TIBET360 - Zivilgesellschaft fordert konsequente Menschenrechtspolitik

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TIBET360 - Zivilgesellschaft fordert konsequente Menschenrechtspolitik
TIBET360°
INFORMATIONEN | MEINUNGEN | ANALYSEN            AUSGABE 1 | 2022

                      Zivilgesellschaft fordert konsequente
                      Menschenrechtspolitik
                                                           2
                4
                                            Internatsschulen

                                          3
                       Einzelfall:
                       Go Sherab Gyatso     für tibetische Kinder
TIBET360 - Zivilgesellschaft fordert konsequente Menschenrechtspolitik
TIBET360°

ZIVILGESELLSCHAFT
FORDERT KONSEQUENTE
MENSCHENRECHTSPOLITIK

                                                                 2                                 Editorial

                                                                                                       Ohne Zweifel wird der Regierungswechsel in Deutsch-
                                                                                                   land aufmerksam verfolgt, auch von all jenen, die sich für
                                                                                                   eine Verbesserung der Menschenrechtslage in der Volks-
                                                                                                   republik China einsetzen. Erwartung entsprechender Teile
                                                                                                   der Zivilgesellschaft, von Tibetern, Uiguren, Hongkongern
                                                                                                   und chinesischen Menschenrechtsverteidigern, ist, dass
                                                                                                   die neue Bundesregierung aus der schlechten, teils ver-
                                                                                                                                                                gegenüber der KP Chinas eigentlich hat. Dazu zählt etwa
                                                                                                                                                                die Erweiterung personenbezogener EU-Sanktionen auf
                                                                                                                                                                Funktionsträger in Staat und Partei, die für Menschen-
                                                                                                                                                                rechtsverletzungen auch in Tibet verantwortlich sind.
                                                                                                                                                                    Und auch Kreativität wäre gefragt, wie zuletzt im
                                                                                                                                                                UNO-Menschenrechtsrat von Großbritannien vorgemacht
                                                                                                                                                                (siehe unten). Dazu müsste man sich aber lösen von der
                                                                                                   heerenden Menschenrechtslage Konsequenzen zieht,             Vorstellung, dass eine konsequente Menschenrechtspoli-
                                                                                                   und es nicht nur bei – freilich unverzichtbarer – verbaler   tik ohne offenen Dissens möglich sei – gerade gegenüber
                                                                                                   Kritik belässt.                                              der Kommunistischen Partei Chinas. Im Gegenteil: Men-
                                                                      Kai Müller,                      Der Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die       schenrechtspolitik ist gerade dann wirksam, wenn sie den
                                                                      ICT-Geschäftsführer          Grünen und FDP hat positive Signale gesetzt, die aller-      Widerspruch nicht scheut. Die Hoffnung ist, dass die neue
                                                                              Foto: Yan Revazov
                                                                                                   dings recht schnell erster Ernüchterung gewichen sind.       Bundesregierung dieses „Mindset“ verinnerlicht. Ansons-
                                                                                                   Eine eindeutige Positionierung der Bundesregierung im        ten bleibt der „Wechsel“ doch nur ein Papiertiger.
                                                                                                   Lackmus-Test Olympische Spiele – Stichwort „diplomati-
                                                                                                   scher Boykott“ – ist bislang ausgeblieben. Unterdessen
                                                                                                   setzt Bundeskanzler Scholz ganz offensichtlich auf „Konti-           Mehr Informationen:
                                                                                                   nuität“ im Verhältnis zur Kommunistischen Partei. Dass         ICT-Blog „Deutschland braucht
                                                                                                   Peking die Parameter dieser „Kontinuität“ beständig zu         eine neue China-Politik“:
                                                                                                   seinen Gunsten verschieben will, droht unter den Tisch zu      https://bit.ly/3dmUVvW
                                                                                                   fallen. Dabei gerät auch aus dem Blick, welche Möglich-
                                                                                                   keiten deutsche und europäische Menschenrechtspolitik

