Symposium "Sprudelnde Einnahmen, große Herausforderungen - Erwartungen an eine zukunftsfähige Steuer- und Finanzpolitik" - ifo Institut

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SYMPOSIUM

Symposium »Sprudelnde Einnahmen,
große Herausforderungen –
Erwartungen an eine zukunftsfähige
Steuer- und Finanzpolitik«

SYMPOSIUM »SPRUDELNDE EINNAHMEN, GROSSE
HERAUSFORDERUNGEN – ERWARTUNGEN AN EINE
ZUKUNFTSFÄHIGE STEUER- UND FINANZPOLITIK«

Symposium am 6. März 2018, 14:00 Uhr bis 17:00 Uhr

Begrüßung und Einführung
Franz Xaver Peteranderl
Präsident des Bayerischen Handwerkstages

»Handlungsbedarf in der deutschen Steuerpolitik«
Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest
Präsident des ifo Instituts
                                                      Die Steuer- und Finanzpolitik legt die Grundlagen für
»Politischer Ausblick«                                eine erfolgreiche Aufgabenerfüllung des Staates. Sie
Franz Josef Pschierer, MdL                            entscheidet gleichzeitig über den Umfang der Belas-
Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für   tung der Steuerzahler sowie auch maßgeblich über
Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie        die Investitions-, Arbeits- und Absatzbedingungen der
                                                      Unternehmen. Wie wird in den nächsten Jahren die
                                                      Steuer- und Finanzpolitik gestaltet werden? Wo liegen
Diskussion                                            die Probleme? Wo sehen Wissenschaft, Handwerk und
Franz Josef Pschierer, MdL                            Politik Handlungsbedarf? Um diese Fragen zu beleuch-
Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für   ten und Antworten herauszuarbeiten, veranstalteten
Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie        der Bayerische Handwerkstag und das ifo Institut am
                                                      6. März 2018 ein Symposium unter dem Titel »Spru-
Franz Xaver Peteranderl                               delnde Einnahmen, große Herausforderungen –
Präsident des Bayerischen Handwerkstages              Erwartungen an eine zukunftsfähige Steuer- und
                                                      Finanzpolitik«.
Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest                           Der Präsident des Bayerischen Handwerkstages,
Präsident des ifo Instituts                           Franz Xaver Peteranderl, wies in seinen einführen-
                                                      den Worten darauf hin, dass die Steuerpolitik erhebli-
Prof. Dr. Deborah Schanz                              chen Einfluss auf den Wettbewerb nehme und sowohl
Vorstand des Instituts für Betriebswirtschaftliche    Investitionsentscheidungen als auch den Wettbe-
Steuerlehre an der Ludwig-Maximilians-Universität     werb zwischen unterschiedlichen Unternehmensfor-
München                                               men beeinflusse und zu einer Benachteiligung kleiner
                                                      und mittlerer Unternehmen führen könne. So könn-
                                                      ten international agierende Großkonzerne leichter auf
Moderation                                            internationale Unterschiede in der Besteuerung reagie-
Steffen Range                                         ren als kleine und mittlere Unternehmen. Sie hätten
Chefredakteur, Deutsche Handwerks-Zeitung             wesentlich bessere Gestaltungsmöglichkeiten, um
                                                      Steuerschlupflöcher oder Vergünstigungen auf inter-
                                                      nationaler Ebene zu nutzen, während kleine und mitt-
                                                      lere Unternehmen die volle Last tragen müssten. Nicht
                                                      nur die internationale Entwicklung lege es nahe, auch in
                                                      Deutschland über eine Reform der Besteuerung nach-
                                                      zudenken. Generell sei es erforderlich, das komplexe
                                                      Steuersystem auf den Prüfstand zu stellen. Gerade im

                                                                    ifo Schnelldienst   6 / 2018   71. Jahrgang   22. März 2018   3
SYMPOSIUM

                                                                      litionsvertrag festgeschriebene Einführung der steuer-
                                                                      lichen Forschungsförderung insbesondere für kleine
                                                                      und mittelgroße Unternehmen. Damit sei ein wichtiger
                                                                      Schritt getan, um dem Forschungsdefizit bei kleineren
                                                                      und mittleren Unternehmen entgegenzuwirken und die
                                                                      Attraktivität des Investitionsstandorts Deutschland
                                                                      zu erhöhen. Handlungsbedarf sehe er auch für eine
                                                                      Reform des Einkommensteuertarifs mit einer Abfla-
                                                                      chung des Mittelstandsbauchs, einer Anhebung der
                                                                      Grenze für den Spitzensteuersatz und einem Abbau der
                                                                      kalten Progression.
                                                                           Prof. Dr. Deborah Schanz, Vorstand des Instituts
    Diskussionsrunde: Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest, Franz Xaver
    Peteranderl, Steffen Range, Franz Josef Pschierer,                für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Lud-
    Prof. Dr. Deborah Schanz                                          wig-Maximilians-Universität München, äußerte Zwei-
                                                                      fel, ob die schwarze Null zu halten sei, da der Koaliti-
    Handwerk bestehe ein erheblicher Investitionsbedarf.              onsvertrag an verschiedensten Stellen von Steuerge-
    Durch eine Reduzierung der Steuerlast und eine inves-             schenken und massiven Investitionsversprechen, z.B.
    titionsfreundliche Gestaltung der Besteuerung soll-               für Schulen und Kitas, Landwirtschaft, Verkehr und
    ten die Spielräume für die Betriebe erweitert werden,             Kommunen, gespickt sei. Auch werde eine dringend
    damit sie diese Investitionen tätigen können. Die Vor-            notwendige Reform der Gewerbesteuer nicht thema-
    schläge der Koalition zur Steuerpolitik seien aber bis-           tisiert, und der internationale Steuerwettbewerb, der
    her leider »mutlos«.                                              durch massive Steuersatzsenkungen in den USA und
         ifo-Präsident Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest               Großbritannien eine neue Intensität erreiche, werde
    setzte sich in seinem Vortrag kritisch mit den steuer-            von den zukünftigen Koalitionsparteien geradezu igno-
    politischen Vorhaben der Großen Koalition auseinan-               riert. Die niedrigen Steuersätze, hohe F&E-Anreize, die
    der. Er wies darauf hin, dass es im deutschen Steuer-             Einführung der geplanten Base Erosion Anti-Avoidance
    system erheblichen Erneuerungsbedarf gibt, und kon-               Tax sowie drohende Zölle in den USA könnten aus deut-
    zentrierte seine Ausführungen auf den Reformbedarf                scher Sicht eine negative Verschiebung der globalen
    in den Bereichen der Einkommensbesteuerung, der                   Lieferketten zur Folge haben. Deutschland müsse zum
    Unternehmensbesteuerung und der vermögensbezo-                    Schutz der eigenen Wirtschaft und zum Erhalt des deut-
    genen Steuern. Im Bereich der Einkommensbesteu-                   schen Steueraufkommens darauf reagieren.
    erung sollte die Politik Steuerentlastungsspielräume                   In der anschließenden Podiumsdiskussion unter
    einsetzen, um den Mittelstandsbauch im Einkommen-                 der Moderation von Steffen Range, Chefredakteur der
    steuertarif abzubauen. Um den Anstieg der Steuer-                 Deutschen Handwerks-Zeitung, erläuterten die Refe-
    belastung durch die kalte Progression zu beseitigen,              renten noch einmal ihre Einschätzungen der steuer-
    sollte ein automatischer Ausgleich in Form eines »Tarifs          politischen Vorhaben der Großen Koalition. Insgesamt
    auf Rädern« eingeführt werden. Im Bereich der Unter-              seien die steuerpolitischen Pläne enttäuschend. Sie
    nehmensbesteuerung seien Maßnahmen erforderlich,                  seien eher ein Flickenteppich, es fehle eine zugrunde
    um die Position Deutschlands im internationalen Steu-             liegende Vision. Das Fazit: Das deutsche Steuersystem
    erwettbewerb zu verbessern. Eine angemessene und                  sei zu kompliziert, die Bürokratie zu groß und die Steu-
    schnell umsetzbare Antwort auf den wachsenden Steu-               erverwaltung zu rückständig. Es bedürfe einer Entbü-
    erwettbewerb wäre eine Senkung der Körperschaft-                  rokatisierung durch mehr Digitalisierung.
    steuer. Bei den vermögensbezogenen Steuern bestehe                     Im Folgenden werden die Beiträge, die im Rahmen
    Reformbedarf bei Grundsteuern, Grunderwerbsteu-                   des Symposiums präsentiert wurden, veröffentlicht.
    ern sowie bei der Erbschaftsteuer. Und bei der Umsatz-
    steuer wäre es an der Zeit, endlich zu einem einheitli-
    chen Steuersatz überzugehen.
         Franz Josef Pschierer, Staatssekretär im Bayeri-
    schen Staatsministerium für Wirtschaft und Medien,
    Energie und Technologie, unterstrich, dass sich die
    Wirtschaft in Deutschland und auch die öffentlichen
    Haushalte gegenwärtig, ungeachtet der politischen
    Herausforderungen, äußerst positiv entwickeln. Trotz-
    dem müsse Deutschland zur Sicherung der Wettbe-
    werbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts handeln. So
    sei der internationale Steuerwettbewerb vor allem
    durch die US-Steuerreform angeheizt worden, und im
    Koalitionsvertrag fehle ein Bekenntnis zu einer muti-
    gen Steuerentlastung. Positiv sei allerdings die im Koa-

