Symposium "Sprudelnde Einnahmen, große Herausforderungen - Erwartungen an eine zukunftsfähige Steuer- und Finanzpolitik" - ifo Institut
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SYMPOSIUM Symposium »Sprudelnde Einnahmen, große Herausforderungen – Erwartungen an eine zukunftsfähige Steuer- und Finanzpolitik« SYMPOSIUM »SPRUDELNDE EINNAHMEN, GROSSE HERAUSFORDERUNGEN – ERWARTUNGEN AN EINE ZUKUNFTSFÄHIGE STEUER- UND FINANZPOLITIK« Symposium am 6. März 2018, 14:00 Uhr bis 17:00 Uhr Begrüßung und Einführung Franz Xaver Peteranderl Präsident des Bayerischen Handwerkstages »Handlungsbedarf in der deutschen Steuerpolitik« Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest Präsident des ifo Instituts Die Steuer- und Finanzpolitik legt die Grundlagen für »Politischer Ausblick« eine erfolgreiche Aufgabenerfüllung des Staates. Sie Franz Josef Pschierer, MdL entscheidet gleichzeitig über den Umfang der Belas- Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für tung der Steuerzahler sowie auch maßgeblich über Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie die Investitions-, Arbeits- und Absatzbedingungen der Unternehmen. Wie wird in den nächsten Jahren die Steuer- und Finanzpolitik gestaltet werden? Wo liegen Diskussion die Probleme? Wo sehen Wissenschaft, Handwerk und Franz Josef Pschierer, MdL Politik Handlungsbedarf? Um diese Fragen zu beleuch- Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für ten und Antworten herauszuarbeiten, veranstalteten Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie der Bayerische Handwerkstag und das ifo Institut am 6. März 2018 ein Symposium unter dem Titel »Spru- Franz Xaver Peteranderl delnde Einnahmen, große Herausforderungen – Präsident des Bayerischen Handwerkstages Erwartungen an eine zukunftsfähige Steuer- und Finanzpolitik«. Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest Der Präsident des Bayerischen Handwerkstages, Präsident des ifo Instituts Franz Xaver Peteranderl, wies in seinen einführen- den Worten darauf hin, dass die Steuerpolitik erhebli- Prof. Dr. Deborah Schanz chen Einfluss auf den Wettbewerb nehme und sowohl Vorstand des Instituts für Betriebswirtschaftliche Investitionsentscheidungen als auch den Wettbe- Steuerlehre an der Ludwig-Maximilians-Universität werb zwischen unterschiedlichen Unternehmensfor- München men beeinflusse und zu einer Benachteiligung kleiner und mittlerer Unternehmen führen könne. So könn- ten international agierende Großkonzerne leichter auf Moderation internationale Unterschiede in der Besteuerung reagie- Steffen Range ren als kleine und mittlere Unternehmen. Sie hätten Chefredakteur, Deutsche Handwerks-Zeitung wesentlich bessere Gestaltungsmöglichkeiten, um Steuerschlupflöcher oder Vergünstigungen auf inter- nationaler Ebene zu nutzen, während kleine und mitt- lere Unternehmen die volle Last tragen müssten. Nicht nur die internationale Entwicklung lege es nahe, auch in Deutschland über eine Reform der Besteuerung nach- zudenken. Generell sei es erforderlich, das komplexe Steuersystem auf den Prüfstand zu stellen. Gerade im ifo Schnelldienst 6 / 2018 71. Jahrgang 22. März 2018 3
SYMPOSIUM litionsvertrag festgeschriebene Einführung der steuer- lichen Forschungsförderung insbesondere für kleine und mittelgroße Unternehmen. Damit sei ein wichtiger Schritt getan, um dem Forschungsdefizit bei kleineren und mittleren Unternehmen entgegenzuwirken und die Attraktivität des Investitionsstandorts Deutschland zu erhöhen. Handlungsbedarf sehe er auch für eine Reform des Einkommensteuertarifs mit einer Abfla- chung des Mittelstandsbauchs, einer Anhebung der Grenze für den Spitzensteuersatz und einem Abbau der kalten Progression. Prof. Dr. Deborah Schanz, Vorstand des Instituts Diskussionsrunde: Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest, Franz Xaver Peteranderl, Steffen Range, Franz Josef Pschierer, für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Lud- Prof. Dr. Deborah Schanz wig-Maximilians-Universität München, äußerte Zwei- fel, ob die schwarze Null zu halten sei, da der Koaliti- Handwerk bestehe ein erheblicher Investitionsbedarf. onsvertrag an verschiedensten Stellen von Steuerge- Durch eine Reduzierung der Steuerlast und eine inves- schenken und massiven Investitionsversprechen, z.B. titionsfreundliche Gestaltung der Besteuerung soll- für Schulen und Kitas, Landwirtschaft, Verkehr und ten die Spielräume für die Betriebe erweitert werden, Kommunen, gespickt sei. Auch werde eine dringend damit sie diese Investitionen tätigen können. Die Vor- notwendige Reform der Gewerbesteuer nicht thema- schläge der Koalition zur Steuerpolitik seien aber bis- tisiert, und der internationale Steuerwettbewerb, der her leider »mutlos«. durch massive Steuersatzsenkungen in den USA und ifo-Präsident Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest Großbritannien eine neue Intensität erreiche, werde setzte sich in seinem Vortrag kritisch mit den steuer- von den zukünftigen Koalitionsparteien geradezu igno- politischen Vorhaben der Großen Koalition auseinan- riert. Die niedrigen Steuersätze, hohe F&E-Anreize, die der. Er wies darauf hin, dass es im deutschen Steuer- Einführung der geplanten Base Erosion Anti-Avoidance system erheblichen Erneuerungsbedarf gibt, und kon- Tax sowie drohende Zölle in den USA könnten aus deut- zentrierte seine Ausführungen auf den Reformbedarf scher Sicht eine negative Verschiebung der globalen in den Bereichen der Einkommensbesteuerung, der Lieferketten zur Folge haben. Deutschland müsse zum Unternehmensbesteuerung und der vermögensbezo- Schutz der eigenen Wirtschaft und zum Erhalt des deut- genen Steuern. Im Bereich der Einkommensbesteu- schen Steueraufkommens darauf reagieren. erung sollte die Politik Steuerentlastungsspielräume In der anschließenden Podiumsdiskussion unter einsetzen, um den Mittelstandsbauch im Einkommen- der Moderation von Steffen Range, Chefredakteur der steuertarif abzubauen. Um den Anstieg der Steuer- Deutschen Handwerks-Zeitung, erläuterten die Refe- belastung durch die kalte Progression zu beseitigen, renten noch einmal ihre Einschätzungen der steuer- sollte ein automatischer Ausgleich in Form eines »Tarifs politischen Vorhaben der Großen Koalition. Insgesamt auf Rädern« eingeführt werden. Im Bereich der Unter- seien die steuerpolitischen Pläne enttäuschend. Sie nehmensbesteuerung seien Maßnahmen erforderlich, seien eher ein Flickenteppich, es fehle eine zugrunde um die Position Deutschlands im internationalen Steu- liegende Vision. Das Fazit: Das deutsche Steuersystem erwettbewerb zu verbessern. Eine angemessene