Das Erfolgsdilemma Zukunft In Deutschland mangelt es an Gründern, die bis zur Weltspitze vordringen. Den meisten - Mackevision
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Champions von morgen – eine Bilanz. Neue Technolo- men vorgestellt, die das Zeug haben, in der Wirtschaft gien krempeln ganze Branchen um. Der SPIEGEL hat von von morgen eine große Rolle zu spielen. Nun fragen wir: März 2016 bis Juli 2017 in loser Folge deutsche Unterneh- Wer hat durchgehalten – und warum? Das Erfolgsdilemma Zukunft In Deutschland mangelt es an Gründern, die bis zur Weltspitze vordringen. Den meisten geht allein die Puste aus – nur wenige bleiben auf ihrem Weg. Was unterscheidet sie? J eans, schwarzes T-Shirt, Lederjacke: über die gleiche Technologie zu verfügen war, beteiligte er 2014 den Finanzinvestor Chris Boos trägt, was er immer trägt, wie die globalen Internetkonzerne. KKR mit 50 Millionen Dollar an dem Un- er hat sich nicht verkleidet, nur weil An Selbstbewusstsein fehlt es nicht, ternehmen. Jetzt steht eine neue Finanzie- er einen Termin im Kanzleramt hat. Boos glaubt, der Konkurrenz weit voraus rungsrunde für die weitere Expansion an. Dort tagt der Digitalrat, den Angela Mer- zu sein. »Wir stehen ziemlich allein Offenbar hat der weltweit größte Tech- kel ins Leben gerufen hat: Zehn Experten da«, sagt er über seine Firma Arago und fonds vorgefühlt, der Vision Fund des ja- sollen der Regierung helfen, die Digitali- ihre Software HIRO. Was ihm für seine panischen Konzerns Softbank, doch Boos sierung des Landes voranzutreiben. KI-Plattform-Vision fehlt, ist Geld, viel hat andere Pläne. Boos ist einer von ihnen – eine bemer- Geld. Arago soll in der künstlichen Intelligenz kenswerte Karriere für einen fast blinden Jahrelang hat Boos das Kapital, das ein führendes Unternehmen werden, welt- Nerd, den vor drei, vier Jahren nur ein er für seine Innovationen brauchte, als weit operierend, aber mit Sitz in Deutsch- paar Insider kannten. Bis dahin hatte Dienstleister für andere Unternehmen ver- land. Deshalb hat der Gründer eine, wie er, von der Öffentlichkeit weitgehend dient, so konnte er seine Software in er sagt, »total beknackte Idee«: unbemerkt, sein Unternehmen Arago Ruhe entwickeln. Als sie marktreif Er sucht nach europäischen (SPIEGEL 35/2016) aufgebaut, 1995 gegründet Investoren. Und fügt hin- es soll Unternehmen helfen, Sitz: Frankfurt am Main zu: »Wenn’s keiner pro- ihre Geschäftsprozesse mithilfe biert, wird’s nie ge- künstlicher Intelligenz (KI) zu macht.« Dann wan- automatisieren. dert die Kontrolle Auch KI war lange nur ein über hoffnungsvolle Thema für Insider. Das änderte Zukunftsunternehmen sich, als die chinesische Regie- Gründer: Hans-Christian Boos wie Arago ins Ausland. rung ankündigte, zur führenden rund 200 Und mit ihr gehen KI-Nation der Welt aufsteigen Mitarbeiter Arbeitsplätze, Wertschöp- zu wollen, und dafür einen drei- fung und auch Know-how. stelligen Milliardenbetrag ein- Deutschland braucht solche plante. Da erkannten viele, wel- ehrgeizigen Gründer, die groß ches Potenzial in dieser Technik denken, und junge Firmen, die steckt – und welche Gefahren in der digitalen Zukunft eine be- heute noch führenden Wirt- deutende Rolle spielen können. schaftsstandorten drohen kön- Denn die heimische Wirtschaft nen, die diese Umwälzung ver- wird noch immer von Unter- schlafen. nehmen beherrscht, die zu Be- Deutschland hat erheblichen ginn des Industriezeitalters ge- Nachholbedarf. Es gibt zwar gründet wurden, und sie lebt viele hervorragende KI-For- von Produkten, die man vor scher im Land, aber nur wenige Jahrzehnten