SWR2 Wissen Die Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes Von den Anfängen bis zur Bundesliga

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SWR2 MANUSKRIPT
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SWR2 Wissen
Die Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes
Von den Anfängen bis zur Bundesliga
Von Eduard Hoffmann und Jürgen Nendza
Sendung: Freitag, 12. Dezember 2014, 8.30 Uhr
Redaktion: Udo Zindel
Regie: Maria Ohmer
Produktion: SWR 2013

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MANUSKRIPT

Musik
Preußische Marschmusik

Zitator:
„Meine Damen und Herren! Die Zeit ist gekommen, die Notwendigkeit liegt vor, einen
wohlorganisierten und Achtung gebietenden Deutschen Fußball-Bund ins Leben zu
rufen. Analog den Turnern, Radfahrern und Schwimmern wollen wir durch einheitliches
Zusammenstreben (…) unserem Fußballsport das Ansehen und die Achtung
verschaffen, die ihm in hohem Maße gebührt.“

Sprecher:
Es war der 28. Januar 1900: Im Restaurant Mariengarten eröffnete Johannes Kirmse,
der Vorsitzende des Verbandes Leipziger Ballsportvereine, den ersten allgemeinen
deutschen Fußballtag. 36 Delegierte, die insgesamt 86 Fußballclubs aus dem ganzen
Deutschen Reich vertraten, waren in Leipzig zusammen gekommen. Sie gründeten den
bis heute bestehenden DFB.

Atmo:
Fußballstadion

Ansage:
Die Geschichte des Deutsche Fußball-Bundes – Von den Anfängen bis zur Bundesliga.
Eine Sendung von Eduard Hoffmann und Jürgen Nendza.

Sprecher:
Seit mehr als einem Jahrhundert gehört der Deutsche Fußball-Bund zu den
einflussreichsten Verbänden Deutschlands. Und das trotz seiner lange Zeit beharrlichen
national-konservativen und frauenfeindlichen Ideologie, von den Anfängen in der
Kaiserzeit bis ins 21. Jahrhundert.

Mitte des 19. Jahrhunderts hatten englische Gentlemen den Fußballsport aus ihrer
Heimat nach Deutschland gebracht. Sie hielten sich in Handelszentren wie Berlin,
Residenzstädten wie Braunschweig oder Modebädern wie Bad Cannstatt auf und
pflegten dort ihr gewohntes Fußballspiel. Ihrem Beispiel folgend gründete der
Braunschweiger Turnlehrer Konrad Koch 1874 dann den ersten deutschen Schüler-
Fußballverein. Der 2008 verstorbene Fußballchronist Hans Dieter Baroth erzählte:

Hans Dieter Baroth:
In der Anfangsphase war es so, dass es Bürgersöhne waren, deswegen sind ja die
ganz alten Vereine alle aus angesehenen Stadtteilen, der VFB Stuttgart, die Stuttgarter
Kickers, das waren alles sehr noble Vereine, wo die aufsässigen Kinder des
Bürgertums den Mannschaftssport prägten.

Sprecher:
Bis zum Ersten Weltkrieg spielten vor allem wohlhabende Bildungsbürger, Kaufleute
und Angestellte Fußball. Sie hatten genügend Freizeit und konnten sich das
kostspielige Sportvergnügen leisten. Arbeitern wurde in vielen Vereinen noch die
Mitgliedschaft verweigert. Doch im deutschen Kaiserreich blieb Fußball eine

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Randsportart und die Spieler wurden häufig angefeindet. Schülern, die in der
Öffentlichkeit beim Kicken erwischt wurden, drohte Arrest. Das Spiel galt der Obrigkeit
lange Zeit als zu exotisch, zu rau und jugendgefährdend.

Vor allem die einflussreiche Deutsche Turnerschaft machte Front gegen das neue
Spiel. Fußball sei „englisches Unkraut“, „undeutsch“ und gehöre „ausgemerzt“. Der
angesehene Stuttgarter Turnlehrer Karl Planck schimpfte noch 1898, Fußball sei eine

Zitator:
„englische Krankheit, ein dem Hundstritt abgeschautes, widernatürliches Spiel, das den
Menschen zum Affen erniedrigt“.

