Suizide in Deutschland: Ergebnisse der amtlichen Todesursachenstatistik

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Suizide in Deutschland: Ergebnisse der amtlichen Todesursachenstatistik
Leitthema

Bundesgesundheitsbl 2022 · 65:3–10              Torsten Schelhase
https://doi.org/10.1007/s00103-021-03470-2      H11 Gesundheitsstatistiken, Statistisches Bundesamt, Zweigstelle Bonn, Bonn, Deutschland
Eingegangen: 5. Juli 2021
Angenommen: 29. November 2021
Online publiziert: 28. Dezember 2021
© Der/die Autor(en) 2021                        Suizide in Deutschland:
                                                Ergebnisse der amtlichen
                                                Todesursachenstatistik

                                                entsprechend der Internationalen Statis-            land gegeben. Dies beinhaltet nicht nur
 Zusatzmaterial online
                                                tischen Klassifikation der Krankheiten               einen Überblick über die absoluten Zah-
 Zusätzliche Informationen sind in der          und verwandter Gesundheitsprobleme                  len, sondern auch eine nähere Betrach-
 Online-Version dieses Artikels (https://doi.
                                                (ICD-10) der Weltgesundheitsorgani-                 tung verschiedener Aspekte wie Suizid in
 org/10.1007/s00103-021-03470-2) enthalten.
                                                sation (WHO) verarbeitet, was eine                  Abhängigkeit vom Alter und Geschlecht.
                                                internationale Vergleichbarkeit ermög-              Neben der Darstellung der aktuell vor-
Einleitung                                      licht. Letzter großer Pluspunkt ist die             liegenden Ergebnisse des Berichtsjahres
                                                jährliche Vollerhebung aller Todesfälle.            2019 werden auch Zeitvergleiche abge-
In Deutschland geschieht ca. jede Stun-             Im Text wird ausschließlich der wert-           bildet. Ergebnisse für das Berichtsjahr
de ein Suizid, jeden Tag, an 365 Tagen          freie Begriff „Suizid“ verwendet, grund-             2020 lagen beim Verfassen dieses Aufsat-
im Jahr. Mit rund 1 % aller Todesfälle          sätzlich stehen für den Begriff des Suizids          zes noch nicht vollständig und vollplau-
stellt der Suizid damit keine unbedeu-          verschiedene andere Synonyme zur Ver-               sibilisiert vor. Auf die bis dato verfügba-
tende Todesursache dar, trotzdem wur-           fügung: Die ICD-10 der WHO sieht als                ren, vorläufigen Daten zum Berichtsjahr
de er in der Vergangenheit oft tabuisiert,      Bezeichnung „vorsätzliche Selbstbeschä-             2020, die im Zuge der Monatsberichte
zum Teil auch ignoriert. Informationen          digung“ vor, oft werden aber auch je nach           seit Juli 2021 veröffentlicht werden, wird
zu Suiziden und anderen Todesursachen           Perspektive Begriffe wie Selbstmord,                 daher nur kurz eingegangen.
entstammen vor allem der Todesursa-             Selbsttötung oder Freitod gebraucht.
chenstatistik. Die Auswertung dieser Da-        In seinem Urteil vom 26.02.2020 [1]                 Die Todesursachenstatistik
ten liefert wichtige Hinweise auf relevante     hat das Bundesverfassungsgericht im                 in Deutschland: Historie,
Gesundheitsindikatoren wie Sterbeziffer,         Zusammenhang mit dem sogenannten                    Rechtsgrundlage und Methodik
verlorene Lebensjahre und vermeidbare           assistierten Suizid verdeutlicht, dass das
Sterbefälle. Sie ist Basis für die Todes-       allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2             Historie
ursachenforschung, die die Zusammen-            Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1
hänge zwischen verschiedenen Einfluss-           Grundgesetz) ein Recht auf selbstbe-                Die Angst vor ansteckenden Krankhei-
faktoren wie Alter, Geschlecht, regionale       stimmtes Sterben umfasst. „Dieses Recht             ten war einer der wichtigsten Anlässe,
Besonderheiten in der Sterblichkeit und         schließt die Freiheit ein, sich das Leben           Daten zu Todesursachen aufzuzeichnen
diesbezügliche Veränderungen im Laufe           zu nehmen und hierbei auf die freiwilli-            [2]. Aus diesem Grund hat die Todesur-
der Zeit untersucht. Aus diesen Ergeb-          ge Hilfe Dritter zurückzugreifen. Die in            sachenstatistik eine recht lange Traditi-
nissen heraus werden Empfehlungen für           Wahrnehmung dieses Rechts getroffe-                  on, erste Aufzeichnungen für eine Aus-
kommende Handlungsfelder und Strate-            ne Entscheidung des Einzelnen, seinem               wahl von zum Tode führenden Krank-
gien für die epidemiologische Forschung,        Leben entsprechend seinem Verständnis               heiten liegen seit der zweiten Hälfte des
die Prävention und die Gesundheitspo-           von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit               19. Jahrhunderts vor, seit 1892 besteht
litik abgeleitet. Ziel ist es, die Lebenser-    der eigenen Existenz ein Ende zu setzen,            eine „echte“ Statistik im Sinne einer um-
wartung und Lebensqualität der Bevölke-         ist im Ausgangspunkt als Akt autono-                fangreichen Erhebung.
rung durch präventive und medizinisch-          mer Selbstbestimmung von Staat und                     Mit der Umstellung des ersten aus-
kurative Maßnahmen zu erhöhen.                  Gesellschaft zu respektieren.“ Damit                führlichen Verzeichnisses für Deutsch-
    Dabei bietet die Todesursachenstatis-       wird auch unterstrichen, dass der Suizid            land auf die ICD der WHO Anfang der
tik folgende Vorteile: Zum einen stellt         strafrechtlich nicht mehr verfolgt werden           1930er-Jahre wurden die Daten interna-
die Kontinuität der Erhebung sicher,            kann.                                               tional vergleichbar. Daten, die in Anleh-
dass dem Nutzer Daten aus weit zurück-              In diesem Beitrag wird ein Überblick            nung an die ICD generiert wurden, liegen
reichenden Zeiträumen zur Verfügung             über die Ergebnisse der Todesursachen-              in schriftlicher Form ab dem Jahr 1950
stehen. Zum anderen werden die Daten            statistik in Bezug auf Suizide in Deutsch-          und in digitaler Form ab 1980 vor. Auf-