4   ifo Schnelldienst   6 / 2018   71. Jahrgang   22. März 2018
SYMPOSIUM

Franz Xaver Peteranderl*                                  erhöht, so dass Unternehmen mit einem Verbrauch
                                                          bis 48,7 MWh Strom 16 300 l Heizöl oder 181 MWh Erd-
Begrüßung und Einführung                                  gas im Jahr den vollen Satz zahlen müssen. Dies trifft
                                                          auf die weit überwiegende Mehrheit der Handwerksbe-
STEUERPOLITIK IST WETTBEWERBSPOLITIK                      triebe zu.
                                                               Für die Handwerksbetriebe sind solche zusätzli-
Zwei Punkte rücken in der steuerpolitischen Diskus-       chen Belastungen gegenüber Großbetrieben fatal. Sie
sion meist in den Mittelpunkt: Erstens der fiskalische    stehen in vielen Bereichen in Konkurrenz zu Indust-
                                                                                                                                          Franz Xaver
Aspekt. Das Steuersystem muss die notwendigen Ein-        rieprodukten und haben ohnehin mit vielen betriebs-                             Peteranderl
nahmen generieren, um die staatlichen Aufgaben zu         größenbedingten Wettbewerbsnachteilen zu kämp-
finanzieren. Und zweitens der sozialpolitische Aspekt:    fen. Zusätzliche Wettbewerbsverzerrungen sind daher
Das Steuersystem soll die soziale Gerechtigkeit för-      kaum zu verkraften.
dern. Starke Schultern sollen mehr belastet werden als
schwache.                                                 GESTALTUNGSMÖGLICHKEITEN
     In der Diskussion meist nur am Rande erwähnt
wird, dass die Steuerpolitik erheblichen Einfluss auf     International agierende Großunternehmen werden
den Wettbewerb nimmt und Investitionsentschei-            nicht nur vom Steuergesetzgeber häufig mit Rücksicht
dungen beeinflusst. Die Besteuerung ist ein entschei-     behandelt. Sie haben natürlich auch wesentlich bes-
dender Faktor für die Attraktivität eines Standorts       sere Gestaltungsmöglichkeiten, um Steuerschlupflö-
und berührt damit die internationale Wettbewerbsfä-       cher oder Vergünstigungen auf internationaler Ebene
higkeit. Das Kapital sucht sich den Standort, der den     zu nutzen. Nicht zuletzt können sie sich hochqualifi-
höchsten Ertrag bietet. Die Besteuerung nimmt aber        zierte Fachleute leisten, die ihnen entsprechende Stra-
auch Einfluss auf den Wettbewerb zwischen verschie-       tegien ausarbeiten.
denen Sektoren der Wirtschaft. So beeinflusst das              Helmut Schmidt hat einmal gesagt: »Wer die
Steuersystem den Wettbewerb zwischen unterschied-         Pflicht hat, Steuern zu zahlen, der hat auch das
lichen Unternehmensformen. Es kann Einfluss nehmen        Recht, Steuern zu sparen.« Gegen die Inanspruch-
auf den Wettbewerb zwischen Großunternehmen und           nahme von Steuervergünstigungen ist also grund-
Kleinunternehmen, zwischen Personenunternehmen            sätzlich nichts zu sagen. Allerdings möchte ich
und Kapitalgesellschaften.                                ergänzen: Dann hat der Staat auch die Pflicht, beson-
                                                          dere Rücksicht auf diejenigen zu nehmen, die nicht
BENACHTEILIGUNG KLEINER UND MITTLERER                     die Möglichkeiten oder die Ressourcen haben,
UNTERNEHMEN                                               Schlupf­löcher zu nutzen und komplizierte Steuerver-
                                                          meidungsstrategien zu entwickeln. Steuergerechtig-
Kapital ist ein scheues Reh. Dieser Satz hat sich wohl    keit ist nicht damit vereinbar, dass man in erster
auch vielen Politikern eingebrannt. Und ihnen scheint     Linie die »Wehrlosen« schröpft. Die Diskussion um
ebenfalls bewusst, dass international agierende Groß-     die Panama Papers vor einigen Monaten und Berichte
konzerne leichter auf internationale Unterschiede in      über die Steuervermeidung durch internationale
der Besteuerung reagieren können als am Standort          Großkonzerne legen nahe, dass hier einiges im Argen
verwurzelte kleine und mittlere Unternehmen. So ist       liegt.
es kaum verwunderlich, dass es in vielen Bereichen
Ausnahmeregelungen für Konzerne gibt, während             INTERNATIONALER STEUERWETTBEWERB
kleine und mittlere Unternehmen die volle Last tra-
gen müssen. Auch wenn die Umlage nach dem Erneu-          Lässt man die Nachrichten der vergangenen Monate
erbaren-Energien-Gesetz vielleicht keine Steuer im        Revue passieren, so scheint sich eine Verschärfung
strengen Sinn ist, so ist die Benachteiligung des Mit-    des internationalen Steuerwettbewerbs abzuzeich-
telstands hier besonders augenfällig. Die sogenannte      nen. Für besondere Aufmerksamkeit sorgte natür-
besondere Ausgleichsregelung gilt nur für stromkos-       lich die US-Steuerreform, die als eines der zentralen
tenintensive Unternehmen aus Branchen, die im inter-      Projekte des US-Präsidenten Trump gilt. Sie wurde
nationalen Wettbewerb stehen. Ziel ist – und das wird     Ende des Jahres 2017 von Senat und Repräsentan-
auch offen kommuniziert – die Wettbewerbsfähig-           tenhaus beschlossen und ist insbesondere für Unter-
keit und die Arbeitsplätze der stromkostenintensiven      nehmen mit erheblichen Steuererleichterungen ver-
Industrie nicht zu gefährden. Auch bei der sogenannten    bunden. Eckpunkte der Reform sind eine Senkung
Ökosteuer gibt es Ausnahmeregelungen, zum Beispiel        der Unternehmensteuern von bisher 35% auf 21%,
für das produzierende Gewerbe. Allerdings werden          Investitionen in Maschinen oder Produktionsanla-
kleine und mittlere Unternehmen durch Sockelbeträge       gen werden gefördert, und es gibt Entlastungen für
von diesen Vergünstigungen zum Teil ausgeschlossen.       inhabergeführte Unternehmen. Der Freibetrag bei
Diese Sockelbeträge wurden im Jahr 2011 deutlich          der Erbschaftsteuer des Bundes wird auf 10 Mio. Dol-
* Franz Xaver Peteranderl ist Präsident des Bayerischen
                                                          lar verdoppelt. Mit dem Gesetz wurde die Position
Handwerks­tages.                                          der Vereinigten Staaten im Steuerwettbewerb deut-

                                                                        ifo Schnelldienst   6 / 2018   71. Jahrgang   22. März 2018   5
SYMPOSIUM

    lich verbessert. Mit der Reform könnten die USA den                Ferner müssen Wettbewerbsverzerrungen zu
    Startschuss im internationalen Steuerwettlauf gege-           Lasten des Handwerks gegenüber Großunternehmen
    ben haben. China kündigte beispielsweise an, dass             beseitigt werden. Dies betrifft nicht nur die Steuer-
    ausländische Unternehmen ihre Gewinne vorerst                 last, sondern auch den Aufwand bei der Steuerbü-
    nicht mehr versteuern müssten, wenn sie diese unter           rokratie. Es ist wissenschaftlich belegt, dass kleine
    bestimmten Bedingungen wieder im Land investier-              Unternehmen durch Bürokratie überdurchschnitt-
    ten. Und auch in Frankreich und Großbritannien gibt           lich belastet sind. Hier besteht deshalb erheblicher
    es Pläne für Steuersenkungen.                                 Handlungsbedarf.

