UMDENKEN! Industrieausnahmen reformieren, Innovationen fördern, Klimaneutralität ermöglichen 11/ 2020
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
WISO DISKURS D I S K U R S 11/ 2020 Florian Zerzawy, Fabian Liss, Lea Paoli UMDENKEN! Industrieausnahmen reformieren, Innovationen fördern, Klimaneutralität ermöglichen
WISO DISKURS 11/ 2020 Die Friedrich-Ebert-Stiftung Die FES ist die älteste politische Stiftung Deutschlands. Benannt ist sie nach Friedrich Ebert, dem ersten demokratisch gewählten Reichspräsidenten. Als parteinahe Stiftung orientieren wir unsere Arbeit an den Grundwerten der Sozialen Demokratie: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Als gemeinnützige Institution agieren wir unabhängig und möchten den pluralistischen gesellschaftlichen Dialog zu den politischen Herausforderungen der Gegenwart befördern. Wir verstehen uns als Teil der sozialdemokratischen Wertegemeinschaft und der Gewerkschaftsbewegung in Deutschland und der Welt. Mit unserer Arbeit im In- und Ausland tragen wir dazu bei, dass Menschen an der Gestaltung ihrer Gesellschaften teilhaben und für Soziale Demokratie eintreten. Die Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung Die Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik verknüpft Analyse und Diskussion an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik, Praxis und Öffentlichkeit, um Antworten auf aktuelle und grundsätzliche Fragen der Wirtschafts- und Sozial politik zu geben. Wir bieten wirtschafts- und sozialpolitische Analysen und entwickeln Konzepte, die in einem von uns organisierten Dialog zwischen Wissenschaft, Politik, Praxis und Öffentlichkeit vermittelt werden. WISO Diskurs WISO Diskurse sind ausführlichere Expertisen und Studien, die Themen und politische Fragestellungen wissenschaftlich durchleuchten, fundierte politische Handlungsempfehlungen enthalten und einen Beitrag zur wissenschaftlich basierten Politikberatung leisten. Über die Autor_innen dieser Ausgabe Florian Zerzawy ist wissenschaftlicher Referent für Energiepolitik beim Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft und hat Geografie mit den Schwerpunkten Entwicklungsforschung und Umweltökonomie an der Universität Bayreuth studiert. Unter Mitarbeit von Fabian Liss hat Rechtswissenschaft (Unternehmens- und Wirtschaftsrecht) (LL.B.) an der Leuphana Universität Lüneburg studiert und 2017 ein Zweitstudium der Politikw issenschaft (B.A.) an der Leibniz Universität Hannover aufgenommen. Lea Paoli hat Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu Köln studiert (B. Sc.) und wird ihren konsekutiven Master im Fach Volkswirtschaftslehre absolvieren. Für diese Publikation ist in der FES verantwortlich Max Ostermayer ist in der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik für den Arbeitsbereich Klima-, Energie- und Strukturpolitik verantwortlich und leitet den Arbeitskreis Nachhaltige Strukturpolitik.
11/ 2020 WISO DISKURS Florian Zerzawy, Fabian Liss, Lea Paoli UMDENKEN! Industrieausnahmen reformieren, Innovationen fördern, Klimaneutralität ermöglichen 2 VORWORT 3 ZUSAMMENFASSUNG DER ERGEBNISSE 4 1 EINLEITUNG: INNOVATIONEN FÜR EINE KLIMANEUTRALE INDUSTRIE 6 2 STRUKTURDATEN DES PRODUZIERENDEN GEWERBES 9 3 REFORMVORSCHLAG: NEUGESTALTUNG DER INDUSTRIEAUSNAHMEN BEI DEN STROMPREISEN 9 3.1 Bestehende Ausnahmeregelungen 9 3.2 Ausgestaltungselemente einer Reform 12 3.3 Auswirkungen des Reformvorschlags 15 4 MITTELVERWENDUNG: STRUKTURWANDEL GESTALTEN, DEKARBONISIERUNG VORANBRINGEN 15 4.1 Carbon Contracts for Difference 16 4.2 Innovationsförderung 16 4.3 Investitionszuschüsse über steuerliche Förderung 18 5 FAZIT 19 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis 19 Abkürzungsverzeichnis 20 Literaturverzeichnis
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 2 VORWORT Auf circa 17 Milliarden Euro pro Jahr belaufen sich derzeit die und drittens die Einführung von Instrumenten zur Unterstützung Subventionen für fossile Energieträger in Deutschland – allein der Branchen, die in die Dekarbonisierung ihrer Produktion im Energiesektor. Das war das Ergebnis des Berichts „Umlenken! investieren müssen. Subventionen abbauen, Strukturwandel gestalten, Klima Damit würden sowohl Anreize für eine energieeffizientere schützen“, den das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V. und damit klimafreundlichere Produktion gesetzt als auch Inno- (FÖS) im Auftrag des Arbeitskreises Nachhaltige Struktur vationen gefördert und der Strukturwandel des Industrie politik der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) verfasst hatte. Ein wesent- standortes Deutschland aktiv begleitet. Die geplante Revision licher Teil dieser Subventionen entfällt auf Ausnahmerege der EU-Energiesteuerrichtlinie, die Debatte um einen euro- lungen für die Industrie und das produzierende Gewerbe. päischen Grenzsteuerausgleich sowie die Novelle des Erneuer- Begründet werden diese Ausnahmeregelungen häufig bare-Energien-Gesetzes (EEG) bieten nun die Gelegenheit, damit, dass eine zu hohe Belastung die internationale Wettbe- diese Schritte zu gehen. werbsfähigkeit der betroffenen Betriebe gefährden würde und zu einer Verlagerung von Arbeitsplätzen in das Ausland führen könnte. Diese Argumentation trifft jedoch nicht auf alle HANS EICHEL Unternehmen zu, die derzeit in den Genuss der Begünstigungen Bundesfinanzminister a. D. und Sprecher des Arbeitskreises kommen. Klima- und strukturpolitisch ist das problematisch. Nachhaltige Strukturpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung Denn es fehlen schlichtweg die Anreize, die eigenen Produktions- prozesse so energieeffizient wie möglich zu gestalten. Damit MAX OSTERMAYER werden auch die ambitionierten Klimaschutzziele konterkariert, Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert- die sich die Bundesregierung im Rahmen des Klimaschutz Stiftung gesetzes gesetzt hat. Langfristig betrachtet wirken die Regelungen als Hemmschuh für Prozessinnovationen und können aus wirtschafts- und beschäftigungspolitischer Sicht mehr schaden als nutzen. Klar ist, dass Unternehmen, die einem intensiven globalen Wettbewerb ausgesetzt sind und deren Produktion sehr ener- gieintensiv ist, vor großen Herausforderungen stehen, in der Grund- stoffindustrie beispielsweise. In den nächsten Jahren stehen in diesen Branchen grundlegende Investitionsentscheidungen an, die deren Emissionspfade für Jahrzehnte prägen werden. Denn viele Anlagen müssen ausgetauscht oder modernisiert werden. Eine zielgenaue Reform der bestehenden Ausnahme- regelungen ist deshalb dringend geboten, um jetzt die richtigen Anreize für morgen zu setzen. In der vorliegenden Veröffentlichung im Auftrag des Arbeits- kreises Nachhaltige Strukturpolitik der FES stellt das FÖS einen Vorschlag für eine solche Reform vor. Er vereint drei wesentliche Elemente: erstens eine bessere Eingrenzung der Ausnahme regelungen auf energieintensive Unternehmen, die im inter- nationalen Wettbewerb stehen; zweitens eine Koppelung der Begünstigungen an die Umsetzung von Effizienzmaßnahmen;