                                                                    Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2022    3
Suizide in Deutschland: Ergebnisse der amtlichen Todesursachenstatistik
Leitthema

    grund der sich ständig ändernden Rah-               Methodik                                       Exkurs: Todesbescheinigung
    menbedingungen (medizinischer Fort-                                                                Die Regelungen zur Leichenschau und
    schritt, Veränderung der Arbeits- und               Die relevanten Informationen zur Todes-        damit auch zur Todesbescheinigung ob-
    Lebensverhältnisse etc.) wird die ICD re-           ursachenstatistik entstammen der Todes-        liegen aufgrund der Länderkompetenz
    gelmäßig angepasst. Seit 1998 wird in               bescheinigung, auf der der leichenschau-       den einzelnen Ländern. Dies hat zur Fol-
    Deutschland die stark revidierte und er-            ende Arzt die medizinischen Ursachen           ge, dass jedes Bundesland auf der Grund-
    weiterte ICD in der Fassung der 10. Re-             für den Tod vermerkt. Der Ablauf gestal-       lage des Bevölkerungsstatistikgesetzes ei-
    vision (ICD-10) angewendet. Die bereits             tet sich wie folgt: Im Falle eines Todes       gene Regelungen für die Leichenschau
    entwickelte neue Version (ICD-11) wird              muss die Person von einem Arzt unter-          erlassen hat, die in einigen Punkten von-
    in den nächsten Jahren in Deutschland               sucht und für tot erklärt werden. Da-          einander abweichen.
    umgesetzt.                                          bei erfasst er in der Todesbescheinigung           Der leichenschauende Arzt vermerkt
       Auch in der ehemaligen Deutschen                 unter anderem diejenigen Ursachen, die         auf der Todesbescheinigung unter ande-
    Demokratischen Republik (DDR) wur-                  verantwortlich für den Tod waren, so-          rem die zum Tode führenden Ursachen.
    de offiziell die ICD der WHO als Klassi-              wie Begleiterkrankungen. Anschließend          Dies geschieht papierbasiert und hand-
    fikationsgrundlage verwendet. Politische             geht die Todesbescheinigung an das Stan-       schriftlich als Klartext, nicht in Form von
    Gründe haben jedoch dazu geführt, dass              desamt des Sterbeortes, um fehlende de-        ICD-Codes. Die dokumentierten Todes-
    das Thema Suizid kleingehalten wurde                mografische Angaben zu ergänzen. Der            ursachen sind alle Krankheiten oder Ver-
    [3]. Daher sind Vergleiche der Zahlen               vertrauliche Teil mit den Angaben zu den       letzungen, die den Tod verursacht haben
    bis zum Jahr 1990 schwierig.                        Todesursachen wird im nächsten Schritt         oder dazu beigetragen haben, einschließ-
                                                        an das Gesundheitsamt versendet, wo un-        lich anderer Diagnosen, die aus Sicht des
    Rechtsgrundlage                                     ter anderem die Informationen auf Plau-        Arztes relevant sind. Ergänzt werden die
                                                        sibilität und Vollständigkeit geprüft wer-     Angaben durch die Nennung von Zeitab-
    Der Gesetzgeber hat 1980 den geltenden              den sollen. Nach Prüfung der Angaben           ständen zwischen dem Beginn des jewei-
    Rahmen für die Todesursachenstatistik               geht die Todesbescheinigung an das zu-         ligen Krankheitszustandes und dem To-
    durch das „Gesetz über die Statistik der            ständige statistische Landesamt, wo die        deseintritt und die Umstände des Todes
    Bevölkerungsbewegung und die Fort-                  Daten im Rahmen der Todesursachen-             (bspw. Unfall). Die Definition der zum
    schreibung des Bevölkerungsstandes“                 statistik aufbereitet werden. Parallel dazu    Tode führenden Krankheiten soll sicher-
    (Bevölkerungsstatistikgesetz)1 geschaf-             wird die im Standesamt erstellte Ster-         stellen, dass nur bedeutende Angaben auf
    fen. Ziel des Gesetzes ist es, weitreichende        befallzählkarte mit den demografischen          der Todesbescheinigung stehen, triviale
    Informationen zur bevölkerungspoliti-               Angaben der Person direkt an das statis-       Diagnosen wie Herz-Kreislauf-Versagen
    schen Lage zu erhalten, um darauf                   tische Landesamt geschickt.                    oder Atemstillstand sollen nicht Gegen-
    aufbauend mit Maßnahmen der Ge-                         Die Aufbereitung der Daten für die         stand der Todesbescheinigung sein.
    sundheitspolitik und der Wissenschaft               Todesursachenstatistik geschieht nach              Abbildung Z1 (siehe Onlinemateri-
    sowohl die allgemeine Sterblichkeit zu              dem weltweit gültigen Regelwerk der            al) zeigt den Vordruck der WHO zur
    minimieren als auch die Lebenserwar-                WHO und beinhaltet die Auswahl des             Todesbescheinigung. Dieser ist als Min-
    tung der Menschen zu erhöhen. In §1                 Grundleidens und seine Umschlüsse-             destanforderung zu sehen und kann er-
    des Gesetzes heißt es zum Zweck, dass               lung in ICD-Codes entweder manuell             weitert und angepasst werden. Wichtig
    für die Statistik der natürlichen Bevöl-            oder elektronisch. Nach Aggregation der        ist, dass die Todesbescheinigung keinen
    kerungsbewegung unter anderem die                   Landesergebnisse werden diese an das           Raum für unzusammenhängende Tex-
    Sterbefallstatistik einschließlich Todes-           Statistische Bundesamt gesandt, das aus        te gibt. Elementarer Bestandteil ist daher
    ursachenstatistik als Tatbestand erfasst            den Länderergebnissen ein Bundeser-            die Struktur, anhand welcher der leichen-
    werden soll (§1 1.d). Ein weiteres Ziel             gebnis macht und dieses veröffentlicht.         schauende Arzt die Todesursachen ein-
    des Gesetzes ist, die Bestandteile der              Damit handelt es sich bei der Todesursa-       trägt und die eine Kausalkette von der
    Bevölkerungsentwicklung und der Be-                 chenstatistik um eine klassische dezen-        Krankheit, die initial ursächlich den Tod
    völkerungsverschiebung zu ermitteln                 trale Statistik, zudem basiert sie auf einer   ausgelöst hat, bis hin zur unmittelbaren
    (Begründung zum zuvor gültigen Gesetz               Vollerhebung, da jeder Todesfall erfasst       Todesursache darstellt. In Teil 1 werden
    vom 04.07.1957; Bundestagsdrucksache                wird. Aufgrund dessen wird auf die Dar-        oben die unmittelbaren Todesursachen
    Nr. 3005 vom 12.12.1956).                           stellung von Konfidenzintervallen und           vermerkt und weiter darunter diejenigen
                                                        Signifikanztests verzichtet.                    Ursachen, welche die unmittelbaren Ur-
                                                            Die Ergebnisse werden in der Regel         sachen bedingt haben (Kausalkette). In
                                                        im August nach Abschluss des Berichts-         Zeile 1.d wird die initiale Ursache ein-
                                                        jahres veröffentlicht, wobei der Schwer-        getragen, die ursächlich für den Tod war
                                                        punkt auf der deskriptiven Darstellung         und alle anderen nachfolgenden Ursa-
    1
       Zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes    der Ergebnisse der Todesursachenstatis-        chen bedingt hat. Hierbei handelt es sich
    vom 09.06.2021 (Bundesgesetzblatt Teil I            tik liegt.                                     um das sogenannte Grundleiden. Das
    S. 1649).                                                                                          Grundleiden ist jene Erkrankung, die den

