Tiroler Ärztetage 2021 - "Wenn's in die Hose geht" Inkontinenz und Beckenbodenschwäche

Die Seite wird erstellt Richard Schulz
 
WEITER LESEN
Tiroler Ärztetage 2021 - "Wenn's in die Hose geht" Inkontinenz und Beckenbodenschwäche
Jakob Limbach - 25.09.2021

       „Wenn‘s in die Hose geht“
Inkontinenz und Beckenbodenschwäche
           bei Frauen und Männern
       Ursachen, Diagnostik und Therapie

         Tiroler Ärztetage 2021
Tiroler Ärztetage 2021 - "Wenn's in die Hose geht" Inkontinenz und Beckenbodenschwäche
Grundproblem

 Tabuthema → Schamgefühl

Unwissen ↔ „der informierte Patient“

Erdulden ↔ Wunsch nach Lebensqualität
Tiroler Ärztetage 2021 - "Wenn's in die Hose geht" Inkontinenz und Beckenbodenschwäche
Grundproblem
                „Es existiert oft die Überzeugung,
            dass Inkontinenz ein normaler Bestandteil
            des Alterungsprozesses sei und deswegen
               eine Behandlung weder notwendig
                  noch Erfolg versprechend sei.“
                          Deutsches Ärzteblatt 2015

         Falsche Vorstellungen und Vorurteile erschweren
             die sachgerechte Versorgung Betroffener
                 und eine erfolgreiche Prävention
                          Robert-Koch-Institut 2007
Tiroler Ärztetage 2021 - "Wenn's in die Hose geht" Inkontinenz und Beckenbodenschwäche
HI - Definition

       Jeder einzelne Tropfen!
              • Definition der International Continence Society (ICS):
                    • „Urinary incontinence is the complaint
                     • of any involuntary leakage of urine.“
                                  •   Abrams et al., 2002
Tiroler Ärztetage 2021 - "Wenn's in die Hose geht" Inkontinenz und Beckenbodenschwäche
POP - Definition

Beckenbodeninsuffizienz / Deszensus genitalis / Pelvic organ prolapse (POP):
              Lageveränderung von Uterus und/oder Vagina
    mit bzw. ohne Einbeziehung der unteren Harnwege, des Dünn- oder
                               Enddarmes,
                       mit bzw. ohne Symptomatik
Tiroler Ärztetage 2021 - "Wenn's in die Hose geht" Inkontinenz und Beckenbodenschwäche
HI - Epidemiologie
Tiroler Ärztetage 2021 - "Wenn's in die Hose geht" Inkontinenz und Beckenbodenschwäche
HI - Epidemiologie

Über 1 Million Menschen in Österreich sind harninkontinent!

Prävalenz bei Frauen:             Prävalenz bei Männern:

26% aller Frauen in Ö (20 – 86)   ca. 5 % in Ö
Temml et al., 2000                Wehrberger, 2009
Tiroler Ärztetage 2021 - "Wenn's in die Hose geht" Inkontinenz und Beckenbodenschwäche
HI - Epidemiologie

     Robert-Koch-Institut 2007
Tiroler Ärztetage 2021 - "Wenn's in die Hose geht" Inkontinenz und Beckenbodenschwäche
HI - Epidemiologie
Harninkontinenz in Pflegeheimen und KH

                                 Nußbaumer, 2010
Tiroler Ärztetage 2021 - "Wenn's in die Hose geht" Inkontinenz und Beckenbodenschwäche
POP - Epidemiologie
Prävalenz Deszensus:
POP - Epidemiologie
 Geburtenabhängigkeit Deszensus:

                                   Belastungsinkontinenz
                                   (Mant 1997)

                                   Genitaldeszensus
                                   (Rorveit 2003)

                                   Stuhlinkontinenz
                                   (McKinnie 2005)

               Anzahl Geburten
POP - Epidemiologie
Lifetime OP-Risiko Deszensus:
Klassifikation: Inkontinenz-Formen

         Belastungsinkontinenz                             Dranginkontinenz
                                   Mischinkontinenz
          (Stressinkontinenz)                              (Urgeinkontinenz)