und sei zu kompliziert, die Bürokratie zu groß und die Steu- schnell umsetzbare Antwort auf den wachsenden Steu- erverwaltung zu rückständig. Es bedürfe einer Entbü- erwettbewerb wäre eine Senkung der Körperschaft- rokatisierung durch mehr Digitalisierung. steuer. Bei den vermögensbezogenen Steuern bestehe Im Folgenden werden die Beiträge, die im Rahmen Reformbedarf bei Grundsteuern, Grunderwerbsteu- des Symposiums präsentiert wurden, veröffentlicht. ern sowie bei der Erbschaftsteuer. Und bei der Umsatz- steuer wäre es an der Zeit, endlich zu einem einheitli- chen Steuersatz überzugehen. Franz Josef Pschierer, Staatssekretär im Bayeri- schen Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie, unterstrich, dass sich die Wirtschaft in Deutschland und auch die öffentlichen Haushalte gegenwärtig, ungeachtet der politischen Herausforderungen, äußerst positiv entwickeln. Trotz- dem müsse Deutschland zur Sicherung der Wettbe- werbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts handeln. So sei der internationale Steuerwettbewerb vor allem durch die US-Steuerreform angeheizt worden, und im Koalitionsvertrag fehle ein Bekenntnis zu einer muti- gen Steuerentlastung. Positiv sei allerdings die im Koa- 4 ifo Schnelldienst 6 / 2018 71. Jahrgang 22. März 2018
SYMPOSIUM Franz Xaver Peteranderl* erhöht, so dass Unternehmen mit einem Verbrauch bis 48,7 MWh Strom 16 300 l Heizöl oder 181 MWh Erd- Begrüßung und Einführung gas im Jahr den vollen Satz zahlen müssen. Dies trifft auf die weit überwiegende Mehrheit der Handwerksbe- STEUERPOLITIK IST WETTBEWERBSPOLITIK triebe zu. Für die Handwerksbetriebe sind solche zusätzli- Zwei Punkte rücken in der steuerpolitischen Diskus- chen Belastungen gegenüber Großbetrieben fatal. Sie sion meist in den Mittelpunkt: Erstens der fiskalische stehen in vielen Bereichen in Konkurrenz zu Indust- Franz Xaver Aspekt. Das Steuersystem muss die notwendigen Ein- rieprodukten und haben ohnehin mit vielen betriebs- Peteranderl nahmen generieren, um die staatlichen Aufgaben zu größenbedingten Wettbewerbsnachteilen zu kämp- finanzieren. Und zweitens der sozialpolitische Aspekt: fen. Zusätzliche Wettbewerbsverzerrungen sind daher Das Steuersystem soll die soziale Gerechtigkeit för- kaum zu verkraften. dern. Starke Schultern sollen mehr belastet werden als schwache. GESTALTUNGSMÖGLICHKEITEN In der Diskussion meist nur am Rande erwähnt wird, dass die Steuerpolitik erheblichen Einfluss auf International agierende Großunternehmen werden den Wettbewerb nimmt und Investitionsentschei- nicht nur vom Steuergesetzgeber häufig mit Rücksicht dungen beeinflusst. Die Besteuerung ist ein entschei- behandelt. Sie haben natürlich auch wesentlich bes- dender Faktor für die Attraktivität eines Standorts sere Gestaltungsmöglichkeiten, um Steuerschlupflö- und berührt damit die internationale Wettbewerbsfä- cher oder Vergünstigungen auf internationaler Ebene higkeit. Das Kapital sucht sich den Standort, der den zu nutzen. Nicht zuletzt können sie sich hochqualifi- höchsten Ertrag bietet. Die Besteuerung nimmt aber zierte Fachleute leisten, die ihnen entsprechende Stra- auch Einfluss auf den Wettbewerb zwischen verschie- tegien ausarbeiten. denen Sektoren der Wirtschaft. So beeinflusst das Helmut Schmidt hat einmal gesagt: »Wer die Steuersystem den Wettbewerb zwischen unterschied- Pflicht hat, Steuern zu zahlen, der hat auch das lichen Unternehmensformen. Es kann Einfluss nehmen Recht, Steuern zu sparen.« Gegen die Inanspruch- auf den Wettbewerb zwischen Großunternehmen und nahme von Steuervergünstigungen ist also grund- Kleinunternehmen, zwischen Personenunternehmen sätzlich nichts zu sagen. Allerdings möchte ich und Kapitalgesellschaften. ergänzen: Dann hat der Staat auch die Pflicht, beson- dere Rücksicht auf diejenigen zu nehmen, die nicht BENACHTEILIGUNG KLEINER UND MITTLERER die Möglichkeiten oder die Ressourcen haben, UNTERNEHMEN Schlupflöcher zu nutzen und komplizierte Steuerver- meidungsstrategien zu entwickeln. Steuergerechtig- Kapital ist ein scheues Reh. Dieser Satz hat sich wohl keit ist nicht damit vereinbar, dass man in erster auch vielen Politikern eingebrannt. Und ihnen scheint Linie die »Wehrlosen« schröpft. Die Diskussion um ebenfalls bewusst, dass international agierende Groß- die Panama Papers vor einigen Monaten und Berichte konzerne leichter auf internationale Unterschiede in über die Steuervermeidung durch internationale der Besteuerung reagieren können als am Standort Großkonzerne legen nahe, dass hier einiges im Argen verwurzelte kleine und mittlere Unternehmen. So ist liegt. es kaum verwunderlich, dass es in vielen Bereichen Ausnahmeregelungen für Konzerne gibt, während INTERNATIONALER STEUERWETTBEWERB kleine und mittlere Unternehmen die volle Last tra- gen müssen. Auch wenn die Umlage nach dem Erneu- Lässt man die Nachrichten der vergangenen Monate erbaren-Energien-Gesetz vielleicht keine Steuer im Revue passieren, so scheint sich eine Verschärfung strengen Sinn ist, so ist die Benachteiligung des Mit- des internationalen Steuerwettbewerbs abzuzeich- telstands hier besonders augenfällig. Die sogenannte nen. Für besondere Aufmerksamkeit sorgte natür- besondere Ausgleichsregelung gilt nur für stromkos- lich die US-Steuerreform, die als eines der zentralen tenintensive Unternehmen aus Branchen, die im inter- Projekte des US-Präsidenten Trump gilt. Sie wurde nationalen Wettbewerb stehen. Ziel ist – und das wird Ende des Jahres 2017 von Senat und Repräsentan- auch offen kommuniziert – die Wettbewerbsfähig- tenhaus beschlossen und ist insbesondere für Unter- keit und die Arbeitsplätze der stromkostenintensiven nehmen mit erheblichen Steuererleichterungen ver- Industrie nicht zu gefährden. Auch bei der sogenannten bunden. Eckpunkte der Reform sind eine Senkung Ökosteuer gibt es Ausnahmeregelungen, zum Beispiel der Unternehmensteuern von bisher 35% auf 21%, für das produzierende Gewerbe. Allerdings werden Investitionen in Maschinen oder Produktionsanla- kleine und mittlere Unternehmen durch Sockelbeträge gen werden gefördert, und es gibt Entlastungen für von diesen Vergünstigungen zum Teil ausgeschlossen. inhabergeführte Unternehmen. Der Freibetrag bei Diese Sockelbeträge wurden im Jahr 2011 deutlich der Erbschaftsteuer des Bundes wird auf 10 Mio. Dol- * Franz Xaver Peteranderl ist Präsident des Bayerischen lar verdoppelt. Mit dem Gesetz wurde die Position Handwerkstages. der Vereinigten Staaten im Steuerwettbewerb deut- ifo Schnelldienst 6 / 2018 71. Jahrgang 22. März 2018 5
