Steigende Benzinpreise: Fehlende Transparenz auf dem Öl- und Kraftstoffmarkt?
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Steigende Benzinpreise: Fehlende Transparenz auf dem Öl- und Kraftstoffmarkt? 3 Sind die steigenden Benzinpreise ein Zeichen mangelnden Wettbewerbs auf den Öl- und Kraft- stoffmärkten? Was kann die Einrichtung einer »Markttransparenzstelle« beim Bundeskartellamt bewirken? Verbraucherverhalten ein marktbeherrschendes Oligopol von und Wettbewerb an der fünf Tankstellenketten vorliegt und dass (b) die Kraftstoffmärkte strukturelle Merk- Tankstelle male aufweisen, die Parallelverhalten we- sentlich vereinfachen, so dass explizite Der Benzinpreis ist der Brotpreis des Absprachen entbehrlich werden. Anders 21. Jahrhunderts. Kaum ein anderer Preis ausgedrückt, legt die Sektoruntersuchung in Deutschland erregt in ähnlicher Weise des Bundeskartellamts die Schlussfolge- die Gemüter in Politik und Medien sowie rung nahe, dass im deutschen Kraftstoff- an den Stammtischen wie der Benzin- markt auch implizit ein so gutes Verständ- preis. Befeuert wurde diese alljährlich zu nis unter den fünf Oligopolisten besteht, Ostern, Pfingsten und zu Beginn der Som- dass explizite Absprachen überflüssig Justus Haucap* merferien aufflammende Debatte in jün- werden. gerer Zeit zunächst durch die im Mai 2011 vorgelegte Sektoruntersuchung Kraftstof- Darüber hinaus hat das Bundeskartellamt fe des Bundeskartellamts und zuletzt ein immer wiederkehrendes Muster in der durch den Plan der Bundesregierung, ei- Preisentwicklung feststellen können, das ne Markttransparenzstelle für Kraftstoffe als »Edgeworth-Zyklus« bekannt ist (vgl. zu schaffen. In dieser Transparenzstelle Maskin und Tirole 1988; Noel 2011). Die sollen, den bisherigen Plänen zufolge, sie- sog. Edgeworth-Zyklen zeichnen sich da- ben Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des durch aus, dass zunächst eine einzige Bundeskartellamts zum einen täglich Da- deutliche Preiserhöhung erfolgt, bevor der ten über die Kraftstoffpreise an allen deut- Preis dann in vielen kleinen Preissen- schen Tankstellen sammeln und analysie- kungsschritten wieder abbröckelt. Das ren, zum anderen wöchentliche Daten Bundeskartellamt hat in diesem Kontext über die Bezugspreise der Kraftstoffe aus- auch festgestellt, dass eine neue Preis- werten. Die Daten sollen nach aktueller runde in aller Regel durch die Marktfüh- Planung exklusiv dem Bundeskartellamt rer Aral und Shell, die fast immer als Ers- zur Verfügung stehen sowie – aufgrund te Preiserhöhungen vornehmen, eröffnet des in §47 GWB gesetzlich verankerten wird. Zudem hat die Geschwindigkeit der Akteneinsichtsrechts – der Monopolkom- Preiszyklen in den letzten Jahren deut- mission. Wie ist das Vorhaben, eine sol- lich zugenommen. So ist nach den Unter- che Markttransparenzstelle einzurichten, suchungen des Bundeskartellamts die aus wettbewerbsökonomischer Sicht zu Anzahl der Preisveränderungen in den bewerten? vergangenen Jahren z.B. in Köln bei Preiserhöhungen von 12 235 auf 18 726 Um Kosten und Nutzen einer solchen und bei Preissenkungen von 30 458 auf Markttransparenzstelle zu analysieren, ist 45 653 pro Jahr angestiegen. es sinnvoll, zunächst eine Bewertung der Wettbewerbssituation im deutschen Kraft- Die Untersuchung des Bundeskartellamts stoffsektor vorzunehmen. Im Mai 2011 hat stellt die bisher umfassendste Untersu- das Bundeskartellamt dazu die Ergebnis- chung des Kraftstoffmarkts in Deutsch- se einer umfassenden Sektoruntersu- land dar und liefert viele wertvolle Erkennt- chung veröffentlicht (vgl. Bundeskartell- nisse zum Wettbewerbsverhalten von amt 2011). Belege für explizite Abspra- chen zwischen den Wettbewerbern auf den Kraftstoffmärkten konnten zwar nicht * Prof. Dr. Justus Haucap ist Direktor des Düssel- erbracht werden. Jedoch ist das Bun- dorf Institute for Competition Economics an der Universität Düsseldorf. Seit Juli 2006 ist er Mitglied deskartellamt zu der Auffassung gelangt, und seit Juli 2008 Vorsitzender der Monopolkom- dass (a) im deutschen Tankstellenmarkt mission. ifo Schnelldienst 11/2012 – 65. Jahrgang
4 Zur Diskussion gestellt Tankstellen. Allerdings lässt allein die Existenz von Edgeworth- ort als eine andere oder weil eine Tankstelle auf dem Weg Zyklen weder darauf schließen, dass wirksamer Wettbewerb zur Arbeit liegt, eine andere aber nicht. Eine weitere Diffe- vorliegt, noch dass implizite Kollusion erfolgreich ist. Vielmehr renzierung erfolgt über den Markennamen und das Shop- ist der Befund des Kartellamts, wonach die Häufigkeit der Angebot. Preisveränderungen in den vergangenen Jahren nochmal stark angestiegen ist, nicht gerade geeignet, den Verdacht In welchem Maße diese Faktoren eine Rolle für die Nach- implizit abgestimmten Parallelverhaltens zu erhärten. Auch frager spielen, haben Dewenter, Haucap und Heimeshoff die Tatsache, dass Preiserhöhungen dort deutlich seltener (2012) jüngst in einer Studie für den ADAC untersucht. Da- vorkommen als Preissenkungen, kann im Lichte der empiri- zu hat der ADAC zwischen Dezember 2011 und Januar 2012 schen Kartellforschung zunächst kaum als Indiz für mangeln- eine Befragung unter 1 005 Autofahrern und Autofahrerin- den Wettbewerb herangezogen werden. Wie umfangreiche nen bezüglich des Tankverhaltens, möglicher Markenprä- Studien von Michael Noel ergeben haben, zeigte sich in ei- ferenzen, der Fahrgewohnheiten und persönlicher Angaben ner Vergleichsstudie von Benzinpreisen an Tankstellen in durchführen lassen.1 19 kanadischen Städten über elf Jahre, dass Preisänderun- gen allgemein häufiger sind, je intensiver der Wettbewerb un- Zunächst wurden Informationen über das Tankverhalten er- ter den Tankstellen ist, z.B. weil es mehr verschiedene Ket- hoben, um zu eruieren, wie preissensibel Autofahrer und Au- ten gibt oder mehr unabhängige Tankstellen, die eine aggres- tofahrerinnen reagieren, wie hoch also die Preiselastizität der sive Preisstrategie fahren (für Details vgl. Noel 2007a; 2007b). Nachfrage ist. Eine elastische Nachfrage kann einen inten- Häufige Preisänderungen sind demzufolge eher ein Zeichen siven Preiswettbewerb begünstigen und macht ein Abwei- dafür, dass eine Kartellvereinbarung oder stillschweigende chen von möglichen expliziten oder impliziten Vereinbarun- Übereinkünfte nicht reibungslos funktionieren. gen wahrscheinlicher. Ist die Preiselastizität der Nachfrage dagegen gering, werden durch Preisänderungen kaum Re- Auf der anderen Seite ist jedoch auch zu konstatieren, dass aktionen hervorgerufen. ein Parallelverhalten im Kraftstoffsektor grundsätzlich