TAGUNG Neue Herausforderungen nach der Krise - das dritte Deutsch-Portugiesische Forum zieht Bilanz - Nomos eLibrary

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TAGUNG

Neue Herausforderungen nach der Krise – das dritte Deutsch-
            Portugiesische Forum zieht Bilanz

         Yvonne Braun, Tobias Herbst, Julian Plottka und Richard Steinberg*

Die Diskussionen auf der dritten Jahresta-
gung des Deutsch-Portugiesischen Forums                            3. Deutsch-Portugiesisches Forum
waren von der Anerkennung der portugiesi-
schen Leistungen zur Überwindung der Krise                       Gemeinsames Forum der Calouste Gulbenkian
geprägt, ohne dabei die aktuellen Herausfor-                    Stiftung, des Instituts für Europäische Politik und
                                                                 des Portugiesischen Instituts für Internationale
derungen in der Europapolitik auszublenden.
                                                                                    Beziehungen
Diese wurden von Entscheidungsträger/-in-
nen, Praktiker/-innen und Wissenschaft-                          Mit freundlicher Unterstützung des Auswärtigen
ler/-innen in den Themenfeldern Wirtschafts-,                    Amtes und des portugiesischen Außenministeri-
Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wissenschaftspo-                                           ums
litik sowie Zukunft der Europäischen Union
und EU-Außenbeziehungen diskutiert. Das                                      27./28. Mai 2015, Lissabon
ergänzende Deutsch-Portugiesische Histori-
kertreffen ordnete die aktuellen Herausforde-
                                                                Begrüßung und Eröffnung
rungen zudem in den historischen Kontext
                                                                Dr. Artur SANTOS SILVA, Präsident, Calouste
der Demokratisierung Deutschlands und Por-
                                                                Gulbenkian Stiftung, Lissabon
tugals ein.
                                                                Prof. Dr. Mathias JOPP, Direktor, Institut für Eu-
                                                                ropäische Politik, Berlin
Deutschland und Portugal: feste Partner in                      Prof. Dr. Nuno Severiano TEIXEIRA, Direktor,
verändertem Umfeld                                              Portugiesisches Institut für Internationale Bezie-
                                                                hungen (IPRI-UNL), Lissabon
Artur Santos Silva begrüßte die Teilneh-
mer/-innen des Forums im großen Saal der
                                                                Diskussion mit den Außenministern
Calouste Gulbenkian Stiftung und verwies
auf die wirtschaftliche Situation Portugals,                    Moderation: Dr. Eva GASPAR, Jornal de Negóci-
                                                                os, Lissabon
die weiterhin von den Folgen der Krise ge-
                                                                Dr. Rui MACHETE, Außenminister der Portugie-
prägt sei. Um nachhaltiges Wirtschaftswachs-
                                                                sischen Republik, Lissabon
tum zu generieren, schlug er Investitionen in
                                                                Dr. Frank-Walter STEINMEIER, Bundesminister
den Bereichen Wissenschaft und Innovation                       des Auswärtigen, Berlin
vor. Auf Grundlage der europäischen Werte
müsse dem Faktor ‚Humankapital‘ mehr Be-
deutung beigemessen werden, um Wissen in                        Neustart der Wirtschaft: Investitionen und
                                                                Wachstum in Europa
Wirtschaftswerte umzusetzen. Dies mache
eine Aktivierung der Unionsbürger/-innen                        Moderation: Prof. Dr. Daniel BESSA, Generaldi-
                                                                rektor, COTEC Portugal, Porto
notwendig. Ein solcher Impuls, so Santos Sil-
                                                                Marjut SANTONI, Stellvertretende Generaldirek-
va, gehe auch vom dritten Deutsch-Portugie-
                                                                torin, Europäischer Investitionsfonds, Luxemburg
sischen Forum aus, das eine Brücke zwischen

* Institut für Europäische Politik, Berlin.

                                       https://doi.org/10.5771/0720-5120-2015-3-248
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Tagungen                                                                              integration – 3/2015   249

