Epidemiologie suchtbezogener Problem lagen und Struktur der Versorgung suchtkranker Menschen in Sachsen
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themenheft Epidemiologie suchtbezogener Problem lagen und Struktur der Versorgung suchtkranker Menschen in Sachsen O. Rilke len und beruflichen Reintegration rea- im Zusammenhang mit einer Medien- Zusammenfassung lisieren. In den Hilfeprozess sind neben Abhängigkeit (PC/Internet), die als ei Übermäßiger Substanzkonsum, Sucht direkt Betroffenen auch Angehörige, genständige Abhängigkeitserkrankung erkrankungen und verhaltensbezogene insbesondere die mitbetroffenen Fami- („ga ming disorder“) im neuen ICD-11 Abhängigkeitserkrankungen zählen in lien einzubeziehen. aufgenommen werden soll. In der Deutschland und auch speziell in Sach- Summe besteht bei einem nicht gerin- sen zu den häufigsten Gesundheits- Epidemiologie – Umfang und gen Bevölkerungsanteil von etwa zehn problemen mit gravierenden sozialen Differenzierung suchtbezogener Prozent mindestens eine behandlungs- und ökonomischen Auswirkungen. Dies Problemlagen in Sachsen relevante Suchtproblematik. Betroffen ist keine neue Feststellung, sondern Erhebungen zum Substanzkonsum und sind von den Auswirkungen nicht nur beschäftigt unsere Gesellschaft, insbe- substanzbezogenen Störungen in der die suchtkranken Menschen, sondern sondere die Sozial- und Gesundheits- Bevölkerung werden regelmäßig durch- auch Angehörige in der Familie und im politik und das Hilfe- und Behand- geführt, um bedarfsgerechte Angebote sozialen Umfeld. lungssystem, seit vielen Jahrzehnten. der Suchthilfe zu planen und suchtpoli- tische Maßnahmen, die zum Beispiel Aussagen zur Häufigkeit suchtbezoge- Deutlich ausgeprägt ist aktuell der die Verfügbarkeit von Suchtmitteln ein- ner Problemlagen werden auf Grund- Trend einer stärkeren Differenzierung schränken, zu begründen. lage repräsentativer Erhebungen (= Epi und Komplexität suchtbezogener Prob- demiologische Suchtsurveys) getroffen, lemlagen durch Veränderungen in der Rechnerisch ergibt sich für die in Abbil- die jedoch methodisch begrenzt sind, Verfügbarkeit psychoaktiver Substan- dung 1 aufgeführten Suchtformen ein da die Teilnahme an der Befragung frei- zen (NPS, Crystal in Sachsen), Konsum- Gesamtumfang von circa 4,2 Millionen willig erfolgt und durch den Befra- muster (Mischkonsum), Ausdehnung suchtkranker Menschen (nach ICD-10) gungsmodus bestimmte, unter Um auf verschiedenste Konsumentengrup- in Deutschland beziehungsweise bezo- ständen stark suchtbelastete Bevölke- pen sowie aufgrund zunehmender gen auf Sachsen etwa 210.000 Einwoh- rungsgruppen, wie Wohnungslose und stoffungebundener Suchtproblemati- ner. Hinzu kommen betroffene Men- Gefängnisinsassen, nicht erfasst wer- ken, zum Beispiel im Zusammenhang schen mit anderen Suchtstörungen, so den. Dies führt zu Verzerrungen und mit Glücksspielen oder exzessivem Medienkonsum. Unabhängig davon zählen nach wie vor alkoholbezogene Störungen zu den häufigsten Suchtpro- blemen in den verschiedensten Ver sorgungsbereichen suchtkranker Men- schen. Zur Bewältigung von Suchtproblemen und Suchterkrankungen ist ein diffe- renziertes Hilfesystem vernetzter An gebote erforderlich, die multiprofessio- nell aufgestellt sind und Hilfeleis tungen im Rahmen niedrigschwelliger Arbeit, Beratung, Akutversorgung, Ent- wöhnung beziehungsweise zur sozia- Ärzteblatt Sachsen 08|2018 319