durch die folgenden Faktoren durchaus begünstigt wird (vgl. auch Das zeitliche Tankverhalten der Konsumenten kann ein ers- Bundeskartellamt 2011, 21–22): tes Indiz für die Reaktion der Nachfrager am Kraftstoffmarkt sein. Dabei geben über 43% der Befragten an, nur dann zu • hohe gemeinsame Marktanteile, tanken, wenn der Tank fast leergefahren ist (vgl. Tab. 1). Über • hohe Markttransparenz, 54% tanken an bestimmten Tagen oder aber, wenn Preis- • Produkthomogenität, senkungen zu beobachten sind. Da der Großteil der 130 Per- • relativ geringe Produktinnovationen, sonen, die an bestimmten Wochentagen tanken, dies sonn- • geringe Preiselastizität der Nachfrage, tags und montags erledigt, liegt die Vermutung nahe, dass • häufig wiederholte Interaktionen zwischen den markt- auch diese Personen versuchen, einen günstigeren Preis beherrschenden Unternehmen, zu realisieren, da in der Vergangenheit die Kraftstoffpreise • Verflechtungen zwischen den Unternehmen sowie sonntags und montags im Durchschnitt am niedrigsten wa- • wechselseitige Abhängigkeiten zwischen den Unter - ren (vgl. Bundeskartellamt 2011). Damit agiert zwar mehr nehmen. als die Hälfte in einer gewissen Weise durchaus preisbe- wusst, doch reagieren auch mehr als 43% scheinbar prei- Es ist davon auszugehen, dass diese Faktoren auf Kraft- sunelastisch. stoffmärkten überwiegend gegeben sein dürften. Die oli- gopolistische Marktstruktur, die Verflechtungen zwischen Rückschlüsse über die Bereitschaft der Nachfrager, bei ho- den Unternehmen durch gegenseitige Belieferungen und hen Preisen die Tankstelle zu wechseln, können auch aus gemeinsame Raffineriekapazitäten, die hohe horizontale den Antworten auf die Frage gezogen werden, wie viele Tank- Markttransparenz zwischen den Anbietern sowie der hohe Grad an Produkthomoge- nität erleichtern eine implizite Koordination Tab. 1 erheblich. Eine gewisse Produktdifferenzie- Wann tanken Sie üblicherweise? rung erfolgt allerdings durch die geogra- Anzahl Prozent Kumulativ phische Lage der Tankstellen, so dass nicht Immer erst, wenn der Tank wirklich fast leer ist 435 43,28 43,28 alle Tankstellen für alle Verbraucher gleicher- Wenn Preissenkungen zu maßen gute Substitute darstellen, z.B. weil beobachten sind 420 41,79 85,07 eine Tankstelle weiter entfernt ist vom Wohn- Immer an bestimmten Wochentagen 130 12,94 98,01 Weiß nicht/keine Angabe 20 1,99 100,00 1 Für Details vgl. Dewenter, Haucap und Heimeshoff 1 005 100,00 (2012, Kap. 4). Die folgenden Ausführungen basieren auf dem Text dieser Studie. Quelle: Dewenter, Haucap und Heimeshoff (2012, Tab. 5). ifo Schnelldienst 11/2012 – 65. Jahrgang
Zur Diskussion gestellt 5 Tab. 2 ringer Preis die Nähe zum Arbeitsplatz bzw. Bei wie vielen verschiedenen Tankstellen tanken Sie regelmäßig? Wohnort genannt (vgl. Dewenter, Haucap Anzahl Prozent Kumulativ und Heimeshoff 2012, Abb. 9). Dies macht Tanke immer nur bei einer Tankstelle 403 40,10 40,10 deutlich, dass die geographische Differen- Tanke regelmäßig bei zierung durchaus bedeutsam ist und aus zwei Tankstellen 325 32,34 72,44 Sicht der Verbraucher der Kraftstoff an sich Tanke bei drei Tankstellen 143 14,23 86,67 gegebenenfalls vollkommen homogen ist, Tanke bei mehr als drei Tankstellen 125 12,44 99,10 aber verschiedene Tankstellen nur begrenzt Weiß nicht/keine Angabe 9 0,90 100,00 Substitute darstellen. 1 005 100,00 Quelle: Dewenter, Haucap und Heimeshoff (2012, Tab. 6). Direkte Fragen nach den Reaktionen auf Preisänderungen verfestigen das bisherige Bild. So vergleichen nach eigener Aussage Tab. 3 etwa 60% der befragten Autofahrer und Au- Vergleichen Sie die Preise vor dem Tanken an den tofahrerinnen »immer« oder zumindest »meis- einzelnen Tankstellen? tens« die Preise vor dem Tanken an den ein- Anzahl Prozent Kumulativ zelnen Tankstellen (vgl. Tab. 3). Die restlichen Ja, immer 294 29,25 29,25 40% vergleichen dagegen nur selten oder Ja, meistens 299 29,75 59,00 aber nie die Preise. Ja, aber nur selten 152 15,12 74,13 Nein, nie 260 25,87 100,00 Von den 745 befragten Autofahrern und Au- 1 005 100,00 tofahrerinnen, welche überhaupt wenigs- Quelle: Dewenter, Haucap und Heimeshoff (2012, Tab. 8). tens selten Preise vergleichen, nehmen al- lerdings nur etwa 60% »kleine Umwege« in Kauf, um günstiger Kraftstoffe tanken zu Tab. 4 können. Hingegen tanken 40% dieser Kun- Ab welcher Preisdifferenz nehmen Sie einen kleinen Umweg in Kauf? den, obwohl sie Preisvergleiche durchfüh- Anzahl Prozent Kumulativ ren, letzten Endes doch immer beim glei- 1 Cent 23 3,09 3,09 chen Anbieter (vgl. Tab. 4). 2 Cent 61 8,19 11,28 3 Cent 99 13,29 24,56 Auch die Höhe der Preisdifferenzen ist durch- 4 Cent 58 7,79 32,35 aus interessant, ab denen ein kleiner Umweg Erst ab 5 Cent oder mehr 210 28,19 60,54 für die Konsumenten in Frage kommt. Bei ei- Tanke immer bei einem Anbieter/Kommt für mich nicht in Frage 286 38,39 98,93 ner Differenz von einem Eurocent sind es ge- Weiß nicht/keine Angabe 8 1,07 100,00 rade einmal 3% der Befragten, bei einer Quelle: Dewenter, Haucap und Heimeshoff (2012, Tab. 9). Preisdifferenz von 2 Cent sind es 8%. Etwa 28% der Kunden, welche Preisvergleiche durchführen, geben an, dass sie erst ab ei- stellen regelmäßig angefahren werden (vgl. Tab. 2). Es zeigt nem geringeren Preis von mindestens 5 Eurocent einen Um- sich ein ähnliches Bild. Mehr als 40% der Befragten tanken weg fahren. Auch wenn der Begriff »kleinerer Umweg« hier jeweils nur an einer Tankstelle, wechseln also auch nicht nicht weiter definiert ist und unklar ist, bei welchen Befrag- bei Preisvariationen zu anderen Anbietern. Lediglich 33% ten überhaupt eine alternative Tankstelle in kurzer Zeit zu dieser Autofahrer nutzen tatsächlich die (tendenziell günsti- erreichen ist, deutet das Ergebnis nicht gerade auf eine ho- geren) freien Tankstellen. Die Mehrheit fährt ausschließlich he Wechselbereitschaft hin. Markentankstellen an, welche tendenziell teurer sind. Bei ei- nem Großteil dieser Konsumenten liegt also kein preisbe- Des Weiteren hat die Befragung deutliche Hinweise dafür wusstes Verhalten vor, sondern ein eher preisunelastisches gefunden, dass ein nicht unbedeutender Teil der Befragten Konsumentenverhalten. Dieser Eindruck wird verstärkt durch immer noch von Qualitätsunterschieden im Kraftstoff der die Tatsache, dass mehr als 32% der Befragten regelmäßig Markentankstellen und freier Tankstellen ausgeht. Hier liegt an nur zwei Tankstellen tanken und nur gut ein Viertel der in einer verstärkten Verbraucherinformation über die tatsäch- Befragten tatsächlich zwischen drei oder mehr Tankstellen liche Homogenität des Gutes Kraftstoff noch Potenzial, wel- wählt. ches den Wettbewerb zwischen den Mineralölunternehmen merklich steigern könnte. Je eher die Konsumenten die Kraft- Befragt man die Konsumenten danach, was ihnen wichtig stoffe als homogen ansehen, desto eher werden sie bereit an einer Tankstelle ist, so wird fast ebenso häufig wie ein ge- sein, diese von unterschiedlichen Anbietern (also auch den ifo Schnelldienst 11/2012 – 65. Jahrgang