                                                                      ÜBERRASCHENDE WENDUNG IM UNO-MENSCHENRECHTSRAT
                                                                                                   Es sah nach ‚Business As Usual‘ aus während der Sep-         fanden sie hingegen Unterstützung bei Ländern wie
                                                                                                   tembersitzung des UNO-Menschenrechtsrates in Genf.           Mexiko, Namibia oder Togo. Andere wie Bangladesch,
Foto: picture alliance/Gregor Fischer/dpa ; Quelle: RFA ; Foto: RFA

                                                                                                   Zusammen mit anderen autoritär geführten Staaten             Elfenbeinküste oder Gabun enthielten sich, mit dem
                                                                                                   brachte die chinesische Delegation eine Resolution mit       Ergebnis, dass die Änderungsanträge eine Mehrheit im
                                                                                                   dem Titel „Negative impact of the legacies of colonialism    Rat erhielten und Teil der Resolution wurden. Infolge der
                                                                                                   on the enjoyment of human rights“ ein. Und wie bei           Abstimmungsniederlage zog die chinesische Delegation
                                                                                                   anderen von China eingebrachten Resolutionen war mit         eine weitere Resolution zurück. Sie macht deutlich, dass
                                                                                                   dem bekannten Abstimmungsmuster zu rechnen,                  sich die KP Chinas ihrer Unterstützung im Menschen-
                                                                                                   wonach vor allem sich entwickelnde Länder aus Afrika,        rechtsrat weit weniger sicher sein kann, als
                                                                                                   Asien und Lateinamerika mit China abstimmen.                 angenommen.
Fotos Cover im Uhrzeigersinn:

                                                                                                   Überraschend jedoch brachte die britische Delegation
                                                                                                   zwei Änderungsanträge ein, die die Achtung von Min-
                                                                                                   derheitenrechten einforderten und vor kultureller Assi-              Mehr Informationen:
                                                                                                   milation warnten. Während die Anträge, ohne Zweifel            ICT-Meldung zur 48. Sitzung des
                                                                                                   eine Anspielung auf die Situation in Ost-Turkestan und         UNO-Menschenrechtsrates:
                                                                                                   auch Tibet, von China vehement abgelehnt wurden,               https://bit.ly/3dmUVvW
TIBET360 - Zivilgesellschaft fordert konsequente Menschenrechtspolitik
AUSGABE 1 | 2022

   INTERNATSSCHULEN
   FÜR TIBETISCHE
   KINDER

          ENTFREMDUNG VON DER
           TIBETISCHEN KULTUR
   Mithilfe eines groß angelegten Internatssystems ver-
sucht die chinesische Führung offenbar, möglichst viele
                                                               Kanada. Diese hatten die staatlichen Behörden im 19.
                                                               Jahrhundert für die Kinder der kanadischen Ureinwohner
                                                               eingerichtet und erst im Jahr 1996 geschlossen.

