SWR2 Wissen Die Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes Von den Anfängen bis zur Bundesliga
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Wissen Die Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes Von den Anfängen bis zur Bundesliga Von Eduard Hoffmann und Jürgen Nendza Sendung: Freitag, 12. Dezember 2014, 8.30 Uhr Redaktion: Udo Zindel Regie: Maria Ohmer Produktion: SWR 2013 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Die Manuskripte von SWR2 Wissen gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iPhone oder das iPad gibt es z.B. die kostenlose App "iBooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. Für Webbrowser wie z.B. Firefox gibt es auch sogenannte Addons oder Plugins zum Betrachten von E-Books: Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de
MANUSKRIPT Musik Preußische Marschmusik Zitator: „Meine Damen und Herren! Die Zeit ist gekommen, die Notwendigkeit liegt vor, einen wohlorganisierten und Achtung gebietenden Deutschen Fußball-Bund ins Leben zu rufen. Analog den Turnern, Radfahrern und Schwimmern wollen wir durch einheitliches Zusammenstreben (…) unserem Fußballsport das Ansehen und die Achtung verschaffen, die ihm in hohem Maße gebührt.“ Sprecher: Es war der 28. Januar 1900: Im Restaurant Mariengarten eröffnete Johannes Kirmse, der Vorsitzende des Verbandes Leipziger Ballsportvereine, den ersten allgemeinen deutschen Fußballtag. 36 Delegierte, die insgesamt 86 Fußballclubs aus dem ganzen Deutschen Reich vertraten, waren in Leipzig zusammen gekommen. Sie gründeten den bis heute bestehenden DFB. Atmo: Fußballstadion Ansage: Die Geschichte des Deutsche Fußball-Bundes – Von den Anfängen bis zur Bundesliga. Eine Sendung von Eduard Hoffmann und Jürgen Nendza. Sprecher: Seit mehr als einem Jahrhundert gehört der Deutsche Fußball-Bund zu den einflussreichsten Verbänden Deutschlands. Und das trotz seiner lange Zeit beharrlichen national-konservativen und frauenfeindlichen Ideologie, von den Anfängen in der Kaiserzeit bis ins 21. Jahrhundert. Mitte des 19. Jahrhunderts hatten englische Gentlemen den Fußballsport aus ihrer Heimat nach Deutschland gebracht. Sie hielten sich in Handelszentren wie Berlin, Residenzstädten wie Braunschweig oder Modebädern wie Bad Cannstatt auf und pflegten dort ihr gewohntes Fußballspiel. Ihrem Beispiel folgend gründete der Braunschweiger Turnlehrer Konrad Koch 1874 dann den ersten deutschen Schüler- Fußballverein. Der 2008 verstorbene Fußballchronist Hans Dieter Baroth erzählte: Hans Dieter Baroth: In der Anfangsphase war es so, dass es Bürgersöhne waren, deswegen sind ja die ganz alten Vereine alle aus angesehenen Stadtteilen, der VFB Stuttgart, die Stuttgarter Kickers, das waren alles sehr noble Vereine, wo die aufsässigen Kinder des Bürgertums den Mannschaftssport prägten. Sprecher: Bis zum Ersten Weltkrieg spielten vor allem wohlhabende Bildungsbürger, Kaufleute und Angestellte Fußball. Sie hatten genügend Freizeit und konnten sich das kostspielige Sportvergnügen leisten. Arbeitern wurde in vielen Vereinen noch die Mitgliedschaft verweigert. Doch im deutschen Kaiserreich blieb Fußball eine 2
