Total verbohrt - Österreichischer ...

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           verbohrt

46 / bergundsteigen #115 / sommer 21
Total verbohrt - Österreichischer ...
Franziska Haack ist freie Journalistin mit Basislager in München und beschäftigt sich beruflich wie privat am liebsten mit bzw. in den Bergen.
Sicherheitsstandards, genormtes Material und der Boom des Outdoorsports haben
dazu geführt, dass Sportklettern heute Breitensport statt Subkultur ist. Doch mit
den Menschenmengen steigen Konfliktpotenzial und Nutzungsdruck auf die Natur.
Vielerorts drohen Gebietssperrungen. Beim Eröffnen neuer Routen sind daher Dia-
log und Rücksichtnahme angesagt. Statt auf juristisches Halbwissen zu vertrauen,
sollten Erschließerinnen und Erschließer die Rechtslage kennen und vorab mit den
Regionalvertretern der Kletterverbände sowie mit den zuständigen Behörden und
den Grundbesitzern sprechen.

Von Franziska Haack

Eine kompakte Wand mit vielen schönen           land. Das Betretungsrecht, das in diesen
Linien und nur zwei, drei Routen mit alten      drei Ländern zugunsten von Naturschutz,
Schlaghaken drin. Ein Traum für Erschließer.    Jagd oder anderen Interessen eingeschränkt
Aber ist es erlaubt so nah an der Gemeinde      werden kann, umfasst bei einzelnen Routen
neue Kletterrouten zu eröffnen? „Als ich vor    auch das Setzen von Haken, da diese zur
acht Jahren das erste Mal vor diesen Felsen     persönlichen Absicherung gegen Absturz
in der Nähe von Gramais stand, hatte ich        nötig sind.
noch keine Ahnung von den ganzen Re-
geln“, erzählt Marvin Kärle aus Tirol. Statt    Anders ist die Lage in Südtirol. Hier gibt
sich in Gesetze, Regelungen und Verordnun-      es kein Recht auf Betreten der freien Natur.
gen zu vertiefen, wandte er sich zunächst       Deshalb müssen Erschließerinnen immer
anderen Felsen im Lechtal zu und vergaß         zuvor die Grundeigentümer, häufig Berg-
das Projekt in Gramais. „Im Klettergarten       bauern, kontaktieren und mit ihnen eine
Steeg wird bereits seit den 70er-Jahren ge-     schriftliche Grundnutzungsvereinbarung
klettert. Aber es ist noch viel Raum für neue   abschließen, die einen Halter und somit
Touren. Hier haben wir nach und nach            Haftenden benennt und konfliktträchtige
Routen erschlossen und auch viele bereits       Punkte wie Parken, Zustieg und gegeben-
bestehende saniert.“ Mit der Gemeinde           enfalls Toiletten regelt. Der AVS hat hierfür
sprachen Marvin und seine Freunde vorher        eine Vorlage mit dem Südtiroler Bauern-
nicht, sie verließen sich auf die Abmachun-     bund erarbeitet (für Infos und Unterstüt-
gen, die andere Kletterer irgendwann ein-       zung: bergsport@alpenverein.it).
mal mündlich gemacht haben.

b        Betretungsrecht: das „Gehen
         mit Händen“ in der freien Natur

Prinzipiell fällt in Österreich, Deutschland
und der Schweiz das Erschließen einzelner
Kletterrouten, ob in einem gewachsenen
Klettergarten oder an einem bislang unge-
nutzten Fels, unter das freie Betretungs-
recht. Die genaue Rechtslage unterscheidet                                                      Klasse statt Masse: Bergführer
sich nicht nur zwischen den Ländern, son-                                                       Marvin Kärle legt Wert auf Sorgfalt
                                                                                                                                       | unsicherheit

dern teils auch von Bundesland zu Bundes-                                                       beim Erschließen. Foto: Marvin Kärle