4       Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2022
Zusammenfassung · Abstract

Sterbeprozess in Gang gesetzt hat. Daher        Bundesgesundheitsbl 2022 · 65:3–10      https://doi.org/10.1007/s00103-021-03470-2
kommt ihm eine besondere Bedeutung              © Der/die Autor(en) 2021
zu, da aktuell nur diese Ursache in die
Todesursachenstatistikeinfließt(unikau-          T. Schelhase
sale Todesursachenstatistik).                   Suizide in Deutschland: Ergebnisse der amtlichen
    Die Qualität der Todesursachenstatis-       Todesursachenstatistik
tik steht und fällt damit mit den Informa-
tionen, die der leichenschauende Arzt auf       Zusammenfassung
                                                Die Todesursachenstatistik ist die elemen-        Schwerpunkt auf das Jahr 2019 an. Diese
der Todesbescheinigung dokumentiert.
                                                tare Basis zur Ermittlung von wichtigen           werden in Abhängigkeit von den Merkmalen
    Der Suizid ist insofern eine Besonder-      Indikatoren wie Sterbeziffern, verlorenen          Alter, Geschlecht, Region und Methode abge-
heit, da er in einigen Fällen nicht leicht      Lebensjahren und vermeidbaren Sterbefällen        bildet. Vergleiche mit älteren vorliegenden
zu erkennen ist. Ein Sprung von einem           sowie deren Veränderungen im Laufe                Daten seit 1980 werden herangezogen. In
Gebäude mit vorherigem Abschiedsbrief           der Zeit. Ihre Ergebnisse fließen in die           einem Ausblick auf die Weiterentwicklung der
                                                epidemiologische und medizinische                 Todesursachenstatistik werden die Gründe
ist einem Suizid leicht zuzuordnen, ein
                                                Forschung ein und geben wichtige Hinweise         für aktuelle Schwachstellen im Ablauf der
Suizid mittels Tabletten hingegen ist nicht     für notwendige Präventionsprogramme und           Datenerhebung und Lösungsmöglichkeiten
immer direkt ersichtlich. Erschwerend           die Gesundheitspolitik im Allgemeinen.            aufgezeigt.
kommt hinzu, dass gerade bei Personen           In diesem Beitrag wird zunächst ein Überblick
höheren Alters ein Suizid nicht direkt          über die Historie, die Rechtsgrundlage und        Schlüsselwörter
                                                die Methodik der Todesursachenstatistik           ICD-10 · Sterberate · Sterbealter · Suizidme-
in den Fokus des untersuchenden Arztes
                                                gegeben. Daran schließt die Darstellung           thoden · Qualitätsverbesserung
kommt, da es sich dabei aufgrund des            der Daten zu Suiziden in Deutschland mit
hohen Alters durchaus um „erwartete“
Todesfälle handeln kann. Daher sind die
hier dargestellten Ergebnisse als Unter-        Suicides in Germany: results from the official cause of death
grenze der tatsächlichen Zahl der Suizide       statistics
zu sehen.
                                                Abstract
                                                The cause of death statistics is an elementary    year 2019. These data are mapped based on
Ergebnisse der Todes-                           basis for determining important indicators        the characteristics of age, gender, region,
ursachenstatistik                               such as death rates, years of life lost, and      and method of suicide. Comparisons with
                                                avoidable deaths as well as their changes over    older data available since 1980 are made.
Allgemeiner Überblick                           time. The results are used in epidemiological     The outlook gives an overview of the further
                                                and medical research and provide important        development of the cause of death statistics,
Im Jahr 2019 starben in Deutschland             recommendations for prevention programs           the reasons for current weaknesses in the data
                                                and for health policy in general.                 collection process, and possible solutions.
insgesamt 939.520 Personen, davon
                                                This article first gives an overview of the
9041 Personen durch Suizid. Das ent-            history, legal basis, and methodology of the      Keywords
spricht einem Anteil von knapp 1 %. Im          cause of death statistics in Germany. This        ICD-10 · Mortality rate · Age at death · Suicide
langfristigen Vergleich mit den Ergeb-          is followed by the presentation of the data       methods · Quality improvement
nissen des Berichtsjahres 1980 ist bei der      on suicides in Germany with a focus on the
Zahl der Suizide ein deutlicher Rückgang
um 51,0 % zu verzeichnen (1980: 18.451
Verstorbene durch Suizid; . Tab. 1).              Unter den insgesamt 9041 durch Sui-            ehemals 63,9 % auf nun 75,7 %. Darüber
Auch im mittelfristigen Vergleich zeigt       zid verstorbenen Personen im Jahr 2019             hinaus zeigt sich im langfristigen Ver-
sich, dass ein Rückgang weiterhin an-         waren 6842 Männer und 2199 Frau-                   gleich der Jahre 1980 und 2019 auch, dass
hält: So waren es im Jahr 1998 noch           en – der Suizid ist mit einem Anteil               der Rückgang der Suizidzahlen bei Frau-
insgesamt 11.644 Personen, die ihrem          von 75,7 % deutlich männerdominiert.               en stärker (–67,0 %) als bei den Männern
Leben vorzeitig ein Ende gesetzt ha-          Zum Vergleich: Der Anteil der Männer               (–42,0 %) ausgefallen ist.
ben. Dieser grundsätzliche Rückgang im        und Frauen in der Gesamtbevölkerung                   Die Abbildung absoluter Zahlen gibt
Vergleich zu den Ergebnissen von 1980         ist fast gleich und lag im Jahr 2019 bei           zunächst einen Überblick über das Aus-
und 1998 ist zwar als positiv zu bewer-       49,3 % Männern (41.037.613) und 50,7 %             maß der Fälle. So ist die Aussage, dass
ten, diese Entwicklungen unterliegen          Frauen (42.129.098). Damit war Suizid              über 9000 Todesfälle auf einen Suizid
jedoch jährlichen, teils zufallsbeding-       für ca. jeden 68. Sterbefall bei Männern           zurückzuführen sind, für viele Leser
ten Schwankungen: So schwankt die             und ca. jeden 215. Sterbefall bei Frauen           besser greifbar als eine Aussage anhand
Veränderungsrate der absoluten Anzahl         die Todesursache.                                  von Sterbeziffern (Zahl der Sterbefälle
der Suizide verglichen zum Vorjahr von            Der Anteil der Männer an den Suizi-            bezogen auf die Bevölkerung). Die ab-
–7,4 % (Vergleich 1986 zu 1985) bis hin       den war nicht immer so hoch: Verglichen            soluten Zahlen sagen jedoch nichts über
zu +4,2 % (Vergleich 2010 zu 2009).           mit den Daten ab 1980 zeigt sich, dass             das Risiko aus, an bestimmten Ursachen
                                              dieser Anteil stetig angewachsen ist, von          zu versterben. Ein Sterberisiko hängt

