Tätigkeitsbericht 2017 Internationale Rechtshilfe - Bundesamt für Justiz
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Mai 2018 | www.bj.admin.ch Tätigkeitsbericht 2017 Internationale Rechtshilfe Direk tionsbereich Internationale Recht shilfe
Impressum Herausgeber: Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement EJPD Bern 2018 Redaktion: Bundesamt für Justiz BJ Übersetzungen: Sprachdienste EJPD Umschlag: 2017 hat die Schweiz das Protokoll zur Änderung des Zusatzprotokolls zum Europarats-Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Per- sonen unterzeichnet. Über das Grundinstrument in diesem Bereich, das Überstellungsübereinkommen, ist sie mit vielen Staaten der Welt vertrag- lich verbunden (Vertragsparteien: blau). Mit einzelnen Staaten hat die Schweiz ein bilaterales Überstellungsinstrument abgeschlossen (orange). Mai 2018
Internationale Rechtshilfe Inhaltsverzeichnis Editorial 5 1 Der Direktionsbereich Internationale Rechtshilfe und seine Fachbereiche 6 1.1 Der Direktionsbereich 6 1.2 Die Fachbereiche und ihre Aufgaben 7 1.3 Verstärkung für die Schweizer Verbindungsstaatsanwältin bei Eurojust 8 2 Operative Tätigkeit im Jahr 2017 9 2.1 Menschenrechte: Richtschnur in der Strafrechtshilfe 9 2.2 Die Rückführung unrechtmässig erworbener Vermögenswerte (Asset Recovery): ein Ziel, zwei Akteure 12 2.3 Zusammenarbeit mit internationalen Gerichten 17 2.4 Follow-up: ... wie ging es eigentlich weiter mit ...? 19 2.5 Das Schweizer Verbindungsstaatsanwaltsbüro im EU-Raum als «Win-win-Situation» 21 3 Neue Instrumente für die Zusammenarbeit 22 4 BJ IRH als Dienstleister 25 4.1 Rechtshilfetagung 2017 25 4.2 Keep calm and fight crime! Bericht vom ersten schweizerisch-britischen Strafverfolgertreffen 26 4.3 Elektronische Hilfsmittel auf der IRH-Website im Überblick 26 5 Ausgewählte Entscheide der schweizerischen Gerichte auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen 27 5.1 Auslieferung und Überstellung 27 5.2 Akzessorische Rechtshilfe 27 6 Wichtige statistische Angaben über die internationale Rechtshilfe 2013–2017 28 3
Internationale Rechtshilfe Editorial Wie würden Sie entscheiden: Es ist Aufgabe des Bundesamtes für Justiz, der Rechtshilfevoll- Genehmigen Sie die Auslie- zugsbehörden wie auch des Bundesstrafgerichts und des Bun- ferung einer Person an einen desgerichts, diese schwierigen Fragen zu beantworten. Oftmals Staat, wenn die auszulie- liegt die Antwort in einem Ausgleich der auf dem Spiel stehen- fernde Person im Verfahren den Interessen: Das Bundesamt für Justiz kann beim ersuchenden geltend macht, sie würde Staat eine sogenannte Garantie einholen, wonach dieser Staat dort kein faires Verfahren sich verpflichtet, im konkreten Einzelfall die genannten Mindest- erhalten, menschenverach- standards tatsächlich einzuhalten. Das Prinzip der Rechtshilfe- tende Haftbedingungen er- freundlichkeit des schweizerischen Rechtshilferechts verlangt leiden oder gar gefoltert? zumindest die Prüfung dieses Lösungswegs, bevor die Rechtshil- Möglicherweise würden Sie feleistung vollständig abgelehnt wird. diese Frage ähnlich wie das Bundesgesetz über internati- Unser diesjähriger Tätigkeitsbericht gibt Ihnen unter anderem onale Rechtshilfe in Strafsa- Einblick in ausgewählte Fälle, die unter dem Aspekt der men- chen beantworten: Sofern genügende Hinweise vorhanden sind, schenrechtlichen und rechtsstaatlichen Minimalstandards nicht dass die Befürchtungen der betroffenen Person vermutlich alltägliche Fragestellungen aufgeworfen haben. Ich wünsche zutreffen und sie tatsächlich einer menschenrechtswidrigen Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre! Behandlung oder gravierenden Verfahrensfehlern ausgesetzt sein könnte, darf keine Auslieferung erfolgen. Das schweizerische Rechtshilfeverfahren soll im Grundsatz nur solche ausländische Strafverfahren unterstützen, die von den Mindeststandards der Europäischen Menschenrechtskonvention oder des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte geprägt sind. Diesen Grundsatz im Einzelfall anzuwen- den, ist allerdings nicht immer einfach. Zumal eben nicht nur über «einen Fall», sondern über das konkrete weitere Schicksal einer Person entschieden werden muss – und das auch dann, wenn die Faktenlage unklar ist. Dieses Problem stellt sich nicht nur im Auslieferungsverfahren, sondern in gewissen Konstellationen Susanne Kuster, auch in Verfahren der Beweisrechtshilfe. Vizedirektorin BJ, Chefin Direktionsbereich IRH (bis April 2018) 5
Tätigkeitsbericht 2017 1 Der Direktionsbereich Internationale Rechtshilfe und seine Fachbereiche 1.1 Der Direktionsbereich Der Direktionsbereich Internationale Rechtshilfe des Bundesam- tes für Justiz (BJ IRH) gliedert sich in vier Fachbereiche und das Schweizer Verbindungsstaatsanwaltsbüro bei Eurojust. Er be- schäftigt bei 3750 Stellenprozenten 46 ständige Mitarbeitende, davon 33 Frauen und 13 Männer sämtlicher Landesteile der Schweiz. Organigramm (Stand April 2018) Direktionsbereich Internationale Rechtshilfe Susanne Kuster Stv. Raphaël Mauro Schweizer Verbindungs- staatsanwaltsbüro Eurojust Maria Schnebli Stv. Tanja Bucher Auslieferung Rechtshilfe I Rechtshilfe II Internationale Verträge Erwin Jenni Pascal Gossin Raphaël Mauro Laurence Fontana Jungo Stv. Michel Vogelsang Stv. Julia Volken Stv. Matjaz Vlahovic Stv. Christian Sager Hauptsächliche Aufgaben im Überblick – Sicherstellen einer rasch funktionierenden internationalen – Wahrnehmen einer Aufsichtsfunktion betreffend den Vollzug Rechtshilfe in Strafsachen als schweizerische Zentralbehörde von Rechtshilfeersuchen im Bereich der Strafrechtshilfe – Weiterentwickeln der Rechtsgrundlagen im Bereich der Straf- – Stellen und Entgegennehmen in- bzw. ausländischer Ersuchen rechtshilfe um Zusammenarbeit, soweit kein Direktverkehr zwischen den – Wahrnehmen verschiedener operativer Aufgaben auch im Be- betroffenen Behörden möglich ist reich der Rechtshilfe in Zivil- sowie in Verwaltungssachen – Fällen bestimmter Entscheide im Rahmen von Auslieferungen, Rechtshilfeersuchen, stellvertretender Strafverfolgung und Strafvollstreckung sowie Überstellungen 6