SYMPOSIUM lich verbessert. Mit der Reform könnten die USA den Ferner müssen Wettbewerbsverzerrungen zu Startschuss im internationalen Steuerwettlauf gege- Lasten des Handwerks gegenüber Großunternehmen ben haben. China kündigte beispielsweise an, dass beseitigt werden. Dies betrifft nicht nur die Steuer- ausländische Unternehmen ihre Gewinne vorerst last, sondern auch den Aufwand bei der Steuerbü- nicht mehr versteuern müssten, wenn sie diese unter rokratie. Es ist wissenschaftlich belegt, dass kleine bestimmten Bedingungen wieder im Land investier- Unternehmen durch Bürokratie überdurchschnitt- ten. Und auch in Frankreich und Großbritannien gibt lich belastet sind. Hier besteht deshalb erheblicher es Pläne für Steuersenkungen. Handlungsbedarf. STEUERREFORM WAS DAS HANDWERK KONKRET ERWARTET Nicht nur die internationalen Entwicklungen legen Einkommensteuerreform es nahe, auch in Deutschland über eine Reform der Besteuerung nachzudenken. Generell ist es erforder- Das Handwerk erwartet, dass die Einkommensteuer- lich, das komplexe Steuersystem immer wieder auf belastung gerade für mittlere Einkommen durch eine den Prüfstand zu stellen und darauf abzuklopfen, umfassende Steuerreform deutlich gesenkt wird. Die ob es den Zielen, die damit verfolgt werden, über- Grenzsteuerbelastung muss über den gesamten Tarif- haupt noch gerecht wird. Seit der Unternehmensteu- verlauf gesenkt werden. Zur Bekämpfung der kalten erreform 2008 gab es in Deutschland, abgesehen von Progression ist eine regelmäßige Erhöhung der Ein- der Neuregelung der Erbschaftsteuer, keine nennens- kommensgrenzen durch eine »Rechtsverschiebung« werte Steuerreform mehr. Entlastungen wurden ledig- des Einkommensteuertarifs unverzichtbar. Der Mittel- lich in homöopathischen Dosen gewährt. Die Folge ist, standsbauch, der gerade Bezieher kleiner und mittle- dass die Abgabenquote seit 2010 kontinuierlich ange- rer Einkommen stark belastet, muss durch die Begra- stiegen ist. Die Steuereinnahmen sprudeln. Die posi- digung des Einkommensteuertarifs beseitigt werden. tiven Seiten dieser Entwicklung will ich gar nicht ver- Ziel muss es sein, zu einem linear-progressiven Tarif schweigen. Es ist gelungen, die im Zuge der Finanz- zurückzukehren. krise auf über 80% angestiegene Schuldenstandquote wieder deutlich in Richtung des Maastricht-Referen- Solidaritätszuschlag zwerts von 60% zu senken. Die Kehrseite der Medaille ist, dass sich der Staat ein immer größeres Stück vom Der Solidaritätszuschlag sollte nach dem Auslaufen des erwirtschafteten Kuchen nimmt. Ein Treibsatz ist dabei Solidarpakts zügig und vollständig abgeschafft wer- vor allem die sogenannte kalte Progression. Die nomi- den. Es wäre ein fatales Signal für die Glaubwürdigkeit nalen Einkommen steigen, auch die Inflation kommt des Staates und der Politik, wenn sich ein Zuschlag, der wieder in Gang. Aber die Eckpunkte des progressiven zur Bewältigung besonderer Herausforderungen ein- Steuertarifs bleiben weitgehend unverändert, so dass geführt wurde, dauerhaft verfestigen würde. inzwischen bereits Facharbeiter dem Spitzensteuer- satz unterliegen. Hinzu kommt die Belastung durch Thesaurierungsrücklage den Solidaritätszuschlag. Er wurde 1995 zur Finanzie- rung der Kosten der deutschen Einheit eingeführt. Er Die mittelstandsfreundliche Ausgestaltung der Thesau- hat seinen Zweck erfüllt. Ihn weiter zu erheben, ist nicht rierungsrücklage im Sinne des § 34a EStG ist ein Ansatz, mehr gerechtfertigt. Eine Steuerreform, die echte Ent- um die Innenfinanzierung im Handwerk und damit die lastungen für die Bürger vorsieht, ist daher überfällig. Investitionskraft der Betriebe zu stärken. Nach der der- zeitigen Ausgestaltung können nur wenige auf Dauer NOTWENDIGE ZIELSETZUNGEN AUS SICHT DES ertragsstarke Personenunternehmen die Regelung HANDWERKS zur Begünstigung nicht entnommener Gewinne nut- zen. Aber gerade kleinere Unternehmen sind auf höhe- Eine durchgreifende Steuerreform muss aus Sicht des res Eigenkapital und damit eine höhere Kreditfähigkeit Handwerks die Rahmenbedingungen dafür verbessern, angewiesen. Aus Sicht des Handwerks sollte vor allem dass unser Wirtschaftsbereich die Zukunft erfolgreich möglich sein, dass bis zu einem Entnahmevolumen von meistern kann. Zwei Herausforderungen möchte ich an 100 000 Euro (200 000 Euro für Zusammenveranlagte) dieser Stelle besonders hervorheben: Den immer gra- laufende Entnahmen aus bereits vollständig versteuer- vierenderen Fachkräftemangel und den enormen tech- tem Eigenkapital möglich sind. nischen Fortschritt, hier vor allem die rasante Digitali- sierung. Beide Entwicklungen bewirken im Handwerk Investitionsabzugsbetrag, Sonderabschreibung einen erheblichen Investitionsbedarf. Durch eine Redu- § 7g EStG zierung der Steuerlast und eine investitionsfreundliche Gestaltung der Besteuerung müssen die Spielräume für Zur Belebung von Investitionen ist eine weitere Stär- die Betriebe erweitert werden, diese Investitionen zu kung der Innenfinanzierung der Unternehmen not- tätigen. wendig. Die Voraussetzung zur Inanspruchnahme des 6 ifo Schnelldienst 6 / 2018 71. Jahrgang 22. März 2018
SYMPOSIUM Investitionsabzugsbetrages (§ 7g Absatz 1 EStG) ist zu Gewerbesteuer verbessern. Eine Anhebung der Grenze von 100 000 auf 200 000 Euro (bei Einnahmen-Überschuss-Rechnung) Die Hinzurechnung ertragsunabhängiger Elemente bei bzw. 235 000 auf 350 000 Euro (bei Bilanzierung) würde der Gewerbesteuer führt insbesondere in Verlustjahren die Innenfinanzierung in besonderem Maß stärken. zu einer erheblichen Substanzbesteuerung. Das Hand- Eine Erweiterung der begünstigten Anschaffungen auf werk fordert, diese abzuschaffen. immaterielle Wirtschaftsgüter (digitale Wirtschaftsgü- ter) wäre ein Anreiz für digitalisierungsrelevante Inves- Bürokratieabbau titionen und würde dem damit verbundenen techno- logisch bedingten schnelleren Wertverzehr Rechnung Möglichkeiten zum Abbau bürokratischer Belastungen tragen. bei der Besteuerung müssen konsequent genutzt wer- den. Ansatzpunkte wären zum Beispiel die Verkürzung Energetische Gebäudesanierung von Aufbewahrungspflichten oder die weitere Anhe- bung der Wertgrenze für geringwertige Wirtschaftsgü- Der Gebäudebereich – insbesondere der Bestand – ter auf mindestens 1 000 Euro. weist ganz erhebliche Potenziale zur Energie- und CO2-Einsparung auf. Um diese zu erschließen, bedarf es AKTUELLE VORSCHLÄGE UND AUSBLICK auch steuerlicher Anreize zur energetischen Gebäude sanierung. Die Förderung finanziert sich über die ausge- Die Große Koalition auf Bundesebene hat im Koaliti- lösten Investitionen durch Mehreinnahmen des Staates onsvertrag auch die Eckpunkte für die Steuerpolitik der an anderer Stelle zum großen Teil selbst. Eine Gegenfi- laufenden Legislaturperiode abgesteckt. Leider wurde nanzierung, zum Beispiel durch Kürzungen beim Steu- die günstige Gelegenheit, die sprudelnden Steuerein- erbonus für Handwerkerleistungen, wie sie in diesem nahmen zu einer zukunftsorientierten und wachstums- Zusammenhang oft diskutiert wurde, ist daher unnötig. fördernden Steuerreform zu nutzen, verpasst. Die Vor- haben der Koalition sind mutlos. Steuerentlastungen Umsatzsteuer beschränken sich auf den teilweisen Abbau des Soli- daritätszuschlags. Ich bin realistisch genug, zu erken- Für den Mittelstand ist eine einfache, praxisgerechte, nen, dass nicht alles, was wünschenswert ist, auch wettbewerbsneutrale, liquiditätsschonende und finanzierbar ist. Die Vorhaben werden den Anforderun- rechtssichere Ausgestaltung der Umsatzsteuer von gen aber in keiner Weise gerecht. Sie steigern nicht die entscheidender Bedeutung. 