Systemische Fallanalyse bei Patienten mit im Krankenhaus erworbener Aspirations

 
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Systemische Fallanalyse bei
                                   Patienten mit im Krankenhaus
                                      erworbener Aspirations-
      Severin Federhen
                                            pneumonie
                                    Ein Beitrag zum klinischen Risikomanagement
                                          im CLINOTEL-Krankenhausverbund
                                         Severin Federhen, Stefan Lenzen, Prof. Dr. med. Andreas Becker, Udo Beck

                              Im CLINOTEL-Krankenhausverbund wurden von Mai 2008 bis März 2009 ins-
                              gesamt 93 aktuelle Fälle von im Krankenhaus erworbener Aspirationspneumonie
        Stefan Lenzen         aus 23 Mitgliedshäusern einer systemischen Fallanalyse unterzogen. Als Da-
                              tenquelle wurden aufbereitete §21 KHEntgG-Daten aus dem CLINOTEL-Projekt
                              „QSR-Qualitätssicherung mit Routinedaten“ herangezogen. Gegenstand der
Dipl.-Pflegewirt (FH)         Analysen war der gesamte Behandlungsablauf von der Aufnahme (bzw. prästa-
Severin Federhen, Referent    tionären Versorgung) bis zur Entlassung und ggf. ambulanten Weiterbetreuung.
Qualitätssicherung            Die fachspezifischen Inhalte wurden über eine systematische Literaturrecherche
Dipl.-Gesundheitsökonom       einschlägiger Fachdatenbanken mit den Suchbegriffen „aspiration“ und „aspi-
(FH) Stefan Lenzen,           ration pneumonia“ ermittelt und deren Ergebnisse praxisorientiert für die Mit-
Referent Qualitätssicherung
                              gliedshäuser aufbereitet. Die Einzelfallanalysen wurden anhand eines standardi-
Prof. Dr. med. Andreas
Becker, Geschäftsführer
                              sierten Verfahrens auf Basis des „London-Protocol“ nach Sally Taylor-Adams und
                              Charles Vincent durchgeführt. Insbesondere über die interdisziplinäre Zusam-
Dipl.-Verwaltungswirt
Udo Beck, Geschäftsführer     menarbeit, die Befähigung und Weiterentwicklung der Mitarbeiter sowie den ver-
CLINOTEL                      bundübergreifenden Austausch der gewonnenen Erkenntnisse konnte eine hohe
Krankenhausverbund            Durchdringung in den Mitgliedshäusern erreicht werden. Die erarbeiteten Ergeb-
gemeinnützige GmbH            nisse wurden zur Optimierung der klinischen Abläufe und damit zur Erhöhung
Ebertplatz 1                  der Patientensicherheit eingesetzt. In der Betrachtung der Ergebnisqualität liegt
D-50668 Köln
federhen@clinotel.de          der Schlüssel zur prospektiven Steigerung der Prozessqualität, vorausgesetzt es
www.clinotel.de               erfolgt ein organisationaler Lernprozess.

                                                                    Einleitung
Schlüsselwörter               Derzeit sind im Gesundheitswesen die internationalen und nationalen Entwicklungen zum
                              Thema Patientensicherheit ein relevantes Gesprächsthema. Aktuell wurde die Geschäftsstelle
Klinisches Risiko-            des Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V.1 nach Bonn umgesiedelt und in diesem Kontext
   management                 auch das Institut für Patientensicherheit an der Universität Bonn gegründet. Hiermit wurde
Systemische Fallanalyse       ein nationales Zeichen für die Wichtigkeit der sicheren Gesundheitsversorgung gesetzt, die
                              man auch in den internationalen Entwicklungen beobachten kann. Erwähnenswert sind
Unerwünschte Ereignisse       hierzu u.a. die Stiftung für Patientensicherheit in der Schweiz2 und die US-amerikanische
Aspiration/Aspirations-       AHRQ-Agency of Healthcare Research and Quality3, die ein separates Department für Qualität
  pneumonie                   und Patientensicherheit vorhält.
Patientensicherheit           Im CLINOTEL-Krankenhausverbund werden den Mitgliedshäusern Instrumente zur Quali-
                              tätssicherung zur Verfügung gestellt, die im vorliegenden Fall von den Mitgliedshäusern zur
Qualitätssicherung mit        systematischen Analyse unerwünschter Ereignisse (UE) und Bewertung ihrer Vermeidbarkeit
  Routinedaten (QSR)          eingesetzt wurden. Hierbei geht es nicht um die Klärung der „Schuldfrage“, sondern um die
                              vorwärtsgerichtete Prävention unsicherer Handlungen. Nach Sidney Dekker4 ist es hierfür
                              erforderlich, die Innensicht der beteiligten Akteure aus der Außensicht einzunehmen und
                              beide analysierend zusammenzuführen.
Seite 418-426
Eingereicht am: 15.12.2009    Durch dieses Vorgehen werden Zwischenfälle oder unerwünschte Ereignisse in ihrem spezi-
Akzeptiert am: 06.05.2010     fischen Kontext kritisch reflektiert und bezüglich sog. unsicherer Handlungen (von Vincent
DOI: 10.3936/1029

                                                                          418                         Pflegewissenschaft 7-8/10
S. Federhen, S. Lenzen et al.: Systemische Fallanalyse bei Patienten mit im Krankenhaus erworbener Aspirationspneumonie – Ein Beitrag zum ...