Internationale Rechtshilfe 1.2 Die Fachbereiche und ihre Aufgaben Rechtshilfe II : Beweiserhebung und Zustellungen – Weiterleitung schweizerischer Rechtshilfeersuchen an das Aus- Auslieferung land und nach Vorprüfung Delegation ausländischer Rechtshil- – Auslieferung: Anordnung der Festnahme vom Ausland gesuch- feersuchen im Zusammenhang mit der Beweiserhebung und ter Personen im Hinblick auf ihre Auslieferung. Erstinstanzlicher Zustellung an die zuständigen kantonalen oder eidgenössi- Auslieferungsentscheid. Beschwerderecht gegen allfälligen schen Vollzugsbehörden, sofern kein Direktverkehr zwischen Entscheid des Bundesstrafgerichts. Veranlassung des Vollzugs den betroffenen Behörden möglich ist. Aufsicht über den Voll- der Auslieferung. Auf Antrag schweizerischer Staatsanwalt- zug der Ersuchen inkl. Beschwerderecht gegen Entscheid der schaften oder Strafvollzugsbehörden Stellen von Fahndungser- Rechtshilfebehörden und des Bundesstrafgerichts. suchen und formellen Auslieferungsersuchen an das Ausland. – In dringenden Fällen Anordnung vorsorglicher Massnahmen, – Grenzüberschreitende stellvertretende Strafverfolgung: Be- z.B. Kontensperren. handlung in- und ausländischer Strafübernahmebegehren in – Zentralstellen USA und Italien: selbstständige Führung von Fällen, in denen eine Auslieferung nicht in Frage kommt oder Rechtshilfeverfahren inkl. Beschlagnahme und Herausgabe nicht angezeigt ist. Prüfung der Voraussetzungen und Ent- von Vermögenswerten (im Fall der USA generell, im Fall von scheid über die Stellung von Ersuchen ans Ausland. Entgegen- Italien in komplexen oder besonders wichtigen Straffällen, wel- nahme, Prüfung und Weiterleitung ausländischer Ersuchen an che die organisierte Kriminalität, Korruption oder andere die zuständige schweizerische Strafverfolgungsbehörde sowie schwere Straftaten betreffen). Verhandlungen mit diesen Staa- allenfalls Entscheid über die Annahme des ausländischen Ersu- ten über die Teilung eingezogener Vermögenswerte (Sharing). chens nach Rücksprache mit der schweizerischen Strafverfol- – Entscheid über die Weiterverwendung von Beweismitteln gungsbehörde. (Spezialität). – Grenzüberschreitende stellvertretende Strafvollstreckung: Ent- – Zustimmung zur Weiterleitung von amtshilfeweise übermittel- gegennahme und Stellung von Ersuchen. ten Erkenntnissen an eine ausländische Strafverfolgungsbe- – Überstellung von verurteilten Personen an ihren Heimatstaat hörde. zur Verbüssung der Reststrafe: Entscheid in Zusammenarbeit – Weiterleitung von Anzeigen zum Zweck der Strafverfolgung. mit den zuständigen kantonalen Behörden. – Bearbeitung von Rechtshilfeersuchen, die Kulturgüter zum – Weitere Aufgaben: Überstellung von Personen, die von einem Gegenstand haben. internationalen Strafgerichtshof gesucht werden, oder von – Bearbeitung und Übermittlung von Zustellungsersuchen in Zeugen in Haft. Strafsachen. – Behandlung von Rechtshilfeersuchen um Beweiserhebung und Rechtshilfe I : Beschlagnahme und Herausgabe Zustellungen in Zivil- und Verwaltungssachen. von Vermögenswerten – Rechtshilfeverfahren im Fall politisch exponierter Personen Internationale Verträge (PEP): z.T. selbstständiges Führen der entsprechenden inländi- – Aushandlung bilateraler Verträge und anderer Instrumente der schen Verfahren. Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafrechtshilfe (Ausliefe- – Weiterleitung schweizerischer Rechtshilfeersuchen an das Aus- rung, akzessorische Rechtshilfe, Überstellung) sowie Teilnahme land und nach Vorprüfung Delegation ausländischer Rechtshil- an Verhandlungen über multilaterale Übereinkommen in diesem feersuchen im Zusammenhang mit der Beschlagnahme und Bereich. Betreuung dieser Geschäfte im politischen Prozess. Herausgabe von Vermögenswerten (Asset Recovery) an die – Ausarbeitung und Betreuung von Gesetzgebungsprojekten im zuständigen kantonalen oder eidgenössischen Vollzugsbehör- Bereich der Strafrechtshilfe. den, sofern kein Direktverkehr zwischen den betroffenen Be- – Mitwirkung im Rahmen von anderen Rechtsetzungsinstrumen- hörden möglich ist. Aufsicht über den Vollzug der Ersuchen ten und Gesetzgebungsprojekten mit einem Bezug zur Rechts- inkl. Beschwerderecht gegen Entscheid der Rechtshilfebehör- hilfe. den und des Bundesstrafgerichts. – Unterstützung der Direktionsbereichsleitung bei der Erarbei- – In dringenden Fällen Anordnung vorsorglicher Massnahmen, tung von Strategien im Bereich der Politik und Rechtsetzung in z.B. Kontensperren. sämtlichen Aufgabenbereichen von BJ IRH. – Entscheid über die Weiterverwendung von Beweismitteln – Vertretung des Direktionsbereichs in den auf dem Gebiet der (Spezialität). Strafrechtshilfe tätigen Steuerungsgremien namentlich des Eu- – Mitarbeit im Bereich der Beschlagnahme und Herausgabe von roparats und der UNO. Vermögenswerten in internationalen und nationalen Gremien und Arbeitsgruppen. Schweizer Verbindungsstaatsanwaltsbüro bei Eurojust – Verhandlungen mit anderen Staaten oder kantonalen und eid- – Informationsbeschaffung, Koordination und Herstellung von genössischen Behörden über die Teilung eingezogener Vermö- direkten Kontakten im Fall von Anfragen schweizerischer Straf- genswerte (Sharing) auf internationaler und nationaler Ebene. verfolgungsbehörden oder von Eurojust bei internationalen – Rechtshilfe an den Internationalen Strafgerichtshof sowie an Strafermittlungen. andere internationale Straftribunale. – Organisation und Mitarbeit anlässlich operativer Treffen («co- – Bearbeitung von Fällen unaufgeforderter Übermittlung von ordination meetings») und an strategischen Sitzungen bei Eu- Beweismitteln und Informationen an eine ausländische Straf- rojust. verfolgungsbehörde. 7
Tätigkeitsbericht 2017 – Information an und Beratung von Strafverfolgungs- und 1.3 Verstärkung für die Schweizer Verbindungsstaats- Rechtshilfevollzugsbehörden der Kantone und des Bundes im anwältin bei Eurojust Zusammenhang mit den Dienstleistungen und Unterstüt- Die Schweiz ist gemessen an der Anzahl Fälle, in die sie involviert zungsmöglichkeiten durch Eurojust bzw. das Schweizer Verbin- ist, regelmässig der wichtigste Drittstaat für Eurojust. Entspre- dungsstaatsanwaltsbüro. chend gross ist die Geschäftslast der Verbindungsstaatsanwältin – Berichterstattung an die Begleitgruppe Eurojust (Leitung BJ (VStA). Seit Beginn ihrer Stationierung im April 2015 ist die Zahl IRH, Vertreter der Schweizerischen Staatsanwältekonferenz der von ihr eröffneten Fälle konstant hoch (2015: 47; 2016: 90; bzw. der kantonalen Staatsanwaltschaften und der Bundesan- 2017: 70). Um die vielfältigen anfallenden Aufgaben auch wei- waltschaft). terhin erfüllen zu können, wurde die Schweizer Präsenz bei Eu- rojust erhöht. Tanja Bucher, vormals Staatsanwältin bei der unter anderem für die Rechtshilfe in Strafsachen zuständigen Staats- anwaltschaft I des Kantons Zürich, verstärkt seit Dezember 2017 als stellvertretende Verbindungsstaatsanwältin das Schweizer Verbindungsstaatsanwaltsbüro bei Eurojust. 8