UMDENKEN! WISO DISKURS 3 ZUSAMMENFASSUNG DER ERGEBNISSE Die deutsche Industrie ist ein Grundpfeiler der deutschen Volks von mindestens 1,7 MWh pro 1.000 Euro Bruttowertschöp- wirtschaft. Sie trägt maßgeblich zum Bruttoinlandsprodukt fung vorgesehen. Der Umfang der Begünstigung beträgt je und zur Beschäftigungssicherung bei. Insbesondere die Grund nach Stufe und Unternehmen zwischen 25 und 80 Prozent stoffindustrie steht jedoch vor einem grundlegenden Wandel. der einbezogenen Strompreisabgaben. Denn auf dem Weg zur Klimaneutralität müssen Technologien – Gewährung der Begünstigung durch eine Rückerstattung mit- und Prozesse bereits in den nächsten Jahren auf dieses Ziel hilfe von Produktbenchmarks für den Stromverbrauch pro ausgerichtet werden, da sonst Pfadabhängigkeiten drohen. Die hergestellter Produktionsmenge. Einer Anreizwirkung der Ausnahmen für die Industrie bei Strompreisabgaben stehen Begünstigung für ineffiziente Produktionsweisen wird dem Ziel der Klimaneutralität entgegen. Denn sie sorgen nicht damit vorgebeugt. für die notwendigen Effizienzanreize, die auch in einer elek – Verpflichtung zur Umsetzung von Energieeffizienzmaß- trifizierten und dekarbonisierten Zukunft notwendig bleiben, um nahmen mit einer Amortisationszeit unter vier Jahren. Stromverbrauch und Stromkosten auf einem verträglichen Niveau zu halten. Bei Umsetzung des Vorschlags würde sich die Anzahl der be- Im produzierenden Gewerbe bestehen im Bereich der günstigten Unternehmen und Branchen deutlich reduzieren Energie- und Strompreise verschiedene Ausnahmeregelungen und die begünstigte Strommenge im produzierenden Gewerbe bei Strom- und Energiesteuer, EEG-Umlage, Netzentgelten, auf etwa 50 Prozent zurückgehen. Die Auswirkungen auf Emissionshandel und weiteren Abgaben und Umlagen, für die die Strompreise bei Unternehmen des produzierenden Gewerbes sehr unterschiedliche Kriterien der Inanspruchnahme bestehen hängen davon ab, in welchem Umfang sie zuvor Begünsti (vgl. FÖS et al. 2019: 20). Die Ausnahmeregelungen werden gungen erhalten haben, die ihnen nach der Reform nicht mehr dabei je nach Anwendungsfall einzeln oder auch kombiniert in gewährt werden. Stark wettbewerbs- und Carbon-Leakage- Anspruch genommen, je nach Anlage bzw. Produktionspro- gefährdete Unternehmen würden wie zuvor weitgehend von zess, Unternehmen und Branchenzugehörigkeit. Im Maximalfall staatlich regulierten Strompreisbestandteilen befreit bleiben, ist ein Unternehmen von Steuern, Abgaben und Umlagen auf auf andere Unternehmen, die bisher begünstigt waren, würden Energie weitestgehend befreit. Die meisten Ausnahmen werden dagegen Mehrkosten zukommen. Bei bisher nicht begünstigten mit dem Erhalt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Unternehmen würde die Reform zu sinkenden Strompreisen begründet. Die Indikatoren zur Abgrenzung beziehen sich dabei führen, da die EEG-Umlage durch die Reduzierung der Aus- aber nicht auf das Ausmaß des Wettbewerbs (z. B. die Handels- nahmen sinken würde. intensität), sondern hauptsächlich auf den Umfang der Strom- Verbunden werden sollte eine Reform der Industrieaus- kosten bzw. des Stromverbrauchs. nahmen mit einer Verwendung der freiwerdenden Mittel in der Der hier vorgestellte Reformvorschlag verschlankt und Industrie, um klimawirksame Investitionen in genau jenen harmonisiert die geltenden Ausnahmeregelungen bei EEG-Umlage, Branchen zu fördern, die von der Reform betroffen wären. Mög- Stromsteuer und bestimmten Netzumlagen. Er ist darauf aus- liche Instrumente dafür sind Carbon Contracts for Difference, gerichtet, die Effizienzpotenziale zu heben, und konzentriert die Innovationsförderung oder Investitionszuschüsse über eine steuer- Begünstigungen zudem auf die Branchen und Unternehmen, die liche Förderung. Dadurch ließen sich gezielt Innovationen in tatsächlich wettbewerbsgefährdet sind und bei denen ein hohes den betroffenen Branchen voranbringen, um die Unternehmen Carbon-Leakage-Risiko besteht. Der Vorschlag besteht aus gut für die notwendige Transformation hin zur Klimaneutralität folgenden Elementen: aufzustellen. – Differenzierung der Begünstigungen in drei Stufen anhand der Wettbewerbs- und Stromintensität der Branche. Ergänzend ist als Unternehmenskriterium eine Stromintensität
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 4 1 EINLEITUNG: INNOVATIONEN FÜR EINE KLIMANEUTRALE INDUSTRIE Die Industrie ist ein Grundpfeiler der deutschen Volkswirtschaft: einen Vorschlag für einen CO2-Grenzsteuerausgleich (Carbon Border Mit einem Anteil von etwa 23 Prozent am Bruttoinlandspro- Tax Adjustment) 3 für bestimmte Sektoren vorlegen, um Wett- dukt (BIP) und mehr als 6,5 Millionen Beschäftigten trägt das bewerbsverzerrungen und Carbon Leakage 4 aufgrund unter- verarbeitende Gewerbe maßgeblich zu Wertschöpfung und schiedlicher Klimaschutzstandards zwischen der EU und Sicherung von Arbeitsplätzen in Deutschland bei. Gleichzeitig anderen Ländern zu vermeiden (Europäische Kommission 2019: 2). steht die Industrie vor einem grundlegenden Wandel. Bis 2030 Im März 2020 hat die Kommission zudem ihre Industrie müssen die Treihausgasemissionen (THG-Emissionen) gemäß den strategie vorgelegt, in der der Industrie eine wichtige Rolle als Sektorzielen im Klimaschutzgesetz um knapp 30 Prozent Wegbereiter der Klimaneutralität 2050 zugewiesen wird. gegenüber dem Niveau 2018 sinken (Bundestag 2019: 2.520). Unterstützt werden soll dies u. a. durch den Innovationsfonds Bis 2050 sieht der Klimaschutzplan 2050 (Bundesregierung im Rahmen des europäischen Emissionshandelssystems (ETS), 2016) weitgehende Klimaneutralität vor. Erfolgen die richtigen mit dem z. B. die klimaneutrale Stahlerzeugung vorangebracht Weichenstellungen, wird dies auch gesamtwirtschaftlich zu werden soll (Europäische Kommission 2020a: 7). Angesichts positiven Beschäftigungseffekten führen (vgl. Prognos 2019). In der Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise den vergangenen zehn Jahren gab es zwar Effizienzsteigerun- bleibt abzuwarten, welche Anpassungen es beim Green Deal gen in der Industrie, aufgrund von Produktionszuwächsen sind geben bzw. wie das Programm mit dem geplanten European Re- die THG-Emissionen der Industrie jedoch nicht zurückgegangen covery Fund verzahnt wird (FÖS et al. 2020: 31; Europäische (Agora Energiewende/Wuppertal Institut 2019: 9f.). Angesichts Kommission 2020b). eines hohen Reinvestitionsbedarfs und zugleich langen Reinves- In Deutschland dreht sich die energie- und industriepoliti- titionszyklen,1 insbesondere in den Grundstoffindustrien Stahl, sche Diskussion auch um eine Reform der Steuern, Abgaben Chemie und Zement, müssen die in den nächsten Jahren ge- und Umlagen im Energiebereich. Eine Überprüfung der Anreiz- tätigten Investitionen bereits dem Anspruch der Klimaneutra- systematik ist im Koalitionsvertrag verankert. Um die Industrie lität entsprechen, damit die Ziele erreicht werden können. für den notwendigen Strukturwandel gut aufzustellen, gehören Ein Austausch älterer Produktionsanlagen durch neuere, effizien- in dem Zusammenhang auch die Ausnahmeregelungen im tere, die aber weiterhin auf dem Einsatz fossiler Energieträger Bereich der Energiepreise auf den Prüfstand. Denn sie fördern beruhen, würde dem entgegenstehen. Daher müssen heute die entweder direkt den Einsatz fossiler Energieträger, beispiels- richtigen Weichenstellungen geschaffen werden, um die weise im Falle reduzierter Energiesteuersätze für Unternehmen Industrie in ihren Klimaschutzbemühungen zu unterstützen. des produzierenden Gewerbes. Oder sie begünstigen diese Mit Blick auf Europa lässt sich feststellen, dass in die EU- indirekt über reduzierte Strompreisbestandteile, indem sie Effi- Klimaschutzpolitik zuletzt viel Bewegung gekommen ist: Mit zienzanreize mindern und damit den Einsatz fossiler Kraft- dem „European Green Deal“2 als neuer Wachstumsstrategie werke zur Stromerzeugung erhöhen. Die meisten Ausnahmen möchte die EU-Kommission Europa bis 2050 klimaneutral machen. werden mit dem Erhalt der internationalen Wettbewerbsfähig- Das Klimaziel für 2030 soll verschärft werden. Dazu sollen keit begründet. Natürlich muss diese in Branchen, die interna- verschiedene Richtlinien, u. a. die EU-Energiesteuerrichtlinie tionaler Konkurrenz ausgesetzt sind (insbesondere die energie- reformiert werden. Außerdem will die Kommission 2021 intensive Grundstoffindustrie) gewahrt bleiben, um industrielle Wertschöpfung in Deutschland zu erhalten und Carbon 1 Beispielsweise erreichen in der Stahlindustrie etwa 50 Prozent der Hochöfen, in der Chemieindustrie etwa 60 Prozent der Steamcracker bis 2030 das Ende ihrer Lebensdauer. Gleichzeitig weisen Anlagen oft Lebens- 3 Erhebung eines CO2-Preises auf bestimmte Güter, die von außerhalb dauern von 50 bis 70 Jahren auf (Agora Energiewende/Agora Verkehrs- der EU importiert werden. wende 2020: 17f.). 