                                                                                                                                         47
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Um Auseinandersetzungen zu vermeiden,           stimmung des Waldeigentümers. Wie sich
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               Der DAV befindet sich derzeit in einer   raten aber auch die alpinen Vereine1 und        Kontaktaufnahme und Vereinbarung konkret
          Arbeitsphase, in der umfangreiche Fragen      Kletterverbände der Länder mit freiem Be-       gestalten, hängt von der Region ab. Wäh-
         zum Thema Recht, Haftung, Raumplanung,         tretungsrecht, vor einer Erschließung immer     rend in den Schweizer Voralpen und dem
        Bohrhakentechnik u. a. geklärt und nach ak-     die regionalen Vertreter der Kletterverbände    Basler Jura Klettergärten meist etwas älter
          tuellem Stand beantwortet werden sollen.      und die Grundeigentümer zu kontaktieren.        sind und informelle Abmachungen bevor-
                                                        Denn bei einer guten Wand müssen sie            zugt werden, empfiehlt der ÖAV eine schrift-
                                                        damit rechnen, dass es nicht bei einer Route    liche Vereinbarung mit einer Klausel, die
                                                        bleibt, weil andere Kletterinnen weitere Tou-   den Eigentümer vor Haftung und Klage
                                                        ren erschließen werden und ein möglicher-       schützt. Im Schadensfall haften zu müssen,
                                                        weise gut besuchter Klettergarten entsteht.     ist oft die größte Sorge der Grundeigentü-
                                                        Wurden Parksituation und Zustiege nicht         mer. Mit einem Vertrag kann man sie aus-
                                                        vorher mit dem Grundeigentümer abgeklärt,       räumen. Ein Sonderfall in Deutschland sind
                                                        sind Konflikte vorprogrammiert.                 Steinbrüche. Diese gehen erst mit dem
                                                                                                        Ablauf der Abbaugenehmigung wieder in
                                                        Richtet ein einzelner Kletterer einen ganzen    die freie Natur über, davor trägt der Betrei-
                                                        Klettergarten ein, ist in Österreich immer      ber die Verkehrssicherungspflicht – auch
                                                        die Zustimmung des Eigentümers nötig, wie       für Bereiche, in denen aktuell nichts mehr
                                                        das Oberlandesgericht Linz und der Oberste      abgebaut wird. Teils schließen Vereine
                                                        Gerichtshof (OGH) in Wien an einem Präze-       Verträge über eine klettersportliche Nutzung
                                                        denzfall festgestellt haben: Das Anlegen von    in diesen Bereichen ab und übernehmen
     Auch Zustiegswege (und die Parksituation)          44 Kletterrouten und Einschlagen von 500        damit die Verkehrssicherungspflicht. Je
     sollten schon beim Erschließen mitbedacht          Bohrhaken in nur einer Felswand stelle eine     nach Historie des Steinbruchs gelten unter-
        werden. Führen sie durch Schutzgebiete          über § 33 Abs. 1 Forstgesetz hinausgehende      schiedliche Regeln, die vor Erschließungen
           oder über Privatgrund? Foto: Wolfgang Ehn    Benutzung dar und bedürfe daher der Zu-         abzuklären sind.

                                                                Betretungsrecht
                                                                In Österreich erlaubt Paragraf 33 des Forstgesetzes zu Erholungszwe-
                                                                cken allen den freien Zutritt zu Waldgebieten – auch zu den darin lie-
                                                                genden Felsen. Den Zutritt zum alpinen Ödland gestatten wiederum
                                                                verschiedene Landesgesetze, meist mit Ausnahme von Weideflächen.
                                                                In Tirol und Niederösterreich, wo es keine entsprechenden Gesetze gibt,
                                                                beruft man sich auf das Gewohnheitsrecht.

                                                                In Deutschland garantieren das Bundesnaturschutzgesetz und das Bun-
                                                                deswaldgesetz die Erholung in der freien Landschaft und auf Waldflä-
                                                                chen, wozu auch sportliche Betätigung zählt (§ 59 und § 7 Nr. 3
                                                                BNatSchG, § 14 Abs. 1 BWaldG), die Landesgesetze können dies aller-
                                                                dings durch ein Wegegebot einschränken oder in Wildschutzgebieten
                                                                generell verbieten. In Baden-Württemberg wird aus der Biotopschutz-
                                                                Klausel des Naturschutzgesetzes ein allgemeines Kletterverbot mit Er-
                                                                laubnisvorbehalt abgeleitet (§ 30 BNatSchG).

