SWR2 Glauben Vier Jahre Wiederaufbau nach dem Brand von Notre-Dame de Paris - Die Kathedrale der französischen Hauptstadt wird instandgesetzt Eine ...

Die Seite wird erstellt Mia Preuß
 
WEITER LESEN
SWR2 Glauben
Vier Jahre Wiederaufbau nach dem
Brand von Notre-Dame de Paris -
Die Kathedrale der französischen
Hauptstadt wird instandgesetzt
Eine Sendung vom ARD-Studio Paris

SENDUNG 10.04.2023 / 12.05 UHR
Redaktion Ulrich Pick
Redaktion Religion, Migration und Gesellschaft

SWR2 Glauben können Sie auch im SWR2 Webradio unter www.SWR2.de und
auf Mobilgeräten in der SWR2 App hören – oder als Podcast nachhören:
swr.de/swr2/programm/podcast-swr2-glauben-100.html

Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch
bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der
ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

Die SWR2 App für Android und iOS

Hören Sie das SWR2 Programm, wann und wo Sie wollen. Jederzeit live oder
zeitversetzt, online oder offline. Alle Sendung stehen mindestens sieben Tage
lang zum Nachhören bereit.
Kostenlos herunterladen:
Sprecher

Auf dem Vorplatz scheuchen Kinder Tauben auf und Fatia hat sich auf die kleine
Steinmauer rund um die Grünanlage gesetzt.
Die kräftige Dame schaut versonnen auf die Fassade der Kathedrale und erinnert
sich.

O-Ton
„Das war ein schmerzhafter Moment. Es ist doch ein Ort, den man immer wieder
besucht. Etwas Authentisches. Ich mag die Kathedrale sehr. Wenn ich hier bin,
geht es mir gut. Ich hoffe, sie wird auferstehen, damit sie immer ein Symbol von
Paris bleibt.“

15. April 2019 – 18 Uhr 20 – ein erster Feueralarm während der Messe. Der
Brandherd wird erst nach dem zweiten Alarm gegen 18 Uhr 50 lokalisiert.
Kurz vor 20 Uhr stürzt das höchste Bauteil, der 96 Meter hohe Vierungsturm ein und
zerschmettert den Dachstuhl über dem Mittelschiff.
Vor dem Brand wurde der Spitzturm von einem Stahlgerüst aus gerade repariert.
Steigleitungen für Löschwasser gab es nicht. Löst ein Kurzschluss oder eine
weggeworfene Kippe die nationale Katastrophe aus? Es bleiben Fragen.
Etwa 600 Feuerwehrleute kämpfen die ganze Nacht – retten rund 90 Prozent des
Kirchenschatzes, darunter die Reliquie der Dornenkrone Christi.

O-Ton 1 Reportage
Notre Dame brennt - Mathias Zahn – 15. / 16. 04. 2019
Im Blaulicht der Einsatzwagen stehen am Abend Hunderte Pariser Bürger und
Touristen auf den Seine-Brücken. In sicherer Entfernung schauen sie herüber zur
brennenden Kathedrale.

O-Ton
„Man kann keine Worte dafür finden, was es bedeutet, so ein wichtiges
historisches Bauwerk in Paris brennen zu sehen. Und wir versuchen alle zu
verstehen, was da vor sich geht, während wir die Löscharbeiten sehen.“
„Es ist fürchterlich. Es ist ein grauenhafter historischer Moment. Ich hoffe, dass es
keine Verletzten gibt. Es war ganz einfach schrecklich, den kleineren Turm in der
Mitte einstürzen zu sehen.“

Eine große Rauchwolke steht über der Kathedrale. Die riesigen Flammen fressen
sich durch das Dach. Viele Menschen haben Tränen in den Augen, fühlen sich an
den Einsturz der Zwillingstürme in New York erinnert, wie Cathlin, eine
Amerikanerin, die in Paris lebt.