4 Verlagerung der Produktion und damit von CO2-Emissionen in Länder 2 Europäischer Grüner Deal, Konzept der EU-Kommission, vorgestellt im mit geringeren Klimaschutzanforderungen. Dadurch käme es global nicht Dezember 2019. zu einer Emissionsreduktion.
UMDENKEN! WISO DISKURS 5 Leakage, das heißt die Abwanderung der Industrieproduktion in Länder mit geringeren Klimastandards, zu verhindern. Bisher werden bei den Ausnahmen aber ganz unterschiedliche Indi- katoren zur Abgrenzung herangezogen. Diese beziehen sich häufig jedoch nicht auf das Ausmaß des Wettbewerbs (z. B. die Handelsintensität), sondern hauptsächlich auf den Umfang der Stromkosten bzw. des Stromverbrauchs. Ziel einer Reform der Industrieausnahmen im Energiebereich sollte daher sein, diese so umzugestalten, dass sie mit den klimapolitischen Zielen der Bundesregierung vereinbar sind. Die durch eine Reform zusätzlich generierten Steuereinnahmen des Staates können genutzt werden, um gezielt Klimaschutz- maßnahmen in der Industrie zu fördern. Der Klimanutzen wird maximiert, indem zum einen Fehlanreize abgebaut, zum anderen die richtigen Maßnahmen unterstützt werden. In dieser Kurzanalyse wird in Kapitel 3 ein Reformvorschlag zur Verschlankung und Harmonisierung der unternehmens bezogenen Ausnahmeregelungen bei EEG-Umlage, Stromsteuer und weiteren staatlich regulierten Strompreisbestandteilen (Strompreisabgaben) vorgestellt, der im Rahmen eines Forschungs- vorhabens des Umweltbundesamts entwickelt wurde (FÖS et al. 2019). Kapitel 4 zeigt Möglichkeiten auf, die Einnahmen aus der Subventionsreform zielgenau bei den betroffenen Branchen für Klimaschutzmaßnahmen einzusetzen. Zunächst wird aber in Kapitel 2 der Blick auf die Struktur der deutschen Industrie und die Betroffenheit einzelner Branchen gelenkt.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 6 2 STRUKTURDATEN DES PRODUZIERENDEN GEWERBES Das produzierende Gewerbe ist klein- und mittelständisch ge- durch Energieverbrauch sind die Energiekosten im Verhältnis prägt (vgl. Abbildung 1). Die Unternehmen im Bereich Berg zum Bruttoproduktionswert (BPW). Ein Vergleich der bau und Gewinnung von Steinen und Erden sind zu einem Groß- Kostenstrukturen zeigt, dass bei Unternehmen aus dem Bereich teil Kleinstunternehmen (47 Prozent) und kleine Unternehmen der Gewinnung von Steinen und Erden sowie sonstiger Berg- (41 Prozent), vor allem aufgrund der kleinteiligen Betriebsstruk- bau (WZ08-08 der Klassifikation der Wirtschaftszweige) mit neun tur im Sektor Steine und Erden. Im verarbeitenden Gewerbe Prozent ein außerordentlich hoher Kostenanteil auf die Ener- sind die Kleinstunternehmen mit 61 Prozent noch stärker ver- giekosten entfällt, gefolgt von Kohlenbergbau (WZ08-05, sechs treten. 27 Prozent entfallen auf kleine Unternehmen und neun Prozent) und Herstellung von Papier, Pappe und Waren (WZ08-17), Prozent auf mittlere Unternehmen. Großunternehmen machen Herstellung von Glaswaren, Keramik, Verarbeitung von Steinen in beiden Abschnitten nur einen sehr geringen Anteil an allen und Erden (WZ08-23) sowie Metallerzeugung und -bearbeitung Unternehmen aus (zwei Prozent bei Abschnitt B und drei Prozent (WZ08-24) mit jeweils fünf Prozent Kostenanteil. bei Abschnitt C). 5 Aussagekräftiger als das Verhältnis der Energiekosten zum Insgesamt sind im produzierenden Gewerbe 6,5 Millionen Produktionswert ist jedoch die Betrachtung der Energieinten Menschen beschäftigt. Mit über einer Million Beschäftigten sität als Verhältnis von Energieverbrauch zur Wert- stellen Unternehmen aus dem Bereich Maschinenbau (WZ08-28) schöpfung. Denn bei den Kosten sind die bestehenden Vergüns- die meisten Mitarbeiter_innen, gefolgt von der Automobil tigungen für Unternehmen bereits enthalten. Entfällt ein industrie (WZ 08-29) mit über 850.000 Beschäftigten und der geringerer Kostenanteil auf Energie, so kann dies entweder daran Herstellung von Metallerzeugnissen mit fast 700.000 Beschäf- liegen, dass Ausnahmeregelungen bei den Strom-/Energie- tigten. Zwischen den Branchen bestehen zahlreiche Vor- und preisabgaben in Anspruch genommen werden, oder daran, dass Nachleistungsverflechtungen. die Güterproduktion eines Wirtschaftszweiges wenig Energie Abbildung 2 stellt die Beschäftigten und die Bruttowert- benötigt oder besonders energieeffizient produziert. Im Folgenden schöpfung nach Wirtschaftszweigen dar. Der Maschinenbau, steht insbesondere der Stromverbrauch im Fokus, mit dem die Automobilindustrie und die chemische Industrie weisen die sich sowohl auf Ebene der Unternehmen als auch der Branchen höchste Wertschöpfung auf. Mit Blick auf die Beschäftigung ermitteln lässt, wie stromintensiv die Produktion im Verhält- sind Maschinenbau, Metallerzeugung und die Nahrungs- und nis zur Wertschöpfung ist. Dabei gilt es zu beachten, dass ein Futtermittelindustrie die drei bedeutendsten Branchen. hoher Wert sowohl durch einen hohen Stromverbrauch als Die geltenden Ausnahmen bei den Strompreisabgaben werden auch durch eine niedrige Bruttowertschöpfung (BWS) oder einer Unternehmen des produzierenden Gewerbes, besonders aus Kombination aus beidem entstehen kann. Abbildung 4 stellt dem Bereich der energieintensiven Industriezweige, gewährt den Stromverbrauch pro Bruttowertschöpfung der Wirtschafts- (vgl. Kapitel 3). zweige des produzierenden Gewerbes dar. Der Mittelwert Die Kostenbelastung durch den Einsatz von Energie ist dabei über alle Industrien liegt bei 0,24 MWh/1.000 Euro. Dabei fällt sehr unterschiedlich, wie Abbildung 3 zeigt. Ein Kernindikator der Kohlenbergbau durch eine außerordentlich hohe Kenn- für die Kostenbelastung unterschiedlicher Wirtschaftszweige zahl (9,8 MWh/1.000 Euro) auf. Mit ca. 549.620 Euro weist der Kohlenbergbau die geringste Bruttowertschöpfung der Wirt- schaftszweige auf. Gleichzeitig ist der Stromverbrauch mit 5 Gemäß der Kategorisierung des Statistischen Bundesamtes verfügen Kleinstunternehmen über maximal neun Beschäftigte bei einem maxima- 5.354.703 MWh vergleichsweise hoch. An zweiter Stelle len Umsatz von 2 Millionen Euro. Bis 49 Beschäftigte und einen Umsatz steht die Metallerzeugung und -bearbeitung mit einer Kennzahl von bis zu 10 Millionen Euro gilt ein Unternehmen als kleines Unterneh- von 2,1 MWh/1.000 Euro, gefolgt von der Herstellung von men. Mittlere Unternehmen beschäftigen bis zu 249 Arbeitnehmer_innen Papier, Pappe und Waren daraus mit einem Wert von bei einem Maximalumsatz in Höhe von 50 Millionen Euro. Unternehmen mit mehr Beschäftigten oder einem höheren Umsatz gelten als Großunter- 1,8 MWh/1.000 Euro und der chemischen Industrie mit nehmen. 1,1 MWh/1.000 Euro.
