass die Mitglieder für die Nutzung zur Verfügung. Idealtypisch wür- unbedingt an die Kapazitäten gebunden sind. Eine den sich also die staatlichen und nicht-staatlichen öffentliche Koordinierung der Kapazitätsnutzung Hilfsorganisationen zu einem Verein zusammen- und eine staatliche finanzielle Bezuschussung schließen, der zum Ziel hat, die Lufttransport- bei der Nutzung sind daher notwendig. Erst da- kapazitäten in Form von geeigneten Flugzeugen mit wird eine Vereinsmitgliedschaft mit der damit bereitzustellen. verbundenen Unterwerfung einer koordinieren- Die Grundannahme, dass sich die Mitglieder die- den Einheit für die Hilfsorganisationen attraktiv. ses Vereins (die Hilfsorganisationen) einer nach- 3.2.2 Organisation und Marktübersicht Aus den Annahmen von Kapitel 3.2 ergibt sich der bis zur Kapazitätsgrenze nicht auf das private An- in Abbildung 8 dargestellte Markt. gebot zu.37 Aufgrund der Annahme, dass die Nachfrage nach Sofern die vorgehaltenen Lufttransportkapazi- Lufttransportkapazitäten für Hilfsgütertransporte täten für Katastrophenfälle (LTraK) (A1) nicht (N1) koordiniert wird, ist also N1 eine nachfrage- ausgelastet sind, können diese an Dritte (N2) zu koordinierende Einheit nachgeschaltet. N1 greift Marktpreisen verchartert werden. Abbildung 8 – Markt bei alternativer Bereitstellung N1 Koordinierung der Nachfrage Hilfsorganisationen A1 (u. a. THW, Rotes Kreuz, Johanniter, LTraK Caritas u. s. w.) (Verein) N2 A2 Private Nachfrage Privates Angebot (schematisch, eigener Entwurf) 20 BIGS Standpunkt Nr. I / November 2010
3.2.3 Institutionelle Lösungen & Finanzierung Das Modell lässt die Skalierung der Vereinslösung • von staatlicher Seite oder von Hilfsor- zur Bereitstellung von Lufttransportkapazitä- ganisationen (letzteres ist ohne ent- ten offen. Vorstellbare Lösungen gehen von ei- sprechenden staatlichen Zuschuss prak- nem Zusammenschluss einer begrenzten Anzahl tisch nicht vorstellbar) werden Nutzungs- nationaler Hilfsorganisationen bis hin zu einem optionen erworben, die Koordinierung großen internationalen Verbund. Ein solcher Ver- wird von staatlicher Seite vorgenommen; ein kann sowohl vollständig selbstständig organi- siert werden oder an eine staatliche Organisation • offener Nutzerkreis (Nutzungsoptionen angebunden sein. gemäß Kapazitätsangebot verfügbar). Folgende institutionelle Lösungen sind denkbar: Durch Angliederung der Transportkapazitäten an „Staatlich auf EU-Ebene“: eine vorhandene Flotte von Flugzeugen ergeben sich Skalenvorteile (bei Wartung und Unterstel- • im Geschäftsbereich von ECHO oder bes- lung, Musterberechtigungen von Piloten, Perso- ser: ein Mitgliedstaat übernimmt die Lea- nalkosten etc.) und Effizienzsteigerungspotenti- dership-Funktion, Beispiel Deutschland: ale (bei Auslastung). Der Flottenbetreiber sollte im Geschäftsbereich des BMI unter Ein- also bereits eine entsprechende Infrastruktur für bindung des THW (oder möglicherweise den Flugzeugbetrieb vorhalten. auch des AA);38,39 • Angliederung der Flotte über das Euro- Hinsichtlich der Finanzierung und Tarifierung päische Lufttransportkommando an die bestehen folgende Möglichkeiten: entsprechende nationale Luftwaffe oder separate Vorhaltung der Kapazitäten; • Die Vereinsmitglieder (Hilfsorganisationen) zahlen die Bereitstellungskosten in Form ei- nes Beitrags und einen Grenzkostenpreis in • Nutzung durch alle EU-Staaten („Verein“ Höhe der flugabhängigen Kosten. Der Ver- auf Staatenebene); ein erhält vom Staat in Katastrophenfällen einsatzabhängige staatliche Zuschüsse. „Staatlich auf nationaler Ebene“: • Hilfsorganisationen zahlen nur den trans- portabhängigen Anteil (Grenzkosten), der • im Geschäftsbereich des BMI unter Ein- Staat trägt die Fixkosten der Bereitstel- bindung des THW (oder möglicherweise lung der Flugzeuge. Daraus ergibt sich für