                                                                Die Schweizer Gesetze sehen ein allgemeines Zutrittsrecht zu Wald und
                                                                unproduktivem Land vor (Schweizerisches Zivilgesetzbuch Art.6991,
                                                                BGWald Art. 141), das durch Behörden eingeschränkt werden kann.

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                                               einen Halter oder Betreiber, der für Einrich-
         Klettergarten ist nicht gleich        tung und Wartung zuständig ist. Der Großteil
         Klettergarten                         der österreichischen Klettergärten ist bei-
                                               spielsweise zunächst natürlich gewachsen,
Aber ab wann handelt es sich überhaupt um      wurde aber irgendwann von einem Verein
einen Klettergarten? Felsen gelten üblicher-   oder Tourismusverband saniert und gilt nun
weise als Klettergarten, wenn sich dort meh-   als eingerichteter Klettergarten der jeweili-
rere Touren in geringem Abstand befinden,      gen Organisation. Ähnlich ist es in Südtirol:
als Richtwert schlägt der ÖAV circa zehn       97 von 150 Klettergärten sind offizielle Klet-
Routen mit Abständen von drei bis fünf Me-     tergärten, von denen über die Hälfte vom
tern vor. Weitere Merkmale eines Klettergar-   AVS betrieben werden. Für einen Teil schei-
tens sind Nähe zur Zivilisation und das        nen Tourismusverbände als Betreiber auf
weitgehende Fehlen alpiner Gefahren. Über      oder es sind historisch gewachsene Kletter-
einen langen Zeitraum und durch verschie-      gärten auf öffentlichem Grund. Dem AVS
dene Kletterinnen und Kletterer erschlos-      sind – auch mit Blick auf die Haftung – ko-
sene Klettergärten, wie beim Klettergarten     ordinierte Strukturen wichtig. „Wir wollen
Steeg, bezeichnet man als (natürlich) ge-      nicht überall neue Routen, sondern dass
wachsenen Klettergarten. Davon abzugren-       sich die Erschließer hinterher auch küm-
zen sind eingerichtete also ad hoc             mern. Wildwuchs ist nicht förderlich”, sagt
erschlossene Klettergärten, die gezielt und    Stefan Steinegger, Sachbearbeiter Bergsport
planvoll in kurzer Zeit von einem Verein,      und Ausbildung beim AVS. In der Schweiz
Tourismusverband, einer Gemeinde oder          sind es vereinzelte Ausnahmen, wenn ein          In Österreich, Deutschland und der
Privatperson eingerichtet worden sind und      Verein, eine Gemeinde usw. das Betreiben         Schweiz, nicht aber in Südtirol, gilt gene-
rechtlich anders behandelt werden. Einge-      und somit die Haftung für einen Klettergar-      rell das freie Betretungsrecht der Natur –
richtete Klettergärten haben in der Regel      ten übernehmen.                                  Felsen eingeschlossen. Foto: Wolfgang Ehn