Sprecher:
Diese Vorwürfe waren eine schwere Bürde für die gesellschaftliche Anerkennung des
jungen Sports, vor allem aber auch für den neu gegründeten bürgerlichen Deutschen
Fußball-Bund, erklärt der Fußballhistoriker Arthur Heinrich:

Arthur Heinrich:
Der Fußball war eindeutig eine Importware, er kam aus England, England galt wie
Frankreich als Erzfeind, als Hauptkonkurrent für die weltmachtpolitischen Ambitionen
des Kaiserreichs. Man versuchte sich gesellschaftlich dadurch zu etablieren, dass man
gesagt hat, es stimmt alles so gar nicht. Wir sind deutsch, wir sind deutschnational. Der
Fußball ist ein deutsches Spiel.

Musik:
Militärmarsch

Sprecher:
Den Durchbruch zur gesellschaftlichen Anerkennung des Fußballspiels und des DFB
schafften die Vereinsfunktionäre aber erst durch den strategisch raffinierten
Schulterschluss mit dem damals gesellschaftsprägenden Militär.

Arthur Heinrich:
Diese Kooperation zwischen Fußball und Militär, die ist völlig problemlos eigentlich für
die Fußballer und für die Militärs, weil es keine ideologischen Differenzen gibt zwischen
beiden. Man ist national orientiert, man hat sich den politischen Zielen des Kaiserreichs
als Fußballer verschrieben, jedenfalls auf der Führungsebene, und das kann man für
diese Zeit auch runter verfolgen bis auf die Vereinsebene.

Sprecher:
Deutsche Militärs waren von dem neuen Sport bald angetan und beide Seiten sahen
Parallelen zwischen kriegerischer und fußballerischer Kampfkunst. Der Schriftführer des
DFB, Walter Sanss, erklärte 1908 die Grundfeste des Fußballspiels so:

Zitator:
„Wie zwei gerüstete Heere ziehen die Spielparteien auf dem Spielfeld gegeneinander
zu Angriff und Verteidigung. Ein jeder hat den Platz, auf welchen er gestellt ist, mit dem
Aufgebot aller körperlichen und geistigen Mittel und Kräfte zum Vorteil seiner Partei
auszufüllen und alles zu tun, um seinen Leuten, seiner Farbe den Sieg zu sichern“.

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Sprecher:
Soldatische Tugenden wie Ausdauer, Kampfkraft, Entschlossenheit – und zugleich
Gehorsam und Unterordnung – wurden auch von Fußballern erwartet. 1910 wurde der
Fußballsport in die Ausbildungspläne der Armee aufgenommen. Dem Deutschen
Fußball-Bund war es gelungen, das Spiel im Zeichen von Nationalismus und
Vaterlandskult zu etablieren.

Zu dieser Zeit liefen die Vorbereitungen auf den Ersten Weltkrieg bereits auf
Hochtouren. Auf deutschen Werften lief ein Panzerkreuzer nach dem anderen vom
Stapel, Stahlwerke produzierten Kanonen. Aber das Militär beklagte das Fehlen einer
kriegstauglichen Jugend. Noch 1913 galt nur die Hälfte aller im Kaiserreich
Gestellungspflichtigen als für den Militärdienst geeignet. Um ihre Tauglichkeit zu
verbessern, hatte sich bereits 1911 der paramilitärische „Jungdeutschlandbund“
gegründet, ein Dachverband deutschnationaler Vereinigungen, zu denen federführend
auch die Deutsche Turnerschaft gehörte. Mit Liegestützen und Klimmzügen, mit
Geländeläufen und Gymnastik sollte die Jugend stark und willig gemacht werden für die
Schützengräben und den Kampf Mann gegen Mann. Auch der DFB schloss sich dem
„Jungdeutschlandbund“ an. Die Fußballer sahen ihr Spiel als “maßgebliche militärische
Vorbereitung der Jugend“.

Zitator:
„Jetzt hat auch der Sport bei uns seine Daseinsberechtigung bewiesen“,

Sprecher:
verkündet Oberleutnant Dietrich von Hülsen im Jahre 1912.

