Theorieheft Methode - Struktur - Modell - Kontext 2015 - 2025 - Marcello Nasso Architekten
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theorieheft Methode - Struktur - Modell - Kontext 2015 - 2025 Marcello Nasso Architekten Rotachstrasse 4 8003 Zürich info@marcellonasso.com| +41 79 454 38 12 www.marcellonasso.com 28. Januar 2020
„Darüber hinaus schliesst der methodologische Ansatz den persönlichen Akzent nicht aus und in letzter Konsequenz nicht einmal die Frage nach dem Geschmack; andersherum be- trachtet, wird vielmehr klar, dass dieser persönliche Akzent, jeder Architektur, jeder Zeit innewohnt. Ich bestehe darauf, dass unser Geschmack, die Freude an der Methode ist.“ XCR_000 Ernesto Nathan Rogers 1958 Erfahrungen der Architektur
DOGMATISCHE METHODE Durch einen kollektiven Prozess führt die dogmatische Methode zum Bottom-Up-Ansatz. Der Dogmatiker und der Handwerker sammeln viele Einzel- daten, um ein allgemeines Gesetz zu finden, indem sie vom Besonderen auf das Ganze stossen. “Sag mir eine Sache Handwerker: “Wenn du entscheiden wür- dest einen Schuh von erstklassiger Qualität zu machen, würdest du nicht denken, dass du hochwertiges Leder brauchst?” -”Selbstverständlich würde ich das denken”, erwiderte dieser. - Und Sokrates: “Für eine Arbeit dieser Art, würdest Du das erst beste Leder nehmen, dass dir zwischen die Hände gerät, oder glaubst du, dass es besser wäre dieses aus einer Mustersamm- lung auszuwählen?” - “Klar würde ich das glauben”, antwortete dieser. - Sokrates fügte somit hinzu: “Und wie erkennst du die Qualität des Leders? Stellst Du Dich nicht vor etwas hin, bis dir durch das Abtasten der verschiedenen Typen, ein besonders gutes und geeignetes Material für deinen Zweck erscheint, um damit achtsam dein eigenes Leder auszuwählen, indem Du dieses mit dem Muster vergleichst und erkennst in was sich das Eine vom Anderen unterscheidet.” - “So mache ich es, er- widert der Handwerker. - Und Sokrates: “Derjenige der dieses erstklassige Leder gemacht hat, ist dieser per Zufall oder mit einer Methode zum Ziel gekommen, um dieses makellose Leder herstellen zu können? “ - “Mit einer Methode”, sagt der Ande- re. - “Und welche war die Methode”, fragte Sokrates, “um diese Aufgabe zu bewältigen? Vielleicht jene die er durch die Er- fahrung in der Bearbeitung von Leder gelernt hat? “ - “Genau diese,” antwortet der Handwerker. - “Vielleicht hat auch er in der Aufbereitung des Materials dieselben Vergleiche gemacht, wie Du sie für die Auswahl des Leders machen würdest, indem er gleichzeitig die Einzelteile dem Ganzen gegenüberstellte, bis das für die Herstellung ausgewählte Leder nicht Punkt für Punkt dem entsprach, was er sich vorstellte”, sagte Sokrates - “Genauso hat es der Andere gemacht.” - Und Sokrates: “Und wenn dieser nie die Verarbeitungsweise des Leders gesehen hätte, wo zu Teufel hätte dieser dieses ideale Modell von Leder von erstklassiger Qualität hernehmen sollen.” XCR_001 IMG_001 Leon Battista Alberti 1450 Aldo Rossi 1978, Momus Untersuchung der Altstadtstruktur von Zürich, -6- -7-
TECHNISCHE METHODE Durch einen kybernetischen Prozess führt die technische Methode zum Top-Down-Ansatz. Der Techniker und der Ingenieur suchen nach Wahrheiten und wollen diese bestä- tigt haben, indem sie vom Gesamten auf das Einzelne und damit vom Allgemeinen auf das Besondere schliessen. “Was die Rangordnung auf einem Wahlfänger betrifft, so möch- te ich an dieser Stelle erwähnen, dass die Harpuniere als eine besondere Kaste zu den Offizieren zählen. Das ist ein eigen- tümlicher Zustand, den es auf anderen Schiffen natürlich nicht gibt. Wie wichtig das Geschäft der Harpuniere von jeher ge- nommen