Beschäftigte (Tausend) UMDENKEN! Abbildung 2 Abbildung 1 0 200 400 600 800 1.000 1.200 05 Kohlenbergbau 06 Gewinnung von Erdöl und Erdgas 41 % Gewinnung von Steinen und 08 Erden, sonstiger Bergbau Herstellung von Nahrungs- und 10 Futtermitteln 10 % 11 Getränkeherstellung 12 Tabakverarbeitung 2% 13 Herstellung von Textilien 14 Herstellung von Bekleidung Kleinstunternehmen große Unternehmen kleine Unternehmen Herstellung von Leder, Lederwaren mittlere Unternehmen 15 und Schuhen Betriebsgrößen im produzierenden Gewerbe (2017) H. v. Holz-, Flecht-, Korb- u. 16 Korkwaren (ohne Mäbel) 47 % Herstellung von Papier, Pappe und 17 Waren daraus H. v. Druckerz., Vervielf. v. Ton-, 18 Bild-, Datenträgern Beschäftigte 19 Kokerei und Mineralölverarbeitung Abschnitt B – Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden Herstellung von chemischen 20 Erzeugnissen Beschäftigte und Bruttowertschöpfung nach Wirtschaftszweigen (2017) Herstellung von pharmazeutischen 21 Quelle: eigene Darstellung, Daten aus Statistisches Bundesamt 2020c. Für WZ08-07 und -09 sind keine Daten verfügbar. Quelle: eigene Darstellung, Daten aus Statistisches Bundesamt 2020c. Für WZ08-07 und -09 sind keine Daten verfügbar. Erzeugnissen Herstellung von Gummi- und 22 Kunststoffwaren H. v. Glas, -waren, Keramik, 23 Verarb. v. Steinen u. Erden 24 Metallerzeugung und -bearbeitung Herstellung von 27 % Bruttowertschöpfung 25 Metallerzeugnissen H. v. DV-Geräten, elektron. u. opt. 26 Erzeugnissen 9% Herstellung von elektrischen 27 Ausrüstungen 28 Maschinenbau 3% Herstellung von Kraftwagen und 291 Kraftwagenmotoren 30 sonstiger Fahrzeugbau Kleinstunternehmen große Unternehmen kleine Unternehmen 31 Herstellung von Möbeln mittlere Unternehmen 32 Herstellung von sonstigen Waren WISO DISKURS Abschnitt C – verarbeitendes Gewerbe Reparatur u. Installation von 61 % 33 Masch. u. Ausrüstungen WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- 0 10 70 20 50 30 60 80 90 40 100 BWS (Millionen Euro) 7
MWh / Tsd. Euro in Prozent 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 Abbildung 4 Abbildung 3 05 Kohlenbergbau 05 Kohlenbergbau 9,8 06 06 Gewinnung von Erdöl und Erdgas Gewinnung von Erdöl und Erdgas Gewinnung von Steinen und 08 07 Erzbergbau Erden, sonstiger Bergbau Gewinnung von Steinen und Erden, Herstellung von Nahrungs- und 08 10 sonstiger Bergbau Futtermitteln Dienstleistungen f. d. Bergbau u. 09 11 Gewinnung v. Steinen Getränkeherstellung 10 Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln 12 Tabakverarbeitung 11 Getränkeherstellung 13 Herstellung von Textilien 12 Tabakverarbeitung 14 Herstellung von Bekleidung 13 Herstellung von Textilien Herstellung von Leder, Lederwaren 15 und Schuhen dass es zu hohen Arbeitsplatzverlusten kommt. 14 Herstellung von Bekleidung H. v. Holz-, Flecht-, Korb- u. 16 Korkwaren (ohne Mäbel) 15 Herstellung von Leder, Lederwaren und Schuhen FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik Herstellung von Papier, Pappe und 17 Waren daraus 16 H. v. Holz-, Flecht-, Korb- u. Korkwaren (ohne Möbel) H. v. Druckerz., Vervielf. v. Ton-, 18 bedeutsam ist. Dies ist ein Aspekt, der bei einer Reform der Bild-, Datenträgern 17 Herstellung von Papier, Pappe und Waren daraus Ausnahmen berücksichtigt werden sollte, um zu vermeiden, Metallindustrie einerseits eine hohe Stromintensität aufweist, Aus den Darstellungen wird ersichtlich, dass insbesondere die andererseits auch aus beschäftigungspolitischer Sicht besonders Stromintensität nach Wirtschaftszweigen (MWh/1.000 EUR, 2017) 19 Kokerei und Mineralölverarbeitung 18 H. v. Druckerz. , Vervielf. v. Ton-, Bild-, Datenträgern Herstellung von chemischen 20 19 Kokerei und Mineralölverarbeitung Erzeugnissen Quelle: eigene Darstellung Daten aus Statistisches Bundesamt 2020b. Für WZ08-07 und -09 sind keine Daten verfügbar. Quelle: eigene Darstellung, Daten aus Statistisches Bundesamt 2020c. Für WZ08-07 und -09 sind keine Daten verfügbar. Herstellung von pharmazeutischen 21 Stromverbrauch pro Bruttowertschöpfung 20 Herstellung von chemischen Erzeugnissen Erzeugnissen Herstellung von Gummi- und 22 21 Herstellung von pharmazeutischen Erzeugnissen Kunststoffwaren H. v. Glas, -waren, Keramik, 22 23 Herstellung von Gummi- und Kunststoffwaren Verarb. v. Steinen u. Erden 23 H. v. Glas, -waren, Keramik, Verarb. v. Steinen u. Erden 24 Metallerzeugung und -bearbeitung Energieintensität (Kostenanteil am Bruttoproduktionswert) nach Wirtschaftszweigen (2017) Herstellung von 24 Metallerzeugung und -bearbeitung 25 Metallerzeugnissen 25 Herstellung von Metallerzeugnissen H. v. DV-Geräten, elektron. u. opt. 26 Erzeugnissen 26 H. v. DV-Geräten, elektron. u. opt. Erzeugnissen Herstellung von elektrischen 27 gewichtetes Mittel Ausrüstungen 27 Herstellung von elektrischen Ausrüstungen 28 Maschinenbau 28 Maschinenbau Herstellung von Kraftwagen und 291 Kraftwagenmotoren Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen 29 30 sonstiger Fahrzeugbau Sonstiger Fahrzeugbau 30 31 Herstellung von Möbeln Herstellung von Möbeln 31 32 Herstellung von sonstigen Waren Herstellung von sonstigen Waren 32 Reparatur u. Installation von 33 Reparatur u. Installation von Masch. u. Ausrüstungen Masch. u. Ausrüstungen 33 WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- WZ08- 8