    STEUERREFORM                                                  WAS DAS HANDWERK KONKRET ERWARTET

    Nicht nur die internationalen Entwicklungen legen             Einkommensteuerreform
    es nahe, auch in Deutschland über eine Reform der
    Besteuerung nachzudenken. Generell ist es erforder-           Das Handwerk erwartet, dass die Einkommensteuer-
    lich, das komplexe Steuersystem immer wieder auf              belastung gerade für mittlere Einkommen durch eine
    den Prüfstand zu stellen und darauf abzuklopfen,              umfassende Steuerreform deutlich gesenkt wird. Die
    ob es den Zielen, die damit verfolgt werden, über-            Grenzsteuerbelastung muss über den gesamten Tarif-
    haupt noch gerecht wird. Seit der Unternehmensteu-            verlauf gesenkt werden. Zur Bekämpfung der kalten
    erreform 2008 gab es in Deutschland, abgesehen von            Progression ist eine regelmäßige Erhöhung der Ein-
    der Neuregelung der Erbschaftsteuer, keine nennens-           kommensgrenzen durch eine »Rechtsverschiebung«
    werte Steuerreform mehr. Entlastungen wurden ledig-           des Einkommensteuertarifs unverzichtbar. Der Mittel-
    lich in homöopathischen Dosen gewährt. Die Folge ist,         standsbauch, der gerade Bezieher kleiner und mittle-
    dass die Abgabenquote seit 2010 kontinuierlich ange-          rer Einkommen stark belastet, muss durch die Begra-
    stiegen ist. Die Steuereinnahmen sprudeln. Die posi-          digung des Einkommensteuertarifs beseitigt werden.
    tiven Seiten dieser Entwicklung will ich gar nicht ver-       Ziel muss es sein, zu einem linear-progressiven Tarif
    schweigen. Es ist gelungen, die im Zuge der Finanz-           zurückzukehren.
    krise auf über 80% angestiegene Schuldenstandquote
    wieder deutlich in Richtung des Maastricht-Referen-           Solidaritätszuschlag
    zwerts von 60% zu senken. Die Kehrseite der Medaille
    ist, dass sich der Staat ein immer größeres Stück vom         Der Solidaritätszuschlag sollte nach dem Auslaufen des
    erwirtschafteten Kuchen nimmt. Ein Treibsatz ist dabei        Solidarpakts zügig und vollständig abgeschafft wer-
    vor allem die sogenannte kalte Progression. Die nomi-         den. Es wäre ein fatales Signal für die Glaubwürdigkeit
    nalen Einkommen steigen, auch die Inflation kommt             des Staates und der Politik, wenn sich ein Zuschlag, der
    wieder in Gang. Aber die Eckpunkte des progressiven           zur Bewältigung besonderer Herausforderungen ein-
    Steuertarifs bleiben weitgehend unverändert, so dass          geführt wurde, dauerhaft verfestigen würde.
    inzwischen bereits Facharbeiter dem Spitzensteuer-
    satz unterliegen. Hinzu kommt die Belastung durch             Thesaurierungsrücklage
    den Solidaritätszuschlag. Er wurde 1995 zur Finanzie-
    rung der Kosten der deutschen Einheit eingeführt. Er          Die mittelstandsfreundliche Ausgestaltung der Thesau-
    hat seinen Zweck erfüllt. Ihn weiter zu erheben, ist nicht    rierungsrücklage im Sinne des § 34a EStG ist ein Ansatz,
    mehr gerechtfertigt. Eine Steuerreform, die echte Ent-        um die Innenfinanzierung im Handwerk und damit die
    lastungen für die Bürger vorsieht, ist daher überfällig.      Investitionskraft der Betriebe zu stärken. Nach der der-
                                                                  zeitigen Ausgestaltung können nur wenige auf Dauer
    NOTWENDIGE ZIELSETZUNGEN AUS SICHT DES                        ertragsstarke Personenunternehmen die Regelung
    HANDWERKS                                                     zur Begünstigung nicht entnommener Gewinne nut-
                                                                  zen. Aber gerade kleinere Unternehmen sind auf höhe-
    Eine durchgreifende Steuerreform muss aus Sicht des           res Eigenkapital und damit eine höhere Kreditfähigkeit
    Handwerks die Rahmenbedingungen dafür verbessern,             angewiesen. Aus Sicht des Handwerks sollte vor allem
    dass unser Wirtschaftsbereich die Zukunft erfolgreich         möglich sein, dass bis zu einem Entnahmevolumen von
    meistern kann. Zwei Herausforderungen möchte ich an           100 000 Euro (200 000 Euro für Zusammenveranlagte)
    dieser Stelle besonders hervorheben: Den immer gra-           laufende Entnahmen aus bereits vollständig versteuer-
    vierenderen Fachkräftemangel und den enormen tech-            tem Eigenkapital möglich sind.
    nischen Fortschritt, hier vor allem die rasante Digitali-
    sierung. Beide Entwicklungen bewirken im Handwerk             Investitionsabzugsbetrag, Sonderabschreibung
    einen erheblichen Investitionsbedarf. Durch eine Redu-        § 7g EStG
    zierung der Steuerlast und eine investitionsfreundliche
    Gestaltung der Besteuerung müssen die Spielräume für          Zur Belebung von Investitionen ist eine weitere Stär-
    die Betriebe erweitert werden, diese Investitionen zu         kung der Innenfinanzierung der Unternehmen not-
    tätigen.                                                      wendig. Die Voraussetzung zur Inanspruchnahme des

6   ifo Schnelldienst   6 / 2018   71. Jahrgang   22. März 2018
SYMPOSIUM

Investitionsabzugsbetrages (§ 7g Absatz 1 EStG) ist zu      Gewerbesteuer
verbessern. Eine Anhebung der Grenze von 100 000 auf
200 000 Euro (bei Einnahmen-Überschuss-Rechnung)            Die Hinzurechnung ertragsunabhängiger Elemente bei
bzw. 235 000 auf 350 000 Euro (bei Bilanzierung) würde      der Gewerbesteuer führt insbesondere in Verlustjahren
die Innenfinanzierung in besonderem Maß stärken.            zu einer erheblichen Substanzbesteuerung. Das Hand-
Eine Erweiterung der begünstigten Anschaffungen auf         werk fordert, diese abzuschaffen.
immaterielle Wirtschaftsgüter (digitale Wirtschaftsgü-
ter) wäre ein Anreiz für digitalisierungsrelevante Inves-   Bürokratieabbau
titionen und würde dem damit verbundenen techno-
logisch bedingten schnelleren Wertverzehr Rechnung          Möglichkeiten zum Abbau bürokratischer Belastungen
tragen.                                                     bei der Besteuerung müssen konsequent genutzt wer-
                                                            den. Ansatzpunkte wären zum Beispiel die Verkürzung
Energetische Gebäudesanierung                               von Aufbewahrungspflichten oder die weitere Anhe-
                                                            bung der Wertgrenze für geringwertige Wirtschaftsgü-
Der Gebäudebereich – insbesondere der Bestand –             ter auf mindestens 1 000 Euro.
weist ganz erhebliche Potenziale zur Energie- und
CO2-Einsparung auf. Um diese zu erschließen, bedarf es      AKTUELLE VORSCHLÄGE UND AUSBLICK
auch steuerlicher Anreize zur energetischen Gebäude­
sanierung. Die Förderung finanziert sich über die ausge-    Die Große Koalition auf Bundesebene hat im Koaliti-
lösten Investitionen durch Mehreinnahmen des Staates        onsvertrag auch die Eckpunkte für die Steuerpolitik der
an anderer Stelle zum großen Teil selbst. Eine Gegenfi-     laufenden Legislaturperiode abgesteckt. Leider wurde
nanzierung, zum Beispiel durch Kürzungen beim Steu-         die günstige Gelegenheit, die sprudelnden Steuerein-
erbonus für Handwerkerleistungen, wie sie in diesem         nahmen zu einer zukunftsorientierten und wachstums-
Zusammenhang oft diskutiert wurde, ist daher unnötig.       fördernden Steuerreform zu nutzen, verpasst. Die Vor-
                                                            haben der Koalition sind mutlos. Steuerentlastungen
Umsatzsteuer                                                beschränken sich auf den teilweisen Abbau des Soli-
                                                            daritätszuschlags. Ich bin realistisch genug, zu erken-
Für den Mittelstand ist eine einfache, praxisgerechte,      nen, dass nicht alles, was wünschenswert ist, auch
wettbewerbsneutrale, liquiditätsschonende und               finanzierbar ist. Die Vorhaben werden den Anforderun-
rechtssichere Ausgestaltung der Umsatzsteuer von            gen aber in keiner Weise gerecht. Sie steigern nicht die
entscheidender Bedeutung. 2009 sind die Ist-Ver-            internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands,
steuerungsgrenzen bei der Umsatzsteuer auf bundes-          sie beseitigen nicht die Wettbewerbsverzerrungen
weit einheitlich 500 000 Euro normiert worden. Dies         zwischen Großunternehmen und Mittelstand, sie ent-
bedeutet, dass – anders als bei der Soll-Versteuerung,      schärfen nicht das Problem der kalten Progression, und
die die Regel ist – die Mehrwertsteuer erst dann an das     es wird die Gelegenheit versäumt, einen gerechten und
Finanzamt abgeführt werden muss, wenn der Auftrag-          in sich stimmigen Einkommensteuertarif zu gestalten.
geber die Rechnung bezahlt und der leistende Unter-         Das Handwerk betont daher die Notwendigkeit einer
nehmer für die erbrachte Leistung die notwendige            zukunftsorientierten Steuerreform. Dabei sollte jeder
Liquidität zur Entrichtung der Umsatzsteuer erhält.         verantwortliche Politiker die Worte Friederichs des
Gerade kleine und mittlere Betriebe, die in der Regel       Großen im Hinterkopf haben:
über eine geringe Eigenkapitalquote verfügen, sind                »Eine Regierung muss sparsam sein, weil das Geld,
in besonderer Weise auf eine ausreichende Liquidi-          das sie erhält, aus dem Blut und Schweiß ihres Volkes
tät zur Vorfinanzierung und Abwicklung ihrer Aufträge       stammt. Es ist gerecht, dass jeder einzelne dazu bei-
angewiesen. Um diesen Anforderungen Rechnung zu             trägt, die Ausgaben des Staates tragen zu helfen. Aber es
tragen, ist eine Anhebung der Ist-Versteuerungsgren-        ist nicht gerecht, dass er die Hälfte seines jährlichen Ein-
zen auf 1 Mio. Euro – schon allein aufgrund der gestie-     kommens mit dem Staate teilen muss.«
genen Materialpreise – sachgerecht und erforderlich.

