SWR2 Glauben Vier Jahre Wiederaufbau nach dem Brand von Notre-Dame de Paris - Die Kathedrale der französischen Hauptstadt wird instandgesetzt Eine ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
SWR2 Glauben Vier Jahre Wiederaufbau nach dem Brand von Notre-Dame de Paris - Die Kathedrale der französischen Hauptstadt wird instandgesetzt Eine Sendung vom ARD-Studio Paris SENDUNG 10.04.2023 / 12.05 UHR Redaktion Ulrich Pick Redaktion Religion, Migration und Gesellschaft SWR2 Glauben können Sie auch im SWR2 Webradio unter www.SWR2.de und auf Mobilgeräten in der SWR2 App hören – oder als Podcast nachhören: swr.de/swr2/programm/podcast-swr2-glauben-100.html Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Die SWR2 App für Android und iOS Hören Sie das SWR2 Programm, wann und wo Sie wollen. Jederzeit live oder zeitversetzt, online oder offline. Alle Sendung stehen mindestens sieben Tage lang zum Nachhören bereit. Kostenlos herunterladen:
Sprecher Auf dem Vorplatz scheuchen Kinder Tauben auf und Fatia hat sich auf die kleine Steinmauer rund um die Grünanlage gesetzt. Die kräftige Dame schaut versonnen auf die Fassade der Kathedrale und erinnert sich. O-Ton „Das war ein schmerzhafter Moment. Es ist doch ein Ort, den man immer wieder besucht. Etwas Authentisches. Ich mag die Kathedrale sehr. Wenn ich hier bin, geht es mir gut. Ich hoffe, sie wird auferstehen, damit sie immer ein Symbol von Paris bleibt.“ 15. April 2019 – 18 Uhr 20 – ein erster Feueralarm während der Messe. Der Brandherd wird erst nach dem zweiten Alarm gegen 18 Uhr 50 lokalisiert. Kurz vor 20 Uhr stürzt das höchste Bauteil, der 96 Meter hohe Vierungsturm ein und zerschmettert den Dachstuhl über dem Mittelschiff. Vor dem Brand wurde der Spitzturm von einem Stahlgerüst aus gerade repariert. Steigleitungen für Löschwasser gab es nicht. Löst ein Kurzschluss oder eine weggeworfene Kippe die nationale Katastrophe aus? Es bleiben Fragen. Etwa 600 Feuerwehrleute kämpfen die ganze Nacht – retten rund 90 Prozent des Kirchenschatzes, darunter die Reliquie der Dornenkrone Christi. O-Ton 1 Reportage Notre Dame brennt - Mathias Zahn – 15. / 16. 04. 2019 Im Blaulicht der Einsatzwagen stehen am Abend Hunderte Pariser Bürger und Touristen auf den Seine-Brücken. In sicherer Entfernung schauen sie herüber zur brennenden Kathedrale. O-Ton „Man kann keine Worte dafür finden, was es bedeutet, so ein wichtiges historisches Bauwerk in Paris brennen zu sehen. Und wir versuchen alle zu verstehen, was da vor sich geht, während wir die Löscharbeiten sehen.“ „Es ist fürchterlich. Es ist ein grauenhafter historischer Moment. Ich hoffe, dass es keine Verletzten gibt. Es war ganz einfach schrecklich, den kleineren Turm in der Mitte einstürzen zu sehen.“ Eine große Rauchwolke steht über der Kathedrale. Die riesigen Flammen fressen sich durch das Dach. Viele Menschen haben Tränen in den Augen, fühlen sich an den Einsturz der Zwillingstürme in New York erinnert, wie Cathlin, eine