UMDENKEN! WISO DISKURS 9 3 REFORMVORSCHLAG: NEUGESTALTUNG DER INDUSTRIEAUSNAHMEN BEI DEN STROMPREISEN In diesem Kapitel wird ein Vorschlag zur Neugestaltung des regu- Die Ausnahmeregelungen werden dabei je nach Anwendungs- latorischen Rahmens der Industrieausnahmen bei Stromsteuer, fall einzeln oder auch kombiniert in Anspruch genommen, je EEG-Umlage und verschiedenen Umlagen auf die Netzentgelte nach Anlage bzw. Produktionsprozess, Unternehmen und Branchen- (KWK-Umlage, §19-Umlage, Offshore-Netzumlage) vorgestellt. zugehörigkeit. Im Maximalfall ist ein Unternehmen von Steuern, Diese werden im Folgenden unter dem Begriff „Strompreisab- Abgaben und Umlagen auf Energie weitestgehend befreit. Bei gaben“ zusammengefasst. Der Reformvorschlag wurde im einigen Ausnahmen (BesAR und Spitzenausgleich bei Energie- Rahmen eines Forschungsvorhabens des Umweltbundesamts und Stromsteuer) müssen Unternehmen Umwelt- bzw. Energie- entwickelt (FÖS et al. 2019). Zentraler Leitgedanke der Reform managementsysteme nachweisen. Es besteht jedoch keine ist eine Vereinheitlichung der Ausnahmeregelungen mit Fokus Pflicht zur Umsetzung von Effizienzmaßnahmen. auf die Umweltwirkung und einer gezielten Entlastung von Im Ergebnis führt die derzeitige Struktur der Ausnahmen zu stromintensiven Unternehmen im internationalen Wettbewerb. einer Reihe von Fehlanreizen: Geringere Strompreise verschlechtern die Wirtschaftlichkeit von Effizienzmaßnahmen. Die Schwellen- werte für die Stromkostenintensität, wie beispielsweise bei der 3.1 BESTEHENDE AUSNAHMEREGELUNGEN BesAR, geben gegebenenfalls sogar Anreize zu einem höheren Verbrauch als eigentlich nötig, da dies aufgrund der dann nied- Im produzierenden Gewerbe bestehen im Bereich der Energie- und rigeren Belastung mit Strompreisabgaben betriebswirtschaft- Strompreise verschiedene Ausnahmeregelungen, die sehr unter- lich sinnvoll ist. Würden Effizienzmaßnahmen aus einem Energie- schiedlichen Kriterien für die Inanspruchnahme unterliegen (vgl. audit umgesetzt und hohe Energieeffizienzpotenziale gehoben, FÖS et al. 2019: 20). Die wichtigsten Ausnahmeregelungen sind: bestünde die Gefahr, aus der Vergünstigung herauszufallen. – Strom-/Energiesteuer: Allgemeine Steuerbegünstigung nach § 9b Stromsteuergesetz (StromStG) bzw. § 54 Energiesteuer- 3.2 AUSGESTALTUNGSELEMENTE EINER gesetz (EnergieStG), Spitzenausgleich nach § 10 StromStG REFORM bzw. § 55 EnergieStG, Befreiung bestimmter Prozesse und Verfahren nach § 9a StromStG, § 37 und § 51 EnergieStG; Das Ziel des Reformkonzepts ist die Reduktion von Mitnahme- – EEG-Umlage: Besondere Ausgleichsregelung (BesAR) nach effekten und die größere Zielgenauigkeit von Entlastungen §§ 63ff. EEG, Eigenstromprivileg nach § 61 EEG; bei weiterer Förderung von Effizienzanreizen. Anders als einige – Netzentgelte: Begünstigungen nach § 19 Abs. 2 Stromnetz- bisher geltende Regelungen differenziert der Vorschlag durch entgeltverordnung (atypische Netznutzung); die entgangenen eine Abstufung der Begünstigungen stärker nach der Wettbe- Erlöse der Netzbetreiber werden als Aufschlag auf die Netz- werbsfähigkeit. Dazu kombiniert der Vorschlag Unternehmens- entgelte anteilig auf alle Letztverbraucher_innen umgelegt und Branchenkriterien: (§ 19 StromNEV-Umlage); für stromkostenintensive Unter- nehmen ist die Umlage auf derzeit max. 0,025 Cent/kWh – Branchenkriterien eignen sich zur Abbildung des inter- (ab einem Strombezug von einer GWh/a) begrenzt; nationalen Wettbewerbsdrucks. – KWK-Umlage: Begrenzung der KWK-Umlage bei – Mithilfe von Unternehmenskriterien können die finanziellen stromkostenintensiven Unternehmen (§ 27 KWKG); Wirkungen von erhöhten Strompreisen bei einzelnen – Konzessionsabgaben: Befreiung und reduzierte Sätze Unternehmen adressiert werden. Die Ergänzung des nach § 2 Konzessionsabgabenverordnung (KAV); Branchenkriteriums durch ein Unternehmenskriterium ist – Emissionshandel: kostenlos zugeteilte Zertifikate sowie die auch aufgrund der großen Heterogenität der Unternehmen Strompreiskompensation gemäß der Richtlinie des BMWi in den betroffenen Branchen notwendig. für Beihilfen für indirekte CO2-Kosten.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 10 Abbildung 5 Reformvorschlag Strompreisausnahmen AUFFANGKRITERIUM Handelsintensität > 30 % und Stromintensität > 0,8 % (Branchenebene) – 35 diverse Branchen 1. Stufe: Begünstigung Grundstoffbranchen Schnittmenge Branchen der Strompreis- (internat. Rohstoffmärkte) kompensationsliste – Aluminium – Geflügel – Düngemittel und Stickstoff- – Papier u. Pappe – Öle und Fette verbindungen – organische chemische 2. Stufe: – Holz – textile Spinnstoffe und Garne Grundstoffe verminderte – Blei, Zink, Zinn – anorganische chemische Begünstigung – Kupfer Grundstoffe – Holz- und Zellstoff – Kunststoffe – Roheisen, Stahl und Ferroleg – Chemiefasern 3. Stufe: geringe Begünstigung Unternehmenskriterium für alle Begünstigungsstufen: HÄRTEFALL (nicht auf Listen): STROMINTENSITÄT > 1,7 kWh / BWS auf Unternehmenskriterium für alle Begünstigungsstufen: Unternehmensebene STROMINTENSITÄT > 2,5 kWh / BWS auf Unternehmensebene Quelle: FÖS et al. 2019: 23. BEGÜNSTIGUNGSSTUFEN 30 Prozent und eine Stromintensität von mindestens 0,8 MWh/1.000 Euro an BWS aufweisen. Ergänzt werden Um die Wettbewerbsgefährdung durch höhere Strompreise diese beiden Branchenkriterien durch ein Unter- differenziert abzubilden, wurden drei Begünstigungsstufen nehmenskriterium: Um als Unternehmen in der begünstigten entwickelt. Abbildung 5 fasst die verschiedenen Begünstigungs Branche die Begünstigung tatsächlich in Anspruch nehmen stufen und betroffenen Branchen zusammen. zu können, muss die Stromintensität des Unternehmens Jede Stufe stellt an den Begünstigten unterschiedliche mindestens 1,7 MWh/1.000 Euro an BWS7 betragen. Anforderungen. Für eine Begünstigung müssen sowohl die Je nach der individuellen Stromintensität des Unternehmens Branchen- als auch die Unternehmenskriterien erfüllt sein. ist auf dieser Stufe nur noch die