Title                               auch bezeichnet als „Care Delivery Problems (CDP)“) und ihrer Vermeidbarkeit analysiert.
                                    Hierzu führen auch James Reason5 und Charles Vincent6 aus.
Systematic case analysis
of patients with aspirati-          Da aber die beteiligten Akteure niemals unabhängig von ihrer Umgebung, sondern innerhalb
on pneumonia acquired in            eines Systems handeln, können auch diese latenten Konditionen als beitragende Faktoren
hospital                            („Contributory Factors (CF)“) den Fallverlauf entscheidend beeinflussen und bedürfen daher
                                    ebenfalls der Bewertung.
An essay on clinical risk ma-
nagement in the CLINOTEL            Um die Fallanalysen der Ebene von persönlichen Schuldzuweisungen zu entheben und sich
hospital association                intensiv mit den sachlichen Inhalten auseinandersetzen zu können, ist es erforderlich, dies
                                    mit einem standardisierten Verfahren durchzuführen.
                                    Solche Methoden der systematischen und kritischen Reflexion werden, vor allem in an-
Abstract                            gelsächsischen Ländern, seit langer Zeit als Verfahren der Qualitätssicherung angewendet
A total of 93 current cases of      und sind z. B. im Akkreditierungsprozess der Joint Commission on Accreditation of Health
aspiration pneumonia that           Care Organizations7 fester Bestandteil des Akkreditierungsverfahrens. Auch in Deutschland
had been acquired in hospital       verbreiten sich im Rahmen von Qualitätszirkeln und Qualitätsmanagementsystemen sol-
from 23 member hospitals            che oder ähnliche Elemente (z. B. in den Modellen der DIN EN ISO 9001:2008 oder der
from May 2008 to March              EFQM8), um die eigene Leistungsfähigkeit durch eine „kritische kollegiale Bewertung“ von
2009 was subjected to syste-        Behandlungsverläufen zu bewerten und die Qualität der Patientenversorgung kontinuierlich
matic case analysis in the CLI-     zu verbessern.
NOTEL hospital association.         Gegenstand der Analysen ist der gesamte Behandlungsablauf von der Aufnahme (bzw.
Data prepared in accordance         prästationären Versorgung) bis zur Entlassung und ggf. ambulanten Weiterbetreuung. Im
with section 21 of the German       Fokus der Betrachtung stehen der Patient und das Endergebnis des gesamten Behandlungs-
KHEntG from the CLINOTEL            prozesses. Ziel ist eben nicht allein eine technisch einwandfrei abgelaufene Operation oder
project „QAR quality assu-          eine lege artis durchgeführte konservative Behandlung, sondern auch die leitliniengerechte
rance with routine data” was        bzw. evidenzbasierte Indikationsstellung und Nachbetreuung. Im Versorgungsalltag zeigen
used as the data source.            sich gerade im Bereich der interdisziplinären Zusammenarbeit sowie des klinikinternen und
The object of the analyses was      -externen Schnittstellenmanagements erhebliche Schwächen. Die Verbesserung dieser für
the entire course of treatment      den Gesamtprozess und die Ergebnisqualität wichtigen Bereiche ist daher ein wichtiges Ziel
from entry (or pre-in-patient       des Qualitätsmanagements.
treatment) up until discharge
                                    Die Analyse dieser Fälle ist vorwärtsgerichtet: Es geht darum, mögliche systematische
and, if applicable, outpatient
                                    Schwachstellen in den Abläufen zu erkennen, um daraus Verbesserungsmöglichkeiten für
further care. The specifically
                                    die Zukunft abzuleiten. Die Wahrscheinlichkeit, solche Schwachstellen zu finden, lässt sich
technical content was deter-
                                    durch die gezielte Auswahl der Analysefälle erhöhen. Deren Beseitigung hilft aber nicht nur
mined by a systematic search
                                    den potenziellen „Problemfällen“, sondern wirkt sich positiv auf viele andere Patienten aus.
of the literature in the relevant
                                    Wenn es sich nicht um krankheitsspezifische Schwachstellen handelt, sondern beispielsweise
technical databases with the
                                    um Probleme in der interdisziplinären Zusammenarbeit, können die Auswirkungen möglicher
search terms „aspiration” and
                                    Verbesserungen weitreichend sein und über das ursprünglich adressierte Krankheitsbild hi-
„aspiration pneumonia” and
                                    nausgehen, so dass sehr viele Patienten davon profitieren.
the results were prepared in a
suitably practice-oriented way      Systemische Fallanalysen und Peer Review-Verfahren bleiben allerdings wirkungslos, wenn
for the member hospitals.           keine Bereitschaft oder Möglichkeit zu konsequentem Handeln besteht. Gewonnene Erkennt-
The individual case analyses        nisse und abgeleitete Maßnahmen müssen daher auch dokumentiert und ihre Umsetzung
were done through a standar-        sowie die Auswirkungen verfolgt werden. Die Auswirkungen eines Peer Reviews können von
dized procedure on the basis        großer Tragweite für die innere Organisation eines Krankenhauses sein.
of the „London protocol” ac-        Unabdingbare Voraussetzung für Akzeptanz und Erfolg von Peer Reviews ist es, das Verfahren
cording to Sally Taylor-Adams       als gemeinsamen, kollegialen Lernprozess zu begreifen. Insgesamt wird so ein wesentlicher
and Charles Vincent.                Beitrag zur Verbesserung der Versorgungsabläufe, der Ergebnisqualität der medizinisch-pfle-
In particular as a result of the    gerischen Behandlung und der Patientensicherheit geleistet.
interdisciplinary collaboration,
the capabilities and fur-ther       Im CLINOTEL-Krankenhausverbund werden bereits seit mehreren Jahren Peer Review Verfah-
development of the staff and        ren und systemische Fallanalysen durchgeführt. Im pflegerischen Bereich wurden primär die
an exchange across associa-         Themenfelder „Dekubitus“ und „Sturz“ bearbeitet und Maßnahmen zur Qualitätsverbesse-
tions of the knowledge that         rung abgeleitet und umgesetzt.
was gained allowed a high           Aber auch die Thematik „Aspiration“ und „Aspirationspneumonie“ spielt in Hinblick auf die
degree of penetration into          Gesamtversorgung eine entscheidende Rolle, da viele relevante Bereiche der Alltagsgestal-
the member hospitals to be          tung betroffen sind (z. B. Ernährung, Atmung, Selbstpflege usw.) und die Auswirkungen für
reached. The results that were      den jeweiligen Patienten gravierend sein können. Neben erhöhtem Letalitätsrisiko verlängert
drawn up were used to opti-         sich i.d.R. auch die stationäre Verweildauer, wodurch sich weitere medizinisch-pflegerische
mize the clinical work flows        Komplikationen ergeben können.
and thus to increase patient
safety.
The key to a prospective
increase in process quality lies                 Entwicklung der Grundlagen und Inhalte
in looking at the quality of the
results, provided that an or-                            des Themas Aspiration
ganizational learning process       Damit alle Teilnehmer eines solchen Projektes die gleichen Voraussetzungen haben, ist es un-
takes place.                        abdingbar, den gleichen Wissenstand aufzubauen und einheitliche Definitionen festzulegen.
                                    Im vorliegenden Verfahren wurden folgende Definitionen nach Mizock9 festgelegt:
                                    Aspiration: Das versehentliche Einatmen fester oder flüssiger Substanzen in die Atemwege
                                    unterhalb der Stimmbänder.

                                                                                      419                           Pflegewissenschaft 7-8/10
S. Federhen, S. Lenzen et al.: Systemische Fallanalyse bei Patienten mit im Krankenhaus erworbener Aspirationspneumonie – Ein Beitrag zum ...

Keywords                                 Aspirationspneumonitis: Parenchymale entzündliche Reaktion auf aspiriertes nicht-infekti-
                                         öses Material, charakterisiert durch ein röntgenologisch bestätigtes Infiltrat.
Clinical risk management
                                         Aspirationspneumonie: Parenchymale entzündliche Reaktion auf aspiriertes infektiöses Ma-
Systematic case analysis                 terial, charakterisiert durch ein röntgenologisch bestätigtes Infiltrat.
Unwanted events                          Über die breit angelegte Literaturrecherche einschlägiger Fachdatenbanken und Journals
Aspiration/Aspiration                    über die Suchbegriffe „Aspiration“ und „Aspiration Pneumonia“ wurden in der Bewertung
  pneumonia                              und Einbeziehung systematische Reviews bzw. Übersichtsarbeiten bevorzugt.