erfunden hat. Gründer, die daraus ein erfolg- Der SPIEGEL hat nach reiches Geschäftsmodell ent- Champions von morgen ge- MATTHIAS FERDINAND DÖRING / SZ PHOTO wickeln. sucht, und etliche von ihnen Boos ist die Ausnahme, und 2016 und 2017 in loser Folge er weiß die Popularität, die ihm porträtiert: Unternehmen wie das einbringt, zu nutzen. Wie Arago und Teamviewer, Relayr ein Missionar zieht er durchs und Mackevision, Curevac und Land, um für KI zu werben – Biontech, um nur einige zu nen- und für seine Idee, eine Platt- nen. Unternehmen, die sich mit form zu schaffen, die alle Daten, Algorithmen und 3-D- Unternehmen nutzen können. Animation beschäftigen – oder Eine Plattform, die ihnen hilft, Arago-CEO Boos: »Wenn’s keiner probiert, wird’s nie gemacht« den Krebs besiegen wollen. 72
Wirtschaft Nun ist es Zeit für eine erste 1994 gegründet Börsengang und davon, Bilanz. Wie haben sich diese Sitz: Stuttgart dass seine Company Unternehmen entwickelt? Sind gar zum Einhorn auf- sie wirklich auf dem Weg, globa- steigen könnte. Als le Champions zu werden – Welt- Unicorns werden in marktführer einer neuen Gene- den USA Start-ups ration, die dem Standort treu bezeichnet, die min- bleiben? Ermöglichen dessen verkauft an Accenture destens eine Milliarde aktuelle Rahmenbedingungen mehr als 600 Dollar wert sind. überhaupt globale Wachstums- Mitarbeiter Heute klingt er nüchter- geschichten? Und, falls nicht, ner. Blue Yonder habe der was bedeutet das alles für die Zu- Zugang zu einer großen Zahl kunftsfähigkeit der deutschen Kunden im Ausland, vor allem Wirtschaft? in den USA, gefehlt, sagt Weiss. Um es vorwegzunehmen: In Europa sei die Nachfrage Die Bilanz fällt gemischt aus. nach KI-Anwendungen noch Ja, es gibt sie, die jungen Unter- klein, außerdem sei der euro- nehmer, die Chancen haben päische Markt zersplittert, die und den Mut, diese zu nutzen. Sprachgrenzen seien problema- Es scheint aber eindeutige Gren- tisch – und all die rechtlichen zen des Wachstums zu geben, Unterschiede. Es sei deshalb denn eines fällt auf: Viele haben notwendig, sich schnell auf ihr Unternehmen inzwischen dem amerikanischen Markt verkauft, sind bei globalen durchzusetzen. Und dafür er- Konzernen untergeschlüpft – schien ihm der Käufer JDA die aus durchaus nachvollziehba- richtige Wahl. ren Gründen. Einen Partner mit globaler Es ist ein gängiges Klischee, Reichweite, das war es auch, dass deutsche Gründer sich zu wonach Armin Pohl und seine SVEN CICHOWICZ schnell mit dem Erreichten zu- Mitgesellschafter suchten, als friedengäben. Dass sie bei der sie entschieden, Mackevision ersten Gelegenheit Kasse mach- (SPIEGEL 41/2016) zu verkaufen. ten. Dass ihnen jener Ehrgeiz Der gelernte Grafiker hatte früh fehle, der Silicon-Valley-Größen Mackevision-Chef Pohl: »Einer von 450 000 Angestellten« erkannt, wie grundlegend die Di- wie Mark Zuckerberg auszeich- gitalisierung seine Branche ver- net. Der lehnte in seinen jungen ändern würde, und sein Unter- Jahren sogar Milliardenofferten für sein Digitalkonferenz im eigenen Ministerium. nehmen auf computererzeugte Bilderwel- soziales Netzwerk Facebook ab, weil er Dafür brauche es eine aktive Industrie- ten spezialisiert. Bekannt wurde es durch Größeres im Sinn hatte und das auch für politik, er werbe gerade für eine gemein- die Animationen für die Fantasyserie erreichbar hielt – aus eigener Kraft. same europäische Anstrengung, »einen »Game of Thrones«, das Gros des Umsat- Die Wirklichkeit, das zeigt das Beispiel Airbus der KI«, und bekomme bisher »ein zes erwirtschafteten Pohl und seine 600 der Champions von morgen, ist kompli- gutes