Randsportart und die Spieler wurden häufig angefeindet. Schülern, die in der Öffentlichkeit beim Kicken erwischt wurden, drohte Arrest. Das Spiel galt der Obrigkeit lange Zeit als zu exotisch, zu rau und jugendgefährdend. Vor allem die einflussreiche Deutsche Turnerschaft machte Front gegen das neue Spiel. Fußball sei „englisches Unkraut“, „undeutsch“ und gehöre „ausgemerzt“. Der angesehene Stuttgarter Turnlehrer Karl Planck schimpfte noch 1898, Fußball sei eine Zitator: „englische Krankheit, ein dem Hundstritt abgeschautes, widernatürliches Spiel, das den Menschen zum Affen erniedrigt“. Sprecher: Diese Vorwürfe waren eine schwere Bürde für die gesellschaftliche Anerkennung des jungen Sports, vor allem aber auch für den neu gegründeten bürgerlichen Deutschen Fußball-Bund, erklärt der Fußballhistoriker Arthur Heinrich: Arthur Heinrich: Der Fußball war eindeutig eine Importware, er kam aus England, England galt wie Frankreich als Erzfeind, als Hauptkonkurrent für die weltmachtpolitischen Ambitionen des Kaiserreichs. Man versuchte sich gesellschaftlich dadurch zu etablieren, dass man gesagt hat, es stimmt alles so gar nicht. Wir sind deutsch, wir sind deutschnational. Der Fußball ist ein deutsches Spiel. Musik: Militärmarsch Sprecher: Den Durchbruch zur gesellschaftlichen Anerkennung des Fußballspiels und des DFB schafften die Vereinsfunktionäre aber erst durch den strategisch raffinierten Schulterschluss mit dem damals gesellschaftsprägenden Militär. Arthur Heinrich: Diese Kooperation zwischen Fußball und Militär, die ist völlig problemlos eigentlich für die Fußballer und für die Militärs, weil es keine ideologischen Differenzen gibt zwischen beiden. Man ist national orientiert, man hat sich den politischen Zielen des Kaiserreichs als Fußballer verschrieben, jedenfalls auf der Führungsebene, und das kann man für diese Zeit auch runter verfolgen bis auf die Vereinsebene. Sprecher: Deutsche Militärs waren von dem neuen Sport bald angetan und beide Seiten sahen Parallelen zwischen kriegerischer und fußballerischer Kampfkunst. Der Schriftführer des DFB, Walter Sanss, erklärte 1908 die Grundfeste des Fußballspiels so: Zitator: „Wie zwei gerüstete Heere ziehen die Spielparteien auf dem Spielfeld gegeneinander zu Angriff und Verteidigung. Ein jeder hat den Platz, auf welchen er gestellt ist, mit dem Aufgebot aller körperlichen und geistigen Mittel und Kräfte zum Vorteil seiner Partei auszufüllen und alles zu tun, um seinen Leuten, seiner Farbe den Sieg zu sichern“. 3
Sprecher: Soldatische Tugenden wie Ausdauer, Kampfkraft, Entschlossenheit – und zugleich Gehorsam und Unterordnung – wurden auch von Fußballern erwartet. 1910 wurde der Fußballsport in die Ausbildungspläne der Armee aufgenommen. Dem Deutschen Fußball-Bund war es gelungen, das Spiel im Zeichen von Nationalismus und Vaterlandskult zu etablieren. Zu dieser Zeit liefen die Vorbereitungen auf den Ersten Weltkrieg bereits auf Hochtouren. Auf deutschen Werften lief ein Panzerkreuzer nach dem anderen vom Stapel, Stahlwerke produzierten Kanonen. Aber das Militär beklagte das Fehlen einer kriegstauglichen Jugend. Noch 1913 galt nur die Hälfte aller im Kaiserreich Gestellungspflichtigen als für den Militärdienst geeignet. Um ihre Tauglichkeit zu verbessern, hatte sich bereits 1911 der paramilitärische „Jungdeutschlandbund“ gegründet, ein Dachverband deutschnationaler Vereinigungen, zu denen federführend auch die Deutsche Turnerschaft gehörte. Mit Liegestützen und Klimmzügen, mit Geländeläufen und Gymnastik sollte die Jugend stark und willig gemacht werden für die Schützengräben und den Kampf Mann gegen Mann. Auch der DFB schloss sich dem „Jungdeutschlandbund“ an. Die Fußballer sahen ihr Spiel als “maßgebliche militärische Vorbereitung der Jugend“. Zitator: „Jetzt hat auch der Sport bei uns seine Daseinsberechtigung bewiesen“, Sprecher: verkündet Oberleutnant Dietrich von Hülsen im Jahre 1912. Zitator: „Er ist Eigentum der Nation geworden. Dies gilt insbesondere vom Fußballsport. Ich halte ihn für eine der besten, der segensreichsten Betätigungen zum Heile der Wehrkraft unserer Nation.