          Haftung
          Generell gilt bei Kletterrouten in allen vier Ländern das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit, das heißt, Klette-
          rer können sich nicht darauf verlassen, dass Haken halten, sondern sind verpflichtet den Zustand selbst zu
          prüfen. Richten Kletterinnen einzelne Routen ein, eröffnen sie damit keinen Weg und haben keine Verkehrs-
          sicherungspflichten. Die Haken dienen schließlich nur dazu ihren eigenen Absturz zu verhindern. Da sie aber
          davon ausgehen müssen, dass auch andere Kletterer die Route begehen werden, sind sie zur Sorgfalt ver-
          pflichtet. Eine regelmäßige Kontrolle ist nicht zumutbar. Anders verhält es sich bei errichteten Klettergärten
          in Österreich. Hier haben Halter oder Gebietsbetreuer Verkehrssicherungspflichten für Kletterrouten und Zu-
          stiege, sofern dies nicht vertraglich ausgeschlossen wurde. Sonderfälle mit erhöhter Sicherungspflicht sind
          kommerzielle Nutzung von Klettergärten oder die explizite Bewerbung als besonders gut abgesichert. In der
          Schweiz, Österreich und Deutschland hat der Grundeigentümer keine Haftungspflichten, unabhängig davon,
          ob er das Klettern duldet oder gar nichts davon weiß. Der österreichische Oberste Gerichtshof hat dies im
          Rechtsstreit nach einem Unfall durch einen ausgebrochenen Bohrhaken an der Mizzi-Langer-Wand fest-
          gestellt. Die Grundeigentümerin sei nicht verpflichtet, den Zustand der Felswand zu überprüfen (Eigenverant-
          wortung). Dennoch empfiehlt der ÖAV schriftliche Vereinbarungen zur Schad- und Klagloshaltung der
          Eigentümer. In Südtirol muss möglicherweise die Grundeigentümerin haften, falls es keinen Betreiber gibt.

          Alpenvereine und Tourismusverbände schließen Haftpflichtversicherungen für die Betreiber ihrer Klettergär-
          ten ab. Da das Halten von Klettergärten in der Haftpflicht der Alpenvereine inkludiert ist, befürworten sie,
          dass Sektionen Halter von Klettergärten werden.
                                                                                                                                              | unsicherheit

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Österreich                    Deutschland                        Schweiz                 Südtirol

       Freies Betretungsrecht Ja                                 Ja                                 Ja                      Nein

       Grundbesitzer               Haftet nicht.                 Haftet nicht.                      Haftet nicht. Sollte    Haftet möglicherweise,
                                   Sollte kontaktiert werden     Sollte kontaktiert werden.         kontaktiert werden.     falls kein Betreiber. Muss
                                                                                                                            kontaktiert werden.

       Prinzip Eigenverant-        Ja                            Ja                                 Ja                      Ja
       wortlichkeit                Bei errichtetem Klettergar-   In Einzelfällen (z. B. Steinbrü-
                                   ten hat Betreiber die Ver-    chen) hat der Betreiber die
                                   kehrssicherungspflicht.       Verkehrssicherungspflicht.

       Naturschutzgebiete/         Bewilligungspflicht           Abhängig vom Bundesland            Bewilligungspflicht,    Bewilligungspflicht
       Nationalparks                                             und Schutzziel bewilligungs-       im Nationalpark ver-
                                                                 pflichtig oder verboten            boten

