Ergebnisse internationaler strategischer Studien - De Gruyter

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SIRIUS 2021; 5(1): 83–93

Ergebnisse internationaler                                        die­ser Wortmeldungen sollen hier vorgestellt werden.
                                                                  Diese unterscheiden sich wesentlich sowohl hinsichtlich
strategischer Studien                                             der Gründe für den Absturz der russisch-amerikanischen
                                                                  Beziehungen als auch der Handlungsempfehlungen.
                                                                       Die ersten beiden Analysen – ein von 103 früheren,
Die Zeitschrift „SIRIUS“ sieht sich als Bindeglied zu der
                                                                  teilweise hochrangigen Beamten US-amerikanischer Re-
Welt der strategischen Forschungseinrichtungen und ver-
                                                                  gierungen, Botschaftern und Fachleuten regierungsunab-
öffentlicht regelmäßig Kurzdarstellungen von ausgewähl-
                                                                  hängiger Think Tanks mit Russland-Expertise verfasster
ten Studien, die sich mit wichtigen Aspekten der inter-
                                                                  „Offener Brief“ und ein Bericht über ein vom Zentrum
nationalen strategischen Entwicklung befassen. Dabei
                                                                  für strategische und internationale Studien (CSIS) in Wa-
werden in jedem Heft einzelne Schwerpunkte gesetzt.
                                                                  shington und dem Russischen Rat für internationale An-
Die Kurzdarstellungen dienen primär der Widergabe der
                                                                  gelegenheiten (RIAC) in Moskau durchgeführtes Projekt –
Ergebnisse dieser Studien, das schließt kritische Kom-
                                                                  betrachten Putins Russland im Wesentlichen in einem
mentierung nicht aus.
                                                                  weichen Licht. Sie verorten die Dynamik der Krise haupt-
                                                                  sächlich in einer abwärtsgerichteten Wechselbeziehung –
                                                                  irgendwie hätten sowohl die USA als auch Russland an ihr
Russisch-amerikanische Beziehungen
                                                                  Schuld, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Sie ver-
Rose Gottemoeller/Thomas Graham/Fiona Hill/Jon                    meiden die Charakterisierung Russlands als Gegner oder
Huntsman Jr./Robert Legvold/Thomas R. Pickering: It’s             gar Feind, sprechen stattdessen eher von ihm als Rivalen
Time to Rethink Our Russia Policy: Open Letter by 103             (rival) und von Herausforderungen (challenges), die von
U.S. foreign-policy experts. POLITICO, 5. August 2020,            Russland ausgingen. Für die Überwindung der Krise
auf Deutsch abgedruckt in Heft 4/2020 von SIRIUS                  set­zen sie hauptsächlich auf Dialog.
Cyrus Newlin/Heather A. Conley/Natalia Viakhireva/                     Der Offene Brief überrascht, denn er entspricht in
Ian Timofeev: U.S.-Russia Relations at a Crossroads.              vielerlei Beziehung den Vorstellungen und Ratschlägen
Washington, D.C.: Center for Strategic and International          deutscher Apologeten des Putin-Systems und seiner Au-
Studies (CSIS), November 2020                                     ßenpolitik. Wohl im Bewusstsein, dass sowohl Diagnose
Daniel Fried/Alexander Vershbow: How the West Should              als auch Handlungsempfehlungen als wirklichkeitsfremd
Deal with Russia. Washington, D.C.: The Atlantic Council,         verstanden werden können, betonen seine Autoren, dass
23. November 2020                                                 sie keineswegs naiv seien, sondern die Dinge „mit offenen
Michael McFaul: A U.S. Strategy to Contain and Engage             Augen“ betrachteten. Allerdings sind die Augen ziemlich
Putin’s Russia. Washington, D.C.: Council of American             blau gefärbt. Das wurde auch von 33 US-amerikanischen
Ambassadors, 25. November 2020                                    Kollegen sowie 40 Russlandfachleuten und früheren Prä-
Steven Pifer: Managing US Sanctions Toward Russia.                sidenten, Ministerpräsidenten, Verteidigungsministern
Georgetown Journal of International Affairs, 10. Dezember         und Außenministern mittelosteuropäischer und baltischer
2020                                                              Staaten so gesehen; siehe die entsprechenden Dokumente
                                                                  in SIRIUS, Heft 4/2020.