Internationale Rechtshilfe 2 Operative Tätigkeit im Jahr 2017 Dieses Kapitel bietet keinen vollständigen Überblick über die ope- bestehen, dass das Verfahren im Ausland den darin festgelegten rative Tätigkeit des Direktionsbereichs BJ IRH im Jahr 2017. Viel- Grundsätzen nicht entspricht. Eine herausragende Bedeutung mehr sollen ausgewählte Themen und Fälle die Vielfalt des Tätig- haben dabei – neben weiteren Grundsätzen – das Verbot der keitsfelds und der Aufgaben von BJ IRH veranschaulichen. Die Folter und das Gebot eines fairen Verfahrens. Die in diesen bei- Auswahl umfasst neben medienträchtigen Fällen auch Themen- den Menschenrechtskonventionen enthaltenen Grundsätze sind bereiche, die hinter den Kulissen wichtig waren oder die eine nicht nur bei der Anwendung des IRSG zu beachten, sondern besondere rechtliche Bedeutung haben. gehen auch den zahlreichen Staatsverträgen betreffend die Aus- lieferung oder die übrige Rechtshilfe, welche die Schweiz mit anderen Staaten abgeschlossen hat, vor. Dies gilt auch dann, 2.1 Menschenrechte: Richtschnur in der Strafrechtshilfe wenn die genannten Vorbehalte in den Staatsverträgen nicht Die Schweiz hat im Bereich der Menschenrechte unter anderem vereinbart wurden. die Europäische Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK; SR 0.101) und Die Prüfung der Frage, ob im Einzelfall eine Gefahr der Verletzung den Internationalen Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerli- von Grundrechten gegeben ist, gehört zu den Aufgaben sämtli- che und politische Rechte (Uno-Pakt II; SR 0.103.2) ratifiziert. cher mit der Leistung von Rechtshilfe befassten Behörden. Ein Diese beiden Instrumente werden denn auch ausdrücklich in Ar- besonderes Augenmerk verdient sicherlich das Auslieferungsver- tikel 2 des schweizerischen Rechtshilfegesetzes (IRSG; SR 351.1) fahren, weil dabei eine vom Ausland gesuchte Person zum Zweck genannt. Demnach wird einem Ersuchen um Zusammenarbeit in der Strafverfolgung oder der Strafvollstreckung an den ersuchen- Strafsachen nicht entsprochen, wenn Gründe für die Annahme den Staat übergeben werden soll. BJ IRH, welches als erste Instanz Menschenrechte sind zwingend einzuhalten. Bild: Thinkstock, Nito100 9
Tätigkeitsbericht 2017 über ein derartiges Ersuchen zu entscheiden hat, kommt deshalb Die Schweiz hat eine rund 40-jährige Tradition bei der Ausliefe- eine besondere Verantwortung zu. Die Tiefe des Eingriffes in die rung mittels diplomatischer Garantien. In neuerer Zeit ist auch Rechte einer derart betroffenen Person erfordert eine besonders die Leistung von akzessorischer Rechtshilfe von der Abgabe sol- sorgfältige Abklärung und Abwägung. Gegen einen Entscheid von cher Garantien abhängig gemacht worden. Die Erfahrungen sind BJ IRH, mit welchem eine Auslieferung verfügt wird, kann sodann grundsätzlich gut und erlauben eine möglichst weitgehende Beschwerde an das Bundesstrafgericht und – in besonders wich- Rechtshilfeleistung. Zudem führen sie auch zu einer Verbesse- tigen Fällen – letztlich an das Bundesgericht erhoben werden. Die rung des Rechtsschutzes für die Betroffenen. Rechtsprechung dieser beiden Gerichte befasst sich folglich häufig mit den damit zusammenhängenden Fragen. Ein Fall, der aufgrund seiner menschenrechtlichen Dimension be- ziehungsweise der behaupteten Verletzung der Menschenrechte Zur Veranschaulichung der massgeblichen Praxis mag das Beispiel im Berichtsjahr in der Öffentlichkeit präsent war, betrifft ein spa- eines Auslieferungsverfahrens dienen, in welchem die verfolgte nisches Ersuchen um Auslieferung einer Person wegen Beteili- Person geltend macht, sie riskiere bei einer Auslieferung im ersu- gung an einer kriminellen Organisation (an der baskischen Un- chenden Staat unter menschenrechtswidrigen Umständen in tergrundorganisation ETA). Nach ausführlicher Analyse wurde Haft gehalten zu werden (z.B. überfüllte Gefängnisse, kein Kon- die Auslieferung zwar von BJ IRH bewilligt und der entsprechende takt zu Familienangehörigen, ungenügende medizinische Versor- Entscheid vom Bundesstrafgericht geschützt. Zu einem Entscheid gung). des Bundesgerichts in dieser Sache kam es in der Folge jedoch nicht mehr, da Spanien in der Zwischenzeit infolge Verjährung Nach der Rechtsprechung muss die verfolgte Person im Ausliefe- der verhängten Strafe das Auslieferungsersuchen zurückzog. rungsverfahren glaubhaft machen, dass sie objektiv und ernst- haft eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte im ersuchenden Staat zu befürchten hat. Eine abstrakte Behauptung genügt nicht. BJ IRH prüft eine derartige, a priori genügend be- gründete Rüge eingehend, analysiert die geltend gemachten Umstände und kann dazu auch weitere Behörden beiziehen so- wie insbesondere vom ersuchenden Staat Stellungnahmen und Ergänzungen verlangen. Haben die dafür zuständigen Gerichte im ersuchenden Staat die im Auslieferungsverfahren erhobenen Rügen schon überprüft, sind diese Rügen im schweizerischen Auslieferungsverfahren allerdings nur noch zurückhaltend zu prüfen. Ist BJ IRH überzeugt, dass die erhobenen Rügen unzutreffend sind, wird die Auslieferung verfügt. Kommt es hingegen zum Schluss, dass die verfolgte Person im ersuchenden Staat einer menschenrechtswidrigen Behandlung ausgesetzt sein könnte, wird geprüft, ob dieses Risiko mittels diplomatischer Garantien behoben oder auf ein so geringes Mass herabgesetzt werden kann, dass es als nur noch theoretisch erscheint. Kann auch mit- tels derartiger Garantien eine Gefahr der Verletzung von Grund- rechten nicht genügend reduziert werden, lehnt BJ IRH die Aus- lieferung ab. Die Einholung derartiger Garantien kann sich nicht nur aufdrän- gen, wenn diesbezügliche Rügen erhoben werden, sondern auch aufgrund besonderer Umstände oder der allgemeinen Men- schenrechtslage in einem bestimmten Staat. Die Garantien um- fassen insbesondere die in der EMRK und im Uno-Pakt II veran- kerten Verfahrensgrundsätze. Dazu kommt in der Regel auch eine Zusicherung, wonach die schweizerischen Behörden die ausgelieferte Person in der Haft jederzeit unbeaufsichtigt besu- chen dürfen und das ausländische Strafverfahren beobachten können, damit die Einhaltung der Garantien überprüft werden Foltervorwürfe gegen Spanien. kann. Bild: Keystone, Ennio Leanza 10