auch des AA); den Staat die Berechtigung den Koordinator zu stellen. • unmittelbare Nutzung durch deutsche Hilfsorganisationen, andere EU-Staaten • Der Staat trägt alle Kosten (bzw. die EU- können Nutzungsoptionen kaufen; Mitgliedsstaaten tragen alle Kosten), stellt dann aber auch den Koordinator, der über die Zuteilung der Kapazitäten an die Ver- „Privat“: einsmitglieder entscheidet. Hierbei würde es sich aber um eine unechte Vereinslösung • die Kapazitäten werden von einem exis- handeln, die eher einer staatlichen Bereit- tierenden Transportunternehmen oder stellung ähnelt. anderen Flottenbetreibern vorgehalten und in deren Flotte integriert oder ein pri- vates Unternehmen wird zur separaten Vorhaltung der Kapazitäten gegründet; Mueller - Lufttransportkapazitäten im Katastrophenfall 21
3.2.4 Zwischenfazit 3.2.5 Umsetzungshemmnisse Hinsichtlich der Herstellung sind vor dem Hinter- Umsetzungshemmnise bestehen vorallem hin- grund der ermittelten optimalen Bereitstellung sichtlich: folgende Ausgestaltungsvarianten in die engere Wahl einzubeziehen: • des politischen und gesellschaftlichen Wider- standes, der bei der Vorhaltung von geson- „Öffentliche Variante“: derten Lufttransportkapazitäten für Katastro- phenfälle zu erwarten ist, von: • Der Verein würde einer öffentlichen Institu- tion angegliedert. Dies kann sowohl auf o Parteien und Regierungen (insbesondere multinationaler Ebene (bspw. Luftwaffen aufgrund des öffentlichen Mittelbedarfs. von Frankreich, Deutschland, Niederlande Eine Willensbekundung von politischer Seite und Belgien, die ihre Organisation dem Eu- ist für ein solches Vorhaben unabdingbar; ropäschen Lufttransportkommando unter- stellen) erfolgen oder z. B. beim Bundes- o privaten Transportgesellschaften, die trotz innenministerium (ggf. auch AA). Hier kön- einer geringen Beeinflussung des Marktes nen durch die Nutzung der vorhandenen auf die Marktverzerrungen verweisen könn- technischen Ausstattung und des Know-hows ten; der öffentlichen Hand (BMVg bzw. Luftwaffe) Größenvorteile bei der Wartung und Instand- o Hilfsorganisationen, insbesondere in Bezug haltung genutzt werden. Die Flotte der Fracht- auf den Koordinierungszwang bei Nutzung maschinen würde also vom Verein unter der Kapazitäten, aber auch hinsichtlich der der Obhut des BMI betrieben, der technische Zahlungsbereitschaft (je nach Finanzierungs- Betrieb aber von der Luftwaffe übernommen. modell); • Die Kapazitäten an militärischen Frachtflug o der Bevölkerung, die je nach Finanzierungs- zeugen eines Typs würden zu diesem Zwec- modell über Steuern einen Anteil der Kosten ke erhöht, die zusätzlichen Maschinen aber der Vorhaltung mittragen muss, denen aber vorwiegend für Katastropheneinsätze und Einsparungen gegenüberstehen; zivile Einsätze vorgehalten. • noch zu prüfender rechtlicher Umsetzungs- „Private-Variante“: hemmnisse, wie beispielsweise: • Die Kapazitäten werden bei einem existie- o Bestimmungen für Landegenehmigungen renden Transportunternehmen oder Flotten von zivilen und militärischen Luftfahzeugen betreiber vorgehalten und homogen in des- (je nach Modellausgestaltung); sen Flotte integriert. Dabei werden die Effi- zienzvorteile des privaten Lufttransport- o Prüfung von Möglichkeiten und Beschrän- marktes genutzt. kungen beim Einsatz von fliegerischem und technischem Personal hinsichtlich ziviler • Hinsichtlich der Wahl des Flugzeugtyps sind oder militärischer Lizensierung. unter Abwägung der Einsetzbarkeit in Kata- strophenfällen Skalenvorteile zu nutzen. Für alle Varianten muss gelten: Zur Grund- fianzierung können Nutzungsoptionen von staatlicher Seite (EU-weit) oder von Hilfsor- ganisationen gemäß Kapazitätsangebot er- worben werden (Bereitstellung im Verein).40 22 BIGS Standpunkt Nr. I / November 2010
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