Besprochen von Dr. Hannes Adomeit, Senior Fellow,
                                                                       Die relativ milde Behandlung des Russlands Putins
Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK);
E-Mail: hannes.adomeit@t-online.de                                lässt sich unter anderem an Euphemismen ablesen wie
                                                                  der, dass der Kreml das Handeln der USA in der Außen-
https://doi.org/10.1515/sirius-2021-1009                          politik erschwere (sic), abgeschwächt allerdings mit der
                                                                  Erkenntnis, dass er amerikanische Politik entlang seiner
Im Laufe des Jahres 2020 zeichnete sich ab, dass Joe Biden
                                                                  erweiterten Peripherie in Europa und Asien manchmal
das Rennen um die US-amerikanische Präsidentschaft
                                                                  auch vereitle.
gewinnen könnte. Manche Beobachter glaubten sogar an
                                                                       Im Vordergrund der Empfehlungen stehen jedoch
einen Landslide-Sieg der Demokraten. In Anbetracht des
                                                                  Änderungen im Umgang mit dem Kreml und Initiativen
möglichen Endes der Regierungszeit Trumps meldeten
                                                                  (analog früheren Resets, wenn auch der Begriff selbst
sich eine ganze Reihe von wissenschaftlichen und public
                                                                  tunlichst vermieden wird), die von den USA ausgehen
affairs-Institutionen sowie früheren Botschaftern zu Wort,
                                                                  müssten. So sollten die Vereinigten Staaten
um (abgesehen von eigener Profilierung) einer neuen Re-
                                                                  – „auf Russland in Verhandlungen außerhalb des
gierung in Washington Ratschläge für die Gestaltung der
                                                                       grellen Lichts der Öffentlichkeit zugehen“;
russisch-amerikanischen Beziehungen zu geben. Fünf
84        Ergebnisse internationaler strategischer Studien

–    „voll funktionierende diplomatische Beziehungen           überzugehen und neue vertrauensbildende Maßnahmen
     wiederherstellen“ (denn wichtige Regierungskontakte       zu vereinbaren. Die Verlängerung des New-START-Abkom-
     seien abgebrochen, Konsulate geschlossen und das          mens ist inzwischen beschlossene Sache. Aber was die
     Personal der Botschaften drastisch reduziert worden);     weiteren Vorschläge betrifft, sind Zweifel angebracht, ob
–    Russland in einen „ernsthaften und nachhaltigen stra-     das nicht alles zu einfach gedacht ist. Man kann Rüstungs-
     tegischen Dialog einbeziehen, der sich mit den tieferen   kontrollverhandlungen fordern, aber wo das Interesse
     Quellen von Misstrauen und Feindseligkeit befasst“;       Russlands liegen soll über konventionelle Rüstungskon-
–    in wichtigen Fragen, wie in der Ukraine und Syrien,       trolle in Europa (anhand welcher Parameter) zu verhan-
     in denen sich die Interessen der USA und Russlands        deln, bleibt unklar.