6 Zur Diskussion gestellt freien Tankstellen) zu beziehen und damit auch kleinere Preis- des Raffineriesektors vorzunehmen. Zu begrüßen ist in die- differenzen auszunutzen. sem Kontext die Absicht der Bundesregierung, das befris- tete Verbot von Preis-Kosten-Scheren in § 20 Abs. 4 Satz 2 Zudem hat sich durch die Befragung gezeigt, dass Preis- Nr. 3 GWB im Zuge der vorgesehenen 8. GWB-Novelle zu vergleichssysteme bisher kaum genutzt werden. Ein Grund verlängern, wie der Regierungsentwurf es vorsieht (vgl. da- dafür scheint auch darin zu liegen, dass Preise in diesen Sys- zu auch Monopolkommission 2012). Allerdings erfasst die temen nicht in Echtzeit vorliegen und aufgrund der teilwei- Regelung in § 20 GWB nur klare Unterschreitungen der Vor- se sehr raschen Preisänderungen der Tankstellen schnell leistungspreise durch die Endkundenpreise und im Gegen- veralten. Hier kann ein Ausbau der Angebote sinnvoll sein, satz zu § 19 GWB nicht die problematischeren Fälle einer weil nach wie vor viele Kunden nicht wechseln und regel- unzureichenden Marge. Wie die Monopolkommission (2012, mäßig nur eine Tankstelle frequentieren. Ebenso kann da- Tz. 89) ausgeführt hat, können die Vorleistungspreise für die von ausgegangen werden, dass der Bekanntheitsgrad der kleinen oder mittleren Unternehmen daher »aus wettbe- Online-Preisvergleichssysteme noch relativ gering ist. Mit zu- werbstheoretischer Sicht weiterhin prohibitiv hoch sein bzw. nehmender Bekanntheit und Nutzung der Systeme sollte die Endkundenpreise des vertikal integrierten Unternehmens auch die Wettbewerbsintensität zunehmen. Eine interessan- so niedrig, dass das belieferte kleine oder mittlere Unterneh- te Möglichkeit könnte es sein, Preisvergleichssysteme in Na- mens nicht am Markt bestehen kann.« vigationssysteme zu integrieren, so dass Informationen für Autofahrer auch während einer Fahrt einfach abrufbar wä- Nur als Ultima Ratio und nach sehr gründlicher Analyse ren. Dafür ist es jedoch wichtig, dass die Informationen mög- ausländischer Erfahrungen sollten Preissetzungsregeln für lichst in Echtzeit, auf verlässlicher Basis und möglichst flä- Tankstellen in Betracht gezogen werden. Solche Preisset- chendeckend bereitgestellt werden. Eine solche Schnittstel- zungsregeln sind ein erheblicher Eingriff in den Wettbewerb le könnte eine Transparenzstelle anbieten, um über verbes- und limitieren die Nutzung des Preises als oftmals wich- serte Verbraucherinformation die Sensibilität für Preisdiffe- tigstem Wettbewerbsparameter. Die experimentelle Evi- renzen zu steigern. denz (vgl. Haucap und Müller 2012; Berninghaus, Hesch und Hildenbrand 2012) sowie erste empirische Belege (vgl. In diesem Kontext wird teilweise das Problem einer verein- Dewenter und Heimeshoff 2012) kommen bestenfalls zu fachten Koordination für die Anbieter aufgeworfen, da nicht uneinheitlichen Befunden. Auch von daher wären Regeln nur die vertikale Markttransparenz zwischen Tankstellen und dieser Art, wenn überhaupt, bestenfalls als Ultima Ratio zu Verbrauchern, sondern ebenso die horizontale Transpa- verwenden. renz (zwischen den Anbietern) erhöht wird. Dieses Argument ist zwar nicht ganz von der Hand zu weisen, aber die Effek- Sowohl hinsichtlich einer wirksameren Kontrolle des Behin- te werden insbesondere im Hinblick auf die Koordinations- derungsmissbrauchs als auch der Wirkung besserer Ver- kosten eher gering ausfallen. Die hohe horizontale Markt- braucherinformation muss aber ausreichend Zeit eingeräumt transparenz sorgt augenscheinlich schon jetzt dafür, dass werden, da diese Maßnahmen keineswegs direkt kurzfristi- es für die marktbeherrschenden Unternehmen ohnehin ver- ge Wirkung zeigen werden. Hierbei handelt es sich in je- gleichsweise einfach ist, sich zu koordinieren, und Preisin- dem Fall um ein längerfristiges Projekt, da sich Änderun- formationsportale würden daran nichts Wesentliches än- gen im Konsumentenverhalten erfahrungsgemäß, dies zei- dern. Während die horizontale Markttransparenz unter den gen beispielsweise die Telekommunikations- und Energie- Anbietern heute bereits fast vollständig gegeben ist, trifft dies märkte, erst nach vielen Jahren einstellen und auch die Ana- für die vertikale Markttransparenz zwischen Anbietern und lyse des Raffineriemarkts eine gewisse Zeit in Anspruch Nachfragern aufgrund der rapide zunehmenden Frequenz nimmt. Eine effektive kurzfristige Absenkung der Verbrau- der Preisänderungen nicht zu. Neuere Forschung aus dem cherpreise ließe sich nur durch eine Steuersenkung errei- Bereich der verhaltensorientierten Industrieökonomik legt chen. Dies aber scheint angesichts der notwendigen Kon- sogar nahe, dass Unternehmen im Wettbewerb teilweise solidierung der öffentlichen Haushalte wenig ratsam. bewusst versuchen, Verbraucher durch komplexe Preismo- delle oder eben sehr häufige Preisänderungen davon ab- zuhalten, Preisvergleiche vorzunehmen. Eine einfache Form Literatur der Verbraucherinformation wie die Möglichkeit, Preise ver- Berninghaus, S., M. Hesch und A. Hildenbrand (2012), »Zur Wirkung regu- lässlich in Echtzeit in Navigationsgeräten abzurufen, könn- latorischer Preiseingriffe auf dem Tankstellenmarkt«, Wirtschaftsdienst 92, te die Preissensibilität der Autofahrer erhöhen und so Impul- 46–50. se für den Wettbewerb geben. Bundeskartellamt (2011), Sektoruntersuchung Kraftstoffe, Abschlussbericht, Bonn. Der Kern des Wettbewerbsproblems dürfte jedoch auf den Dewenter, R., J. Haucap und U. Heimeshoff (2012), Maßnahmen zur Steige- vorgelagerten Produktionsstufen liegen. Daher hat die Mo- rung des Wettbewerbs auf den Kraftstoffmärkten in Deutschland, Studie im nopolkommission (2012) angeregt, eine Sektoruntersuchung Auftrag des ADAC, ADAC, München. ifo Schnelldienst 11/2012 – 65. Jahrgang