Grundsteuer

Aktuell befasst sich das Bundesverfassungsgericht mit
der Frage, ob die Grundsteuer mit der Einheitsbewer-
tung des Grundvermögens noch verfassungsgemäß ist.
Eine eventuell erforderliche Reform der Grundsteuer
muss einfach, klar und gerecht sein. Steuererhöhungen
sind zu vermeiden. Die Grundsteuer muss eine Objekt-
steuer bleiben und darf durch eine alleinige Anknüp-
fung am Verkehrswert nicht zu einer Vermögensteuer
durch die Hintertür werden.

                                                                           ifo Schnelldienst   6 / 2018   71. Jahrgang   22. März 2018   7
SYMPOSIUM

                    Clemens Fuest*                                                                       benbelastungen, die sogar teilweise bei über 100% lie-
                                                                                                         gen (vgl. Bruckmeier, Mühlhan und Peichl 2018). Das
                    Handlungsbedarf in der                                                               verweist auf einen Reformbedarf, der über die Einkom-
                    deutschen Steuerpolitik                                                              mensteuer hinausgeht. Aber niedrigere Grenzbelastun-
                                                                                                         gen bei der Einkommensteuer wären ein wichtiger Bei-
                    Die gegen Ende des Jahres 2017 beschlossene US-Steu-                                 trag zum Abbau von beschäftigungsfeindlichen Fehlan-
                    erreform hat die deutsche Steuerpolitik recht unsanft                                reizen in diesem Segment des Arbeitsmarktes.
                    aus einer Art Dornröschenschlaf geweckt. Jahrelang                                        Das zweite Problem, das die steuerpolitische
                    hatte die Steuerpolitik in der deutschen Wirtschafts-                                Debatte vor der Bundestagswahl geprägt hat, ist der
                    und Finanzpolitik keine große Rolle gespielt. Die Steu-                              schleichende Anstieg der Gesamtsteuerbelastung in
                    ereinnahmen stiegen stetig, und andere Themen stan-                                  den letzten Jahren. Abbildung 2 illustriert den Anstieg
                    den im Mittelpunkt, vor allem die Überwindung der                                    der Steuerquote, also des Quotienten aus Steuer-
                    Eurokrise und der globalen Finanzkrise, dann sozial-                                 einnahmen und Bruttoinlandsprodukt seit dem Jahr
Clemens Fuest
                    politische Umverteilungsprojekte wie der Mindestlohn                                 2014.1 Im Zeitraum zwischen 2014 und 2017 ist die
                    und die Mietpreisbremse. Die Steuerpolitik stand aber                                Steuerquote von 22,1% auf 22,5% gestiegen. Wenn
                    nicht deshalb am Rande, weil keine Reformen nötig                                    es keine Steuerentlastungen gibt, wird die Quote bis
                    sind. Im deutschen Steuersystem gibt es erheblichen                                  2021 auf 23,2% steigen. Diesen Berechnungen liegen
                    Erneuerungsbedarf. Dieser ergibt sich nicht nur aus                                  die Zahlen der Steuerschätzung vom November 2017
                    dem Druck des Steuerwettbewerbs, der durch die Steu-                                 zugrunde. Seitdem hat sich das konjunkturelle Bild
                    ersenkungen in den USA verschärft wird. In diesem Bei-                               weiter aufgehellt, das Wirtschaftswachstum wird vor-
                    trag wird der Reformbedarf in den Bereichen der Ein-                                 aussichtlich höher ausfallen, als in der Steuerschät-
                    kommensbesteuerung, der Unternehmensbesteue-                                         zung angenommen. Deshalb wird der Anstieg der Steu-
                    rung und der vermögensbezogenen Steuern diskutiert.                                  erquote voraussichtlich eher höher sein als hier darge-
                                                                                                         stellt, denn Treiber der steigenden Quote ist die kalte
                    WACHSENDE EINKOMMENSTEUERBELASTUNG,                                                  Progression, deren Ausmaß vom nominalen Wirt-
                    DER MITTELSTANDSBAUCH UND DIE KALTE                                                  schaftswachstum bestimmt wird.
                    PROGRESSION                                                                               Eine steigende Steuerquote bedeutet, dass der
                                                                                                         Staat einen wachsenden Anteil der Wirtschaftsleistung
                    Vor dem Hintergrund wachsender Überschüsse in den                                    beansprucht. Das ist aus ökonomischer Sicht weder
                    öffentlichen Haushalten und einer wachsenden Steu-                                   richtig noch falsch, sondern eine politische Entschei-
                    erquote konzentrierte sich die steuerpolitische Diskus-                              dung darüber, ob der Staat mehr oder weniger öffent-
                    sion vor der letzten Bundestagswahl auf Möglichkei-                                  liche Leistungen bereitstellen soll. In Deutschland
                    ten der Entlastung mittlerer und niedriger Einkommen.                                ist im letzten Wahlkampf allerdings keine der großen
                    Dabei geht es um zwei Probleme. Das eine ist der soge-                               Parteien mit der expliziten Forderung angetreten, den
                    nannte Mittelstandsbauch im Einkommensteuerta-                                       öffentlichen Sektor auf Kosten des privaten auszudeh-
                    rif, also der schnelle Anstieg der Grenzsteuersätze im
                    Bereich eines zu versteuernden Einkommens zwischen 1 In der Debatte über die Steuerquote wird das Jahr 2014 oft als
                    9 000 und 13 997 Euro von 14% auf 24% (Stand: 2018), Basisjahr             gewählt, da es das erste Jahr mit einem ausgeglichenen
                                                                                     Bundeshaushalt war, also der Defizitabbau keinen weiteren Anstieg
                    also um 10 Prozentpunkte. Oberhalb der Grenze von der Steuerquote rechtfertigte. Da die Steuerquote alle staatlichen
                    13 997 Euro erhöht sich der Grenzsteuersatz deutlich Ebenen              betrifft, ist das nicht zwingend, gesamtwirtschaftlich waren
                                                                                     die öffentlichen Haushalte in Deutschland bereits im Jahr 2012 aus-
                    langsamer (vgl. Abb. 1).                                         geglichen.
                          In der Diskussion über den
                    Mittelstandsbauch geht es nicht        Abb. 1
                    nur um Verteilungsfragen, son-         Mittelstandsbauch im Einkommensteuertarif 2018
                    dern auch um die negativen
                    Beschäftigungseffekte, die von              Grenzsteuersatz in %
                                                            50
                    der hohen Grenzbelastung ausge-
                    hen. Kombiniert man die hohen
                                                            40
                    Grenzsteuersätze mit Belastun-
                    gen durch Sozialversicherungsbei-
                                                            30
                    träge und den Wirkungen der bei
                    wachsenden Einkommen auslau-            20
                    fenden Transfers wie etwa Wohn-
                    geld, kommt man auf Grenzabga-          10