                                    Inkontinenz bei
                                 chronischer Retention   Extraurethrale
            Reflexinkontinenz
                                 (Überlaufinkontinenz)    Inkontinenz
Klassifikation: Stadieneinteilung der Belastungsharninkontinenz nach Ingelmann-Sundberg / Stamey

Grad 1:
Inkontinenz beim Husten, Niesen

Grad 2:
Inkontinenz bei abrupten Körperbewegungen, beim Aufstehen,
Hinsetzen

Grad 3:
Inkontinenz bei unangestrengten Bewegungen, im Liegen
Syndrom der überaktiven Blase (overactive bladder - OAB)

Symptomkomplex charakterisiert durch schwer unterdrückbaren
Harndrang mit oder ohne Inkontinenz

Urge führt zu erhöhtem Sturzrisiko und Frakturen bei älteren Patienten
Brown, 2000
POP - Klassifikation
HI – Risikofaktoren I
Schwangerschaft / (Multi-)Parität
Vaginale Geburten
Geburtsgewicht > 4000g
Alter
Adipositas
Z.n. Hysterektomie
COPD
Diabetes mellitus
Herzinsuffizienz
Multiple Sklerose
Z.n. Beschneidung / Genitalverstümmelung
Familiäre Häufung
HI – Risikofaktoren II
Z.n. Prostata-OP
Z.n. Radiatio
Diuretika
ß-Blocker
Cholinergika
Digitalis
Prostaglandine
ACE-Hemmer
Benzodiazepine
Alpha-Sympatikomimetika
Muskelrelaxantien
HI – Risikofaktoren III

                  Inkontinenz beim Sport:

                    kein erhöhtes Risiko
               für behandlungsbedürftige HI
                     im späteren Leben
HI - Diagnostik

                   Tabuthema !

      Sprechen Sie Ihre Patienten aktiv an !
Inkontinenzanamnese
•   Seit wann? Wie häufig?
•   Tageszeitabhängig?
•   Unbemerkt oder dranghaft?
•   Situationsabhängig?
•   Intensität (Tröpfchenweise, im Strahl)?
•   Anzahl der Vorlagen?
•   Leidensdruck !!
POP - Symptome

Harninkontinenz
Überaktive Blase (OAB-Syndrom)
Blasenentleerungsstörung
Stuhlinkontinenz bzw. –Entleerungsstörung
Vaginales Füllungsgefühl
Kohabitationsprobleme
Unterbauchschmerzen
Tiefe Rückenschmerzen
Anamnese
Allgemeine Anamnese:                   Miktionsanamnese:
Alter                                  Frequenz Tag / Nacht
Geburten (wie viele, Dammriss, etc.)   Trinkmenge
Vorerkrankungen                        Blasenfüllungsgefühl: Harndrang?
    Urologisch                         Blasenentleerungsgefühl: Restharn?
    Gynäkologisch                      Entleerung: Bauchpresse?
    Neurologisch                       Harnstrahl-Stärke, Unterbrechungen
    Kardiovaskulär                     Dysurie
Vor-OPs                                Haematurie
Medikamente
Miktionstagebuch
Objektivierung der beschriebenen Beschwerden:
Uhrzeit und Menge der
   Flüssigkeitszufuhr
   Entleerungen und des
   Harnverlustes
Angabe von Dranggefühl
Angabe von Vorlagenwechsel
Korrelation mit Trinkmenge
ICIQ-SF-UI
Validierter Inkontinenz-
Fragebogen der ICS:
Wie oft?
Wie ausgeprägt?
Grad der Beeinträchtigung?
Situation?

Leichte Inkontinenz 1-5
Mäßige Inkontinenz 6-10
Starke Inkontinenz > 11
             von 21 Punkten
Harnstatus
Ausschluss von Differentialdiagnosen !