     Ein paar Jahre nachdem Marvin Kärle das          baren Rahmen ausüben. Die österreichische          zu finden, wo es keine Bedenken von Seiten
     erste Mal vor der vielversprechenden Wand        Rechtsprechung verlangt beispielsweise             des Naturschutzes gibt“, sagt Sebastian. Auf
     in Gramais gestanden hatte, begannen er          einen Kontrollgang pro Jahr. Wobei die Anfor-      wenig Raum kommen zu viele Interessens-
     und ein Kollege schließlich doch mit der Er-     derungen mit kommerziellem Interesse stei-         gruppen zusammen: Naturschützer, Jäger,
     schließung. „Der Kollege hat sich informiert,    gen, etwa wenn der Klettergarten zu einer          Förster und zunehmend mehr Wanderer,
     mit der Gemeinde gesprochen und als zu-          Hütte oder Seilbahn gehört oder ein Bergfüh-       Mountainbiker und eben Kletterer.
     künftiger Halter einen Vertrag mit dem           rer ihn für Kurse nutzt.                           Um das Thema Naturschutz vorab abzuklä-
     Grundeigentümer unterzeichnet, dann              Ob es sich um einen eingerichteten Kletter-        ren, sollte man unbedingt die Regionalver-
     haben wir nach und nach Routen einge-            garten handelt und vor dem Erschließen der         treter von Alpenverein oder IG Klettern
     bohrt“, erzählt Marvin, der mittlerweile die     Halter kontaktiert werden muss, ist oft an         kontaktieren. Diese sind gut mit den lokalen
     Ausbildung zum Bergführer absolviert und         der Beschilderung zu erkennen. Tourismus-          Naturschutzbehörden vernetzt und spre-
     in den letzten Jahren um die 50 Sportkletter-    verbände oder alpine Vereine stellen in            chen gegebenenfalls mit den zuständigen
     routen erschlossen hat. Obwohl sie mit der       ihren Klettergärten, natürlich gewachsen           Stellen. Auch hier unterscheiden sich die
     Genehmigung der Gemeinde nun den gan-            oder nicht, Schautafeln mit Topos und Ver-         Regeln von Land zu Land. In Österreich gibt
     zen Felsen auf einmal erschließen könnten,       haltenshinweisen auf. Gibt es keine Tafeln         es – abgesehen von Oberösterreich und Vor-
     wollte Marvin es langsam angehen. Der Klet-      sollten sich Erschließerinnen bei den loka-        arlberg – außerhalb von Naturschutzgebie-
     tergarten soll trotzdem natürlich wachsen.       len Kletterern durchfragen. „Normalerweise         ten und Sonderstandorten keine allgemeine
     „Da geht es auch um die Qualität der Tou-        kommt man ja nicht gleich mit der Bohr-            Bewilligungspflicht für Klettergebiete durch
     ren. Ich will nicht einfach zehn Haken in die    maschine in der Hand in ein neues Gebiet.          die Naturschutzämter. Dennoch wird eine
     Wand hauen, sondern die schönsten natürli-       Sondern man ist zunächst als Kletterer da,         Abklärung empfohlen. Eine Bewilligung kann
     chen Linien finden.“ Dass er Haken von           sieht dann eine interessante neue Linie,           nötig sein, wenn in der Gegend seltene
     unten einbohrt, um die beste Position zu         kommt mit den Locals ins Gespräch und              Arten vorkommen, Felsen, Zustiegswege
     finden, die Route ordentlich putzt, selbst       kann so die Möglichkeiten für Neuerschlie-         oder Parkplätze in der Nähe von Seen und
     klettert und erst dann freigibt, ist für den     ßungen ausloten“, sagt Sebastian Weiß.             Flüssen (500 bzw. fünf Meter Abstand) oder
     Kletterer eine Selbstverständlichkeit.                                                              in Sonderstandorten wie Feuchtgebieten
                                                                                                         und Auenwäldern liegen. Sogar ein längerer

                                                      e
     Marvin Kärle und der Halter des Klettergar-                                                         Zustieg oder ein größerer Parkplatz können
     tens haben eine vertrauensvolle Beziehung,                  Ein Regelungsdschungel für              eine Bewilligung erfordern. Eine Erschließung
     daher fragt er seinen Kollegen nicht vor jeder              den Naturschutz                         in Nationalparks, Natur- und Landschafts-
     Neutour um Erlaubnis. Fremde müssen das                                                             schutzgebieten ist in Österreich möglich,
     schon. Denn in eingerichteten Klettergärten      Der Münchner Kletterer hat verschiedene            muss aber jedenfalls genehmigt werden.
     haften die Halter auch für die Installationen    Alpintouren wie Sportkletterrouten in den
     anderer. Ihre Kontroll- und Verkehrssiche-       Bayerischen Alpen erschlossen und feststel-        In der Schweiz ist das Klettern in Natur-
     rungspflichten müssen die Halterinnen in         len müssen, wie begrenzt die Möglichkeiten         schutzgebieten oft auf bestehende Sektoren
     Österreich wie auch in Deutschland, Südtirol     für neue Touren in den Voralpen sind. „Es ist      oder bestimmte Zeiten beschränkt, auch in
     und der Schweiz aber nur in einem vertret-       schwer hier noch unerschlossene Gebiete            Wildruhezonen und Jagdbanngebieten kann

