Transatlantische Handelspolitik vor, während und nach Trump
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Zeitgespräch DOI: 10.1007/s10273-020-2795-z Gabriel Felbermayr Transatlantische Handelspolitik vor, während und nach Trump Nach den Präsidentenwahlen in den USA steht eine Neu- In den vergangenen vier Jahren fuhren die USA und die ausrichtung der transatlantischen Beziehungen an. Eu- EU einen handelspolitischen Konfliktkurs. Diese Pha- ropa und die USA haben trotz vier politisch schwieriger se folgte drei Jahren intensiver Verhandlungen zu einem Jahre eine starke wirtschaftliche Basis. Gelingt es, die transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP, die zwar schon vor der Trump-Administration existierenden und in vielen Details sehr schwierig verliefen, aber doch sehr die in den vergangenen vier Jahren hinzugekommenen klar den gemeinsamen Wunsch zum Ausdruck brachten, Barrieren abzubauen, sind erhebliche wirtschaftliche Vor- die Weltwirtschaft der nächsten Jahrzehnte nachhaltig teile für beide Seiten zu erwarten, weil das Volumen des transatlantisch zu prägen. Zwischen 2017 und 2020 kam bilateralen Güter- und Dienstleistungshandel so hoch ist. es nicht nur nicht zu gemeinsamen Initiativen, sondern Dies ist umso sinnvoller, weil sowohl die USA als auch es kam zu bitteren gegenseitigen Vorwürfen, zur Verhän- die EU an relativer Bedeutung gegenüber den schneller gung von gegenseitigen Strafzöllen und zur Eskalation wachsenden Schwellenländern, allen voran China, verlie- des schon lange schwelenden Streits um Subventionen in ren und die Volksrepublik einen gesellschaftspolitischen der Flugzeugindustrie. Ansatz vertritt, der in vielerlei Hinsicht schwer mit dem transatlantischen (sprich: westlichen) Gesellschaftsent- Transatlantisches Misstrauen und ein wurf kompatibel ist. Dazu kommt die beiderseitige Über- begrenzter Handelskrieg zeugung, endlich Fortschritte in der Bekämpfung des an- thropogenen Klimawandels zu machen. Schon im Wahlkampf machte Donald Trump klar, dass er als Präsident in all seinem Handeln einen kompromiss- Während der nächsten vier Jahre werden die USA von ei- losen „America First“-Kurs einschlagen würde. Dabei nem Präsidenten regiert, der die geostrategische Heraus- verfolgte er nicht eine Strategie der Maximierung des forderung des Westens versteht. Aber Joe Biden wird hin- Pro-Kopf-Einkommens oder eines anderen am absolu- sichtlich seiner inhaltlichen Schwerpunktsetzung und in ten Wohlergehen der US-Amerikaner*innen orientierten der Wahl der Methoden gegenüber der Europäischen Uni- Maßes, sondern sah sein Ziel vorrangig darin, die relative on ganz anders vorgehen als sein Amtsvorgänger Donald Bedeutung der US-Volkswirtschaft zu verteidigen und aus- Trump. Es ist nun wichtig, dass die EU und ihre Mitglied- zubauen.1 Daher hatten er und seine Unterstützer*innen staaten möglichst konkrete Vorstellungen entwickeln, keine Bedenken, handelspolitische Maßnahmen zu ergrei- welche Projekte gemeinsam mit den USA in den nächsten fen, die den USA schadeten, wenn sie nur in den Volkswirt- Jahren vorangebracht werden sollen, und welchen Preis schaften der Handelsgegner noch größere Schäden ver- sie dafür zu zahlen bereit sind. Dabei geht es einerseits ursachten. Der Fokus auf relative Effekte folgt aus einem um die Aufarbeitung der seit 2017 angesammelten Pro- tiefen Misstrauen hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit bleme, aber auch um längerfristige Projekte, die schon der Handelspartner*innen. Wer stets annimmt, ein auslän- unter Barack Obama diskutiert und in den TTIP-Verhand- discher Handelspartner verwendet die durch Handelsge- lungen adressiert wurden, sowie auch um die großen Zu- winne ermöglichten wirtschaftlichen Spielräume, um dem kunftsthemen wie Klimawandel und neue Technologien, Inland Schaden zuzufügen, z. B. indem Monopole etabliert die dringend eines Ordnungsrahmens bedürfen, der auch werden, der kann Spezialisierung durch Handel nicht gut in der Handelspolitik durchscheinen muss. heißen, selbst wenn damit absolute Vorteile auch für die eigene Volkswirtschaft verbunden sein mögen. Dies hat © Der/die Autor(en) 2020. Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (https:// schon Adam Smith (1776) so gesehen, als er schrieb „… creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) veröffentlicht. defence, however, is of much more importance than opu- Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum lence“, und aus Sorge vor opportunistischem Verhalten der Wirtschaft gefördert. Handelspartner den „Navigation Act“ verteidigte, der hol- ländischen Schiffen das Anlaufen britischer Häfen verbot. Diese auf Misstrauen beruhende Nullsummenlogik erklärt Prof. Gabriel Felbermayr, Ph. D., ist Präsident des manche handelspolitische Maßnahme der US-Regierung Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel und Professor von 2017 bis 2020. In diesen vier Jahren kam es zu einem an der Christian-Albrechts-Universität Kiel. 1 Powell (1991) hat eine Theorie relativer versus absoluter Gewinne im Handelskontext entwickelt. Wirtschaftsdienst 2020 | 12 908
Zeitgespräch stufenweisen Hochfahren unilateraler handelspolitischer 170 Mio. Euro auf beiden Seiten, bei einem aggregierten Maßnahmen außerhalb des multilateralen Ordnungsrah- Güterhandel von ca. 615 Mrd. Euro. mens der Welthandelsorganisation. So kam es nach einem Jahr scharfer Rhetorik im Frühjahr 2018 zunächst zu „Straf- Während der transatlantische Waffenstillstand hielt, kam zöllen“ auf Waschmaschinen und Solarpanele. Deutsch- es zwischen den USA und China zu einer dramatischen land war hier nur indirekt betroffen, z. B. weil deutsche Eskalation in mehreren Schritten. Im Januar 2018 lag der Unternehmen in Ländern wie der Türkei Waschmaschi- (ungewichtete) Durchschnittszoll der USA auf Exporte nen produzieren. Die gesamtwirtschaftlichen Effekte wa- Chinas bei 3,1 %; zwei Jahre später betrug er 21,0 %. Der ren aber vernachlässigbar. Bald darauf veröffentlichte die Durchschnittszoll Chinas auf Exporte der USA lag An- Trump-Administration eine Untersuchung, die im Wesent- fang 2018 bei 8,0 % und wuchs über die nächsten zwei lichen feststellte, dass Importe von Stahl- und Aluminium Jahre auf bis zu 21,8 % an. Aktuell, nach dem Abschluss und Stahl- und Aluminiumprodukten in den USA zu einer eines Abkommens, das China zum Kauf von US-Agrar- Verdrängung heimischer Produktion geführt hat. Auf dieser rohstoffen, Energie und Industrieerzeugnissen verpflich- Basis wurde eine Bedrohung der nationalen Sicherheit der tet, liegen die Zölle nur geringfügig unter den genannten USA argumentiert. Die Trump-Administration führte Zölle Spitzen. Der Streit zwischen den beiden wirtschaftlichen ein, die mit Hinweis auf Artikel XXI des General Agreement Supermächten erschütterte die Weltwirtschaft. Während on Tariffs and Trade (GATT) – den Ausnahmen für nationa- es in manchen Branchen durchaus zu für die EU positiver le Sicherheit – begründet wurden. Zunächst wurden diese Handelsumlenkung gekommen ist, schlagen auch negati- Zölle gegenüber China in Kraft gesetzt, wenig später auch ve Einkommenseffekte zu Buche, und die allgemeine Ver- gegenüber der EU, die ihrerseits Vergeltungszölle auf klas- unsicherung über die Zukunft des Welthandelssystems sische US-amerikanische Güter wie Jeans, Erdnussbut- macht die Anbahnung neuer Exportgeschäfte