“ Sprecher: Geradezu vorbildlich fand die Militärführung auch die streng hierarchischen Verbandsstrukturen des Deutschen Fußball-Bundes. Kriegsminister Erich von Falkenhayn lobte im DFB-Jahrbuch 1913: Zitator: „Als besonderen Vorzug bei Ihrem Sport schätze ich die Erziehung zur selbstlosen Opferwilligkeit des einzelnen … und ebenso die Unterwerfung unter die Anordnungen des Parteiführers, des Schiedsrichters und in größeren Verhältnissen des Bundesvorstandes. Das sind disziplinfördernde Eigenschaften, deren eifrige Weiterpflege von Ihrer Seite dem Heeresersatz zum Vorteil gereichen werden.“ Atmo: Aufmarschierende Soldaten, Gleichschritt, Flugzeuge, Maschinengewehr Sprecher: Der Forderung nach einer Erziehung zur selbstlosen Opferwilligkeit folgte bald die Katastrophe des Ersten Weltkriegs. Der DFB feierte das Gemetzel anfangs noch als 4
„Riesenländerspiel“. In Reih und Glied marschierten sportgestählte Fußballer in ihren Untergang – im Trommelfeuer, in Grabenkämpfen, in Gas- und Bombenkrieg. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde dem Deutschen Reich von den Siegermächten die alleinige Kriegsschuld zugesprochen. Der Versailler Vertrag und die enorm hohen Reparationsforderungen der Alliierten bedeuteten eine schwere wirtschaftliche und psychologische Bürde für Deutschland. Doch zum ersten Mal entstand ein demokratischer deutscher Staat – die Weimarer Republik. Das ließ die Fußballfunktionäre aber völlig unberührt. Die DFB-Oberen sahen nach dem Ende des Krieges, nach 17 Millionen Toten und unbeschreiblichen Verheerungen, weder einen Anlass zur Selbstkritik, noch einen Grund umzudenken. Unbeugsam hielt der Verband an seiner national-konservativen Einstellung aus der Kaiserzeit fest. Paul Klose, der Kriegsvorsitzende des Westdeutschen Spielverbandes, machte in der Zeitschrift „Fußball und Leichtathletik“ 1918 deutlich: Zitator: „Wir brauchen nicht demokratisch umzulernen und es wäre ganz verkehrt zu glauben, die politische Umwälzung müsse auch bei uns alles umwerfen und ändern.“ Sprecher: Jahrelang untersagte der DFB seinen Vereinen noch Begegnungen mit Clubs ehemaliger Kriegsgegner. Vor allem Kontakte mit Fußball-Clubs aus Frankreich waren verpönt. In Deutschland selbst war den Vereinen jeder sportliche Austausch mit „feindlichen Ausländern“, wie es hieß, verboten. Gegen Teams belgischer oder britischer Besatzungstruppen durften deutsche Fußballer nicht spielen. Musik: Brüder, zur Sonne, zur Freiheit Sprecher: Fußball wurde in der Weimarer Republik nicht nur beim bürgerlichen DFB, sondern auch in konfessionellen und politischen Organisationen gespielt. So auch im sozialistischen Arbeiter,- Turn- und Sport-Bund, dem ATSB, der sich zum größten Konkurrenzverband des DFB entwickelte – mit einer politisch liberaleren Haltung. Bereits 1920 spielten Vereine des ATSB um die Bundesmeisterschaft. Vier Jahre später startete der Verband sein erstes von insgesamt 76 Länderspielen. Die Arbeiternationalelf spielte in Paris gegen eine französische Arbeiterauswahl und gewann mit 3:0. Die Partie gegen den ehemaligen Kriegsgegner stand für die Arbeiterfußballer ausdrücklich im Zeichen „antichauvinistischer Völkerverständigung“. Mit ihr wurden gleichzeitig die deutsch-französischen Sportbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg wieder aufgenommen. Der DFB hingegen hob seinen Länderspielboykott gegen ehemalige Kriegsgegner erst gegen Ende der Weimarer Republik auf. 1931 spielte die Nationalelf erstmals wieder gegen Frankreich, 1933 dann gegen Polen und Belgien. Bei Länderspielen ließ der DFB aber lange Zeit nicht die schwarz-rot-goldene Fahne der Republik wehen, sondern die längst untergegangene schwarz-weiß-rote des Kaiserreiches. Atmo: aufmarschierende Soldaten 5