Amerikanerin, die in Paris lebt. O-Ton „Du siehst die Kathedrale jeden Tag. Sie existiert seit so langer Zeit. Und es ist schwierig zu verstehen, dass da gerade dieser Turm in sich zusammenfällt.“ Präsident Emmanuel Macron ist seit dem Abend vor Ort. O-Ton „Das Schlimmste konnte verhindert werden, auch wenn der Kampf noch nicht ganz gewonnen ist. Die nächsten Stunden werden schwierig sein. Aber Dank des Muts der Einsatzkräfte ist die Kathedrale, sind die beiden Haupttürme nicht eingestürzt. Wir werden Notre Dame wieder aufbauen. Weil die Franzosen das erwarten. Weil es das ist, was unsere Geschichte verdient. Weil es unser tiefes Schicksal ist.“ Nach 15 Stunden Feuer - am nächsten Morgen um 9 Uhr 50 die Meldung: Der Brand sei vollständig gelöscht. Hält die Statik der Kathedrale? Entwarnung nur für die Orgel. O-Ton 2 Reportage Die Seele von Notre Dame lebt – Sabine Wachs – 03. 05. 2019 Musik Orgel So klingt sie, die große Cavaillé-Coll-Orgel der Pariser Kathedrale Notre Dame, gespielt von Olivier Latry. Seit 33 Jahren ist er einer von drei Titularorganisten und wie es das Schicksal so wollte, hat Latry noch im Januar eine CD auf der Grande Orgue der Kathedrale aufgenommen. Knapp vier Monate vor dem schrecklichen Brand den unverwechselbaren Klang festgehalten: O-Ton „Das ist vielleicht eines der besten Instrumente der Welt und wirklich: Die Orgel ist wie die Seele der Kathedrale.“ Latrys Augen leuchten, der Musiker gerät geradezu ins Schwärmen, wenn er von seiner Orgel erzählt. 1868 wurde sie vom berühmten französischen Orgelbauer Aristide Cavaillé-Coll gebaut. Generationen von Orgelbauern haben das Instrument seitdem weiterentwickelt. Fast noch tiefer als Latrys Bindung zur Orgel, ist sein Bezug zur Kathedrale, in der er seit 33 Jahren spielt. Er war in Wien, bei einer Konzertprobe, als er vom Brand in Notre Dame erfahren hat. Erst eine Woche später, am Ostersonntag, schaffte Latry es nach Paris. Es war ihm ein inneres Bedürfnis, die Kathedrale zu sehen: O-Ton „Ich brauchte das, ich weiß nicht warum. Ich konnte die beiden Türme sehen. 3
Die Türme sagten: Wir sind noch da. Ihr könnt alle Hoffnung haben.“ Hineingehen in die Kathedrale durfte er aber nicht. Noch immer sind Teile der mehr als 800 Jahre alten Kirche einsturzgefährdet. Experten allerdings konnten die Grande Orgue, die große Orgel von Notre Dame, in Augenschein nehmen. Und ihr erstes Urteil sagt: Das Instrument hat den Brand gut überstanden: O-Ton „Für mich ist das ein Wunder. Das kann nichts anderes sein. Da war so viel Wasser von den Feuerwehrmännern. In der Orgel hat nur eine Pfeife Wasser abbekommen. Von 8000! Das ist wirklich ein Wunder.“ Zwei Wochen nach dem Brand kommt Besuch aus Deutschland, um Hilfe zu koordinieren. O-Ton 3 Reportage Deutsche Hilfen für Notre Dame – Sabine Wachs – 01. 05. 2019 Sichtlich betroffen kommen Staatsministerin Monika Grütters und die ehemalige Kölner Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner nach ihrem gut einstündigen Besuch aus der Kathedrale von Notre Dame. Am Ufer der Seine mit Blick auf die abgebrannte Fassade der Kirche treten die beiden Frauen vor die Presse: O-Ton „Das ist erschütternd, das Ausmaß der Zerstörung zu sehen. Also, wir alle sind ja Nachkriegskinder. Aber man bekommt einen Eindruck davon, wie es nicht nur Gebäude, sondern auch die Seele der Menschen verletzt, solche Unglücksfälle, und die Zerstörung anschließend mit anzusehen.“ Sagt Staatsministerin Monika Grütters. Die ehemalige Kölner Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner zieht eine erste Bilanz der augenscheinlichen Schäden. O-Ton „Innen sieht es natürlich grauenhaft aus. Das viele Löschwasser, das steht in der Krypta. Und diese Berge von gebrannten Hölzern und Schutt sind natürlich erschreckend. Zwei der Stützpfeiler im Inneren sind so ausgeglüht, dass die Schale völlig bröselig ist wie Zucker!“ Am 15. Juni 2019 die erste Messe. O-Ton 4 Reportage Notre Dame feiert 1. Messe – Marcel Wagner – 15. 06. 2019 Der hohe Baustellenzaun seitlich der mächtigen Türme von Notre Dame blieb wie seit zwei Monaten geschlossen. Doch Claire, bis zum Brand rege Mess-Besucherin in Notre Dame war trotzdem gekommen, um den großen Augenblick wenigstens in Sichtweite mitzuerleben. 4