Patient safety                           Als Einflussgrößen wurden Risikofaktoren, Präventionsmöglichkeiten und Diagnosemethoden
                                         extrahiert und tabellarisch dargestellt.
Quality assurance with
  routine data (QAR)

                                                                             Entwicklung der Methodik
                                         Zur methodischen Umsetzung des Verfahrens wurden den Mitgliedshäusern drei Dokumente
                                         zur Verfügung gestellt:
                                         Literaturübersicht: Medizinisch-pflegerische Inhalte in übersichtlicher, praxisorientierter
                                         Darstellung zur Ermöglichung einer schnellen Einarbeitung ins Thema.

                                                                                                                                                        DGE Leitlinie 2007

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Mellin-Olsen 1996
                                                                                                                                                                                                                                                                                      Shigemitsu 2007

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Petroianni 2006

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Langmore 1998
                                                                                                                                        Teramoto 2008

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Teramoto 2004
                                                                                                                                                                                           Finucane 2007

                                                                                                                                                                                                                         Kitamura 2007

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Dreyfuss 2001
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        McClave 2002
                                                                                                                                                                                                                                                                      Scolapio 2007

                                                                                                                                                                                                                                                                                                        Metheny 2006

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Dziewas 2003
                                                                                                                                                                                                                                         Mizock 2007
                                                                                             Palmer 2008

                                                                                                                                                                                                           Garrow 2007
                                                                                                           Parrilla 2008

                                                                                                                                                                                                                                                       Paintal 2007
                                                                                                                                                                             Drinka 2007

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Marik 2001
                 Risikofaktoren                                                                                            Sarin 2008
                 Abhängigkeit von Nahrungsmitteldarreichung                                                                                                                                                                                                X                                                                                                                                                             X
                 Abwehrschwäche/Immundefizit                                                                                                                                                                                                                                                X                                X                               X              X                              X             X
                 Adipositas                                                                                                                                                                                                                                                                 X                                                                                                                                             X
                 Alter (hohes)                                                                                                               X                 X                                                                             X                                              X               X                                                               X                              X
                 Ansammlung von Sekret oberhalb Cuff, Cuffdruck zu gering                                                                                                                                                                                                                                   X
                 Anzahl fehlender/zerstörter Zähne (inkl. Erkrankungen Mund-Rachen-Raums)        X                             X                                                                                                                           X                                                                                                                                               X             X
                 Anzahl verschiedener Medikamente                                                                                                                                                                                                          X                                                                                                                                                             X
                 Beatmung (maschinelle)                                                          X                                                                                                                                           X                                                              X
                 Bettlägerigkeit                                                                 X                                                             X                                                                                                                                                                                                                                                         X
                 Bewusstseinsstörungen, neurologische Dysfunktionen                              X                             X                               X                                                              X              X             X               X                X               X                X                               X              X                              X             X
                 Bolusgabe Sondenkost                                                                                                                          X                                                                             X                             X                                X                                                               X
                 Bronchoskopie                                                                                                                                                                                                                             X                                X
                 Chronische Lungenerkrankungen                                                                                                                                                                                               X                                                                                                                              X                              X             X
                 Dokumentierte Aspiration in Krankengeschichte                                                                               X                                                                                               X                                                                                                                              X
                 Dysfunktion Schutzreflexe                                                       X                            X              X                                                                                                             X                                X                               X                                X              X                             X
                 Dysphagie                                                                       X                            X              X                                   X                                            X              X             X                                                                X                 X              X              X               X             X              X
                 Erbrechen                                                                                                                                                                                                                   X                                                              X                                                               X
                 Fehllage Sonde                                                                  X                                                             X                                                                             X                             X                                X
                 Finanzielle Anreize                                                                                                                           X                                X
                 Flachlagerung                                                                                                X                                                                                                              X                             X                                X                                                               X                             X
                 Gastroösophagealer Reflux (z.B. Refluxkrankheit, Schwangerschaft, Hernie)                                                                                       X                             X              X              X             X               X               X                                                                                X                             X              X
                 Gastroskopie                                                                                                                                                                                                                              X                               X
                 Handlungsbedürfnis, Handlungsdruck                                                                                                                                             X
                 Hyperglykämie (Risiko für Magenatonie)                                                                                                                                                                                                                                                     X                                                               X
                 Kolonisierte Oralsekrete                                                                                     X                                                                                                                                                                                                                              X                              X             X            X
                 Komorbidität (Multimorbidität = XX) oder große OP                                                                                                                                                                        XX            XX                                                                                 XX                               X                                         XX
                 Magenentleerungsstörung                                                                                                                                         X                                                         X             X X                               X                X                                                               X               X             X
                 Mundhygiene (schlechte)                                                         X                            X                                                                                                            X             X                                 X                X               X                                               X               X             X              X
                 Nasogastrale Sonde                                                                                                                           X                                                X                           X             X X                               X                X                                                X              X                             X
                 PEG                                                                                                                                                                                           X                                                                           X                                                                                                              X
                 Personal (schlecht qualifiziertes)                                                                                                                                                                                          X                             X                                X                                                               X               X             X              X
                 Rauchen                                                                                                      X                                                                                                    X                                                                                                                                                                                     X
                 Schlaganfall (akuter = XX)                                                                                   X                           XX                                                                  X XX X                                                       X                             XX                               XX                                X             X              X
                 Schnarchen                                                                                                                                                                                                                                                                                               X
                 Schräglage Kopfteil Bett unter 30 Grad                                          X
                 Sedierung, Intoxikation                                                         X                            X                               X                  X                                                           X             X              X                X                                                                                X                             X                               X
                 Sondenernährung                                                                 X                                                                                                             X                             X             X                               X                                                                                X                             X             X
                 Tracheostomie, Intubation                                                                                                                                                                                                   X             X                               X                X                                                               X
                 Transport von Schwerstkranken                                                                                                                                                                                               X                                                                                                                              X
                 Verwachsungen, Fisteln, Tumore, Anomalien                                                                                                                       X                                                           X             X                               X                                                                                X              X              X

                 Abb. 1

                                         Projekthandbuch: Darlegung und Vermittlung der Grundlagen des Qualitätssicherungsver-
                                         fahrens zur Ermöglichung der effektiven Anwendung.
                                         • Ziele des Projektes
                                         • Einführung in das Projekt
                                         • Klassifikation unerwünschter Ereignisse, Fehler und Schweregrade

                                                                                                                                            420                                                                                                                                                                        Pflegewissenschaft 7-8/10
S. Federhen, S. Lenzen et al.: Systemische Fallanalyse bei Patienten mit im Krankenhaus erworbener Aspirationspneumonie – Ein Beitrag zum ...