Zahlung von 20–30 Pro- Während die Branchenkriterien auf jeder Stufe variieren, ist das zent der einbezogenen Strompreisabgaben notwendig (FÖS Unternehmenskriterium auf jeder Stufe gleich. Ein Unter- et al. 2019: 22). nehmenskriterium ist deshalb nötig, weil nicht alle Unternehmen – Die zweite Stufe findet Anwendung, wenn ein Unternehmen einer Branche gleich sind, das heißt unterschiedliche Produkte Teil der Grundstoffbranche oder die Branche auf der fertigen, die mehr oder weniger stromintensiv hergestellt werden. Strompreiskompensationsliste des EU-Emissionshandels ver- zeichnet ist. Ferner muss die Handelsintensität der Branche – Die erste und zugleich umfangreichste Begünstigungs- mindestens 30 Prozent und die Stromintensität mindestens stufe ist vorgesehen für Unternehmen im Bereich der 0,8 MWh/1.000 Euro an BWS betragen. Diese Branchen- Grundstoffbranche, die gleichzeitig auch auf der Strompreis- kriterien werden durch das Unternehmenskriterium kompensationsliste des EU-Emissionshandels stehen. Unter- der gleichen Höhe wie auf Stufe 1 ergänzt. Die der nehmen der Grundstoffbranche fallen deshalb in die erste Stufe 2 zugeordneten Unternehmen müssen, gestuft nach der Stufe, weil deren Produkte an internationalen Börsen ge- Stromintensität des spezifischen Unternehmens, 30–50 handelt werden. Das Kriterium der Strompreiskompensations Prozent der Strompreisabgaben zahlen (FÖS et al. 2019: 22). liste kommt dazu, weil Unternehmen dieser Liste schon – Bei der dritten Begünstigungsstufe entfällt die Zuge- aufgrund einer Kombination aus Strom- und Handelsinten hörigkeit zur Grundstoffbranche und/oder Strompreis sität ausgewählt wurden. Zusätzlich muss die Branche kompensationsliste als Branchenkriterium. Dennoch müssen auf dieser Stufe eine Handelsintensität6 von mindestens 7 Schwellenwerte zur Stromintensität in Anlehnung an Anhang 3 der 6 Verhältnis des Wertes des internationalen Handels zum Gesamt Umweltschutz- und Energiebeihilfeleitlinien der EU. Die Schwellenwerte volumen des heimischen Markts. Schwellenwert von 30 Prozent in Anleh- für die Stromkostenintensität wurden dabei anhand der angesetzten nung an die Carbon-Leakage-Liste der EU-Kommission für den EU-ETS. Strompreise auf die Verbräuche zurückgerechnet.
UMDENKEN! WISO DISKURS 11 Abbildung 6 Differenzierung nach Stromintensität Selbstbehalt SI-Unter- Selbstbehalt SI-Unter- Selbstbehalt SI-Unternehmens nehmen nehmen ebene (MWh / 1.000 € BWS) 20 % 2,3 25 % 2 30 % 1,7 30 % 2,3 Höhe der Begünstigung 40 % 2 50 % 1,7 50 % 2,3 60 % 2 75 % 1,7 1. Stufe 2. Stufe 3. Stufe Begünstigungsstufen nach Branchenlisten Quelle: FÖS et al. 2019: 24 begünstigte Branchen eine Handelsintensität von mindes- Abbildung 6). Die zahlreichen Abstufungen des Konzepts sollen tens 30 Prozent und eine Stromintensität von mindestens eine gleitende Lösung schaffen, die Fehlanreize und Sprung- 0,8 MWh/1.000 Euro an BWS aufweisen. Unternehmen stellen bisheriger Regelungen ausschließt. müssen zudem, wie auf Stufe 1 und 2, eine Mindeststrom intensität von 1,7 MWh/1.000 Euro an BWS nachweisen. RÜCKERSTATTUNG DER STROMPREISABGABEN Begünstigte Unternehmen der Stufe 3 bezahlen je nach AUF BASIS VON PRODUKTBENCHMARKS individueller Stromintensität noch einen Anteil von 50–75 Prozent ihrer Strompreisabgaben (FÖS et al. 2019: 22). Gezahlt wird die Begünstigung durch eine Rückerstattung 8 mithilfe von Produktbenchmarks: Statt des tatsächlichen Übertragen auf die Situation im Jahr 2020 bedeutet dies, dass die Stromverbrauchs wird die hergestellte Produktionsmenge Unternehmen zwischen 1,96 Cent/kWh (20 Prozent) und 7,35 anhand eines Referenzwertes entlastet (FÖS et al. 2019: Cent/kWh (75 Prozent) für die einbezogenen Strompreisabgaben 24). Je effizienter ein Unternehmen den Strom in der Produktion zahlen müssten, denn bei voller Zahlungspflicht belaufen sich die einsetzt, desto größer fällt die Begünstigung im Verhältnis einbezogenen Strompreisabgaben auf insgesamt 9,81 Cent/kWh. zum tatsächlichen Stromverbrauch aus. Unternehmen, die Energie Vorgesehen ist des Weiteren auch ein Härtefallkriterium: ineffizient nutzen, werden im Unterschied zu den geltenden Re- Auf Antrag können Unternehmen des produzierenden Gewerbes, gelungen nicht mehr bevorzugt. Einer Anreizwirkung für deren Branche nicht auf der Begünstigungsliste steht, unter die ineffiziente Produktionsweisen wird damit vorgebeugt. Härtefallregelung fallen. Unternehmen mit einer Stromintensität von mindestens 2,5 MWh/1.000 Euro an BWS müssten nach Für einige Produkte sind bereits Benchmarks im Rahmen Abschluss einer erfolgreichen Einzelprüfung nur 50 Prozent der der Strompreiskompensation entwickelt worden, die auch Höhe der Strompreisabgaben begleichen (FÖS et al. 2019: 22). in diesem Reformvorschlag verwendet werden. Die Bench- Die Begünstigungen greifen jeweils nach einem Sockelbetrag marks legen den spezifischen Stromverbrauch pro Tonne von 1 GWh/a (entsprechend der geltenden Regelungen bei eines Produkts fest. Stromverbrauchsbenchmarks gibt es der BesAR), das heißt für die erste GWh Stromverbrauch sind für 19 Produkte, so u. a. Ammoniak, Stahl, Primäraluminium, die vollen Strompreisabgaben zu zahlen. Ein verpflichtender Aluminiumoxid, Chlor, Silizium-Metall, hochveredelte Sockelbeitrag steigert die Praktikabilität des Vorschlags und senkt Chemikalien (FÖS et al. 2019: 77). administrative Kosten. Für Produkte, bei denen die Anwendung eines Benchmarks Wie erläutert, sieht der Vorschlag auf jeder Entlastungsstufe nicht möglich ist, wird ein Fallback-Benchmark (Ersatz- eine Differenzierung nach der unternehmensspezifi- benchmark) genutzt. Da bei dem Fallback-Benchmark die schen Stromintensität vor. Ein der zweiten Begünstigungs- tatsächliche Strommenge begünstigt wird, sind die Effi- stufe zugeordnetes Unternehmen kann demnach eine Ver- zienzanreize hier weitaus geringer. Deshalb sollte für mög- günstigung von 50 –70 Prozent der Abgabenlast nutzen und weist lichst viele Bereiche ein ambitionierter Benchmark ent- entsprechend einen Selbstbehalt von 30 – 50 Prozent auf. Bei- wickelt werden. spielsweise würde ein Unternehmen aus WZ 1712 (Herstellung von Papier, Karton und Pappe) mit einer unternehmensspezi- fischen Stromintensität von 2,0 MWh/1.000 Euro an BWS 60 8 Ausnahmen könnte es z.B. für Unternehmen mit Liquiditätsengpässen Prozent der Strompreisabgaben bezahlen (siehe auch geben.