TAGUNG Neue Herausforderungen nach der Krise - das dritte Deutsch-Portugiesische Forum zieht Bilanz - Nomos eLibrary
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TAGUNG Neue Herausforderungen nach der Krise – das dritte Deutsch- Portugiesische Forum zieht Bilanz Yvonne Braun, Tobias Herbst, Julian Plottka und Richard Steinberg* Die Diskussionen auf der dritten Jahresta- gung des Deutsch-Portugiesischen Forums 3. Deutsch-Portugiesisches Forum waren von der Anerkennung der portugiesi- schen Leistungen zur Überwindung der Krise Gemeinsames Forum der Calouste Gulbenkian geprägt, ohne dabei die aktuellen Herausfor- Stiftung, des Instituts für Europäische Politik und des Portugiesischen Instituts für Internationale derungen in der Europapolitik auszublenden. Beziehungen Diese wurden von Entscheidungsträger/-in- nen, Praktiker/-innen und Wissenschaft- Mit freundlicher Unterstützung des Auswärtigen ler/-innen in den Themenfeldern Wirtschafts-, Amtes und des portugiesischen Außenministeri- Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wissenschaftspo- ums litik sowie Zukunft der Europäischen Union und EU-Außenbeziehungen diskutiert. Das 27./28. Mai 2015, Lissabon ergänzende Deutsch-Portugiesische Histori- kertreffen ordnete die aktuellen Herausforde- Begrüßung und Eröffnung rungen zudem in den historischen Kontext Dr. Artur SANTOS SILVA, Präsident, Calouste der Demokratisierung Deutschlands und Por- Gulbenkian Stiftung, Lissabon tugals ein. Prof. Dr. Mathias JOPP, Direktor, Institut für Eu- ropäische Politik, Berlin Deutschland und Portugal: feste Partner in Prof. Dr. Nuno Severiano TEIXEIRA, Direktor, verändertem Umfeld Portugiesisches Institut für Internationale Bezie- hungen (IPRI-UNL), Lissabon Artur Santos Silva begrüßte die Teilneh- mer/-innen des Forums im großen Saal der Diskussion mit den Außenministern Calouste Gulbenkian Stiftung und verwies auf die wirtschaftliche Situation Portugals, Moderation: Dr. Eva GASPAR, Jornal de Negóci- os, Lissabon die weiterhin von den Folgen der Krise ge- Dr. Rui MACHETE, Außenminister der Portugie- prägt sei. Um nachhaltiges Wirtschaftswachs- sischen Republik, Lissabon tum zu generieren, schlug er Investitionen in Dr. Frank-Walter STEINMEIER, Bundesminister den Bereichen Wissenschaft und Innovation des Auswärtigen, Berlin vor. Auf Grundlage der europäischen Werte müsse dem Faktor ‚Humankapital‘ mehr Be- deutung beigemessen werden, um Wissen in Neustart der Wirtschaft: Investitionen und Wachstum in Europa Wirtschaftswerte umzusetzen. Dies mache eine Aktivierung der Unionsbürger/-innen Moderation: Prof. Dr. Daniel BESSA, Generaldi- rektor, COTEC Portugal, Porto notwendig. Ein solcher Impuls, so Santos Sil- Marjut SANTONI, Stellvertretende Generaldirek- va, gehe auch vom dritten Deutsch-Portugie- torin, Europäischer Investitionsfonds, Luxemburg sischen Forum aus, das eine Brücke zwischen * Institut für Europäische Politik, Berlin. https://doi.org/10.5771/0720-5120-2015-3-248 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 02.04.2021, 04:55:23. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tagungen integration – 3/2015 249 beiden Ländern schlage und die Beziehungen Dr. Miguel Poiares MADURO, Minister im Kabi- vor allem auf kultureller Ebene vertiefe. nett des Premierministers und für Regionalent- wicklung, Lissabon Mathias Jopp begrüßte die Gäste im Namen des deutschen Mitorganisators und machte Soziales Europa, Nachhaltigkeit und auf das veränderte Umfeld des Forums im Beschäftigung Vergleich zur ersten Jahrestagung im Jahr Moderation: Dr. Andreas KRELL, Kooperations- 2013 aufmerksam. Zunächst verwies er auf stelle EU der Wissenschaftsorganisationen (KO- die Anzeichen einer wirtschaftlichen Erho- WI), Brüssel lung Portugals nach den schweren Jahren der Jörg ASMUSSEN, Staatssekretär, Bundesministe- Anpassung unter dem finanziellen Rettungs- rium für Arbeit und Soziales, Berlin schirm. Aktuell sehe sich die Union mit einer Prof. Dr. Maria João RODRIGUES, MdEP, Euro- Vielzahl interner Probleme konfrontiert. Dazu päisches Parlament, Brüssel zählte er neben der Frage nach dem Verbleib Dr. José Silva PENEDA, Ehemaliger Präsident, Griechenlands in der Eurozone und der unge- Conselho Económico e Social Português, Lissa- wissen Zukunft der britischen EU-Mitglied- bon Dr. Johannes SOMMERHÄUSER, Senior Vice schaft insbesondere die Zunahme euroskepti- President, Robert Bosch GmbH, Stuttgart scher Tendenzen. Im Bereich des auswärtigen Handelns der Union hob er die große Zahl an Flüchtlingen, die versuchen, über das Mittel- Dinner Speech: European or Western Values? meer nach Europa zu gelangen, die vom Isla- Prof. Dr. Heinrich August WINKLER, Humboldt- mischen Staat ausgehenden Gefahren sowie Universität zu Berlin das angespannte Verhältnis