                                         • Allgemeine Grundlagen von Fallanalysen und Peer Reviews und deren Einbindung in be-
                                           stehende Qualitätsmanagementsysteme
                                         • Grundlagen Aspiration, Aspirationspneumonitis und Aspirationspneumonie
                                         • Risikofaktoren, Prävention und Diagnostik
                                         • Fallauswahl und Übermittlung der Fälle
                                         • Durchführung der Fallanalysen und kritische Reflexion
                                         • Literaturverzeichnis

                                                                                                                                                               DGEM Leitlinie 2007

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            Mellin-Olsen 1996
                                                                                                                                                                                                                                                                                              Shigemitsu 2007

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               Petroianni 2006

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            Langmore 1998
                                                                                                                                               Teramoto 2008

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Teramoto 2004
                                                                                                                                                                                                   Finucane 2007

                                                                                                                                                                                                                                 Kitamura 2007

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               Dreyfuss 2001
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                McClave 2002
                                                                                                                                                                                                                                                                              Scolapio 2007

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Metheny 2006

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Dziewas 2003
                                                                                                                                                                                                                                                 Mizock 2007
                                                                                                    Palmer 2008

                                                                                                                                                                                                                   Garrow 2007
                                                                                                                  Parrilla 2008

                                                                                                                                                                                                                                                               Paintal 2007
                                                                                                                                                                                     Drinka 2007

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               Marik 2001
                                                                                                                                  Sarin 2008
                    Prävention: Was emfpohlen wird
                    Apoplex / SHT + Beatmung: Frühzeitig PEG-Anlage                                                                                                   X
                    Angepasste individuelle Häufigkeit Nahrungsaufnahme bzw. Nahrungsanreichung         X
                    Angemessene Größe der Nahrungsstücke bei Nahrungsanreichung                         X
                    Aufrechte Position, Kinn Richtung Brust neigen                                      X                                                                                X                                            X                            X                                                                 X                                                                             X             X
                    Bestimmung welche Nahrungsmittelkonsistenz am besten toleriert wird                 X
                    Cuffdrucks überprüfen                                                                                                                                                                                                                                                                           X
                    Entscheidungen im Interdisziplinären Team treffen                                                                 X
                    Erhöhtes Kopfteil, Schräglage (30 - 45 Grad, 90 Grad bei Nahrungsanreichung)        X                                                                                X                                            X              X             X               X                X               X                X                                              X                              X             X
                    Frühzeite Reduktion von Sedativa                                                    X                                                                                                                                                                                                           X                                                               X
                    Kontinuierliche (pumpengesteuert) statt intermittierende Gabe von Sondenkost        X                                                             X                                                                              X                                                              X                                                               X
                    Langfristige Sondenkostgabe über PEG                                                                                                              X                                                                                                                                             X                                                                                              X
                    Mengen langsam steigern                                                                                                                                                                                                                                        X
                    Messung und Management des Magenresidualvolumens                                    X                                                                                                                                                          X               X                                X                                                               X
                    Mobilisation                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 X
                    Mundhygiene                                                                         X                             X             X                                                                                                X             X                                                X                X                                              X                              X             X
                    Mundspülungen (antiseptische)                                                       X                             X                                                                                                                            X                                                X                X                                              X                                            X
                    Nahrungsanreichung anstatt Sondenkostgabe                                                                                                                                                                                                      X                                                                                                                                X
                    Peristaltikfördernde Medikation bei Magenentleerungsstörungen                       X                                                                                X                                                           X                                                                                                                              X
                    Postpylorische Sonde (mehrere relevante RF/thereapieresist. MagenEntlStörung)       X                                                             X                                                               X              X             X               X                                X                                                               X                              X
                    Regelmäßiges absaugen (besonders beatmete Patienten)                                                                                                                                                                                           X                                                X                                                               X                                            X
                    Regionalanästhesie bevorzugen                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 X
                    Ruhezeit von 30 Minuten vor Nahrungsanreichung                                      X
                    Schulungsmaßnahmen für Patienten                                                                                  X                                                                                                                                                                                              X                                                                             X             X
                    Schulungsmaßnahmen für Personal                                                                                   X                               X                                                                                                                                                                                                             X               X                            X
                    Schutzintubation bei schweren neurologischen Erkrankungen                                                                                                                                                                                                                                                                                        X
                    Screening Dysphagie (Autor gibt Flussdiagramm an)                                                                                                 X
                    Sondenkost-/Nahrungsmitteltolleranz überprüfen                                      X                                                                                                                                            X                             X                                                                                                X
                    Sondenlage überprüfen                                                                                                                             X                                                                              X                                                                                                                              X
                    Wechsel flüssig-fest bei Nahrungsanreichung                                         X

                    Prävention: Was vermieden werden soll/nicht empfohlen ist
                    Bolusgaben von Sondenkost                                                                                                                         X
                    Flachlagerung                                                                                                                                                                                                                    X
                    Prophylaktische Antibiotikagabe                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                X
                    Prophylaktisches Andicken von Nahrung                                                                                                             X
                    Sondenwechsel zu kleinerem Durchmesser                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          X
                    Wechsel von nasogastraler Sonde zu PEG                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          X
                    Wechsel zu total parenteraler Ernährung                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         X

                    Diagnose/Risikoidentifikation
                    Blue food coloring                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              X
                    Endoskopische Untersuchung                                                                                                                        X                                                                                                                                                              X                                                                             X
                    Logopädische Untersuchung/Training                                                                                X             X                 X                                                               X                            X                                                                 X                X                                             X              X             X
                    Neurologische Untersuchung (Reflexe etc.)                                                                                                         X                                                                                            X
                    Szintigraphische Untersuchung                                                                      X                                                                                                                                                                                                             X
                    Videofluoroskopie (VFFS)                                                                                                        X                 X                                                                                                                             X                                X                X                                                            X
                    Wassertest nach DGN/SIGN-Leitlinien (Screening Dysphagie)                                                                       X                 X

                     Abb. 2

                                         Checkliste: Kernstück der systemischen Fallanalyse auf Basis des „London-Protocol“10 nach
                                         Sally Taylor-Adams und Charles Vincent, Basis für die Fallanalyse und standardisierter Leitfa-
                                         den für die Fallbesprechung.
                                         • Allgemeine Informationen zu Patient und Fallverlauf
                                         • Prüfung und Bewertung, ob tatsächlich eine Aspiration vorlag, ggf. Abbruch der Analyse,
                                           wenn nicht klinikintern erworben
                                         • Themenfeld Sonden und Ernährung
                                         • Pflegeanamnese
                                         • Pflegeplanung
                                         • Pflegedurchführung
                                         • Aspiration

                                                                                                                                               421                                                                                                                                                                             Pflegewissenschaft 7-8/10
S. Federhen, S. Lenzen et al.: Systemische Fallanalyse bei Patienten mit im Krankenhaus erworbener Aspirationspneumonie – Ein Beitrag zum ...