riskanter. ter, Harley-Davidson-Motorräder und Tennessee-Whisky erhob. Diese Zölle betrafen deutsche Exporte in die USA Im September 2019 autorisierte die Welthandelsorgani- in der Höhe von 1,7 Mrd. US-$. Versuche, die Zölle in Ver- sation nach Abschluss eines 15 Jahre dauernden Verfah- handlungen abzuwenden, scheiterten. Im Gegenteil, die rens die USA wegen unerlaubter Subventionen der EU- US-Administration drohte immer wieder mit weiteren Zöl- Staaten an Airbus, Zusatzzölle auf ein Handelsvolumen len, vor allem auf Autoimporte aus der EU. Zölle in dieser von 7,5 Mrd. US-$ zu erheben. Die USA verhängte Zölle Höhe hätten in der EU, und hier vor allem in Deutschland von zunächst 15 %, später von 25 % auf Flugzeuge- und erhebliche Schäden verursacht. Einer Abschätzung des ifo Flugzeugteile sowie auf eine lange Liste von Gütern wie Instituts zufolge würden sich die Wertschöpfungsverluste Handwerkzeuge und Maschinen, aber auch auf Lebens- in der deutschen Automobilindustrie auf etwa 7 Mrd. Euro mittel, Wein und Spirituosen (Felbermayr und Stamer, belaufen. Es kam zwar nie zu diesen Zöllen. Die glaubwür- 2019). Ungefähr ein Jahr später erlaubt die WTO auch der dige Drohung hat deutsche Produzenten aber dazu veran- EU Zölle wegen unerlaubter Subventionen der USA an lasst, den US-Markt stärker mit Autos aus US-amerikani- den US-amerikanischen Flugzeugbauer Boeing auf ein scher Produktion und weniger mit Exporten zu bedienen. Handelsvolumen von 4 Mrd. Euro. Im Sommer 2018 schlossen die Europäische Union und Neben diesen konkreten zollpolitischen Maßnahmen, die USA einen Burgfrieden, der in einer gemeinsamen setzte die US-Administration eine große Zahl von Regu- Erklärung von Präsident Trump und EU-Kommissions- lierungen in Kraft, die explizit oder implizit Unternehmen präsident Jean-Claude Juncker im Rosengarten des aus dem Ausland diskriminieren (z. B. Evenett, 2019). Weißen Hauses in Washington verkündet wurde. Es wur- Und neben der Drohung mit Autozollen kam es zu wei- de beschlossen, auf weitere Zölle zu verzichten und ein teren Drohungen, etwa gegen angebliche Wechselkurs- Abkommen zur vollständigen Eliminierung der Industrie- manipulation vorzugehen, oder aus der WTO auszutreten. zölle und zur Reduktion nicht tarifärer Handelsbarrieren Bei dieser großen Zahl von handelspolitischen Konflikten zu verhandeln. Dieser Erklärung folgten zwar Gespräche; stellt sich die Frage, wie sich der transatlantische Handel sie brachten allerdings keine Fortschritte, weil – entgegen in den vergangenen vier Jahren entwickelt hat. der Washingtoner Erklärung – die USA auch auf einer Li- beralisierung des Agrarhandels beharrten. Im Sommer Nach vier Jahren Trump: Wie steht es um den 2020 kam es nur zu einem Minimalabkommen, in dem die transatlantischen Handel? EU die europäischen Zölle auf US-amerikanischen Hum- mer eliminierte und im Gegenzug die USA Zölle auf einige Abbildung 1a zeigt die deutschen Güterexporte, die in wenige Produkte der EU (etwa Zigarettenanzünder, spe- die USA gehen als Anteil an den Gesamtexporten für zielle Farben und einige Meeresfrüchte) absenkte. Das die acht Jahre der beiden Obama-Administrationen und Handelsvolumen bei diesen Gütern beträgt nicht einmal für die Zeit der Trump-Regierung (bis September 2020). ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 909