                                                                  Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2022         5
Leitthema

    Tab. 1 EntwicklungderSterbefallzahlendurchSuizidinDeutschlandvon1980 bis2019nachGe-              Tab. 2 Entwicklung der altersstandar-
    schlecht und Anteilen (vor 1990 einschließlich der offiziell genannten Zahlen aus der ehemaligen   disierten Sterbeziffer bei Suizid nach Ge-
    DDR). (Quelle: Statistisches Bundesamt, Todesursachenstatistik, 2021)                            schlecht 1998 bis 2019 in Deutschland (Stan-
    Jahr      Anzahl der Suizide                             Anteile an insgesamt                    dardbevölkerung „Deutschland 2011“. Ster-
                                                                                                     beziffer: Sterbefälle pro 100.00 Einwohner).
              Insgesamt            Männer      Frauen        Männer [%]           Frauen [%]
                                                                                                     (Quelle: Statistisches Bundesamt, Todesur-
    1980      18.451               11.789      6662          63,9                 36,1               sachenstatistik, 2021)
    1981      18.825               12.192      6633          64,8                 35,2               Jahr Insgesamt            Männer Frauen
    1982     18.711             12.274        6437         65,6                   34,4               1998 15,4                 24,0       8,0
    1983     18.417             11.921        6496         64,7                   35,3               1999 14,7                 22,4       7,9
    1984     17.677             11.610        6067         65,7                   34,3               2000   14,5             22,5        7,6
    1985     17.571             11.797        5774         67,1                   32,9               2001   14,5             22,3        7,6
    1986     16.269             10.792        5477         66,3                   33,7               2002   14,5             22,0        7,8
    1987     16.625             11.124        5501         66,9                   33,1               2003   14,4             22,0        7,5
    1988     15.590             10.527        5063         67,5                   32,5               2004   13,7             21,1        7,0
    1989     14.567             9922          4645         68,1                   31,9               2005   13,0             19,9        6,8
    1990     13.924             9534          4390         68,5                   31,5               2006   12,3             18,8        6,3
    1991     14.011             9656          4355         68,9                   31,1               2007   11,8             18,1        5,9
    1992     13.458             9326          4132         69,3                   30,7               2008 11,7               17,9        5,9
    1993     12.690             8960          3730         70,6                   29,4               2009 11,9               18,3        5,8
    1994     12.718             9130          3588         71,8                   28,2               2010 12,3               18,7        6,2
    1995     12.888             9222          3666         71,6                   28,4               2011   12,6             19,5        6,1
    1996     12.225             8728          3497         71,4                   28,6               2012   12,2             18,4        6,3
    1997     12.265             8841          3424         72,1                   27,9               2013   12,4             18,6        6,3
    1998     11.644             8575          3069         73,6                   26,4               2014   12,4             18,8        6,2
    1999     11.157             8080          3077         72,4                   27,6               2015   12,1             17,9        6,4
    2000     11.065             8131          2934         73,5                   26,5               2016   11,7             17,6        5,8
    2001     11156              8188          2968         73,4                   26,6               2017   10,9             16,5        5,3
    2002     11.163             8106          3057         72,6                   27,4               2018   11,0             16,6        5,3
    2003     11.150             8179          2971         73,4                   26,6               2019 10,6               15,9        5,1
    2004     10.733             7939          2794         74,0                   26,0
    2005     10.260             7523          2737         73,3                   26,7
                                                                                                     [4]. Dadurch ist eine Betrachtung von
    2006     9765               7225          2540         74,0                   26,0
                                                                                                     Todesursachen und Krankheiten aus
    2007     9402               7009          2393         74,5                   25,5               epidemiologischer Sicht möglich, ohne
    2008     9451               7039          2412         74,5                   25,5               dass die Ergebnisse bspw. durch Verän-
    2009     9616               7228          2388         75,2                   24,8               derungen in der Bevölkerungsstruktur
    2010     10.021             7465          2556         74,5                   25,5               verfälscht werden.
    2011     10.144             7646          2498         75,4                   24,6                  Bei der Betrachtung der altersstan-
    2012     9890               7287          2603         73,7                   26,3               dardisierten Sterbeziffer zeigt sich fol-
    2013     10.076             7449          2627         73,9                   26,1               gendes Bild: Verglichen mit den Ergeb-
    2014     10.209             7624          2585         74,7                   25,3               nissen der Vorjahre liegt die altersstan-
    2015     10.078             7397          2681         73,4                   26,6               dardisierte Sterberate mit 10,6 Sterbefäl-
    2016     9838               7374          2464         75,0                   25,0               len je 100.000 Einwohner im Jahr 2019
    2017     9235               6985          2250         75,6                   24,4               auf einem historisch niedrigen Niveau
    2018     9396               7111          2285         75,7                   24,3
                                                                                                     (. Tab. 2). Im Vergleich der Jahre 1998
                                                                                                     bis 2019 ist das der niedrigste Wert; der
    2019     9041               6842          2199         75,7                   24,3
                                                                                                     mit 15,4 Sterbefällen je 100.000 Einwoh-
                                                                                                     ner höchste Wert in dieser zeitlichen Be-
    immer auch mit der Bevölkerungsstruk-             Einflüsse durch sich ändernde demo-             trachtung stammt aus dem Jahr 1998.
    tur zusammen. Je älter die Bevölkerung            grafische Rahmenbedingungen beseitigt           Die Entwicklung ist zwar grundsätzlich
    ist, desto mehr Todesfälle durch Krebs            werden. Erst nach Altersstandardisie-          positiv in der Hinsicht, dass insgesamt
    gibt es, ohne dass sich das Risiko, daran         rung der Sterbeziffern können bevöl-            die Zahlen gesunken sind, jedoch zeigt
    zu versterben, erhöht hat. An dieser              kerungsunabhängige Vergleiche auch             sich, wie auch bei den absoluten Zah-
    Stelle hilft die Altersstandardisierung           zwischen strukturell unterschiedlichen         len, dass diese Entwicklung jährlichen
    der Sterbeziffern, mit deren Hilfe die             Bevölkerungsgruppen gemacht werden             Schwankungen unterliegt. In den Jahren