O-Ton
„Du siehst die Kathedrale jeden Tag. Sie existiert seit so langer Zeit. Und es ist
schwierig zu verstehen, dass da gerade dieser Turm in sich zusammenfällt.“

Präsident Emmanuel Macron ist seit dem Abend vor Ort.

O-Ton
„Das Schlimmste konnte verhindert werden, auch wenn der Kampf noch nicht
ganz gewonnen ist. Die nächsten Stunden werden schwierig sein. Aber Dank des
Muts der Einsatzkräfte ist die Kathedrale, sind die beiden Haupttürme nicht
eingestürzt. Wir werden Notre Dame wieder aufbauen. Weil die Franzosen das
erwarten. Weil es das ist, was unsere Geschichte verdient. Weil es unser tiefes
Schicksal ist.“

Nach 15 Stunden Feuer - am nächsten Morgen um 9 Uhr 50 die Meldung: Der
Brand sei vollständig gelöscht.
Hält die Statik der Kathedrale? Entwarnung nur für die Orgel.

O-Ton 2 Reportage
Die Seele von Notre Dame lebt – Sabine Wachs – 03. 05. 2019

Musik Orgel

So klingt sie, die große Cavaillé-Coll-Orgel der Pariser Kathedrale Notre Dame,
gespielt von Olivier Latry. Seit 33 Jahren ist er einer von drei Titularorganisten und
wie es das Schicksal so wollte, hat Latry noch im Januar eine CD auf der Grande
Orgue der Kathedrale aufgenommen. Knapp vier Monate vor dem
schrecklichen Brand den unverwechselbaren Klang festgehalten:

O-Ton
„Das ist vielleicht eines der besten Instrumente der Welt und wirklich: Die Orgel ist
wie die Seele der Kathedrale.“

Latrys Augen leuchten, der Musiker gerät geradezu ins Schwärmen, wenn er von
seiner Orgel erzählt. 1868 wurde sie vom berühmten französischen Orgelbauer
Aristide Cavaillé-Coll gebaut. Generationen von Orgelbauern haben das
Instrument seitdem weiterentwickelt. Fast noch tiefer als Latrys Bindung zur Orgel,
ist sein Bezug zur Kathedrale, in der er seit 33 Jahren spielt. Er war in Wien, bei
einer Konzertprobe, als er vom Brand in Notre Dame erfahren hat. Erst eine
Woche später, am Ostersonntag, schaffte Latry es nach Paris. Es war ihm ein
inneres Bedürfnis, die Kathedrale zu sehen:

O-Ton
„Ich brauchte das, ich weiß nicht warum. Ich konnte die beiden Türme sehen.

                                                                                         3
Die Türme sagten: Wir sind noch da. Ihr könnt alle Hoffnung haben.“

Hineingehen in die Kathedrale durfte er aber nicht. Noch immer sind Teile der
mehr als 800 Jahre alten Kirche einsturzgefährdet. Experten allerdings konnten
die Grande Orgue, die große Orgel von Notre Dame, in Augenschein nehmen.
Und ihr erstes Urteil sagt: Das Instrument hat den Brand gut überstanden:

O-Ton
„Für mich ist das ein Wunder. Das kann nichts anderes sein. Da war so viel Wasser
von den Feuerwehrmännern. In der Orgel hat nur eine Pfeife Wasser
abbekommen. Von 8000! Das ist wirklich ein Wunder.“

Zwei Wochen nach dem Brand kommt Besuch aus Deutschland, um Hilfe zu
koordinieren.