Internationale Rechtshilfe Umstrittene Foltervorwürfe Die Betroffene rekurriert beim Bundesstrafgericht gegen den Im Jahr 2015 hat Spanien um Auslieferung von Nekane Txa- Entscheid von BJ IRH. Sie legt zudem beim Bundesverwal- partegi wegen Beteiligung an einer terroristischen kriminellen tungsgericht Beschwerde ein gegen den Entscheid des Organisation ersucht. Die Auslieferung wurde in der Folge Staatssekretariats für Migration (SEM) vom 24. März 2017, ihr hauptsächlich mit der Begründung angefochten, das dem nach ihrer Verhaftung zum Zweck der Auslieferung gestelltes Auslieferungsersuchen zugrunde liegende spanische Urteil Asylgesuch abzulehnen (Beschwerde abgewiesen mit Ent- sei unter Folter zustande gekommen (vgl. Tätigkeitsbericht scheid E-2485/2017 vom 27. November 2017). IRH 2016 unter Ziff. 2.1, «Im Kampf gegen die organisierte Kriminalität»). Das Bundesstrafgericht weist den Rekurs der Betroffenen ge- gen den Auslieferungsentscheid von BJ IRH mit Entscheid BJ IRH beschliesst am 22. März 2017 nach einer eingehenden vom 30. Juni 2017 ab und bestätigt dessen Entscheid Prüfung des Dossiers, die betroffene Person an Spanien aus- (RR.2017.97 und RR.2017.69 + RP.2017.32). Auch der Ein- zuliefern. wand der Verteidigung, es handle sich um eine politische Straftat, wird bei dieser Gelegenheit verworfen. Gegen den In den Augen von BJ IRH bestehen – trotz der zahlreichen im Entscheid des Bundesstrafgerichts rekurriert die Betroffene Laufe des Auslieferungsverfahrens vorgelegten Dokumente – beim Bundesgericht. nämlich Zweifel an der Glaubwürdigkeit der von der Vertei- digung vorgebrachten Behauptungen. Am 15. September 2017 zieht das spanische Justizministe- rium sein formelles Auslieferungsersuchen zurück. Grund Einerseits haben die spanischen Behörden formell erklärt, dafür ist die Feststellung der spanischen Justizbehörden, dass dass gegen die betroffene Person keine gesetzeswidrigen die von der Betroffenen in Spanien noch zu verbüssende Frei- Massnahmen ergriffen worden sind, und haben sie alle Akten heitsstrafe inzwischen verjährt sei. Nach diesem Rückzug des Strafverfahrens und des Verfahrens im Zusammenhang hebt BJ IRH die Auslieferungshaft von Nekane Txapartegi mit den Foltervorwürfen vorgelegt. Andererseits liess die Prü- unverzüglich auf. fung des Dossiers Ungereimtheiten in den Aussagen der Be- troffenen erkennen. Unter Umständen können auch internationale Instanzen mit Fäl- treffen. Eine solche Instanz ist der UNO-Ausschuss gegen Folter len befasst werden, die im urteilenden Staat rechtskräftig ent- (CAT). In einem Fall mit der Türkei wurde ein rechtskräftiges schieden wurden und menschenrechtliche Fragestellungen be- Auslieferungsurteil deshalb nicht vollstreckt. Veto des UN-Ausschusses gegen Folter eines Haftbesuchs seinen Platz eingenommen – kam er im Das CAT übermittelt BJ IRH am 16. August 2017 einen Ent- Jahre 1992 in die Schweiz und reichte ein Asylgesuch ein, scheid im Fall eines türkischen Staatsangehörigen kurdischer welches zwei Jahre später abgelehnt wurde. Da jedoch eine Ethnie, der gegen seine Auslieferung an die Türkei Be- Wegweisung zum damaligen Zeitpunkt nach Ansicht der schwerde eingereicht hat. Es ist zum Schluss gekommen, dass Asylbehörden unzulässig war, wurde er vorläufig aufgenom- im vorliegenden Fall die von der Türkei abgegebenen diplo- men. matischen Garantien den Betroffenen nicht vor der Gefahr der Folter schützen könnten und seine Auslieferung Artikel 3 Im Jahr 2012 ersuchte die Türkei die schweizerischen Behör- des UNO-Folterübereinkommens verletzen würde. Unmittel- den um Auslieferung des Betroffenen. Nach einem langwie- bar nach Eingang dieses Entscheids ordnet BJ IRH die Freilas- rigen Auslieferungsverfahren wurde der Auslieferungsent- sung des Betroffenen an. scheid von BJ IRH mit Entscheid des Bundesgerichts vom 28. April 2016 rechtskräftig. Zudem wurde ein weiteres Asylge- Der Betroffene war 1989 in der Türkei rechtskräftig zu einer such abgelehnt. Auf dieser Grundlage bewilligte BJ IRH die lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Er war für Auslieferung an die Türkei. schuldig befunden worden, ein Jahr zuvor einen Mann aus Blutrache erschossen zu haben. Nach seiner Flucht aus dem Mit dem Entscheid des CAT ist der bereits in die Wege gelei- türkischen Gefängnis – sein Zwillingsbruder hatte im Rahmen tete Vollzug der Auslieferung definitiv gestoppt worden. 11
Tätigkeitsbericht 2017 Menschenrechtlichen Aspekten ist aber natürlich nicht nur bei 2.2 Die Rückführung unrechtmässig erworbener der Auslieferung, sondern bei allen Formen der Strafrechtszu- Vermögenswerte (Asset Recovery): ein Ziel, sammenarbeit Rechnung zu tragen. Im Jahr 2017 hat das BJ bei- zwei Akteure spielsweise in einem Fall mit Russland die Leistung akzessorischer Internationale Kapitalbewegungen zeichnen sich heute durch Rechtshilfe aufgrund diverser Unsicherheiten in diesem Bereich ihre Schnelligkeit und Komplexität aus. Vermögenswerte werden abgelehnt. häufig aus Gründen der Diskretion oder zur Verschleierung der Identität der Berechtigten mithilfe zahlreicher dazwischenge- schalteter natürlicher oder juristischer Personen in einen anderen Staat verschoben. Die für die Rückführung dieser Vermögens- Ablehnung bei begründeten Zweifeln werte erforderliche exakte Ermittlung der Kapitalflüsse ist des- Die russischen Behörden ermitteln gegen einen Oligarchen, halb langwierig und schwierig. der verdächtigt wird, zum Schaden der Bank von Moskau mehrere Milliarden Rubel veruntreut zu haben. In diesem An der Rückführung unrechtmässig erworbener Vermögens- Zusammenhang hat die Bundesanwaltschaft (BA) über ein werte sind zwei Akteure beteiligt: das Land, in welches diese an die Schweiz gerichtetes Rechtshilfeersuchen zu befin- Vermögenswerte verschoben wurden, und das Land, in welches den. diese Werte zurückzuführen sind. Die Rückführung erfolgt hauptsächlich auf dem Weg der internationalen Strafrechtshilfe Die BA tritt auf das Ersuchen zunächst ein, da die Voraus- auf Ersuchen des Herkunftslandes (ersuchender Staat) an das setzungen für die Rechtshilfe gegeben zu sein scheinen, Land, in dem sich die fraglichen Vermögenswerte befinden. Die und ordnet die Sperrung mehrerer Bankkonten im Gesamt- Zusammenarbeit der beiden Länder ist unerlässlich, um das ge- betrag von 350 Millionen Franken an. Im Rahmen des wünschte Ziel zu erreichen. Rechtshilfeverfahrens machen die betroffenen Personen geltend, das russische Strafverfahren missachte verschie- Als bedeutender