2009 sind die Ist-Ver- internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, steuerungsgrenzen bei der Umsatzsteuer auf bundes- sie beseitigen nicht die Wettbewerbsverzerrungen weit einheitlich 500 000 Euro normiert worden. Dies zwischen Großunternehmen und Mittelstand, sie ent- bedeutet, dass – anders als bei der Soll-Versteuerung, schärfen nicht das Problem der kalten Progression, und die die Regel ist – die Mehrwertsteuer erst dann an das es wird die Gelegenheit versäumt, einen gerechten und Finanzamt abgeführt werden muss, wenn der Auftrag- in sich stimmigen Einkommensteuertarif zu gestalten. geber die Rechnung bezahlt und der leistende Unter- Das Handwerk betont daher die Notwendigkeit einer nehmer für die erbrachte Leistung die notwendige zukunftsorientierten Steuerreform. Dabei sollte jeder Liquidität zur Entrichtung der Umsatzsteuer erhält. verantwortliche Politiker die Worte Friederichs des Gerade kleine und mittlere Betriebe, die in der Regel Großen im Hinterkopf haben: über eine geringe Eigenkapitalquote verfügen, sind »Eine Regierung muss sparsam sein, weil das Geld, in besonderer Weise auf eine ausreichende Liquidi- das sie erhält, aus dem Blut und Schweiß ihres Volkes tät zur Vorfinanzierung und Abwicklung ihrer Aufträge stammt. Es ist gerecht, dass jeder einzelne dazu bei- angewiesen. Um diesen Anforderungen Rechnung zu trägt, die Ausgaben des Staates tragen zu helfen. Aber es tragen, ist eine Anhebung der Ist-Versteuerungsgren- ist nicht gerecht, dass er die Hälfte seines jährlichen Ein- zen auf 1 Mio. Euro – schon allein aufgrund der gestie- kommens mit dem Staate teilen muss.« genen Materialpreise – sachgerecht und erforderlich. Grundsteuer Aktuell befasst sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage, ob die Grundsteuer mit der Einheitsbewer- tung des Grundvermögens noch verfassungsgemäß ist. Eine eventuell erforderliche Reform der Grundsteuer muss einfach, klar und gerecht sein. Steuererhöhungen sind zu vermeiden. Die Grundsteuer muss eine Objekt- steuer bleiben und darf durch eine alleinige Anknüp- fung am Verkehrswert nicht zu einer Vermögensteuer durch die Hintertür werden. ifo Schnelldienst 6 / 2018 71. Jahrgang 22. März 2018 7
SYMPOSIUM Clemens Fuest* benbelastungen, die sogar teilweise bei über 100% lie- gen (vgl. Bruckmeier, Mühlhan und Peichl 2018). Das Handlungsbedarf in der verweist auf einen Reformbedarf, der über die Einkom- deutschen Steuerpolitik mensteuer hinausgeht. Aber niedrigere Grenzbelastun- gen bei der Einkommensteuer wären ein wichtiger Bei- Die gegen Ende des Jahres 2017 beschlossene US-Steu- trag zum Abbau von beschäftigungsfeindlichen Fehlan- erreform hat die deutsche Steuerpolitik recht unsanft reizen in diesem Segment des Arbeitsmarktes. aus einer Art Dornröschenschlaf geweckt. Jahrelang Das zweite Problem, das die steuerpolitische hatte die Steuerpolitik in der deutschen Wirtschafts- Debatte vor der Bundestagswahl geprägt hat, ist der und Finanzpolitik keine große Rolle gespielt. Die Steu- schleichende Anstieg der Gesamtsteuerbelastung in ereinnahmen stiegen stetig, und andere Themen stan- den letzten Jahren. Abbildung 2 illustriert den Anstieg den im Mittelpunkt, vor allem die Überwindung der der Steuerquote, also des Quotienten aus Steuer- Eurokrise und der globalen Finanzkrise, dann sozial- einnahmen und Bruttoinlandsprodukt seit dem Jahr Clemens Fuest politische Umverteilungsprojekte wie der Mindestlohn 2014.1 Im Zeitraum zwischen 2014 und 2017 ist die und die Mietpreisbremse. Die Steuerpolitik stand aber Steuerquote von 22,1% auf 22,5% gestiegen. Wenn nicht deshalb am Rande, weil keine Reformen nötig es keine Steuerentlastungen gibt, wird die Quote bis sind. Im deutschen Steuersystem gibt es erheblichen 2021 auf 23,2% steigen. Diesen Berechnungen liegen Erneuerungsbedarf. Dieser ergibt sich nicht nur aus die Zahlen der Steuerschätzung vom November 2017 dem Druck des Steuerwettbewerbs, der durch die Steu- zugrunde. Seitdem hat sich das konjunkturelle Bild ersenkungen in den USA verschärft wird. In diesem Bei- weiter aufgehellt, das Wirtschaftswachstum wird vor- trag wird der Reformbedarf in den Bereichen der Ein- aussichtlich höher ausfallen, als in der Steuerschät- kommensbesteuerung, der Unternehmensbesteue- zung angenommen. Deshalb wird der Anstieg der Steu- rung und der vermögensbezogenen Steuern diskutiert. erquote voraussichtlich eher höher sein als hier darge- stellt, denn Treiber der steigenden Quote ist die kalte WACHSENDE EINKOMMENSTEUERBELASTUNG, Progression, deren Ausmaß vom nominalen Wirt- DER MITTELSTANDSBAUCH UND DIE KALTE schaftswachstum bestimmt wird. PROGRESSION Eine steigende Steuerquote bedeutet, dass der Staat einen wachsenden Anteil der Wirtschaftsleistung Vor dem Hintergrund wachsender Überschüsse in den beansprucht. Das ist aus ökonomischer Sicht weder öffentlichen Haushalten und einer wachsenden Steu- richtig noch falsch, sondern eine politische Entschei- erquote konzentrierte sich die steuerpolitische Diskus- dung darüber, ob der Staat mehr oder weniger öffent- sion vor der letzten Bundestagswahl auf Möglichkei- liche Leistungen bereitstellen soll. In Deutschland ten der Entlastung mittlerer und niedriger Einkommen. ist im letzten Wahlkampf allerdings keine der großen Dabei geht es um zwei Probleme. Das eine ist der soge- Parteien mit der expliziten Forderung angetreten, den nannte Mittelstandsbauch im Einkommensteuerta- öffentlichen Sektor auf Kosten des privaten auszudeh- rif, also der schnelle Anstieg der Grenzsteuersätze im Bereich eines zu versteuernden Einkommens zwischen 1 In der Debatte über die Steuerquote wird das Jahr 2014 oft als 9 000 und 13 997 Euro von 