O-Ton 3 Reportage
Deutsche Hilfen für Notre Dame – Sabine Wachs – 01. 05. 2019
Sichtlich betroffen kommen Staatsministerin Monika Grütters und die ehemalige
Kölner Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner nach ihrem gut einstündigen
Besuch aus der Kathedrale von Notre Dame. Am Ufer der Seine mit Blick auf die
abgebrannte Fassade der Kirche treten die beiden Frauen vor die Presse:

O-Ton
„Das ist erschütternd, das Ausmaß der Zerstörung zu sehen. Also, wir alle sind ja
Nachkriegskinder. Aber man bekommt einen Eindruck davon, wie es nicht nur
Gebäude, sondern auch die Seele der Menschen verletzt, solche Unglücksfälle,
und die Zerstörung anschließend mit anzusehen.“

Sagt Staatsministerin Monika Grütters. Die ehemalige Kölner Dombaumeisterin
Barbara Schock-Werner zieht eine erste Bilanz der augenscheinlichen Schäden.

O-Ton
„Innen sieht es natürlich grauenhaft aus. Das viele Löschwasser, das steht in der
Krypta. Und diese Berge von gebrannten Hölzern und Schutt sind natürlich
erschreckend. Zwei der Stützpfeiler im Inneren sind so ausgeglüht, dass die Schale
völlig bröselig ist wie Zucker!“

Am 15. Juni 2019 die erste Messe.

O-Ton 4 Reportage
Notre Dame feiert 1. Messe – Marcel Wagner – 15. 06. 2019
Der hohe Baustellenzaun seitlich der mächtigen Türme von Notre Dame blieb wie
seit zwei Monaten geschlossen. Doch Claire, bis zum Brand rege Mess-Besucherin
in Notre Dame war trotzdem gekommen, um den großen Augenblick wenigstens
in Sichtweite mitzuerleben.

                                                                                    4
O-Ton
„Das ist eine große Freude, eine Wiedergeburt. Dies ist eine Kirche Gottes, die
Tausende Menschen empfängt, und für Gott gebaut wurde, ich finde es
wunderbar!“

Freute sich die Pariserin. Zwischen den üblichen Touristenmassen hatten sich
Claire und andere Gläubige in kleinen Gruppen zusammengefunden. Via
Handy-Livestream verfolgten sie, wie Michel Aupetit, der Erzbischof von Paris, mit
Messgewand und Schutzhelm, im Inneren den Gottesdienst zelebrierte.

O-Ton
„Heute nun feiern wir eben hier dieses Weihefest mit großer Ergriffenheit.“

Begrüßte der Erzbischof die Mitfeiernden. Ein kleines Grüppchen nur, Priester und
Angestellte der Kathedrale, einige Arbeiter in orangefarbenen Baustellenwesten,
die an den Aufräumarbeiten mitwirken, allesamt mit Schutzhelmen. Noch immer
ist die Sicherheitslage angespannt, das Gewölbe des Hauptschiffes
einsturzgefährdet. Die Messe fand daher in einer kleinen, vom Feuer weitgehend
verschonten Nebenkapelle statt. Und doch hatte Michel Aupetit darauf
bestanden, sie jetzt schon in der Kathedrale feiern zu dürfen.

O-Ton
„Wir sind von ganzem Herzen glücklich, dass wir hier die Eucharistie zelebrieren
können, denn dafür ist sie gebaut worden. Es ist zugleich ein Zeichen der
Hoffnung und des Dankes, an all diejenigen, die ergriffen waren von dem, was
mit dieser Kathedrale passiert ist.“

„Wir haben mit dem Feuer wirklich einen sehr intensiven Augenblick erlebt. Zu
sehen, dass hier wieder eine Messe gefeiert worden ist, macht uns Katholiken
wieder viel Hoffnung, dass wir irgendwann zur Sonntagsmesse zurückkommen
können. Jetzt haben wir uns mit einem Handy geholfen. Das ist auch ok. Heute
Abend bin ich wirklich glücklich.“

Befand Benoît, der auf Urlaubsbesuch nach Paris gekommen war, um bei der 1.
Messe nach dem Brand von Notre Dame möglichst nah dabei sein zu können.