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Total verbohrt - Österreichischer ...
Felsen samt Geröllhalden und Felsköpfen
                                                                                                   sind sensible Biotope, in denen extrem
                                                                                                   angepasste Arten wie die Mauereidechse
                                                                                                   leben. Foto: DAV/S. Reich

es (saisonale) Verbote geben. Wildruhezo-        In Deutschland fallen die Naturschutz-
nen und deren Bestimmungen können im             gebiete unter das jeweilige Länderrecht.
Portal www.map.geo.admin.ch (im Suchfeld         Dieses kann das Verlassen der Wege gänz-
Wildruhezonen eingeben) eingesehen wer-          lich verbieten oder wie etwa in Bayern
den. „Neuerschließungen sind in solchen          grundsätzlich erlauben, wobei der Zugang
Gebieten viel schwieriger, jedoch nicht un-      je nach Schutzzweck eingeschränkt werden
möglich. Hier muss zwingend Kontakt mit          kann. Die Länder sind auch für die Umset-
dem verantwortlichen Jagdaufseher, Förster       zung der EU-Richtlinien zum Schutzgebiete-
oder wer auch immer für die saisonale Ein-       netz Natura 2000 zuständig, je nach zu
schränkungen verantwortlich ist, aufgenom-       schützender Art gelten verschiedene Be-
men werden“, sagt Bruno Hasler,                  stimmungen. Besondere Bedeutung für das
Bereichsleiter Ausbildung und Sicherheit         Klettern haben die nach Paragraf 44
beim SAC. „In den meisten Gebieten in der        BNatSchG streng geschützten Vogelarten
Schweiz muss das Klettern nicht offiziell be-    Uhu und Wanderfalke – wieder mit regiona-
willigt werden. Zwischen bestehenden             len Unterschieden. In Bayern, besonders in
Routen neue zu erschließen ist weniger pro-      Franken, gibt es flexible Sperrzeiten für Brut-
blematisch, als den Klettergarten zu erwei-      felsen, in Baden-Württemberg hingegen
tern oder einen neuen zu eröffnen.“ Letztlich    werden die Felsen für festgelegte Zeiträume
muss jedoch jeder Klettergarten einzeln be-      gesperrt. Generell ist die Vogelbrut beim Er-
urteilt werden. Im Schweizer Nationalpark        schließen unbedingt zu beachten, denn die
im Unterengadin/Münstertal ist Klettern ge-      Störung des Brutgeschäfts kann strafrecht-
nerell verboten.                                 liche Konsequenzen nach sich ziehen. Der
                                                 DAV hat den Anspruch, dass alle außeralpi-
In Südtirol ist für Erschließungen in Natur-     nen Klettergebiete von einer seiner Sektio-
parks und im Nationalpark Stilfserjoch das       nen oder einem anderen Verein betreut
schriftliche Einverständnis der Verwalter        werden. Die Gebietsbetreuer sind für die
nötig, was einen gewissen bürokratischen         Umsetzung der Strategien zu naturverträg-
Aufwand erfordert, da neben Grundbesit-          lichem Klettern verantwortlich und können
zern alle beteiligten Institutionen, also bei-   auch bei Fragen zu Neuerschließungen hel-
spielsweise auch Jäger, zustimmen müssen.        fen (zu finden unter www.felsinfo-alpenver-
Der AVS beschränkte sich in den letzten Jah-     ein.de). Wo nötig erarbeiten sie Kletterkon-
ren daher darauf, in Naturschutzgebieten         zeptionen und stimmen diese mit den Be-
bestehende Klettergebiete offiziell eintragen    hörden ab. Bewährt hat sich die Einteilung
zu lassen und durch Nominierung eines Be-        in drei Zonen (Kletterverbot, Klettern auf
treibers die Kontrollen und Sanierungsmaß-       bestehenden Routen möglich, Neuerschlie-
                                                                                                                                             | unsicherheit

nahmen zu gewährleisten.                         ßung erlaubt).