zu Russland nach dessen völkerrechtswidriger Annexion der Die Zukunft Europas: Einheit, Vielfalt und Krim als wichtigste Herausforderungen her- Demokratie vor. Moderation: Gülabatin SUN, Managing Director, Global Head of Diversity & Inclusion, Deutsche Die Wichtigkeit des Forums aus portugiesi- Bank AG, Frankfurt am Main scher Sicht unterstrich Nuno Severiano Tei- Dr. António VITORINO, Präsident, NOTRE EUROPE, Paris und Lissabon xeira, indem er die Rolle des Landes für die Joachim POß, MdB, Mitglied des SPD-Parteivor- weitere Integration Europas mit jener stands und Mitglied des Ausschusses für die An- Deutschlands und Frankreichs verglich. Letz- gelegenheiten der Europäischen Union des Deut- tere wirkten seit Gründung der Gemeinschaft schen Bundestages, Berlin als treibende Kräfte, während Portugal erst Prof. Dr. Paulo MOTA PINTO, Vorsitzender, später dazugestoßen sei, sich dann aber voll- Ausschuss für EU-Angelegenheiten, Portugiesi- kommen dem europäischen Projekt verschrie- sches Parlament, Lissabon ben habe. So seien euroskeptische Kräfte in Prof. Dr. Gisela MÜLLER-BRANDECK- Portugal auch nicht so stark wie in anderen BOCQUET, Universität Würzburg Mitgliedstaaten, dennoch müsse auf europäi- Dr. Luís DE ALMEIDA SAMPAIO, Botschafter der Portugiesischen Republik, Berlin scher Ebene Solidarität mit den Bürger/-innen Portugals gezeigt werden. Das Deutsch-Por- tugiesische Forum fungiere hierfür als eine Wissenschaft, Forschung und Innovation in Plattform. Europa Moderation: Prof. Manuel HEITOR, Direktor, Außen- und innenpolitische Herausforderun- Zentrum für Innovations-, Technologie- und Poli- gen Europas tikforschung, IN+, Instituto Superior Técnico, Lissabon Prof. Gonçalo QUADROS, CEO, Critical Soft- Der deutsche Außenminister Frank-Walter ware, Coimbra Steinmeier und sein portugiesischer Amtskol- https://doi.org/10.5771/0720-5120-2015-3-248 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 02.04.2021, 04:55:23. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
250 integration – 3/2015 Tagungen lege Rui Machete stellten sich in einer offe- Dr. João SEABRA, Generaldirektor Healthcare nen Diskussion zu Beginn des Forums den und Mitglied des Corporate Executive Commit- Fragen der Forumsteilnehmer/-innen. Mode- tee, Siemens S.A., Amadora riert von Eva Gaspar konnten auch Studie- Dr. Luís PORTELA, Chairman, BIAL, Coronado rende aus beiden Ländern die Außenminister Dr. Ruth BENDELS, Die Junge Akademie, Berlin zu aktuellen Herausforderungen der Europa- Prof. Dr. Dirk ELIAS, Fraunhofer-Gesellschaft, politik aus deutscher und portugiesischer Porto Sicht befragen. Mit den Beziehungen zu Dr. Raquel OLIVEIRA, Instituto Gulbenkian de Ciência, Oeiras Russland, dem Umgang mit der griechischen Schuldenkrise, der Zukunft der europäischen Flüchtlingspolitik und der Rolle beider Län- Schlussansprache der bei der Fortentwicklung der europäischen Dr. Paulo PORTAS, Vize-Premierminister der Portugiesischen Republik, Lissabon Integration wurden die zuvor angesprochenen Themen wieder aufgegriffen. Schlussfolgerungen Auf Basis der Feststellung, dass die Annexi- Prof. Dr. Nuno Severiano TEIXEIRA, Direktor, on der Krim die Sicherheitslage in Europa Portugiesisches Institut für Internationale Bezie- hungen (IPRI-UNL), Lissabon verändert hat, waren sich Steinmeier und Ma- Dr. Katrin BÖTTGER, Stellvertretende Direkto- chete einig, dass Russlands offensichtlich ag- rin, Institut für Europäische Politik (IEP), Berlin gressives Verhalten es erfordere, die Sicher- heitspolitik nicht zu vernachlässigen. Dies Deutsch-Portugiesisches Historikertreffen: schließe eigene Verteidigungsmaßnahmen mit Zwei lange Wege nach Westen ein. Steinmeier wies darauf hin, dass auch Vorsitz: Prof. Dr. Maria Fernanda ROLLO, Uni- Deutschland mehr Geld als zuvor für Sicher- versidade Nova de Lisboa, Lissabon heit ausgebe, betonte aber, dass allein auf Prof. Dr. Heinrich August WINKLER, Humboldt- ‚hard power‘ zu setzen, der falsche Weg sei. Universität zu Berlin Ein Gleichgewicht von ‚hard‘ und ‚soft Prof. Dr. Fernando ROSAS, Universidade Nova power‘ mit dem Ziel, schwierige Konflikte de Lisboa, Lissabon durch Verhandlungen zu lösen, sei die bessere Strategie. Für die Beziehungen zu Russland rungsunion zu halten. Voraussetzung sei je- bedeute dies eine Kombination aus politi- doch, dass auch Griechenland seinen Teil bei- schem Druck und Sanktionen. Keine Alterna- trage, die notwendigen Entscheidungen treffe tive sei die Kappung aller Kanäle zu Russ- und die Vereinbarungen mit den Gläubigern land, da dann nicht mehr eingeschätzt werden so schnell wie möglich schließe. könne, in welchen Situationen und bei wel- chen Themen sich Gespräche und Verhand- Machete bezeichnete die Vorkommnisse im lungen lohnen. Mittelmeer als humanitäre Katastrophe