wurde, ersieht man daraus, dass von zwei und mehr Jahrhunderten auf den alten holländischen Wahlfängern nicht der Schiffer, der Kapitän, wie wir heute sagen, allein die Be- fehlsgewalt inne hatte, sondern sie mit dem sogenannten Flen- ser teilen musste. Im Laufe der Zeit wurde es Sitte, über den engeren Sinn des Wortes hinaus den obersten Harpunier so zu bezeichnen. In jenen Zeiten hatte der Kapitän nur die Naviga- tion und die allgemeine Schiffsverwaltung unter sich; in allem was mit dem Wahlfang zusammenhing, herrschte unumschränkt der Flenser, der „Specksynder”, wie die Holländer sagen. Dieser alte holländische Titel ist dann auch den britischen Grön- land-Wahlfängern in der korrumpierten Form „Specksioneer“ beibehalten worden, während die Würde des Amtes bedauerlich gelitten hat. Der „Specksioneer“ ist heutzutage nichts weiter als der älteste Harpunier und hat an Bord eine bescheidenere Stellung. Da der Erfolg der Reise jedoch zum grossen Teil von der guten Führung der Harpuniere abhängt und in der ameri- kanischen Grossfischerei ihr Rangältester nicht nur im Walboot eine wichtige Persönlichkeit ist, sondern unter Umständen (bei Nachtwachen auf den Walfischgrund) auch einmal an Deck des Schiffes den Befehl übernimmt, so erfordert die Politik auf See, dass er nicht vor der Mannschaft zusammen vor dem Mast hau- se, sondern der Form nach, als ihr Vorgesetzter in Erscheinung trete, wenn sie ihn unter sich auch jeder Zeit als ihresgleichen betrachten.” XCR_002 IMG_002 Hermann Melville 1851 Marcello Nasso Architekten, Burkart AG Trilegno AG 2018 Moby Dick Aufstockung MFH in Zürich Altstetten, Industrielle Vorfabrikation und Montage, -8- -9-
KRITISCHE METHODE Durch einen rationalen Prozess führt die kritische Metho- de zum offenen Ansatz an das zu lösende Problem. Der Intellektuelle und der Künstler suchen nach Konzepten und Theorien, nach Denkaufgaben und Ratespiele und riskieren zu scheitern. Vor einer Anzahl von Tatsachen, die anscheinend nichts miteinander zu tun haben, versuchen der Intellektuelle und der Künstler sich diese Ereignisse als Einzelfälle eines allgemeinen Gesetzes vorzustellen. Ein Gesetz, dass vielleicht noch nie so formuliert wurde. “Zu den vielen Fähigkeiten von Chuang-Tzu gehörte seine Gewandtheit im Zeichnen. Der Kaiser bat ihn einen Krebs zu zeichnen. Chuang-Tzu sagte, er brauche dafür fünf Jahre Zeit und eine Villa mit zwölf Bediensteten. Nach fünf Jahren war die Zeichnung noch nicht begonnen. “Ich brauche weitere fünf Jahre”, sagte Chuang-Tzu. Der Kaiser gewährte sie Ihm. Nach Ablauf der zehn Jahre nahm Chuang-Tzu die Feder, und in einem Augenblick, mit einer einzigen Handbewegung, zeichnete er einen Krebs, den perfektesten Krebs, den man je gesehen hatte.” XCR_003 IMG_003 Italo Calvino 1985 Michele Lanza, Marcello Nasso 1992 Sechs Vorschläge für das nächste Jahrtausend: Schnelligkeit Phi Sphäre - Der Code der Welt - 10 - - 11 -
WIE LANGE IST DIE KÜSTE DES MITTELMEERES Der Erste welcher die empirischen Resultate von Lewis Fry Richardson mit den theoretischen Ergebnissen von Felix Hausdorff in Verbindung gebracht hat, war Benoit Mandel- brot im Jahre 1967 mit einem Artikel welcher den Titel trug: Wie lange ist die Küste von England? Betrachten wir den Grundplan des Mittelmeeres, wird die These Mandelbrots sehr klar: Der Perimeter dieses Grund- planes des Mittelmeeres ist Kongruent mit den Grenzen seines Territoriums und zeigt, dass je mehr wir uns den Küsten nähern, desto länger die Abwicklung deren immer konkaver und konvexer werdenden Struktur wird. In die- sem Sinn ist die Auseinandersetzung mit der Abwicklung einer Küste mit seinen Spitzen und Buchten die Auseinan- dersetzung mit