Zeitgespräch Abbildung 1 Anteile der USA am deutschen Güterhandel und am Handelsbilanzüberschuss a. Güterexporte- und importe b. Handelsbilanzüberschuss % % 12 30 Export 10 25 8 20 Import 6 15 4 10 2 5 0 0 7/ 009 1/ 009 7/ 010 1/ 010 7/ 011 1/ 011 7/ 012 1/ 012 7/ 013 1/ 013 7/ 014 1/ 014 7/ 015 1/ 015 7/ 016 1/ 016 7/ 017 1/ 017 7/ 018 1/ 018 7/ 019 1/ 019 7/ 020 20 7/ 009 1/ 009 7/ 010 1/ 010 7/ 011 1/ 011 7/ 012 1/ 012 7/ 013 1/ 013 7/ 014 1/ 014 7/ 015 1/ 015 7/ 016 1/ 016 7/ 017 1/ 017 7/ 018 1/ 018 7/ 019 1/ 019 7/ 020 20 20 20 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 1/ 1/ Anmerkungen: Rollende Durchschnitte (3 Monate) unbereinigter Monatsdaten (in Euro). Vertikale Linie zeigt Amtsantritt von Donald Trump an. Quelle: Destatis; eigene Berechnungen und Auswertung. Der USA-Anteil der Exporte stieg stetig von ca. 7 % im Wie auch immer: Die USA haben während der Trump- Januar 2009 bis 10 % im September 2015. In dieser Zeit Jahre nicht an relativer Bedeutung für die deutsche Ex- wurde der Euro gegenüber dem Dollar deutlich abgewer- portwirtschaft verloren; für die Importe haben sie sogar tet, von ca. 1,3 US-$ im 1. Quartal 2009 auf ca. 1,1 US-$ an Bedeutung gewonnen. pro Euro im 4. Quartal 2015, was die Exporte angescho- ben hat. Umgekehrt stagnierte der Anteil der Importe, Zum Amtsantritt von Barack Obama entfielen etwa 10 % die Deutschland aus den USA bezog, bei ungefähr 5,5 % des deutschen Handelsbilanzüberschusses auf die USA; (vgl. Abbildung 1a). Schon vor dem Amtsantritt von Do- dieser Anteil stieg bis Mitte 2016 auf beinahe 25 % (vgl. nald Trump am 20.1.2017 endete die Abwertung des Euro, Abbildung 1b). In der zweiten Hälfte der Amtszeit Trumps und der Anteil der USA an den deutschen Gesamtexpor- fiel er dann aber tendenziell auf etwa 20 % ab und brach ten ging leicht zurück, um sich in den vergangenen vier in der Corona-Krise noch einmal deutlich ein. Aber auch Jahren um einen Wert von 9 % zu bewegen. Blickt man in Hinblick auf den Überschuss lässt sich sagen, dass die genauer auf die Amtszeit von Trump, so nahm der An- Trump-Zeit keine einschneidenden Effekte erkennen lässt. teil der USA zunächst wieder zu; ab Sommer 2019 ging er zurück. Wieder scheint der Euro-Dollar-Wechselkurs Abbildung 2a weist die volkswirtschaftliche Bedeutung an dieser Dynamik beteiligt. Es liegt auch nahe, dass die der deutschen Exporte in die USA aus, indem sie die Gü- ab 2018 geltenden Zölle und die hohe handelspolitische terexporte in die USA mit der Bruttowertschöpfung des Unsicherheit ebenfalls dämpfend wirkten. Auf der Import- Verarbeitenden Gewerbes ins Verhältnis setzt, aus dem seite kam es aber vor dem Ausbruch der Corona-Krise der Großteil dieser Exporte entstammt.3 Die Abbildung zu einem kleinen Boom, der unter anderem von höheren zeigt, dass im ersten Quartal 2009 Exporte im Wert von Importen Autos deutscher Marken getrieben war. Inter- 14 % der Industriewertschöpfung in die USA gingen. Zum essant ist auch, dass die deutschen Exporte in die USA Ende der Amtszeit von Präsident Obama war der Anteil auf leicht überdurchschnittlich in der aktuellen Krise einbra- 18 % angestiegen; zwischenzeitlich lag er sogar bei knapp chen, die Importe aber stark überdurchschnittlich zurück- 20 %. In der Trump-Zeit ging der Anteil bis vor den Start gingen. Insgesamt ist es allerdings schwer, einen Trump- der Corona-Krise nach oben. Der Wert der Exporte in die Effekt aus den Zahlen herauszulesen, vielmehr scheinen USA wuchs tendenziell schneller als die Bruttowertschöp- Wechselkursbewegungen einen höheren Erklärungsgrad fung der (exportierenden) Industrie. Ein ähnliches Bild für die aggregierten Handelsströme zu haben. Um dies zeigt sich, wenn man die Exporte in die USA ins Verhältnis genauer zu untersuchen, müsste man eine vollständige mit dem deutschen BIP setzt (vgl. Abbildung 2b). Die USA ökonometrische Untersuchung unternehmen, die den di- sind während der Amtszeit von Obama wichtiger für die rekten Effekt der Handelspolitik, des Wechselkurses und deutsche Volkswirtschaft geworden; unter Trump gab es des Wachstums des BIP separat quantifizierten müsste.2 eine Seitwärtsbewegung auf historisch hohem Niveau. 2 Dies ist schwierig, weil der „Trump-Effekt“ einen Einfluss auf alle drei 3 Agrarische Rohstoffe machen einen sehr kleinen Anteil der deutschen genannten Größen hat. Exporte in die USA aus. Wirtschaftsdienst 2020 | 12 910