     widersprächen, „mehr Aufmerksamkeit auf die ku-                Während die beiden oben genannten Darstellungen
     mulative Wirkung richten, die angemessene, nach           mit ihren Handlungsempfehlungen die Hauptursache
     Phasen geordnete Schritte nach vorn auf die Gesamt-       für die Krise der Beziehungen in Wechselwirkungen der
     beziehung haben könnten und die wiederum die              Außenpolitik beider Staaten sehen, siedeln die anderen
     Chance böten, verbesserte Beziehungen für weitere         drei Expertisen die Gründe für den desolaten Zustand der
     Fortschritte zu nutzen“;                                  Beziehungen in der russischen Innenpolitik an. Zudem
–    Sanktionen „flexibel, mit Bedacht und in Verbindung       vermeiden sie Euphemismen und neigen eher der von
     mit anderen Elementen nationaler Macht, insbeson-         Biden in einem Interview mit dem Nachrichtensender CBS
     dere der Diplomatie, einsetzen“, denn die stetige An-     am 26. Oktober 2020 geäußerten Ansicht zu, dass „Russ-
     häufung von vom Kongress verordneten Sanktionen           land hinsichtlich von Angriffen auf unsere Sicherheit und
     als Strafe für russische Aktionen auf der Krim und in     die Spaltung unserer Allianzen gegenwärtig die größte Be-
     der Ostukraine, den Giftgasangriff in Salisbury, Ver-     drohung für Amerika ist.“ Entsprechend charakterisieren
     stöße gegen den INF-Vertrag und die Einmischung in        Fried und Vershbow die russische Außenpolitik als „krie-
     Wahlen hätten „jeden Anreiz für Moskau verringert,        gerisch“ (bellicose) und befürworten eine Politik der Ein-
     seinen Kurs zu ändern“.                                   dämmung (containment), um der Kremlin aggression Herr
                                                               zu werden.
Die Berichterstatter des CSIS/RIAC-Projekts stoßen bei              Überhaupt sind die Ausführungen von Fried und
ihren Handlungsempfehlungen in das gleiche Horn. Die           Versh­bow der Auffassung dieses Rezensenten zufolge am
Vereinigten Staaten und Russland, schreiben sie, sollten       überzeugendsten, was wohl auch an den umfangreichen
„einen regelmäßigen Dialog über die regionale Dynamik          Erfahrungen liegt, die die Autoren im Umgang mit dem
führen – nicht unbedingt, um diese zu lösen, sondern um        Russland Jelzins und Putins in unterschiedlichen Posi-
die Entwicklung dieser Dynamik weiter zu verstehen und         tionen gesammelt haben. Fried war über vierzig Jahre im
ihre jeweiligen Politiken und Positionen zu klären. Der        Auswärtigen Dienst der USA tätig. Er spielte eine Schlüs-
Dialog sollte außerhalb der Öffentlichkeit und auf einer       selrolle bei der Gestaltung und Umsetzung der amerika-
adäquaten Regierungsebene stattfinden, um ein solides          nischen Politik in Europa nach dem Fall der Sowjetunion.
und detailliertes Gespräch zu gewährleisten, das jedoch        Als Sonderassistent und Direktor des National Security
nicht so hochrangig verortet sein sollte, um Erwartungen       Councils unter den Präsidenten Clinton und Bush und
zu wecken, dass ein bilaterales Abkommen geschlossen           stellvertretender Staatssekretär für Europa in den Jahren
werden könnte.“                                                2005–2009 war er wesentlich an der Ausarbeitung der
     Es ist nicht klar, was die neue Regierung in Washing-     Politik der NATO-Erweiterung auf mittelosteuropäische
ton mit derartigen Empfehlungen anfangen könnte.               Staaten beteiligt. Nach Moskaus Annexion der Krim und
     Offensichtlich mit Blick auf die verschiedentlich im      seiner militärischen Intervention in der Ostukraine war er
Kalten Krieg wichtige Rolle, die nukleare Rüstungskon-         Koordinator des US-Außenministeriums für die US-Sank-
trolle als Türöffner für eine gewisse Entspannung im           tionspolitik. Als Co-Autor der Studie wird er u. a. als Dis-
bilateralen Verhältnis gespielt hat, empfehlen die 103 Ex-     tinguished Fellow am Atlantic Council genannt. Vershbow
perten ein „ausgewogenes Verhältnis von Abschreckung           war ab 1977 im Auswärtigen Dienst, als Direktor für euro-
und Entspannung“ und die „Wiederherstellung der Füh-           päische Angelegenheiten beim Nationalen Sicherheitsrat
rungsrolle der USA und Russlands [sic] beim Management         und als US-Botschafter bei der NATO sowie in Russland
einer nuklearen Welt“. Die Unterzeichner des Briefs, wie       tätig. Von 2012 bis 2016 war er Stellvertretender General-
auch die Berichterstatter des CSIS/RIAC-Projekts, fordern,     sekretär der NATO. Als Co-Autor der Studie wird er u. a. als
den Neuen START-Vertrag zu verlängern, um dann zu einer        Distinguished Fellow am Scowcroft-Zentrum für Strategie
nächsten Phase auch konventioneller Rüstungskontrolle          und Sicherheit des Atlantic Council aufgeführt.