                                         Bei Inkontinenz
                                         häufig Kontamination
                                         → Katheterharn
Sonographie

Restharnmessung (Überlauf !)
Anomalien von Niere, Blase
Tumore im Abdomen oder
Becken
Erweiterte Diagnostik I

    Klinische
    Untersuchung
    Neurologischer
    Status
    Pad-Test
    Beckensonographie
Erweiterte Diagnostik II

Urethrozystoskopie
Urodynamik + Urethradruckprofil
Miktionscystourethrographie
(MCUG)
MR-Defäkogramm
Therapie der Belastungsinkontinenz
  Konservativ
     • Toilettentraining
     • Beckenbodengymnastik
     • Biofeedback
     • Elektrostimulation

  Medikamentös
    • Duloxetin
    • Östrogen

  Operative Therapie
Toilettentraining
Toilettengang vor Eintreten von
Drang oder Blasenfüllung nach
einem Zeitplan
Rhythmus alle 2 -4 h (Verlängerung
des Intervalls im Verlauf)
Übernahme von
Eigenverantwortung
Kontrolle durch Miktionsprotokoll
Beckenbodengymnastik

 Nach Arnold H. Kegel (1894–1981)
 Stärkung der Muskulatur des
 Beckenbodens
 Verbesserung der Wahrnehmung
 Effekt auf fast-twitch Muskulatur
 Im Vergleich zu keiner Therapie
 signifikante Besserung der Inkontinenz und
 Lebensqualität Cochrane Review, 2010
Biofeedback
Biofeedbackgeräte
•                 messen die Muskelkraft
des
• Beckenbodens über eine vaginal oder rektal
eingeführte Sonde und geben akustische oder
optische Rückmeldung.

fragliche Überlegenheit
gegenüber dem BB-Training
Erfolgsrate zwischen 36
und 85 %
Elektrostimulation
Zur Stärkung des Beckenbodens
• Elektrode vaginal oder rektal
• Stimulation der Beckenbodenmuskulatur
• Hochfrequente Elektrostimulation:
   passive Form des Muskeltrainings für Patientinnen
   ohne willkürliche Beckenboden-Motilität
• Erfolgsrate zwischen 46 und 85 %

Niederfrequente Elektrostimulation:
   zur Behandlung der Drangkomponente
Intraurethrale Injektionstherapien
Injektion von „bulking agents“ in die
Harnröhrenschleimhaut

Erhöhung des Auslasswiderstandes
    Kollagen
    Teflon
    Fett
    Macroplastique
Weniger wirksam als operative
Therapien
Vorteil gegenüber konservativen
Therapien nicht erwiesen
Vaginale Laserbehandlung IncontiLase®

                          • IncontiLase treatment:
                          90˚ angular golden-miror titanium adapter

                          • IntimaLase treatment
                          360˚ circular golden-mirror titanium adapter

                          • Laser speculum
Er:Yag Laser Prinzip
Suburethrale Schlingen-OP (TVT)
Spannungsfreie Bänder
• Pathomechanismus:
    • Reduktion der Hypermobilität der
      Harnröhre und Hiatus urogenitalis
    • I.d.R. ohne Erhöhung des
      Auslasswiderstandes
• 30 min OP
    • Inzision Scheidenvorderwand + 2
      kleine Hautschnitte
    • Präparation lateral der Harnröhre
      zum Beckenboden
    • Tunnelung zur Hautinzision
    • Band legt sich wie Hängematte
      um Harnröhre
Kolposuspension nach Burch
•
•

          Das paravaginale Gewebe wird an das Lig. ileopectineum mit Matratzennähten
          fixiert. Die Burch Kolposuspension kann auch laparoskopisch mit weniger
          Nebenwirkungen durchgeführt werden, die Erfolgsrate ist jedoch etwas geringer
          (Dean u.a., 2006).
Operationen bei Descensus
Ohne alloplastische Implantate:

                                  Vaginaefixatio sacrospinalis
     Kolporrhaphia anterior
                                  OP nach Amreich-Richter
Operationen bei Descensus
                 Mit alloplastischen Implantaten:

    6-Arm Netz                     Single-incision Netz   (Laparoskop.) Sakrokolpopexie
Risiken durch Netzimplantation
SCENIHR - Empfehlungen
Vaginale Netzimplantation nur bei komplexen Fällen, d.h.
    • bei Therapieversagern oder
    • wenn bei allen anderen Optionen ein Therapieversagen zu erwarten ist (z.B. Eigengewebe
      insuffizient, fehlende apikale/laterale Fixation)