                                                                                                                                             51
Total verbohrt - Österreichischer ...
m        Mit Respekt und Rücksicht

     Sind Neutouren aus Naturschutzsicht mög-        sorgen können, sollte man sie nicht zu         Literatur
     lich, dies jedoch kein Freifahrtschein, denn    lange hängen lassen. Als letzte Hürde vor
     Felsen sind als letzte von den Menschen         dem Einbohren sind nun noch Stil- und          y Handbuch Klettergarten, Land Tirol,
     unberührte Orte wertvolle Biotope, in denen     Ethikfragen zu klären.                         ÖAV und Climbers Paradise
     extrem spezialisierte Arten leben. Erschlie-    Bereichert diese Route das Angebot und         y Erstbegehungs- und Sanierungs-Charta
     ßer sollten Routenverläufe wählen, bei          bringt sie der Gemeinschaft einen Mehr-        von Felskletterrouten, DAV, ÖAV
     denen der Fels nicht übermäßig geputzt          wert? Welche Hakenabstände sind im ge-         y Tiroldeklaration Artikel 9, Kongress
     werden muss. Felsen regelrecht freizuschä-      wählten Klettergebiet üblich? Kommt die        Future of Mountain Sports
     len oder Risse auskratzen ist nicht im Sinne    geplante Route bereits bestehenden zu          y Klettern und Naturschutz, DAV
     des naturverträglichen Kletterns. Durch Um-     nahe oder kreuzt sie sogar eine Tour, die      y Leitfaden Recht zum Klettern in der
     lenker lassen sich das Betreten empfindli-      dadurch möglicherweise entwertet oder ent-     Natur, DAV
     cher Felsköpfe – der Teil des Felsbiotops mit   schärft würde? Sich vor dem Einbohren mit      y Leitfaden Klettern in Steinbrüchen, DAV
     der vielfältigsten Flora – und das Anlegen      den lokalen Kletterern und Erstbegeherin-      y Mensch Fels Falke, IG Klettern, moun-
     zusätzlicher Abstiegswege umgehen. Wird         nen der Nachbarrouten auszutauschen, ist       tain wilderness Schweiz, SAC, Kletterwelt
     ein Gebiet komplett neu erschlossen, sollte     nicht nur „ein Zeichen des Respekts“, wie      y Neuerschliessungen/Sanierungen von
     man die Zustiegswege am besten in Abstim-       Kletterer Sebastian Weiß sagt. Es verhindert   Kletterrouten und Klettersteigen, SAC
     mung mit Eigentümern und Behörden anle-         auch Streit, böses Blut und eigenmächtiges     y Tiroldeklaration, Punkt 9 – Erstbestei-
     gen und sensible Bereiche wie die Geröll-       (oder vereinbartes) Entfernen von Bohr-        gungen und Erstbegehungen
     halden unter den Felsen möglichst meiden.       haken wie zuletzt wieder im Frankenjura,
     Da Fixseile und Expressen für Projekte unnö-    an den Wendenstöcken oder an der
     tige Aufmerksamkeit erregen und für Ärger       Drusenfluh im Rätikon.                    ■

     Wer noch keine Erfahrung hat, sollte mit
     Sanieren beginnen oder einen Kurs, zum
         Beispiel beim ÖAV, machen. Foto: ÖAV

                                                           Zusammenfassung
                                                           y Abstimmung mit Felsbetreuerinnen: Die gut vernetzten
                                                             Regionalvertreter der Verbände sollten immer kontaktiert
                                                             werden. Sie helfen mit Kontakten und dabei, alle Kon-
                                                             sequenzen (Parkplätze, Zustiege, Andrang) abzuklären.
                                                           y Grundeigentümer: In allen vier Ländern wird empfohlen
                                                             die Eigentümerinnen auch vor dem Erschließen einzelner
                                                             Routen zu kontaktieren. In Südtirol braucht es zwingend
                                                             deren Einwilligung!
                                                           y Haftung: Haben sie nur einzelne Routen eingerichtet,
                                                             haften die Erschließerinnen nicht.
                                                           y Naturschutz: Felsen sind sensible Biotope, die nur rück-
                                                             sichtsvoll erschlossen werden sollten.
                                                           y Naturschutzgebiete: Klettern kann abhängig von Art und
                                                             Ziel des Schutzgebiets verboten sein, in allen Ländern ist
                                                             eine Bewilligung durch die Naturschutzbehörden nötig.
                                                           y Sinnfrage: Neutouren sollten eine Bereicherung – kein
                                                             bloßer Egotrip – sein und der lokalen Kletterethik folgen.

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