Arthur Heinrich: Also wenn man die Endphase der Weimarer Republik beziehungsweise die Anfänge des Nationalsozialismus nimmt, dann ist das von den Nationalsozialisten propagierte Führerprinzip eben eines jener ideologischen Momente gewesen, was beim DFB ausgesprochen euphorisch adaptiert worden ist. Also es gibt diese Formulierung, dass man Schluss gemacht hat mit dem Prinzip der Vielrednerei und wie das alles hieß, also diese Beschimpfungen des Parlamentarismus sind ja unendlich in der Weimarer Republik. Sprecher: Vom Führerprinzip und dem autoritären Gemeinschaftsideal bis zur nationalsozialistischen propagierten Ideologie der „Volksgemeinschaft“ war es nur ein kleiner Schritt. Sporthistoriker Professor Lorenz Peiffer von der Universität Hannover erläutert: Lorenz Peiffer: Wir sind schon der Meinung, dass der DFB als ein so genannter bürgerlicher Verband natürlich auch ein politisches Weltbild mittransportiert hat, wobei man natürlich nicht einfach sagen kann, dass der DFB ein Vorläufer der Nazis gewesen ist, aber es gibt natürlich Affinitäten, die einfach nicht zu leugnen sind, das sind antidemokratische Kontinuitäten, die ja so hinübergerettet werden dann, die aufgenommen werden in der Zeit des Nationalsozialismus, und ich denke, das muss man auch herausstellen, dass es durchaus eine politische Verantwortung seitens des Verbandes gab, dass man sich so nahtlos in dieses Regime der Nazis mit eingeordnet hat. Sprecher: Bereits Mitte April 1933, zehn Wochen nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, ordnete der Deutsche Fußball-Bund in vorauseilendem Gehorsam an, dass jüdische Mitglieder ausgeschlossen werden müssen: Zitator: „Der Vorstand des DFB hält Angehörige der jüdischen Rasse (…) in führenden Stellen der Landesverbände und Vereine nicht für tragbar. Die Landesverbände und Vereine werden aufgefordert, die entsprechenden Maßnahmen zu veranlassen.“ Sprecher: Kaum einer der Funktionäre des DFB hatte Schwierigkeiten mit der Gleichschaltung durch die Nazis und mit deren politischen und ideologischen Zielen, erzählt Sporthistoriker Lorenz Peiffer: Lorenz Peiffer: Im Vergleich zu einigen anderen Verbänden, die ihr Führungspersonal ausgetauscht haben oder austauschen mussten, ist also dieses Führungspersonal beim DFB in Funktion geblieben, wobei die Funktionen dann ja anders benannt wurden, eben halt nicht mehr Präsident, sondern Führer, und auch diese Funktion, soweit sie nicht verstorben sind, in der Zeit nach 1945 weitestgehend beibehalten haben. Sprecher: Auch für den damaligen DFB-Vorsitzenden Felix Linnemann, dem der Verband noch 1955 in einem Nachruf „Organisationstalent, klaren Blick für die Entwicklung und 6
Sauberkeit im Charakter“ bescheinigte, war die Gleichschaltung kein Problem. Im Gegenteil – 1933 sagte Linnemann, dass die Aufgabe des DFB darin bestehe, Zitator: „seine Mitglieder zu staatstragenden, einsatzbereiten Volksgenossen des nationalsozialistischen Staates heranzubilden“. Sprecher: Regierungs- und Kriminaldirektor Felix Linnemann war 1937 in die NSDAP und 1940 in die SS eingetreten. 