beiden Ländern schlage und die Beziehungen
                                                           Dr. Miguel Poiares MADURO, Minister im Kabi-
vor allem auf kultureller Ebene vertiefe.                  nett des Premierministers und für Regionalent-
                                                           wicklung, Lissabon
Mathias Jopp begrüßte die Gäste im Namen
des deutschen Mitorganisators und machte
                                                           Soziales Europa, Nachhaltigkeit und
auf das veränderte Umfeld des Forums im
                                                           Beschäftigung
Vergleich zur ersten Jahrestagung im Jahr
                                                           Moderation: Dr. Andreas KRELL, Kooperations-
2013 aufmerksam. Zunächst verwies er auf
                                                           stelle EU der Wissenschaftsorganisationen (KO-
die Anzeichen einer wirtschaftlichen Erho-                 WI), Brüssel
lung Portugals nach den schweren Jahren der                Jörg ASMUSSEN, Staatssekretär, Bundesministe-
Anpassung unter dem finanziellen Rettungs-                 rium für Arbeit und Soziales, Berlin
schirm. Aktuell sehe sich die Union mit einer              Prof. Dr. Maria João RODRIGUES, MdEP, Euro-
Vielzahl interner Probleme konfrontiert. Dazu              päisches Parlament, Brüssel
zählte er neben der Frage nach dem Verbleib                Dr. José Silva PENEDA, Ehemaliger Präsident,
Griechenlands in der Eurozone und der unge-                Conselho Económico e Social Português, Lissa-
wissen Zukunft der britischen EU-Mitglied-                 bon
                                                           Dr. Johannes SOMMERHÄUSER, Senior Vice
schaft insbesondere die Zunahme euroskepti-
                                                           President, Robert Bosch GmbH, Stuttgart
scher Tendenzen. Im Bereich des auswärtigen
Handelns der Union hob er die große Zahl an
Flüchtlingen, die versuchen, über das Mittel-              Dinner Speech: European or Western Values?
meer nach Europa zu gelangen, die vom Isla-                Prof. Dr. Heinrich August WINKLER, Humboldt-
mischen Staat ausgehenden Gefahren sowie                   Universität zu Berlin
das angespannte Verhältnis zu Russland nach
dessen völkerrechtswidriger Annexion der                   Die Zukunft Europas: Einheit, Vielfalt und
Krim als wichtigste Herausforderungen her-                 Demokratie
vor.                                                       Moderation: Gülabatin SUN, Managing Director,
                                                           Global Head of Diversity & Inclusion, Deutsche
Die Wichtigkeit des Forums aus portugiesi-                 Bank AG, Frankfurt am Main
scher Sicht unterstrich Nuno Severiano Tei-                Dr. António VITORINO, Präsident, NOTRE
                                                           EUROPE, Paris und Lissabon
xeira, indem er die Rolle des Landes für die
                                                           Joachim POß, MdB, Mitglied des SPD-Parteivor-
weitere Integration Europas mit jener
                                                           stands und Mitglied des Ausschusses für die An-
Deutschlands und Frankreichs verglich. Letz-               gelegenheiten der Europäischen Union des Deut-
tere wirkten seit Gründung der Gemeinschaft                schen Bundestages, Berlin
als treibende Kräfte, während Portugal erst                Prof. Dr. Paulo MOTA PINTO, Vorsitzender,
später dazugestoßen sei, sich dann aber voll-              Ausschuss für EU-Angelegenheiten, Portugiesi-
kommen dem europäischen Projekt verschrie-                 sches Parlament, Lissabon
ben habe. So seien euroskeptische Kräfte in                Prof. Dr. Gisela MÜLLER-BRANDECK-
Portugal auch nicht so stark wie in anderen                BOCQUET, Universität Würzburg
Mitgliedstaaten, dennoch müsse auf europäi-                Dr. Luís DE ALMEIDA SAMPAIO, Botschafter
                                                           der Portugiesischen Republik, Berlin
scher Ebene Solidarität mit den Bürger/-innen
Portugals gezeigt werden. Das Deutsch-Por-
tugiesische Forum fungiere hierfür als eine                Wissenschaft, Forschung und Innovation in
Plattform.                                                 Europa
                                                           Moderation: Prof. Manuel HEITOR, Direktor,
Außen- und innenpolitische Herausforderun-                 Zentrum für Innovations-, Technologie- und Poli-
gen Europas                                                tikforschung, IN+, Instituto Superior Técnico,
                                                           Lissabon
                                                           Prof. Gonçalo QUADROS, CEO, Critical Soft-
Der deutsche Außenminister Frank-Walter
                                                           ware, Coimbra
Steinmeier und sein portugiesischer Amtskol-

                                  https://doi.org/10.5771/0720-5120-2015-3-248
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lege Rui Machete stellten sich in einer offe-
                                                             Dr. João SEABRA, Generaldirektor Healthcare
nen Diskussion zu Beginn des Forums den                      und Mitglied des Corporate Executive Commit-
Fragen der Forumsteilnehmer/-innen. Mode-                    tee, Siemens S.A., Amadora
riert von Eva Gaspar konnten auch Studie-                    Dr. Luís PORTELA, Chairman, BIAL, Coronado
rende aus beiden Ländern die Außenminister                   Dr. Ruth BENDELS, Die Junge Akademie, Berlin
zu aktuellen Herausforderungen der Europa-                   Prof. Dr. Dirk ELIAS, Fraunhofer-Gesellschaft,
politik aus deutscher und portugiesischer                    Porto
Sicht befragen. Mit den Beziehungen zu                       Dr. Raquel OLIVEIRA, Instituto Gulbenkian de
                                                             Ciência, Oeiras
Russland, dem Umgang mit der griechischen
Schuldenkrise, der Zukunft der europäischen
Flüchtlingspolitik und der Rolle beider Län-                 Schlussansprache
der bei der Fortentwicklung der europäischen                 Dr. Paulo PORTAS, Vize-Premierminister der
                                                             Portugiesischen Republik, Lissabon
Integration wurden die zuvor angesprochenen
Themen wieder aufgegriffen.
                                                             Schlussfolgerungen
Auf Basis der Feststellung, dass die Annexi-                 Prof. Dr. Nuno Severiano TEIXEIRA, Direktor,
on der Krim die Sicherheitslage in Europa                    Portugiesisches Institut für Internationale Bezie-
                                                             hungen (IPRI-UNL), Lissabon
verändert hat, waren sich Steinmeier und Ma-
                                                             Dr. Katrin BÖTTGER, Stellvertretende Direkto-
chete einig, dass Russlands offensichtlich ag-               rin, Institut für Europäische Politik (IEP), Berlin
gressives Verhalten es erfordere, die Sicher-
heitspolitik nicht zu vernachlässigen. Dies
                                                             Deutsch-Portugiesisches Historikertreffen:
schließe eigene Verteidigungsmaßnahmen mit                   Zwei lange Wege nach Westen
ein. Steinmeier wies darauf hin, dass auch
                                                             Vorsitz: Prof. Dr. Maria Fernanda ROLLO, Uni-
Deutschland mehr Geld als zuvor für Sicher-                  versidade Nova de Lisboa, Lissabon
heit ausgebe, betonte aber, dass allein auf                  Prof. Dr. Heinrich August WINKLER, Humboldt-
‚hard power‘ zu setzen, der falsche Weg sei.                 Universität zu Berlin
Ein Gleichgewicht von ‚hard‘ und ‚soft                       Prof. Dr. Fernando ROSAS, Universidade Nova
power‘ mit dem Ziel, schwierige Konflikte                    de Lisboa, Lissabon
durch Verhandlungen zu lösen, sei die bessere
Strategie. Für die Beziehungen zu Russland                  rungsunion zu halten. Voraussetzung sei je-
bedeute dies eine Kombination aus politi-                   doch, dass auch Griechenland seinen Teil bei-
schem Druck und Sanktionen. Keine Alterna-                  trage, die notwendigen Entscheidungen treffe
tive sei die Kappung aller Kanäle zu Russ-                  und die Vereinbarungen mit den Gläubigern
land, da dann nicht mehr eingeschätzt werden                so schnell wie möglich schließe.
könne, in welchen Situationen und bei wel-
chen Themen sich Gespräche und Verhand-                     Machete bezeichnete die Vorkommnisse im
lungen lohnen.                                              Mittelmeer als humanitäre Katastrophe und
                                                            verwies auf die bereits ergriffenen Maßnah-
Hinsichtlich der Zukunft Griechenlands be-                  men, um den Schlepperbanden Einhalt zu ge-
stand Konsens, dass dessen Verbleib in der                  bieten. Mit Blick auf die hohe Anzahl von
Eurozone im gemeinsamen Interesse der                       Flüchtlingen war er sich der Schwierigkeit
Europäischen Union liege. Ein Ausscheiden                   bewusst, einen passenden Lösungsansatz in
stelle einen Misserfolg für die gesamte Union               der gemeinsamen EU-Flüchtlingspolitik zu
dar und bringe nicht absehbare Schäden für                  finden. Hinzu komme das Problem radikali-
alle Beteiligten mit sich. Steinmeier und Ma-               sierter Flüchtlinge. Die Verbesserung der Si-
chete versicherten, sämtliche Anstrengungen                 tuation in den Ursprungsländern sei ein anzu-
bis zur Grenze des Zulässigen unternehmen                   strebendes Ziel, damit keine Gründe für eine
zu wollen, um Griechenland in der Wäh-                      Flucht mehr bestünden.