Zitator:
„Er ist Eigentum der Nation geworden. Dies gilt insbesondere vom Fußballsport. Ich
halte ihn für eine der besten, der segensreichsten Betätigungen zum Heile der
Wehrkraft unserer Nation.“

Sprecher:
Geradezu vorbildlich fand die Militärführung auch die streng hierarchischen
Verbandsstrukturen des Deutschen Fußball-Bundes. Kriegsminister Erich von
Falkenhayn lobte im DFB-Jahrbuch 1913:

Zitator:
„Als besonderen Vorzug bei Ihrem Sport schätze ich die Erziehung zur selbstlosen
Opferwilligkeit des einzelnen … und ebenso die Unterwerfung unter die Anordnungen
des Parteiführers, des Schiedsrichters und in größeren Verhältnissen des
Bundesvorstandes. Das sind disziplinfördernde Eigenschaften, deren eifrige
Weiterpflege von Ihrer Seite dem Heeresersatz zum Vorteil gereichen werden.“

Atmo:
Aufmarschierende Soldaten, Gleichschritt, Flugzeuge, Maschinengewehr

Sprecher:
Der Forderung nach einer Erziehung zur selbstlosen Opferwilligkeit folgte bald die
Katastrophe des Ersten Weltkriegs. Der DFB feierte das Gemetzel anfangs noch als

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„Riesenländerspiel“. In Reih und Glied marschierten sportgestählte Fußballer in ihren
Untergang – im Trommelfeuer, in Grabenkämpfen, in Gas- und Bombenkrieg.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde dem Deutschen Reich von den Siegermächten die
alleinige Kriegsschuld zugesprochen. Der Versailler Vertrag und die enorm hohen
Reparationsforderungen der Alliierten bedeuteten eine schwere wirtschaftliche und
psychologische Bürde für Deutschland.

Doch zum ersten Mal entstand ein demokratischer deutscher Staat – die Weimarer
Republik. Das ließ die Fußballfunktionäre aber völlig unberührt. Die DFB-Oberen sahen
nach dem Ende des Krieges, nach 17 Millionen Toten und unbeschreiblichen
Verheerungen, weder einen Anlass zur Selbstkritik, noch einen Grund umzudenken.
Unbeugsam hielt der Verband an seiner national-konservativen Einstellung aus der
Kaiserzeit fest. Paul Klose, der Kriegsvorsitzende des Westdeutschen Spielverbandes,
machte in der Zeitschrift „Fußball und Leichtathletik“ 1918 deutlich:

Zitator:
„Wir brauchen nicht demokratisch umzulernen und es wäre ganz verkehrt zu glauben,
die politische Umwälzung müsse auch bei uns alles umwerfen und ändern.“

Sprecher:
Jahrelang untersagte der DFB seinen Vereinen noch Begegnungen mit Clubs
ehemaliger Kriegsgegner. Vor allem Kontakte mit Fußball-Clubs aus Frankreich waren
verpönt. In Deutschland selbst war den Vereinen jeder sportliche Austausch mit
„feindlichen Ausländern“, wie es hieß, verboten. Gegen Teams belgischer oder
britischer Besatzungstruppen durften deutsche Fußballer nicht spielen.

Musik:
Brüder, zur Sonne, zur Freiheit

Sprecher:
Fußball wurde in der Weimarer Republik nicht nur beim bürgerlichen DFB, sondern
auch in konfessionellen und politischen Organisationen gespielt. So auch im
sozialistischen Arbeiter,- Turn- und Sport-Bund, dem ATSB, der sich zum größten
Konkurrenzverband des DFB entwickelte – mit einer politisch liberaleren Haltung.
Bereits 1920 spielten Vereine des ATSB um die Bundesmeisterschaft. Vier Jahre später
startete der Verband sein erstes von insgesamt 76 Länderspielen. Die
Arbeiternationalelf spielte in Paris gegen eine französische Arbeiterauswahl und
gewann mit 3:0. Die Partie gegen den ehemaligen Kriegsgegner stand für die
Arbeiterfußballer ausdrücklich im Zeichen „antichauvinistischer Völkerverständigung“.
Mit ihr wurden gleichzeitig die deutsch-französischen Sportbeziehungen nach dem
Ersten Weltkrieg wieder aufgenommen.

Der DFB hingegen hob seinen Länderspielboykott gegen ehemalige Kriegsgegner erst
gegen Ende der Weimarer Republik auf. 1931 spielte die Nationalelf erstmals wieder
gegen Frankreich, 1933 dann gegen Polen und Belgien. Bei Länderspielen ließ der DFB
aber lange Zeit nicht die schwarz-rot-goldene Fahne der Republik wehen, sondern die
längst untergegangene schwarz-weiß-rote des Kaiserreiches.