14% auf 24% (Stand: 2018), Basisjahr gewählt, da es das erste Jahr mit einem ausgeglichenen Bundeshaushalt war, also der Defizitabbau keinen weiteren Anstieg also um 10 Prozentpunkte. Oberhalb der Grenze von der Steuerquote rechtfertigte. Da die Steuerquote alle staatlichen 13 997 Euro erhöht sich der Grenzsteuersatz deutlich Ebenen betrifft, ist das nicht zwingend, gesamtwirtschaftlich waren die öffentlichen Haushalte in Deutschland bereits im Jahr 2012 aus- langsamer (vgl. Abb. 1). geglichen. In der Diskussion über den Mittelstandsbauch geht es nicht Abb. 1 nur um Verteilungsfragen, son- Mittelstandsbauch im Einkommensteuertarif 2018 dern auch um die negativen Beschäftigungseffekte, die von Grenzsteuersatz in % 50 der hohen Grenzbelastung ausge- hen. Kombiniert man die hohen 40 Grenzsteuersätze mit Belastun- gen durch Sozialversicherungsbei- 30 träge und den Wirkungen der bei wachsenden Einkommen auslau- 20 fenden Transfers wie etwa Wohn- geld, kommt man auf Grenzabga- 10 * Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest ist Prä- sident des ifo Instituts und Professor für 0 Volkswirtschaftslehre, Lehrstuhl für Nati- 0 10 20 30 40 50 60 70 onalökonomie und Finanzwissenschaft, Zu versteuerndes Einkommen in Tsd. Euro an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Quelle: Dorn et al. (2017). © ifo Institut 8 ifo Schnelldienst 6 / 2018 71. Jahrgang 22. März 2018
SYMPOSIUM Abb. 2 in die Abschaffung des Solidari- Steuerquote 2014 bis 2021 tätszuschlags bringt eine Entlas- tung von 10 Mrd. Euro, aber eben % 23,4 erst im Jahr 2021. Hinzukommen 23,17 soll ein Ausgleich für die kalte Pro- 23,2 gression, der in seiner Höhe im 23,0 Koalitionsvertrag nicht beziffert 22,93 22,8 22,75 wird. Man muss aber davon aus- 22,61 gehen, dass das kein vollständi- 22,6 22,45 22,51 ger Ausgleich wird. In ihrem letz- 22,4 22,25 ten Bericht zur kalten Progression 22,2 schreibt die Bundesregierung: 22,07 »Als kalte Progression wird 22,0 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 der Anstieg des durchschnittli- chen Steuersatzes der Einkom- Geplante, aber noch nicht beschlossene Steuerentlastungen sind nicht einberechnet. mensteuer bezeichnet, der allein Quelle: Steuerschätzung; Berechnungen des Autors. © ifo Institut auf die den Preisanstieg (Infla- tion) ausgleichenden Lohn- und nen. In Zeiten sinkender Arbeitslosigkeit sollte man Gehaltserhöhungen zurückzuführen ist. … Infolge der sogar eher fallende öffentliche Ausgaben erwarten, niedrigen Inflationsrate im Jahr 2016 in Verbindung weil weniger Mittel für die Arbeitslosenunterstützung mit den zum Jahresanfang in Kraft getretenen steu- benötigt werden. erlichen Maßnahmen kommt es im Jahr 2016 in der Wenn man als Leitlinie für die Finanzpolitik Gesamtbetrachtung über alle Steuerpflichtigen zu kei- zugrunde legt, dass der öffentliche Sektor weder ner kalten Progression. Im Jahr 2017 wird mit einem expandieren noch schrumpfen soll, dann erfordert das Effekt der kalten Progression in Höhe von rd. 2,1 Mrd. eine Stabilisierung der Steuerquote. Um das zu errei- Euro gerechnet...« (BMF 2016) chen, sind Steuerentlastungen erforderlich, vor allem Die Bundesregierung beschränkt sich also darauf, zum Ausgleich der automatischen Steuererhöhungen die kalte Progression nur insoweit auszugleichen, wie in Folge der kalten Progression. Entscheidend dafür ist, sie auf die Inflation zurückzuführen ist. Das wird wie welches Basisjahr und damit welches Niveau der Steu- folgt begründet: erquote man zugrunde legt. Abbildung 3 zeigt den Ent- »Einkommenssteigerungen, die über die Inflati- lastungsbedarf in der laufenden Legislaturperiode für onsrate hinausgehen, erhöhen … die steuerliche Leis- die Basisjahre 2014 und 2017. tungsfähigkeit.« (BMF 2016) Um die Steuerquote auf das Niveau des Jahres Diese Begründung ist nicht tragfähig. Die Besteu- 2014 zurückzuführen und dort zu halten, müssten die erung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Steuern im Zeitraum 2018 bis 2021 um 113 Mrd. Euro, ist eine Norm zur Regelung der Steuerlastverteilung also um gut 28 Mrd. Euro pro Jahr, gesenkt werden. unter den Steuerzahlern. Sie besagt aber nicht, dass Das könnte durch eine Beseitigung des Mittelstands- bei steigender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit die bauches erreicht werden, allerdings wurde die Chance Steuerquote insgesamt steigen sollte, der öffentliche zur Steuerentlastung im Jahr 2018 bereits verpasst. Sektor sich also auf Kosten des privaten ausdehnen Klar ist auch, dass die Rückführung der Steuerquote sollte. entsprechende Ausgabenkürzun- gen in den öffentlichen Haushal- Abb. 3 ten erfordern würde, denn mit Entlastungsbedarf für konstante Steuerquote der steigenden Steuerquote seit 2014 haben auch die Ausgaben Basis 2017 Basis 2014 Mrd. Euro zugenommen. 50 Wählt man als Basis das Jahr 2017, strebt man also eine dau- 40 erhaft höhere Steuerquote an, dann reduziert sich der Steuer 30 entlastungsbedarf über die lau- fende Legislaturperiode hin- 20 weg auf etwa 52 Mrd. Euro, also 13 Mrd. Euro pro Jahr. Das ist 10 immer noch weitaus mehr als das, was sich die Große Koalition 0 aus Union und SPD vorgenom- 2018 2019 2020 2021 men hat. Der geplante Einstieg Quelle: Steuerschätzung. © ifo Institut ifo Schnelldienst 6 / 2018 71. Jahrgang 22. März 2018 9
SYMPOSIUM Abb. 4 das Unternehmen tätig ist. Wenn Steuerbelastung durch inflationsbedingte und vollständige kalte Progression 2011 Kapitalgesellschaften Gewinne an bis 2016 ihre Teilhaber ausschütten, fallen Basisjahr 2010 auf die Ausschüttung noch einmal Vollständige kalte Progression Mrd. Euro Inflationsbedingte kalte Progression rund 26,4% Einkommensteuer 20 18,0 und Solidaritätszuschlag an. Dar- 16,6 aus ergibt sich eine Gesamtsteuer- belastung von 48,3%. Seit 2008 ist 15 12,9 die Belastung mit Gewerbesteu- 10,2 ern allerdings leicht gestiegen. Der 10 8,1 durchschnittliche Hebesatz der Gewerbesteuer in Deutschland 4,3 6,8 6,7 6,6 lag im Jahr 2008 noch bei 388%, 5 5,4 5,3 im Jahr 2016 dagegen bei 400%. 