In den Monaten danach haben die Anwohner große Sorgen. Der Brand hat 400
Tonnen Blei aus Dach und Spitzturm freigesetzt.

O-Ton 5 Reportage
Bleiverschmutzung besorgt Anwohner - Navina Lala – 14. 10. 2019
Die Eltern sind verunsichert. Morgens, wenn sie ihre Kinder in die Schule bringen,
tauschen sie sich aus. Auch darüber, ob sie wirklich alle wichtigen Informationen
von den Behörden bekommen haben.

„Von offizieller Seite wurde uns gesagt, dass wir keine Angst haben brauchen -
dass alles dekontaminiert sei. Aber die offizielle Kommunikation hat ein wenig
misstrauisch gemacht. Mich jedenfalls“,

                                                                                     5
„Was mir Sorgen macht, ist, dass wir nicht informiert worden sind, als es gebrannt
hat. Das ist nicht automatisch passiert. Da fragt man sich schon.“

Erst im Sommer wurde begonnen, betroffene Schulen im Umkreis von Notre-
Dame professionell zu reinigen.

„Über Wochen - also bis Juli, haben die Kinder auf Schulhöfen gespielt, die total
mit Blei verseucht waren. Wir haben hier den Fall, dass über Monate ein
Gesundheitsrisiko einfach so in Kauf genommen wurde – auch das der Kinder.“

sagt Annie Thébaud-Mony. Sie ist eine in Frankreich anerkannte Expertin für
Berufskrankheiten und warnt vor den gesundheitlichen Risiken durch Blei.

„Ab dem Moment da sie entschieden haben, nicht verantwortungsvoll damit
umzugehen, handelt es sich für mich nicht mehr nur um einen Unfall, sondern um
einen Gesundheitsskandal.“

Im Juni 2020 wird damit begonnen, das beim Brand zerschmolzene Baugerüst
abzumontieren. 250 Tonnen schwer. Das zieht Schaulustige an.

O-Ton 6 Reportage
Abbau des zerschmolzenen Stahlgerüsts beginnt – Marcel Wagner – 08. 06. 2020
„Wir wohnen in der Vorstadt und hatten in Paris was zu erledigen. Da haben wir
davon im Radio gehört und waren neugierig“,

erzählt Pierre, sichtlich zufrieden mit dem kleinen Abstecher.

O-Ton
„Wir haben gesehen, wie die Arbeiter mit dem Kran raufgefahren sind. Da oben
demontieren sie jetzt Stück für Stück die Teile und bringen sie in Containern nach
unten.“

Wirklich gut erkennen lässt sich das Ganze nicht, schließlich finden die Arbeiten in
rund 40 Metern Höhe statt. Allein für die Demontage des Gerüsts haben die
Fachleute etwa vier Monate eingeplant. Rund 40.000 Einzelteile, vor allem
Stahlrohre, viele davon beim Brand verbogen oder verschmolzen, hängen wie
ein gewaltiger, 200 Tonnen schwerer Metallknoten über dem Kirchengewölbe.

O-Ton
„Das ist ein bisschen wie eine Operation am offenen Herzen. Und trotzdem sind
wir froh, dass es endlich losgeht.“

Freute sich Christophe Rousselot, Generalbevollmächtigter der Stiftung Notre
Dame, die sich mit um den Wiederaufbau der Kathedrale kümmert. Bis jetzt gab
es dabei viele Rückschläge: Zunächst hatte den Arbeitern das viele Blei zu
schaffen gemacht, dann warfen starke Regenfälle und Stürme, zuletzt die
Corona-Krise die Baustelle zurück. Das beim Brand zusammengeschmolzene

                                                                                     6
Baugerüst drohte dabei ständig einzustürzen und Teile der Kathedrale
mitzureißen.

O-Ton
„Wenn dieses Spinnennetz beseitigt ist, werden wir alle erleichtert sein und sagen
können, dass die Kathedrale wirklich gerettet ist“,

glaubt Christophe Rousselot. Wie bei einem gewaltigen Mikado-Spiel müssen die
Arbeiter in den kommenden Wochen an Seilen hängend Teil für Teil aus dem
Gerüst schneiden, ohne dabei das Gleichgewicht zu stören.