Atmo:
aufmarschierende Soldaten

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Arthur Heinrich:
Also wenn man die Endphase der Weimarer Republik beziehungsweise die Anfänge
des Nationalsozialismus nimmt, dann ist das von den Nationalsozialisten propagierte
Führerprinzip eben eines jener ideologischen Momente gewesen, was beim DFB
ausgesprochen euphorisch adaptiert worden ist. Also es gibt diese Formulierung, dass
man Schluss gemacht hat mit dem Prinzip der Vielrednerei und wie das alles hieß, also
diese Beschimpfungen des Parlamentarismus sind ja unendlich in der Weimarer
Republik.

Sprecher:
Vom Führerprinzip und dem autoritären Gemeinschaftsideal bis zur
nationalsozialistischen propagierten Ideologie der „Volksgemeinschaft“ war es nur ein
kleiner Schritt. Sporthistoriker Professor Lorenz Peiffer von der Universität Hannover
erläutert:

Lorenz Peiffer:
Wir sind schon der Meinung, dass der DFB als ein so genannter bürgerlicher Verband
natürlich auch ein politisches Weltbild mittransportiert hat, wobei man natürlich nicht
einfach sagen kann, dass der DFB ein Vorläufer der Nazis gewesen ist, aber es gibt
natürlich Affinitäten, die einfach nicht zu leugnen sind, das sind antidemokratische
Kontinuitäten, die ja so hinübergerettet werden dann, die aufgenommen werden in der
Zeit des Nationalsozialismus, und ich denke, das muss man auch herausstellen, dass
es durchaus eine politische Verantwortung seitens des Verbandes gab, dass man sich
so nahtlos in dieses Regime der Nazis mit eingeordnet hat.

Sprecher:
Bereits Mitte April 1933, zehn Wochen nach der Machtergreifung der
Nationalsozialisten, ordnete der Deutsche Fußball-Bund in vorauseilendem Gehorsam
an, dass jüdische Mitglieder ausgeschlossen werden müssen:

Zitator:
„Der Vorstand des DFB hält Angehörige der jüdischen Rasse (…) in führenden Stellen
der Landesverbände und Vereine nicht für tragbar. Die Landesverbände und Vereine
werden aufgefordert, die entsprechenden Maßnahmen zu veranlassen.“

Sprecher:
Kaum einer der Funktionäre des DFB hatte Schwierigkeiten mit der Gleichschaltung
durch die Nazis und mit deren politischen und ideologischen Zielen, erzählt
Sporthistoriker Lorenz Peiffer:

Lorenz Peiffer:
Im Vergleich zu einigen anderen Verbänden, die ihr Führungspersonal ausgetauscht
haben oder austauschen mussten, ist also dieses Führungspersonal beim DFB in
Funktion geblieben, wobei die Funktionen dann ja anders benannt wurden, eben halt
nicht mehr Präsident, sondern Führer, und auch diese Funktion, soweit sie nicht
verstorben sind, in der Zeit nach 1945 weitestgehend beibehalten haben.

Sprecher:
Auch für den damaligen DFB-Vorsitzenden Felix Linnemann, dem der Verband noch
1955 in einem Nachruf „Organisationstalent, klaren Blick für die Entwicklung und

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Sauberkeit im Charakter“ bescheinigte, war die Gleichschaltung kein Problem. Im
Gegenteil – 1933 sagte Linnemann, dass die Aufgabe des DFB darin bestehe,

Zitator:
„seine Mitglieder zu staatstragenden, einsatzbereiten Volksgenossen des
nationalsozialistischen Staates heranzubilden“.

Sprecher:
Regierungs- und Kriminaldirektor Felix Linnemann war 1937 in die NSDAP und 1940 in
die SS eingetreten. 1944 stieg er zum SS-Standartenführer auf. Nach der
Gleichschaltung des DFB war Linnemann zum Reichsfachamtsleiter für Fußball, Rugby
und Kricket ernannt worden. Sporthistoriker Lorenz Peiffer hat intensiv zu Linnemann
geforscht und zweifelsfrei nachgewiesen,

Lorenz Peiffer:
dass er letzten Endes mit verantwortlich war für die Deportierung der Sinti und Roma.