Ergebnisse internationaler strategischer Studien   85

     Der politische Autoritarismus des Systems Putin, so           wenn sie auf ihre Verbündeten, „insbesondere die
die Autoren in ihrer Diagnose der Ursachen für die gegen-          Deutschen“, hörten und nicht wie Trump sinnlose
wärtige Konfrontation, führe zu wirtschaftlicher Rückstän-         Kämpfe mit ihren Freunden führten.
digkeit und Stagnation, was wiederum die Anziehungs-           –   Nach Gemeinsamkeiten für die Stabilisierung der
kraft Russlands und seine Chancen, Freunde und willige             Beziehungen suchen. Dazu könnte Rüstungskon-
Verbündete auf freiwilliger Basis zu gewinnen, erheblich           trolle gehören, einschließlich der Erhaltung von New
mindere. Die Mittel, die Russland infolgedessen einsetze,          START, aber auch ein Dialog über nicht strategische
um Macht und Einfluss in seiner Nachbarschaft und in               Atomwaffen und neue Waffentechnologien, um deren
der Welt zu erringen, seien Subversion, Korruption, Des-           potenzielle Auswirkungen auf die strategische Stabili-
information und letzten Endes auch militärischer Druck             tät abzuschwächen. Der Dialog könnte auch Bereiche
und Gewalt. Dies, um das Argument von Fried und Ver-               umfassen, in denen die Vereinigten Staaten und Russ-
shbow zu vervollständigen, verursache politische und               land ähnliche Ziele verfolgten, wie die Denuklearisie-
wirtschaftliche Kosten, wie beispielsweise internationale          rung Nordkoreas, Terrorismusbekämpfung, künftige
Sanktionen, welche die wirtschaftliche Rückständigkeit             Pandemien und Klimawandel.
und Stagnation sowie den Autoritarismus im Inneren und         –   Im Informationsraum aktiver werden. Gut finanzierte
die Gegnerschaft mit dem Westen verfestigen.                       Informationsbemühungen sollten entwickelt werden,
     Die drei Expertisen stimmen darin überein, dass die           um nicht nur die Desinformationsanstrengungen des
früheren drei Initiativen für einen Neustart der Beziehun-         Kremls zu entlarven, sondern auch ein genaueres Bild
gen, die jeweils zum Amtsantritt neuer Präsidenten ange-           der US-Gesellschaft und -Politik zu vermitteln. Die von
strebt wurden (Bill Clinton im Jahr 1993, George W. Bush           Trump bewirkte Schwächung von Radio Free Europe/
2001 und Barack Obama 2009), nicht wiederholt werden               Radio Liberty und Voice of America, wie beispielsweise
dürften. Die Konkurrenz beziehungsweise die Gegner-                durch die Weigerung, die Visa ausländischer fremd-
schaft zwischen den Vereinigten Staaten und Putins Russ-           sprachlicher Analysten zu erneuern, sollte rückgängig
land habe systemischen Charakter. Ihr lägen grundlegend            gemacht werden.