Zur Diskussion gestellt 7 Dewenter, R. und U. Heimeshoff (2012), »Less Pain at the Pump? The Ef- fects or Regulatory Interventions in Retail Gasoline Markets«, DICE Discus- sion Paper 51, DICE, Düsseldorf, online verfügbar unter: http://ideas.repec.org/p/zbw/dicedp/51.html. Haucap, J. und H.C. Müller (2012), »The Effects of Gasoline Price Regulati- ons: Experimental Evidence«, DICE Discussion Paper 47, DICE, Düsseldorf, online verfügbar unter: http://ideas.repec.org/p/zbw/dicedp/47.html. Maskin, E. und J. Tirole (1988), »A Theory of Dynamic Oligopoly II: Price Com- petition, Kinked Demand Curves, and Edgeworth Cycles«, Econometrica 56, 571–599. Monopolkommission (2012), Die 8. GWB-Novelle aus wettbewerbspolitischer Sicht, Monopolkommission, Bonn. Noel, M. (2007a), »Edgeworth Price Cycles, Cost-Based Pricing, and Sticky Willi Diez* Pricing in Retail Gasoline Markets«, Review of Economics and Statistics 89, 324–334. Noel, M. (2007b), »Edgeworth Price Cycles: Evidence from the Toronto Re- tail Gasoline Market«, Journal of Industrial Economics 55, 69–92. Steigende Benzinpreise erfordern eine Noel, M. (2011), »Edgeworth Price Cycles«, in: S. Durlauf und L. Blume (Hrsg.), Politik weg vom Öl New Palgrave Dictionary of Economics, Palgrave Macmillan. Wenn die Volksseele kocht, muss die Politik handeln. Oder zumindest Handlungsbereitschaft zeigen. Die Volkssee- le hat in diesem Frühjahr wieder einmal gekocht, vor al- lem kurz vor Ostern, als die Kraftstoffpreise auf neue Re- kordhöhen gestiegen sind. Und die Politik hat gehan- delt. Oder zumindest Handlungsbereitschaft gezeigt. Das Ergebnis ist ein Gesetzentwurf zur Einrichtung einer »Markttransparenzstelle« beim Bundeskartellamt. Brau- chen wir mehr Transparenz, weil es – wie es Bundes- wirtschaftsminister Rösler zur Begründung des Gesetz- entwurfs formuliert hat – für die Autofahrerinnen und Au- tofahrer »überhaupt nicht mehr ersichtlich ist, wie die Prei- se zustande kommen?« Die Entwicklung der Kraftstoffpreise lässt sich in vier Kom- ponenten aufgliedern: • eine Trendkomponente, • eine konjunkturelle Komponente, • eine steuerpolitische Komponente sowie • eine preistaktische Komponente. Was die Trendkomponente anbelangt, so ist deren Entwick- lung und der dafür verantwortlichen Faktoren klar: Die Kraft- stoffpreise steigen, weil die globale Nachfrage nach Benzin und Diesel zunimmt und das Angebot nicht beliebig ver- mehrbar ist. Einen ganz wesentlichen Anteil daran hat die steigende Motorisierung in den sogenannten BRIC-Staaten, allen voran natürlich in China. Das Szenario, das die Internationale Energie Agentur (IEA) in ihrem jüngsten »World Energy Outlook 2011« aufzeigt, spricht eine klare Sprache: * Dr. Willi Diez ist Professor für Automobilwirtschaft und Direktor des Insti- tuts für Automobilwirtschaft (IFA) an der Hochschule für Wirtschaft und Um- welt (HfWU) in Nürtingen. ifo Schnelldienst 11/2012 – 65. Jahrgang
8 Zur Diskussion gestellt • Der Weltenergieverbrauch wird bis zum Jahr 2035 um stoffmarkt Einzug gehalten und die Spielregeln der Preisbil- ein Drittel zunehmen. dung verändert. • Der Ölverbrauch wird sich von 87 Mill. Barrel pro Tag im Jahr 2010 auf 99 Mill. Barrel pro Tag im Jahr 2035, also Erstaunlicherweise findet es niemand empörend, wenn Ho- um knapp 14% erhöhen, wobei die gesamte Nettozu- tels ihre Übernachtungspreise an Ostern erhöhen. Tun das nahme vom Verkehrssektor der Emerging Markets aus- die Mineralölkonzerne bei den Benzin- und Dieselpreisen, gehen wird. herrscht helle Aufregung. Weder die eine noch die ande- • Die konventionelle Ölförderung wird bis zum Jahr 2035 re Preisvariation hat irgendetwas damit zu tun, das sich die zurückgehen, die Ölgewinnung aus unkonventionellen Kostenstrukturen und -niveaus verändert hätten. Die zeit- Quellen, wie etwa Ölsanden, an Bedeutung gewinnen. liche Preisdifferenzierung folgt dem simplen Kalkül der Ge- • Die zunehmende Verknappung und die steigenden Ge- winnmaximierung: Wie sich anhand der jedem Studenten winnungskosten werden dazu führen, dass der Preis für der Volks- und Betriebswirtschaft bekannte Amoroso-Ro- ein Barrel Rohöl bis zum Jahr 2035 auf 210 US-Dollar binson-Relation zeigen lässt, führen Preiserhöhungen bei steigen wird. unelastischer Nachfrage zu einer Umsatz- – und damit bei konstanten Kosten – auch zu einer Gewinnsteigerung. Diese Prognose unterliegt zusätzlich noch dem Risiko, dass Dass die Nachfrage nach Kraftstoffen vor Feiertagen oder die Abhängigkeit von einer relativ kleinen Zahl von ölprodu- dem Urlaubsbeginn weniger preiselastisch ist als an nor- zierenden Ländern, die sich hauptsächlich im Nahen Osten malen Werktagen bedarf keiner weiteren ökonomischen und in Nordafrika befinden, steigen wird. Die Gefahr, mo- Begründung. nopolistischer Preissetzungen im Ölmarkt nimmt damit wei- ter zu. Offensichtlich haben die im Hinblick auf die verschiedenen Branchen unterschiedlichen Reaktionsweisen auf Preiser- höhungen in Zeiten besonders großer Nachfrage auch et- Die konjunkturelle Komponente der Preisentwicklung be- was mit Gewöhnungseffekten zu tun: Niemand wundert oder steht in der Abhängigkeit der weltweiten Schwankungen der empört sich, wenn Hotels ihre Preise in der Hochsaison er- Ölnachfrage von der wirtschaftlichen Entwicklung in den gro- höhen. Bei Kraftstoffen ist die Erfahrung zwar auch nicht ßen Verbrauchsländern. So hat die Finanz- und Wirtschafts- wirklich neu, aber offensichtlich doch so provozierend, dass krise in den Jahren 2008/09 auf den weltweiten Rohölmärk- sie die Politik dazu zwingt, die Einrichtung einer »Markttrans- ten zu deutlichen Preisrückgängen geführt, die auch auf dem parenzstelle« auf den Weg zu bringen. deutschen Markt spürbar waren. Immerhin sank der Preis für Superbenzin von September 2008 bis April 2009 um Dass das Prinzip der zeitlichen Preisdifferenzierung mitt- 15%, ehe er in den Folgemonaten wieder zögerlich gestie- lerweile nun auch zu mehrmaligen täglichen Preisvariatio- gen ist. Die positiven Konjunkturerwartungen zu Beginn die- nen führt, mag auf den ersten Blick irritierend sein. Willkür- ses Jahres haben die Öl- und Kraftstoffpreise weiter stei- lich ist es nicht, denn auch hier werden nur die Konse- gen lassen. quenzen aus unterschiedlichen, tageszeitabhängigen Preis- elastizitäten gezogen. Wer morgens tankt, ist häufig auf Die steuerpolitische Komponente der Kraftstoffpreisentwick- dem Weg zur Arbeit oder zu irgendwelchen Dienstgeschäf- lung besteht in der steigenden steuerlichen Belastung von ten. Er muss tanken, also ist seine Preiselastizität gering. Benzin und Diesel durch die Mineralölsteuer und die Mehr- Abends ist man flexibler – entsprechend preissensibler ist wertsteuer (die wiederum auf die Mineralölsteuer mit erho- der Kunde, entsprechend niedriger werden die Kraftstoff- ben wird). Zwar liegt die letzte Erhöhung der Mineralölsteu- preise angesetzt. er schon einige Jahre zurück, doch hat die Erhöhung der