                                    • Klinische Zeichen und Diagnostik
                                    • Therapie und andere Maßnahmen
                                    • Zusammenfassung und kritische Wertung
                                    • Evaluation und Bewertung des Schweregrads des Ereignisses
                                    • Bewertung Dokumentation
                                    • Empfehlungen und Maßnahmen

                                                     Welche Fälle eignen sich und woher
                                                            stammen die Daten?
                                    Im CLINOTEL-Projekt wird auf die vorhandenen Daten des verbundinternen Projektes „QSR
                                    – Qualitätssicherung mit Routinedaten“ zurückgegriffen und Fälle mit kodierter Aspirations-
                                    pneumonie werden systemischen Fallanalysen unterzogen.
                                    Mit dem Verfahren ist kein zusätzlicher Erhebungsaufwand verbunden. Dies wird erreicht,
                                    indem man auf Daten nach § 21 KHEntgG zurückgreift, die als Datensatz ohnehin zu Ab-
                                    rechnungszwecken erhoben und geprüft werden. Die Einführung diagnoseorientierter Fall-
                                    pauschalen (DRG) bringt eine umfangreiche und detaillierte Kodierung der behandelten
                                    Erkrankungen und Komorbiditäten sowie vorliegender Komplikationen mit sich. Die Angaben
                                    werden im Zuge der Abrechnung an die Kostenträger übermittelt und geprüft. Sie können
                                    somit für Qualitätssicherungszwecke verwendet werden.
                                    Folgende Aufgreifkriterien liegen dem Projekt zugrunde:
                                    Es werden Fälle mit der Angabe einer Aspirationspneumonie als Nebendiagnose gesucht,
                                    hierbei wird zwischen der ambulant erworbenen und der nosokomialen Aspirationspneu-
                                    monie unterschieden.
                                    Eine weitere Differenzierung erfolgt über definierte Risikogruppen, hierbei handelt es sich um
                                    Patienten, die eine der folgenden Hauptdiagnosen bzw. eine oder mehrere der folgenden
                                    Nebendiagnosen aufweisen:
                                    • Subarachnoidalblutung
                                    • Intrazerebrale Blutung
                                    • Sonstige nichttraumatische intrakranielle Blutung
                                    • Hirninfarkt
                                    • Schlaganfall, nicht als Blutung oder Infarkt bezeichnet
                                    • Folgen einer zerebrovaskulären Krankheit
                                    • Demenz (Alzheimer, vaskulär, bei anderenorts klassifizierten Krankheiten, nicht näher
                                      bezeichnet)
                                    • Dysphagie
                                    • Somnolenz, Sopor und Koma

                                    Durch diese Differenzierung ergibt sich die Möglichkeit, verschiedene Patientenpopulationen
                                    separat zu betrachten:
                                    • Ambulant erworbene Aspirationspneumonie
                                    • Ambulant erworbene Aspirationspneumonie, Risikopatient
                                    • Nosokomiale Aspirationspneumonie
                                    • Nosokomiale Aspirationspneumonie, Risikopatient
                                    • Mendelson-Syndrom (Anästhesie bezogenes Aspirationsereignis)

                                             Durchführung der Fallanalysen in der Praxis
                                    Verbundweit wurden von Mai 2008 bis März 2009 insgesamt 93 aktuelle Fälle aus 23 Mit-
                                    gliedshäusern einer systemischen Fallanalyse unterzogen und die Ergebnisse zur Optimierung
                                    der klinischen Abläufe zur Erhöhung der Patientensicherheit eingesetzt.
                                    Die Ergebnisse von heute sind schon da, ich kann heute nur die Resultate von morgen ändern. 11
                                    Nach erfolgter inhaltlich-methodischer Entwicklung des Verfahrens wurden von der CLI-
                                    NOTEL-Geschäftsstelle die Pflegedirektoren der Mitgliedshäuser kontaktiert und über das
                                    Verfahren umfänglich informiert. Diese entschieden über Beteiligung ihres Hauses und das

                                                                                     422                            Pflegewissenschaft 7-8/10
S. Federhen, S. Lenzen et al.: Systemische Fallanalyse bei Patienten mit im Krankenhaus erworbener Aspirationspneumonie – Ein Beitrag zum ...

                                    innerklinische Vorgehen für ihre Einrichtung durch Festlegung des/der Ansprechpartner. In
                                    der Regel wurden die Projektmitarbeiter aus den Reihen der Pflegedirektionen gestellt, die
                                    Fallbearbeitung erfolgte in den meisten Fällen unter Einbezug der Versorgungsbereiche oder
                                    vernetzend interdisziplinär.
                                    Jedem Mitgliedshaus oblag die krankenhausinterne Umsetzung, die Projektleitung und ver-
                                    bundweite Vernetzung wurde zentral durch die CLINOTEL-Geschäftsstelle koordiniert. Je
                                    nach Anzahl der aufgetretenen Fälle, der Konstellation der hausindividuellen Fachabtei-
                                    lungen und dem Einsatz der Mitarbeiter wurden die Fallanalysen sowohl telefonisch als auch
                                    vor Ort durchgeführt. Die Anzahl der teilnehmenden Mitarbeiter variierte von Fall zu Fall,
                                    durchschnittlich nahmen zwei bis drei Personen an der Analyse eines Einzelfalles teil.
                                    Die Etablierung von Verbesserungsmaßnahmen erfolgte je nach hauseigener Schwerpunkt-
                                    bildung. Damit aber – im Sinne des Verbund-Mottos „Von den Besten lernen, zu den Besten
                                    gehören!“ – allen Mitgliedshäusern das Gesamtportfolio an Entwicklungspotential bereitge-
                                    stellt werden konnte, wurde zum Projektabschluss ein gemeinsames Treffen aller Ansprech-
                                    partner organisiert.
                                    Die Möglichkeit des fachlichen Austauschs und des Benchmarkings von Ergebnissen, aber
                                    auch des Methodentransfers und der Weiterentwicklung von Strategien der Qualitätsentwick-
                                    lung stellt einen wesentlichen Vorteil der gemeinsamen Arbeit in einem starken, gemeinnüt-
                                    zigen Krankenhausverbund dar.

                                                                              Ergebnisse
                                    Die zugrunde liegenden 93 Fälle stationär erworbener Aspirationspneumonien aus 23 Mit-
                                    gliedskrankenhäusern wurden wie beschrieben einer detaillierten systemischen Analyse un-
                                    terzogen.
                                    Durch die Fragestellung „Wie kam es dazu?“ wird ein Fenster zum System geöffnet und so
                                    der präventive Ansatz der Fallanalyse mit dem Ziel der Erhöhung der Patientensicherheit in
                                    den Fokus gestellt.