                                    https://doi.org/10.5771/0720-5120-2015-3-248
                             Generiert durch IP '46.4.80.155', am 02.04.2021, 04:55:23.
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Tagungen                                                                                 integration – 3/2015   251

Steinmeier stellte fest, dass Deutschland an-                man den Kritikern in die Hände. Santoni skiz-
gesichts der weltpolitischen Lage innerhalb                  zierte den Beitrag, den der Europäische Inves-
der Europäischen Union eine größere Verant-                  titionsfonds (EIF) als Teil der Gruppe der
wortung übernimmt. Für den Umgang mit                        Europäischen Investitionsbank (EIB) inner-
den Herausforderungen in der europäischen                    halb der Investitionsoffensive für Europa leis-
Nachbarschaft könne nicht erwartet werden,                   tet: Der EIF ermögliche innovative Projekte
dass externe Akteure wie die USA die Ant-                    im Bereich kleine und mittlere Unternehmen
worten finden. Den gelegentlich geäußerten                   (KMU), die für eine Finanzierung über den
Vorwurf einer zunehmenden Ostorientierung                    Markt zu risikoreich sind. Dennoch handele
Deutschlands aufgreifend erwiderte Steinmei-                 er wie eine Bank, die Unternehmen nicht sub-
er, dass er sich nach wie vor bemühe, in der                 ventioniert, sondern ergebnisorientiert Kredite
deutschen Außenpolitik ein Gleichgewicht zu                  zur Verfügung stelle, um private Partner für
halten. Hierzu gehöre, wie auch von seinem                   einzelne Projekte zu gewinnen. Hiermit sei
Amtskollegen Machete betont wurde, ein gu-                   der EIF auch in Portugal sehr erfolgreich und
tes Verhältnis zu den transatlantischen Part-                bereit, dort weiter zu investieren.
nern, das nicht zuletzt durch den Abschluss
der Transatlantic Trade and Investment Part-                 Miguel Poiares Maduro illustrierte am Bei-
nership (TTIP) untermauert werden könne.                     spiel Portugals die von Santoni identifizierte
                                                             Investitionslücke. Dort sei die Investitions-
Wachstum durch gezielte Investitionen                        quote seit 1999 und damit bereits vor der Kri-
                                                             se rückläufig. Sie verharre auf einem niedri-
Am Beispiel Portugals wurde der Erfolg der                   gen Niveau, aber die Wirtschaft sei zuletzt
Reformanstrengungen unterstrichen und ge-                    wieder gewachsen. Um diesen Trend zu stär-
zeigt, dass das Land heute von diesen wirt-                  ken und das Land international wettbewerbs-
schaftlich profitiert. Angesichts der identifi-              fähig zu machen, habe die Regierung das
zierten Investitionslücke bestand jedoch Kon-                Programm „Portugal 2020“ ins Leben geru-
sens, dass Portugal und die gesamte Europäi-                 fen. So würden die notwendigen Rahmenbe-
sche Union weitere Maßnahmen ergreifen                       dingungen geschaffen und Anreize gesetzt,
müssen, um die positive Entwicklung zu stär-                 um private Akteure zu Investitionen zu moti-
ken. Subventionen wurden dafür als Mittel                    vieren. Förderung innerhalb des Programms,
zugunsten von Instrumenten verworfen, die                    und hierin stimmte Maduro seiner Vorredne-
privatwirtschaftliche Investitionen in innova-               rin zu, müsse aber ergebnisorientiert und in
tiven und zukunftsrelevanten Bereichen anre-                 Form zurückzuzahlender Kredite vergeben
gen. Die Instrumente, um dieses Ziel zu errei-               werden. Ziel sei die Hebelung staatlicher Mit-
chen, standen im Zentrum der Diskussionen.                   tel durch das Engagement privater Akteure.