unterschiedliche Werte und sich widersprechende Vor-           –   Kontakte mit der Zivilgesellschaft pflegen. Austausch-
stellungen internationaler Ordnung zugrunde. Kein ein-             beziehungen sollten mit russischen NGOs und einem
ziger Gipfel, Besuch, Neustart oder Angebot könnten die            breiten Spektrum von Bürgern aufrechterhalten und
Dinge ändern.                                                      weiterentwickelt werden, wobei sich die USA nicht
     Auf dieser Basis haben Fried und Vershbow einige              auf oppositionelle Kräfte beschränken sollten. Putins
ihrer Handlungsprinzipien wie folgt formuliert:                    Regime würde das nicht gefallen und weiterhin Men-
– Aggressionen des Kremls Widerstand entgegensetzen.               schen mit Kontakten zum Westen als „ausländische
     Im Einzelnen bedeute dies, die Souveränität und Un-           Agenten“ brandmarken. Washington sollte sich aber
     abhängigkeit der Ukraine, Georgiens und Belarus aktiv         trotz der von Moskau aufgeworfenen Hindernisse
     zu unterstützen; zu versuchen, die Einmischung des            nicht entmutigen lassen.
     Kremls in Wahlen in den USA und in Europa zu verhin-
     dern und derartige Versuche mit erheblichen Kosten        Entsprechende Handlungsempfehlungen hat auch McFaul
     zu belegen; die Abschreckung der NATO entlang ihrer       entwickelt. Diese hat er in einer Anhörung im Juli 2020 im
     Ostflanke zu stärken; Fähigkeiten zu verbessern, sich     Unterkomitee des US-Repräsentantenhauses für Europa,
     dem Cyber- und Informationskrieg des Kremls zu            Eurasien, Energie und Umwelt vorgestellt. Michael McFaul
     widersetzen; und schmutziges Geld und versteckte          war zuvor in der Regierung Obamas 2009–2012 im Na-
     Investitionen russischer privater, halbstaatlicher und    tionalen Sicherheitsrat im Weißen Haus und 2012–2014
     staatlicher Personen und Institutionen in das west-       als US-Boschafter in Russland tätig. Derzeit arbeitet er in
     liche Finanzsystem aufzudecken und auszutrocknen.         verschiedenen Positionen an der Stanford Universität und
– Mit Europa zusammenarbeiten. Einige NATO- und EU-            der Hoover Institution. Die gegenüber Putins Russland
     Partner der Vereinigten Staaten hätten unterschiedli-     zu verfolgende Strategie, so McFaul, müsse „vorrangig
     che Vorstellungen über den Umgang mit Putin. Viele        auf Containment“ beruhen, sich mit wirtschaftlicher, mi-
     teilten jedoch die US-amerikanische Haltung. Es gebe      litärischer und politischer Einflussnahme des Kremls aus-
     eine starke Grundlage für eine gemeinsame trans-          einandersetzen und nur dort mit ihm zusammenarbeiten,
     atlantische Politik. Die Erfahrung zeige, dass die Ver-   „wo es wirklich notwendig ist“ (selective engagement).