Sprecher:
Viele DFB-Funktionäre betrachteten Hitler als – Zitat – „Befreier und Erlöser“ und
begrüßten die Machtergreifung als – Zitat – „Aufbruch und Chance“. So auch DFB-
Jugendwart Wilhelm Erbach vom Westdeutschen Spielverband. Die Fußballmannschaft
betrachtete er als Instrument der „Volksgemeinschaft“ zur Disziplinierung des
Individuums. Erbach wollte „eine absolut systemkonforme, dem Nationalsozialismus
vollends hörige junge Generation“ heranbilden, die vor allem zu gehorchen und zu
schweigen vermochte. Er schrieb 1934 im DFB-Organ Deutscher Fußball Sport:

Zitator:
„Eine so erzogene Jugend wird sich mit Stolz deutsch nennen und bereit sein, alles für
die Erhaltung Deutschlands einzusetzen; sie ist wehrfähig und wehrwillig zugleich.“

Sprecher:
Den Fußball-Spielbetrieb veränderten die Nationalsozialisten kaum. Aus den höchsten
regionalen Spielklassen, die noch 1932 existierten und den Deutschen Meister
ermittelten, formten sie 16 Gau-Ligen, von Ostpreußen bis zum Niederrhein, von der so
genannten Nordmark bis nach Bayern. Nach der Annektierung Österreichs im März
1938 nahmen auch österreichische Vereine an den Meisterschaftsspielen teil.

Die gewaltsame Eingliederung Österreichs hatte für die deutsche Nationalelf
gravierende Folgen. Bei den olympischen Propagandaspielen 1936 hatten die
deutschen Fußballer versagt und waren schon im Viertelfinale gegen Norwegen
ausgeschieden. Bei der Weltmeisterschaft 1938 in Frankreich sollte eine gemeinsame
schlagkräftige Mannschaft aus den technisch versierten Österreichern und den
kraftvollen und konditionsstarken Deutschen alle Welt von der Unbezwingbarkeit des
Regimes überzeugen. Reichstrainer Sepp Herberger sah dem ganzen mit unguten
Gefühlen entgegen, wie er nach dem Krieg erzählte:

Archivaufnahme – Sepp Herberger:
Es gab für jeden Einsichtigen und einigermaßen Sachkundigen gar keine Frage
darüber, dass jede der beiden Mannschaften besser abgeschnitten hätte als die
zusammen Fusionierte.

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Sprecher:
Herberger hatte sich mit seiner sorgsam vorbereiteten „Breslau-Elf“, die im Frühjahr
1937 in Breslau Dänemark mit 8:0 vom Platz gefegt hatte und 16 Mal hintereinander
unbesiegt blieb, große Chancen bei der Weltmeisterschaft in Frankreich ausgerechnet.
Nun funkte die Politik dazwischen und wollte eine deutsch-österreichische Auswahl.

Atmo:
Reportage WM 1938 D-CH

Sprecher:
Die so genannte „großdeutsche“ Elf scheiterte im Entscheidungsspiel gegen die kleine
Schweiz mit 2:4 und schied aus. Etwas mehr als ein Jahr später griffen deutsche
Truppen Polen an und begannen so den Zweiten Weltkrieg. Mehr als 60 Millionen
Menschen kamen in den sechs Jahren dieses verheerendsten Krieges der
Menschheitsgeschichte um.

Nach 1945 verboten die Alliierten zunächst alle Sportvereine. Sie galten als Träger
faschistischer Ideologie und als paramilitärische Institutionen. Das Verbot wurde aber
schon bald wieder gelockert, und aus den alten Vereinen heraus gründeten sich schnell
neue Klubs. In Leipzig sahen 40.000 Zuschauer im Juli 1948 das Finale der ersten
„Ostzonen-Meisterschaft“. Die Betriebssportgemeinschaft Planitz gewann mit 1:0 gegen
die SG Freiimfelde Halle. In Westdeutschland trafen im ersten Nachkriegsfinale um die
Deutsche Fußball-Meisterschaft in Köln am 8. August 1948 der 1. FC Nürnberg und der
1. FC Kaiserslautern aufeinander.

Atmo:
Stadion

Sprecher:
Das Müngersdorfer Stadion war mit 70.000 Zuschauern restlos ausverkauft. 300.000
Kartenanfragen hatte es aus ganz Deutschland gegeben.