O-Ton „Das ist eine große Freude, eine Wiedergeburt. Dies ist eine Kirche Gottes, die Tausende Menschen empfängt, und für Gott gebaut wurde, ich finde es wunderbar!“ Freute sich die Pariserin. Zwischen den üblichen Touristenmassen hatten sich Claire und andere Gläubige in kleinen Gruppen zusammengefunden. Via Handy-Livestream verfolgten sie, wie Michel Aupetit, der Erzbischof von Paris, mit Messgewand und Schutzhelm, im Inneren den Gottesdienst zelebrierte. O-Ton „Heute nun feiern wir eben hier dieses Weihefest mit großer Ergriffenheit.“ Begrüßte der Erzbischof die Mitfeiernden. Ein kleines Grüppchen nur, Priester und Angestellte der Kathedrale, einige Arbeiter in orangefarbenen Baustellenwesten, die an den Aufräumarbeiten mitwirken, allesamt mit Schutzhelmen. Noch immer ist die Sicherheitslage angespannt, das Gewölbe des Hauptschiffes einsturzgefährdet. Die Messe fand daher in einer kleinen, vom Feuer weitgehend verschonten Nebenkapelle statt. Und doch hatte Michel Aupetit darauf bestanden, sie jetzt schon in der Kathedrale feiern zu dürfen. O-Ton „Wir sind von ganzem Herzen glücklich, dass wir hier die Eucharistie zelebrieren können, denn dafür ist sie gebaut worden. Es ist zugleich ein Zeichen der Hoffnung und des Dankes, an all diejenigen, die ergriffen waren von dem, was mit dieser Kathedrale passiert ist.“ „Wir haben mit dem Feuer wirklich einen sehr intensiven Augenblick erlebt. Zu sehen, dass hier wieder eine Messe gefeiert worden ist, macht uns Katholiken wieder viel Hoffnung, dass wir irgendwann zur Sonntagsmesse zurückkommen können. Jetzt haben wir uns mit einem Handy geholfen. Das ist auch ok. Heute Abend bin ich wirklich glücklich.“ Befand Benoît, der auf Urlaubsbesuch nach Paris gekommen war, um bei der 1. Messe nach dem Brand von Notre Dame möglichst nah dabei sein zu können. In den Monaten danach haben die Anwohner große Sorgen. Der Brand hat 400 Tonnen Blei aus Dach und Spitzturm freigesetzt. O-Ton 5 Reportage Bleiverschmutzung besorgt Anwohner - Navina Lala – 14. 10. 2019 Die Eltern sind verunsichert. Morgens, wenn sie ihre Kinder in die Schule bringen, tauschen sie sich aus. Auch darüber, ob sie wirklich alle wichtigen Informationen von den Behörden bekommen haben. „Von offizieller Seite wurde uns gesagt, dass wir keine Angst haben brauchen - dass alles dekontaminiert sei. Aber die offizielle Kommunikation hat ein wenig misstrauisch gemacht. Mich jedenfalls“, 5
„Was mir Sorgen macht, ist, dass wir nicht informiert worden sind, als es gebrannt hat. Das ist nicht automatisch passiert. Da fragt man sich schon.“ Erst im Sommer wurde begonnen, betroffene Schulen im Umkreis von Notre- Dame professionell zu reinigen. „Über Wochen - also bis Juli, haben die Kinder auf Schulhöfen gespielt, die total mit Blei verseucht waren. Wir haben hier den Fall, dass über Monate ein Gesundheitsrisiko einfach so in Kauf genommen wurde – auch das der Kinder.“ sagt Annie Thébaud-Mony. Sie ist eine in Frankreich anerkannte Expertin für Berufskrankheiten und warnt vor den gesundheitlichen Risiken durch Blei. „Ab dem Moment da sie entschieden haben, nicht verantwortungsvoll damit umzugehen, handelt es sich für mich nicht mehr nur um einen Unfall, sondern um einen Gesundheitsskandal.