                    * Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest ist Prä-
                    sident des ifo Instituts und Professor für                0
                    Volkswirtschaftslehre, Lehrstuhl für Nati-                    0              10        20        30        40          50         60           70
                    onalökonomie und Finanzwissenschaft,                                                                      Zu versteuerndes Einkommen in Tsd. Euro
                    an der Ludwig-Maximilians-Universität
                    München.                                               Quelle: Dorn et al. (2017).                                                       © ifo Institut

                8   ifo Schnelldienst   6 / 2018   71. Jahrgang   22. März 2018
SYMPOSIUM

Abb. 2                                                                                                          in die Abschaffung des Solidari-
Steuerquote 2014 bis 2021                                                                                       tätszuschlags bringt eine Entlas-
                                                                                                                tung von 10 Mrd. Euro, aber eben
       %
23,4                                                                                                            erst im Jahr 2021. Hinzukommen
                                                                                               23,17            soll ein Ausgleich für die kalte Pro-
23,2
                                                                                                                gression, der in seiner Höhe im
23,0                                                                                                            Koalitionsvertrag nicht beziffert
                                                                                   22,93

22,8
                                                                           22,75                                wird. Man muss aber davon aus-
                                                              22,61                                             gehen, dass das kein vollständi-
22,6
                                  22,45
                                              22,51                                                             ger Ausgleich wird. In ihrem letz-
22,4
                        22,25                                                                                   ten Bericht zur kalten Progression
22,2                                                                                                            schreibt die Bundesregierung:
           22,07
                                                                                                                     »Als kalte Progression wird
22,0
           2014         2015         2016        2017         2018         2019        2020     2021
                                                                                                                der   Anstieg des durchschnittli-
                                                                                                                chen Steuersatzes der Einkom-
Geplante, aber noch nicht beschlossene Steuerentlastungen sind nicht einberechnet.
                                                                                                                mensteuer bezeichnet, der allein
Quelle: Steuerschätzung; Berechnungen des Autors.                                                © ifo Institut
                                                                                                                auf die den Preisanstieg (Infla-
                                                                                                                tion) ausgleichenden Lohn- und
nen. In Zeiten sinkender Arbeitslosigkeit sollte man                                   Gehaltserhöhungen         zurückzuführen ist. … Infolge der
sogar eher fallende öffentliche Ausgaben erwarten, niedrigen Inflationsrate im Jahr 2016 in Verbindung
weil weniger Mittel für die Arbeitslosenunterstützung mit den zum Jahresanfang in Kraft getretenen steu-
benötigt werden.                                                                       erlichen Maßnahmen kommt es im Jahr 2016 in der
       Wenn man als Leitlinie für die Finanzpolitik Gesamtbetrachtung über alle Steuerpflichtigen zu kei-
zugrunde legt, dass der öffentliche Sektor weder ner kalten Progression. Im Jahr 2017 wird mit einem
expandieren noch schrumpfen soll, dann erfordert das Effekt der kalten Progression in Höhe von rd. 2,1 Mrd.
eine Stabilisierung der Steuerquote. Um das zu errei- Euro gerechnet...« (BMF 2016)
chen, sind Steuerentlastungen erforderlich, vor allem                                       Die Bundesregierung beschränkt sich also darauf,
zum Ausgleich der automatischen Steuererhöhungen die kalte Progression nur insoweit auszugleichen, wie
in Folge der kalten Progression. Entscheidend dafür ist, sie auf die Inflation zurückzuführen ist. Das wird wie
welches Basisjahr und damit welches Niveau der Steu- folgt begründet:
erquote man zugrunde legt. Abbildung 3 zeigt den Ent-                                       »Einkommenssteigerungen, die über die Inflati-
lastungsbedarf in der laufenden Legislaturperiode für onsrate hinausgehen, erhöhen … die steuerliche Leis-
die Basisjahre 2014 und 2017.                                                          tungsfähigkeit.« (BMF 2016)
       Um die Steuerquote auf das Niveau des Jahres                                         Diese Begründung ist nicht tragfähig. Die Besteu-
2014 zurückzuführen und dort zu halten, müssten die erung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
Steuern im Zeitraum 2018 bis 2021 um 113 Mrd. Euro, ist eine Norm zur Regelung der Steuerlastverteilung
also um gut 28 Mrd. Euro pro Jahr, gesenkt werden. unter den Steuerzahlern. Sie besagt aber nicht, dass
Das könnte durch eine Beseitigung des Mittelstands- bei steigender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit die
bauches erreicht werden, allerdings wurde die Chance Steuerquote insgesamt steigen sollte, der öffentliche
zur Steuerentlastung im Jahr 2018 bereits verpasst. Sektor sich also auf Kosten des privaten ausdehnen
Klar ist auch, dass die Rückführung der Steuerquote sollte.
entsprechende Ausgabenkürzun-
gen in den öffentlichen Haushal-
                                                          Abb. 3
ten erfordern würde, denn mit                             Entlastungsbedarf für konstante Steuerquote
der steigenden Steuerquote seit
2014 haben auch die Ausgaben                                                                                                 Basis 2017   Basis 2014
                                                                  Mrd. Euro
zugenommen.                                                50

       Wählt man als Basis das Jahr
2017, strebt man also eine dau-                            40
erhaft höhere Steuerquote an,
dann reduziert sich der Steuer­                            30
entlastungsbedarf über die lau-
fende Legislaturperiode hin-                               20
weg auf etwa 52 Mrd. Euro, also
13 Mrd. Euro pro Jahr. Das ist                             10
immer noch weitaus mehr als
das, was sich die Große Koalition                            0
aus Union und SPD vorgenom-                                                2018                2019                  2020               2021
men hat. Der geplante Einstieg                           Quelle: Steuerschätzung.                                                            © ifo Institut

                                                                                                   ifo Schnelldienst   6 / 2018   71. Jahrgang   22. März 2018   9
SYMPOSIUM

     Abb. 4                                                                                                                  das Unternehmen tätig ist. Wenn
     Steuerbelastung durch inflationsbedingte und vollständige kalte Progression 2011                                        Kapitalgesellschaften Gewinne an
     bis 2016                                                                                                                ihre Teilhaber ausschütten, fallen
     Basisjahr 2010
                                                                                                                             auf die Ausschüttung noch einmal
                                                                       Vollständige kalte Progression
              Mrd. Euro                                                Inflationsbedingte kalte Progression
                                                                                                                             rund 26,4% Einkommensteuer
         20
                                                                                                      18,0
                                                                                                                             und Solidaritätszuschlag an. Dar-
                                                                                   16,6                                      aus ergibt sich eine Gesamtsteuer-
                                                                                                                             belastung von 48,3%. Seit 2008 ist
         15
                                                                     12,9                                                    die Belastung mit Gewerbesteu-
                                                     10,2                                                                    ern allerdings leicht gestiegen. Der
         10
                                      8,1                                                                                    durchschnittliche Hebesatz der
                                                                                                                             Gewerbesteuer in Deutschland
                    4,3                               6,8            6,7            6,6                                      lag im Jahr 2008 noch bei 388%,
         5
                                      5,4                                                              5,3                   im Jahr 2016 dagegen bei 400%.
                    2,7                                                                                                      Dieser Anstieg bedeutet eine Erhö-
         0                                                                                                                   hung der tariflichen Steuerbelas-
                   2011               2012           2013            2014         2015               2016
                                                                                                                             tung für einbehaltene Gewinne
     Quelle: Dorn et al. (2016).                                                                        © ifo Institut
                                                                                                                             von etwa 0,42 Prozentpunkten,
                                                                                                                             kein großer Betrag, aber dennoch
          Die Beschränkung der Entlastungen auf die allein                                eine Erhöhung.
     inflationsbedingte kalte Progression bedeutet, dass                                      Seit 2008 hat sich das internationale Steuerumfeld
     die durch reales Wachstum verursachte kalte Progres-                                 geändert. Viele Länder haben ihre Steuern gesenkt.
     sion nicht ausgeglichen wird und die Steuerlast immer                                Abbildung 5 zeigt, dass 2017 nur wenige Länder höhere
     weiter zunimmt. Abbildung 4, in der für den Zeit-                                    Steuern auf einbehaltene Unternehmensgewinne erho-
     raum 2011 bis 2016 die Steuermehrbelastung durch                                     ben als Deutschland, darunter die USA und Frankreich.
     rein inflationsbedingte und vollständige kalte Pro-                                      Im Jahr 2018 haben die USA ihre Steuern, wie
     gression verglichen wird, zeigt, dass der Unterschied                                bereits erwähnt, drastisch reduziert, der Satz der Bun-
     erheblich ist.                                                                       dessteuer auf Unternehmensgewinne sank von 35 auf
          Statt, wie derzeit geplant, alle zwei Jahre einen                               21%.3 Auch Frankreich hat Steuersenkungen beschlos-
     Bericht über die durch Inflation bedingte kalte Pro-                                 sen, von heute 33,3% auf 25% im Jahr 2022. Ähnli-
     gression vorzulegen und entsprechende Ausgleichs-                                    ches gilt für Großbritannien (von heute 20% auf 17%
     maßnahmen zu beschließen, sollte die Bundesregie-
     rung einen Tarif auf Rädern einführen, der die gesamte                               3
                                                                                             Zusätzlich erheben nicht alle, aber die meisten Bundesstaaten
                                                                                          Steuern auf Unternehmensgewinne. Die Steuersätze liegen 2018
     kalte Progression automatisch ausgleicht.2 Viele Län-                                zwischen 3 und 12% (vgl. Scarboro 2018). Durch Abzugsfähigkeit der
     der haben einen solchen Tarif auf Rädern, darunter                                   Steuern auf Bundesstaatenebene ist die effektive Gesamtbelastung
                                                                                          aus Staaten- und Bundessteuer niedriger als die Summe der Steu-
     Frankreich, Portugal, Spanien, Großbritannien, Däne-                                 ersätze. Die OECD weist für die USA für 2017 eine durchschnittliche
     mark und Norwegen (vgl. dazu etwa Lemmer 2014).                                      Gesamtbelastung von 38,91% aus.
     Heimliche Steuererhöhungen durch kalte Progression
     sind der demokratischen Kontrolle der Steuerpolitik                                  Abb. 5