                                                                  Selbst Kinderreime und Gutenachtgeschichten
                                                                  auf Chinesisch
                                                                                                                              3
tibetische Kinder von ihrer Herkunftskultur zu entfrem-            Die Folgen der chinesischen Internatsschulen für das
den. Besonders eindrucksvoll zeigt dies aktuell ein im         langfristige Überleben der tibetischen Identität seien
Dezember 2021 veröffentlichter Bericht des „Tibet Action       „gravierend“, heißt es weiter in dem Bericht. Ein tibeti-
Institute“ mit dem Titel „Seperated from their Families,       scher Lehrer beschreibt darin außerdem, wie die chinesi-
hidden from the World“. Demnach haben die chinesi-             schen Behörden in Osttibet von Kindern ab vier Jahren
schen Behörden in Tibet in den vergangenen zehn bis 15         verlangen, in Schulen zu leben, in denen „die Lehrer nur
Jahren ein regionales Netz von Internaten eingerichtet,        Mandarin sprechen und den gesamten Lehrplan aus-
um tibetische Kinder auf diese Weise schon bewusst in          schließlich in Mandarin abhalten, einschließlich Kinderrei-
jungem Alter von ihren Eltern, ihren Familien und ihrem        men und Gutenachtgeschichten“. Wenn die Kinder dann
Zuhause zu trennen. Das Programm ziele in erster Linie         schließlich im Alter von sieben Jahren auf die Grund-
darauf ab, die Kinder von ihrer eigenen Sprache und Kul-       schule kämen, könne kaum eines von ihnen noch Tibe-
tur fernzuhalten und sie stattdessen staatlichem Einfluss      tisch sprechen, so der Lehrer. Ergänzt wird das System
auszusetzen. Dies sei wiederum Teil einer Assimilations-       der Internatsschulen offenbar durch verstärkten Druck
kampagne, die darauf abziele, „Bedrohungen für die Kon-        auf die noch existierenden tibetischen Privatschulen.
trolle der Kommunistischen Partei Chinas durch die Besei-      Auch dort werde nun verstärkt die politische Ideologie
tigung ethnischer Unterschiede zu begegnen”, wie „Radio        des sogenannten „Xi Jinping-Denkens“ gelehrt. Alle Lehr-
Free Asia“ (RFA) aus dem Bericht des Tibet Action Insti-       bücher würden ins Chinesische übersetzt, Lehrer und
tute zitiert.                                                  Schüler müssten „ihre Gedanken umwandeln“, Mönche
                                                               dürften nicht mehr unterrichten und Schulen keinen
   Erzwungene Trennung von Familien und Kultur                 Unterricht über den tibetischen Buddhismus mehr
                                                               anbieten.
   In den zu diesem Zweck eingerichteten Schulen findet
der Unterricht dem Bericht zufolge hauptsächlich auf Chi-         Der Bericht des „Tibet Action Institute“ belegt in jedem
nesisch statt. Weiterhin sei der Unterricht mit einer inten-   Fall deutlich, dass die Internatsschulen für tibetische Kin-
siven politischen Indoktrination der tibetischen Schüler       der und Jugendliche ein wichtiger Baustein von Xi
verbunden. Das „Tibet Action Institute“ bezeichnet die         Jinpings Assimilationspolitik sind. Damit wächst die
Internate als chinesische „Kolonialprojekte“ und weist in      Bedrohung für das Überleben der tibetischen Identität
diesem Zusammenhang darauf hin, dass etwa 800.000              und Kultur immer weiter.
tibetische Kinder im Alter von bis zu 18 Jahren und damit
rund 78 Prozent aller tibetischen Schüler dazu gezwun-
gen würden, in den besagten Internatsschulen zu leben.
Dort litten sie unter psychologischen und emotionalen                  Mehr Informationen:
Traumata, die durch die erzwungene Trennung von ihren             Bericht des Tibet Action Institute:
Familien und ihrer Kultur verursacht würden. Die tibeti-          https://bit.ly/2WvB0Uy
sche Schriftstellerin Tsering Yangzom Lama verglich die           Systematischer Angriff auf Tibets Sprache und Kultur:
chinesischen Internatsschulen in Tibet in einem Zeitungs-         https://bit.ly/2W6tz7k
kommentar mit den berüchtigten „Residential Schools“ in
TIBET360 - Zivilgesellschaft fordert konsequente Menschenrechtspolitik
TIBET360°                                                                                                                    AUSGABE 1 | 2022

                                                                                                         +++newsTICKER+++

EINZELFALL:
GO SHERAB                                                                                                 Foto: RFA

GYATSO

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                                                                                                         Chinesische Behörden zerstören
                                                                                                         Buddhastatuen, mindestens sechs
                                                                                                         Tibeter festgenommen
                                                                                                         https://bit.ly/2Yz6prM

    Die International Campaign for Tibet (ICT)     Nähe von Lhasa verlegt. Die chinesische
ist zutiefst besorgt über Berichte über die Ver-   Regierung hatte in ihrer Antwort an UN-Men-
urteilung des bekannten tibetischen Autors         schenrechtsexperten vom August 2021
Go Sherab Gyatso zu einer zehnjährigen             erklärt, Gyatso werde vor dem „Mittleren              Foto: ©_European Union 2018_European Parliavvment-CC BY-NC-ND 2.0