Echo«. Mitarbeiter indes mit Kunden aus der zierter. Innovative Produkte, Ehrgeiz und Es lag allerdings nicht am Geld allein, Automobilindustrie wie Daimler und Por- Mut reichen nicht aus, um den Weltmarkt dass Champions von morgen wie Blue sche. Für sie erschafft Mackevision aus Da- zu erobern. Was im Zeitalter der Digitali- Yonder aus Karlsruhe, Mackevision aus tensätzen detailgenaue Visualisierungen sierung zählt, ist Geschwindigkeit, die Fä- Stuttgart und Relayr aus Berlin jetzt nicht von Produkten. higkeit, viele Märkte gleichzeitig aufzurol- mehr aus eigener Kraft den Weltmarkt er- Die Nachfrage nach solchen perfekt len, Marktanteile zu erobern und große obern wollen – in vielen Fällen anders, als aussehenden und ausgeleuchteten »digi- Auftragsvolumen stemmen zu können – es ursprünglich geplant war. talen Zwillingen« aus dem Rechner ist bevor die Internetkonzerne sich darauf Blue Yonder (SPIEGEL 18/2016) gehört immens. Sie lassen sich immer wieder stürzen. Das ist von Deutschland aus seit Juli komplett dem amerikanischen nutzen und in alle denkbaren Umgebun- schwierig, und es ist teuer. Softwarekonzern JDA. »Es war kein Not- gen, etwa in Werbefilme, einpflanzen. Das hat inzwischen auch die Bundes- verkauf«, sagt Unternehmenschef Uwe Global agierende Einzelhandelsketten regierung erkannt. Es gebe in Deutschland Weiss. »Wir hätten auch alles so lassen kön- müssen ihre Produkte nicht mehr für durchaus eine innovative und erfolgreiche nen, denn wir waren voll finanziert von jeden Markt aufwendig neu fotografieren Start-up-Landschaft, erklärte Wirtschafts- unseren Anteilseignern, der Otto Group lassen, sondern nur noch digital die minister Peter Altmaier (CDU) Anfang und Private-Equity-Investoren.« Etiketten in der jeweiligen Sprache ein- Dezember auf dem Digitalgipfel der Bun- Blue Yonder hat einen lernenden Algo- fügen. desregierung, aber wenn die Firmen rithmus entwickelt, der aus riesigen Daten- Was noch vor wenigen Jahren aussah erwachsener würden, global skalieren strömen Prognosen ableitet, zum Beispiel wie eine Nische, ist plötzlich die Zukunft. wollten und dafür mindestens zweistellige über das Kaufverhalten von Kunden. Als »Alle versuchen, ihre Kundenbeziehungen Millionensummen benötigten, würde es der SPIEGEL 2016 diesen Champion von zu digitalisieren, alle möchten am liebsten hierzulande immer noch eng. morgen vorstellte, sah Geschäftsführer direkt und online verkaufen«, sagt Pohl Um bei der künstlichen Intelligenz mit Weiss das Start-up auf Augenhöhe mit den heute. Wettbewerber von Mackevision China und den USA mitzuspielen, reiche führenden US-Unternehmen. »Wir stehen wie 3DExcite aus München wurden be- auch das nicht aus, betonte der Wirt- im direkten Wettbewerb mit dem Silicon reits Anfang 2014 vom französischen Mil- schaftsminister erst diese Woche bei einer Valley«, sagte er. Er träumte von einem liardenkonzern Dassault Systèmes über- DER SPIEGEL Nr. 5 / 26. 1. 2019 73
Wirtschaft nommen – und wuchsen in der Folge er- chenpartner und Experten abgeraten: von Vermessungsequipment ein. Allian- heblich schneller. »Zu teuer, zu kompliziert.