                                                  „Counting incidents is waste of time“ 12
                                    Es ist herauszustellen, dass es nicht Ziel dieser systemischen Fallanalysen war, die uner-
                                    wünschten Ereignisse zu zählen, da in den Fallanalysen lediglich Stichproben analysiert
                                    wurden. Durch Reflexion der Stichproben aus der Außensicht konnten jedoch zweifelsohne
                                    aus den internen Abläufen Hinweise auf systematische Verbesserungspotentiale aufgezeigt
                                    werden.
                                    In Anlehnung an die Publikationen von Chang13 und Dindo14 wurde eine Klassifikation zur
                                    Einteilung der Schweregrade der UEs in operativen und nicht-operativen Fächern vorgenom-
                                    men, um die klinischen Folgen aufzuzeigen.
                                    In den Ausführungen wird bewusst darauf verzichtet Prozentwerte auszuweisen, da die
                                    Grundgesamtheit, auf welche sich hierzu bezogen werden müsste, nicht bekannt ist (wurden
                                    wirklich alle Aspirationen bzw. Aspirationspneumonien als solche erkannt und kodiert?). In
                                    der verbreiteten (prozentualen) Auswertung von CIRS-Meldungen ist ebenfalls kritisch die
                                    Frage nach der Grundgesamtheit zu stellen. Wurden wirklich alle Fälle gemeldet? Bedeutet
                                    dies, dass wenn beispielsweise in der Organisation keine Stürze mehr gemeldet werden,
                                    sich de facto auch keine Stürze mehr ereignet haben? Oder wurden diese lediglich nicht
                                    gemeldet?

                                                                    Gute klinische Praxis
                                    In den Fallanalysen wurden an vielen Stellen Gedanken darüber angestellt, was „gut lief oder
                                    nicht“. Es ging hierbei nicht nur um Maßnahmen, die tatsächlich durchgeführt wurden,
                                    sondern auch um solche, die nicht durchgeführt wurden oder durchgeführt werden konn-
                                    ten, obwohl sie in der konkreten Situation angemessen gewesen wären. Es wurde hierbei
                                    nicht isoliert der Pflegedienst betrachtet, sondern alle am Versorgungsprozess beteiligten
                                    Professionen. Als gute klinische Praxis wurden in den Mitgliedshäusern folgende Punkte
                                    identifiziert:
                                    • Interne Fortbildungen zu den Themen Aspiration und Aspirationsprophylaxe
                                    • Erfassung von Schluckstörungen bereits in der Aufnahmeanamnese
                                    • Durchführung von Schluckversuchen
                                       - Screening der Schluckstörung nach DGEM15-Leitlinie
                                                                                     423                            Pflegewissenschaft 7-8/10
S. Federhen, S. Lenzen et al.: Systemische Fallanalyse bei Patienten mit im Krankenhaus erworbener Aspirationspneumonie – Ein Beitrag zum ...

                                                     • Systematische Einschaltung der Logopädie bei Risikopatienten
                                                          - Kooperation mit externen Logopäden
                                                          - Erfassung und zentrale Auswertung von Aspirationen
                                                     • Berücksichtigung ethischer Fragestellungen
                                                          - Ernährung am Lebensende
                                                     • Transparente Verlaufsdokumentation
                                                          - Nachvollziehbare und vollständige Dokumentation
                                                     • Einsatz vorhandener Standards (Prozesslenkende Dokumente)
                                                          - Pflegerische Leitlinien zur Ernährung
                                                          - Standards zur enteralen Ernährung
                                                          - Standards zur Sondenapplikation
                                                          - Standard zur Ileus-Intubation
                                                          - Risikoeinschätzung in der Neurologie

                                                                     Beitragende Faktoren/Unsichere Handlungen
                                                     Im Allgemeinen führen unsichere Handlungen in Verbindung mit fehlerbegünstigenden
                                                     latenten Faktoren zur Aspiration. Es gibt demnach keine einzelne, alleinige Ursache. Dieses
                                                     Verständnis ist entscheidend, um der – zu Beginn des Projektes – häufig aufgekommenen
                                                     Schuldfrage zu begegnen.
                                                     Unsichere Handlungen verstehen wir – gemäß der Definition der Schweizer Stiftung für
                                                     Patientensicherheit16 – als eine konkrete Handlung, die am „front end“, also am Patienten,
                                                     stattfindet und zum Zwischenfall führt (z. B. Sondenkostgabe bei bestehendem Ileus). Kenn-
                                                     zeichnend hierfür ist eine Abweichung, die in der Versorgung stattgefunden hat, oder die
                                                     über die Grenzen der sicheren Praxis hinausgegangen ist (z. B. nicht durchgeführte Lagekon-
                                                     trolle der Magensonde vor Sondenkostapplikation). Aber auch eine fehlende Pflegeplanung
                                                     kann als unsichere Handlung bezeichnet werden, da sie zumindest potentielle Auswirkungen
                                                     auf den unerwünschten Ausgang hatte.
                                                     Im nachfolgenden Ishikawa-Diagramm sind die zur Aspiration beitragenden Faktoren und
                                                     unsicheren Handlungen, die aus den Fallanalysen in den Mitgliedshäusern extrahiert wurden,
                                                     zusammengefasst abgetragen:
                    Beitragende Faktoren

                                                              Dienstwechsel                      Insuffiziente                           Insuffiziente Fort- und
                                                                                                 Leitlinien/Standards                    Weiterbildung

                                                              Personalausfall                    Unzureichende                           Einarbeitung
                                                                                                 Kommunikation

                                                              Arbeitsdichte                      Verfügbarkeit der                       Bereitstellung von
                                                                                                 Befunde                                 Ressourcen

                                                                        Arbeitsumgebung                                 Team                      Organisation & Management

                                                                                                                                        Dokumentation nicht                     Schnittstellenproblematik
                                                              Ausbleiben von                                                            beachtet                                der Berufsgruppen
                                                                                                             Unleserliche
                                                              erforderlichen                                 Schriften
                                                              Handlungen                                                                                                                   Ausbleiben von
                    Unsichere Handlungen

                                                                                                                                                  Unvollständige
                                                                                                                                                  Anamnese                                 erforderlichen
                                                                                                                     Insuffiziente                                                         Handlungen
                                                                                                                     Pflegeplanung

                                                                                                                                                                                                            Aspiration
                                                                                                                                                                              Unreflektierte
                                                                                                                                  Keine Lagekontrollen                        Sondenkostgabe
                                                       Beziehung Patient zu                                                                                                   (z.B. bei Ileus)
                                                       Personal                           Unsystematische                         der Magensonde
                                                                                          Erhebung von
                                                                                          Schluckstörungen                                                         Bestehende Vorgaben nicht
                                           Kommunikationsdefizit                                                         Lagerung des                              genutzt (Ernährungsprotokoll)
                                                                                                                         Patienten

                                                                Patient                   Aufgabe/Verfahren                              Personal
                    Beitragende Faktoren

                                            Multimorbidität                     Verfügbarkeit                               Müdigkeit
                                                                                Leitlinien/Standards

                                            Sprech- und                         Komplexität                                  Stress
                                            Kommunikationsstörung

                                            Grunderkrankung                     Nicht lesbare/                 Nicht angemessenes
                                                                                transparente                   Wissen
                                                                                Informationen

                     Abb. 3

                                                                                                                                               424                                                 Pflegewissenschaft 7-8/10
S. Federhen, S. Lenzen et al.: Systemische Fallanalyse bei Patienten mit im Krankenhaus erworbener Aspirationspneumonie – Ein Beitrag zum ...