“ Im Juni 2020 wird damit begonnen, das beim Brand zerschmolzene Baugerüst abzumontieren. 250 Tonnen schwer. Das zieht Schaulustige an. O-Ton 6 Reportage Abbau des zerschmolzenen Stahlgerüsts beginnt – Marcel Wagner – 08. 06. 2020 „Wir wohnen in der Vorstadt und hatten in Paris was zu erledigen. Da haben wir davon im Radio gehört und waren neugierig“, erzählt Pierre, sichtlich zufrieden mit dem kleinen Abstecher. O-Ton „Wir haben gesehen, wie die Arbeiter mit dem Kran raufgefahren sind. Da oben demontieren sie jetzt Stück für Stück die Teile und bringen sie in Containern nach unten.“ Wirklich gut erkennen lässt sich das Ganze nicht, schließlich finden die Arbeiten in rund 40 Metern Höhe statt. Allein für die Demontage des Gerüsts haben die Fachleute etwa vier Monate eingeplant. Rund 40.000 Einzelteile, vor allem Stahlrohre, viele davon beim Brand verbogen oder verschmolzen, hängen wie ein gewaltiger, 200 Tonnen schwerer Metallknoten über dem Kirchengewölbe. O-Ton „Das ist ein bisschen wie eine Operation am offenen Herzen. Und trotzdem sind wir froh, dass es endlich losgeht.“ Freute sich Christophe Rousselot, Generalbevollmächtigter der Stiftung Notre Dame, die sich mit um den Wiederaufbau der Kathedrale kümmert. Bis jetzt gab es dabei viele Rückschläge: Zunächst hatte den Arbeitern das viele Blei zu schaffen gemacht, dann warfen starke Regenfälle und Stürme, zuletzt die Corona-Krise die Baustelle zurück. Das beim Brand zusammengeschmolzene 6
Baugerüst drohte dabei ständig einzustürzen und Teile der Kathedrale mitzureißen. O-Ton „Wenn dieses Spinnennetz beseitigt ist, werden wir alle erleichtert sein und sagen können, dass die Kathedrale wirklich gerettet ist“, glaubt Christophe Rousselot. Wie bei einem gewaltigen Mikado-Spiel müssen die Arbeiter in den kommenden Wochen an Seilen hängend Teil für Teil aus dem Gerüst schneiden, ohne dabei das Gleichgewicht zu stören. Am 9. Juli 2020 entscheidet die Nationale Kommission für Kulturerbe und Architektur einstimmig: Der Vierungsturm wird identisch zum verbrannten Original aufgebaut und nicht Platz machen für futuristische Projekte wie ein Schwimmbad auf dem Kathedralendach. September 2020 – die eigentliche Restaurierung startet. In der Chapelle Saint Ferdinand, einer der 24 Kirchenkapellen, wird ausprobiert: Können die Fresken besser mechanisch oder mit Laser gereinigt werden? Wir schreiben Oktober 2020: Im gesamten Kirchenschiff wird begonnen, ein mehr als 25 Meter hohes Gerüst – metallenen Spinnennetzen gleich – aufzubauen. Ein entscheidendes Jahr für den Wiederaufbau geht zu Ende: Am 9. Dezember 2020 ist auch die letzte der 8000 Orgelpfeifen abmontiert und kann nun gereinigt werden. Im Frühjahr 2021 werden die ersten Eichen für den Wiederaufbau des Spitzturms gefällt. O-Ton 7 Reportage Eine Eiche für Notre Dame – Stefanie Markert - 13. 03. 2021 Der Wald von Bercé südlich von Le Mans. Eichen - soweit das Auge reicht. Hoch, gerade und dünn wie riesige ungekochte Spaghetti ragen sie in den Himmel. Jene, die gleich fällt, trägt eine Plakette mit der Nr. 1. Hugues Bouttier, Kinnbart, 23 Jahre, steht mit Helm, Klettergurt und Kettensäge bereit, den Stamm in luftiger Höhe zu entästen. O-Ton „Es ist genial. Ein historischer Moment. Ich lasse nur den Mittelteil der Krone dran. Er mindert den Aufprall, damit es keine Risse gibt. Es ist eine Ehre, einen Baum für Notre Dame zu schlagen. Das gibt‘s nur einmal im Leben.“ Flugs ist Hugues oben und sägt los. Die kräftigen Äste krachen zu Boden. In allen Regionen Frankreichs haben sich die Forstleute mobilisiert, um 1000 Eichen für Notre Dame zu spenden. Die eine Hälfte stammt aus Staatswald, die andere aus Privatforst. Hugues ist wieder unten. Und dann kippt die Eiche so schnell um, dass manch Zuschauer nicht mal die Videofunktion auf dem Handy starten konnte. 7