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 12 Tabelle 1 Zielvereinbarungen auf Unternehmensebene als Gegenleistung für Energiepreisvergünstigungen Land Wofür? Was? – Zielvereinbarungen mit dem Bund zur Steigerung der Energieeffizienz Befreiung von der – Ist-Zustand- und Potenzialanalyse, Wirtschaftlichkeitsanalyse Schweiz CO2-Abgabe – unternehmensspezifischer Maßnahmenkatalog und Zielwerte (für 2020) – Unterscheidung kleine/große Unternehmen – langfristige Energievereinbarung (Long-Term-Agreements) Rückerstattung der Energie- – Erstellung eines Energieeffizienzplanes mit wirtschaftlichen Maßnahmen Niederlande steuer (Strom/Erdgas) – Unterscheidung ETS/non-ETS-Sektor (unternehmensspezifische Vereinbarungen/Umsetzung wirtschaft- licher Maßnahmen) – Climate Change Agreements teilweise Rückerstattung der – Sektorvereinbarungen und Vereinbarungen mit einzelnen Unternehmen über Reduktionsziele, werden Großbritannien Climate Change Levy vom Unternehmen gemessen und berichtet – Überprüfung durch stichprobenartige Audits – freiwillige Vereinbarungen (1996 –2013; 2015 –2020) Rabatt auf Dänemark – Einführung eines Energiemanagementsystems und Identifikation wirtschaftlicher Maßnahmen „Green Taxes“ – Verpflichtung zur Umsetzung wirtschaftlicher Maßnahmen (Amortisation < 4 Jahre) Quelle: eigene Darstellung nach FÖS et al. 2019: 83. Rückerstattungen werden heute bereits bei der Strompreis- sollen auch weiterhin zu Investitionen in Energieeffizienz kompensation und dem Spitzenausgleich angewendet. Das Ver- angehalten werden. Der Reformvorschlag sieht daher vor, dass fahren der Rückerstattung fördert im Unterschied zu generell die durch das Energiemanagementsystem identifizierten Maß- reduzierten Preisen bessere Effizienzanreize für Unternehmen nahmen zur Steigerung der Effizienz mit einer Amortisationszeit (FÖS et al. 2019: 80). Das bedeutet, dass Unternehmen nicht unter vier Jahren umgesetzt werden müssen (FÖS et al. 2019: 84). pauschal entlastet werden, sondern zunächst die Strompreis- Eine solche Verpflichtung wäre auch kein Sonderweg, wie abgaben in voller Höhe bezahlen und dann nachträglich ein Blick auf die Nachbarländer zeigt, die bei verschiedenen teilweise erstattet bekommen. Begünstigungen im Energiebereich bereits Gegenleistungen Neben den effizienzorientierten Benchmarks sollen die verlangen (Tabelle 1). Unternehmen auch durch die auf jeder Begünstigungsstufe bestehenden Mindestbeteiligungen (20–75 Prozent der ÜBERGANGSREGELUNGEN Strompreisabgaben) zur Effizienzsteigerung angereizt werden. Eine prozentuale Festlegung der Mindestbeteiligung der Sowohl auf Unternehmensseite als auch bei den staatlichen Unternehmen garantiert, dass sie analog zu den Kosten der Stellen werden durch die Reform Änderungen in der adminis- Normalverbraucher_innen steigt (FÖS et al. 2019: 79). trativen Abwicklung notwendig, für die zunächst Zeit zur Umstellung der Prozesse nötig ist. Daher könnte ein ENERGIEMANAGEMENT UND EFFIZIENZ Übergangszeitraum von mindestens einem Kalenderjahr vorge- MASSNAHMEN sehen werden, in der die alten Regelungen auslaufen. Übergangsregelungen können auch sinnvoll sein, um den Wie erwähnt, ist beim Spitzenausgleich der Stromsteuer und Unternehmen, deren Privilegien abgeschmolzen werden, Zeit der BesAR des EEG bereits heute der Nachweis eines zertifi - zu geben, sich auf höhere Strom-/Energiekosten einzustellen, zierten Energiemanagementsystems (ISO 50001 oder indem sie z. B. Effizienzpotenziale umsetzen. So könnte beispiels- EMAS) notwendig. Dies sieht auch der Reformvorschlag vor. weise der Selbstbehalt in den Begünstigungsstufen zunächst Darüber hinaus werden die begünstigten Unternehmen je- niedriger ausfallen und dann Jahr für Jahr abgeschmolzen werden. doch auch verpflichtet, Effizienzmaßnahmen umzusetzen. Dies sorgt neben dem Benchmarkansatz und der Rücker- stattung (anstelle unmittelbar gewährter Vergünstigungen) 3.3 AUSWIRKUNGEN DES REFORM zusätzlich dafür, die Anreize für einen effizienten Energie- VORSCHLAGS einsatz aufrechtzuerhalten. Energiemanagementsysteme fördern die kontinuierliche BEGÜNSTIGTE STROMMENGEN UND BRANCHEN Verbesserung der Energieeffizienz und beziehen dafür nicht nur den Energieverbrauch, sondern auch die Energiebeschaf- Das Reformkonzept verringert die begünstigte Strommenge gegen- fung mit ein. Der zu Beginn der Umsetzung vergleichsweise über geltenden Regelungen zum Teil deutlich und stuft die hohe Aufwand wird durch langfristige und kontinuierliche Begünstigungen entsprechend der Wettbewerbsgefährdung der Einsparungen gerechtfertigt. Insgesamt wirken Energie- Branchen ab. Dadurch würden (Stand 2016) sieben Branchen managementsysteme einer Verzerrung der wirtschaftlichen auf Stufe 1, acht Branchen auf Stufe 2 und 35 Branchen auf Stufe 3 Anreize durch die Kostenreduktion entgegen. Unternehmen begünstigt (siehe Abbildung 7) (FÖS et al. 2019: 97).