einer unendlich langen Struktur und damit die Auseinandersetzung mit einer fraktalen Struktur. “Fast alle normalen Muster der Natur sind rau. Sie besitzen äusserst irreguläre und fragmentierte Merkmale nicht nur weit komplizierter als die wunderbare antike Geometrie Euklids; sie sind zumeist von einer ungeheuer viel grösseren Komplexität. Während Jahrhunderte war die blosse Vorstellung, Rauheit zu messen, ein müssiger Traum. Dies ist einer der Träume, denen ich mein ganzes Leben als Wissenschaftler gewidmet habe.” XCR_004 IMG_004 Benoit Mandelbrot 2010 Marcello Nasso Architekten 2015 The Fractalist: Memoir of a Scientific Maverick Grundplan Mittelmeer - 12 - - 13 -
VON DER INDIVIDUELLEN INTELLIGENZ ZU DEN FRAKTALEN STRUKTUREN In einer Bottom-Up-Annäherung findet der Entwicklungs- prozess über die Aktivitäten von verschiedenen einzelnen Akteuren statt und somit durch eine Summe an individuel- len Intelligenzen, welche ihren Beitrag an die Schaffung ei- nes grossen Ganzen leisten. Ein grosses Ganzes, welches am Anfang des Prozesses unvorhersehbar gewesen wäre. In der abendländischen Architektur entsprechen diese grossen Ganzen zum Beispiel den europäischen Städten aus dem Mittelalter. Tatsache ist, dass der Bau dieser Alt- städte und damit die Schaffung von Orten solcher Schön- heit, das Engagement von dutzenden Generationen und hunderten von Jahren voraussetzt. “Der Architekt untersucht mit seiner Arbeit die strukturellen Ähnlichkeiten, welche zwischen den Archetypen des mensch- lichen Verhaltens und den Formen der materiellen Welt entste- hen können.” XCR_005 IMG_005.0 Carlos Martì Arìs 1990, Marcello Nasso Architekten 2016 Die Variazionen der Indentität, der Typ in Architektur Energycities in Sierpnski-Teppich - 14 - - 15 -
Ist es möglich anhand dieser Daten an diesen oder anderen Städte weiterzubauen oder neue Städte in einem überschaubaren Zeitraum zu generieren? Die Informatikwissenschaften haben sich in der Ausein- andersetzung mit fraktalen Strukturen die Methoden und die Annäherungsweisen des Architekturtheoretikers des Strukturalismus Christopher Alexander - mit seinem Buch “Eine Mustersprache” aus dem Jahre 1979 - angeeignet um anhand von Muster die Leseart von komplexen Syste- men zu vereinfachen. Dazu drei Fragen: Ist es möglich dieses Wissen aus den Informatikwissen- schaften auf die Untersuchung von bestehenden Städten anzuwenden? Ist es möglich durch die Vision des Ganzen als fraktale Struktur ein Territorium und eine Stadt gleichzeitig Top- Down und Bottom-Up zu denken? Ist es möglich anhand dieser Daten an diesen oder anderen Städte weiterzubauen oder neue Städte in einem überschaubaren Zeitraum zu generieren? IMG_005.1 IMG_005.2 Marcello Nasso Architekten 2016 Marcello Nasso Architekten 2016 Vergrösserung 2, Energycities in Sierpnski-Teppich, Vergrösserung 2, Energycities in Sierpnski-Teppich, - 16 - - 17 -
ORGANISATION Organisation und antizipatorisches Denken sind die grund- legenden Fähigkeiten für eine systematische Annäherung an den architektonischen Entwurf. Richard Sennet schreibt in seinem Buch “Handwerk”, dass Motivation wichtiger ist als die Begabung und dass der Hang zum Perfektionismus nur eine extreme Form von Ambition ist. Sennet selbst war, bevor er Soziologe wurde, Musiker und sagt, dass in der Musik die Handlung um einen Ton zu erzeugen stattfindet, bevor der Ton erklingt. Dies bedeutet, dass ein falscher Ton im Rahmen eines Stückes irreversibel ist. Aus diesem Grund muss geübt werden, bis man das Stück beherrscht. Das kontinuierliche Scheitern ist Teil des Lernprozesses. Bei der späteren Aufführung muss man immer einen Schritt voraus sein. Antizipatorisches Denken ist eine der wichtigsten Fähigkeiten um ein Projekt realisieren zu können. “Immer wenn dir eine Theorie als die einzig mögliche erscheint, nimm das als Zeichen, dass du weder die Theorie noch das zu lösende Problem verstanden hast.” XCR_006 IMG_006 Karl Popper 1972 Charles Joseph Minard 1869 Objektive Erkenntnis. Ein evolutionärer Entwurf Map of Napoleon’s Russian campaign of 1812 - 20 - - 21 -