und verwies auf die bereits ergriffenen Maßnah- Hinsichtlich der Zukunft Griechenlands be- men, um den Schlepperbanden Einhalt zu ge- stand Konsens, dass dessen Verbleib in der bieten. Mit Blick auf die hohe Anzahl von Eurozone im gemeinsamen Interesse der Flüchtlingen war er sich der Schwierigkeit Europäischen Union liege. Ein Ausscheiden bewusst, einen passenden Lösungsansatz in stelle einen Misserfolg für die gesamte Union der gemeinsamen EU-Flüchtlingspolitik zu dar und bringe nicht absehbare Schäden für finden. Hinzu komme das Problem radikali- alle Beteiligten mit sich. Steinmeier und Ma- sierter Flüchtlinge. Die Verbesserung der Si- chete versicherten, sämtliche Anstrengungen tuation in den Ursprungsländern sei ein anzu- bis zur Grenze des Zulässigen unternehmen strebendes Ziel, damit keine Gründe für eine zu wollen, um Griechenland in der Wäh- Flucht mehr bestünden. https://doi.org/10.5771/0720-5120-2015-3-248 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 02.04.2021, 04:55:23. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tagungen integration – 3/2015 251 Steinmeier stellte fest, dass Deutschland an- man den Kritikern in die Hände. Santoni skiz- gesichts der weltpolitischen Lage innerhalb zierte den Beitrag, den der Europäische Inves- der Europäischen Union eine größere Verant- titionsfonds (EIF) als Teil der Gruppe der wortung übernimmt. Für den Umgang mit Europäischen Investitionsbank (EIB) inner- den Herausforderungen in der europäischen halb der Investitionsoffensive für Europa leis- Nachbarschaft könne nicht erwartet werden, tet: Der EIF ermögliche innovative Projekte dass externe Akteure wie die USA die Ant- im Bereich kleine und mittlere Unternehmen worten finden. Den gelegentlich geäußerten (KMU), die für eine Finanzierung über den Vorwurf einer zunehmenden Ostorientierung Markt zu risikoreich sind. Dennoch handele Deutschlands aufgreifend erwiderte Steinmei- er wie eine Bank, die Unternehmen nicht sub- er, dass er sich nach wie vor bemühe, in der ventioniert, sondern ergebnisorientiert Kredite deutschen Außenpolitik ein Gleichgewicht zu zur Verfügung stelle, um private Partner für halten. Hierzu gehöre, wie auch von seinem einzelne Projekte zu gewinnen. Hiermit sei Amtskollegen Machete betont wurde, ein gu- der EIF auch in Portugal sehr erfolgreich und tes Verhältnis zu den transatlantischen Part- bereit, dort weiter zu investieren. nern, das nicht zuletzt durch den Abschluss der Transatlantic Trade and Investment Part- Miguel Poiares Maduro illustrierte am Bei- nership (TTIP) untermauert werden könne. spiel Portugals die von Santoni identifizierte Investitionslücke. Dort sei die Investitions- Wachstum durch gezielte Investitionen quote seit 1999 und damit bereits vor der Kri- se rückläufig. Sie verharre auf einem niedri- Am Beispiel Portugals wurde der Erfolg der gen Niveau, aber die Wirtschaft sei zuletzt Reformanstrengungen unterstrichen und ge- wieder gewachsen. Um diesen Trend zu stär- zeigt, dass das Land heute von diesen wirt- ken und das Land international wettbewerbs- schaftlich profitiert. Angesichts der identifi- fähig zu machen, habe die Regierung das zierten Investitionslücke bestand jedoch Kon- Programm „Portugal 2020“ ins Leben geru- sens, dass Portugal und die gesamte Europäi- fen. So würden die notwendigen Rahmenbe- sche Union weitere Maßnahmen ergreifen dingungen geschaffen und Anreize gesetzt, müssen, um die positive Entwicklung zu stär- um private Akteure zu Investitionen zu moti- ken. Subventionen wurden dafür als Mittel vieren. Förderung innerhalb des Programms, zugunsten von Instrumenten verworfen, die und hierin stimmte Maduro seiner Vorredne- privatwirtschaftliche Investitionen in innova- rin zu, müsse aber ergebnisorientiert und in tiven und zukunftsrelevanten Bereichen anre- Form zurückzuzahlender Kredite vergeben gen. Die Instrumente, um dieses Ziel zu errei- werden. Ziel sei die Hebelung staatlicher Mit- chen, standen im Zentrum der Diskussionen. tel durch das Engagement privater Akteure. Marjut Santoni legte dar, dass die Wirt- Maduro warf zudem einen Blick auf die euro- schafts- und Finanzkrise eine Investitionslü- päische Ebene und unterstrich die Bedeutung cke hinterlassen habe. Insbesondere ausblei- des Konvergenzgedankens: Wirtschaftliche bende Investitionen in Infrastrukturen erzeug- Konvergenz sei zentral zur Stärkung der Le- ten Kosten für Unternehmen und verursachten gitimität des europäischen Projekts. Zur Er- volkswirtschaftliche Schäden. Deshalb kom- reichung dieses Ziels habe der portugiesische me die europäische Investitionsoffensive zur Premierminister Pedro Passos Coelho vorge- rechten Zeit. Die Herausforderung bestehe schlagen, einen Europäischen Währungs- nun darin, sie so umzusetzen, dass sie der Re- fonds (EWF) einzurichten und einen Haushalt alwirtschaft zugutekomme, andernfalls spiele für die Eurozone zu schaffen.1 Letzterer solle 1 Vgl. Pedro Passos Coelho: Towards a Eurozone Architecture We Can Trust, 8.5.2015, abrufbar unter: https:// stateoftheunion.eui.eu/towards-a-eurozone-architecture-we-can-trust (letzter Zugriff: 8.6.2015). https://doi.org/10.5771/0720-5120-2015-3-248 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 02.04.2021, 04:55:23. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