Mehrwertsteuer zum 1. Januar 2007 einen Schub bei den Davon, dass nicht ersichtlich sei, »wie die Preise zustande Kraftstoffpreisen gebracht. Aktuell liegt der Anteil der Steu- kommen«, kann keine Rede sein. Mag sein, dass es zwi- erbelastung bei Superbenzin bei 54,2% am Gesamtpreis schen Bürgern, Medien, Wissenschaft, Mineralölkonzer- (April 2012). nen und Politikern ein Kommunikationsproblem gibt. Am En- de reduziert sich jedoch auch die Preisbildung auf dem Kraft- Es bleibt die »preistaktische Komponente« der Kraftstoff- stoffmarkt auf das einfache Zusammenspiel von Angebot preisentwicklung, und vor allem sie ist es, die für Aufregung und Nachfrage. Mehr Transparenz geht nicht – zumindest sorgt. Die Mineralölkonzerne haben in den letzten Jahren ihr nicht in einer Marktwirtschaft. preistaktisches Verhalten geändert und sind von einer allein kostenorientierten zu einer stärker nachfrageorientierten Wer als Autofahrer das vermeintlich fiese Spiel mit unter- Preispolitik übergegangen. Die in vielen Branchen übliche schiedlichen saisonalen oder täglichen Kraftstoffpreisen zeitliche Preisdifferenzierung, also die Orientierung der Prei- durchschaut hat, kann versuchen, im Rahmen seines Mo- se an eine zeitlich fluktuierende Nachfrage, hat auf dem Kraft- bilitätsverhaltens die zeitlichen Spielräume zu nutzen. Vor- ifo Schnelldienst 11/2012 – 65. Jahrgang
Zur Diskussion gestellt 9 ausschauendes Tanken bringt dem strapazierten Geldbeu- rüstkosten liegen. Gleichwohl stünde hier ein Kraftstoff zur tel wahrscheinlich mehr als eine Erhöhung der »Markttrans- Verfügung, der kurzfristig zu einer stärkeren Diversifizierung parenz«. Denn Missbräuche im kartellrechtlichen Sinne wird hinsichtlich der Kraftstoffarten führen könnte. man dabei kaum feststellen können, und wie man das Ver- halten der Mineralölkonzerne moralisch beurteilt, steht auf Auch Biokraftstoffe der zweiten Generation, die nicht in einem anderen Blatt. Konflikt mit der Nahrungskette stehen, haben das Poten- zial, zumindest in einzelnen Regionen die Abhängigkeit vom Klar ist aber auch: Das Problem steigender Kraftstoffpreise Rohöl zu reduzieren. Noch aber sind Benzin und Diesel – und dass es ein Problem ist, wird niemand bestreiten – zu billig, damit Biokraftstoffe wirklich wettbewerbsfähig lässt sich letztlich nur lösen, indem der Kraftstoffverbrauch werden. eingedämmt und alternative Kraftstoffe und Antriebstech- nologien schnell zur Marktreife weiterentwickelt werden. Die Am Horizont der automobilen Entwicklung steht die Vision einzige wirtschaftspolitisch relevante Fragestellung im Zu- der Elektromobilität mit Strom, der aus regenerativen Quel- sammenhang mit den steigenden Kraftstoffpreisen ist da- len gewonnen wird. Dass dieser Weg technisch wie auch her, ob und in welcher Weise dieser Prozess durch staatli- wirtschaftlich noch weit ist, steht außer Frage. So gab es che Interventionen welcher Art auch immer beschleunigt zu Beginn des Jahres 2012 gerade Mal 4 541 Elektroau- werden kann. tos auf Deutschlands Straßen. Das sind nur 0,1% des ge- samten Fahrzeugbestandes. Im Jahr 2020 sollen es nach In den letzten Jahren wurden erhebliche Fortschritte bei dem Willen der deutschen Bundesregierung gemäß dem der Senkung des Kraftstoffverbrauchs von Automobilen al- nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität 1 Mill. Fahr- ler Art erzielt. So haben etwa die deutschen Hersteller den zeuge sein. Kraftstoffverbrauch ihrer Fahrzeuge seit Mitte des vergan- genen Jahrzehnts bis heute um rund 10% reduzieren kön- Dabei sind es nicht nur mangelnde Reichweiten und hohe nen. In ähnlichen Größenordnungen bewegen sich auch Batteriekosten, die die schnelle Diffusion von Elektroauto- die Einsparungen anderer Automobilhersteller in Europa, mobilen behindern. Noch immer fehlt ein privatwirtschaft- Nordamerika, Japan und Südkorea – Fortschritte, die auch lich tragfähiges Konzept für die notwendigen Stromtankstel- von der IEA in ihrem letzten »World Energy Outlook 2011« len, die sich aus heutiger Sicht für keinen Investor rechnen anerkannt werden. werden. Erreicht wurde dies weit überwiegend durch eine Optimie- Die ökonomischen Fesseln für eine schnelle Durchsetzung rung der Verbrennungsmotoren, ein verbessertes Thermo- von Elektroautomobilen zeigt eine vom Institut für Automo- management im Fahrzeug und die Verwendung leichterer bilwirtschaft (IFA) durchgeführte Amortisationsrechnung, die Materialien. Die Möglichkeiten dazu sind noch nicht ausge- aufzeigt, nach wie viel Kilometern sich ein Elektroauto ge- schöpft. So erscheint ein weiteres Reduktionspotenzial bei genüber einem herkömmlich angetriebenen Fahrzeug rech- Benzin- und Dieselmotoren in der Größenordnung von 30 bis net. Das Ergebnis ist ernüchternd: Selbst wenn man unter- 40% bei den nächsten zwei bis drei Fahrzeuggeneratio- stellt, dass sich die Batteriepreise bis zum Jahr 2020 halbie- nen, die neu auf den Markt kommen werden, realistisch. ren werden und die Strompreise konstant bleiben, ergibt sich Dies schließt neben den weiter oben genannten Maßnah- noch immer eine Amortisationslaufleistung für Elektroauto- men auch eine stärkere Hybridisierung bei den klassischen mobile, die bei knapp 40 000 Kilometer gegenüber einem Verbrennungsmotoren mit ein. Benziner und knapp 50 000 Kilometer gegenüber einem Die- sel liegt. Dem steht freilich das weitere Wachstum der Fahrzeugbe- stände in den Emerging Markets gegenüber. Bis zum Jahr Entscheidend wird daher sein, dass die Energiewende vor- 2035 dürfte sich der weltweite Fahrzeugbestand – wieder- ankommt, ohne dass die Strompreise schneller als die Ben- um nach einer Prognose der IEA – von heute etwa 800 Mill. zin- und Dieselpreise steigen. Andernfalls wird das Elektro- Einheiten auf 1,6 Mrd. Fahrzeuge verdoppeln. Ein weiterer auto eine Utopie bleiben. So liegt der Schlüssel für eine nach- dramatischer Anstieg der Kraftstoffpreise ist damit vorge- haltige Reduktion der Abhängigkeit vom Öl nicht nur bei zeichnet. der Automobilindustrie und ihren Zulieferern, sondern auch und gerade bei der Energiewirtschaft. Staatliches Handeln Die Alternativen zu den Benzin- und Dieselmotoren her- sollte sich dabei auf eine Förderung dieses Wandels durch kömmlicher Bauart sind bekannt. Das betrifft zunächst die die Unterstützung von Investitionen in die Forschung und Kraftstoffe selbst. Erdgas- und Autogas sind Alternativen, den Wissenstransfer fokussieren. die bereits heute serienmäßig angeboten werden, aber ei- ne noch immer nur sehr begrenzte Akzeptanz finden. Das Vor dem Hintergrund der epochalen Herausforderungen mag auch an den höheren Anschaffungs- oder auch Um- erscheint die Einrichtung einer »Markttransparenzstelle« als ifo Schnelldienst 11/2012 – 65. Jahrgang