« Die Gesell- zen mit den wichtigsten Softwareanbie- Anfang vergangenen Jahres zogen Pohl schafter entschieden sich schließlich für tern sollen das weitere Wachstum voran- und seine Mitgesellschafter die Konse- den Verkauf an den weltgrößten Rückver- treiben, eine neue Finanzierungsrunde quenzen: Der global agierende Beratungs- sicherer, Munich Re, der über seine US- brachte mit 35,5 Millionen Dollar das da- und IT-Dienstleister Accenture, Jahresum- Tochter Hartford Steam Boiler bereits in für notwendige Kapital. satz 35 Milliarden Dollar, übernahm Ma- Relayr investiert war. Noch haben die Gründer die Mehrheit, ckevision zu 100 Prozent. Nun sei er selbst Relayr habe nun einen deutlich weiteren aber das muss nicht so bleiben. Sie wollen »einer von 450 000 Angestellten weltweit« Planungshorizont und werde »unter dem lieber schnell wachsen, um den Markt zu und müsse vielleicht »einige Genehmigun- Dach der Munich-Re-Familie weiter wach- besetzen. »Noch sind wir relativ konkur- gen mehr einholen«, kokettiert Pohl. Doch sen«, sagt Brunner, der wie Armin Pohl renzlos«, sagt Reinshagen. Er sei »sicher, die Allianz sei strategisch sinnvoll: »Mein von Mackevision betont, dass die eigene dass unser Angebot eine große Rolle auf größter Markt sind jetzt Accenture und Marke und die Unternehmensstruktur er- dem Weltmarkt spielen wird«. dessen Kunden, zu denen fast alle Konzer- halten blieben, es werde lediglich einen Dass Google versuchen könnte, auch ne der Fortune-Liste gehören.« Die Marke neuen, unabhängigen Aufsichtsrat geben. diesen Markt zu erobern, hält er für un- Mackevision bleibe erhalten, eine weitge- Es gibt aber auch Unternehmer, die an- wahrscheinlich. »Gebäude sind privat«, hende Unabhängigkeit auch, und er selbst ders entscheiden, die versuchen, es allein sagt Reinshagen. »Wir sammeln die Daten habe vertragliche Anreize, mindestens zu schaffen. Felix Reinshagen und seine nicht ein, um sie zu vermarkten. Wir ver- fünf Jahre zu bleiben. drei Mitgründer gehören dazu. Ihr Unter- wahren sie für unsere Kunden, die können An mangelndem Erfolg lag es jedenfalls nehmen NavVis (SPIEGEL 5/2017) hat ein unsere Technik eigenständig nutzen.« nicht, dass Blue Yonder und Mackevision Navigationssystem für innen entwickelt. Sein Wunsch ist es, »einen großen in- nicht mehr selbstständig sind, ganz im Ge- Mithilfe eines fahrbaren 3-D-Scanners, ternationalen Player zu bauen«, aber er genteil. Auch Relayr (SPIEGEL 19/2017) ausgestattet mit Kameras und Laser, wer- sagt auch, dass bis dahin »noch viele Jahre entwickelte sich mindestens so gut wie den Gebäudedaten erfasst und zu einem harte Arbeit und sehr viel Fortune« nötig prognostiziert – und hat, dennoch oder 3-D-Modell verarbeitet, auf das der Nut- seien. Und zwischendurch müsse man im- deshalb, inzwischen ebenso zu 100 Pro- zer über eine App zugreifen kann. mer wieder prüfen, ob das Ziel noch er- zent die Besitzer gewechselt. Aktuell beschäftigt NavVis rund 170 reichbar sei. Relayr, 2013 in Berlin gegründet, hat Leute aus 40 Ländern. Ihr größter Markt Teamviewer (SPIEGEL 26/2016) ist da eine Plattform für das Internet der Dinge ist China, weil dort enorme Fabrikanlagen einen entscheidenden Schritt weiter. Das (IoT) geschaffen. Der Ansatz der Gründer, gebaut werden, im Sommer ging NavVis Unternehmen mit Sitz im schwäbischen bereits existierende Maschinen- eine Vertriebspartnerschaft mit dem be- Göppingen zählt tatsächlich schon zu parks nachträglich mithilfe deutendsten chinesischen Hersteller jenen Hidden Champions, für die Deutsch- von Sensoren fit für IoT- 2013 gegründet lands Wirtschaft berühmt ist – Anwendungen wie die Sitz: Berlin Weltmarktführer aus der Pro- vorausschauende War- vinz in ihrem jeweiligen Spe- tung zu machen, hat- zialgebiet, die es sonst fast nur te bereits Investoren in analogen Geschäftsfeldern wie Kleiner Perkins gibt. Und es zählt zu den Uni- und Anfang 2018 verkauft an Munich Re corns. Rund eine Milliarde Dol- auch die Telekom Wert bei Verkauf: 300 Mio. $ lar nämlich hat Finanzinvestor überzeugt. Im Herbst mehr als 200 Permira bezahlt, als