     abträglich.                                                                          Unternehmensbesteuerung 2017

                                                                                                          USA
     UNTERNEHMENSBESTEUERUNG                                                                     Frankreich
                                                                                                     Belgien
                                                                                               Deutschland
     Im Bereich der Unternehmensbesteuerung liegt die                                                 Japan
                                                                                                   Portugal
     letzte größere Reform zehn Jahre zurück. Im Jahr 2008                                    Griechenland
     wurde die tarifliche Steuerbelastung von Unterneh-                                               Italien
                                                                                                Luxemburg
     mensgewinnen in Deutschland bei Kapitalgesellschaf-                                             Kanada
                                                                                                 Österreich
     ten von 38 auf rund 30% gesenkt. Von der Gesamtbe-                                        Niederlande
     lastung in Höhe von 30% entfallen 15,8 Prozentpunkte                                           Spanien
                                                                                                 Norwegen
     auf die Körperschaftsteuer zuzüglich Solidaritätszu-                                        Dänemark
                                                                                                 Schweden
     schlag und durchschnittlich etwa 14 Prozentpunkte auf                                          Schweiz
                                                                                                   Slowakei
     die Gewerbesteuer, wobei die genaue Gewerbesteuer-                                              Estland
     belastung vom Hebesatz der Gemeinde abhängt, in der                                           Finnland
                                                                                                Tschechien
                                                                                                       Polen
     2                                                                                           Slowenien
        Bach (2016) verweist darauf, dass bei Mengensteuern ein negati-                                    UK
     ver kalter Progressionseffekt eintritt, also eine automatische                                 Lettland
     Steuerentlastung. Das trifft zu, Mengensteuern spielen im Steuersys-                              Irland
     tem allerdings eine untergeordnete Rolle. Außerdem verweist Bach                                Ungarn
     auf die automatische Stabilisierungswirkung der kalten Progression.
     Das spricht für einen Ausgleich in längeren als jährlichen Abständen,                                      0        5    10   15   20   25   30   35     40 %
     aber nicht für einen Aufwärtstrend in der Steuerquote.                               Quelle: OECD.                                                 © ifo Institut

10   ifo Schnelldienst     6 / 2018   71. Jahrgang   22. März 2018
SYMPOSIUM

ab 2021) und Belgien (schrittweise Senkung, nur noch         che Beobachtung unerwünschte Steuervermeidung
25% ab 2020).                                                in besonders krassen Fällen erschweren kann, mag
      Gelegentlich wird gefordert, Deutschland solle auf     durchaus zutreffen. Aber es ist mindestens ebenso
diesen Steuerwettbewerb nicht reagieren, weil dies           wahrscheinlich, dass die Steuerzahlungen einzelner
den Steuerwettbewerb nur unnötig anheize. Dieses             Unternehmen in der öffentlichen Debatte falsch bewer-
Argument überzeugt nicht. Deutschland ist eine große         tet werden. Wichtiger ist jedoch, dass Konkurrenten
Volkswirtschaft, aber nicht groß genug, um mit seiner        dadurch an Informationen gelangen, die geeignet sind,
Steuerpolitik die Steuerpolitik der anderen Volkswirt-       die Wettbewerbsposition europäischer Unternehmen
schaften hinreichend zu beeinflussen. Das haben die          zu verschlechtern. Hinzu kommt, dass die öffentliche
letzten zehn Jahre gezeigt – Deutschland hat die Steu-       Berichtspflicht viele Unternehmen veranlassen wird,
ern nicht gesenkt, andere haben das aber getan, allen        die EU als Standort zu meiden und ihre Unternehmens-
voran die USA. Wenn Deutschland nicht reagiert, wird         sitze künftig beispielsweise nach Großbritannien zu
dies Steuersenkungen anderer Länder nicht in nen-            verlagern.
nenswertem Ausmaß verhindern, Deutschland selbst
wird aber wirtschaftlich geschädigt. Wenn das steuer-        DIE DEBATTE ÜBER VERMÖGENSBEZOGENEN
liche Gefälle zwischen Deutschland und anderen Län-          STEUERN
dern zunimmt, werden Investitionen und Arbeitsplätze
abwandern oder erst gar nicht in Deutschland entste-         In Deutschland wird immer wieder gefordert, stär-
hen. Außerdem werden Unternehmen Gewinne künftig             ker auf vermögensbezogene Steuern zurückzugreifen.
verstärkt in anderen Ländern ausweisen. Das kostet           Begründet wird dies zum einen damit, dass die Vermö-
Deutschland Wachstum, Beschäftigung und Steuerauf-           gensungleichheit in Deutschland im internationalen
kommen. Um dem entgegenzutreten, sollte Deutsch-             Vergleich sehr hoch sei. Zum anderen sei der Anteil ver-
land Frankreich folgen und die tarifliche Belastung der      mögensbezogener Steuern am Gesamtsteueraufkom-
Unternehmensgewinne in den nächsten Jahren schritt-          men in Deutschland vergleichsweise niedrig.
weise auf 25% abbauen.                                            Ob die Vermögensverteilung in Deutschland
      Die von der Bundesregierung im Koalitionsvertrag       zu ungleich ist oder nicht, ist eine Frage der poli-
angekündigte Strategie, als Antwort auf die US-Steuer-       tischen Bewertung. Hier sei nur darauf hinge-
reform einen EU-weiten Mindestsatz für die Unterneh-         wiesen, dass internationale Vergleiche Rentenan-
mensbesteuerung einzuführen, wird Deutschland im             sprüche in der Regel ausblenden. Da Rentenansprü-
Steuerwettbewerb nicht helfen. Dass in der EU die erfor-     che in Deutschland höhere Bedeutung für die Vermö-
derliche einstimmige Unterstützung für einen Mindest-        gensposition der privaten Haushalte haben als in den
steuersatz zustande kommt, ist sehr unwahrschein-            meisten anderen Ländern, ist die Aussagekraft inter-
lich. Vor allem die durch geographische Randlage oder        nationaler Vergleiche, die diesen Aspekt ausblenden,
einen niedrigeren ökonomischen Entwicklungsstand             begrenzt.
benachteiligten Mitgliedstaaten, wie Bulgarien oder
                                                             Abb. 6
die baltischen Staaten, werden die Unternehmensbe-
                                                             Anteil vermögensbezogener Steuern am gesamten Steuer-
steuerung als wichtiges Instrument der Standortpoli-         aufkommen 2015
tik nicht aus der Hand geben. Auch bei der geplanten
Harmonisierung der Bemessungsgrundlage sind Fort-                    Estland
                                                                   Slowakei
schritte derzeit zumindest nicht absehbar. So lange              Österreich
                                                                Tschechien
steuerpolitische Entscheidungen in der EU nur einstim-           Slowenien
                                                                     Mexiko
mig gefällt werden können, hätte eine Festlegung von             Schweden
                                                               Deutschland
Steuersätzen und Bemessungsgrundlage auf EU-Ebene                Norwegen
                                                                   Finnland
auch den Nachteil, dass für künftig erforderliche Ände-              Ungarn
                                                                    Lettland
rungen die notwendige Handlungsfähigkeit fehlt.                    Portugal
                                                               Niederlande
      Eine riskante Entwicklung auf EU-Ebene ist die Poli-       Dänemark
                                                                       Polen
tik, von multinationalen Unternehmen mit Niederlas-                      Chile
sungen in der EU und konsolidierten Konzernumsätzen                   Türkei
                                                                      Island
von mindestens 750 Mio. Euro pro Jahr eine öffentliche                 OECD
                                                                Neuseeland
länderweise Berichterstattung über Ertragsteuerzah-                    Irland
                                                                      Italien
lungen zu verlangen (öffentliches Country-by-Coun-                  Schweiz
                                                                    Spanien
try-Reporting). Seit April 2016 liegt ein EU-Richtlini-              Belgien
                                                                      Japan
envorschlag vor, der das beinhaltet. Das soll für mehr        Griechenland
                                                                Luxemburg
Transparenz und öffentlicher Kontrolle sorgen.                   Frankreich
                                                                          USA
      Von der Einführung eines öffentlichen Coun-                       Israel
                                                                 Australien
try-by-Country-Reporting kann man nur abraten. Die                   Kanada
                                                                  Südkorea
Finanzverwaltungen erhalten diese länderweisen                             UK
Informationen ohnehin, aber das Steuergeheimnis der                              0        2      4        6         8    10        12     14 %
Unternehmen sollte gewahrt bleiben. Dass öffentli-           Quelle: OECD.                                                          © ifo Institut