10 Zur Diskussion gestellt ein ebenso bescheidener wie untauglicher Versuch, den Bür- gern die unangenehme Botschaft zu ersparen, dass Auto- fahren in Zukunft nicht billiger, sondern teurer werden wird und man seine privaten »Investitionsentscheidungen« in Sa- chen Automobilanschaffung eher auf das Szenario steigen- der als sinkender Kraftstoffpreise ausrichten sollte. Eine »Marktransparenzstelle« ist nicht vielmehr als ein Placebo für die geschundene Seele deutscher Autofahrerinnen und Autofahrer – was nicht negativ gemeint ist: In klinischen Stu- dien wurde nämlich herausgefunden, dass auch Placebos den Betroffenen durchaus helfen können. Hans-Joachim Otto* Literatur Altobelli, C. (1992), »Preisdifferenzierung«, WiSt (1), 2–8. Wettbewerb und Transparenz statt Bohr, B. (2010), »Effiziente Vielfalt – Welchen Herausforderungen sich Zulie- Regulierung ferer und Hersteller jetzt stellen müssen«, Vortragsmanuskript Automobilwo- che Konferenz, München. Die Preise für Benzin und Diesel sind an den Zapfsäulen in Boiteux, M. (1960), »Peak-Load Pricing«, Journal of Business 33, 157–179. Deutschland in diesem Frühjahr auf neue Höchststände geklettert. Für die Autofahrer ist dies zweifelsohne ärger- Diez, W. (2010a), »Elektromobilität – Wann platzt die Blase«, Arbeitspapier Nr. 6/2010 des Instituts für Automobilwirtschaft (IFA) an der Hochschule für lich. Allerdings folgen die Kraftstoffpreise im Trend dem Öl- Wirtschaft und Umwelt (HfWU) Nürtingen-Geislingen, Geislingen. preis: In Euro gerechnet haben wir hier Rekordpreise von et- Diez, W. (2010b), Otto-, Diesel-, Elektromotor – wer macht das Rennen?, wa 125 Dollar je Barrel gesehen – dies entsprach etwa Studie im Auftrag der IHK Region Stuttgart, Stuttgart. 95 Euro. Die Ursache für die zuletzt gestiegenen Rohölprei- se sind die politischen Unsicherheiten wegen des Bürger- Diez, W. (2012), Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Au- tomobilindustrie – Herausforderungen und Perspektiven, München. kriegs in Syrien, die ungelösten Probleme in Nordafrika und die Spannungen um den Iran. Hinzu kommen die besseren International Energy Agency (IEA) (2011), World Energy Outlook 2011, Paris. Konjunkturaussichten in den USA und in vielen Schwellen- Verband der Automobilindustrie (VDA) (2012), Jahresbericht 2011, Berlin. ländern, die eine regere Nachfrage erwarten lassen. Unmit- telbar entscheidend für das Preisniveau in Deutschland ist Wallentowitz, H. et al. (2009), Strategien in der Automobilindustrie: Techno- logietrends und Marktentwicklungen, Wiesbaden. der Großhandelspreis für Diesel und Benzin in Rotterdam. Der Rotterdamer Großhandelspreis für Benzin hat mit teil- Williamson, O.E. (1966), »Peak-Load Pricing and Optimal Capacity under Indivisibility Constraints«, American Economic Review 56, 810–827. weise 65 Cent je Liter im Frühjahr ein Allzeithoch erreicht. Das waren 12 Cent mehr als noch zu Jahresbeginn. Ähn- lich war die Preisentwicklung beim Diesel, auch wenn des- sen Preis im Sommer 2008 noch etwas höher lag. Ursäch- lich für die hohen Preise an der Tankstelle sind damit im Wesentlichen die Entwicklungen auf den internationalen Märkten. Die nationale (Wettbewerbs-)Politik hat damit nur sehr begrenzten Einfluss auf die Preishöhe. Um es klar und deutlich zu sagen: Angesichts der gestiegenen und mittel- fristig weiterhin steigenden Ölpreise sollten pauschale Er- wartungen, durch Regulierung könnten die Kraftstoffpreise gesenkt werden, gar nicht erst geweckt werden. Gleichzeitig ist es umso wichtiger, dass wir auf den Vertriebs- stufen, auf denen wir Preiswettbewerb – letztlich auch im Sinne der Autofahrerinnen und Autofahrer in Deutschland – schützen können, dies auch zielführend tun. Hier setzt die Bundesregierung an. Sie hat Ende März den Entwurf einer Achten Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschrän- * Hans-Joachim Otto, MdB, ist Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun- desministerium für Wirtschaft und Technologie. ifo Schnelldienst 11/2012 – 65. Jahrgang
Zur Diskussion gestellt 11 kungen beschlossen. Das befristete Verbot von sogenann- den Wettbewerb auf den deutschen Großhandelsmärkten ten Preis-Kosten-Scheren wird dauerhaft gesetzlich veran- für Strom und Gas. Der Markttransparenzstelle übertragen kert. Danach dürfen marktmächtige Mineralölunternehmen wir außerdem die Aufgabe, die Kraftstoffmärkte (Benzin und ihren Konkurrenten nicht Kraftstoffe zu einem höheren Preis Diesel) zu beobachten. Das Bundeskartellamt hat zwar kei- liefern als dem, den sie selbst an ihren eigenen Tankstellen ne Kartellabsprachen festgestellt, aber seine Einschätzung von den Autofahrern verlangen. Diese Regelung entfaltet ist klar: Aufgrund der starken Position der großen Mineral- eine wichtige Vorfeldwirkung. Dies hat die Sektoruntersu- ölgesellschaften ist die Wettbewerbssituation auf den Kraft- chung des Bundeskartellamts gezeigt. Zudem wird es den stoffmärkten insgesamt unbefriedigend. kleinen und mittleren Unternehmen erleichtert, ihre Ansprü- che gegenüber den marktstarken großen Mineralölunter- Dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie geht nehmen zivilrechtlich durchzusetzen. Das Bundeskartellamt es darum, dem Wettbewerb auf den Kraftstoffmärkten neue wird auch weiterhin strikt gegen missbräuchliches Verhalten Impulse zu geben und die Position der mittelständischen vorgehen. Es wird im Rahmen der Fusionskontrolle einer freien Tankstellen zu stärken. Hier sind die Kartellbehörden weiteren Konzentration auf den Tankstellenmärkten konse- gefordert. Sie müssen schneller und effektiver eingreifen kön- quent entgegentreten. nen. Dies ist nur mit einer besseren Datengrundlage mach- bar. Die Markttransparenzstelle erhält deshalb die Aufgabe, Von einigen ist in der Diskussion um die Kraftstoffpreise zeitnah und umfassend die Ein- und Verkaufspreise für Ben- vorgeschlagen worden, die – plakativ als »Preisbremsen« zin und Diesel zu erheben. Dies verschafft den Kartellbe- gepriesenen – Regelungen aus anderen Ländern zu über- hörden eine aktuelle Grundlage, um Anhaltspunkte für et- nehmen. Ich sehe gesetzliche Regelungen auf der Basis des waige Verstöße zu finden. österreichischen oder west-australischen Modells kritisch. In Österreich dürfen die Preise an den Tankstellen nur ein- Konkret heißt das: Die Kartellbehörden sollen Verdrän- mal am Tag um 12:00 Uhr angehoben werden, in den dar- gungsstrategien oder