Anmerkungen                                                          Entwicklungsschritte
1  http://www.aktionsbuendnis-          Aus den im Peer Review eruierten beitragenden Faktoren und unsicheren Handlungen wur-
   patientensicherheit.de/              den in den Mitgliedshäusern verschiedene Verbesserungsmaßnahmen abgeleitet. Verbund-
2 http://www.patientensicherheit.
                                        weit zeigten sich Entwicklungsschritte auf folgenden Ebenen:
   ch/
3 http://www.ahrq.gov/                  • Einbringen aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Mitgliedshäuser
4 S Dekker: The Field Guide to
                                        • Systematische Befähigung und Schulung von Mitarbeitern zu Aspiration und Aspirations-
   Understanding Human Error,             prophylaxe
   Ashgate 2006 (ISBN 978-0-
   7546-4826-0)                         • Einbringen aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse „an die Patientenbetten“
5 J Reason: Human Error, Cam-
                                        • Einführung systematischer, leitliniengestützter Verfahren zur Diagnostik von Schluckstö-
   bridge University Press 2006           rungen (Screening und Assessment der Dysphagie)
   (ISBN 0-521-31419-0)
6 C Vincent: Patient Safety, Chur-      • Zielgerichteter und bedarfsorientierter Einsatz vorhandener Ressourcen
   chill Living Elsevier 2006 (ISBN     • Verbesserung der interdisziplinären Zusammenarbeit
   0-443-10120-5)
7 Joint Commission International        • Erarbeitung neuer und Anpassung etablierter Standards und Dokumentationssysteme
   Accreditation Standards for          • Erhöhung der Transparenz durch Verbesserung der Prozessdokumentation
   Hospitals, 3rd Edition Effective
   Januray 2008 (ISBN 978-1-
   59940-141-6)                         Als Grundlage für die aufgezeigten Entwicklungsschritte in den Mitgliedshäusern erwies sich
8 European Foundation for Quali-        als wesentlich, aktuelles Fachwissen in die Organisation einzubringen und es über systema-
   ty-Management                        tische Befähigung der Mitarbeiter in der Arbeit am Patientenbett nutzbar zu machen. Hierzu
9 B A Mizock: Risk of Aspiration        wurden verschiedene Implementierungsstrategien angewendet, die von der Angebotserwei-
   in Patients on Enteral Nutrition:    terung der Innerbetrieblichen Fortbildung mit themenspezifischen Schulungen bis hin zur
   Frequency, Relevance, Relation       Etablierung von interdisziplinären Besprechungen zur Fallsupervision im Behandlungsverlauf
   to Pneumonia, Risk Factors,          reichen. Hierdurch wurden in den Mitgliedshäusern eine Weiterentwicklung der Kompetenz
   and Strategies for Risk Reduc-       der Mitarbeiter und eine zusätzliche Sensibilisierung für das Thema Aspirationen und Schluck-
   tion. Current Gastroenterolo-        störungen erreicht, was letztlich zu einer Verbesserung der Patientensicherheit beiträgt.
   gy Reports 2007, 9:338-344
                                        Zur Einführung leitliniengestützter Verfahren zur Diagnostik erwies es sich in einem Haus
   [12069]
10 S Taylor-Adams, C Vincent: Sys-      als besonders hilfreich, Taschenkarten mit den wesentlichen Eckpunkten des Dysphagie-
                                        Screenings gemäß der DGEM-Leitlinie einschließlich der Verhaltensweisen bei bestehendem
   temanalyse Klinischer Zwischen-
   fälle, Das London-Protokoll,
                                        Aspirationsrisiko zur Verfügung zu stellen.
   Hrsg. Stiftung für Patientensi-      In einem anderen Mitgliedshaus wurde die Dokumentation des Dysphagie-Screenings inso-
   cherheit, Februar 2007               weit vereinfacht, dass durch Dokumentation eines Zahlencodes jederzeit für alle Prozessbe-
11 Zitat nach: Geert de Raad,
                                        teiligten der aktuelle Patientenstatus erkennbar ist. Zusätzlich wurden hier Kriterien definiert,
   Ehemaliger Generalsekretär der       zu welchem Zeitpunkt ein Logopäde verpflichtend hinzugezogen werden muss. Als weiterer
   EFQM                                 Vorteil ergibt sich hieraus, dass die Logopädie so an vorgegebenen Diagnosepunkten noch
12 Charles Billing, Gründer des
                                        gezielter therapieren und infolgedessen zeitökonomisch im therapeutischen Team eingesetzt
   weltweiten Aviation Safety Re-       werden kann.
   porting Systems
13 A Chang et al. The JCAHO pa-         Nicht zuletzt ist es hilfreich, erarbeitetes Wissen allen Mitarbeitern dauerhaft, z. B. in Form
   tient safety event taxonomy: a       schriftlicher Vorgaben zur Verfügung zu stellen. Dies wurde in den Mitgliedshäusern effektiv
   standardized terminology and         durch Erarbeitung oder Anpassung von Verfahrensstandards, aber auch durch klinikübergrei-
   classification schema for near       fende Vereinheitlichungen von Pflegeanamnesen und Dokumentationssystemen erreicht. Ein
   misses and adverse events. In-       regelmäßiger Abgleich der Dokumentationsergebnisse mit den Vorgaben der Organisation
   ternational Journal for Quality in   kann der Überführung in organisationale Routinen dienen.
   Health Care. 2005. Volume  17,
   Number 2; 95-105 [9947]
14 D Dindo et al. Classification of