252 integration – 3/2015 Tagungen externe Schocks dämpfen und der EWF die ne sowie Optionen zur weiteren Integration Aufgaben erfüllen, die der IWF in der Krise umfasse. Mikroökonomisch unausweichlich übernommen hat. Der Eurozonenhaushalt sol- sei eine Verbesserung des Ausbildungsni- le über Eigenmittel finanziert werden, da mit- veaus, der Arbeitsvermittlung sowie der Mo- gliedstaatliche Beiträge und die damit ver- bilität, um mehr wettbewerbsfähige Jobs im bundene ‚Nettozahler-Debatte‘ das Vertrauen privaten Sektor zu schaffen. zwischen den Partnern schwächten. Auf kriti- sche Nachfragen vor allem deutscher Teilneh- Maria João Rodrigues machte deutlich, dass mer/-innen, die sich für die weitere Einbin- Portugal während der Krise seine Wettbe- dung des IWF und gegen neue Finanzver- werbsfähigkeit nicht habe steigern können, pflichtungen aussprachen, erwiderte Maduro, was nun durch weitere Reformanstrengungen dass der portugiesischen Regierung die in den Bereichen öffentliche Verwaltung, Schwierigkeit eines solchen Paradigmen- Haushaltskonsolidierung sowie Bildung und wechsels bewusst sei, es aber gelte, die dys- Ausbildung nachgeholt werden müsse. Die funktionale Debatte zu überwinden. deutsch-portugiesische Kooperation solle hier intensiviert werden. Der Umgang der Mit- Nachhaltige Beschäftigung zwischen Konver- gliedstaaten mit den Herausforderungen der genz und Freizügigkeit Globalisierung sei ebenso wie die wirtschaft- liche und soziale Konvergenz innerhalb der Die Schaffung neuer Arbeitsplätze wurde von Europäischen Union entscheidend für die Zu- allen Panelisten/-innen als gegenwärtig wich- kunft des europäischen Projekts. Auf EU- tigste soziale Frage identifiziert. Wie dieses Ebene sei ein Investitionsprogramm notwen- Ziel zu erreichen ist, wurde im Spannungs- dig, damit insbesondere KMU einfacher Zu- verhältnis von Konvergenz und Freizügigkeit gang zu Krediten bekommen. Zudem müss- diskutiert. Einigkeit bestand darin, dass die ten die Strukturfonds besser genutzt werden. Freizügigkeit durch eine grenzüberschreiten- Die Diskussion des vorangegangenen Panels de Kompatibilität der Sozialversicherungen aufgreifend unterstrich sie, wie schon zuvor ergänzt werden müsse. Gleichzeitig könne Maduro, die portugiesische Auffassung, dass Freizügigkeit zu einem unerwünschten ‚brain zur Absicherung der Stabilität der Wirt- drain‘ führen, wenn das Ziel wirtschaftlicher schafts- und Währungsunion eine ergänzende und sozialer Konvergenz dauerhaft verfehlt Haushaltsfazilität der Eurozone notwendig wird. sei. Neben der Überwachung makroökonomi- scher Ungleichgewichte gelte es auch, soziale Jörg Asmussen brachte seine Anerkennung Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten für die politischen und sozialen Kosten, die abzubauen. Rodrigues unterstrich an dieser Portugal für die Überwindung der Krise auf- Stelle, dass die Freizügigkeit ein positives bringen musste, zum Ausdruck. Trotz der er- Recht sei, jedoch zu keinem ‚brain drain‘ kennbaren Trendwende, bewirkt durch euro- führen dürfe, wie Portugal ihn erlebt habe. paweite und mitgliedstaatliche Maßnahmen sowie das Handeln der Europäischen Zentral- Johannes Sommerhäuser belegte durch Schil- bank (EZB), sei die hohe Arbeitslosigkeit, derungen aus der Praxis, welches Potenzial insbesondere bei Jugendlichen, weiterhin in- Portugal für nachhaltige Beschäftigung bietet. akzeptabel. Dies sowie die weiterhin sehr ho- Der Standort von Bosch in Braga sei in Zu- he Staatsverschuldung in fast allen Staaten sammenarbeit mit der örtlichen Universität belegten, dass die Krise noch nicht vorbei sei. und durch öffentliche Fördermittel innerhalb Makroökonomisch müsse darauf mit einer weniger Jahre von einem Produktionswerk zu Strategie geantwortet werden, die Geld- und einem Entwicklungs- und Innovationsstand- Fiskalpolitik, angebotsseitige Strukturrefor- ort ausgebaut worden, der 200 hochqualifi- men, institutionelle Vertiefungen der Eurozo- zierte Ingenieursarbeitsplätze biete. Als Er- https://doi.org/10.5771/0720-5120-2015-3-248 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 02.04.2021, 04:55:23. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tagungen integration – 3/2015 253 folgsfaktoren machte er eine enge Zusam- tuelle Wachstumsschwäche und die hohe Ar- menarbeit mit lokalen und nationalen Part- beitslosigkeit, löse und dass Europa nicht nern und Behörden, eine klare Projektdefini- mehr als Elitenprojekt gestaltet werde. Die tion mit nachvollziehbaren Leistungskriteri- Praxis vieler Staats- und Regierungschefs, en, belastbare Vereinbarungen sowie einen Probleme und Misserfolge ‚Brüssel‘ zuzu- bei allen Beteiligten starken Durchhaltewil- schreiben, sei hier ein Problem, das unterbun- len, große Motivation sowie Kompetenz und den werden müsse. Expertise aus. Er betonte zudem, wie wichtig hierbei unterstützende Gespräche zwischen Mit Blick auf die notwendigen Ergebnisse den Regierungen der beiden Länder gewesen forderte er zur Bewältigung der Krise in der seien. Eurozone einen Mix aus wachstumsfreundli- cher Konsolidierung, strukturellen Reformen José Silva Peneda machte deutlich, dass eine und mehr Investitionen. Deutschland, aber soziale Dimension ebenso wie Demokratie auch die Kommission, die EZB und der IWF und Freiheit Teil des europäischen Hauses hätten zu Beginn der Krise zu viel Austerität sind. Allerdings seien die sozialen Gegeben- gefordert. Poß kritisierte aber auch das Auf- heiten in den Mitgliedstaaten sehr unter- treten der aktuellen griechischen Regierung schiedlich und die Schwierigkeiten, diese an- als „dilettantisch“ und machte gegenüber den zunähern, hätten bisher über gewisse Harmo- zuvor auf dem Forum vorgestellten portugie- nisierungen hinausgehende Maßnahmen ver- sischen Forderungen deutlich, dass ein Euro- hindert. Er legte dar, dass es Portugal, als zonenhaushalt nicht zur Debatte stehe, bis das Programmland, zusammen mit der Troika ge- griechische Problem gelöst ist. lungen sei, bei den notwendigen Reformen gute Kompromisse zu finden, die die Interes- António Vitorino hob Griechenland und sen der Sozialpartner berücksichtigen. Er ver- Großbritannien als zentrale Herausforderun- wies mit Blick auf die Erfahrungen Portugals gen für die Zukunft der Europäischen Union nach der Nelkenrevolution auch darauf, dass hervor. Ein Europa der verschiedenen Ge- Solidarität über die Europäische Union hi- schwindigkeiten sei grundlegend, um der naus zu denken sei und sprach sich dafür aus, europäischen Vielfalt gerecht zu werden. Die mehr Flüchtlinge aufzunehmen als bisher ver- Eurozone als Kerneuropa solle Triebkraft des einbart wurde. Wirtschaftswachstums sein. Er stimmte mit Poß darin überein, dass die Europäische Uni- Die Zukunft Europas: Legitimität, Effizienz on durch Resultate legitimiert werden müsse. und Vielfalt In der Wirtschaftspolitik seien die unter- schiedlichen Bedürfnisse der einzelnen Staa- In diesem Panel diskutierten die Teilneh- ten anzuerkennen. Das Problem des ‚moral mer/-innen neben institutionellen Aspekten hazard‘ lasse sich nicht allein durch juristi- flexibler Integration vor allem die Leistungs- sche Vorschriften lösen. Vielmehr müsse ein fähigkeit der europäischen Integration, zu Klima des Vertrauens hergestellt werden, um Problemlösungen beizutragen und damit auch die Differenzen zwischen Nord- und Süd- die Legitimität und Akzeptanz des europä- europa zu überwinden. Die Geschichte der ischen Projekts zu stärken. europäischen Integration hätte letztendlich al- len Staaten Vorteile verschafft. Joachim Poß argumentierte, dass sich die EU-Institutionen bei der Krisenbewältigung Paulo Mota Pinto diagnostizierte einen Still- bewähren müssten, bevor über institutionelle stand des Zusammenwachsens Europas in Reformen diskutiert werden könne. Die Ak- den letzten Jahren. Sowohl Griechenland als zeptanz des Integrationsprojekts hänge davon auch Großbritannien wollten Vorteile ihrer ab, dass die EU-Politik Probleme, wie die ak- Mitgliedschaft genießen, ohne das dafür Not- https://doi.org/10.5771/0720-5120-2015-3-248 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 02.04.2021, 04:55:23. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
254 integration – 3/2015 Tagungen wendige zu leisten. Zwar könnten viele Pro- Wettbewerbsfähigkeit durch Innovation und bleme auf EU-Ebene gelöst werden, doch ein Forschung in Europa wichtiger Teil sei weiterhin von nationalen Politikern/-innen zu leisten. Erscheinen deren Zu Beginn des Panels stellte Manuel Heitor Entscheidungen jedoch als alternativlos, sei die zunehmenden Unterschiede bei den Aus- Politik nicht mehr handlungsfähig. Auch Mo- gaben der Mitgliedstaaten für Wissenschaft ta Pinto machte sich für ein Eurozonenbudget und Forschung heraus, die in den letzten Jah- stark und verwies auf die USA, die beispiels- ren aufgetreten seien. Im Gegensatz zu Mit- weise in Form der Arbeitslosenhilfe automa- teleuropa gingen die Ausgaben in den peri- tische Stabilisatoren auf föderaler Ebene ken- pheren Ländern der Europäischen Union und