Am 9. Juli 2020 entscheidet die Nationale Kommission für Kulturerbe und
Architektur einstimmig: Der Vierungsturm wird identisch zum verbrannten Original
aufgebaut und nicht Platz machen für futuristische Projekte wie ein Schwimmbad
auf dem Kathedralendach.
September 2020 – die eigentliche Restaurierung startet. In der Chapelle Saint
Ferdinand, einer der 24 Kirchenkapellen, wird ausprobiert: Können die Fresken
besser mechanisch oder mit Laser gereinigt werden?
Wir schreiben Oktober 2020: Im gesamten Kirchenschiff wird begonnen, ein mehr
als 25 Meter hohes Gerüst – metallenen Spinnennetzen gleich – aufzubauen.
Ein entscheidendes Jahr für den Wiederaufbau geht zu Ende: Am 9. Dezember
2020 ist auch die letzte der 8000 Orgelpfeifen abmontiert und kann nun gereinigt
werden.
Im Frühjahr 2021 werden die ersten Eichen für den Wiederaufbau des Spitzturms
gefällt.

O-Ton 7 Reportage
Eine Eiche für Notre Dame – Stefanie Markert - 13. 03. 2021

Der Wald von Bercé südlich von Le Mans. Eichen - soweit das Auge reicht. Hoch,
gerade und dünn wie riesige ungekochte Spaghetti ragen sie in den Himmel.
Jene, die gleich fällt, trägt eine Plakette mit der Nr. 1. Hugues Bouttier, Kinnbart,
23 Jahre, steht mit Helm, Klettergurt und Kettensäge bereit, den Stamm in luftiger
Höhe zu entästen.

O-Ton
„Es ist genial. Ein historischer Moment. Ich lasse nur den Mittelteil der Krone dran.
Er mindert den Aufprall, damit es keine Risse gibt. Es ist eine Ehre, einen Baum für
Notre Dame zu schlagen. Das gibt‘s nur einmal im Leben.“

Flugs ist Hugues oben und sägt los. Die kräftigen Äste krachen zu Boden.
In allen Regionen Frankreichs haben sich die Forstleute mobilisiert, um 1000
Eichen für Notre Dame zu spenden. Die eine Hälfte stammt aus Staatswald, die
andere aus Privatforst. Hugues ist wieder unten. Und dann kippt die Eiche so
schnell um, dass manch Zuschauer nicht mal die Videofunktion auf dem Handy
starten konnte.

                                                                                        7
Der Aufprall erschüttert den Waldboden auch noch in 100 m Entfernung.
Forsttechniker Anthony Jeanneau geht als 1. zum Baum - mit einem Riesen-
Messschieber, Messkluppe genannt.

O-Ton
„Die Dimension des Baumes? An der Basis 105 cm im Durchmesser. Allein der
Stamm ist 20 m lang. Die Eiche ist gleichmäßig gewachsen, zylindrisch, das macht
sie interessant. Die Jahresringe sagen mir, dass sie nicht mehr ganz jung ist. Etwa
220 Jahre alt. Sie hat viele raue Winter und heiße Sommer erlebt. Und war viel
widerstandsfähiger als wir Menschen!“

Insgesamt wurden acht Eichen aus Bercé für Notre Dame ausgewählt.
Verantwortlich: die einzige Frau im Forstteam vor Ort, Claire Quinones.