Marjut Santoni legte dar, dass die Wirt-                     Maduro warf zudem einen Blick auf die euro-
schafts- und Finanzkrise eine Investitionslü-                päische Ebene und unterstrich die Bedeutung
cke hinterlassen habe. Insbesondere ausblei-                 des Konvergenzgedankens: Wirtschaftliche
bende Investitionen in Infrastrukturen erzeug-               Konvergenz sei zentral zur Stärkung der Le-
ten Kosten für Unternehmen und verursachten                  gitimität des europäischen Projekts. Zur Er-
volkswirtschaftliche Schäden. Deshalb kom-                   reichung dieses Ziels habe der portugiesische
me die europäische Investitionsoffensive zur                 Premierminister Pedro Passos Coelho vorge-
rechten Zeit. Die Herausforderung bestehe                    schlagen, einen Europäischen Währungs-
nun darin, sie so umzusetzen, dass sie der Re-               fonds (EWF) einzurichten und einen Haushalt
alwirtschaft zugutekomme, andernfalls spiele                 für die Eurozone zu schaffen.1 Letzterer solle

1 Vgl. Pedro Passos Coelho: Towards a Eurozone Architecture We Can Trust, 8.5.2015, abrufbar unter: https://
  stateoftheunion.eui.eu/towards-a-eurozone-architecture-we-can-trust (letzter Zugriff: 8.6.2015).

                                     https://doi.org/10.5771/0720-5120-2015-3-248
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externe Schocks dämpfen und der EWF die                      ne sowie Optionen zur weiteren Integration
Aufgaben erfüllen, die der IWF in der Krise                  umfasse. Mikroökonomisch unausweichlich
übernommen hat. Der Eurozonenhaushalt sol-                   sei eine Verbesserung des Ausbildungsni-
le über Eigenmittel finanziert werden, da mit-               veaus, der Arbeitsvermittlung sowie der Mo-
gliedstaatliche Beiträge und die damit ver-                  bilität, um mehr wettbewerbsfähige Jobs im
bundene ‚Nettozahler-Debatte‘ das Vertrauen                  privaten Sektor zu schaffen.
zwischen den Partnern schwächten. Auf kriti-
sche Nachfragen vor allem deutscher Teilneh-                 Maria João Rodrigues machte deutlich, dass
mer/-innen, die sich für die weitere Einbin-                 Portugal während der Krise seine Wettbe-
dung des IWF und gegen neue Finanzver-                       werbsfähigkeit nicht habe steigern können,
pflichtungen aussprachen, erwiderte Maduro,                  was nun durch weitere Reformanstrengungen
dass der portugiesischen Regierung die                       in den Bereichen öffentliche Verwaltung,
Schwierigkeit eines solchen Paradigmen-                      Haushaltskonsolidierung sowie Bildung und
wechsels bewusst sei, es aber gelte, die dys-                Ausbildung nachgeholt werden müsse. Die
funktionale Debatte zu überwinden.                           deutsch-portugiesische Kooperation solle hier
                                                             intensiviert werden. Der Umgang der Mit-
Nachhaltige Beschäftigung zwischen Konver-                   gliedstaaten mit den Herausforderungen der
genz und Freizügigkeit                                       Globalisierung sei ebenso wie die wirtschaft-
                                                             liche und soziale Konvergenz innerhalb der
Die Schaffung neuer Arbeitsplätze wurde von                  Europäischen Union entscheidend für die Zu-
allen Panelisten/-innen als gegenwärtig wich-                kunft des europäischen Projekts. Auf EU-
tigste soziale Frage identifiziert. Wie dieses               Ebene sei ein Investitionsprogramm notwen-
Ziel zu erreichen ist, wurde im Spannungs-                   dig, damit insbesondere KMU einfacher Zu-
verhältnis von Konvergenz und Freizügigkeit                  gang zu Krediten bekommen. Zudem müss-
diskutiert. Einigkeit bestand darin, dass die                ten die Strukturfonds besser genutzt werden.
Freizügigkeit durch eine grenzüberschreiten-                 Die Diskussion des vorangegangenen Panels
de Kompatibilität der Sozialversicherungen                   aufgreifend unterstrich sie, wie schon zuvor
ergänzt werden müsse. Gleichzeitig könne                     Maduro, die portugiesische Auffassung, dass
Freizügigkeit zu einem unerwünschten ‚brain                  zur Absicherung der Stabilität der Wirt-
drain‘ führen, wenn das Ziel wirtschaftlicher                schafts- und Währungsunion eine ergänzende
und sozialer Konvergenz dauerhaft verfehlt                   Haushaltsfazilität der Eurozone notwendig
wird.                                                        sei. Neben der Überwachung makroökonomi-
                                                             scher Ungleichgewichte gelte es auch, soziale
Jörg Asmussen brachte seine Anerkennung                      Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten
für die politischen und sozialen Kosten, die                 abzubauen. Rodrigues unterstrich an dieser
Portugal für die Überwindung der Krise auf-                  Stelle, dass die Freizügigkeit ein positives
bringen musste, zum Ausdruck. Trotz der er-                  Recht sei, jedoch zu keinem ‚brain drain‘
kennbaren Trendwende, bewirkt durch euro-                    führen dürfe, wie Portugal ihn erlebt habe.
paweite und mitgliedstaatliche Maßnahmen
sowie das Handeln der Europäischen Zentral-                  Johannes Sommerhäuser belegte durch Schil-
bank (EZB), sei die hohe Arbeitslosigkeit,                   derungen aus der Praxis, welches Potenzial
insbesondere bei Jugendlichen, weiterhin in-                 Portugal für nachhaltige Beschäftigung bietet.
akzeptabel. Dies sowie die weiterhin sehr ho-                Der Standort von Bosch in Braga sei in Zu-
he Staatsverschuldung in fast allen Staaten                  sammenarbeit mit der örtlichen Universität
belegten, dass die Krise noch nicht vorbei sei.              und durch öffentliche Fördermittel innerhalb
Makroökonomisch müsse darauf mit einer                       weniger Jahre von einem Produktionswerk zu
Strategie geantwortet werden, die Geld- und                  einem Entwicklungs- und Innovationsstand-
Fiskalpolitik, angebotsseitige Strukturrefor-                ort ausgebaut worden, der 200 hochqualifi-
men, institutionelle Vertiefungen der Eurozo-                zierte Ingenieursarbeitsplätze biete. Als Er-