Netzgröße/-fläche/-gewicht so klein wie möglich wählen

Etablierung von Zertifizierungs-Systemen für Operateure durch die Fachgesellschaften

Ausführliche, patientenorientierte und systematisierte Aufklärung
Suburethrale Schlingen für Männer
                           Advance-Band

                       • Unterstützung der
                         Sphinkterfunktion durch
                         Repositionierung der prox.
                         Harnröhre

                       • Bei milder bis moderater
                         Inkontinenz

                       • Erfolgsrate 77% (no pad)
AMS800 „Scott“-Sphinkter
Seit 35 Jahren!
Künstliche Harnröhren-Sphinkter
Komponenten:
Harnröhren-Cuff + Kontroll-Pumpe + druckregulierender Ballon
Vorteil:
hohe Erfolgsrate bei Inkontinenz jeder Ausprägung
Nachteile:
manuelle Geschicklichkeit und intellektuelle Einsicht des Pat. erforderlich
Komplikationen:
Harnröhrenarrosion
                                                     Explantation 20-30%
Mechanische Defekte (Re-OP-Rate 1x alle 5-7 a)
Infektion
Medikamente bei Dranginkontinenz
Anticholinergika:                     Nebenwirkungen:
→ Hemmung der                         • Mundtrockenheit (häufigste NW)
Kontraktionsfähigkeit des Detrusors
                                      • Sehstörungen
                                      • Müdigkeit
• Tolterodin = Detrusitol®
                                      • Tachykardie
• Oxybutynin = Ditropan®
                                      • Obstipation
• Trospiumchlorid = Inkontan®
                                      • Delir/Demenz (alte Pat.)
• Propiverin = Mictonorm®
• Solifenacin-Succinat = Vesicare ®
Mirabegron - Betmiga®
Zulassung bei Überaktiver Blase durch
EMA 2013
Beta3-Agonist
Wirkt relaxierend auf
Detrusormuskulatur
Keine Mundtrockenheit,
Kopfschmerzen, Obstipation
UAW: Tachykardie, HWI, RR
Entgleisung
Botox-Detrusor-Injektionstherapie
Neurotoxin – blockiert
Signalübertragung an
neuromuskulärer Endplatte

100 - 300 IE Botox / Dysport

Injiziert in Detrusormuskulatur (10 –
30 Stellen)

Direkte anticholinerge Wirkung

Wirkung hält bis 9 Monate

Wiederholte Anwendung möglich
Sakrale Neurostimulation

Dauerimplantat
Elektrodenimplantation an sakrale
Nervenwurzeln
Nach Testphase Implantation eines
„Schrittmachers“
Modulation des Reflexbogens
   • Hemmung des Detrusors bei OAB
   • Getriggerte Blasenentleerung bei
     Hypotoner Harnblase
Dauerharnableitung
Dauerharnableitung bei mit anderen Mitteln nicht beherrschbarer Inkontinenz:

Strenge Indikationsstellung:
    • Chron. Hautirritation
    • Dekubitus oder frische OP-Wunden
    • Rezid. Harnwegsinfektionen durch HI
    • HI kombiniert mit anderen Erkrankungen, die eine Dauerableitung erfordern (rezid.
      Harnverhalte, Überlaufblase, etc.)

Ein intermittierender Katheterismus oder eine Windelversorgung ist grundsätzlich einer
Dauerharnableitung vorzuziehen!
Dauerharnableitung
Komplikationen:
  • Harnwegsinfektionen
       • Fieberhafte HWI und Pyelonephritiden können lebensbedrohlich sein oder zur
         Niereninsuffizienz führen
       • Häufiger Antibiotika-Einsatz führt zwangsläufig zu multiresistenen Keimen
  •   Harnröhrenverletzung mit Strikturbildung
  •   Blutung (Insbesondere bei oraler Antikoagulation)
  •   Allergische Reaktion auf Latexkatheter
  •   Blasenkrämpfe
  •   Steinbildung
  •   Verstopfung, Dislokation
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
Sie können auch lesen