EIN ENTWICKLUNGSPROZESS IN FÜNF MODELLEN In der Biosystematik ist der Mensch in seiner Art ein Homo Sapiens. Seine Gattung ist der Homo, welcher der Familie der Menschenaffen (Homidae) angehört. Die Menschen- affen sind in der Ordnung der Primate einzufügen. Die Primate gehören in die Klasse der Säugetiere (Mammalia). Die Säugetiere gehören ins Reich der Tiere. In diesem Sinn wurden fünf Kategorien in hierarchischer Abfolge definiert, um die Art (die Spezies) eines Lebewesens eindeutig zu bestimmen: Reich, Klasse, Ordnung, Familie, Gattung. Wird diese Kategorisierung aus der Biologie auf die Archi- tektur übertragen, kann von FÜNF MODELLEN gesprochen werden, welche in diesem ENTWICKLUNGSPROZESS von Bedeutung sind: das KONTEXT-MODELL, das GRENZ- FLÄCHEN-MODELL, das TYPEN-MODELL, das ER- SCHLIESSUNGS-MODELL und das NUTZER-MODELL. “Für die alten Ägypter wurde Genauigkeit durch eine Feder symbolisiert, die als Gewicht auf der Seelenwaage diente. Diese leichte Feder trug den Namen Maat und war die Göttin der Waage. Die Hieroglyphe für Maat bezeichnete auch das Längen- mass, die dreiundreissig Zentimeter des Einheitsziegels, sowie den Grundton der Flöte.” XCR_007 IMG_007 Italo Calvino 1985, Dmitri Mendelejew, Lothar Meyer 1869, Sechs Vorschläge für das nächste Jahrtausend, Genauigkeit Periodensystem - 22 - - 23 -
FÜNF ZOOMBEREICHE Mit jedem neuen MODELL erhöht sich die Schärfe und damit die Quantität an Informationen durch einen sich ver- ringernden ZOOMBEREICH. An diese sich verringernden ZOOMBEREICH nähern wir uns wie im von Charles und Ray Eames für die IBM im Jahre 1977 realisierten Kurzfilm “Powers of Ten” an. “Powers of Ten” nimmt direkt Bezug auf das im Jahre 1957 von Kees Boeke publizierte Buch “Cosmic View, The Universe in 40 Jumps” und entspricht heute der aktuellen Software “Google Earth”. “Mies van der Rohe glaubte, dass Architektur GUTE GRÜNDE und WAHRE GRÜNDE haben muss. GUTE GRÜNDE sind prakti- scher Art, während WAHRE GRÜNDE philosophischer Art sind. Die architektonischen Entscheidungen trifft man anhand von WAHREN GRÜNDEN, während man mit GUTEN GRÜNDEN die Projekte erklärt.” XCR_008 IMG_008 Werner Blaser 1973, Charles Eames, Ray Eames 1977, Mies van der Rohe, The Art of Structure. Powers of Ten. - 24 - - 25 -
FÜNF MODELLE AUF FÜNF EBENEN Dieser ENTWICKLUNGSPROZESS besteht aus fünf Model- len: das KONTEXT-MODELL, das GRENZFLÄCHEN-MO- DELL, das TYPEN-MODELL, das ERSCHLIESSUNGS- MODELL und das NUTZER-MODELL. Jedes MODELL wird über fünf Ebenen beschrieben: EIGENSCHAFTEN, UNTERSUCHUNGEN, FAZIT, KENNDATEN, ENTWURF. “… Eines Tages rief ein König all seine Kartographen zu sich zum Palast und befahl ihnen eine geografische Karte des gan- zen Reiches zu zeichnen. Die Kartographen machten sich an die Arbeit und kamen nach einiger Zeit mit einer kleinen Karte zurück. Der König schaute sich die Karte genau an und sagte, indem er den Kopf schüttelte, dass viel zu viele Sachen fehlen würden; nicht dargestellt seien zum Beispiel seine Gärten und auch das Seechen und auch der Brunnen, in dem er sich gerne spiegelte, würden ausbleiben. Die Kartographen machten sich erneut an die Arbeit und kamen mit einer Kartenrolle zum König zurück, die so gross war, dass es hunderte von Wagen brauchte, um diese zu transportieren. Der