Finanzplatz, der 30 Prozent des weltweiten Ver- dene durch die Artikel 5 und 6 der Europäischen Men- mögens verwaltet, hat die Schweiz häufig Ersuchen um Heraus- schenrechtskonvention eingeräumte Verfahrensrechte. gabe unrechtmässig erworbener Vermögenswerte Folge gege- Diese Einwände werden von der BA, dem BJ und dem Eid- ben und sich so internationale Anerkennung verschafft. Die genössischen Departement für auswärtige Angelegenhei- erzielten Erfolge sollten jedoch nicht vergessen lassen, dass die ten (EDA) im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten ge- Herausgabe von Vermögenswerten in gewissen Fällen mit erheb- prüft. In der Folge beanstanden die Betroffenen unter lichen Schwierigkeiten verbunden ist. Vorlage entsprechender Schriftstücke weitere Verfahrens- fehler. Nach einer erneuten eingehenden Prüfung des Dos- Die meisten Verfahren zur Rückführung von Vermögenswerten siers gelangen die Schweizer Behörden zum Schluss, dass laufen ohne Probleme ab. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass aufgrund der Häufung verschiedener Vorkommnisse im eine erfolgreiche Abwicklung nur mit aktiver Beteiligung des Lan- vorliegenden Fall Zweifel an der Fairness des konkreten rus- des, aus dem die unrechtmässig erworbenen Vermögenswerte sischen Verfahrens bestehen, namentlich was das Recht auf ursprünglich stammen, möglich ist. Dieses muss zur vollen Un- ein unabhängiges und unparteiisches Gericht und das terstützung bereit sein. Recht auf eine wirksame Verteidigung angeht. Die Rechts- hilfe wird deshalb verweigert und die Freigabe der gesperr- Und selbst mit dieser Unterstützung kann eine Rückführung der ten Vermögenswerte angeordnet. Vermögenswerte an den Anforderungen des nationalen Rechts oder des internationalen Vertragsrechts scheitern oder eine Ge- setzesänderung erforderlich machen. Die aktive Beteiligung des Herkunftslandes ist besonders dann notwendig, wenn die Verfahren politisch exponierte Personen (PEP, d. h. [ehemalige] Staatschefs und ihre Entourage) betreffen. In der Regel erfolgt die Rückführung von Vermögenswerten auf der Grundlage eines rechtskräftigen Einziehungsentscheids im Herkunftsland. Dieser Entscheid muss auf der Feststellung über die illegale Herkunft der Vermögenswerte beruhen. Gerade diese beiden Punkte bringen jedoch grosse Herausforderungen mit sich: Das Herkunftsland der Vermögenswerte verfügt – insbeson- dere nach einem Regimewechsel – häufig nicht über die notwen- digen finanziellen und personellen Ressourcen und das erforder- liche Know-how, um den Zusammenhang zwischen den auf seinem Staatsgebiet begangenen Straftaten und den ins Ausland verschobenen Vermögenswerten herzustellen. Oftmals wird im Sinne der nationalen Versöhnung auch entschieden, dass den Verantwortlichen des Vorgängerregimes und mit diesem Regime verbundenen Geschäftsleuten völlige oder zumindest be- schränkte Straffreiheit gewährt werden soll, wenn sie ihre Ver- 12
Internationale Rechtshilfe mögenswerte freiwillig aus dem Ausland zurückführen. In sol- gegenstandslos oder aufgrund der Zustimmung der betroffenen chen Fällen kann ein laufendes Rechtshilfeverfahren entweder Personen vereinfacht abgeschlossen werden. Tunesien: Bemühungen um eine nationale Versöhnung als tung und Prüfung der von den Schweizer Behörden im Rah- Grundlage für die Rückführung von Vermögenswerten men des Vollzugs der tunesischen Rechtshilfeersuchen Unmittelbar nach dem Sturz von Präsident Ben Ali ersucht übermittelten Bankunterlagen zu ermöglichen. Diese enge Tunesien die Schweiz im Januar 2011 um Rechtshilfe. Eine Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Tunesien erleich- enge Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern macht es tert den reibungslosen Ablauf des Rechtshilfeverfahrens und möglich, dass Tunesien am 10. September 2011 ein den An- die Übergabe der Vermögenswerte an den tunesischen Staat. forderungen des Schweizer Rechts entsprechendes Rechtshil- feersuchen stellen kann. BJ IRH überträgt dessen Vollzug in 2016 und 2017 können als Folge von Versöhnungsabkommen der Folge der BA. Im Rechtshilfeersuchen werden rund 50 zwischen mehreren Mitgliedern aus den Kreisen Ben Alis und Personen genannt, die dem mehr oder weniger engen Ver- der tunesischen Behörde «Würde und Wahrheit» mehrere trautenkreis des Ex-Präsidenten angehören. Teile des Rechtshilfeverfahrens abgeschlossen werden. Der Abschluss dieser Abkommen ermöglicht eine Rückführung Ende Januar 2015 werden Tunesien die massgeblichen Be- der gesperrten Vermögenswerte nach Tunesien mit Zustim- weisstücke übermittelt, nachdem das Land die Einhaltung der mung der betroffenen Personen. Diese willigen ein, dass die erforderlichen Verfahrensgarantien zugesichert hat. Ab die- in der Schweiz befindlichen Werte auf vereinfachtem Wege sem Zeitpunkt obliegt es dem tunesischen Staat, die entspre- dem tunesischen Staat übergeben werden. 2017 werden chenden Strafverfahren durchzuführen und die Einziehungs- Tunesien auf diese Weise insgesamt etwas mehr als 3,5 Milli- entscheide zu erlassen, auf deren Grundlage die Schweiz um onen Euro übergeben. die Rückführung der gesperrten Vermögenswerte ersucht werden kann. Derzeit bearbeitet die BA noch mehrere Rechtshilfeersuchen der tunesischen Behörden. Der weitere Verlauf hängt davon Im Interesse einer erfolgreichen Rückführung der in der ab, wie sich die Strafverfahren entwickeln, die in Tunesien Schweiz gesperrten Vermögenswerte stellt die Schweiz Tune- gegen die Mitglieder des Vertrautenkreises von Ex-Präsident sien einen Experten zur Verfügung, um eine effizientere Sich- Ben Ali eröffnet wurden. Proteste und Revolutionen in der Arabischen Welt. Bild: Keystone, MAXPPP/Quentin Top/Wostok Press 13