O-Ton
„Sie können Jahrhunderte in der Kathedrale bleiben. Das ist großartig. Wir geben
den Bäumen ein 2. Leben. Wie alle großen Staatswälder war auch dieser einst im
Besitz der Krone. Colbert, Finanzminister beim Sonnenkönig Ludwig dem 14., hat
vor rund 400 Jahren begonnen, die Forste zu verwalten. Sie brauchten große
Bäume. Damals für Schiffe, heute für die Kathedrale.“

Ein Holz-Vollernter mit spitzem Greifer schnappt den dicken Stamm und
transportiert ihn ab. Anfang 2023 bekommen die Zimmerleute das Holz, weiß
Ayméric Albert, Vertriebsdirektor der Forstbehörde.

O-Ton
„Er ist perfekt, ganz gesund. Bei so einem Baum kostet der Kubikmeter 1000 Euro.
Dieser hier entspricht genau den Vorgaben der Architekten. Auf diesen Balken
wird der neue Spitzturm ruhen. Wir wissen exakt, wo das Holz eingebaut wird. “

Die Anspannung ist gewichen. Man scherzt, verabredet sich zum Mittagessen.
Forsttechniker Yvan Sevrée rollt sein Maßband ein.

O-Ton
„Das war eine Challenge und eine Ehre für uns, für Notre Dame zu arbeiten. Wir
machen Platz für eine neue Eichengeneration. Die kleinen sind schon da, 1,50
hoch. Wir hinterlassen also auch ein Erbe. Treffen wir uns wieder – in 200 Jahren!“

Bis Juli 2021 laufen die letzten Sicherungsarbeiten: Die Strebebögen, die das
Kirchenschiff von außen stützen, werden mit hölzernen Unterbögen stabilisiert.
Im Sommer 2021 ist die Kathedrale vom Schutt befreit. Die Reste des Spitzturms
werden gefunden. Und im Pariser Architektur-Museum kann man 16 Wunder
bestaunen - die 16 Statuen der Apostel, die den Spitzturm schmückten. Sie waren
fünf Tage vor dem Brand zur Restaurierung abgebaut worden.
Großreinemachen in Notre Dame ab Oktober 2021 für 6 Monate. Gleichzeitig
untersuchen Kunsthistoriker die bunten Kirchenfenster in den großen Rosetten auf
Augenhöhe. Einmalig – bislang ging das nur durchs Fernglas.

                                                                                      8
2022 geht es Schlag auf Schlag: Im Februar beginnen Ausgrabungen in der
Kathedrale. Bald unerwartete Sensationsfunde, teils aus nur 15 Zentimeter Tiefe:
Zwei Bleisarkophage und farbige Reste des Lettners aus dem 13. Jahrhundert
lagen teils nur 15 Zentimeter unter dem Kathedralenboden.
Im März in einem Steinbruch 80 km nordöstlich von Paris: Hier werden Blöcke
geschlagen, die beschädigte Pfeiler, Wände und Dekor ersetzen sollen.
Im April – der 3. Jahrestag des Brandes: der Elan ungebrochen, das Herz dabei.

O-Ton 8 Reportage –
Notre Dame 3 Jahre nach dem Brand – Julia Borutta - 14. 04. 2022

Notre-Dame ist immer noch abgesperrt, ein hoher Bretterzaun verdeckt die Sicht
auf den Eingang der Kathedrale. Selbst an diesem regnerischen Tag kurz vor
Ostern stehen mehrere Besucher-Gruppen vor dem Zaun mit den künstlerischen
Graffiti, die vom Brand, vom Schock, von der Sehnsucht erzählen, die Kirche
wieder betreten zu können. Keine 200 Meter Luftlinie entfernt, in der rue
Chanoinesse, empfängt Monsigneur Chauvet, der Domdekan der Kathedrale. Er
strahlt Gelassenheit aus und Zuversicht.