missbräuchlich überhöhte Preise der auf folgenden 24 Stunden sind nur noch Preissenkungen großen Mineralölkonzerne leichter und schneller als bis- zulässig. In West-australien müssen Tankstellenbetreiber je- her aufdecken und verfolgen können. Eine typische Ver- den Tag bis 14:00 Uhr den Benzinpreis für den Folgetag an drängungsstrategie der großen Mineralölkonzerne ist die die zuständige Behörde melden; dieser Preis gilt ab 6 Uhr bereits erwähnte Preis-Kosten-Schere. Die Markttrans- morgens und darf erst am Tag danach wieder verändert wer- parenzstelle kann nun besser feststellen, ob gegen das den. Im Nachgang zur Sektoruntersuchung des Bundeskar- entsprechende Verbot verstoßen wird. Die Daten ermög- tellamts hat die Bundesregierung mit Vertretern der mittel- lichen dem Bundeskartellamt zudem eine effektivere Fu- ständischen Unternehmen Gespräche geführt. Sie hat ein- sionskontrolle: Kommen weitere Fusionspläne der Farben- gehend die Ergebnisse insbesondere des österreichischen gesellschaften (z.B. Übernahme kleinerer Tankstellenket- und des west-australischen Modells analysiert. Das Ergeb- ten) auf seinen Tisch, kann sehr schnell erkannt werden, nis ist: Beide Regelungen mögen die Preise kurzfristig ein- ob es eingreifen muss. Hier liegt auch ein wesentlicher Vor- frieren und damit die Volatilität senken. Eine dauerhafte Sen- teil gegenüber etwa dem österreichischen und dem west- kung der Kraftstoffpreise ist davon jedoch nicht zu erwar- australischen Modell: Es geht uns nicht um kurzfristige ten, eher im Gegenteil. Dies wurde inzwischen auch wissen- künstliche Preisstabilisierung. Das Bundeskartellamt soll in schaftlich bestätigt. In Australien wurde daher von einer Aus- die Lage versetzt werden, bei den Ursachen – dem man- dehnung der west-australischen Regelung auf ganz Aust- gelnden Wettbewerb – anzusetzen. ralien abgesehen. Sie würde die großen Mineralölgesellschaf- ten stärken, hingegen die mittelständische Mineralölunter- Mit der Markttransparenzstelle stärken wir die Position der nehmen sowie die freien Tankstellen – und damit den Wett- mittelständischen freien Tankstellen. Sie sind es, die den bewerb insgesamt – schwächen. Bestehende Strukturen Wettbewerb im Kraftstoffmarkt in Gang halten. Von ihnen werden durch gesetzliche Preisregulierungen eher zemen- geht Druck auf die großen Mineralölgesellschaften aus. Des- tiert als aufgemischt. Das sehen auch die Betroffenen selbst halb wollen wir die kleinen und mittleren Unternehmen auch so. Nicht zuletzt deshalb sind der ADAC und die mittelstän- nicht mehr als erforderlich mit bürokratischem Aufwand be- dischen Mineralölverbände gegen diese Regelungen. Die lasten. Viele der benötigten Daten werden bereits aus steu- Bundesregierung setzt zum Wohl der Verbraucher daher mit- erlichen und betriebswirtschaftlichen Gründen von den Un- tel- und langfristig auf wirksamen Wettbewerb statt auf Re- ternehmen elektronisch erfasst. Sie müssen diese dann nur gulierung. noch an die Markttransparenzstelle weiterleiten. Zudem ist es ausreichend, wenn diese Daten nur einmal wöchentlich Wir haben deshalb Anfang Mai beschlossen, die Schlagkraft – anstatt mehrmals täglich – an die Markttransparenzstelle des Bundeskartellamts weiter zu erhöhen und dort eine weitergeleitet werden. Weiterhin hat die Bundesregierung Markttransparenzstelle für den Großhandel mit Strom und eine Regelung vorgesehen, um kleine und mittlere Unter- Gas einzurichten. Mit der Markttransparenzstelle stärken wir nehmen von den Meldungen auszunehmen und damit zu ifo Schnelldienst 11/2012 – 65. Jahrgang
12 Zur Diskussion gestellt entlasten. Betriebsinterne Tankstellen und Tankautomaten werden ohnehin nicht von der Regelung erfasst. Wichtig ist, dass die gemeldeten Daten, insbesondere die Beschaffungspreise, – schon allein aus Gründen des Daten- schutzes – nur für die betroffenen Behörden bestimmt sind. Sie enthalten zu einem großen Teil schutzwürdige Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Ich habe Verständnis für die For- derung, die Kraftstoffpreise im Rahmen von staatlichen In- ternetportalen den Autofahrern aktuell zur Verfügung zu stel- len. Hierfür müssten wir aber – anders als wir es jetzt vor- sehen – auch die kleinen und mittleren Unternehmen zu Heinz-J. Bontrup* unablässigen Datenmeldungen – und zwar gegebenenfalls mehrfach am Tag – verpflichten. Dies würde einen unver- hältnismäßigen bürokratischen Aufwand bedeuten. Außer- dem bieten private Internetportale bereits jetzt die Möglich- Unmut an den Tankstellen keit, die aktuellen Kraftstoffpreise in der Umgebung zu ver- gleichen. Der Staat sollte hier nicht als Konkurrent zu priva- Mit der zunehmenden Industrialisierung zu Beginn des ten Anbietern auftreten. 20. Jahrhunderts und der immer mehr einsetzenden Moto- risierung wurde Öl, das »schwarze Gold«, zum wichtigsten Was sollten die Autofahrerinnen und Autofahrer nun tun? Rohstoff. Die Geschichte um die Gewinnung und Verarbei- Soweit es geht, sollten sie die Preise vergleichen und zu tung von Erdöl ist dabei von Machtmissbrauch und Ausbeu- den günstigsten Zeiten und an den günstigsten Tankstel- tung geprägt. Die Mineralölbranche ist gleichzeitig ein Lehr- len tanken. Der Verbraucher hat damit ein starkes Instru- buchbeispiel für die Unterminierung des Staats zur Gene- ment in der Hand. rierung partieller Profitinteressen von Konzernen, die im Er- gebnis zu Lasten der gesamten Gesellschaft gehen. Die Macht der Ölgiganten Von Anfang an beherrschten sieben internationale Ölkon- zerne (Standard Oil, Shell, Mobil, Gulf, BP, Standard Oil of California und Exxon) das Geschäft, um sich mit ihren Pro- fiten, die selbstverständlich maximal sein sollen, auf Kosten der Natur und Menschen zu bereichern (vgl. Genté 2007; Shaxson 2009). Die »Seven Sisters« kontrollierten anfangs nicht nur die gesamte Erdölförderung und Raffineriekapazi- tät in und außerhalb der USA, sondern ihnen gelang es auch, die gesamte Verfahrenstechnik, das Know-how und die Technologie für die Raffinerien auf sich zu vereinen und die Weltabsatzmärkte untereinander aufzuteilen (vgl. Mirow 1978, 125). Sie provozierten mit ihrer Gier nach höchstem Gewinn aber eine »Gegenmacht« – die am 14. September 1960 in Bagdad von Saudi-Arabien, Iran, Irak, Kuwait und Venezuela gegründete »Organisation der Erdöl exportie- renden Länder« (OPEC)1. Aber auch das Ziel der OPEC war eine Monopolisierung des Ölmarkts, um durch abgespro- chene Förderquoten für die Mitgliedstaaten den Erdölpreis * Prof. Dr. Heinz-J. Bontrup ist Wirtschaftswissenschaftler an der Westfäli- schen Hochschule Gelsenkirchen, Bocholt, Recklinghausen und Direktor am Westfälischen Energieinstitut der Westfälischen Hochschule. 1 Später schlossen sich der OPEC noch die Länder Katar, Libyen, die Ver- einigten Arabischen Emirate, Algerien, Nigeria und Angola an. Ecuador war von 1973 bis 1992 Mitglied und Gabun von 1975 bis 1992. Am 17. No- vember 2007 kehrte Ecuador nach 15-jähriger Pause in die OPEC zu- rück. Indonesien ist im Januar 2009 ausgetreten. Der Sitz des Länderkar- tells ist seit 1965 Wien. ifo Schnelldienst 11/2012 – 65. Jahrgang