     einigten Staaten einen Konsens über die gegen Russ-            Einige seiner Handlungsempfehlungen – hier ver-
     land einzuschlagende Strategie erzielen könnten,          kürzt wiedergegeben – lauten wie folgt:
86        Ergebnisse internationaler strategischer Studien

–    Die NATO stärken. Die „zentrale Säule“ des Ansatzes       anderem US-Botschafter in der Ukraine und Leitender Di-
     gegenüber Russland sollte darin bestehen, das Ver-        rektor für Russland, Ukraine und Eurasien im Nationalen
     hältnis zu Amerikas Verbündeten in der NATO zu            Sicherheitsrat war, hat sich eingehend mit der Sanktions-
     stärken und den Schaden zu beheben, der diesem in         frage befasst: Seitdem sich die Beziehungen zwischen
     den vergangenen vier Jahren zugefügt worden ist. Die      Washington und Moskau in den letzten zehn Jahren ver-
     European-Deterrence- und NATO-Readiness-Initiati-         schlechtert hätten, schreibt er, hätten die USA eine zuneh-
     ven sollten weiter ausgeführt werden, um das Ziel zu      mende Anzahl Sanktionen in verschiedenen geografischen
     erreichen, dass die NATO innerhalb von 30 Tagen 30        und funktionalen Bereichen gegen russische Einzelper-
     Landbataillone (ca. 30.000 Soldaten), 30 Seekampf-        sonen und Unternehmen verhängt – als Reaktion auf die
     schiffe und 30 Luftstaffeln (ca. 300 Flugzeuge) in die    Aggression des Kremls in der Ukraine, seine Cyber- und
     östlichsten Mitgliedstaaten entsenden könnte.             Desinformationsaktivitäten, die Unterstützung Assads in
–    Sanktionen beibehalten. Die Vereinigten Staaten und       Syrien und Maduros in Venezuela sowie im Zusammen-
     ihre Verbündeten und Partner hätten zu Recht russi-       hang mit dem Bau der Nord-Stream-2 Gaspipeline. Auch
     sche Einzelpersonen und Unternehmen als Reaktion          unter Biden sollten Sanktionen Teil des US-Instrumentari-
     auf Putins Annexion der Krim und militärische Inter-      ums sein, um angemessen auf ernstes Fehlverhalten Russ-
     vention in der Ostukraine sanktioniert. Solange Putin     lands zu reagieren. Diesbezüglich hat er folgende Grund-
     sein Verhalten nicht ändere, müssten die Sanktionen       sätze für ihre Anwendung formuliert: Sanktionen sollten
     bestehen bleiben. Jede vorzeitige Zurücknahme oder        – in eine umfassende US-Politik gegenüber Russland
     ihre Verwässerung würde Moskau ein völlig falsches            eingebettet werden. Der Autor setzt dabei (unaus-
     Signal hinsichtlich der Einigkeit des Westens senden.         gesprochen) auf den von Fried, Vershbow und McFaul
–    Diplomatische Bemühungen in der russischen Nach-              skizzierten Maßnahmenkatalog, wozu er unter
     barschaft wiederaufnehmen. Die USA sollten auf das            anderem die Verbesserung der militärischen Fähig-
     diplomatische Feld in der Nachbarschaft Russlands             keiten der NATO im Baltikum und Unterstützung für
     zurückkehren. Die Menschen in der Ukraine, Belarus,           die Ukraine bis hin zur Lieferung von Waffen an ihre
     dem Kaukasus, Zentralasien und in anderen von rus-            Streitkräfte rechnet.
     sischem Druck und Zwang bedrohten Ländern und             – mit einem konkreten Ziel verknüpft werden. Sanktio-
     Gesellschaften wollten, dass die Vereinigten Staaten          nen seien kein Selbstzweck. Das Ziel von Sanktionen
     als aktiver Akteur in der Region auftreten. Die diplo-        sollte darin bestehen, das Kalkül des Kremls hinsicht-
     matische Abwesenheit (insbesondere in der Minsker             lich von Kosten und Nutzen seiner Maßnahmen zu
     Gruppe zum Management des Berg-Karabach-Pro-                  beeinflussen.
     blems) und werteorientierte Stimme der Vereinigten        – so beschaffen sein, dass Moskau davon ausgehen
     Staaten (insbesondere hinsichtlich Belarus) seien in          könne, dass diese aufgehoben würden, wenn es die
     den letzten vier Jahren vermisst worden.                      Bedingungen dafür erfülle. Sollte der Kreml anneh-
–    Die Reformprozesse in der Ukraine und die Verteidi-           men, dass die Sanktionen unabhängig von seinem
     gungsfähigkeit des Landes unterstützen. Die Ukraine sei       Verhalten bestehen blieben, habe er keinen Anreiz,
     der „wichtigste Frontstaat im Rahmen einer Strategie          sich zu bewegen.