Herrscher, endlich zufrieden, liess die Karte aufrollen, welche das ganze Territo- rium des Reiches abdeckte. … In jenem Reich erlangte die Kunst der Kartographie eine solche Vollkommenheit, dass die Karte einer einzigen Provinz den Raum einer Stadt einnahm und die Karte des Reichs den einer Provinz. Mit der Zeit befriedigten diese masslosen Karten nicht länger, und die Kollegs der Kartographen erstellen eine Karte des Reiches, die die Grösse des Reichs besass und sich mit ihm in jedem Punkt deckte. Die nachfolgenden Geschlech- ter, die dem Studium der Kartografie nicht mehr so ergeben waren, waren der Ansicht, diese ausgedehnte Karte sei unnütz und überliessen sie, nicht ohne Verstoss gegen die Pietät, den Unbilden der Sonne und der Winter. In den Wüsten des Westens überdauern zerstückelte Ruinen der Karte, behaust von Tieren und von Bettlern; im ganzen Land gibt es keine anderen Über- reste der geografischen Lehrwissenschaft.” Zitiert durch: Jose Luis Borges 1935, Universalgeschichte der Niedertracht XCR_009 I IMG_009 Suárez Miranda 1658, Autor unbekannt Viajes de varones prudentes Wachstumm des Menschen - 26 - - 27 -
BEZUGSSYSTEM Dieser ENTWICKLUNGSPROZESS benötigt ein BEZUGSSYS- TEM, um angewandt werden zu können. Da wir vorwiegend in der Stadt ZÜRICH tätig sind und wir aufgrund dessen auch am meisten Daten und Informa- tionen zu dieser Stadt haben, nehmen wir diese als Fall- beispiel. In diesem Sinn kann dieser ENTWICKLUNGSPROZESS in derselben Art und Weise auf jede andere Stadt, jedes andere Quartier, jede anderen Ansiedlungsstruktur an- gewandt werden. “Recht sonderbar ist es, dass oft förmlich toll gewordene unre- gelmässige Plätze alter Städte nicht einmal schlecht aussehen, während unregelmässige Winkel moderner Anlagen immer sehr schlecht wirken. Das kommt daher, dass die Unregelmässig- keiten alter Anlagen fast immer von der Art sind, die man erst am Plane wahrnimmt, in Natur aber übersieht, und hiervon wieder ist der Grund der, dass die alten Anlagen eben nicht am Reissbrett konzipiert wurden, sondern allmählich ‘in natura’ entstanden sind, wobei man ganz von selbst alles dasjenige berücksichtigte, was dem Auge ‘in natura’ auffällt, aber alles andere der Gleichgültigkeit behandelte, was nur am Papier sichtbar wird.” XCR_010 IMG_010 Camillo Sitte 1889 Schweizerische Volkszählung 2018 Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen Bevölkerungsentwicklung der Stadt Zürich - 28 - - 29 -
KONTEXT-MODELL
EIGENSCHAFTEN Im Jahre 1978 haben Colin Rowe und Fred Koetter mit dem Buch “Collage City” ihre Vision der Stadt vermittelt. Der Aspekte, welcher in “Collage City” hier am meisten interessiert, ist die Gegenüberstellung von ganzen Stadt- ausschnitten durch die Darstellung im Figur-Grund-Plan, oder “figure-ground-diagram”, wie dieser von den Autoren genannt wurde. Während der Figurplan, welcher im herkömmlichen Ge- brauch auch Schwarzplan genannt wird, die überbauten Flächen im städtebaulichen Kontext in den Vordergrund stellt, veranschaulicht der Grundplan durch die chroma- tische Inversion des Figurplanes die leeren Flächen im Stadtausschnitt. Wird diese Darstellungsweisen des Figur-Grund-Planes in die dritte Dimension übertragen, entsteht das KONTEXT- MODELL des Stadtausschnittes, welches die Basis für die folgenden zwei Themen - UNTERSUCHUNG und ENTWURF - bildet. IMG_011 Marcello Nasso Architekten 2019 Stadtmodell von Zürich im M. 1:1000, - 32 - - 33 -