2,7 Dieser Anstieg bedeutet eine Erhö- 0 hung der tariflichen Steuerbelas- 2011 2012 2013 2014 2015 2016 tung für einbehaltene Gewinne Quelle: Dorn et al. (2016). © ifo Institut von etwa 0,42 Prozentpunkten, kein großer Betrag, aber dennoch Die Beschränkung der Entlastungen auf die allein eine Erhöhung. inflationsbedingte kalte Progression bedeutet, dass Seit 2008 hat sich das internationale Steuerumfeld die durch reales Wachstum verursachte kalte Progres- geändert. Viele Länder haben ihre Steuern gesenkt. sion nicht ausgeglichen wird und die Steuerlast immer Abbildung 5 zeigt, dass 2017 nur wenige Länder höhere weiter zunimmt. Abbildung 4, in der für den Zeit- Steuern auf einbehaltene Unternehmensgewinne erho- raum 2011 bis 2016 die Steuermehrbelastung durch ben als Deutschland, darunter die USA und Frankreich. rein inflationsbedingte und vollständige kalte Pro- Im Jahr 2018 haben die USA ihre Steuern, wie gression verglichen wird, zeigt, dass der Unterschied bereits erwähnt, drastisch reduziert, der Satz der Bun- erheblich ist. dessteuer auf Unternehmensgewinne sank von 35 auf Statt, wie derzeit geplant, alle zwei Jahre einen 21%.3 Auch Frankreich hat Steuersenkungen beschlos- Bericht über die durch Inflation bedingte kalte Pro- sen, von heute 33,3% auf 25% im Jahr 2022. Ähnli- gression vorzulegen und entsprechende Ausgleichs- ches gilt für Großbritannien (von heute 20% auf 17% maßnahmen zu beschließen, sollte die Bundesregie- rung einen Tarif auf Rädern einführen, der die gesamte 3 Zusätzlich erheben nicht alle, aber die meisten Bundesstaaten Steuern auf Unternehmensgewinne. Die Steuersätze liegen 2018 kalte Progression automatisch ausgleicht.2 Viele Län- zwischen 3 und 12% (vgl. Scarboro 2018). Durch Abzugsfähigkeit der der haben einen solchen Tarif auf Rädern, darunter Steuern auf Bundesstaatenebene ist die effektive Gesamtbelastung aus Staaten- und Bundessteuer niedriger als die Summe der Steu- Frankreich, Portugal, Spanien, Großbritannien, Däne- ersätze. Die OECD weist für die USA für 2017 eine durchschnittliche mark und Norwegen (vgl. dazu etwa Lemmer 2014). Gesamtbelastung von 38,91% aus. Heimliche Steuererhöhungen durch kalte Progression sind der demokratischen Kontrolle der Steuerpolitik Abb. 5 abträglich. Unternehmensbesteuerung 2017 USA UNTERNEHMENSBESTEUERUNG Frankreich Belgien Deutschland Im Bereich der Unternehmensbesteuerung liegt die Japan Portugal letzte größere Reform zehn Jahre zurück. Im Jahr 2008 Griechenland wurde die tarifliche Steuerbelastung von Unterneh- Italien Luxemburg mensgewinnen in Deutschland bei Kapitalgesellschaf- Kanada Österreich ten von 38 auf rund 30% gesenkt. Von der Gesamtbe- Niederlande lastung in Höhe von 30% entfallen 15,8 Prozentpunkte Spanien Norwegen auf die Körperschaftsteuer zuzüglich Solidaritätszu- Dänemark Schweden schlag und durchschnittlich etwa 14 Prozentpunkte auf Schweiz Slowakei die Gewerbesteuer, wobei die genaue Gewerbesteuer- Estland belastung vom Hebesatz der Gemeinde abhängt, in der Finnland Tschechien Polen 2 Slowenien Bach (2016) verweist darauf, dass bei Mengensteuern ein negati- UK ver kalter Progressionseffekt eintritt, also eine automatische Lettland Steuerentlastung. Das trifft zu, Mengensteuern spielen im Steuersys- Irland tem allerdings eine untergeordnete Rolle. Außerdem verweist Bach Ungarn auf die automatische Stabilisierungswirkung der kalten Progression. Das spricht für einen Ausgleich in längeren als jährlichen Abständen, 0 5 10 15 20 25 30 35 40 % aber nicht für einen Aufwärtstrend in der Steuerquote. Quelle: OECD. © ifo Institut 10 ifo Schnelldienst 6 / 2018 71. Jahrgang 22. März 2018
SYMPOSIUM ab 2021) und Belgien (schrittweise Senkung, nur noch che Beobachtung unerwünschte Steuervermeidung 25% ab 2020). in besonders krassen Fällen erschweren kann, mag Gelegentlich wird gefordert, Deutschland solle auf durchaus zutreffen. Aber es ist mindestens ebenso diesen Steuerwettbewerb nicht reagieren, weil dies wahrscheinlich, dass die Steuerzahlungen einzelner den Steuerwettbewerb nur unnötig anheize. Dieses Unternehmen in der öffentlichen Debatte falsch bewer- Argument überzeugt nicht. Deutschland ist eine große tet werden. Wichtiger ist jedoch, dass Konkurrenten Volkswirtschaft, aber nicht groß genug, um mit seiner dadurch an Informationen gelangen, die geeignet sind, Steuerpolitik die Steuerpolitik der anderen Volkswirt- die Wettbewerbsposition europäischer Unternehmen schaften hinreichend zu beeinflussen. Das haben die zu verschlechtern. Hinzu kommt, dass die öffentliche letzten zehn Jahre gezeigt – Deutschland hat die Steu- Berichtspflicht viele Unternehmen veranlassen wird, ern nicht gesenkt, andere haben das aber getan, allen die EU als Standort zu meiden und ihre Unternehmens- voran die USA. Wenn Deutschland nicht reagiert, wird sitze künftig beispielsweise nach Großbritannien zu dies Steuersenkungen anderer Länder nicht in nen- verlagern. nenswertem Ausmaß verhindern, Deutschland selbst wird aber wirtschaftlich geschädigt. Wenn das steuer- DIE DEBATTE ÜBER VERMÖGENSBEZOGENEN liche Gefälle zwischen Deutschland und anderen Län- STEUERN dern zunimmt, werden Investitionen und Arbeitsplätze abwandern oder erst gar nicht in Deutschland entste- In Deutschland wird immer wieder gefordert, stär- hen. Außerdem werden Unternehmen Gewinne künftig ker auf vermögensbezogene Steuern zurückzugreifen. verstärkt in anderen Ländern ausweisen. Das kostet Begründet wird dies zum einen damit, dass die Vermö- Deutschland Wachstum, Beschäftigung und Steuerauf- gensungleichheit in Deutschland im internationalen kommen. Um dem entgegenzutreten, sollte Deutsch- Vergleich sehr hoch sei. Zum anderen sei der Anteil ver- land Frankreich folgen und die tarifliche Belastung der mögensbezogener Steuern am Gesamtsteueraufkom- Unternehmensgewinne in den nächsten Jahren schritt- men in Deutschland vergleichsweise niedrig. weise auf 25% abbauen. Ob die Vermögensverteilung in Deutschland Die von der Bundesregierung im Koalitionsvertrag zu ungleich ist oder nicht, ist eine Frage der poli- angekündigte Strategie, als Antwort auf die US-Steuer- tischen Bewertung. Hier sei nur darauf hinge- reform einen EU-weiten Mindestsatz für die Unterneh- wiesen, dass internationale Vergleiche Rentenan- mensbesteuerung einzuführen, wird Deutschland im sprüche in der Regel ausblenden. Da Rentenansprü- Steuerwettbewerb nicht helfen. Dass in der EU die erfor- che in Deutschland höhere Bedeutung für die Vermö- derliche einstimmige Unterstützung für einen Mindest- gensposition der privaten Haushalte haben als in den steuersatz zustande kommt, ist sehr unwahrschein- meisten anderen Ländern, ist die Aussagekraft inter- lich. Vor allem die durch geographische Randlage oder nationaler Vergleiche, die diesen Aspekt ausblenden, einen niedrigeren ökonomischen Entwicklungsstand begrenzt. benachteiligten Mitgliedstaaten, wie Bulgarien oder Abb. 6 die baltischen Staaten, werden die Unternehmensbe- Anteil vermögensbezogener Steuern am gesamten Steuer- steuerung als wichtiges Instrument der Standortpoli- aufkommen 2015 tik nicht aus der Hand geben. Auch bei der geplanten Harmonisierung der Bemessungsgrundlage sind Fort- Estland