6    Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2022
Tab. 3 Anzahl der Suizide nach Monaten          Tab. 4 Anzahl der Suizide nach Alters-            Suizide nach Sterbealter
in Deutschland, 2020 (vorläufige Ergebnis-       gruppen und Geschlecht in Deutschland,
se). (Quelle: Statistisches Bundesamt, Todes-   2019. (Quelle: Statistisches Bundesamt, To-       Im Jahr 2019 betrug das durchschnittli-
ursachenstatistik, 2021)                        desursachenstatistik, 2021)
                                                                                                  che Alter der Personen, die ihrem Le-
Monat              Anzahl der Suizide           Altersgruppen          Anzahl
                                                                                                  ben vorzeitig ein Ende gesetzt haben,
Januar             761                                                 Ins-      Män- Frau-
                                                                                                  58,5 Jahre. Die Unterschiede zwischen
Februar            771                                                 gesamt ner       en
                                                                                                  Frauen und Männern waren gering, wäh-
März            772                             < 15 Jahre             22        11     11
                                                                                                  rend die Männer im Schnitt 58,2 Jahre
April           736                             15 bis < 20 Jahre    163       121     42
                                                                                                  alt waren, lag das durchschnittliche Ster-
Mai             838                             20 bis < 25 Jahre    286       235     51         bealter bei den Frauen bei 59,7 Jahren. In
Juni            844                             25 bis < 30 Jahre    361       289     72         der Entwicklung von 1998 bis 2019 zeigt
Juli            810                             30 bis < 35 Jahre    417       329     88         sich, dass das durchschnittliche Sterbeal-
August          796                             35 bis < 40 Jahre    449       367     82         ter zwar nur langsam, aber recht konstant
September       754                             40 bis < 45 Jahre    481       381     100        über die Zeit hinweg zugenommen hat:
Oktober         754                             45 bis < 50 Jahre    599       451     148        So lag das durchschnittliche Sterbealter
November        730                             50 bis < 55 Jahre    924       667     257        im Jahr 1998 bei insgesamt 53,2 Jahren,
Dezember        671                             55 bis < 60 Jahre    931       707     224        bei Männern bei 51,6 und bei Frauen bei
                                                60 bis < 65 Jahre    812       600     212        57,6 Jahren.
Insgesamt       9237
                                                65 bis < 70 Jahre    653       490     163            Verglichen mit dem allgemeinen
                                                70 bis < 75 Jahre    573       413     160        Sterbealter versterben diejenigen, die
2010 bis 2019 zeichnet sich zudem eine          75 bis < 80 Jahre    849       649     200
                                                                                                  aufgrund von Suizid aus dem Leben
leichte Stagnation ab.                                                                            scheiden, sehr jung: Das durchschnitt-
                                                80 bis < 85 Jahre    775       578     197
    Diese Entwicklung lässt sich sowohl                                                           liche Sterbealter über alle Fälle hinweg
                                                85 bis < 90 Jahre    518       400     118
insgesamt als auch bei Männern und                                                                liegt mit 78,5 Jahren um genau 20 Jahre
                                                90 Jahre und älter 228         154     74
Frauen feststellen. Deutliche Unterschie-                                                         über dem Sterbealter bei Suizid. Die
de gibt es wie auch bei den absoluten           Alle Altersgruppen 9041        6842    2199       Männer versterben 17,4 Jahre früher als
Zahlen zwischen den Geschlechtern: Das                                                            der Durchschnitt, die Frauen 21,7 Jahre.
Sterberisiko der Männer lag in 2019 mit         bedeutet, dass die Qualität der Berichte              Relativ betrachtet ist damit das durch-
15,9 Fällen je 100.000 Einwohner über           mit zunehmendem Vollständigkeitsgrad              schnittliche Sterbealter bei Suizid stär-
dreimal so hoch wie bei den Frauen mit          steigt. Die monatlichen Ergebnisse wer-           ker angestiegen als das durchschnittli-
5,1 Sterbefällen je 100.000 Einwohner.          den dabei im Rahmen eines deutlich                che Sterbealter insgesamt: Während von
                                                reduzierten Merkmalskranzes ausgewie-             1998 bis 2019 das Sterbealter bei Sui-
Vorläufige Ergebnisse für das Jahr               sen, in dem die Hauptkapitel der ICD-10,          zid um 10 % zugenommen hat (+5,3 Jah-
2020                                            wichtige Todesursachengruppen und ei-             re), ist es bei allen Sterbefällen lediglich
                                                nige relevante Einzeldiagnosen enthalten          um 4,4 % (+3,3 Jahre) angestiegen. Al-
Die Todesursachenstatistik wurde in der         sind.                                             lerdings betrifft diese Entwicklung vor
Vergangenheit immer als Jahresstatistik            Aufgrund des gewachsenen Interesses            allem die Männer: Das Sterbealter bei
aufbereitet und veröffentlicht, Ergebnis-        an den Daten zu Suiziden in Pandemie-             den Männern aufgrund Suizids erhöh-
se liegen in der Regel Mitte August nach        zeiten wurde dieser Aspekt im Merkmals-           te sich im gleichen Zeitraum um 12,8 %
Abschluss des Berichtsjahres vor. Die           kranz bei der Aufbereitung der monat-             oder 6,6 Jahre und bei den Frauen nur
Coronapandemie hat noch einmal einen            lichen Berichte berücksichtigt.                   um 3,6 % oder 2,1 Jahre.
viel stärkeren Fokus auf die Ergebnisse            Im Jahr 2020 wurden bislang (Stand
der amtlichen Gesundheitsstatistiken            20.09.2021) insgesamt 9237 Todesfälle             Suizide nach Altersgruppen
und damit auch auf die Todesursachen-           durch Suizid gezählt. Die meisten Suizide
statistik gelegt. Um dem gestiegenen            absolut gab es demnach in den Mona-               Suizide finden nahezu über alle Alters-
Bedarf nach aktuelleren Daten gerecht           ten Juni (844) und Mai (838; . Tab. 3).           gruppen hinweg statt (. Tab. 4). Ab wel-
zu werden, werden ab Juli 2021 begin-           Berücksichtigt man die unterschiedliche           chem Alter eine Person bewusst Suizid
nend mit dem Berichtsmonat Januar               Anzahl an Tagen je Monat, stellt sich ei-         begeht oder begehen kann, ist nicht leicht
2020 monatliche Daten zur Todesursa-            ne etwas andere Situation dar: Zwar ist           zu bestimmen. Es werden keine Fälle von
chenstatistik aufbereitet und veröffent-         nach wie vor der Monat Juni der mit               Suiziden in der Altersgruppe bis unter
licht. Die monatlichen Berichte in der          den meisten Suiziden (28 Suizide/Tag),            10 Jahren registriert, vereinzelt und sel-
Todesursachenstatistik stellen vorläufige        an zweiter Stelle liegt nun jedoch der Mo-        ten finden Suizide allerdings bereits in
Daten dar, bilden den jeweiligen Bearbei-       nat Februar mit 27,5 Suiziden pro Tag.            der Altersgruppe der 10- bis unter 15-
tungsstand zum monatlichen Stichtag ab          Das Vorjahresniveau von 9041 Suiziden             Jährigen statt. Aus diesem Grund werden
und können sich durch Nachmeldungen             wurde entgegen mancher Vermutungen                die unteren Altersgruppen der 0- bis 15-
oder Korrekturen noch verändern. Das            damit nur leicht überstiegen.                     Jährigen bei der Betrachtung der Suizide