Atmo – Reportage, Endspiel:
„Das Spiel ist aus, Nürnberg hat gewonnen, Nürnberg ist Deutscher Meister, und jetzt
strömen die Tausende, das Spielfeld ist schwarz, auf den Platz. Sie umarmen ihre
Nürnberger, und hoch gehen die weißen Fähnchen mit dem roten Kreis und dem 1.
FCN drin, und die Begeisterung des Volkssports Fußball ist riesengroß.“

Sprecher:
Schon früh waren auch die alten DFB-Funktionäre wieder aktiv. Viele hatten es
verstanden, die Entnazifizierungsbehörden zu täuschen und ihre nationalsozialistische
Gesinnung zu vertuschen. Noch vor der Gründung der Bundesrepublik wurde – gegen
den scharfen Protest der Westalliierten – im Sommer 1949 in Stuttgart-Bad Cannstatt
der Deutsche Fußball-Bund neu gegründet.

Der Ablauf der Vorstandswahlen machte das Demokratieverständnis der neuen alten
Fußball-Funktionäre deutlich: Etwas voreilig hatten sie das Wahlergebnis vorweg
genommen und im offiziellen Programmheft abgedruckt. Neuer DFB-Präsident wurde
der Kölner Bauunternehmer Peco Bauwens, der während der Nazi-Zeit unter anderem
als deutscher FIFA-Vertreter versucht hatte, die Machtansprüche der
Nationalsozialisten auch im internationalen Dachverband durchzusetzen.

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Arthur Heinrich:
Er schafft es, in den unmittelbaren Nachkriegsjahren ein personelles Geflecht
aufzubauen von Leuten, die zum Teil eben von früher her schon engagiert waren, zum
Teil bindet er aber auch neue Leute ein und schaffte es, dass sie auch politisch
sozialisiert werden gleichzeitig dabei, so dass abweichende Haltungen irgendwie
minimiert werden, wenn sie nicht ganz ausgeschlossen sind. Und er schafft es auf diese
Weise den DFB in einer Form wiederzugründen, die so aussieht, dass es tatsächlich
der alte Verband wieder ist. Dass also die Anzahl von neuen Leuten in den
Führungsgremien, dass die relativ begrenzt ist, dass die politische Ausrichtung des
Verbandes im Grunde genommen auch unverändert bleibt. Es ist keine Neugründung,
weder in personeller, noch in politischer oder in ideologischer Hinsicht.

Sprecher:
In der Bundesrepublik organisierte der DFB bald konkurrenzlos den Fußballsport.
Andere Vorkriegsverbände wie der Arbeiter-, Turn- und Sportbund blieben seit der
Machtergreifung der Nazis 1933 zerschlagen. Bald gab es auch wieder eine deutsche
Fußball-Nationalelf. Zur ersten internationalen Begegnung nach dem Zweiten Weltkrieg
kam es am 22. November 1950 gegen die Auswahl der Schweiz. Im Stuttgarter
Neckarstadion sahen 100.000 Fußballfans dicht gedrängt den 1:0-Sieg der Herberger-
Elf. Das Rückspiel und damit der erste Nachkriegs-Auftritt einer deutschen Elf im
Ausland fand am 15. April 1951 in Zürich statt.

Atmo – Reportage:
„Achtung, Achtung, hier meldet sich der deutsche Rundfunk aus Zürich. Ein schöner,
ein beglückender Tag für den deutschen Sport, denn wir dürfen Ihnen, liebe Hörer in
Deutschland, vom ersten Spiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft im Ausland
nach 9-jähriger Pause berichten.“

Sprecher:
Das „Wunder von Bern 1954“, der überraschende Gewinn der Weltmeisterschaft, löste
in ganz Deutschland eine Fußball-Euphorie aus. DFB-Ehrenpräsident Egidius Braun
sagte:

Archivaufnahme – Egidius Braun:
Da wurden die Menschen aus der Depression herausgeführt und „wir sind doch wieder
wer".

Sprecher:
"Wir sind wieder wer", davon schien auch DFB-Präsident Peco Bauwens überzeugt, als
er – vom vielen Feiern schon alkoholisiert – in einer Rede beim Empfang im Münchner
Löwenbräu-Keller aus tiefstem Herzen deutschnationale, ja chauvinistische Töne
anschlug. Unter anderem sprach Bauwens von der „Repräsentanz besten
Deutschtums“. Der Sieg habe gezeigt, „dass es Schatten auf dem deutschen Volk nicht
mehr geben“ könne".

Archivaufnahme – Peco Bauwens 1954:
Da haben die Jungens es wirklich gezeigt, was ein gesunder Deutscher, der treu zu
seinem Lande steht, zu leisten vermag. Sie haben ans Vaterland gedacht; ich schließ
mich an, das halte fest, mit deinem ganzen Herzen, und hier sind die starken Wurzeln
deiner Kraft.