                                                                                     ifo Schnelldienst   6 / 2018   71. Jahrgang   22. März 2018     11
SYMPOSIUM

     Abb. 7                                                                                      Abb. 8
     Anteil von Erbschaftsteuern am Gesamtsteueraufkommen                                        Anteil von Grundsteuern am Gesamtsteueraufkommen
     2015                                                                                        2015

          Australien                                                                                Luxemburg
              Estland                                                                                Österreich
                 Israel                                                                                 Schweiz
              Mexiko                                                                                Tschechien
         Neuseeland                                                                                      Estland
            Portugal                                                                                      Türkei
            Slowakei                                                                                 Norwegen
          Schweden                                                                                 Deutschland
         Tschechien                                                                                      Mexiko
          Österreich                                                                                   Slowakei
          Norwegen                                                                                   Slowenien
             Lettland                                                                                    Ungarn
              Kanada                                                                                   Finnland
                Polen                                                                                Schweden
              Ungarn                                                                                   Portugal
          Slowenien                                                                                Niederlande
               Türkei                                                                                   Lettland
               Italien                                                                                   Belgien
       Griechenland                                                                                  Dänemark
                  Chile                                                                                    Irland
               Island                                                                                 Südkorea
                OECD                                                                                         Chile
         Luxemburg                                                                                         OECD
                   USA                                                                                  Spanien
          Dänemark                                                                                        Italien
        Deutschland                                                                                        Polen
             Schweiz                                                                                      Island
        Niederlande                                                                               Griechenland
                Irland                                                                               Frankreich
            Finnland                                                                                 Australien
                    UK                                                                              Neuseeland
             Spanien                                                                                      Japan
               Japan                                                                                        Israel
          Frankreich                                                                                           UK
           Südkorea                                                                                      Kanada
              Belgien                                                                                         USA
                          0,0   0,2    0,4   0,6   0,8     1,0   1,2     1,4   1,6   1,8 %                           0   2   4      6      8         10 %
     Quelle: OECD.                                                              © ifo Institut   Quelle: OECD.                                 © ifo Institut

          Richtig ist hingegen, dass der Anteil der vermö-                                       werbsteuern, denn die verursachen wieder erheb-
     gensbezogenen Steuern in Deutschland im internatio-                                         liche Ausweichreaktionen und Verzerrungen. Viele
     nalen Vergleich eher niedrig ist (vgl. Abb. 6). Das liegt                                   Bundesländer haben die Steuersätze bei den Grund­
     aber nicht daran, dass andere Länder im Durchschnitt                                        erwerbsteuern in den letzten Jahren stark angeho-
     höhere Erbschaftsteuern oder Nettovermögensteu-                                             ben, unter anderem deshalb, weil der Finanzausgleich
     ern erheben. Nettovermögensteuern existieren in den                                         entsprechende Anreize schafft. Diese Entwicklung ist
     meisten Ländern überhaupt nicht, Erbschaftsteuern                                           wirtschaftlich schädlich. Hier sollte die Steuerpolitik
     erbringen meistens nur geringes Steueraufkommen,                                            Maßnahmen ergreifen, um einen weiteren Anstieg der
     vor allem weil für Betriebsvermögen Vergünstigungen                                         Steuersätze zu vermeiden.
     gewährt werden (vgl. Abb. 7).
          Der Unterschied im Gewicht der vermögensbe-                                            SCHLUSSFOLGERUNGEN UND AUSBLICK
     zogenen Steuern zwischen Deutschland und anderen
     Ländern ergibt sich in erster Linie daraus, dass andere                                     Im Bereich der Einkommensbesteuerung sollte die
     Länder höhere Grundsteuern erheben (vgl. Abb. 8).                                           Politik Steuerentlastungsspielräume einsetzen, um
     Auch bei diesem Vergleich sind allerdings institutio-                                       den Mittelstandsbauch im Einkommensteuerta-
     nelle Unterschiede zu beachten. In anderen Ländern                                          rif abzubauen. Um den Anstieg der Steuerbelastung
     haben Grundsteuern auch die Funktion kommunaler                                             durch kalte Progression in der Zukunft zu beseitigen,
     Gebühren wie etwa Müllgebühren. Dadurch werden                                              sollte die Steuerpolitik einen automatischen Aus-
     die Unterschiede in der Bedeutung von Grundsteuern                                          gleich in Form eines Tarifs auf Rädern beschließen.
     überzeichnet.                                                                               Im Bereich der Unternehmensbesteuerung sind Maß-
          Trotzdem spricht einiges dafür, dass Grundsteu-                                        nahmen erforderlich, um zu verhindern, dass sich
     ern in Deutschland eine größere Rolle bei der Finan-                                        die Position Deutschlands im internationalen Steu-
     zierung staatlichen Handelns spielen sollten. Vor                                           erwettbewerb verschlechtert. Auf EU-Ebene sollten
     allem haben Grundsteuern den Vorteil, dass sie nicht                                        Schritte wie die Einführung eines öffentlichen Coun-
     zur Abwanderung des besteuerten Vermögens führen,                                           try-by-Country-Reporting unterbleiben, die Anreize
     denn zumindest Grund und Boden ist definitionsge-                                           zur Standortverlagerung in Nicht-EU-Staaten schaf-
     mäß nicht mobil. Bei den darauf errichteten Gebäuden                                        fen. Eine angemessene und schnell umsetzbare Ant-
     kann es durchaus Abwanderung in der Form unterlas-                                          wort auf den wachsenden Steuerwettbewerb wäre
     sener Investitionen in Erhaltung oder Neubau geben.                                         eine Senkung der Körperschaftsteuer auf 10%. Damit
     Wenn man an eine stärkere Nutzung vermögensbezo-                                            würde die Gesamtsteuerbelastung für eingehaltene
     gener Steuern in Deutschland denkt, sollte man sich                                         Gewinne von Kapitalgesellschaften inklusive Gewer-
     auf Grundsteuern konzentrieren, dabei allerdings auf                                        besteuer auf rund 25% fallen. Deutschland würde
     die regelmäßigen Grundsteuern, nicht auf Grunder-                                           damit Frankreich folgen.

12   ifo Schnelldienst      6 / 2018   71. Jahrgang      22. März 2018
SYMPOSIUM

     Der Steuerreformbedarf ist damit allerdings          LITERATUR
bei weitem nicht erschöpft. Wünschenswert wäre in
                                                          Bach, St. (2016), Unsere Steuern – Wer zahlt? Wie viel? Wofür?, Westend
Deutschland vor allem eine grundlegende Reform            Verlag, Frankfurt am Main.
der Unternehmensbesteuerung, bei der die Gewerbe-         BMF – Bundesministerium der Finanzen(2016), Monatsbericht des Bundes-
steuer durch einen Zuschlag zur Einkommen- und Kör-       ministeriums der Finanzen, November, verfügbar unter: http://www.bun-
                                                          desfinanzministerium.de/Content/DE/Monatsberichte/2016/11/Inhalte/
perschaftsteuer ersetzt wird. In diesem Kontext müss-     Kapitel-3-Analysen/3-5-Effekt-der-kalten-Progression-bei-Einkommens-
ten die Kommunalfinanzen neu geordnet werden. Bei         steuer.html.
den vermögensbezogenen Steuern besteht nicht nur          Bruckmeier, K., J. Mühlhan und A. Peichl (2018), »Mehr Arbeitsanreize für
                                                          einkommensschwache Familien schaffen«, ifo Schnelldienst 71(3), 25–28.
Reformbedarf bei Grundsteuern und Grunderwerb-
steuern, sondern auch bei der Erbschaftsteuer. Hier       Dorn, F., C. Fuest, F. Häring, B. Kauder, L. Lorenz und M. Mosler (2017),
                                                          »Die Beseitigung des Mittelstandsbauchs – Reformoptionen zur Einkom-
entsteht durch die Kombination aus hohen Steuersät-       mensteuer und ihre fiskalischen Kosten«, ifo Schnelldienst 70(9), 31–38.
zen und Ausnahmen vor allem für Betriebsvermögen,         Dorn, F., C. Fuest, B. Kauder, L. Lorenz, M. Mosler und N. Potrafke (2016),
die allerdings an den Verzicht auf Umstrukturierun-       Heimliche Steuererhöhungen – Belastungswirkungen der Kalten Progres-
                                                          sion und Entlastungswirkungen eines Einkommensteuertarifs auf Rädern,
gen gebunden sind, eine ungerechte und wirtschaft-        Studie im Auftrag der FDP-Fraktionsvorsitzendenkonferenz, ifo Institut,
lich hochgradig schädliche Besteuerung. Es ist höchste    München.