Der Aufprall erschüttert den Waldboden auch noch in 100 m Entfernung. Forsttechniker Anthony Jeanneau geht als 1. zum Baum - mit einem Riesen- Messschieber, Messkluppe genannt. O-Ton „Die Dimension des Baumes? An der Basis 105 cm im Durchmesser. Allein der Stamm ist 20 m lang. Die Eiche ist gleichmäßig gewachsen, zylindrisch, das macht sie interessant. Die Jahresringe sagen mir, dass sie nicht mehr ganz jung ist. Etwa 220 Jahre alt. Sie hat viele raue Winter und heiße Sommer erlebt. Und war viel widerstandsfähiger als wir Menschen!“ Insgesamt wurden acht Eichen aus Bercé für Notre Dame ausgewählt. Verantwortlich: die einzige Frau im Forstteam vor Ort, Claire Quinones. O-Ton „Sie können Jahrhunderte in der Kathedrale bleiben. Das ist großartig. Wir geben den Bäumen ein 2. Leben. Wie alle großen Staatswälder war auch dieser einst im Besitz der Krone. Colbert, Finanzminister beim Sonnenkönig Ludwig dem 14., hat vor rund 400 Jahren begonnen, die Forste zu verwalten. Sie brauchten große Bäume. Damals für Schiffe, heute für die Kathedrale.“ Ein Holz-Vollernter mit spitzem Greifer schnappt den dicken Stamm und transportiert ihn ab. Anfang 2023 bekommen die Zimmerleute das Holz, weiß Ayméric Albert, Vertriebsdirektor der Forstbehörde. O-Ton „Er ist perfekt, ganz gesund. Bei so einem Baum kostet der Kubikmeter 1000 Euro. Dieser hier entspricht genau den Vorgaben der Architekten. Auf diesen Balken wird der neue Spitzturm ruhen. Wir wissen exakt, wo das Holz eingebaut wird. “ Die Anspannung ist gewichen. Man scherzt, verabredet sich zum Mittagessen. Forsttechniker Yvan Sevrée rollt sein Maßband ein. O-Ton „Das war eine Challenge und eine Ehre für uns, für Notre Dame zu arbeiten. Wir machen Platz für eine neue Eichengeneration. Die kleinen sind schon da, 1,50 hoch. Wir hinterlassen also auch ein Erbe. Treffen wir uns wieder – in 200 Jahren!“ Bis Juli 2021 laufen die letzten Sicherungsarbeiten: Die Strebebögen, die das Kirchenschiff von außen stützen, werden mit hölzernen Unterbögen stabilisiert. Im Sommer 2021 ist die Kathedrale vom Schutt befreit. Die Reste des Spitzturms werden gefunden. Und im Pariser Architektur-Museum kann man 16 Wunder bestaunen - die 16 Statuen der Apostel, die den Spitzturm schmückten. Sie waren fünf Tage vor dem Brand zur Restaurierung abgebaut worden. Großreinemachen in Notre Dame ab Oktober 2021 für 6 Monate. Gleichzeitig untersuchen Kunsthistoriker die bunten Kirchenfenster in den großen Rosetten auf Augenhöhe. Einmalig – bislang ging das nur durchs Fernglas. 8