O-Ton
„Es ist spektakulär, wie bei der Säuberung des Gemäuers die mittelalterlichen
Steine und Farben freigelegt werden. Weiße Steine! Das wird die Menschen
übrigens ein bisschen durcheinanderbringen, denke ich. Wenn sie in die
Kathedrale kommen, werden sie sie anders vorfinden als vorher. Sie wird zum
Beispiel viel heller sein. Früher war sie ja eher ein bisschen düster. Die hellen Steine
verändern einiges, zum Beispiel muss man die Beleuchtung neu denken.“

Oder den Klang. Bertrand Longuedocienne und Pascal Quoirin kümmern sich um
die große Orgel von Notre-Dame, die Größte Frankreichs. Zwar muss die
Windlade restauriert werden, das Orgelgehäuse auch. Aber die Pfeifen
brauchen nur eine gründliche Reinigung. Wie, das erklären die Orgelbauer an
einem kleinen Modell, das sie unweit der Kathedrale in einem Kloster aufgebaut
haben. Denn rein in die Kirche dürfen Besucher längst noch nicht. Zu gefährlich.

O-Ton
„Wenn wir zum Beispiel in voller Schutzausrüstung die Stufen zur Orgel hochlaufen,
sind wir verpflichtet in der Mitte anzuhalten und 2 Minuten Pause zu machen.
Vorschrift wegen des Bleis, das immer noch in der Luft liegt, weil ja das Dach
geschmolzen ist. Und wenn wir mal einen Kaffee trinken wollen, müssen wir
wieder runter in die Basisstation, die Klamotten ausziehen, Duschen, Ölzeug
anziehen, kurz den Kaffee schlürfen und dann das Ganze von vorne.“

Drei verschiedene Orgelbau-Unternehmen aus dem ganzen Land teilen sich die
Arbeit. Ab dem Sommer sollen die Pfeifen nach und nach wieder eingesetzt
werden. Der Aufbau der Orgel wird ein ganzes Jahr in Anspruch nehmen, erklärt
Bertrand Languedocienne.

                                                                                       9
O-Ton
„Nach der Montage beginnt die klangliche Harmonisierung. Das wird dann noch
einmal 6 Monate intensive Arbeit – quasi Tag und Nacht.“

Dennoch wird die Orgel von Notre-Dame kaum wiederzuerkennen sein, meint
Quorin.

O-Ton
„Sie wird nicht wie vorher klingen. Die restaurierten Wände, die Sauberkeit. Das
alles verändert den Klang.“

Notre Dame wird dieselbe, aber doch nicht die alte sein.

In weißen Anzügen und Helmen nehmen Glasfenstermeister wie Raumfahrer im
Außenbordeinsatz im Juni 2022 39 Oberfenster ab. Vier von ihnen kommen nach
Köln. Die Dombauhütte dort schenkt ihnen neuen Glanz.
August ’22: Von Bleistaub und Ruß befreit, wird nun auch vom letzten Kapitell der
hartnäckige Schmutz entfernt. Mit einer Art Schönheitsmaske aus Latex.
Im November ‘22 werden Statuen gereinigt und im Nordquerschiff ist das erste,
durch den eingestürzten Vierungsturm niedergerissene Gewölbe restauriert.
Bislang lief viel unsichtbar im Inneren. 2023 bringt eine sichtbare Sensation. Zum 4.
Jahrestag des Brandes bekommt Notre Dame den Spitzturm zurück!

O-Ton 9 Reportage
Generalprobe für den Spitzturm - Carolin Dylla – 16. 03. 2023

Wir sind tief im Osten Frankreichs – in Briey, einem kleinen Ort nahe der deutschen
Grenze. Ein unscheinbares Industriegebiet; auf den ersten Blick kaum mehr als
Hallen, Parkplätze, Tore. Und doch ist dieser Ort etwas Besonderes. In einem
Hangar von rund 8.000 Quadratmetern wird hier der hölzerne Spitzturm der
Kathedrale nachgebaut. Eine monumentale Aufgabe – auch für Profis wie
Aurélien Duclos. Der 41-Jährige Zimmermann ist einer von rund 40 Spitzen-
Handwerkern, die aus ganz Frankreich kommen und seit Monaten in Briey den
hölzernen Spitzturm wieder aufbauen.