Zeit, bei der Erbschaftsteuer die Steuersätze deut-       Lemmer, J. (2014), Regelungen zum Abbau der kalten Progression im inter-
                                                          nationalen Vergleich, DSI kompakt Nr. 12, Deutsches Steuerzahlerinstitut
lich zu reduzieren und die Ausnahmen abzubauen. In        des Bundes der Steuerzahler, Berlin.
diesem Beitrag nicht thematisiert wurde die Umsatz-       Scarboro, M. (2018), State Corporate Income Tax Rates and Brackets for
steuer. Auch wäre es an der Zeit, endlich zu einem ein-   2018, Tax Foundation Fiscal Fact Nr. 571, Februar, verfügbar unter: https://
                                                          files.taxfoundation.org/20180212095539/Tax-Foundation-FF571-1.pdf.
heitlichen Steuersatz überzugehen.

                                                                              ifo Schnelldienst   6 / 2018   71. Jahrgang   22. März 2018   13
SYMPOSIUM

                             Franz Josef Pschierer*                                                politisches Bekenntnis gewünscht, insbesondere eine
                                                                                                   mutigere Steuerentlastung.
                             Sprudelnde Einnahmen,                                                      Eine Korrektur des Einkommensteuertarifs wäre
                             große Herausforderungen –                                             mit der SPD aber nur im Gegenzug mit einer Erhöhung
                                                                                                   des Spitzensteuersatzes machbar gewesen – ein wirt-
                             Erwartungen an eine                                                   schaftspolitisch falsches Signal zu Lasten vor allem
                             zukunftsfähige Steuer- und                                            der mittelständischen Personenunternehmen und der
                                                                                                   Leistungsträger der Gesellschaft.
                             Finanzpolitik                                                              Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherung
                                                                                                   erzielten 2017 einen Rekordüberschuss von zusammen
                             Die Wirtschaft in Deutschland boomt. Und die öffentli-                36,6 Mrd. Euro. Spielraum für Steuersenkungen wäre
                             chen Haushalte entwickeln sich ungeachtet der politi-                 also da.
                             schen Herausforderungen äußerst positiv. Bund, Län-                        Immerhin ist es gelungen, Steuermehrbelastun-
                             der und Gemeinden erzielen aktuell und voraussicht-                   gen zu verhindern etwa die Erhöhung des Spitzensteu-
                             lich auch in den kommenden Jahren Überschüsse.                        ersatzes, Verschärfungen bei der Erbschaftsteuer oder
                             Das Wachstum erreicht die Breite der Gesellschaft, die                gar die Wiedereinführung der Vermögensteuer. Das ist
                             Beschäftigung liegt auf einem Rekordniveau, die finan-                angesichts der politischen Konstellation durchaus ein
                             ziellen Spielräume sind gewachsen. Es ist deshalb nicht               Erfolg.
Franz Josef Pschierer
                             übertrieben, festzustellen: So gut wie heute ging es uns                   Es bleibt aber wichtig, bessere Abschreibungsmög-
                             noch nie.                                                             lichkeiten, bessere Möglichkeiten Verluste zu berück-
                                  Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand kom-                       sichtigen, eine Streichung von Hinzurechnungen in der
                             men jedoch nicht von allein. Wir müssen dafür immer                   Gewerbesteuer und die Einführung einer steuerlichen
                             wieder die richtigen Weichen stellen.                                 Förderung von Forschung und Entwicklung in Angriff zu
                                  Dabei dürfen wir nicht übersehen, dass es unsere                 nehmen. Denn Steuerpolitik ist Standortpolitik!
                             Unternehmen sind, denen wir den wirtschaftlichen
                             Erfolg verdanken. Wir müssen diese deshalb in die Lage                MEGATREND DIGITALISIERUNG
                             versetzen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und
                             zu erhöhen.                                                           Ein Schlüsselbereich für die Wettbewerbsfähigkeit
                                  Unsere Wirtschaft ist auf eine verlässliche und                  Deutschlands ist die Digitalisierung. Dabei kommt
                             wettbewerbsfähige Gesetzgebung angewiesen, die                        dem flächendeckenden Ausbau des Glasfasernet-
                             Investitionen und Innovationen voranbringt. Denn die                  zes höchste Priorität zu. Für die Unternehmen stellt
                             Herausforderungen und Risiken für den Standort sind                   es eine erhebliche Herausforderung dar, mit den
                             zuletzt wieder deutlich gestiegen.                                    sich schnell wandelnden, technologischen Entwick-
                                                                                                   lungen mitzuhalten, um im Wettbewerb bestehen zu
                             INTERNATIONALER STEUERWETTBEWERB                                      können.
                                                                                                        Um die Digitalisierung konsequent voranzutrei-
                             Die (wirtschaftspolitisch durchaus notwendige)                        ben, ist es gesamtwirtschaftlich zielführend, diesen
                             US-Steuerreform hat den globalen Steuerwettbe-                        Investitionsprozess, etwa durch eine beschleunigte
                             werb angeheizt. Die Senkung des Unternehmens-                         Abschreibung, zu erleichtern. Die Unternehmen wer-
                             steuersatzes von 35% auf 21%, Sofortabschrei-                         den dadurch bei den hohen Umstellungsinvestitio-
                             bungen für Investitionen und niedrige Besteue-                        nen für vernetzte Maschinen und Anlagen unterstützt.
                             rung ausländischer Gewinne auf immaterielle Wirt-                     Beschleunigte Abschreibungen für digitalisierungs-
                             schaftsgüter erhöhen die steuerliche Attraktivität                    relevante Investitionen tragen zudem dem technolo-
                             der USA, denn eine niedrige Steuerlast ist ein entschei-              gisch bedingten schnelleren Wertverzehr Rechnung.
                             dender Wettbewerbsfaktor. China hat seinerseits                       Denn der rasante Fortschritt bei digitalen Komponen-
                             auf die US-Steuerreform mit Steuererleichterun-                       ten führt dazu, dass sich die Dauer einer sinnvollen
                             gen für ausländische Unternehmen reagiert. In Eu-                     Nutzung der angeschafften Anlagen verkürzt. Sie sind
                             ropa wird mit dem Brexit eine Steuersenkung in                        zudem ein Anreiz für Digitalisierungsprojekte in den
                             Großbritannien erwartet, und auch Länder, wie z.B.                    Unternehmen.
                             Frankreich oder Österreich, haben Entlastungen                             In diesem Zusammenhang begrüße ich die im
                             angekündigt.                                                          Koalitionsvertrag festgeschriebene Einführung der
                                 Um die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschafts-                      steuerlichen Forschungsförderung insbesondere für
                             standorts zu sichern, muss auch Deutschland                           kleine und mittelgroße Unternehmen ausdrücklich.
                             handeln.                                                              Gerade die steuerliche Forschungsförderung ist ein
                                 Mir ist die Enttäuschung der Wirtschaftsverbände                  wichtiges Kriterium, wohin Unternehmen künftig ihre
                             über den Koalitionsvertrag bekannt. Und auch ich                      Investitionen lenken. Deutschland muss hier aufho-
                             hätte mir mutigere Schritte und ein klares wirtschafts-               len, da es als eines der wenigen OECD- und EU-Mit-
                             * Franz Josef Pschierer ist Staatssekretär im Bayerischen Staatsmi-
                                                                                                   gliedstaaten über keine steuerliche FuE-Förderung
                             nisterium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie.         verfügt.

                        14   ifo Schnelldienst   6 / 2018   71. Jahrgang   22. März 2018
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