er Team- verkauften alle bisheri- Mitarbeiter viewer 2014 übernahm. gen Anteilseigner rund um Die Software des Unterneh- Geschäftsführer Josef Brunner mens läuft inzwischen weltweit an eine Tochter der Munich Re, auf mehr als 1,5 Milliarden zu einer Bewertung von etwa Rechnern. Mit ihrer Hilfe kön- 300 Millionen Dollar – es war nen sich Experten von außen in einer der größten Exits der deut- die Geräte einloggen, um sie zu schen Start-up-Szene. warten, Kollegen und Freunde Aber auch einer, der das Di- können gemeinsam an Projek- lemma der Champions von ten arbeiten, Menschen sich morgen besonders eindrücklich über Apps und Tablets mit Ma- zeigt. »Wir standen vor der Ent- schinen verbinden. scheidung, für unser weiteres »Es gibt immer mehr Geräte Wachstum signifikant Kapital für immer mehr Anwendungs- aufzunehmen oder an große fälle in immer mehr Ländern«, angelsächsische Unternehmen sagt Oliver Steil, der das Unter- zu verkaufen«, sagt Brunner, nehmen seit Anfang des Jahres der schon sein früheres Start- leitet. »Teamviewer kann sehr up JouleX für etwas mehr als groß werden.« hundert Millionen Dollar an Steil soll das Unternehmen GOETZ SCHLESER / LAIF Cisco abgegeben hatte. Ein sol- im Auftrag des Eigentümers auf cher Deal sei für ihn mit Relayr Wachstum trimmen. Er forcier- nicht mehr infrage gekommen: te die internationale Expansion »Zarte Pflänzchen können da und stellte das Geschäftsmodell schlecht gedeihen.« Von einem um. Großkunden kaufen die Börsengang hätten ihm Bran- Relayr-Geschäftsführer Brunner: »Zu teuer, zu kompliziert« Software nun nicht mehr einma- 74
lig, sondern bezahlen jährlich 2008 gegründet Aber am Ende hängt eine Art Abogebühr, erhalten Hauptsitz: Mainz alles davon ab, ob aber auch regelmäßig Updates. die Wirkstoffe so funk- Das sorgte zwar erst einmal für tionieren, wie er es eine Delle in der Umsatzkurve, erwartet. Und das das Wachstum wäre in diesem werden er und seine Jahr sonst noch höher als 25 Pro- Investoren: Strüngmann- Geldgeber, die Strüng- zent ausgefallen, sichert aber für Brüder, Sanofi mann-Brüder, erst 2021 die Zukunft regelmäßige Einnah- rund 850 oder 2022 wissen. Dann men – was den Unternehmens- Mitarbeiter ist auch, wenn alles klappt, wert steigert. ein Börsengang geplant. Sobald der hoch genug ist, Investoren mit einem langen wird Permira aussteigen. Finanz- Atem und so viel Kapital wie investoren sind immer nur Ei- Hopp und die Strüngmanns gibt gentümer auf Zeit, sie verab- es für Gründer in anderen schieden sich, wenn ihr Rendite- Branchen nicht. Dabei mangelt ziel erreicht ist. es in Deutschland nicht an Geld, Was wird dann aus Team- es gibt riesige Vermögen und viewer? Möglicherweise steigt sogenannte Family-Offices, die ein weiterer Finanzinvestor ein, sie für ihre reiche Klientel zu vielleicht übernimmt aber auch mehren versuchen. Doch viele ein großer internationaler Tech- Investoren verfolgen Anlage- Konzern. Deutschland hätte er- strategien mit möglichst wenig neut einen Hidden Champion Risiko. weniger, und das ausgerechnet In Deutschland fehle ein im digitalen Zukunftsmarkt. Growth-Fonds, der Start-ups Einen solchen Ausverkauf beim Wachstum wirklich effek- wollen Investoren ganz anderer tiv unterstützt, klagt Christian Art verhindern, in einem Ge- Henschel, Gründer des Berliner DOMINIK PIETSCH schäft, das ebenfalls grund- Datenanalyseunternehmens Ad- legend umgewälzt wird und das just (SPIEGEL 49/2016). noch mehr von großen Kapital- »Ab einer Investmentgröße spritzen abhängig ist – der von 30 Millionen Euro musst Biotechnologie: Dietmar Hopp Biontech-Boss Sahin: »Das ist keine blinde Wette« du dich ans Ausland wenden, und die Zwillinge Thomas und um Investoren zu finden.