Tätigkeitsbericht 2017 In einem Fall, in dem es nicht um politisch exponierte Personen rere Jahre, in denen auch im Rahmen der Rechtshilfe aufwändige geht, sondern in dem wichtige Wirtschaftsakteure Italiens invol- Verfahren geführt wurden. Die Rückführung der in der Schweiz viert sind, konnte die Schweiz 2017 aufgrund einer Einigung zwi- gesperrten Gelder erfolgte schlussendlich nicht gestützt auf eine schen diesen Akteuren und dem betroffenen Staat ebenfalls rechtshilfeweise Herausgabe. Vermögenswerte herausgeben. Bis zur Einigung verstrichen meh- Das Stahlwerk Ilva: Ein jahrelanger Rechtsstreit geht zu Ende. Bild: Keystone, LaPresse Der Fall ILVA: Rückführung von Vermögenswerten dank Die Zürcher Staatsanwaltschaft verfügt daraufhin am einer Vereinbarung im Herkunftsland 19. Juni 2015 die Aufhebung der Kontosperren, um der be- Die Staatsanwaltschaft Mailand führt ein Strafverfahren ge- treffenden Bank die von der Kontoinhaberin gewünschte gen die Familie Riva und weitere Personen wegen Verdachts Überweisung der Vermögenswerte zu ermöglichen. Gegen auf schwere und fortdauernde Veruntreuung sowie auf Bi- diese Verfügung wird Beschwerde beim Bundesstrafgericht lanzfälschung mittels Rechnungen für nicht durchgeführte erhoben. Mit Urteil vom 18. November 2015 tritt das Bundes- Transaktionen. Die Untersuchung der italienischen Ermitt- strafgericht mangels Legitimation der Beschwerdeführer nicht lungsbehörden hat namentlich die Unterschlagung erhebli- auf die Beschwerde ein, erklärt aber die Verfügung der Zür- cher Geldsummen der Unternehmensgruppe ILVA zugunsten cher Staatsanwaltschaft als nichtig. Das Gericht ist der An- der Familie Riva ergeben. sicht, dass die von der Staatsanwaltschaft Mailand ersuchte Aufhebung der Kontosperren zwecks Ausführung des Vergü- Mit Rechtshilfeersuchen vom 21. Mai 2013 beantragt die tungsauftrages der Kontoinhaberin durch die Bank unzulässig Staatsanwaltschaft Mailand die Sperrung von vier Konten bei sei. Es kommt auch zum Schluss, dass der Überweisungsbefehl einer Zürcher Bank. Der Vollzug dieses Ersuchens wird an die des italienischen Untersuchungsrichters nicht strafrechtlicher Staatsanwaltschaft Zürich delegiert, welche die Beschlag- Natur sei und es sich nicht um ein Rechtshilfeersuchen in Straf- nahme von Vermögenswerten in der Höhe von 1,2 Milliarden sachen handle. Deshalb sei die Zürcher Staatsanwaltschaft für Euro anordnet. Der zuständige Mailänder Untersuchungsrich- den Vollzug gar nicht zuständig gewesen. Das Bundesstrafge- ter verfügt am 11. Mai 2015 mit Überweisungsbefehl, die in richt stellt sich auf den Standpunkt, dass ein bedingter Rück- der Schweiz beschlagnahmten Vermögenswerte dazu zu ver- zug eines Rechtshilfeersuchens nicht möglich sei; ein Rechts- wenden, von der Unternehmensgruppe ILVA ausgegebene hilfeverfahren könne nur nach den Artikeln 80c (Zustimmung) Obligationen zu zeichnen. Am 3. Juni 2015 zieht die Staats- oder Art. 80d IRSG (Schlussverfügung) abgeschlossen wer- anwaltschaft Mailand ihr Rechtshilfeersuchen zurück, damit den. BJ IRH erhebt gegen diesen Entscheid Beschwerde beim die von der Kontoinhaberin mittels Vergütungsauftrag an die Bundesgericht. Bank verlangte Überweisung der Vermögenswerte erfolgen kann. Der Zweck der Überweisung sei, die Zeichnung der Ob- Angesichts der strategischen Bedeutung, welche die italieni- ligationen zu ermöglichen und die Beschlagnahme der fragli- sche Regierung dem ILVA-Konzern beimisst, und insbeson- chen Vermögenswerte in eine Beschlagnahme der Obligatio- dere aufgrund der bedenklichen Beschäftigungs- und Um- nen umzuwandeln. 14
Internationale Rechtshilfe weltsituation rund um das ILVA-Werk in Taranto werden mung der Kontoinhaberin rechtskonform war. Zum einen Lösungsmöglichkeiten im Hinblick auf eine Refinanzierung des hätte die Kontoinhaberin die Möglichkeit gehabt, sich gegen Betriebs der ILVA gesucht. Am 24. Mai 2017 gibt die Staats- den Überweisungsbefehl sowohl in Italien als auch in der anwaltschaft Mailand bekannt, dass inzwischen ein Abkom- Schweiz zu wehren. Zum anderen habe sie sich kooperativ men («Accordo Riva») zwischen der Insolvenzverwaltung der gezeigt, indem sie einen Vergütungsauftrag zuhanden der Unternehmensgruppe ILVA, den verschiedenen Konzernteilen Bank unterschrieben habe, was einer Zustimmung zur Heraus- sowie Mitgliedern der Familie Riva unter anderem in Bezug auf gabe der beschlagnahmten Vermögenswerte an die italieni- die Schweizer Konten geschlossen worden sei. Deshalb zieht schen Behörden gleichkäme. Ferner anerkennt das Bundesge- die Staatsanwaltschaft Mailand ihr Rechtshilfeersuchen um richt die strafrechtliche Natur des Rechtshilfeersuchens und Sperre der Vermögenswerte in der Schweiz zurück. In der die Zuständigkeit der ausführenden Zürcher Vollzugsbehörde. Folge gibt die Staatsanwaltschaft Zürich die gesperrten Bank- Zudem erachtet es die Aufhebung der Kontosperren mit dem konten frei, wodurch die 1,2 Milliarden Euro nach Italien trans- Zweck, der Bank die Ausführung einer Zahlungsanweisung feriert werden können, um dort für die Zeichnung der von der der Kontoinhaberin zu ermöglichen, welche die Rückführung Unternehmensgruppe ausgegebenen Obligationen verwen- dieser Werte an den ausländischen Staat zum Ziel hat, als det zu werden. zulässig. Nach Ansicht des Gerichts war die Vorgehensweise der Behörden korrekt und hätte die Verfügung der Zürcher Das Bundesgericht verfügt am 10. August 2017, dass die Be- Staatsanwaltschaft nicht für nichtig erklärt werden dürfen. schwerde von BJ IRH gegenstandslos geworden sei, und ent- Das Bundesgericht ist der Ansicht, die Beschwerde von BJ IRH scheidet nur noch über die Gerichtskosten. Im Rahmen dieses wäre mutmasslich gutzuheissen gewesen. In Anbetracht des Kostenentscheids gelangt das Gericht zusammenfassend zum Bundesgerichtsentscheids hätte die Rückführung der Vermö- Schluss, dass die ursprünglich beabsichtigte Rückführung der genswerte also auch ohne den Abschluss des «Accordo Riva» rechtshilfeweise gesperrten Vermögenswerte mit Zustim- erfolgen können. Manchmal ermöglicht auch erst eine Gesetzesänderung im ersu- chenden Staat die Herausgabe von Vermögenswerten an diesen. Peru: Nachträgliches Gesetz macht Herausgabe möglich Die zuständige peruanische Staatsanwaltschaft führte eine Strafuntersuchung gegen den ehemaligen peruanischen Staatspräsidenten Alberto Fujimori und weitere Angeschul- digte u.a. wegen Korruptionsdelikten. So soll Alberto Fuji- mori während seiner Regierungszeit mit Hilfe seines dama- ligen Beraters und Geheimdienstchefs Vladimiro Montesinos Torres die Lieferung von Rüstungsmaterial, Flugzeugen und anderen Gütern in Auftrag gegeben und dafür illegale Pro- visionen entgegengenommen haben. Die Aufträge seien mittels Dringlichkeitsdekreten bzw. geheimen Präsidialbe- schlüssen erfolgt. Seit November 2000 hat die Staatsanwaltschaft Zürich in diesem Fallkomplex rund 35 Rechtshilfeersuchen erhalten. Auf gewisse Rechtshilfeersuchen konnte u.a. wegen unge- nügenden Sachverhaltsangaben nicht eingetreten werden. Die anderen Ersuchen wurden bis im Jahre 2006 vollzogen und die erhobenen Beweismittel, insbesondere Bankdoku- mente, an Peru übermittelt. Weiter hat die Schweiz bereits Der ehemalige peruanische Geheimdienstchef mit seiner Anwältin 93 Millionen Dollar an Peru herausgegeben. Zurzeit sind in vor Gericht. diesem Zusammenhang in der Schweiz noch rund 23 Milli- Bild: Keystone, Martin Mejia onen Dollar gesperrt. Da sich die betroffenen Personen jedoch bisher durch Flucht der Strafverfolgung entzogen haben und das peruanische Recht keine Abwesenheitsver- fahren kennt, konnten mehrere Strafverfahren noch nicht 15