     zur Eindämmung Russlands“. Die USA müssten infol-         – im Voraus als Reaktion auf mögliche russische Aktio-
     gedessen die ukrainische Armee weiterhin mithilfe             nen festgelegt werden. Es sei einfacher, einen Gegner
     von Waffenlieferungen und Ausbildungsprogrammen               davon abzuhalten, unerwünschte Maßnahmen zu er-
     unterstützen. Ebenso wichtig sei, dass sich Washing-          greifen, als den Gegner zu zwingen, bereits ergriffene
     ton energisch mit einem umfassenden Plan zur Wie-             Maßnahmen rückgängig zu machen.
     derbelebung der demokratischen Konsolidierung in          – mit Verbündeten, insbesondere mit der EU, koordiniert
     der Ukraine engagiere. Trump habe den Beziehungen             werden. Multilaterale Sanktionen sendeten eine stär-
     zwischen den USA und der Ukraine enorm geschadet,             kere politische Botschaft. Sie hätten auch größere
     indem er die Ukraine in seine Wiederwahlbemühun-              wirtschaftliche Auswirkungen. Derzeit erschwere
     gen einbezogen hätte. Es gebe kein größeres Geschenk          die unterschiedliche Haltung zu Nord-Stream-2 die
     an Putin als eine gescheiterte ukrainische Demokratie.        Koordinierung der Sanktionen mit Europa. Die Biden-
                                                                   Regierung sollte sich bemühen, insbesondere mit
Steven Pifer, Research Fellow am Stanford Zentrum für              Deutschland, dem „wichtigsten europäischen Geld-
internationale Sicherheit und Zusammenarbeit, der mehr             geber der Pipeline“, eine einheitliche Sanktionsfront
als 25 Jahre im State Department gedient hat und unter             gegen Russland aufrechtzuerhalten.
Ergebnisse internationaler strategischer Studien   87

–   mit Anreizen verbunden werden. Um beispielsweise
    den Stillstand im Donbass zu überwinden, könnte
    Washington mit Berlin und Paris einen Plan für eine
    von den UN beauftragte Friedenstruppe und eine in-
    ternationale Übergangsverwaltung ausarbeiten. Die
    Friedenstruppe und die Verwaltungskörperschaften
    könnten in den Donbass entsandt werden, um einen
    Übergang zwischen dem Abzug der russischen und
    Stellvertretertruppen einerseits und der vollständigen
    Wiederherstellung der ukrainischen Souveränität an-
    dererseits zu schaffen. Washington und seine Partner
    könnten klarmachen, dass die Nichtannahme des An-
    gebots zusätzliche Sanktionen auslösen würde.

Nach all dem, was man von der Haltung Bidens, Außen-
minister Antony Blinkens und Sicherheitsberater Jake
Sullivans in früheren Positionen weiß, entsprechen die
Handlungsempfehlungen von Fried, Vershbow, McFaul
und Pifers so ziemlich dem, wie die neue Regierung ihre
Russland-Politik gestalten könnte.
    https://www.politico.com/news/magazine/2020/
08/05/open-letter-russia-policy-391434
    https://www.csis.org/analysis/us-russia-relations-
crossroadshttps://www.atlanticcouncil.org/in-depth-
research-reports/report/russia-in-the-world/
    https://www.americanambassadorslive.org/post/a-
u-s-strategy-to-contain-and-engage-putin-s-russia?fbclid
=IwAR1DLoi-h2j01N8b4mSLaHpY2ZO55GFR7HMakoinRF
FkChltnL0Zjtvz0L0
    https://gjia.georgetown.edu/2020/12/10/managing-
us-sanctions-toward-russia/
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