Slowakei schritte derzeit zumindest nicht absehbar. So lange Österreich Tschechien steuerpolitische Entscheidungen in der EU nur einstim- Slowenien Mexiko mig gefällt werden können, hätte eine Festlegung von Schweden Deutschland Steuersätzen und Bemessungsgrundlage auf EU-Ebene Norwegen Finnland auch den Nachteil, dass für künftig erforderliche Ände- Ungarn Lettland rungen die notwendige Handlungsfähigkeit fehlt. Portugal Niederlande Eine riskante Entwicklung auf EU-Ebene ist die Poli- Dänemark Polen tik, von multinationalen Unternehmen mit Niederlas- Chile sungen in der EU und konsolidierten Konzernumsätzen Türkei Island von mindestens 750 Mio. Euro pro Jahr eine öffentliche OECD Neuseeland länderweise Berichterstattung über Ertragsteuerzah- Irland Italien lungen zu verlangen (öffentliches Country-by-Coun- Schweiz Spanien try-Reporting). Seit April 2016 liegt ein EU-Richtlini- Belgien Japan envorschlag vor, der das beinhaltet. Das soll für mehr Griechenland Luxemburg Transparenz und öffentlicher Kontrolle sorgen. Frankreich USA Von der Einführung eines öffentlichen Coun- Israel Australien try-by-Country-Reporting kann man nur abraten. Die Kanada Südkorea Finanzverwaltungen erhalten diese länderweisen UK Informationen ohnehin, aber das Steuergeheimnis der 0 2 4 6 8 10 12 14 % Unternehmen sollte gewahrt bleiben. Dass öffentli- Quelle: OECD. © ifo Institut ifo Schnelldienst 6 / 2018 71. Jahrgang 22. März 2018 11
SYMPOSIUM Abb. 7 Abb. 8 Anteil von Erbschaftsteuern am Gesamtsteueraufkommen Anteil von Grundsteuern am Gesamtsteueraufkommen 2015 2015 Australien Luxemburg Estland Österreich Israel Schweiz Mexiko Tschechien Neuseeland Estland Portugal Türkei Slowakei Norwegen Schweden Deutschland Tschechien Mexiko Österreich Slowakei Norwegen Slowenien Lettland Ungarn Kanada Finnland Polen Schweden Ungarn Portugal Slowenien Niederlande Türkei Lettland Italien Belgien Griechenland Dänemark Chile Irland Island Südkorea OECD Chile Luxemburg OECD USA Spanien Dänemark Italien Deutschland Polen Schweiz Island Niederlande Griechenland Irland Frankreich Finnland Australien UK Neuseeland Spanien Japan Japan Israel Frankreich UK Südkorea Kanada Belgien USA 0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 1,2 1,4 1,6 1,8 % 0 2 4 6 8 10 % Quelle: OECD. © ifo Institut Quelle: OECD. © ifo Institut Richtig ist hingegen, dass der Anteil der vermö- werbsteuern, denn die verursachen wieder erheb- gensbezogenen Steuern in Deutschland im internatio- liche Ausweichreaktionen und Verzerrungen. Viele nalen Vergleich eher niedrig ist (vgl. Abb. 6). Das liegt Bundesländer haben die Steuersätze bei den Grund aber nicht daran, dass andere Länder im Durchschnitt erwerbsteuern in den letzten Jahren stark angeho- höhere Erbschaftsteuern oder Nettovermögensteu- ben, unter anderem deshalb, weil der Finanzausgleich ern erheben. Nettovermögensteuern existieren in den entsprechende Anreize schafft. Diese Entwicklung ist meisten Ländern überhaupt nicht, Erbschaftsteuern wirtschaftlich schädlich. Hier sollte die Steuerpolitik erbringen meistens nur geringes Steueraufkommen, Maßnahmen ergreifen, um einen weiteren Anstieg der vor allem weil für Betriebsvermögen Vergünstigungen Steuersätze zu vermeiden. gewährt werden (vgl. Abb. 7). Der Unterschied im Gewicht der vermögensbe- SCHLUSSFOLGERUNGEN UND AUSBLICK zogenen Steuern zwischen Deutschland und anderen Ländern ergibt sich in erster Linie daraus, dass andere Im Bereich der Einkommensbesteuerung sollte die Länder höhere Grundsteuern erheben (vgl. Abb. 8). Politik Steuerentlastungsspielräume einsetzen, um Auch bei diesem Vergleich sind allerdings institutio- den Mittelstandsbauch im Einkommensteuerta- nelle Unterschiede zu beachten. In anderen Ländern rif abzubauen. Um den Anstieg der Steuerbelastung haben Grundsteuern auch die Funktion kommunaler durch kalte Progression in der Zukunft zu beseitigen, Gebühren wie etwa Müllgebühren. Dadurch werden sollte die Steuerpolitik einen automatischen Aus- die Unterschiede in der Bedeutung von Grundsteuern gleich in Form eines Tarifs auf Rädern beschließen. überzeichnet. Im Bereich der Unternehmensbesteuerung sind Maß- Trotzdem spricht einiges dafür, dass Grundsteu- nahmen erforderlich, um zu verhindern, dass sich ern in Deutschland eine größere Rolle bei der Finan- die Position Deutschlands im internationalen Steu- zierung staatlichen Handelns spielen sollten. Vor erwettbewerb verschlechtert. Auf EU-Ebene sollten allem haben Grundsteuern den Vorteil, dass sie nicht Schritte wie die Einführung eines öffentlichen Coun- zur Abwanderung des besteuerten Vermögens führen, try-by-Country-Reporting unterbleiben, die Anreize denn zumindest Grund und Boden ist definitionsge- zur Standortverlagerung in Nicht-EU-Staaten schaf- mäß nicht mobil. Bei den darauf errichteten Gebäuden fen. Eine angemessene und schnell umsetzbare Ant- kann es durchaus Abwanderung in der Form unterlas- wort auf den wachsenden Steuerwettbewerb wäre sener Investitionen in Erhaltung oder Neubau geben. eine Senkung der Körperschaftsteuer auf 10%. Damit Wenn man an eine stärkere Nutzung vermögensbezo- würde die Gesamtsteuerbelastung für eingehaltene gener Steuern in Deutschland denkt, sollte man sich Gewinne von Kapitalgesellschaften inklusive Gewer- auf Grundsteuern konzentrieren, dabei allerdings auf besteuer auf rund 25% fallen. Deutschland würde die regelmäßigen Grundsteuern, nicht auf Grunder- damit Frankreich folgen. 12 ifo Schnelldienst 6 / 2018 71. Jahrgang 22. März 2018
SYMPOSIUM Der Steuerreformbedarf ist damit allerdings LITERATUR bei weitem nicht erschöpft. Wünschenswert wäre in Bach, St. (2016), Unsere Steuern – Wer zahlt? Wie viel? Wofür?, Westend Deutschland vor allem eine grundlegende Reform Verlag, Frankfurt am Main. der Unternehmensbesteuerung, bei der die Gewerbe- BMF – Bundesministerium der Finanzen(2016), Monatsbericht des Bundes- steuer durch einen Zuschlag zur Einkommen- und Kör- ministeriums der Finanzen, November, verfügbar unter: http://www.bun- desfinanzministerium.de/Content/DE/Monatsberichte/2016/11/Inhalte/ perschaftsteuer ersetzt wird. In diesem Kontext müss- Kapitel-3-Analysen/3-5-Effekt-der-kalten-Progression-bei-Einkommens- ten die Kommunalfinanzen neu geordnet werden. Bei steuer.html. den vermögensbezogenen Steuern besteht nicht nur Bruckmeier, K., J. Mühlhan und A. Peichl (2018), »Mehr Arbeitsanreize für einkommensschwache Familien schaffen«, ifo Schnelldienst 71(3), 25–28. Reformbedarf bei Grundsteuern und Grunderwerb- steuern, sondern auch bei der Erbschaftsteuer. Hier Dorn, F., C. Fuest, F. Häring, B. Kauder, L. Lorenz