UMDENKEN! WISO DISKURS 13 Abbildung 7 Abbildung 8 Begünstigte Branchen bei staatlich regulierten Begünstigte Strommengen im Reformkonzept Strompreisbestandteilen 50 14 % (34 TWh) 38 Höhe der Begünstigung 50 % (121 TWh) 23 % (54 TWh) 25 13 12 % (29 TWh) 0 L1 BesAR EEG 2014: 48 Strompreiskomp.liste EU: 15 Stufe 1 Stufe 2 Stufe 1: 7 Stufe 2: 8 Stufe 3 unbegünstigt (Härtefälle möglich) Stufe 3: 35 Quelle: FÖS et al. 2019: 98. Quelle: FÖS et al. 2019: 99. Folgende Branchen befinden sich nach (FÖS et al. 2019: 181) in Gewerbes begünstigt. Nur 14 Prozent der Strommenge den Begünstigungsstufen 1 und 2, und Unternehmen dieser des produzierenden Gewerbes würden auf die am stärksten Branchen würden demnach maximal 50 Prozent der Strompreis- begünstigend wirkende Stufe 1 entfallen (FÖS et al. 2019: 99). abgaben zahlen, sofern das Unternehmenskriterium bei ihnen zutrifft: AUSWIRKUNGEN AUF STROMPREISE Stufe 1 Die Auswirkungen auf die Strompreise bei Unternehmen des pro- – WZ-Nr. 1310, textile Spinnstoffe und Garne duzierenden Gewerbes hängen davon ab, in welchem Umfang sie – WZ-Nr. 1711, Holz- und Zellstoff zuvor Begünstigungen bei den reformierten Strompreisabgaben – WZ-Nr. 2015, Düngemittel und Stickstoffverbindungen erhalten haben, die ihnen nach der Reform nicht mehr gewährt – WZ-Nr. 2410, Roheisen, Stahl und Ferrolegierungen werden. Die Strompreiseffekte können an dieser Stelle nicht quan- – WZ-Nr. 2442, Aluminium und Halbzeug daraus tifiziert werden, es lassen sich jedoch folgende Aussagen treffen: – WZ-Nr. 2443, Blei, Zink und Zinn und Halbzeug daraus – WZ-Nr. 2444, Kupfer und Halbzeug daraus – Stark wettbewerbs- und Carbon-Leakage-gefährdete Unter- nehmen der Grundstoffindustrie, die auch von der Strom- Stufe 2 preiskompensation profitieren (u. a. Herstellung von Aluminium, – WZ-Nr. 1012, Geflügelfleisch Stahl, Kupfer, Düngemittel, Stickstoff, Zellstoff) zahlen nach – WZ-Nr. 1041, Öle und Fette (ohne Margarine und der Reform maximal 30 Prozent der Strompreisabgaben. Nahrungsfette) Sie bleiben also wie zuvor weitgehend von staatlich – WZ-Nr. 1610, Holz, gesägt und gehobelt regulierten Strompreisbestandteilen befreit. Die Strompreise – WZ-Nr. 1712, Papier und Pappe würden sich kaum oder nur leicht erhöhen. – WZ-Nr. 2013, sonstige anorganische Grundstoffe und – Bei anderen Unternehmen des produzierenden Gewerbes Chemikalien steigt die Strompreisbelastung durch die Verschlankung – WZ-Nr. 2014, sonstige organische Grundstoffe und und Harmonisierung der Regelungen gegebenenfalls stärker, Chemikalien da sie nicht mehr im gewohnten Umfang von Strompreis- – WZ-Nr. 2016, Kunststoffe, in Primärformen ausnahmen profitieren. Hier ist jedoch zu berücksichtigen, – WZ-Nr. 2060, Chemiefasern dass das Reformmodell auf Branchenlisten basiert, die mit den gewählten Branchenkriterien das Ausmaß der Wettbe- Es zeigt sich, dass die beschäftigungsintensive Branche der werbsgefährdung abbilden. Für Härtefälle, die eine hohe Metallindustrie der Stufe 1 zugeordnet ist, das heißt von den Stromintensität haben, besteht über die Härtefallregelung umfangreichsten Begünstigungen profitiert. zudem weiterhin die Möglichkeit, die Strompreisabgaben Abbildung 8 zeigt die Verteilung der begünstigten Strom- um bis zu 50 Prozent zu reduzieren. menge auf die Stufen der Begünstigung. Es werden maximal – Die Ausgestaltungselemente der Reform (Benchmarkan- etwa 50 Prozent des Stromverbrauchs des produzierenden satz, Rückerstattung, Effizienzgegenleistungen) sorgen dafür,
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 14 dass Unternehmen starke Anreize haben, ihren Stromver- KLIMAWIRKUNGEN brauch zu senken. Dadurch können sie Stromkosten einsparen. Zudem lassen sich über die in Kapitel 4 vorgestellten Instru- Die höheren Strompreisimpulse (ohne Rückerstattungsbeträge) mente gezielt Effizienzinvestitionen in Unternehmen fördern. in der Industrie senken die Energieverbräuche. Denn es werden – Bei bisher nicht begünstigten Unternehmen, die also weder Effizienzmaßnahmen umgesetzt. Zudem kommt es in einigen von den Ausnahmen bei den Strompreisumlagen noch von Fällen zu Anpassungen der Produktionspreise und damit bei den Stromsteuerausnahmen (abgesehen von der allge- ansonsten unveränderten Bedingungen zu einem leichten Rück- meinen Stromsteuervergünstigung) profitieren, würde die gang der Produktion.11 Umgekehrt werden die Privathaushalte Reform zu sinkenden Strompreisen führen, da insbesondere und der GHD-Sektor bei den Strompreisen durch die sinkende die EEG-Umlage sinken würde. Von der BesAR profitierten EEG-Umlage entlastet. Dies führt dort ceteris paribus zu einem 2018 ca. 2.150 Unternehmen, während alle nicht privi- Mehrverbrauch, dem im Reformvorschlag von FÖS et al. (2019: 133) legierten Unternehmen die Ausnahme über eine höhere durch eine Förderung von Stromeffizienzmaßnahmen entgegen- Umlage mitfinanzieren. Dies entlastet insbesondere den gewirkt wird. nicht energieintensiven Mittelstand. Für die Emissionen bedeutet der Rückgang des Energie- verbrauchs eine Reduktion um bis zu minus zwölf Millionen Tonnen AUFKOMMENS- UND VERTEILUNGSEFFEKTE bzw. –1,4 Prozent der THG-Emissionen im Vergleich zur Referenz- entwicklung (Bezugsjahr 2016) (FÖS et al. 2019: 119). Durch die Reform ergeben sich zwei Effekte: Zum einen erhöhen sich die Staatseinnahmen (bei der Stromsteuer), zum anderen sinken die Strompreisbelastungen für nicht privilegierte Letzt- verbraucher_innen bei den Umlagen (insbesondere bei der EEG- Umlage). Direkte fiskalische Auswirkungen hat die Reform also nur im Bereich der Stromsteuer. Nur dieses Aufkommen ist für die in Kapitel 4 vorgestellten Verwendungsoptionen unmittelbar verfügbar. Die Aufkommenseffekte wurden in (FÖS et al. 2019) mo- delliert. Sie beziehen sich auf das Jahr 2014. Eine Aktualisierung der Modellierung konnte im Rahmen dieser Analyse nicht vor- genommen werden. Die Größenordnungen sind jedoch weiterhin plausibel, da sich die Verbrauchsstrukturen und auch die Aus- nahmeregelungen vor allem bei der Stromsteuer seitdem nicht stark verändert haben. – Die Stromsteuereinnahmen aus den betroffenen Branchen steigen von etwa 1,2 Milliarden Euro pro Jahr auf 3,2 bis 3,7 Milliarden Euro pro Jahr. Durch die Reform entstünde somit ein zusätzliches Stromsteueraufkommen von etwa 2–2,5 Milliarden Euro pro Jahr (FÖS et al. 2019: 109). 9 – Die EEG-Umlage könnte um 2–3 Milliarden Euro entlastet werden und wäre dadurch im Bezugsjahr 2014 zwischen 1,14 Cent/kWh und 1,39 Cent/kWh geringer ausgefallen (FÖS et al. 2019: 102) und hätte die Stromkosten von privaten Haushalten damit um ca. fünf bis sechs Prozent gesenkt.10 9 Zur Diskussion, wie und in welcher Weise der Einsatz fossiler Energieträger verteuert werden kann und im Gegensatz dazu beispielsweise die Stromsteuer auf den EU-Mindestsatz reduziert werden könnte, siehe u. a FÖS/Klinski (2018). 10 Mit den Einnahmen aus dem BEHG und mit dem geplanten Konjunk- turpaket der Bundesregierung soll die EEG-Umlage auf 6,5 Cent/kWh im Jahr 2021 und 6,0 Cent/kWh im Jahr 2022 begrenzt werden, indem ein Haushaltszuschuss auf das EEG-Konto geleistet wird. Somit sinkt die Um- lage zwar, sie wird jedoch nicht vollständig ersetzt. Dadurch bleibt auch 11 Insgesamt sind die gesamtwirtschaftlichen Effekte jedoch leicht po- der Mechanismus der Refinanzierung der BesAR über die nicht privilegier- sitiv, und bei wichtigen Exportbranchen wie der Automobilindustrie oder ten Letztverbraucher_innen bestehen. dem Maschinenbau verändert sich kaum etwas (siehe FÖS et al. 2019: 26)
Sie können auch lesen