Zeitgespräch Abbildung 2 Anteile der Exporte Deutschlands in die USA an der Bruttowertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes und der Gesamtwirtschaft (BIP) a. Verarbeitendes Gewerbe b. Gesamtwirtschaft % % 25 5 20 4 15 3 10 2 5 1 0 0 9/ 009 3/ 009 9/ 010 3/ 010 9/ 011 3/ 011 9/ 012 3/ 012 9/ 013 3/ 013 9/ 014 3/ 014 9/ 015 3/ 015 9/ 016 3/ 016 9/ 017 3/ 017 9/ 018 3/ 018 9/ 019 3/ 019 9/ 020 20 9/ 009 3/ 009 9/ 010 3/ 010 9/ 011 3/ 011 9/ 012 3/ 012 9/ 013 3/ 013 9/ 014 3/ 014 9/ 015 3/ 015 9/ 016 3/ 016 9/ 017 3/ 017 9/ 018 3/ 018 9/ 019 3/ 019 9/ 020 20 20 20 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 3/ 3/ Anmerkungen: Unbereinigte Quartalsdaten. Vertikale Linie zeigt Amtsantritt von Donald Trump an. Quelle: Destatis; eigene Berechnungen und Auswertung. Diese aggregierte Betrachtung verbirgt, dass einzelne ca 14 Mrd. US-$. Nun wissen wir (Braml und Felbermayr, Sektoren hart von den Zöllen der Trump-Administration 2019), dass die Leistungsbilanzdaten im transatlantischen getroffen wurden. So z. B. die Stahl- und Aluminiumbran- Kontext nur beim Güterhandel belastbar sind, die Daten che. Hier sind die Exporte in der Tat stark eingebrochen. zu Dienstleistungen und Primäreinkommen hingegen sind Auch die durch die Airbus-Zollmaßnahmen betroffenen massiv verzerrt. Deutschland importiert im großen Ausmaß Sektoren haben deutlich sichtbar negative Effekte zu Dienstleistungen aus europäischen Ländern (wie z. B. den beklagen. Gesamtwirtschaftlich sieht das Bild aber sta- Niederlanden oder Irland), die dort aber von US-Konzernen bil aus. Nach vier Jahren schwerer Turbulenzen ist aus bereitgestellt werden, in denen entstehende Gewinne als Sicht Deutschlands überraschend wenig Terrain verloren Primäreinkommen in der Leistungsbilanzstatistik auftau- gegangen. Anders gewendet: Das transatlantische Wirt- chen. Dies wird sehr deutlich in Abbildung 3b, welche die schaftsverhältnis ist auf hohem Niveau stabil geblieben. Leistungsbilanzsalden der USA mit dem Rest der Eurozone ausweist: Die USA haben bei den Primäreinkommen ei- Unter Donald Trump waren vor allem Handelsbilanzsal- nen Überschuss, der in den letzten Quartalen zwischen 20 den ein wichtiger Indikator für die US-amerikanische Han- Mrd. und 30 Mrd. schwankte und seit 2009 einen deutlich delspolitik, vor allem im Güterbereich. Vor diesem Hinter- ansteigenden Trend aufweist. Die Abbildung zeigt auch, grund ist interessant, dass sich das Handelsbilanzdefizit dass der Rest der Eurozone im Gegenzug im Güterhandel der USA bei Gütern im Verhältnis zum BIP in den letzten mit den USA einen wachsenden Überschuss aufweist. Im Jahren kaum verändert hat. Es lag unter Obama bei durch- Unterschied zu Deutschland ist im Güterhandel kein deut- schnittlich -4,3 %; unter Donald Trump (bis einschließlich 2. licher Rückgang des US-Defizits mit dem Rest der Eurozo- Quartal 2020) bei -4,1 %. Diese Stabilität ist, gegeben die ne zu beobachten. relativ hohe Schwankungsbreite des Euro-Dollar-Wech- selkurses, bemerkenswert. Erst im Jahr 2019 zeigt sich Insgesamt haben die USA mit dem Rest der Eurozone eine Reduktion des Defizits; im 1. Quartal 2020 erreich- aber einen deutlichen Leistungsbilanzüberschuss in etwa te es -3,6 %, während es ein Jahr davor noch bei -4,1 % der Höhe des Defizits mit Deutschland, sodass die Euro- lag. Diese Veränderung ist