nen. vor allem in Portugal zurück. Ausgehend von diesen Zahlen gaben die Panellisten/-innen Gisela Müller-Brandeck-Bocquet beschrieb Einblicke in Wissenschaft und Forschung in zwei gegenwärtige Probleme, die sich aus der Deutschland und Portugal. Im Zentrum der Tatsache ergäben, dass die Eurozone de facto Diskussionen stand die Frage, wie Innovatio- ein Kerneuropa darstelle. Zum einen bestehe nen gefördert und in größerem Umfang wirt- die Gefahr, dass die 19 Staaten der Eurozone schaftlich nutzbar gemacht werden können. und die übrigen neun Mitgliedstaaten ausein- anderdriften. Zum anderen stelle sich die Fra- Luís Portela legte dar, dass der Pharma- ge, wie ‚pre-ins‘ Teil des Kerneuropas wer- konzern BIAL in Portugal der zweitgrößte den können. Entscheidend sei, eine Antwort private Investor in Wissenschaft und Techno- auf die Frage zu finden, ob die Eurozone oder logie sei. Zugleich kritisierte er, dass die In- die ‚EU-28‘ vertieft werden sollen. Müller- vestitionen in Forschung und Entwicklung Brandeck-Bocquet plädierte dafür, dass das immer noch zu niedrig seien, was zur Folge Spannungsverhältnis zwischen Einheit und habe, dass sich in Portugal der Kreis der In- Vielfalt nur zugunsten der Einheit aufgelöst novation nicht schließe und sich Erfolge nicht werden könne. Innerhalb der Eurozone müsse auf die Wirtschaft übertragen könnten. die Integration vertieft werden, wo dies mög- lich ist. Hier seien die Mitgliedstaaten gefor- Innovation müsse in einem globalen Kontext dert. Allerdings sah sie deren Rolle kritisch, gesehen werden, wenn Wettbewerbsfähigkeit was die Zunahme des Intergouvernementalis- geschaffen werden soll, so João Seabra. Um mus und einen Bedeutungsverlust der supra- eine Verbesserung der Forschung in Portugal nationalen Institutionen betrifft. Dies sei auf zu erreichen, forderte er einen stärkeren Wett- das Verhalten der Regierungen in der Krise bewerb in der akademischen Forschung so- zurückzuführen und keine Folge der Refor- wie mehr Partnerschaften zwischen Universi- men des Vertrags von Lissabon. täten und Forschungseinrichtungen. Luís de Almeida Sampaio machte deutlich, Gonçalo Quadros führte aus, dass sowohl die dass Portugal bereit sei, Verantwortung bei geografische Lage des Landes als auch die der Vertiefung der Eurozone zu übernehmen. Größe der portugiesischen Wirtschaft nur Er verwies aber darauf, dass die notwendige Spezialisierung und die Erschließung von Ni- makroökonomische Koordinierung auf EU- schenmärkten als sinnvolle Strategien er- Ebene Probleme der demokratischen Legiti- scheinen lassen, um Portugal wettbewerbsfä- mation mit sich bringt, da nationale Souverä- higer zu machen. Kreativität und Wissen nität abgegeben werden müsse. Abschließend müssten dazu genutzt werden, wobei den warb er dafür, dass nationale Regierungen Universitäten hier eine Schlüsselrolle zukom- sich das „europäische Projekt wieder mehr me. aneignen“ sollten und kritisierte ebenfalls die Praktiken des ‚blame shifting‘ und ‚credit Als ein Modell, wie sich Innovation fördern claiming‘. lässt, stellte Ruth Bendels „Die Junge Akade- https://doi.org/10.5771/0720-5120-2015-3-248 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 02.04.2021, 04:55:23. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tagungen integration – 3/2015 255 mie“ (Berlin) vor. Im Jahr 2000 als weltweit diktieren konnten. Diese Erfahrung wolle erste Akademie für herausragende junge Wis- Portugal nie wieder machen und nicht mehr senschaftler/-innen gegründet, habe sie sich auf Hilfe von außen angewiesen sein. als Ziele gesetzt, Impulse für die wissen- schaftspolitische Diskussion zu geben, den Inzwischen sei es aber gelungen, verlorenes Dialog zwischen Disziplinen sowie zwischen Vertrauen zurückzugewinnen und die portu- Wissenschaft und Gesellschaft anzuregen. Es giesische Wirtschaft genieße wieder hohes gehe darum, durch eine Kultur der Offenheit Ansehen. Auch die Exporte der Wirtschaft innovative Denkhaltungen zu fördern, die die würden zunehmen. Dafür sei unter anderem jungen Wissenschaftler/-innen zusammen mit der Arbeitsmarkt mit Zustimmung der Sozial- ihrem Wissen in die Welt hinaustragen. partner flexibilisiert worden. Um diesen Weg, der in die richtige Richtung führe, weiterzu- Dirk Elias lobte Portugals Förderprogramme gehen, seien aber noch weitere Maßnahmen für KMU im Bereich Forschung und Innova- notwendig, da die Arbeitslosigkeit noch im- tion, die beispielsweise steuerliche Vorteile mer viel zu hoch sei. Ziel der Regierung sei gewährten. Er forderte jedoch mehr Kohärenz es, ein Wachstum von mehr als 2 Prozent des zwischen den einzelnen Programmen. Eine Bruttoinlandsprodukts pro Jahr zu erreichen bessere Abstimmung ermögliche, mit densel- und mehr Auslandsinvestitionen für Portugal ben