und M. Mosler (2017), »Die Beseitigung des Mittelstandsbauchs – Reformoptionen zur Einkom- entsteht durch die Kombination aus hohen Steuersät- mensteuer und ihre fiskalischen Kosten«, ifo Schnelldienst 70(9), 31–38. zen und Ausnahmen vor allem für Betriebsvermögen, Dorn, F., C. Fuest, B. Kauder, L. Lorenz, M. Mosler und N. Potrafke (2016), die allerdings an den Verzicht auf Umstrukturierun- Heimliche Steuererhöhungen – Belastungswirkungen der Kalten Progres- sion und Entlastungswirkungen eines Einkommensteuertarifs auf Rädern, gen gebunden sind, eine ungerechte und wirtschaft- Studie im Auftrag der FDP-Fraktionsvorsitzendenkonferenz, ifo Institut, lich hochgradig schädliche Besteuerung. Es ist höchste München. Zeit, bei der Erbschaftsteuer die Steuersätze deut- Lemmer, J. (2014), Regelungen zum Abbau der kalten Progression im inter- nationalen Vergleich, DSI kompakt Nr. 12, Deutsches Steuerzahlerinstitut lich zu reduzieren und die Ausnahmen abzubauen. In des Bundes der Steuerzahler, Berlin. diesem Beitrag nicht thematisiert wurde die Umsatz- Scarboro, M. (2018), State Corporate Income Tax Rates and Brackets for steuer. Auch wäre es an der Zeit, endlich zu einem ein- 2018, Tax Foundation Fiscal Fact Nr. 571, Februar, verfügbar unter: https:// files.taxfoundation.org/20180212095539/Tax-Foundation-FF571-1.pdf. heitlichen Steuersatz überzugehen. ifo Schnelldienst 6 / 2018 71. Jahrgang 22. März 2018 13
SYMPOSIUM Franz Josef Pschierer* politisches Bekenntnis gewünscht, insbesondere eine mutigere Steuerentlastung. Sprudelnde Einnahmen, Eine Korrektur des Einkommensteuertarifs wäre große Herausforderungen – mit der SPD aber nur im Gegenzug mit einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes machbar gewesen – ein wirt- Erwartungen an eine schaftspolitisch falsches Signal zu Lasten vor allem zukunftsfähige Steuer- und der mittelständischen Personenunternehmen und der Leistungsträger der Gesellschaft. Finanzpolitik Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherung erzielten 2017 einen Rekordüberschuss von zusammen Die Wirtschaft in Deutschland boomt. Und die öffentli- 36,6 Mrd. Euro. Spielraum für Steuersenkungen wäre chen Haushalte entwickeln sich ungeachtet der politi- also da. schen Herausforderungen äußerst positiv. Bund, Län- Immerhin ist es gelungen, Steuermehrbelastun- der und Gemeinden erzielen aktuell und voraussicht- gen zu verhindern etwa die Erhöhung des Spitzensteu- lich auch in den kommenden Jahren Überschüsse. ersatzes, Verschärfungen bei der Erbschaftsteuer oder Das Wachstum erreicht die Breite der Gesellschaft, die gar die Wiedereinführung der Vermögensteuer. Das ist Beschäftigung liegt auf einem Rekordniveau, die finan- angesichts der politischen Konstellation durchaus ein ziellen Spielräume sind gewachsen. Es ist deshalb nicht Erfolg. Franz Josef Pschierer übertrieben, festzustellen: So gut wie heute ging es uns Es bleibt aber wichtig, bessere Abschreibungsmög- noch nie. lichkeiten, bessere Möglichkeiten Verluste zu berück- Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand kom- sichtigen, eine Streichung von Hinzurechnungen in der men jedoch nicht von allein. Wir müssen dafür immer Gewerbesteuer und die Einführung einer steuerlichen wieder die richtigen Weichen stellen. Förderung von Forschung und Entwicklung in Angriff zu Dabei dürfen wir nicht übersehen, dass es unsere nehmen. Denn Steuerpolitik ist Standortpolitik! Unternehmen sind, denen wir den wirtschaftlichen Erfolg verdanken. Wir müssen diese deshalb in die Lage MEGATREND DIGITALISIERUNG versetzen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und zu erhöhen. Ein Schlüsselbereich für die Wettbewerbsfähigkeit Unsere Wirtschaft ist auf eine verlässliche und Deutschlands ist die Digitalisierung. Dabei kommt wettbewerbsfähige Gesetzgebung angewiesen, die dem flächendeckenden Ausbau des Glasfasernet- Investitionen und Innovationen voranbringt. Denn die zes höchste Priorität zu. Für die Unternehmen stellt Herausforderungen und Risiken für den Standort sind es eine erhebliche Herausforderung dar, mit den zuletzt wieder deutlich gestiegen. sich schnell wandelnden, technologischen Entwick- lungen mitzuhalten, um im Wettbewerb bestehen zu INTERNATIONALER STEUERWETTBEWERB können. Um die Digitalisierung konsequent voranzutrei- Die (wirtschaftspolitisch durchaus notwendige) ben, ist es gesamtwirtschaftlich zielführend, diesen US-Steuerreform hat den globalen Steuerwettbe- Investitionsprozess, etwa durch eine beschleunigte werb angeheizt. Die Senkung des Unternehmens- Abschreibung, zu erleichtern. Die Unternehmen wer- steuersatzes von 35% auf 21%, Sofortabschrei- den dadurch bei den hohen Umstellungsinvestitio- bungen für Investitionen und niedrige Besteue- nen für vernetzte Maschinen und Anlagen unterstützt. rung ausländischer Gewinne auf immaterielle Wirt- Beschleunigte Abschreibungen für digitalisierungs- schaftsgüter erhöhen die steuerliche Attraktivität relevante Investitionen tragen zudem dem technolo- der USA, denn eine niedrige Steuerlast ist ein entschei- gisch bedingten schnelleren Wertverzehr Rechnung. dender Wettbewerbsfaktor. China hat seinerseits Denn der rasante Fortschritt bei digitalen Komponen- auf die US-Steuerreform mit Steuererleichterun- ten führt dazu, dass sich die Dauer einer sinnvollen gen für ausländische Unternehmen reagiert. In Eu- Nutzung der angeschafften Anlagen verkürzt. Sie sind ropa wird mit dem Brexit eine Steuersenkung in zudem ein Anreiz für Digitalisierungsprojekte in den Großbritannien erwartet, und auch Länder, wie z.B. Unternehmen. Frankreich oder Österreich, haben Entlastungen In diesem Zusammenhang begrüße ich die im angekündigt. Koalitionsvertrag festgeschriebene Einführung der Um die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschafts- steuerlichen Forschungsförderung insbesondere für standorts zu sichern, muss auch Deutschland kleine und mittelgroße Unternehmen ausdrücklich. handeln. Gerade die steuerliche Forschungsförderung ist ein Mir ist die Enttäuschung der Wirtschaftsverbände wichtiges Kriterium, wohin Unternehmen künftig ihre über den Koalitionsvertrag bekannt. Und auch ich Investitionen lenken. Deutschland muss hier aufho- hätte mir mutigere Schritte und ein klares wirtschafts- len, da es als eines der wenigen OECD- und EU-Mit- * Franz Josef Pschierer ist Staatssekretär im Bayerischen Staatsmi- gliedstaaten über keine steuerliche FuE-Förderung nisterium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie. verfügt. 14 ifo Schnelldienst 6 / 2018 71. Jahrgang 22. März 2018
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