   Surgical Complications. Annals
   of Surgery. Volume 240, Numb-                                                    Fazit
   er 2, August 2004 [10891]            Die angestoßenen und vollzogenen Entwicklungsschritte verdeutlichen, dass aktives Arbeiten
15 DGEM: Deutsche Gesellschaft
                                        an und mit den systemischen Fallanalysen über den gesamten Verbund durchweg gute Er-
   für Ernährungsmedizin                folge zeigt. Multiple Maßnahmen zur Verbesserung der Patientenversorgung und -sicherheit
16 Stiftung für Patientensicherheit,
                                        wurden angestoßen und implementiert. Deutliche Verbesserungen zeigten sich bereits nach
   Schweiz, Kursunterlagen Error &      kurzer Zeit in den Falldokumentationen, über das gesamte therapeutische Team. Die Peer
   Risk Analysis (ERA), Zwischenfall    Reviews führten nicht nur bei den unmittelbar an der Analyse der Aspirationsfälle Beteiligten
   analyse – London protocol, Zü-       zu einer Befähigung und Weiterentwicklung. Dadurch, dass die einzelnen Ansprechpartner
   rich 2009                            der Mitgliedshäuser die Erkenntnisse aus den Fallanalysen in ihren Abteilungen, aber auch
17 HW Heinreich Industrial Acci-
                                        abteilungsübergreifend (z. B. im Rahmen von Stationsleiter-/Bereichsleiterbesprechungen)
   dent Prevention, NY and Lon-
                                        vorstellten, konnte durch diese „Multiplikatoren“ eine hohe klinik- und verbundweite Durch-
   don 1941
                                        dringung erreicht werden.
                                        Das wesentliche Projektziel, die Befähigung der Verbundhäuser zur systematischen Anwen-
                                        dung des Verfahrens, wurde vollends erreicht. So endete das Projekt mit einem Treffen aller
                                        beteiligten Ansprechpartner im April 2009 im Mitgliedshaus in Moers. Wesentliche Inhalte
                                        waren hier nochmals der intensive Wissenstransfer und Erfahrungsaustausch der Projekt-
                                        beteiligten. Des Weiteren wurde abschließend der Stand des Verfahrens aus der Sicht der
                                        CLINOTEL-Geschäftsstelle und die praktische Umsetzung des Peer Review in den einzelnen
                                        Mitgliedshäusern vorgestellt und diskutiert.

                                                                                     425                            Pflegewissenschaft 7-8/10
S. Federhen, S. Lenzen et al.: Systemische Fallanalyse bei Patienten mit im Krankenhaus erworbener Aspirationspneumonie – Ein Beitrag zum ...

Kurzbiografie                       Das Verfahren wird von den Verbundmitgliedern als stimmig und zielführend bewertet,
                                    insbesondere die interdisziplinäre Umsetzung zeigte sehr guten Erfolg. Der Einbezug des
Dipl.-Pflegewirt (FH)               Medizincontrollings konnte in vielen Fällen die Akzeptanz und das Verständnis aller beteili-
Severin Federhen                    gten Berufsgruppen erhöhen. In der Diskussion wurden die Bedeutung einer zielgerichteten
Referent Qualitätssicherung         Fallplanung und Dokumentation sowie deren systematische Umsetzung und Überprüfung
Diplom-Pflegewirt (FH)              erörtert.
Staatl. exam. Gesundheits-
und Krankenpfleger                  Die Notwendigkeit von Meldesystemen lässt sich an „Heinreichs Ratio“17 darstellen. Er
Akkreditierter Zertifizierungs-     zeichnet das Bild eines Eisbergs, dessen schmale Spitze aus der Wasseroberfläche herausragt
auditor QM-Systeme (EA-             und von oben gesehen wird. Mit zunehmender Tiefe wird die Substanz des Eisbergs immer
Scope 38)                           größer. Die sich unter dem Wasserspiegel verbergende latente Gefahr ist von oben nicht
Auditor für Qualitätsmanage-        erkennbar.
mentsysteme, DGQ/EOQ                                                                          Übertragen auf die systema-
Qualitätsmanager DGQ                                                                          tischen Fallanalysen der im
Kurs Error & Risk Analysis                                                                    Krankenhaus erworbenen
(ERA), Schweizer Stiftung                                 Aspirations-                        Aspirationen bedeutet dies,
für Patientensicherheit                                    pneumonie                          dass die Aspirationspneumo-
                                                                                              nien bewusst bemerkt werden
Dipl.-Gesundheitsökonom                                                                       (Spitze des Eisbergs über dem
(FH) Stefan Lenzen                                         Aspiration                         Wasserspiegel). Um die sich
Referent Qualitätssicherung                                                                   unmittelbar unter der Ober-
Diplom-Gesundheits-                                                                           fläche befindlichen Gefahren
ökonom (FH)                                                                                   (hier Aspirationen, welche
Staatl. exam. Gesundheits-                                                                    – noch – keine Aspirationsp-
und Krankenpfleger                                     Beinahe-Aspiration
                                                                                              neumonie zu Folge hatten)
Akkreditierter Zertifizie-                                                                    bewusst wahrzunehmen muss
rungsauditor QM-Systeme                                                                       man „in die Tiefe abtauchen“.
(EA-Scope 38)                     Abb. 4                                                      Den Aspirationen vorausge-
Qualitätsauditor (TÜV)                                                                        hend, um in der Bildsprache
Kurs Error & Risk Analysis                                                                    zu bleiben „unter“ den Aspi-
(ERA), Schweizer Stiftung für       rationen, stößt man mit zunehmender Tiefe auf die „Beinahe“-Aspirationen. Diese kamen
Patientensicherheit                 bisher, aufgrund verschiedener Umstände und Handlungen, nicht zum tragen bzw. führten
                                    nicht zu Aspirationen und somit unter Umständen zu Aspirationspneumonien.
                                    Durch die systematischen Fallanalysen wurde vom Pflegemanagement realisiert, dass es
                                    den Blick früher bzw. tiefer, also weit unter der Wasseroberfläche, ansetzen muss, um eine
                                    größtmögliche Prävention zu erreichen.
                                    In der Betrachtung der Ergebnisqualität liegt also der Schlüssel zur prospektiven Steigerung
                                    der Prozessqualität, vorausgesetzt es erfolgt ein organisationaler Lernprozess in einer (dafür)
                                    offenen Unternehmenskultur.
                                    Im CLINOTEL-Krankenhausverbund werden die Kennzahlen zur Aspirationspneumonie auch
                                    nach dem Projektabschluss nicht aus dem Fokus rücken. Sie werden weiterhin über das
                                    Projekt „QSR-Qualitätssicherung mit Routinedaten“ monitorisiert und gemeinsam mit Kenn-
                                    zahlen aus anderen pflegerischen Risikofeldern zur Verbesserung der Patientenversorgung
                                    eingesetzt.
                                    Somit kann die Prozessqualität auch zukünftig aktiv von den Pflegedirektionen der Mitglieds-
                                    häuser über die Arbeit mit Ergebnisqualitätsindikatoren gesteuert werden.

                                                                                        PrInterNet Community
                                                                                       Sie finden weitere Informationen zu
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                                                                                     426                            Pflegewissenschaft 7-8/10
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