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Tagungen                                                                              integration – 3/2015   253

folgsfaktoren machte er eine enge Zusam-                  tuelle Wachstumsschwäche und die hohe Ar-
menarbeit mit lokalen und nationalen Part-                beitslosigkeit, löse und dass Europa nicht
nern und Behörden, eine klare Projektdefini-              mehr als Elitenprojekt gestaltet werde. Die
tion mit nachvollziehbaren Leistungskriteri-              Praxis vieler Staats- und Regierungschefs,
en, belastbare Vereinbarungen sowie einen                 Probleme und Misserfolge ‚Brüssel‘ zuzu-
bei allen Beteiligten starken Durchhaltewil-              schreiben, sei hier ein Problem, das unterbun-
len, große Motivation sowie Kompetenz und                 den werden müsse.
Expertise aus. Er betonte zudem, wie wichtig
hierbei unterstützende Gespräche zwischen                 Mit Blick auf die notwendigen Ergebnisse
den Regierungen der beiden Länder gewesen                 forderte er zur Bewältigung der Krise in der
seien.                                                    Eurozone einen Mix aus wachstumsfreundli-
                                                          cher Konsolidierung, strukturellen Reformen
José Silva Peneda machte deutlich, dass eine              und mehr Investitionen. Deutschland, aber
soziale Dimension ebenso wie Demokratie                   auch die Kommission, die EZB und der IWF
und Freiheit Teil des europäischen Hauses                 hätten zu Beginn der Krise zu viel Austerität
sind. Allerdings seien die sozialen Gegeben-              gefordert. Poß kritisierte aber auch das Auf-
heiten in den Mitgliedstaaten sehr unter-                 treten der aktuellen griechischen Regierung
schiedlich und die Schwierigkeiten, diese an-             als „dilettantisch“ und machte gegenüber den
zunähern, hätten bisher über gewisse Harmo-               zuvor auf dem Forum vorgestellten portugie-
nisierungen hinausgehende Maßnahmen ver-                  sischen Forderungen deutlich, dass ein Euro-
hindert. Er legte dar, dass es Portugal, als              zonenhaushalt nicht zur Debatte stehe, bis das
Programmland, zusammen mit der Troika ge-                 griechische Problem gelöst ist.
lungen sei, bei den notwendigen Reformen
gute Kompromisse zu finden, die die Interes-              António Vitorino hob Griechenland und
sen der Sozialpartner berücksichtigen. Er ver-            Großbritannien als zentrale Herausforderun-
wies mit Blick auf die Erfahrungen Portugals              gen für die Zukunft der Europäischen Union
nach der Nelkenrevolution auch darauf, dass               hervor. Ein Europa der verschiedenen Ge-
Solidarität über die Europäische Union hi-                schwindigkeiten sei grundlegend, um der
naus zu denken sei und sprach sich dafür aus,             europäischen Vielfalt gerecht zu werden. Die
mehr Flüchtlinge aufzunehmen als bisher ver-              Eurozone als Kerneuropa solle Triebkraft des
einbart wurde.                                            Wirtschaftswachstums sein. Er stimmte mit
                                                          Poß darin überein, dass die Europäische Uni-
Die Zukunft Europas: Legitimität, Effizienz               on durch Resultate legitimiert werden müsse.
und Vielfalt                                              In der Wirtschaftspolitik seien die unter-
                                                          schiedlichen Bedürfnisse der einzelnen Staa-
In diesem Panel diskutierten die Teilneh-                 ten anzuerkennen. Das Problem des ‚moral
mer/-innen neben institutionellen Aspekten                hazard‘ lasse sich nicht allein durch juristi-
flexibler Integration vor allem die Leistungs-            sche Vorschriften lösen. Vielmehr müsse ein
fähigkeit der europäischen Integration, zu                Klima des Vertrauens hergestellt werden, um
Problemlösungen beizutragen und damit auch                die Differenzen zwischen Nord- und Süd-
die Legitimität und Akzeptanz des europä-                 europa zu überwinden. Die Geschichte der
ischen Projekts zu stärken.                               europäischen Integration hätte letztendlich al-
                                                          len Staaten Vorteile verschafft.
Joachim Poß argumentierte, dass sich die
EU-Institutionen bei der Krisenbewältigung                Paulo Mota Pinto diagnostizierte einen Still-
bewähren müssten, bevor über institutionelle              stand des Zusammenwachsens Europas in
Reformen diskutiert werden könne. Die Ak-                 den letzten Jahren. Sowohl Griechenland als
zeptanz des Integrationsprojekts hänge davon              auch Großbritannien wollten Vorteile ihrer
ab, dass die EU-Politik Probleme, wie die ak-             Mitgliedschaft genießen, ohne das dafür Not-