2022 geht es Schlag auf Schlag: Im Februar beginnen Ausgrabungen in der Kathedrale. Bald unerwartete Sensationsfunde, teils aus nur 15 Zentimeter Tiefe: Zwei Bleisarkophage und farbige Reste des Lettners aus dem 13. Jahrhundert lagen teils nur 15 Zentimeter unter dem Kathedralenboden. Im März in einem Steinbruch 80 km nordöstlich von Paris: Hier werden Blöcke geschlagen, die beschädigte Pfeiler, Wände und Dekor ersetzen sollen. Im April – der 3. Jahrestag des Brandes: der Elan ungebrochen, das Herz dabei. O-Ton 8 Reportage – Notre Dame 3 Jahre nach dem Brand – Julia Borutta - 14. 04. 2022 Notre-Dame ist immer noch abgesperrt, ein hoher Bretterzaun verdeckt die Sicht auf den Eingang der Kathedrale. Selbst an diesem regnerischen Tag kurz vor Ostern stehen mehrere Besucher-Gruppen vor dem Zaun mit den künstlerischen Graffiti, die vom Brand, vom Schock, von der Sehnsucht erzählen, die Kirche wieder betreten zu können. Keine 200 Meter Luftlinie entfernt, in der rue Chanoinesse, empfängt Monsigneur Chauvet, der Domdekan der Kathedrale. Er strahlt Gelassenheit aus und Zuversicht. O-Ton „Es ist spektakulär, wie bei der Säuberung des Gemäuers die mittelalterlichen Steine und Farben freigelegt werden. Weiße Steine! Das wird die Menschen übrigens ein bisschen durcheinanderbringen, denke ich. Wenn sie in die Kathedrale kommen, werden sie sie anders vorfinden als vorher. Sie wird zum Beispiel viel heller sein. Früher war sie ja eher ein bisschen düster. Die hellen Steine verändern einiges, zum Beispiel muss man die Beleuchtung neu denken.“ Oder den Klang. Bertrand Longuedocienne und Pascal Quoirin kümmern sich um die große Orgel von Notre-Dame, die Größte Frankreichs. Zwar muss die Windlade restauriert werden, das Orgelgehäuse auch. Aber die Pfeifen brauchen nur eine gründliche Reinigung. Wie, das erklären die Orgelbauer an einem kleinen Modell, das sie unweit der Kathedrale in einem Kloster aufgebaut haben. Denn rein in die Kirche dürfen Besucher längst noch nicht. Zu gefährlich. O-Ton „Wenn wir zum Beispiel in voller Schutzausrüstung die Stufen zur Orgel hochlaufen, sind wir verpflichtet in der Mitte anzuhalten und 2 Minuten Pause zu machen. Vorschrift wegen des Bleis, das immer noch in der Luft liegt, weil ja das Dach geschmolzen ist. Und wenn wir mal einen Kaffee trinken wollen, müssen wir wieder runter in die Basisstation, die Klamotten ausziehen, Duschen, Ölzeug anziehen, kurz den Kaffee schlürfen und dann das Ganze von vorne.“ Drei verschiedene Orgelbau-Unternehmen aus dem ganzen Land teilen sich die Arbeit. Ab dem Sommer sollen die Pfeifen nach und nach wieder eingesetzt werden. Der Aufbau der Orgel wird ein ganzes Jahr in Anspruch nehmen, erklärt Bertrand Languedocienne. 9
O-Ton „Nach der Montage beginnt die klangliche Harmonisierung. Das wird dann noch einmal 6 Monate intensive Arbeit – quasi Tag und Nacht.“ Dennoch wird die Orgel von Notre-Dame kaum wiederzuerkennen sein, meint Quorin. O-Ton „Sie wird nicht wie vorher klingen. Die restaurierten Wände, die Sauberkeit. Das alles verändert den Klang.“ Notre Dame wird dieselbe, aber doch nicht die alte sein. In weißen Anzügen und Helmen nehmen Glasfenstermeister wie Raumfahrer im Außenbordeinsatz im Juni 2022 39 Oberfenster ab. Vier von ihnen kommen nach Köln. Die Dombauhütte dort schenkt ihnen neuen Glanz. August ’22: Von Bleistaub und Ruß befreit, wird nun auch vom letzten Kapitell der hartnäckige Schmutz entfernt. Mit einer Art Schönheitsmaske aus Latex. Im November ‘22 werden Statuen gereinigt und im Nordquerschiff ist das erste, durch den eingestürzten Vierungsturm niedergerissene Gewölbe restauriert. Bislang lief viel unsichtbar im Inneren. 2023 bringt eine sichtbare Sensation. Zum 4. Jahrestag des Brandes bekommt Notre Dame den Spitzturm zurück! O-Ton 9 Reportage Generalprobe für den Spitzturm - Carolin Dylla – 16. 03. 