O-Ton
„Ich hab die Baustelle, glaub‘ ich, ein bisschen unterschätzt. Als ich den Turm zum
ersten Mal gesehen habe, dachte ich: Okay, vermutlich ist das so ein klassischer
Spitzturm; vielleicht ein bisschen höher als andere. Und als ich dann die Pläne in
den Händen hatte, musste ich mich erstmal hinsetzen. Diese Konstruktion ist
unglaublich.“

110 Teile hat allein der Sockel des Turms, der über dem Kreuzschiff der Kathedrale
aufragt. Wie man da den Überblick behält? Aurélien lächelt. Jedes einzelne Teil
hat eine Nummer bekommen. Schon bevor auch nur eine Säge angesetzt
wurde, war also klar, welches Teil später wo hinkommt. Außerdem wurde die

                                                                                   10
Struktur des Holzes genau analysiert, erklärt Aurélien.

O-Ton
 Es gibt Hölzer, deren Fasern verdreht sind. Der Baum ist sozusagen gewachsen
wie eine Schraube – in sich verdreht. Wenn man solche Stücke schneidet, kann
man die Fasern zertrennen und Sollbruchstellen erzeugen. Heißt also: wenn der
Balken große Kräfte aushalten muss, wie der Sockel des Turms, dann sind solche
Stücke nicht gut geeignet.“

Auf dem Außengelände werden die fertigen Teile probeweise zusammengesetzt.
Eine kleine Hebebühne fährt Arbeiter mit weißen Baustellen-Helmen nach oben.
Allein der Sockel ist sechs Meter hoch. Der komplette Turm noch elfmal höher.
Olivier Piedefer kommt aus der Normandie – und baut eigentlich vor allem
Fachwerkhäuser. Seit 40 Jahren ist er Spezialist für die Bearbeitung von altem
Eichenholz. Alles hier werde so originalgetreu wie möglich restauriert, erklärt
Olivier. So, wie es auch der berühmte Architekt des Spitzturms, Eugène Viollet-Le-
Duc im 19. Jahrhundert gemacht hat.

O-Ton
 Ich bin fasziniert von Viollet-Le-Duc, hab fast alle seine Bücher gelesen. Als er
1860 den Spitzturm neu gebaut hat, hat er die komplette Konstruktion selbst
entworfen. Wir arbeiten genau wie er auch mit metallenen Fixierbolzen – die gab
es im ersten Turm aus dem 13. Jahrhundert nicht. Aber der war auch nicht allzu
stabil.“

Der hölzerne Spitzturm habe eine besondere Bedeutung, sagt General Jean-Louis
Georgelin. Der ehemalige Generalstabschef der französischen Streitkräfte ist
Sonderbeauftragter des Präsidenten und koordiniert den gesamten
Wiederaufbau der Kathedrale.

O-Ton
 Das ist das Herzstück der Restaurierung. Denn als Viollet-Le-Duc den Spitzturm
gebaut hat, war das die Vollendung dieser gotischen Kathedrale – auch wenn er
ihn im 19. Jahrhundert gebaut hat. Und in der Nacht vom 15. auf den 16. April
2019 wurde der einstürzende Turm zum Symbol für die Katastrophe.“

Ende nächsten Jahres soll die Kathedrale wieder öffnen, sagt Georgelin.

O-Ton
Im Dezember 2024 sollen wieder Gottesdiente stattfinden können – und auch
Besucher wieder nach Notre Dame kommen. Dann bleiben aber noch
Außenarbeiten!“

Nach der erfolgreichen „Generalprobe“ in Briey werden die Teile des Sockels
nach Paris gefahren – und sollen dort zum Jahrestag des Brandes auf das
Kreuzschiff der Kathedrale gesetzt werden.

                                                                                11
Sie können auch lesen