finanziellen Ressourcen mehr Ergebnisse zu gewinnen. Dazu sollten die – mit 17 Pro- zu erzielen. Insbesondere der Zugang zu den zent bereits niedrige – Körperschafts- und Programmen könne durch gezieltere Informa- weitere Steuern gesenkt werden, was aber nur tionen verbessert werden. auf Basis eines soliden Wachstums möglich sei. Auch der Tourismussektor könne einen Aus ihrer persönlichen Erfahrung als Wissen- wesentlichen Beitrag dazu leisten. schaftlerin, die bereits in mehreren europä- ischen Ländern geforscht hat, identifizierte Für das Land wünschte sich Portas frei nach Raquel Oliveira fehlende Privatinvestitionen Rosemonde Gérard, dass das Wirtschafts- in Forschung, eine ‚Lücke‘ zwischen Hoch- wachstum in Portugal heute höher als gestern schulen und Industrie sowie den Druck, Inno- aber niedriger als morgen ist. vation in wirtschaftliche Erfolge umzusetzen, als Probleme der Forschung in Portugal. Der „Westen“ als normativer Prozess Nachhaltiges Wachstum durch weitere Refor- Im Rahmen des Deutsch-Portugiesischen men Historikertreffens, das anlässlich des Forums stattfand, diskutierten Heinrich August Wink- Mit Blick auf das Format des Deutsch-Portu- ler und Fernando Rosas kontroverse Defini- giesischen Forums betonte Paulo Portas die tionen des Begriffs „Westen“. Angesichts ak- Wichtigkeit, auch unter Freunden und Alliier- tueller Herausforderungen betonten sie den ten die Beziehungen zu pflegen. Nachdem er normativen Wert der Europäischen Union, das erste Forum vor zwei Jahren als Außen- forderten jedoch auch eine kritische Ausein- minister eröffnet hatte, freute er sich, als andersetzung mit gesellschaftlichen und poli- Stellvertretender Premierminister das tischen Problemen der Gegenwart. Schlusswort der dritten Jahrestagung zu spre- chen. Damals habe sich Portugal mitten in Winkler erklärte, dass Deutschland und Por- der Krise befunden und niemand habe ge- tugal Schwierigkeiten hatten, den im 18. Jahr- glaubt, dass diese so schnell überwunden hundert entstandenen „modernen Westen“ zu werden könne, wie es geschehen sei. Wäh- akzeptieren, der sich durch einen „dualisti- rend der Krise sei das Land in der Hand sei- schen Geist“ auszeichne. Dieser führte durch ner Gläubiger gewesen, die ihre Bedingungen frühneuzeitliche Emanzipationsprozesse zu https://doi.org/10.5771/0720-5120-2015-3-248 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 02.04.2021, 04:55:23. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
256 integration – 3/2015 Tagungen einer Teilung von geistlicher und weltlicher des Sozialstaates und des regulierenden In- Gewalt und sei um Wertvorstellungen der vestitionismus gedeutet werden, aber auch als Aufklärung wesentlich erweitert worden. Westen des Kolonialismus, des Imperialismus und als „Komplize der Diktaturen“. Rosas be- Die Entwicklung in Deutschland stellt für gründete diese negative Definition weiter Winkler eine Besonderheit dar. Es seien zwar durch die jüngere Geschichte. Die Europäi- einige Werte der Aufklärung durch einen auf- sche Union vernachlässige die soziale Peri- geklärten Absolutismus früh umgesetzt wor- pherie und kapituliere seit den 1980er Jahren den, aber im Gegensatz zu anderen europä- vor neoliberalen Strömungen. Die Unterwer- ischen Ländern sei keine bürgerliche Revolu- fung des normativen Projekts unter das Fi- tion erfolgt. Dieses Paradox habe den Glau- nanzkapital bezeichnete er als zivilisatori- ben an den Wandel von oben gestärkt. Auch schen Rückschritt. Die Wahrnehmung der die erste wirkliche parlamentarische Vertre- Austeritätspolitik als vermeintlichen Fatalis- tung in der Weimarer Republik änderte dies mus des Westens sieht er als historischen nicht, sondern habe als „Produkt der Nieder- Fehler, der vor allem die Länder der europä- lage“ gegolten. Winkler sieht in dem folgen- ischen Peripherie schwer belaste. Besonders den pseudodemokratischen totalitären Führer- im Falle Portugals habe die wirtschaftliche staat eine Auflehnung gegen die normativen und soziale Lage seit Einführung des Euro „Ideen des Westens“. Erst die totale Niederla- 2002 stark gelitten und zu Verschuldung so- ge Deutschlands habe zu einer „vorbehaltlo- wie struktureller Arbeitslosigkeit geführt. Die sen Öffnung [...] gegenüber der politischen Europäische Union bedürfe einer Strukturre- Kultur des Westens“2 geführt. form, die einen sozialen Fokus setze und die Länder der europäischen Peripherie stärker Die am 21. November 1990 unterzeichnete unterstütze. Charta von Paris3 sei das vorläufige Ende des Kalten Krieges. Zwar entspräche die politi- Deutschland und Portugal: eine produktive sche Wirklichkeit nicht immer dem normati- Partnerschaft vor neuen Herausforderungen ven Projekt, es sei aber der feste Sockel einer Streitkultur, die bis heute einen normativen