2023 Wir sind tief im Osten Frankreichs – in Briey, einem kleinen Ort nahe der deutschen Grenze. Ein unscheinbares Industriegebiet; auf den ersten Blick kaum mehr als Hallen, Parkplätze, Tore. Und doch ist dieser Ort etwas Besonderes. In einem Hangar von rund 8.000 Quadratmetern wird hier der hölzerne Spitzturm der Kathedrale nachgebaut. Eine monumentale Aufgabe – auch für Profis wie Aurélien Duclos. Der 41-Jährige Zimmermann ist einer von rund 40 Spitzen- Handwerkern, die aus ganz Frankreich kommen und seit Monaten in Briey den hölzernen Spitzturm wieder aufbauen. O-Ton „Ich hab die Baustelle, glaub‘ ich, ein bisschen unterschätzt. Als ich den Turm zum ersten Mal gesehen habe, dachte ich: Okay, vermutlich ist das so ein klassischer Spitzturm; vielleicht ein bisschen höher als andere. Und als ich dann die Pläne in den Händen hatte, musste ich mich erstmal hinsetzen. Diese Konstruktion ist unglaublich.“ 110 Teile hat allein der Sockel des Turms, der über dem Kreuzschiff der Kathedrale aufragt. Wie man da den Überblick behält? Aurélien lächelt. Jedes einzelne Teil hat eine Nummer bekommen. Schon bevor auch nur eine Säge angesetzt wurde, war also klar, welches Teil später wo hinkommt. Außerdem wurde die 10
Struktur des Holzes genau analysiert, erklärt Aurélien. O-Ton Es gibt Hölzer, deren Fasern verdreht sind. Der Baum ist sozusagen gewachsen wie eine Schraube – in sich verdreht. Wenn man solche Stücke schneidet, kann man die Fasern zertrennen und Sollbruchstellen erzeugen. Heißt also: wenn der Balken große Kräfte aushalten muss, wie der Sockel des Turms, dann sind solche Stücke nicht gut geeignet.“ Auf dem Außengelände werden die fertigen Teile probeweise zusammengesetzt. Eine kleine Hebebühne fährt Arbeiter mit weißen Baustellen-Helmen nach oben. Allein der Sockel ist sechs Meter hoch. Der komplette Turm noch elfmal höher. Olivier Piedefer kommt aus der Normandie – und baut eigentlich vor allem Fachwerkhäuser. Seit 40 Jahren ist er Spezialist für die Bearbeitung von altem Eichenholz. Alles hier werde so originalgetreu wie möglich restauriert, erklärt Olivier. So, wie es auch der berühmte Architekt des Spitzturms, Eugène Viollet-Le- Duc im 19. Jahrhundert gemacht hat. O-Ton Ich bin fasziniert von Viollet-Le-Duc, hab fast alle seine Bücher gelesen. Als er 1860 den Spitzturm neu gebaut hat, hat er die komplette Konstruktion selbst entworfen. Wir arbeiten genau wie er auch mit metallenen Fixierbolzen – die gab es im ersten Turm aus dem 13. Jahrhundert nicht. Aber der war auch nicht allzu stabil.“ Der hölzerne Spitzturm habe eine besondere Bedeutung, sagt General Jean-Louis Georgelin. Der ehemalige Generalstabschef der französischen Streitkräfte ist Sonderbeauftragter des Präsidenten und koordiniert den gesamten Wiederaufbau der Kathedrale. O-Ton Das ist das Herzstück der Restaurierung. Denn als Viollet-Le-Duc den Spitzturm gebaut hat, war das die Vollendung dieser gotischen Kathedrale – auch wenn er ihn im 19. Jahrhundert gebaut hat. Und in der Nacht vom 15. auf den 16. April 2019 wurde der einstürzende Turm zum Symbol für die Katastrophe.“ Ende nächsten Jahres soll die Kathedrale wieder öffnen, sagt Georgelin. O-Ton Im Dezember 2024 sollen wieder Gottesdiente stattfinden können – und auch Besucher wieder nach Notre Dame kommen. Dann bleiben aber noch Außenarbeiten!“ Nach der erfolgreichen „Generalprobe“ in Briey werden die Teile des Sockels nach Paris gefahren – und sollen dort zum Jahrestag des Brandes auf das Kreuzschiff der Kathedrale gesetzt werden. 11
Sie können auch lesen