                                                                    Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2022   7
Leitthema

                                                                                                      gezählt. Zu den harten Suizidmethoden
                                                                                                      zählen demnach das Erhängen, Erschie-
                                                                                                      ßen, Ertrinken, Sturz aus der Höhe oder
                                                                                                      vor einen sich bewegenden Gegenstand
                                                                                                      und tiefe Schnitte. Andere Typologien
                                                                                                      differenzieren zwischen aktiven Me-
                                                                                                      thoden (Schießen, Sturz, Ertränken,
                                                                                                      Erhängen, Schnitte) und passiven Me-
                                                                                                      thoden (Tabletten, Gifte und Gase). Eine
                                                                                                      Unterscheidung der Suizidmethoden ist
                                                                                                      insofern relevant, da der Gesetzgeber
                                                                                                      Einfluss auf die Suizidwege nehmen
                                                                                                      kann, indem z. B. bei entsprechenden
                                                                                                      Medikamenten die Verpackungsgröße
                                                                                                      minimiert, der Zugang zu bestimmten
    Abb. 1 8 Anteile der Suizide an allen Todesursachen nach Geschlecht und Alter, Deutschland 2019
                                                                                                      Mitteln wie Waffen etc. beschränkt und
                                                                                                      der Zugang zu hohen Gebäuden und/
    zusammengefasst, alle anderen werden in            deutliche Unterschiede auf. In Deutsch-        oder Brücken erschwert wird.
    5-Jahres-Altersklassen ausgewiesen und             land betrug die altersstandardisierte             Als Suizidmethoden werden in allen
    nur bei den über 90-Jährigen aufgrund              Sterbeziffer bei Suizid im Jahr 2019 ins-       Altersgruppen überwiegend sogenann-
    der geringen Fallzahl wieder aggregiert.           gesamt 10,6 Fälle je 100.000 Einwohner         te harte Methoden wie Erhängen, Er-
    Die absoluten Zahlen steigen mit dem Al-           (. Tab. 5). Die geringsten Werte sind          drosseln und Ersticken (ICD-10: X70)
    ter an und liegen in den Altersgruppen             in Nordrhein-Westfalen (7,4), Bremen           angewandt (siehe Onlinematerial, Ta-
    zwischen 50 und 60 Jahren am höchs-                (8,9) und Brandenburg (10,1) zu finden.         belle Z1). Sie machten im Jahr 2019
    ten, vor allem bei den Männern: Von den            Die höchsten Werte finden sich in Sach-         fast die Hälfte aller Suizidmethoden aus
    2667 im Jahr 2019 an Suizid Verstorbenen           sen-Anhalt (13,5), Sachsen (13,0) und          (45,1 %), das waren insgesamt 4074 Per-
    50- bis 65-Jährigen waren 1974 Männer              Hamburg (12,7) wieder. Auch in der zeit-       sonen (3358 Männer und 716 Frauen).
    (74 %) und 693 Frauen (26 %). Dies liegt           lichen Entwicklung gibt es Unterschiede.       Insbesondere bei den Männern wurden
    vor allem daran, dass es in diesen Alters-         In Gesamtdeutschland ist die altersstan-       harte Methoden häufiger angewendet:
    gruppen sehr viele Menschen gibt. Die              dardisierte Sterblichkeit aufgrund von         Während 49,1 % der durch Suizid ver-
    Suizidrate je 100.000 Einwohner steigt             Suizid von 1998 bis 2019 um 31,2 % ge-         storbenen Männer Erhängen, Erdrosseln
    mit dem Alter an und liegt bei den 85-             sunken. Diese positive Entwicklung ist         oder Ersticken als Suizidmethode wähl-
    bis 90-Jährigen am höchsten.                       nicht überall im gleichen Maße zu finden:       ten, waren es nur 32,6 % der Frauen.
       Ein anderes Bild ergibt sich, wenn man          Die größten Rückgänge sind in Bremen           Unabhängig vom Alter stellten die „Vor-
    die Bedeutung des Suizids unter allen              (–47,0 %), Brandenburg (–43,3 %) und           sätzlichen Selbstvergiftungen“ (ICD-10:
    Todesursachen in der jeweiligen Alters-            Thüringen (–39,5 %) zu finden, die ge-          X60–X69) mit 1550 Fällen die zweithäu-
    gruppe betrachtet: Hier zeigt sich, dass           ringsten in Mecklenburg-Vorpommern             figste Suizidmethode dar (936 Männer,
    sowohl in der Altersgruppe der 20- bis             (–7,0 %) und Hessen (–13,0 %). Im Saar-        614 Frauen). Im Vergleich zu den Frauen
    25-Jährigen als auch der 25- bis 30-Jäh-           land war seit 1998 sogar eine leichte          mit 27,9 % lag der Anteil der Männer
    rigen der Anteil an allen Todesursachen            Zunahme um 18,8 % zu verzeichnen.              mit dieser Methode bei lediglich 13,7 %.
    über 20 % liegt (. Abb. 1). Hierbei gibt           Dies ist allerdings auch durch einen sehr      Den größten Anteil bei den „Vorsätzli-
    es deutliche Unterschiede zwischen den             niedrigen Ausgangswert im Jahr 1998            chen Selbstvergiftungen“ hatten sowohl
    Geschlechtern: Der Anteil der Suizide bei          bedingt.                                       bei den Männern wie auch bei den
    den Männern in den gerade genannten                                                               Frauen insbesondere die „Vorsätzliche
    Altersgruppen beträgt 23,7 % und 23,6 %,           Suizidmethoden                                 Selbstvergiftung durch und Exposition
    bei den Frauen 14,2 % und 13,9 %. Die-                                                            gegenüber sonstige(n) und nicht näher
    ser Unterschied ist in allen weiteren Al-          Die wissenschaftliche Literatur zum The-       bezeichnete(n) Arzneimittel(n), Drogen
    tersgruppen zu finden, lediglich bei den            ma Suizid unterscheidet die Methoden           und biologisch aktive(n) Substanzen“
    unter 15-Jährigen ist der Anteil bei den           unterschiedlich. So wird nach einer            (ICD-10: X64). Für 13,5 % aller Frauen
    Mädchen größer (2,4 % weiblich zu 1,8 %            Klassifikation von Bochnik [5] zwischen         und 6,9 % aller Männer war dies die
    männlich).                                         „weichen“ und „harten“ Methoden un-            gewählte Art des Suizids.
                                                       terschieden. Zu den weichen Methoden
    Suizide nach Region                                werden dabei die tödliche Einnahme             Suizide nach Sterbemonaten
                                                       von Tabletten oder Drogen im weitesten
    Das Niveau der suizidalen Sterblichkeit            Sinne sowie Vergiftungen (einschließlich       Die Todesursachenstatistik war lange
    weist im Vergleich der Bundesländer                Tod durch Einatmen von Abgasen usw.)           Zeit ausschließlich als Jahresstatistik