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wendige zu leisten. Zwar könnten viele Pro-                  Wettbewerbsfähigkeit durch Innovation und
bleme auf EU-Ebene gelöst werden, doch ein                   Forschung in Europa
wichtiger Teil sei weiterhin von nationalen
Politikern/-innen zu leisten. Erscheinen deren               Zu Beginn des Panels stellte Manuel Heitor
Entscheidungen jedoch als alternativlos, sei                 die zunehmenden Unterschiede bei den Aus-
Politik nicht mehr handlungsfähig. Auch Mo-                  gaben der Mitgliedstaaten für Wissenschaft
ta Pinto machte sich für ein Eurozonenbudget                 und Forschung heraus, die in den letzten Jah-
stark und verwies auf die USA, die beispiels-                ren aufgetreten seien. Im Gegensatz zu Mit-
weise in Form der Arbeitslosenhilfe automa-                  teleuropa gingen die Ausgaben in den peri-
tische Stabilisatoren auf föderaler Ebene ken-               pheren Ländern der Europäischen Union und
nen.                                                         vor allem in Portugal zurück. Ausgehend von
                                                             diesen Zahlen gaben die Panellisten/-innen
Gisela Müller-Brandeck-Bocquet beschrieb                     Einblicke in Wissenschaft und Forschung in
zwei gegenwärtige Probleme, die sich aus der                 Deutschland und Portugal. Im Zentrum der
Tatsache ergäben, dass die Eurozone de facto                 Diskussionen stand die Frage, wie Innovatio-
ein Kerneuropa darstelle. Zum einen bestehe                  nen gefördert und in größerem Umfang wirt-
die Gefahr, dass die 19 Staaten der Eurozone                 schaftlich nutzbar gemacht werden können.
und die übrigen neun Mitgliedstaaten ausein-
anderdriften. Zum anderen stelle sich die Fra-               Luís Portela legte dar, dass der Pharma-
ge, wie ‚pre-ins‘ Teil des Kerneuropas wer-                  konzern BIAL in Portugal der zweitgrößte
den können. Entscheidend sei, eine Antwort                   private Investor in Wissenschaft und Techno-
auf die Frage zu finden, ob die Eurozone oder                logie sei. Zugleich kritisierte er, dass die In-
die ‚EU-28‘ vertieft werden sollen. Müller-                  vestitionen in Forschung und Entwicklung
Brandeck-Bocquet plädierte dafür, dass das                   immer noch zu niedrig seien, was zur Folge
Spannungsverhältnis zwischen Einheit und                     habe, dass sich in Portugal der Kreis der In-
Vielfalt nur zugunsten der Einheit aufgelöst                 novation nicht schließe und sich Erfolge nicht
werden könne. Innerhalb der Eurozone müsse                   auf die Wirtschaft übertragen könnten.
die Integration vertieft werden, wo dies mög-
lich ist. Hier seien die Mitgliedstaaten gefor-              Innovation müsse in einem globalen Kontext
dert. Allerdings sah sie deren Rolle kritisch,               gesehen werden, wenn Wettbewerbsfähigkeit
was die Zunahme des Intergouvernementalis-                   geschaffen werden soll, so João Seabra. Um
mus und einen Bedeutungsverlust der supra-                   eine Verbesserung der Forschung in Portugal
nationalen Institutionen betrifft. Dies sei auf              zu erreichen, forderte er einen stärkeren Wett-
das Verhalten der Regierungen in der Krise                   bewerb in der akademischen Forschung so-
zurückzuführen und keine Folge der Refor-                    wie mehr Partnerschaften zwischen Universi-
men des Vertrags von Lissabon.                               täten und Forschungseinrichtungen.

Luís de Almeida Sampaio machte deutlich,                     Gonçalo Quadros führte aus, dass sowohl die
dass Portugal bereit sei, Verantwortung bei                  geografische Lage des Landes als auch die
der Vertiefung der Eurozone zu übernehmen.                   Größe der portugiesischen Wirtschaft nur
Er verwies aber darauf, dass die notwendige                  Spezialisierung und die Erschließung von Ni-
makroökonomische Koordinierung auf EU-                       schenmärkten als sinnvolle Strategien er-
Ebene Probleme der demokratischen Legiti-                    scheinen lassen, um Portugal wettbewerbsfä-
mation mit sich bringt, da nationale Souverä-                higer zu machen. Kreativität und Wissen
nität abgegeben werden müsse. Abschließend                   müssten dazu genutzt werden, wobei den
warb er dafür, dass nationale Regierungen                    Universitäten hier eine Schlüsselrolle zukom-
sich das „europäische Projekt wieder mehr                    me.
aneignen“ sollten und kritisierte ebenfalls die
Praktiken des ‚blame shifting‘ und ‚credit                   Als ein Modell, wie sich Innovation fördern
claiming‘.                                                   lässt, stellte Ruth Bendels „Die Junge Akade-

                                     https://doi.org/10.5771/0720-5120-2015-3-248
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Tagungen                                                                              integration – 3/2015   255