allerdings vor allem auf einen zone insgesamt eine sehr ausgeglichene Leistungsbilanz Rückgang des Defizits mit China zurückzuführen. Auch ge- mit den USA aufweist. Abbildung 3 verwendet die offi- genüber Deutschland ist das US-Defizit etwas gesunken ziellen US-Daten. Die Daten von Eurostat oder der EZB (Abbildung 3a). Es betrug nach Angaben des US-Handels- hingegen zeigen ein Leistungsbilanzdefizit der USA. In ministeriums (Bureau of Economic Analysis) im 2. Quartal Braml und Felbermayr (2019) argumentieren wir, dass die 2020 knapp 11 Mrd. US-$, während es im Vorjahresquartal Realität besser mit den Daten des Bureau of Economic noch bei etwa 15 Mrd. US-$ lag. Auch das Leistungsbi- Analysis abgebildet wird, weil die europäischen Daten die lanzdefizit, das neben dem Saldo des Güterhandels auch Primäreinkommen unterschätzen. jenen des Dienstleistungshandels, des Primäreinkommens und des Sekundäreinkommens umfasst, ist gesunken, und Die Daten zeichnen das Bild eines bilateralen transatlan- zwar von mehr als 20 Mrd. US-$ im 3. Quartal 2019 auf cir- tischen Verhältnisses, das trotz vier politisch schwieriger ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 911
Zeitgespräch Abbildung 3 Leistungsbilanzsalden und Komponenten aus Sicht der USA mit Deutschland und der Eurozone a. Deutschland b. Eurozone (ohne Deutschland) Mrd. US-Dollar Mrd. US-Dollar 5 50 40 0 30 -5 20 10 -10 0 -15 -10 -20 -20 -30 -25 -40 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 Güter Dienstleistungen Primäreinkommen Sekundäreinkommen Leistungsbilanz Anmerkung: Vertikale Linie zeigt Amtsantritt von Donald Trump an. Quelle: Bureau of Economic Analyses; eigene Berechnung und Darstellung. Jahre ökonomisch relativ stabil geblieben ist. Die jährliche auf eine Vielzahl kleinerer, pragmatischer Deals gesetzt Bestandsaufnahme der EU-US-Wirtschaftsbeziehungen werden soll. von Hamilton und Quinlan (2020) breitet sehr viel detail- liertere Daten aus, kommt aber zum selben Schluss. Dies Die Erfahrungen seit 2001, dem Jahr des WTO-Beitritts bedeutet, dass die ökonomischen Beweggründe, die vor Chinas, legen nahe, dass eine wirkliche Reform der Welt- der Wahl von Donald Trump für eine intensivierte transat- handelsorganisation außerordentlich schwierig ist, weil lantische Zusammenarbeit sprachen, z. B. durch ein Frei- einzelne Länder – aus ganz verschiedenen Gründen – handelsabkommen (TTIP), nach wie vor gültig sind. mittels Veto jede noch so sinnvolle Einigung verhindern können. Die Probleme der WTO liegen deutlich tiefer und Punkte einer transatlantischen handelspolitischen sind viel umfassender als die Schwierigkeiten, die zwi- Agenda für die nächsten Jahre schen den USA und der EU auftreten. Außerdem ist kaum vorstellbar, dass eine Reform der WTO gelingen kann, oh- Weil das Handelsvolumen und die tiefe Integration der ne vorher eine Verständigung zwischen der EU und den beiden Wirtschaftsräume die Turbulenzen der vergan- USA herzustellen. Daher scheint die Konzentration auf genen vier Jahre relativ gut überstanden haben, können das bilaterale Verhältnis sinnvoll. die EU und die USA bei einem Neustart ihrer Beziehun- gen auf eine starke gemeinsame Basis bauen. Weil das Außerdem sollte nicht auf ein großes, allumfassendes Handelsvolumen hoch ist, würden Zollsenkungen oder Abkommen gesetzt werden. Der bescheidene Ansatz, administrative Erleichterung große Effekte hervorbrin- der 2018 im Rosengarten des Weißen Hauses angedacht gen. Außerdem haben sich die Positionen der EU und der wurde und den Schwerpunkt auf Zölle und einzelne Re- USA im Bezug auf China angenähert. Die während der gulierungsfelder legt, ist vor dem Hintergrund der Erfah- Obama-Präsidentschaft