1944 stieg er zum SS-Standartenführer auf. Nach der Gleichschaltung des DFB war Linnemann zum Reichsfachamtsleiter für Fußball, Rugby und Kricket ernannt worden. Sporthistoriker Lorenz Peiffer hat intensiv zu Linnemann geforscht und zweifelsfrei nachgewiesen, Lorenz Peiffer: dass er letzten Endes mit verantwortlich war für die Deportierung der Sinti und Roma. Sprecher: Viele DFB-Funktionäre betrachteten Hitler als – Zitat – „Befreier und Erlöser“ und begrüßten die Machtergreifung als – Zitat – „Aufbruch und Chance“. So auch DFB- Jugendwart Wilhelm Erbach vom Westdeutschen Spielverband. Die Fußballmannschaft betrachtete er als Instrument der „Volksgemeinschaft“ zur Disziplinierung des Individuums. Erbach wollte „eine absolut systemkonforme, dem Nationalsozialismus vollends hörige junge Generation“ heranbilden, die vor allem zu gehorchen und zu schweigen vermochte. Er schrieb 1934 im DFB-Organ Deutscher Fußball Sport: Zitator: „Eine so erzogene Jugend wird sich mit Stolz deutsch nennen und bereit sein, alles für die Erhaltung Deutschlands einzusetzen; sie ist wehrfähig und wehrwillig zugleich.“ Sprecher: Den Fußball-Spielbetrieb veränderten die Nationalsozialisten kaum. Aus den höchsten regionalen Spielklassen, die noch 1932 existierten und den Deutschen Meister ermittelten, formten sie 16 Gau-Ligen, von Ostpreußen bis zum Niederrhein, von der so genannten Nordmark bis nach Bayern. Nach der Annektierung Österreichs im März 1938 nahmen auch österreichische Vereine an den Meisterschaftsspielen teil. Die gewaltsame Eingliederung Österreichs hatte für die deutsche Nationalelf gravierende Folgen. Bei den olympischen Propagandaspielen 1936 hatten die deutschen Fußballer versagt und waren schon im Viertelfinale gegen Norwegen ausgeschieden. Bei der Weltmeisterschaft 1938 in Frankreich sollte eine gemeinsame schlagkräftige Mannschaft aus den technisch versierten Österreichern und den kraftvollen und konditionsstarken Deutschen alle Welt von der Unbezwingbarkeit des Regimes überzeugen. Reichstrainer Sepp Herberger sah dem ganzen mit unguten Gefühlen entgegen, wie er nach dem Krieg erzählte: Archivaufnahme – Sepp Herberger: Es gab für jeden Einsichtigen und einigermaßen Sachkundigen gar keine Frage darüber, dass jede der beiden Mannschaften besser abgeschnitten hätte als die zusammen Fusionierte. 7
Sprecher: Herberger hatte sich mit seiner sorgsam vorbereiteten „Breslau-Elf“, die im Frühjahr 1937 in Breslau Dänemark mit 8:0 vom Platz gefegt hatte und 16 Mal hintereinander unbesiegt blieb, große Chancen bei der Weltmeisterschaft in Frankreich ausgerechnet. Nun funkte die Politik dazwischen und wollte eine deutsch-österreichische Auswahl. Atmo: Reportage WM 1938 D-CH Sprecher: Die so genannte „großdeutsche“ Elf scheiterte im Entscheidungsspiel gegen die kleine Schweiz mit 2:4 und schied aus. Etwas mehr als ein Jahr später griffen deutsche Truppen Polen an und begannen so den Zweiten Weltkrieg. Mehr als 60 Millionen Menschen kamen in den sechs Jahren dieses verheerendsten Krieges der Menschheitsgeschichte um. Nach 1945 verboten die Alliierten zunächst alle Sportvereine. Sie galten als Träger faschistischer Ideologie und als paramilitärische Institutionen. Das Verbot wurde aber schon bald wieder gelockert, und aus den alten Vereinen heraus gründeten sich schnell neue Klubs. In Leipzig sahen 40.000 Zuschauer im Juli 1948 das Finale der ersten „Ostzonen-Meisterschaft“. Die Betriebssportgemeinschaft Planitz gewann mit 1:0 gegen die SG Freiimfelde Halle. In Westdeutschland trafen im ersten Nachkriegsfinale um die Deutsche Fußball-Meisterschaft in Köln am 8. August 1948 der 1. FC Nürnberg und der 1. FC Kaiserslautern aufeinander. Atmo: Stadion Sprecher: Das Müngersdorfer Stadion war mit 70.000 Zuschauern restlos ausverkauft. 300.000 Kartenanfragen hatte es aus ganz Deutschland gegeben. Atmo – Reportage, Endspiel: „Das Spiel ist aus, Nürnberg hat gewonnen, Nürnberg ist Deutscher Meister, und jetzt strömen die Tausende, das Spielfeld ist schwarz, auf den Platz. Sie umarmen ihre Nürnberger, und hoch gehen die weißen Fähnchen mit dem roten Kreis und dem 1. FCN drin, und die Begeisterung des Volkssports Fußball ist riesengroß.