mie“ (Berlin) vor. Im Jahr 2000 als weltweit              diktieren konnten. Diese Erfahrung wolle
erste Akademie für herausragende junge Wis-               Portugal nie wieder machen und nicht mehr
senschaftler/-innen gegründet, habe sie sich              auf Hilfe von außen angewiesen sein.
als Ziele gesetzt, Impulse für die wissen-
schaftspolitische Diskussion zu geben, den                Inzwischen sei es aber gelungen, verlorenes
Dialog zwischen Disziplinen sowie zwischen                Vertrauen zurückzugewinnen und die portu-
Wissenschaft und Gesellschaft anzuregen. Es               giesische Wirtschaft genieße wieder hohes
gehe darum, durch eine Kultur der Offenheit               Ansehen. Auch die Exporte der Wirtschaft
innovative Denkhaltungen zu fördern, die die              würden zunehmen. Dafür sei unter anderem
jungen Wissenschaftler/-innen zusammen mit                der Arbeitsmarkt mit Zustimmung der Sozial-
ihrem Wissen in die Welt hinaustragen.                    partner flexibilisiert worden. Um diesen Weg,
                                                          der in die richtige Richtung führe, weiterzu-
Dirk Elias lobte Portugals Förderprogramme                gehen, seien aber noch weitere Maßnahmen
für KMU im Bereich Forschung und Innova-                  notwendig, da die Arbeitslosigkeit noch im-
tion, die beispielsweise steuerliche Vorteile             mer viel zu hoch sei. Ziel der Regierung sei
gewährten. Er forderte jedoch mehr Kohärenz               es, ein Wachstum von mehr als 2 Prozent des
zwischen den einzelnen Programmen. Eine                   Bruttoinlandsprodukts pro Jahr zu erreichen
bessere Abstimmung ermögliche, mit densel-                und mehr Auslandsinvestitionen für Portugal
ben finanziellen Ressourcen mehr Ergebnisse               zu gewinnen. Dazu sollten die – mit 17 Pro-
zu erzielen. Insbesondere der Zugang zu den               zent bereits niedrige – Körperschafts- und
Programmen könne durch gezieltere Informa-                weitere Steuern gesenkt werden, was aber nur
tionen verbessert werden.                                 auf Basis eines soliden Wachstums möglich
                                                          sei. Auch der Tourismussektor könne einen
Aus ihrer persönlichen Erfahrung als Wissen-              wesentlichen Beitrag dazu leisten.
schaftlerin, die bereits in mehreren europä-
ischen Ländern geforscht hat, identifizierte              Für das Land wünschte sich Portas frei nach
Raquel Oliveira fehlende Privatinvestitionen              Rosemonde Gérard, dass das Wirtschafts-
in Forschung, eine ‚Lücke‘ zwischen Hoch-                 wachstum in Portugal heute höher als gestern
schulen und Industrie sowie den Druck, Inno-              aber niedriger als morgen ist.
vation in wirtschaftliche Erfolge umzusetzen,
als Probleme der Forschung in Portugal.                   Der „Westen“ als normativer Prozess

Nachhaltiges Wachstum durch weitere Refor-                Im Rahmen des Deutsch-Portugiesischen
men                                                       Historikertreffens, das anlässlich des Forums
                                                          stattfand, diskutierten Heinrich August Wink-
Mit Blick auf das Format des Deutsch-Portu-               ler und Fernando Rosas kontroverse Defini-
giesischen Forums betonte Paulo Portas die                tionen des Begriffs „Westen“. Angesichts ak-
Wichtigkeit, auch unter Freunden und Alliier-             tueller Herausforderungen betonten sie den
ten die Beziehungen zu pflegen. Nachdem er                normativen Wert der Europäischen Union,
das erste Forum vor zwei Jahren als Außen-                forderten jedoch auch eine kritische Ausein-
minister eröffnet hatte, freute er sich, als              andersetzung mit gesellschaftlichen und poli-
Stellvertretender     Premierminister     das             tischen Problemen der Gegenwart.
Schlusswort der dritten Jahrestagung zu spre-
chen. Damals habe sich Portugal mitten in                 Winkler erklärte, dass Deutschland und Por-
der Krise befunden und niemand habe ge-                   tugal Schwierigkeiten hatten, den im 18. Jahr-
glaubt, dass diese so schnell überwunden                  hundert entstandenen „modernen Westen“ zu
werden könne, wie es geschehen sei. Wäh-                  akzeptieren, der sich durch einen „dualisti-
rend der Krise sei das Land in der Hand sei-              schen Geist“ auszeichne. Dieser führte durch
ner Gläubiger gewesen, die ihre Bedingungen               frühneuzeitliche Emanzipationsprozesse zu

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einer Teilung von geistlicher und weltlicher                  des Sozialstaates und des regulierenden In-
Gewalt und sei um Wertvorstellungen der                       vestitionismus gedeutet werden, aber auch als
Aufklärung wesentlich erweitert worden.                       Westen des Kolonialismus, des Imperialismus
                                                              und als „Komplize der Diktaturen“. Rosas be-
Die Entwicklung in Deutschland stellt für                     gründete diese negative Definition weiter
Winkler eine Besonderheit dar. Es seien zwar                  durch die jüngere Geschichte. Die Europäi-
einige Werte der Aufklärung durch einen auf-                  sche Union vernachlässige die soziale Peri-
geklärten Absolutismus früh umgesetzt wor-                    pherie und kapituliere seit den 1980er Jahren
den, aber im Gegensatz zu anderen europä-                     vor neoliberalen Strömungen. Die Unterwer-
ischen Ländern sei keine bürgerliche Revolu-                  fung des normativen Projekts unter das Fi-
tion erfolgt. Dieses Paradox habe den Glau-                   nanzkapital bezeichnete er als zivilisatori-
ben an den Wandel von oben gestärkt. Auch                     schen Rückschritt. Die Wahrnehmung der
die erste wirkliche parlamentarische Vertre-                  Austeritätspolitik als vermeintlichen Fatalis-
tung in der Weimarer Republik änderte dies                    mus des Westens sieht er als historischen
nicht, sondern habe als „Produkt der Nieder-                  Fehler, der vor allem die Länder der europä-
lage“ gegolten. Winkler sieht in dem folgen-                  ischen Peripherie schwer belaste. Besonders
den pseudodemokratischen totalitären Führer-                  im Falle Portugals habe die wirtschaftliche
staat eine Auflehnung gegen die normativen                    und soziale Lage seit Einführung des Euro
„Ideen des Westens“. Erst die totale Niederla-                2002 stark gelitten und zu Verschuldung so-
ge Deutschlands habe zu einer „vorbehaltlo-                   wie struktureller Arbeitslosigkeit geführt. Die
sen Öffnung [...] gegenüber der politischen                   Europäische Union bedürfe einer Strukturre-
Kultur des Westens“2 geführt.                                 form, die einen sozialen Fokus setze und die
                                                              Länder der europäischen Peripherie stärker
Die am 21. November 1990 unterzeichnete                       unterstütze.
Charta von Paris3 sei das vorläufige Ende des
Kalten Krieges. Zwar entspräche die politi-                   Deutschland und Portugal: eine produktive
sche Wirklichkeit nicht immer dem normati-                    Partnerschaft vor neuen Herausforderungen
ven Projekt, es sei aber der feste Sockel einer
Streitkultur, die bis heute einen normativen                  Auf das Forum zurückblickend wurde deut-
Prozess anregt. In Bezug auf Putins Politik                   lich, dass auch nach dem Ende der Krise wirt-
der Konfrontation, die sich gegen einen „de-                  schaftspolitische Fragestellungen im Zentrum
kadenten Westen“ richte, und auf die Bedro-                   der Diskussionen standen, in deren Verlauf
hung durch den internationalen Terror müsse                   die großen Anstrengungen Portugals zur
sich der Westen seiner innersten Werte be-                    Überwindung der Krise veranschaulicht wur-
wusst sein. Durch die völkerrechtswidrige                     den. Mehrere Redner/-innen machten dabei
Annexion der Krim habe Putin Russlands                        den Beitrag deutlich, den die deutsch-portu-
Unterschrift unter der Charta von Paris annul-                giesische Zusammenarbeit zu dieser positiven
liert. In diesem Zeitalter der Unsicherheiten                 Entwicklung leisten konnte. Das Deutsch-
sei es besonders wichtig, dass Europa mit                     Portugiesische Forum hat damit nicht nur
einer Stimme spreche.                                         eine symbolische Bedeutung der Würdigung
                                                              der Partnerschaft beider Länder, sondern er-
Rosas stellte den Ausführungen Winklers ein                   möglichte es, konkrete Ansatzpunkte für eine
differenziertes Bild des „Westens“ gegenüber.                 Intensivierung der Zusammenarbeit in neuen
Dieser könne als Westen der Nachkriegszeit,                   Bereichen zu identifizieren. In diesem Sinne