Zur Diskussion gestellt 13 zur Profitmaximierung entsprechend auszusteuern. Mit ih- anderen bei der Produktion in ihren Raffinerien sowie mit rer kartellierten Preispolitik löste die OPEC im Jahr 1973 ihren eigenen Transportkapazitäten. Dazu stellt das Bun- sogar die erste schwere internationale Ölkrise und in Folge deskartellamt fest: Die Ölkonzerne sind »nicht nur im Ein- eine Weltwirtschaftskrise aus. Innerhalb von fünf Monaten zelhandel (an den Tankstellen, d. V.), sondern auch in der erhöhte sich der Ölpreis um das Vierfache, und es kam in Erzeugung, im Großhandel und im Transportsektor tätig. der Wirtschaft zu einer Stagflation (vgl. Müller, Bock und Insbesondere auf diesen vorgelagerten Marktstufen finden Stahlecker 1980), dem gleichzeitigen Auftreten von wirt- sich Strukturmerkmale, die stark dämpfend auf den Bin- schaftlicher Stagnation, Arbeitslosigkeit und Inflation. Dar- nen- und den Außenwettbewerb insgesamt und damit auch aus hat die OPEC allerdings, die sich damit selbst schade- auf die hier interessierenden Endverbrauchermärkte wirken, te, gelernt und bis heute kein Lieferembargo mehr verhängt.2 indem einerseits ein hohes Vergeltungspotential eröffnet Aber auch die anderen nicht zur OPEC gehörenden Ölstaa- und andererseits eine überragende Marktstellung der markt- ten erkannten, welche Macht und welcher Profit mit dem beherrschenden Unternehmen geschaffen wird.« (vgl. Bun- Erdöl verbunden sind, und gingen zunehmend dazu über, deskartellamt 2011b, 49 f.) Dabei gilt außerdem: »Verfloch- ihre Ölwirtschaft zu verstaatlichen. Heute kontrollieren die tene Unternehmen können Informationen über Geschäfts- internationalen privaten Ölkonzerne nur noch 16% der be- strategien, -ziele und kurzfristige Maßnahmen leichter aus- stätigten Weltölreserven, während staatliche Ölkonzerne auf tauschen. Dritte haben keinen Zugang zu den gemeinschaft- einen Anteil von 65% kommen (vgl. Sur 2008). lich gehaltenen Erzeugungs- und Pipelinekapazitäten der vertikal integrierten Mineralölunternehmen.« (vgl. Bundes- kartellamt 2011b, 55) Dies erschwert auch den exakten Die Wertschöpfungskette bis zum Spritpreis Nachweis des erzielten Gewinns, der im Einzelnen über die Wertschöpfungsstufen nicht rückverfolgbar ist. Ein Blick Will man den Preis für Benzin und Diesel an den Tankstel- in die Bilanzen sowie Gewinn- und Verlustrechnungen der len verstehen, so muss man bei der Erdölgewinnung, und international agierenden Ölmultis, die über interne Verrech- damit beim Rohölpreis (der auch vom US-Dollar-Kurs be- nungspreise zwischen den Wertschöpfungen ihre Gewin- einflusst wird), ansetzen. Sowohl die Ölstaaten als auch die ne in Niedrigsteuerländer verlagern können, macht dies Ölkonzerne erzielen hier am Bohrloch bereits ihre enorm ho- deutlich. Die Gewinne der staatlichen Ölgesellschaften lie- hen Gewinne. Auch zu Lasten einer gigantischen Umwelt- gen dabei sogar völlig im Dunklen. verschmutzung, die bei der Erdölförderung durch das »Gas- Flaring« entsteht.3 Obwohl für das »Gas-Abfackeln« durch Nach den Raffinerien erfolgt der Verkauf von Benzin und die Ölproduzenten seit langem eine technische Alternative Diesel über den Groß- und schließlich über den Einzelhan- durch eine Umwandlung des wie Öl nicht-regenerativen Erd- del an Tankstellen. Auch dieser Vertrieb wird in Deutsch- gases in Strom möglich ist, verweigern sich aus Profitgier land von den Mineralölgesellschaften beherrscht. Die noch dennoch die Ölkonzerne und -staaten dieser Möglichkeit. verbleibende Marge am Ende der langen Wertschöpfungs- Eine lobenswerte Ausnahme ist hier neuerdings Ecuador. kette ist dabei aber nicht mehr entscheidend. Der Gewinn Die internationale Politik schaut dabei tatenlos der Zerstö- soll hier – laut Mineralölbranche – bei nur rund einem Cent rung von Natur und damit der Lebensgrundlagen von Men- je Liter verkauftem Kraftstoff in Deutschland liegen (vgl. schen zu.4 Im Nigerdelta in Nigeria und in Russland (Sibirien) Petersen und Winter 2012). Das Bundeskartellamt hat dies ist es diesbezüglich besonders schlimm. bestätigt (vgl. Bundeskartellamt 2011a, Chart 4). Die da- bei von den Mineralölkonzernen abhängigen Tankstellen- Nach der Erdölförderung wird das Rohöl zur Kraftstoffer- pächter »leben« nicht vom Verkauf des Sprits, sondern von zeugung von den Ölkonzernen in Raffinerien bearbeitet. Die ihrem zusätzlichen Geschäft mit Zeitungen, Tabakwaren Beschaffungs- und Transportkosten inkl. der hier enthal- und Lebensmittel etc. tenden Gewinne bezogen auf den Benzin- und Dieselend- preis an den Tankstellen machen aber nur etwa gut ein Drit- Den größten Anteil am Spritpreis in Deutschland machen tel aus (vgl. Bundeskartellamt 2011a). Wenn dabei die Mi- aber trotz aller erzielten Profite über die einzelnen Wertschöp- neralölgesellschaften die Preissteigerungen an den rund fungsstufen mittlerweile die Steuern aus. Der gesamte Steu- 14 700 Straßen- und 340 Bundesautobahntankstellen in eranteil liegt dabei über 60% (vgl. Bundeskartellamt 2011a, Deutschland mit gestiegenen Beschaffungs- und Transport- Chart 4), durch die Mehrwertsteuer und eine zusätzlich er- kosten begründen und rechtfertigen, vergessen sie aber re- hobene indirekte Energiesteuer. Allein das Aufkommen der gelmäßig zu sagen, dass sie hier bereits kräftig verdient und Energiesteuer lag dabei im Jahr 2011 in Deutschland bei gut Gewinn gemacht haben. Zum einen am Bohrloch und zum 40 Mrd. Euro (vgl. Deutsche Bundesbank 2012, 57). Das Aufkommen der Körperschaftsteuer und der Veranlagten 2 Die OPEC verfügt heute etwa über 75% der weltweiten Erdölreserven. Einkommensteuer waren hier mit 47,6 Mrd. Euro nicht be- 3 Das Abfackeln führt zu einem jährlichen CO2-Ausstoß, der rund 500 Mill. Autos entspricht (vgl. Müller-Foell 2011). trächtlich größer. Dabei ist die Form der extrem hohen indi- 4 Vgl. den Arte-Film: http://www.joutube.com/watch?v=tZJKhZFr58I. rekten Besteuerung höchst problematisch (vgl. Bontrup ifo Schnelldienst 11/2012 – 65. Jahrgang
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