Gefängnisstrafe und fordert von der chinesi-       Volksgericht“ Lhasas angeklagt.
schen Regierung seine sofortige Freilassung.          Die chinesischen Behörden verwenden                Fünf Empfehlungen für die französische
    Gyatsos willkürliche Verhaftung hatte          gewöhnlich den Vorwurf der „Sezession“                EU-Ratspräsidentschaft und fünf
zuletzt international Aufmerksamkeit erregt,       oder des „Separatismus“ als Vorwand, um               Aktionspunkte für Tibet
als UN-Sonderberichterstatter und Men-             Unterstützungsbekundungen für die tibeti-             https://bit.ly/2yxYf8q
schenrechtsexperten öffentlich in einem            sche Kultur und den Dalai Lama oder abwei-
Schreiben an die chinesische Regierung ihre        chende Meinungen und unabhängiges Den-
Sorge über den Verbleib des 46-jährigen            ken zu verfolgen. Das Völkerrecht schützt             Aktuelle Studie warnt vor Pekings
Mönches geäußert hatten. In ihrer Antwort          eine solche friedliche Meinungsäußerung,              Autarkiestreben und aggressiver
hatte die chinesische Regierung die UN-Ex-         selbst wenn diese erfolgt, um die Unabhän-            Außenpolitik
perten darüber informiert, dass Go Sherab          gigkeit Tibets von China zu fordern.                  https://bit.ly/2yvxf9C
Gyatso im Oktober 2020 wegen des Ver-                 Gyatso gehört dem Kloster Kirti an und hat
dachts der „Aufwiegelung zur Sezession“            als Autor mehrere Bücher über tibetisch-bud-
festgenommen worden war.                           dhistische Philosophie, Tradition und Kultur          Tibet: Fünf Jahre Haft für Weitergabe
                                                   veröffentlicht. Immer wieder werden Tibeter,          von Dalai Lama-Texten
                                                   darunter häufig Gelehrte und Schriftsteller,          https://bit.ly/2Yz6prM
   BESORGNISERREGENDES                             von den chinesischen Behörden festgenom-
    REPRESSIONSMUSTER                              men und verurteilt oder sie verschwinden,
                                                   weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung         Newsletter
   Der Fall Go Sherab Gyatsos ist Teil eines       ausüben.                                              Die International Campaign for Tibet
besorgniserregenden Repressionsmusters in                                                                versendet regelmäßig per E-Mail aktu-
Tibet, mit dem die chinesischen Behörden                                                                 elle Informationen über Tibet und die
rücksichtslos abweichende Meinungen oder                                                                 Arbeit der ICT.
unabhängiges Denken verfolgen. Go Sherab                    Mehr Informationen:
Gyatso muss sofort freigelassen werden, weil          Schreiben der                                      https://savetibet.de/newsletteranmeldung/
er nichts anderes getan hat, als friedlich seine      UN-Sonderberichterstatter
Meinung zu äußern. ICT fordert die internatio-        an die chinesische Regierung:
nale Gemeinschaft, Regierungen und Parla-             https://bit.ly/2SGoDUF
mente auf, seinen Fall öffentlich bei der chine-
sischen Regierung anzusprechen.“                   Impressum                 TIBET360°
   Go Sherab Gyatso wurde am 26. Oktober
                                                   Herausgeber:                       V. i. S. d. P.: Kai Müller
2020 in Chengdu, Provinz Sichuan, von              International Campaign for Tibet
Beamten der so genannten Autonomen                 Deutschland e. V.                  Stand: 12. Januar 2022
Region Tibet festgenommen. Radio Free Asia         Schönhauser Allee 163
(RFA) berichtete am 12. Dezember 2021,             10435 Berlin                       Druck: Arnold Group, Großbeeren
Gyatso sei in einem geheimen Verfahren ver-
                                                   Tel.: +49 (0) 30 / 2787 9086
urteilt worden. Laut einer Quelle von RFA wird     Fax: +49 (0) 30 / 2787 9087
Gyatso demnächst in ein Gefängnis in der           info@savetibet.de
                                                   www.savetibet.de
TIBET360 - Zivilgesellschaft fordert konsequente Menschenrechtspolitik
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