8    Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2022
Tab. 5 Entwicklung der altersstandardi-         Tab. 6 Suizide nach Sterbemonaten ab-              beinhalten. Dabei ist deutlich geworden,
sierten Sterbeziffera in Deutschland und den     solut und nach Anteilen am Jahresergebnis          dass das Merkmal Alter beim Thema
Ländern 1998 bis 2019. (Quelle: Statistisches   in Deutschland, 2019. (Quelle: Statistisches       Suizid eine wichtige Rolle spielt: Abso-
Bundesamt, Todesursachenstatistik, 2021)        Bundesamt, Todesursachenstatistik, 2021)
                                                                                                   lut gesehen werden die meisten Suizide
Region       Altersstandardi- Entwicklung       Sterbe-       Ins-       Anteil am
             sierte Sterbezif- 2019 zu          monat         gesamt Jahresergebnis
                                                                                                   von Menschen der Altersgruppe 50 bis
             fer                 1998                                    in %                      65 Jahre begangen, auf 100.000 Einwoh-
                                 In %           Januar        776        8,6                       ner gerechnet jedoch ist die Suizidrate
             1998      2019                     Februar       704        7,8                       bei den 85- bis 90-Jährigen am höchs-
Deutsch- 15,4          10,6      –31,2                                                             ten.
                                                März          765         8,5
land                                                                                                   Aktuell werden die Daten der Todes-
                                                April         786         8,7
Baden-       16,4    11,0      –32,9                                                               ursachenstatistik immer noch unikausal
                                                Mai           767         8,5
Württem-                                                                                           aufbereitet, das bedeutet, dass von allen
berg                                            Juni          768         8,5
                                                                                                   auf der Todesbescheinigung vorhande-
Bayern       17,5    11,4      –34,9            Juli          808         8,9                      nen Informationen ausschließlich das so-
Berlin       13,9    10,4      –25,2            August        778         8,6                      genannte Grundleidenausgewiesenwird.
Branden-     17,8    10,1      –43,3            September     660         7,3                      Langfristig aber steigt zu Recht die Er-
burg                                            Oktober       760         8,4                      wartung, alle vorliegenden Informatio-
Bremen       16,8    8,9       –47,0            November      756         8,4                      nen auszuwerten, um bspw. Rückschlüs-
Hamburg      20,4    12,7      –37,7            Dezember      713         7,9                      se auf mögliche Risikofaktoren aufzu-
Hessen       13,1    11,4      –13,0            Insgesamt     9041        100                      zeigen und frühzeitig auf diese im Rah-
Mecklen-     12,9    12,0      –7,0                                                                men geeigneter Präventionsmaßnahmen
burg-Vor-                                                                                          reagieren zu können. Bei Suiziden liegen
pommern                                         tum) ausweist, ist der Sterbetag eindeutig         oftmals psychische Begleiterkrankungen
Nieder-      15,3    10,5      –31,4            dem jeweiligen Monat zuzuordnen.                   wie Depressionen zugrunde. Die gestie-
sachsen
                                                    Für das Berichtsjahr 2019 kann die all-        gene Relevanz der Komorbiditäten trifft
Nordrhein-   11,4    7,4       –35,1            gemein geläufige Annahme, dass sich in              aber nicht nur beim Thema Suizid zu:
Westfalen
                                                den Wintermonaten mehr Menschen das                Aufgrund der immer höher werdenden
Rheinland-   16,7    11,7      –29,9
                                                Leben nehmen, nicht bestätigt werden               Lebenserwartung sterben die Menschen
Pfalz
                                                (. Tab. 6). Grundsätzlich zeigen die mo-           heute nicht wie vor 200 Jahren im mitt-
Saarland     9,6     11,4      18,8
                                                natlichen Ergebnisse, dass es eine gleich-         leren Alter an nur einer Krankheit, son-
Sachsen      20,3    13,0      –36,0
                                                mäßige Verteilung über das gesamte Jahr            dern deutlich älter und an einer Vielzahl
Sachsen-     19,2    13,5      –29,7
                                                gibt. Die Monate mit den höchsten An-              von Krankheiten (Multimorbidität). Es
Anhalt
                                                teilen sind der Juli (8,9 % Anteil am Jah-         ist wichtig, die Wechselwirkungen zwi-
Schleswig- 16,7      12,6     –24,6
Holstein
                                                resergebnis) und der April (8,7 %). Die            schen verschiedenen Krankheiten abzu-
                                                geringsten Werte sind in den Monaten               bilden, um diese bekämpfen zu können.
Thüringen 19,5       11,8     –39,5
a                                               September (7,3 % Anteil am Jahresergeb-            Im Bereich Statistik wird diese Schwach-
 Anhand der Standardbevölkerung „Deutsch-
land 2011“                                      nis) und Februar (7,8 %) feststellbar.             stelle bereits angegangen, so steht den
                                                    Auch bei der differenzierten Dar-               statistischen Landesämtern ein elektro-
                                                stellung der Monatsergebnisse nach                 nisches System [6] zur automatisierten
konzipiert. Mit der Umstellung der Er-          Geschlecht ergibt sich kaum eine Be-               Codierung der Todesursachen zur Verfü-
hebungsmodalitäten besteht aber auch            sonderheit: Zum einen sind Männer                  gung (Iris/MUSE), das weltweit als Stan-
die Möglichkeit, die Daten nach dem             grundsätzlich aufgrund der höheren                 dard gilt und eine multikausale Aufbe-
Sterbemonat auszuwerten, um einen               Zahlen überrepräsentiert, zum anderen              reitung aller auf der Todesbescheinigung
Überblick über das suizidale Verhalten          zeigen sich über das Jahr hinweg nur               vorhandenen Informationen ermöglicht
im Laufe eines Jahres zu erhalten. So           geringe Schwankungen (. Abb. 2).                   und auswertbar macht. Erste Ergebnisse
lassen sich beispielsweise Fragen unter-                                                           liegen voraussichtlich Ende 2022 vor. Ein
suchen wie: „Starben im Zeitraum von            Fazit und Ausblick                                 weiterer Schritt in die Zukunft wäre die
sportlichen Großereignissen mehr Men-                                                              Bereitstellung einer webbasierten Platt-
schen am Herzinfarkt?“ und: „Stimmt             Bei fast 1 % aller Gestorbenen im Jahr             form zur direkten Erfassung der Todesur-
es, dass mehr Menschen in der dunklen           2019 war der Suizid die Todesursache.              sachen vor Ort, bspw. mittels einer App.
Jahreszeit/Wintermonaten ihrem Le-              Dies zeigen die Ergebnisse der Todes-              Auch diese Möglichkeit wird aktuell auf
ben ein Ende setzen als in den übrigen          ursachenstatistik, in die alle Daten zu            Machbarkeit geprüft. Im Ergebnis würde
Monaten des Jahres?“ Da die Todesur-            den Gestorbenen mit Hauptwohnsitz in               die Qualität der Eingaben deutlich erhöht
sachenstatistik die Sterbefälle nach dem        Deutschland einfließen und die neben                werden können, wenn unplausible An-
sogenannten Ereignisdatum (= Sterbeda-          den eigentlichen Todesursachen auch                gaben im Dialog zwischen App und Arzt
                                                Informationen zu Alter und Geschlecht              geklärt würden. Außerdem lägen dann