“ Sprecher: Schon früh waren auch die alten DFB-Funktionäre wieder aktiv. Viele hatten es verstanden, die Entnazifizierungsbehörden zu täuschen und ihre nationalsozialistische Gesinnung zu vertuschen. Noch vor der Gründung der Bundesrepublik wurde – gegen den scharfen Protest der Westalliierten – im Sommer 1949 in Stuttgart-Bad Cannstatt der Deutsche Fußball-Bund neu gegründet. Der Ablauf der Vorstandswahlen machte das Demokratieverständnis der neuen alten Fußball-Funktionäre deutlich: Etwas voreilig hatten sie das Wahlergebnis vorweg genommen und im offiziellen Programmheft abgedruckt. Neuer DFB-Präsident wurde der Kölner Bauunternehmer Peco Bauwens, der während der Nazi-Zeit unter anderem als deutscher FIFA-Vertreter versucht hatte, die Machtansprüche der Nationalsozialisten auch im internationalen Dachverband durchzusetzen. 8
Arthur Heinrich: Er schafft es, in den unmittelbaren Nachkriegsjahren ein personelles Geflecht aufzubauen von Leuten, die zum Teil eben von früher her schon engagiert waren, zum Teil bindet er aber auch neue Leute ein und schaffte es, dass sie auch politisch sozialisiert werden gleichzeitig dabei, so dass abweichende Haltungen irgendwie minimiert werden, wenn sie nicht ganz ausgeschlossen sind. Und er schafft es auf diese Weise den DFB in einer Form wiederzugründen, die so aussieht, dass es tatsächlich der alte Verband wieder ist. Dass also die Anzahl von neuen Leuten in den Führungsgremien, dass die relativ begrenzt ist, dass die politische Ausrichtung des Verbandes im Grunde genommen auch unverändert bleibt. Es ist keine Neugründung, weder in personeller, noch in politischer oder in ideologischer Hinsicht. Sprecher: In der Bundesrepublik organisierte der DFB bald konkurrenzlos den Fußballsport. Andere Vorkriegsverbände wie der Arbeiter-, Turn- und Sportbund blieben seit der Machtergreifung der Nazis 1933 zerschlagen. Bald gab es auch wieder eine deutsche Fußball-Nationalelf. Zur ersten internationalen Begegnung nach dem Zweiten Weltkrieg kam es am 22. November 1950 gegen die Auswahl der Schweiz. Im Stuttgarter Neckarstadion sahen 100.000 Fußballfans dicht gedrängt den 1:0-Sieg der Herberger- Elf. Das Rückspiel und damit der erste Nachkriegs-Auftritt einer deutschen Elf im Ausland fand am 15. April 1951 in Zürich statt. Atmo – Reportage: „Achtung, Achtung, hier meldet sich der deutsche Rundfunk aus Zürich. Ein schöner, ein beglückender Tag für den deutschen Sport, denn wir dürfen Ihnen, liebe Hörer in Deutschland, vom ersten Spiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft im Ausland nach 9-jähriger Pause berichten.“ Sprecher: Das „Wunder von Bern 1954“, der überraschende Gewinn der Weltmeisterschaft, löste in ganz Deutschland eine Fußball-Euphorie aus. DFB-Ehrenpräsident Egidius Braun sagte: Archivaufnahme – Egidius Braun: Da wurden die Menschen aus der Depression herausgeführt und „wir sind doch wieder wer". Sprecher: "Wir sind wieder wer", davon schien auch DFB-Präsident Peco Bauwens überzeugt, als er – vom vielen Feiern schon alkoholisiert – in einer Rede beim Empfang im Münchner Löwenbräu-Keller aus tiefstem Herzen deutschnationale, ja chauvinistische Töne anschlug. Unter anderem sprach Bauwens von der „Repräsentanz besten Deutschtums“. Der Sieg habe gezeigt, „dass es Schatten auf dem deutschen Volk nicht mehr geben“ könne". Archivaufnahme – Peco Bauwens 1954: Da haben die Jungens es wirklich gezeigt, was ein gesunder Deutscher, der treu zu seinem Lande steht, zu leisten vermag. Sie haben ans Vaterland gedacht; ich schließ mich an, das halte fest, mit deinem ganzen Herzen, und hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft. 9