Tätigkeitsbericht 2017 Der Fall veranschaulicht die Schwierigkeiten für gewisse um abgeschlossen und der Schweiz keine rechtskräftigen Ein- Rechtshilfe ersuchende Staaten, eine Einziehung von Vermö- ziehungsurteile vorgelegt werden. genswerten zu verfügen und deren Herausgabe zu erwirken. Für den ersuchenden Staat ist deshalb wichtig, dass die Her- Angesichts dieser Problematik hat Peru im Jahre 2015 ein ausgabe im schweizerischen Rechtshilfeverfahren auch dann Gesetz zur selbstständigen Einziehung deliktischer Vermö- zulässig ist, wenn eine gesetzliche Grundlage für die Einzie- genswerte («perdida de dominio», Einziehung «in rem») hung im ersuchenden Staat erst nachträglich geschaffen erlassen. In Anwendung dieses Gesetzes sind in Peru in wurde. Zentral kann zudem sein, dass selbst bei einer lang- diesem Fall bisher zwei Einziehungsurteile ergangen. jährigen Sperre von Vermögenswerten die Verhältnismässig- keit noch als gegeben angesehen wird, wenn die lange Ver- Im Jahre 2016 richtet Peru zwei Herausgabeersuchen an die fahrensdauer durch das Verhalten der betroffenen Person Schweiz und legt die rechtskräftigen Einziehungsurteile bei. mitverursacht wird. Anfangs 2017 bestätigt das Bundesstrafgericht eine Her- ausgabeverfügung der schweizerischen Vollzugsbehörde Die drei vorangegangenen Beispiele zeigen die vielfältigen (die andere Verfügung wurde nicht angefochten). Möglichkeiten der Rückführung unrechtmässig erworbener Vermögenswerte. Das folgende Beispiel verdeutlicht wiede- Auf juristischer Ebene sind mittlerweile beide Rechtshilfe- rum, dass es auch Konstellationen gibt, in denen die Rückfüh- verfahren abgeschlossen. Die peruanischen Behörden ha- rung aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist. ben weitere Herausgabeersuchen angekündigt. Auf politi- scher Ebene führen die Schweiz und Peru zurzeit Verhandlungen über die Rückgabemodalitäten im Sinne der Asset Recovery-Strategie. Innerschweizerisch zuständig für solche Verhandlungen ist das EDA. Ägypten: Ein aufwändiges Verfahren führt nicht Rechtshilfeersuchen werden deshalb hinfällig, und das Verfah- zum Ziel ren wird abgeschlossen. Nach dem Sturz von Präsident Mubarak im Februar 2011 re- agiert die Schweiz sofort und ordnet auf der Grundlage der Die vier Rechtshilfeersuchen, die auf den ersten Blick die for- Bundesverfassung die Sperrung des in der Schweiz befindli- mellen Anforderungen des Schweizer Rechts erfüllen, werden chen Vermögens von Ex-Präsident Mubarak und seinen Ver- der BA zum Vollzug delegiert. Es werden rechtshilfeweise Be- trauten an. Die BA eröffnet parallel dazu ein Strafverfahren schlagnahmen angeordnet. Die BA stellt jedoch fest, dass gegen Mitglieder des Vertrautenkreises des abgesetzten Prä- nicht alle Bedingungen für die weitere Vollstreckung der Ersu- sidenten wegen des Verdachts auf Geldwäscherei und ordnet chen erfüllt sind, da die gewissen Rechtshilfeersuchen zu- ebenfalls die Beschlagnahme der sich in der Schweiz befinden- grunde liegenden Strafverfahren in Ägypten inzwischen den Vermögen dieser Personen an. rechtskräftig mit einem Freispruch beendet wurden oder die entsprechenden Delikte verjährt sind. Die BA schliesst deshalb In der Folge ersucht Ägypten die Schweiz mittels Dutzender im August 2017 die Rechtshilfeverfahren ab und hebt die Ersuchen betreffend rund 50 Personen aus dem Vertrauten- rechtshilfeweise angeordneten Beschlagnahmen auf. Die im kreis des Ex-Präsidenten um Rechtshilfe. BJ IRH prüft die Ersu- Rahmen des Strafverfahrens der BA angeordneten Beschlag- chen unter formellen Gesichtspunkten und kommt zum nahmen von Vermögenswerten (in der Höhe von rund Schluss, dass sie nicht den formellen Anforderungen des 430 Millionen Franken) bleiben jedoch bestehen. Schweizer Rechts entsprechen. Angesichts der beschriebenen Umstände informieren die Bun- Die Schweiz gibt Ägypten in der Folge daher mehrfach die desbehörden Ägypten am 28. August 2017 über die Schwei- Gelegenheit, diese Rechtshilfeersuchen zu vervollständigen zer Vertretung in Kairo darüber, dass die Rechtshilfe im Fall oder neue, mit dem Schweizer Recht konforme Ersuchen zu Mubarak als abgeschlossen betrachtet werden muss. stellen. BJ IRH ist letztlich in der Lage, vier der Ersuchen an die schweizerische Vollzugsbehörde zu delegieren, stellt aber Der Abschluss des Rechtshilfeverfahrens hat hauptsächlich gleichzeitig fest, dass die anderen Ersuchen nach wie vor nicht zwei Auswirkungen: Zum einen werden die vom Bundesrat den Anforderungen des Schweizer Rechts entsprechen. Ins- angeordneten Kontosperren auf Ersuchen der betroffenen besondere lässt sich weder feststellen, inwieweit die verfolg- Personen nach und nach aufgehoben, zum anderen hat Ägyp- ten Personen in die in Ägypten untersuchten Vorkommnisse ten gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts als Verfah- verwickelt sind, noch welche Verbindung zwischen den un- rensbeteiligter am Strafverfahren der BA die Möglichkeit, sein tersuchten Delikten und der Schweiz besteht. Die ägyptischen Recht auf Einsicht in das Dossier geltend zu machen. 16