versuchte Schaffung transatlan- rungen mit TTIP (vgl. dazu Braml und Felbermayr, 2020) tischer Standards für neue Technologien scheint daher ambitioniert genug. dringender denn je. Und schließlich: Stärker noch als vor fünf Jahren stellt sich heute die Frage, wie internationale Die EU muss sich klar sein, dass eine transatlantische Klimapolitik ausgestaltet werden kann, und welchen Bei- handelspolitische Aussöhnung auch Zugeständnisse ih- trag hier die transatlantischen Partner leisten können. rerseits erfordert. Nicht alle Trump’schen Vorwürfe er- folgten grundlos. Es stimmt, dass die EU deutlich höhere Die Frage ist eigentlich nicht, ob verstärkte Kooperation Durchschnittszölle aufweist als die USA und dass diese zwischen Washington und Brüssel sinnvoll ist, sondern, vor allem im Agrarsektor hoch sind, wo die USA einen erstens, ob diese auf multilateraler Ebene – in Genf – oder komparativen Vorteil haben. Es stimmt auch, dass aktuelle auf bilateraler Ebene stattfinden soll, und, zweitens, ob Bestrebungen der EU, bei neuen Technologien auf „stra- ein umfassendes Abkommen verhandelt werden soll oder tegische Autonomie“ zu setzen und bei der Besteuerung Wirtschaftsdienst 2020 | 12 912
Zeitgespräch von Digitalkonzernen das Ziellandprinzip zu verfolgen, we- Literatur nigstens implizit gegen US-Technologiekonzerne gerichtet Braml, M. und G. Felbermayr (2019), What Do We Really Know about the sind. Wenn die EU wirklich Fortschritte erzielen will, muss Transatlantic Current Account?, CESifo Economic Studies, 65(3), 255-274. Braml, M. und G. Felbermayr (2020), Understanding Free Trade Attitudes: sie Zugeständnisse machen. Dazu gehört auch, die hohen Evidence from Europe, ifo Working Paper, 325. Agrarzölle in die Verhandlungen einzubringen und bei den Evenett, S. (2019), Protectionism, state discrimination, and international neuen Technologien gezielt auf transatlantische Koopera- business since the onset of the Global Financial Crisis, Journal of In- ternational Business Policy, 2, 9-36. tion z. B. in der Monopolkontrolle zu setzen. Felbermayr, G., B. Heid, M. Larch und E. Yalcin (2015), Macroeconomic Potentials of Transatlantic Free Trade: a High Resolution Perspective Wenn die EU dazu nicht bereit ist, sollte sie wenigstens im for Europe and the world, Economic Policy, 491-537. Felbermayr, G. und V. Stamer (2019), Airbus-Boeing-Konflikt gefährdet Bereich der Klimapolitik alles daran setzen, mit den USA Waffenstillstand mit den USA, Kiel Policy Brief, 128. an einer gemeinsamen Lösung der Carbon-Leakage-Fra- Hamilton, D. S. und J. P. Quinlan (2020), The Transatlantic Economy 2020: ge zu arbeiten. Statt mit Hilfe eines CO2-Grenzausgleichs Annual Survey of Jobs, Trade and Investment between the United States and Europe, Washington, DC, Foreign Policy Institute, Johns zu versuchen, die unilaterale europäische Klimapolitik mit Hopkins University SAIS. einer Einbeziehung von Importen in die heimische CO2- Powell, R. (1991), Absolute and Relative Gains in International Relations Bepreisung abzusichern und eine Klimafestung zu er- Theory, The American Political Science Review, 85(4), 1303-1320. Smith, A. (1776), An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Na- richten, wäre es besser, auf einen transatlantischen CO2- tions, Oxford University Press; Reprint Edition (17. April 2008), Book Mindestpreis zu setzen und die USA dazu mit der (leisen) IV, Chapter II, 465. Drohung des Grenzausgleichs zu motivieren. Das wäre für das globale Klima und auch für den transatlantischen handelspolitischen Frieden sehr viel besser. ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 913
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