Sprecher: Als der DFB-Präsident auch noch das „Führerprinzip“ beschwor, brachen Hörfunk- Redakteure des Bayerischen Rundfunks entsetzt die Live-Übertragung der Rede ab und sendeten stattdessen Tanzmusik. Musik Arthur Heinrich: Auch das ist für mich ein Ausweis der Tatsache, dass nach 45 es innerhalb dieses Verbandes überhaupt keine Bemühungen gegeben hat, sowas wie eine Neuausrichtung zu probieren zumindest, die dann auch mit einer personellen Neuaufstellung hätte verbunden sein müssen. Der Versuch ist einfach nicht gemacht worden. Sprecher: In den Jahren nach 1954 blieb das Abschneiden der Nationalelf weit hinter den Erwartungen zurück. Auch die Bilanz der Vereine in den neu gegründeten Europapokal- Wettbewerben fielen mehr als bescheiden aus. Hinzu kam, dass mehr und mehr Nationalspieler den Verlockungen des Geldes folgten und in ausländische Profiligen abwanderten. In Fachkreisen verlangte man nach einer Professionalisierung des deutschen Fußballs, insbesondere durch eine Elite-Liga. Doch erst im Sommer 1962 beschlossen die DFB-Funktionäre eine eingleisige Spitzenklasse. Am 24. August 1963 startete dann die Fußball-Bundesliga in ihre erste Saison. Atmo – Reportage: 1. Bundesligaspieltag: Guten Tag verehrte Sporthörer, zum ersten Mal treffen wir uns zu dieser Stunde und auf dieser Welle, um Ihnen vom Deutschen Meisterschaftsfußball zu berichten. Heute beginnen die Spiele der Bundesliga und wir sind mit unseren Mikrofonen in Gelsenkirchen beim Spiel Schalke gegen den VfB Stuttgart, in Bremen beim Spiel Werder Bremen gegen Borussia Dortmund und in Münster bei der Begegnung Preußen Münster gegen den HSV dabei. Atmo: Stadion Sprecher: Die DFB-Oberen hielten indes weiter an der national-konservativen Ausrichtung des Verbandes fest. Noch ein Jahrzehnt später, zum 75-jährigen Bestehen des Deutschen Fußball-Bundes, musste Laudator Walter Jens beim Verband anmahnen, Archivaufnahme – Walter Jens: dass er eine Geschichte hat, die nicht nur aus Bilanzen besteht, nicht nur aus Länderspielen, Meisterschaften, Vereinen, Ligen, sondern die eine politische Geschichte ist. Eine Geschichte, die der DFB, einer der großen Meinungsbildner in unserem Land, der größte vielleicht, endlich aufarbeiten sollte. Aufarbeiten, indem er mit dem Widerruf der These beginnt, die da lautet: Sport ist ein Element, das fern von der Politik im Wolkenkuckucksheim angesiedelt ist. Sprecher: Erst im Vorfeld der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland beugte sich der Deutsche Fußball-Bund dem internationalen Druck und gab eine unabhängige Studie zur 10
Aufarbeitung der Verbandsgeschichte in der Nazizeit in Auftrag. Unter dem Titel „Fußball unterm Hakenkreuz“ veröffentlichte der Historiker Nils Havemann eine umfangreiche Dokumentation mit vielen neuen Einblicken und Erkenntnissen, die allerdings für viele Sporthistoriker, so erklärt Lorenz Peiffer, in einem entscheidenden Punkt kritikwürdig blieb. Lorenz Peiffer: Havemann versucht aus meiner Sicht in der Machteroberungsphase 33, 34, den DFB zu verorten als einen großen betriebswirtschaftlich organisierten Verband, der es drauf angelegt hat, innerhalb dieses neuen Systems dann auch wiederum funktionieren zu können und sich aus überwiegend ökonomischen Gründen jetzt also dem Nationalsozialismus andient bzw. keinen Widerstand bei der Übernahme oder bei der Einordnung leistet. Das ist also der Punkt, der uns viel zu kurz greift, das zu sehr zuzuschneiden auf den ökonomischen Aspekt. **.**.**.**.** 11
Sie können auch lesen