Internationale Rechtshilfe Die Gründe, die zum Abschluss der Rechtshilfe im Zusammen- 2.3 Zusammenarbeit mit internationalen Gerichten hang mit dem Sturz des ehemaligen ägyptischen Präsidenten Mubarak geführt haben, sind rein rechtlicher Natur. Die Schweiz I Internationaler Strafgerichtshof war stets kooperationsbereit und hat Ägypten bei der Strafver- Die Schweiz setzt sich dezidiert gegen die Straflosigkeit für völ- folgung der Mitglieder des Vertrautenkreises von Ex-Präsident kerrechtliche Kernverbrechen ein. Sie unterstützt allen voran den Mubarak auf vielfältige Weise unterstützt. Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). Dieser ist zuständig für die Beurteilung der schwersten Verbrechen, welche die inter- Für den Staat, der um Rechtshilfe ersucht, ist es nicht immer nationale Gemeinschaft als Ganzes berühren: Völkermord, Ver- einfach, zwischen den rechtlichen Anforderungen auf der einen brechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen (ab Seite und der politischen Komponente auf der anderen Seite zu 17. Juli 2018 zusätzlich das Verbrechen der Aggression). Die unterscheiden. Auch wenn seitens des ersuchten Staates der po- rechtliche Grundlage dieses ständigen Gerichtshofs mit Sitz in litische Wille zu einer raschen Rückführung von vermeintlich Den Haag bildet das Römer Statut, das im Jahr 1998 verabschie- unrechtmässig erworbenen Vermögenswerten besteht, können det wurde und im Jahr 2002 in Kraft getreten ist. sich rechtliche und praktische Hindernisse ergeben. Es ist insbe- sondere oftmals schwierig, eine klare Verbindung zwischen den Der IStGH ist Ausdruck der Entschlossenheit der 123 Vertrags- im Ausland begangenen Straftaten und den sich in der Schweiz staaten, «der Straflosigkeit der Täter ein Ende zu setzen und so befindenden Vermögenswerten herzustellen. Die entsprechen- zur Verhütung solcher Verbrechen beizutragen». Er ist keine in- den Sachverhalte liegen häufig Jahre zurück und sind nur noch ternationale Rekursinstanz, die letztinstanzliche nationale Straf- schwer nachzuweisen. urteile überprüft, sondern ergänzt vielmehr die innerstaatliche Strafgerichtsbarkeit: Der IStGH wird nur dann tätig, wenn die für In solch komplexen Fällen ist es deshalb wichtig, dass die betrof- die Strafverfolgung zuständigen nationalen Behörden nicht wil- fenen Akteure im ersuchenden und ersuchten Staat eng zusam- lens oder nicht in der Lage sind, die völkerrechtlichen Kernver- menarbeiten. Dies umfasst auch eine koordinierte Kommunika- brechen zu verfolgen. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn tion der verschiedenen Informationsabteilungen gegenüber den die nationalen Behörden von Personen kontrolliert werden, wel- in- und ausländischen Medien. Die Schweizer Botschaften spielen che die fraglichen Verbrechen selbst mitzuverantworten haben, dabei eine wichtige Rolle und leisten sehr wertvolle Unterstüt- oder wenn das staatliche Strafverfolgungssystem als Folge krie- zung. Die politische Situation in den um Rechtshilfe ersuchenden gerischer Ereignisse zusammengebrochen ist. Staaten ändert sich manchmal sehr schnell, was zur Folge haben kann, dass die bisherigen Ansprechpartner durch neue ersetzt Die Schweiz hat aufgrund ihrer humanitären Tradition und ihrer werden. Zum Teil ist es sogar schwierig zu wissen, welcher Dienst Rolle als Depositarstaat der Genfer Konventionen die Errichtung beziehungsweise welche Person den um Rechtshilfe ersuchen- eines starken und unabhängigen Gerichtshofs massgeblich un- den Staat gegenüber der Schweiz vertritt, was zu Verzögerungen terstützt. Sie hat das Römer Statut im Jahr 2001 ratifiziert und und Missverständnissen oder sogar zu Spannungen führen kann. gleichzeitig die für eine Zusammenarbeit mit dem IStGH unmit- telbar notwendigen Gesetzesanpassungen erlassen. Die Vertragsstaaten sind verpflichtet, grundsätzlich uneinge- schränkt mit dem IStGH zusammenzuarbeiten. Da der Gerichts- hof keine polizeilichen Ermittlungsorgane hat, ist er für die Durchführung seiner Verfahren weitgehend auf die Zusammen- arbeit seitens der Vertragsstaaten angewiesen. Grundlage für die Zusammenarbeit durch die Schweiz ist das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof (ZISG; SR 351.6). Eine in BJ IRH angesiedelte Zentralstelle mit weitreichenden Kompetenzen soll eine optimale Zusammenar- beit gewährleisten. Die Zentralstelle nimmt die Ersuchen des Ge- richtshofs entgegen und entscheidet über den Umfang sowie die Modalitäten der Zusammenarbeit. Überstellung BJ IRH nimmt Festnahmeersuchen des IStGH entgegen und prüft, ob die Voraussetzungen für eine Überstellung gegeben sind. Wenn ja, ordnet es die Festnahme der gesuchten Person an, er- lässt den Überstellungshaftbefehl und entscheidet erstinstanzlich über die Überstellung. Wird ein Schweizer Bürger dem IStGH überstellt, so ersucht BJ IRH nach Abschluss des Verfahrens um die Rückführung der betroffenen Person, damit sie ihre Strafe in der Schweiz verbüssen kann. 17
Tätigkeitsbericht 2017 Internationaler Strafgerichtshof im niederländischen Den Haag. Bild: Keystone, Branko de Lang Akzessorische Rechtshilfe Zusammenarbeit mit dem IStGH im Jahr 2017 BJ IRH nimmt auch Ersuchen um andere Formen der Zusammen- Im Jahr 2017 erhielt die Zentralstelle drei Rechtshilfeersu- arbeit mit dem IStGH (Beweisaufnahmen einschliesslich Zeugen- chen des IStGH. In zwei Fällen konnte BJ IRH dem Gerichts- aussagen, Einvernahmen verdächtiger Personen, Durchsuchun- hof die ersuchten Beweismittel noch im selben Jahr über- gen und Beschlagnahmungen, Zustellung von Unterlagen usw.) mitteln. Das Büro des Anklägers des IStGH hatte die entgegen. Es entscheidet erstinstanzlich über die Zulässigkeit der schweizerischen Behörden etwa um Übermittlung eines Zusammenarbeit, ordnet die notwendigen Massnahmen an und Einvernahmeprotokolls, um Abklärungen hinsichtlich eines beauftragt eine kantonale oder eidgenössische Behörde mit dem Privatflugzeugs mit Verbindungen zur Schweiz und einem Vollzug des Ersuchens. BJ IRH kann ferner Ankläger des IStGH afrikanischen Staat sowie um technische Unterstützung bei ermächtigen, selbstständige Untersuchungshandlungen auf der Analyse von Telefonnummern ersucht. Beim Vollzug schweizerischem Hoheitsgebiet (z.B. Zeugeneinvernahmen) vor- der Ersuchen wurde BJ IRH durch kantonale und eidgenös- zunehmen. sische Behörden unterstützt. Vollstreckung von Freiheitsstrafen Da der IStGH über keine Möglichkeit verfügt, Freiheitsstrafen zu vollstrecken, ist er auf die Unterstützung des Gaststaates und der Vertragsstaaten angewiesen. Die Schweiz kann auf Ersuchen des II Ad-hoc-Strafgerichte und Nachfolgegericht IStGH einen rechtskräftigen Strafentscheid vollstrecken, wenn die Im Gefolge der Konflikte in Ex-Jugoslawien und Ruanda regelte verurteilte Person die Schweizer Staatsbürgerschaft besitzt oder die Schweiz im Jahr 1995 die Zusammenarbeit mit den Ad-Hoc- in der Schweiz ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. BJ IRH ent- Strafgerichten in Den Haag und Arusha (Tansania) im Bundesge- scheidet nach Rücksprache mit der zuständigen kantonalen Be- setz über die Zusammenarbeit mit den Internationalen Gerichten hörde über die Übernahme der Strafvollstreckung. Das Strafmass zur Verfolgung schwerwiegender Verletzungen des humanitären des IStGH ist für die Schweizer Behörden bindend. Völkerrechts (SR 351.20). Im Jahr 2003 wurde der Geltungsbe- 18
Sie können auch lesen