UNTERSUCHUNGEN Für diese ersten UNTERSUCHUNGEN wird das KONTEXT- MODELL des in Frage kommenden Stadtausschnittes als Arbeitsgrundlagen konstruiert. Über die qualitativen Überlegungen hinaus, welche von der Beobachtung der bestehenden Stadt hervorgebracht werden, bildet dieses KONTEXT-MODELL die Basis, um eine Vielzahl an quantitativen Informationen zu generieren. In dieser ersten Annäherung wird der Detaillierungsgrad auf den ZOOMEBEREICH von 0.0001 bis 0.0005 limitiert, welcher einem Massstabsbereich von 1:10’000 bis 1:2000 entspricht. Mit den vorliegenden Informationen kann nun die Über- bauungsziffer GGF / GSF ermittelt werden. Bauepoche: Moderne (2. Stadterweiterung, ab 1934) Wohnzone Dichtefaktor: 0.2 bis 1.5 IMG_012 Neue Bau- und Zonenordnung 2017 Agglomerationsquartier in der Stadt Zürich - 34 - - 35 -
Wird dem Figur-Grund-Plan der Faktor Gebäudehöhen H hinzugefügt und werden parallel dazu alle Elemente beigefügt, welche im Schwarzplan nicht sichtbar gemacht wurden (Erker, Loggien, Balkone, Dächer etc.), erhält man das KOTEXT-MODELL. Mit dem KONTEXT-MODELL können nun die Gebäude- volumen GV ermittelt werden. Stehen die Gebäudevolumen GV erst mal fest, kann die Anzahl Geschosse AG geschätzt werden. Anhand dieser Informationen können die Geschoss- flächen GF berechnet werden, welche als Grundlage zur Ermittlung der Dichteziffer GGF / GF dienen. Das KONTEXT-MODELL kann zusammen mit der be- stehenden Stadt mit anderen Quartieren in der gleichen Stadt und mit Quartieren anderer Städte in Europa und der ganzen Welt verglichen werden. - 36 - - 37 -
FAZIT Beobachtet man die verschiedenen Stadtbestände in Europa, wird sehr schnell erkennbar, dass diese von drei sehr unterschiedlichen Quartiertypen geprägt sind, welche sich in deren Dichtewerten klar voneinander unterschei- den: 1. Von seit dem Mittelalter in der Zeit gewachsenen Altstadt mit Dichtewerten zwischen 3.50 und 6.00. 2. Von Quartieren, welche seit dem Industriezeitalter von Blockrandbauten geprägt sind und Dichtewerte von 1.50 bis 3.50 erreichen. 3. Von aus verschiedenen freistehenden Bauten aus der Mo- derne in den Agglomerationsquartieren mit Dichtewerten zwischen 0.20 bis 1.50. Bauepoche: 19. / 20. Jahrhundert, (1. Stadterweiterung, ab 1893), Quartiererhaltungszone Dichtefaktor: 1.5 bis 3.5 IMG_013 Neue Bau- und Zonenordnung 2017 Quartiers aus dem Industriezeitalter in Zürich - 38 - - 39 -
KENNDATEN GGF / GSF Gebäudegrundflächen / Grundstücksflächen GF / GSF Geschossflächenoberirdisch / Grundstücksflächen GV / GSF Gebäudevolumenoberirdisch / Grundstücksflächen GV / GF Gebäudevolumenoberirdisch / Geschossflächenoberirdisch GGF / GF Gebäudegrundflächen / Geschossflächenoberirdisch UGF*/ GF Umgebungsflächen / Geschossflächenoberirdisch UGF* = GSF - GSF Bauepoche: Mittelalter Kernzone Dichtefaktor: 3.5 bis 6.0 IMG_014 Neue Bau- und Zonenordnung Altstadt von Zürich - 40 - - 41 -
ENTWURF Die qualitativen Reflexionen über die Beobachtung und die quantitativen Informationen über die KENNDATEN, die aus den UNTERSUCHUNGEN des entsprechenden Stadtaus- schnittes resultieren, aber auch der Vergleich mit anderen Quartieren und anderen Städten, bilden die Basis, um Veränderungs- und Verdichtungs-Ideen im vorliegenden KONTEXT-MODELL zu entwickeln. Auf dieser Ebene ENTWURF ist das Ziel somit diese Verdichtungs- und Veränderungs-Ideen des KONTEXT-MO- DELLES zu entwickeln, unabhängig davon, ob diese Ideen sich ins bestehende Stadtgefüge integrieren oder den genetischen Code des Stadtteils komplett verändern. Diese Ideen werden dann auf qualitativer Ebene über rein architektonische Argumente beschrieben und auf quantita- tiver Ebene über genaue KENNDATEN ausgewertet. Mit der Definition dieser Verdichtungs- und Veränderungs- Ideen schafft das KONTEXT-MODELL die Basis für den ganzen ENTWICKLUNGSPROZESS in allen FÜNF MODEL- LEN. IMG_015 - 42 - - 43 -
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