2 Jürgen Habermas: Eine Art Schadensabwicklung. Die apologetischen Tendenzen in der deutschen Zeitge-
  schichtsschreibung, in: „Historikerstreit“. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der na-
  tionalsozialistischen Judenvernichtung, München 1987, S. 62-76, hier S. 75.
3 In der Charta verpflichteten sich 34 Nationen, darunter Russland, der Demokratie. Vgl. Charta von Paris für ein
  neues Europa, Paris 1990.

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Tagungen                                                                              integration – 3/2015   257

verleiteten die Früchte der Reformen, die                 Die gegenwärtige Debatte über die Freizügig-
Portugal derzeit zugutekommen, die Teilneh-               keit verdeutlicht dies. Während Länder wie
mer/-innen nicht dazu, die drängenden He-                 Portugal einen ‚brain drain‘ erleiden, wird in
rausforderungen zu unterschätzen, sondern                 Mitgliedstaaten wie dem Vereinigten König-
sie legten hierauf das größte Augenmerk; ge-              reich die Binnenmigration zunehmend skep-
nannt seien als wichtigste die hohe Arbeitslo-            tisch gesehen.
sigkeit und eine chronische Investitions-
schwäche.                                                 Problemlösungsfähigkeit und Effizienz sind
                                                          folglich die Kriterien, an denen die Legitimi-
Der Vorschlag, zu deren Lösung einen Euro-                tät des gesamten Integrationsprojekts bemes-
zonenhaushalt zu schaffen, wurde sehr kon-                sen wird. Inwieweit sich diese Ziele in einer
trovers diskutiert. Einigkeit bestand hingegen            Union der 28 Mitgliedstaaten durch Formen
darin, dass die Investitionsoffensive mit der             flexibler Integration realisieren lassen, konnte
Strategie, private Akteure zu Investitionen zu            auf dem Forum nur andiskutiert werden. Die
motivieren, zeitgemäßer ist als Subventionen.             Option der Desintegration wurde jedoch uni-
Auch wurde das Potenzial von Wissenschaft,                sono verworfen. Trotz Kritik, die am Verhal-
Forschung und Entwicklung zur Stärkung der                ten der griechischen Regierung vorgebracht
Wettbewerbsfähigkeit diskutiert und deren
                                                          wurde, bestand Konsens, dass der Verbleib
Beitrag zu nachhaltigem Wachstum als hoch
                                                          Griechenlands in der Eurozone im Interesse
eingeschätzt. Trotz vieler positiver Beispiele
                                                          aller Mitgliedstaaten ist.
der Zusammenarbeit von Wissenschaft und
Wirtschaft trat der Bedarf an weiteren Refor-
                                                          Die Diskussion der außenpolitischen Heraus-
men innerhalb der Wissenschaft und zur För-
                                                          forderungen fand in einem Bogen zwischen
derung der Kooperation beider Bereiche deut-
                                                          östlicher und südlicher Nachbarschaft statt.
lich zutage.
                                                          Für den Umgang mit Russland ist dabei die
Wie essenziell nachhaltiges Wachstum lang-                richtige Balance von ‚hard‘ und ‚soft power‘
fristig für die Legitimität der Europäischen              die Gretchenfrage zur Lösung der Krise in
Union ist, wurde sowohl auf den wirtschafts-              der Ukraine. Der Blick in den Süden zeigte
politischen als auch dem Panel zur Zukunft                hingegen, dass sich die Europäische Union
der europäischen Integration thematisiert.                zuvörderst einig werden muss, zu wie viel
Wenn es nicht gelingt, das Konvergenzver-                 Solidarität mit den Flüchtlingen sie bereit ist
sprechen einzulösen, wird die Union weiter                und wie die daraus entstehenden Lasten ge-
an Akzeptanz der Bürger/-innen verlieren.                 teilt werden sollen.

                                  https://doi.org/10.5771/0720-5120-2015-3-248
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