                                                                     Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2022   9
Leitthema

                                                                                                               Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung
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                                                                                                               die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Ma-
                                                                                                               terials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers
                                                                                                               einzuholen.

                                                                                                               Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der
                                                                                                               Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/
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                                                                                                               Literatur
                                                                                                                1. Bundesverfassungsgericht (2020) Urteil vom
                                                                                                                   26. Februar 2020 – 2 BvR 2347/15. https://
                                                                                                                   www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/
                                                                                                                   Entscheidungen/DE/2020/02/rs20200226_
                                                                                                                   2bvr234715.html. Zugegriffen: 3. Juli 2021
                                                                                                                2. Eckert O, Schelhase T (2019) Die Todesursa-
                                                                                                                   chenstatistik der Statistischen Ämter des Bundes
                                                                                                                   und der Länder. In: Die ärztliche Leichenschau
                                                                                                                   – Rechtsgrundlagen, Praktische Durchführung,
     Abb. 2 8 Anzahl der Suizide nach Monaten und Geschlecht, Deutschland 2019                                     Problemlösungen. Madea, Berlin, S 245
                                                                                                                3. von den Driesch E (2021) Unter Verschluss. Eine
                                                                                                                   Geschichte des Suizids in der DDR 1952–1990.
     alle Informationen direkt in elektroni-          Menschen in Deutschland durch Suizid,                        Campus, Frankfurt/M
                                                                                                                4. Rolland S, Rosenow C (2004) Diagnosedaten der
     scher Form vor und könnten automati-             das sind über 27 Personen täglich. Jeder                     Krankenhauspatientinnen und -patienten 2000.
     siert verarbeitet, weitergeleitet und sofort     einzelne dieser Fälle stellt eine Tragödie                   In: Klauber J, Robra BP, Schellschmidt H (Hrsg)
     verfügbar gemacht werden. Um dies alles          dar und sollte von der Gesellschaft nicht                    Krankenhaus-Report 2003. Schattauer, Stuttgart, S
                                                                                                                   365
     effektiv und reibungsfrei entwickeln zu           einfach hingenommen werden.                               5. Bochnik HJ (1962) Verzweiflung. In: Randzonen
     können, wäre es wünschenswert, wenn in                                                                        menschlichen Verhaltens. Enke, Stuttgart
     Deutschland eine bundeseinheitliche To-                                                                    6. Eckert O (2017) Verbesserte Qualität der natio-
                                                      Korrespondenzadresse                                         nalen und internationalen Todesursachenstatis-
     desbescheinigung verwendet wird, und                                                                          tik durch den Kodierkern MUSE. Wirtsch Stat
                                                      Torsten Schelhase
     nicht – wie aktuell – 16 verschiedene [7].                                                                    2017(4):118–130
                                                      H11 Gesundheitsstatistiken, Statistisches                 7. Eckert O, Kühl L, Vogel U, Weber S (2019) Entwick-
         Parallel zu diesen Verbesserungen ist        Bundesamt, Zweigstelle Bonn                                  lung einer elektronischen Todesbescheinigung für
     auch eine qualitativ bessere Leichenschau        Graurheindorfer Straße 198, 53117 Bonn,                      Deutschland. Bundesgesundheitsblatt Gesund-
     wünschenswert, ähnlich dem Coroner-              Deutschland                                                  heitsforschung Gesundheitsschutz 62:1493–1499
     System2 in England. Das Ausfüllen der            torsten.schelhase@destatis.de
     Todesbescheinigung sollte seitens der
     Ärzte nicht bloß als Formalität, sondern         Funding. Open Access funding enabled and organi-
                                                      zed by Projekt DEAL.
     als Quelle von Informationen mit hoher
     Relevanz für die erfolgreiche Ermittlung
     der zum Tode führenden Krankheiten               Einhaltung ethischer Richtlinien
     angesehen werden. Darüber hinaus wä-
     re auch eine Erhöhung des Anteils an             Interessenkonflikt. T. Schelhase gibt an, dass kein
     Obduktionen wünschenswert, da nur da-            Interessenkonflikt besteht.
     rüber zuverlässig detaillierte Ergebnisse
                                                      Für diesen Beitrag wurden vom Autor keine Studien
     zu den Todesursachen erzielt werden              an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufge-
     können.                                          führten Studien gelten die jeweils dort angegebenen
         Wie auch immer eine künftige Todes-          ethischen Richtlinien.
     ursachenstatistik aussehen und die Ver-          Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative
     arbeitung derDatenim ZeitalterderDigi-           Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz
     talisierung verbessert werden wird: Nach         veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung,
                                                      Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jegli-
     wie vor sterben jedes Jahr fast 10.000           chem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die
                                                      ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsge-
     2 Im Gegensatz zu Deutschland, wo jeder          mäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz
                                                      beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenom-
     Arzt eine Todesbescheinigung ausstellen kann/    men wurden.
     muss,wirddieseTätigkeitinEnglandvonspeziell
     dafür geschulten Personen, sogenannten           Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges
     Coroner, durchgeführt. Coroner sind in der       Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten
     Regel Ärzte, die über weitergehendes Wissen zu   Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbil-
     rechtlichen und klinischen Fragen rund um die    dungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das be-
     Todesbescheinigungen verfügen.                   treffende Material nicht unter der genannten Creative

10    Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2022
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