« Er Andreas Strüngmann. Hopp, fordert die Einrichtung eines Mitgründer des Softwarekonzerns SAP, hergestellten Impfstoff bekämpfen. Zusam- Staatsfonds nach dem Vorbild Norwegens hat nach eigenen Angaben bereits 1,4 Mil- men mit dem US-Konzern Genentech oder Singapurs, »das hilft nicht nur den liarden Euro in deutsche Biotech-Start- wird das Medikament weltweit an 500 Pa- Start-ups, sondern auch der deutschen ups gesteckt. Mit rund einer Milliarde tienten gegen zehn Tumorarten getestet, Wirtschaft«. Euro haben sich die Brüder Strüngmann erste Ergebnisse sollen bis Ende 2019 vor- Adjust ist darauf allerdings nicht an- engagiert, die durch den Verkauf des liegen. gewiesen, das Unternehmen macht seit Arzneimittelherstellers Hexal reich gewor- »Finanzielle Macht steht gegen intellek- drei Jahren Gewinne. Seine Kunden sind den sind. tuelle Macht«, gibt sich Curevac-Gründer die großen internationalen App-Anbieter, Sie alle eint das Ziel, einen Pharmakon- Ingmar Hoerr ebenfalls selbstbewusst. die Software von Adjust hilft ihnen, das zern der Zukunft schaffen zu wollen, mit »Wir sind sehr stark im Know-how, nie- Kaufverhalten ihrer Kunden im mobilen Sitz in Deutschland. Ihre aussichtsreichs- mand hat so viele Patente.« Netz zu verfolgen. Seit 2013 hat das Un- ten Kandidaten sind Curevac (SPIEGEL Wer immer die Führung übernimmt: ternehmen den Umsatz alle zwei Jahre 13/2016) aus Tübingen und Biontech Der Markt ist groß genug für alle. Voraus- mehr als verdoppelt, allein in diesem (SPIEGEL 28/2017) aus Mainz. Beide ent- gesetzt, Medikamente auf RNA-Basis las- Jahr stieg die Zahl der Beschäftigten um wickeln Medikamente auf Basis von RNA sen sich tatsächlich wie erhofft gegen 110 Mitarbeiter. (Ribonukleinsäure), auch gegen Krebs, Krebs, Grippe und Infektionskrankheiten Weil Adjust kein fremdes Kapital konkurrieren also direkt miteinander. aller Art einsetzen. Zurzeit erprobt Cure- braucht, muss das Unternehmen auch Sie treten allerdings gegen einen Dritten vac einen Impfstoff gegen Tollwut. Das ist nicht befürchten, übernommen zu werden. an, der einen entscheidenden Vorteil zwar nur ein Nischenmarkt, aber wenn Im Gegenteil: Im Dezember kaufte es das hat: Er sitzt in den USA, wo Biotech-Un- der Einstieg gelingt, könnten schnell wei- kalifornische Start-up Aquired.io, in dieser ternehmen mit Geld geradezu überschüt- tere Impfstoffe folgen. Woche gaben die Berliner die Übernahme tet werden. Gerade hat der Börsengang Biontech hat ebenfalls »den Anspruch, eines israelischen Cybersicherheits- und diesem Konkurrenten, Moderna Thera- ein global operierendes Pharmaunterneh- KI-Start-ups bekannt. peutics aus Boston, rund 600 Millionen men aufzubauen«, sagt Sahin. »Das kann »Wir machen es andersherum«, sagt Dollar in die Kasse gebracht – der Unter- man nur machen, wenn man eine breite Henschel. »Mit diesem Schritt bauen nehmenswert liegt bei rund sechs Milliar- Produktpalette hat.« wir unsere Position als globaler Markt- den Dollar. Können Curevac und Biontech Manchmal sei ihm mulmig, räumt Sahin führer aus.« da mithalten? ein. Aber es sei der richtige Weg. Er habe Armin Mahler, Martin U. Müller, »Wir sind weiter«, sagt Biontech-Chef ihn über Jahrzehnte vorbereitet und dabei Marcel Rosenbach Ugur Sahin. Sein Unternehmen will Krebs mehrere technische Durchbrüche erzielt. Mail: armin.mahler@spiegel.de mit einem für jeden Patienten individuell »Das ist keine blinde Wette.« DER SPIEGEL Nr. 5 / 26. 1. 2019 75
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