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Sprecher:
Als der DFB-Präsident auch noch das „Führerprinzip“ beschwor, brachen Hörfunk-
Redakteure des Bayerischen Rundfunks entsetzt die Live-Übertragung der Rede ab
und sendeten stattdessen Tanzmusik.

Musik

Arthur Heinrich:
Auch das ist für mich ein Ausweis der Tatsache, dass nach 45 es innerhalb dieses
Verbandes überhaupt keine Bemühungen gegeben hat, sowas wie eine Neuausrichtung
zu probieren zumindest, die dann auch mit einer personellen Neuaufstellung hätte
verbunden sein müssen. Der Versuch ist einfach nicht gemacht worden.

Sprecher:
In den Jahren nach 1954 blieb das Abschneiden der Nationalelf weit hinter den
Erwartungen zurück. Auch die Bilanz der Vereine in den neu gegründeten Europapokal-
Wettbewerben fielen mehr als bescheiden aus. Hinzu kam, dass mehr und mehr
Nationalspieler den Verlockungen des Geldes folgten und in ausländische Profiligen
abwanderten. In Fachkreisen verlangte man nach einer Professionalisierung des
deutschen Fußballs, insbesondere durch eine Elite-Liga. Doch erst im Sommer 1962
beschlossen die DFB-Funktionäre eine eingleisige Spitzenklasse. Am 24. August 1963
startete dann die Fußball-Bundesliga in ihre erste Saison.

Atmo – Reportage: 1. Bundesligaspieltag:
Guten Tag verehrte Sporthörer, zum ersten Mal treffen wir uns zu dieser Stunde und
auf dieser Welle, um Ihnen vom Deutschen Meisterschaftsfußball zu berichten. Heute
beginnen die Spiele der Bundesliga und wir sind mit unseren Mikrofonen in
Gelsenkirchen beim Spiel Schalke gegen den VfB Stuttgart, in Bremen beim Spiel
Werder Bremen gegen Borussia Dortmund und in Münster bei der Begegnung Preußen
Münster gegen den HSV dabei.

Atmo:
Stadion

Sprecher:
Die DFB-Oberen hielten indes weiter an der national-konservativen Ausrichtung des
Verbandes fest. Noch ein Jahrzehnt später, zum 75-jährigen Bestehen des Deutschen
Fußball-Bundes, musste Laudator Walter Jens beim Verband anmahnen,

Archivaufnahme – Walter Jens:
dass er eine Geschichte hat, die nicht nur aus Bilanzen besteht, nicht nur aus
Länderspielen, Meisterschaften, Vereinen, Ligen, sondern die eine politische
Geschichte ist. Eine Geschichte, die der DFB, einer der großen Meinungsbildner in
unserem Land, der größte vielleicht, endlich aufarbeiten sollte. Aufarbeiten, indem er
mit dem Widerruf der These beginnt, die da lautet: Sport ist ein Element, das fern von
der Politik im Wolkenkuckucksheim angesiedelt ist.

Sprecher:
Erst im Vorfeld der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland beugte sich der Deutsche
Fußball-Bund dem internationalen Druck und gab eine unabhängige Studie zur

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Aufarbeitung der Verbandsgeschichte in der Nazizeit in Auftrag. Unter dem Titel
„Fußball unterm Hakenkreuz“ veröffentlichte der Historiker Nils Havemann eine
umfangreiche Dokumentation mit vielen neuen Einblicken und Erkenntnissen, die
allerdings für viele Sporthistoriker, so erklärt Lorenz Peiffer, in einem entscheidenden
Punkt kritikwürdig blieb.

Lorenz Peiffer:
Havemann versucht aus meiner Sicht in der Machteroberungsphase 33, 34, den DFB
zu verorten als einen großen betriebswirtschaftlich organisierten Verband, der es drauf
angelegt hat, innerhalb dieses neuen Systems dann auch wiederum funktionieren zu
können und sich aus überwiegend ökonomischen Gründen jetzt also dem
Nationalsozialismus andient bzw. keinen Widerstand bei der Übernahme oder bei der
Einordnung leistet. Das ist also der Punkt, der uns viel zu kurz greift, das zu sehr
zuzuschneiden auf den ökonomischen Aspekt.

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