Auf das Forum zurückblickend wurde deut- Prozess anregt. In Bezug auf Putins Politik lich, dass auch nach dem Ende der Krise wirt- der Konfrontation, die sich gegen einen „de- schaftspolitische Fragestellungen im Zentrum kadenten Westen“ richte, und auf die Bedro- der Diskussionen standen, in deren Verlauf hung durch den internationalen Terror müsse die großen Anstrengungen Portugals zur sich der Westen seiner innersten Werte be- Überwindung der Krise veranschaulicht wur- wusst sein. Durch die völkerrechtswidrige den. Mehrere Redner/-innen machten dabei Annexion der Krim habe Putin Russlands den Beitrag deutlich, den die deutsch-portu- Unterschrift unter der Charta von Paris annul- giesische Zusammenarbeit zu dieser positiven liert. In diesem Zeitalter der Unsicherheiten Entwicklung leisten konnte. Das Deutsch- sei es besonders wichtig, dass Europa mit Portugiesische Forum hat damit nicht nur einer Stimme spreche. eine symbolische Bedeutung der Würdigung der Partnerschaft beider Länder, sondern er- Rosas stellte den Ausführungen Winklers ein möglichte es, konkrete Ansatzpunkte für eine differenziertes Bild des „Westens“ gegenüber. Intensivierung der Zusammenarbeit in neuen Dieser könne als Westen der Nachkriegszeit, Bereichen zu identifizieren. In diesem Sinne 2 Jürgen Habermas: Eine Art Schadensabwicklung. Die apologetischen Tendenzen in der deutschen Zeitge- schichtsschreibung, in: „Historikerstreit“. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der na- tionalsozialistischen Judenvernichtung, München 1987, S. 62-76, hier S. 75. 3 In der Charta verpflichteten sich 34 Nationen, darunter Russland, der Demokratie. Vgl. Charta von Paris für ein neues Europa, Paris 1990. https://doi.org/10.5771/0720-5120-2015-3-248 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 02.04.2021, 04:55:23. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Tagungen integration – 3/2015 257 verleiteten die Früchte der Reformen, die Die gegenwärtige Debatte über die Freizügig- Portugal derzeit zugutekommen, die Teilneh- keit verdeutlicht dies. Während Länder wie mer/-innen nicht dazu, die drängenden He- Portugal einen ‚brain drain‘ erleiden, wird in rausforderungen zu unterschätzen, sondern Mitgliedstaaten wie dem Vereinigten König- sie legten hierauf das größte Augenmerk; ge- reich die Binnenmigration zunehmend skep- nannt seien als wichtigste die hohe Arbeitslo- tisch gesehen. sigkeit und eine chronische Investitions- schwäche. Problemlösungsfähigkeit und Effizienz sind folglich die Kriterien, an denen die Legitimi- Der Vorschlag, zu deren Lösung einen Euro- tät des gesamten Integrationsprojekts bemes- zonenhaushalt zu schaffen, wurde sehr kon- sen wird. Inwieweit sich diese Ziele in einer trovers diskutiert. Einigkeit bestand hingegen Union der 28 Mitgliedstaaten durch Formen darin, dass die Investitionsoffensive mit der flexibler Integration realisieren lassen, konnte Strategie, private Akteure zu Investitionen zu auf dem Forum nur andiskutiert werden. Die motivieren, zeitgemäßer ist als Subventionen. Option der Desintegration wurde jedoch uni- Auch wurde das Potenzial von Wissenschaft, sono verworfen. Trotz Kritik, die am Verhal- Forschung und Entwicklung zur Stärkung der ten der griechischen Regierung vorgebracht Wettbewerbsfähigkeit diskutiert und deren wurde, bestand Konsens, dass der Verbleib Beitrag zu nachhaltigem Wachstum als hoch Griechenlands in der Eurozone im Interesse eingeschätzt. Trotz vieler positiver Beispiele aller Mitgliedstaaten ist. der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft trat der Bedarf an weiteren Refor- Die Diskussion der außenpolitischen Heraus- men innerhalb der Wissenschaft und zur För- forderungen fand in einem Bogen zwischen derung der Kooperation beider Bereiche deut- östlicher und südlicher Nachbarschaft statt. lich zutage. Für den Umgang mit Russland ist dabei die Wie essenziell nachhaltiges Wachstum lang- richtige Balance von ‚hard‘ und ‚soft power‘ fristig für die Legitimität der Europäischen die Gretchenfrage zur Lösung der Krise in Union ist, wurde sowohl auf den wirtschafts- der Ukraine. Der Blick in den Süden zeigte politischen als auch dem Panel zur Zukunft hingegen, dass sich die Europäische Union der europäischen Integration thematisiert. zuvörderst einig werden muss, zu wie viel Wenn es nicht gelingt, das Konvergenzver- Solidarität mit den Flüchtlingen sie bereit ist sprechen einzulösen, wird die Union weiter und wie die daraus entstehenden Lasten ge- an Akzeptanz der Bürger/-innen verlieren. teilt werden sollen. https://doi.org/10.5771/0720-5120-2015-3-248 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 02.04.2021, 04:55:23. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
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