themenheft Auswahl suchtbezogener Störungen in Deutschland/Sachsen: min, Ecstasy nicht erfasst. Die Erhe- Bundesweiter Durchschnitt bungen charakterisieren eher einen (in Klammern: absolute Zahlen bundesweiten Durchschnitt zur Häu- Art der suchtbezogenen Problematik hochgerechnet für Sachsen-SN) figkeit eines problematischen Subs- Schätzungen zur Anzahl ausgewählter tanzkonsums bei den vorherrschenden Abhängigkeitserkrankungen Problemsubstanzen beziehungsweise Alkohol-Abhängigkeit 1,8 Mio. (90.000 in SN) Substanzgruppen. Demnach ist ein Medikamente 1,9 Mio. (95.000 in SN) beträchtlicher Bevölkerungsanteil von Illegale Drogen (v.a. Cannabis, Stimulanzien, Opiate) 319.000 (15.000 in SN) circa 20 Prozent mit einem klinisch Pathologisches Glücksspielen 200.000 (10.000 in SN) relevanten (= problematischen) Alko- 12-Monats-Prävalenz von Hinweisen auf klinisch 19 – 20% holkonsum zu registrieren. relevanten Alkoholkonsum (AUDIT –Test) Männer: ca. 30% Frauen: ca. 9% Des Weiteren wird eine Cannabis- Konsumprävalenz von sechs Prozent in 12-Monats-Prävalenz des Konsums von 6% der befragten Personengruppe der 18- Cannabis Männer: ca. 7,5% bis 64-Jährigen festgestellt. Cannabis Frauen: ca. 4% ist somit die am häufigsten konsu- mierte illegale Droge in Deutschland 12-Monats-Prävalenz eines klinisch relevanten 1,3% Konsums von Cannabis (SDS-Test) und speziell auch in Sachsen. Ein kli- nisch relevanter Cannabiskonsum ist DHS (2018) Jahrbuch Sucht 2018 Quelle: IFT (2017) Epidemiologischer Suchtsurvey in Deutschland, Befragung 18- bis 64-Jährige bei 1,3 Prozent der Befragten anzuneh- men. Sig nifikante Unterschiede im Abb. 1: Daten zum Umfang der Sucht-Problematik in Deutschland (Sachsen) Freistaat Sachsen zu den bundeswei- ten Durchschnittswerten bestehen in zur Unterschätzung der Suchtproble- ferenzierte Konsumprofile, zum Bei- den gewählten Parametern nicht. Zu matik vor allem im Bereich der illegalen spiel bei Stimulanzien die Unterschei- beachten sind jedoch geschlechtsspe- Drogen. Auch werden in der Regel dif- dung von Amphetamin, Methampheta- zifische Unterschiede. b: Interaktive Karte mit der Darstellung von Abwasseruntersuchungen von Crystal (Methamphetamin) und Abbauprodukten im Jahr 2017. a: Die Häufigkeit der Crystal-Delikte korreliert mit der Blau-Einfärbung Alle untersuchten Städte werden mit einem Kreissymbol gekenn- in den Regionen. zeichnet. Die Höhe der Belastung korreliert mit dem Kreisumfang. Quelle: aus BKA (2017) Rauschgiftkriminalität. Bundeslagebild 2016 Quelle: www.emcdda.europa.eu/topics/pods/waste-water-analysis Abb. 2 a, b: Indikatoren zur regionalen Verbreitung der Crystal (Methamphetamin)-Problematik in Deutschland 320 Ärzteblatt Sachsen 08|2018
themenheft Wie bereits erwähnt, sind Verzerrun- Dresden gemessen (siehe Abb. 2 a, b). gen belegt. Der Beratungsanteil im gen in der Konsumprävalenz mit Unter- Die besondere epidemiologische Situa- Bereich der Stimulanzien ist in Sachsen schätzung der Problematik im Zusam- tion in Bezug auf den Crystal-Miss- um mehr als das Dreifache höher im menhang mit illegalen Drogen zu brauch im Freistaat Sachsen bildet sich Vergleich zum Bundesdurchschnitt. Für berücksichtigen. Auch sind deutsch- seit 2011 in der zunehmenden Inan- 2015 und 2016 wird eine leicht rückläu- landweite Repräsentativerhebungen spruchnahme suchtbezogener Hilfen fige Entwicklung der Beratungsanteile weniger geeignet, um regionale Beson- in der ambulanten und stationären in Sachsen dokumentiert, die sich wohl derheiten in der Problemhäufung mit Suchthilfe ab. Aktuell werden mehr als auch im Jahr 2017 fortsetzt [2]. speziellen illegalen Drogen zu registrie- ein Fünftel der Beratungsleistungen in ren und differenzierte Aussagen zu den sächsischen Suchtberatungsstel- Unabhängig von der geschilderten substanzspezifischen Auswirkungen len auf Grund einer Crystal-Problema- Crystal-Problematik spielen alkohol zu treffen. Insbesondere wird die be tik geführt. Besondere Herausforde- bezogene Störungen im Vergleich der sondere sächsische Problematik im rungen bestehen in den häufigen verschiedenen Suchtprobleme eine Zusammenhang mit Methamphetamin komorbiden psychischen Störungen, dominierende Rolle in der Suchthilfe. (= Crystal) nicht deutlich. der notwendigen Berücksichtigung be Laut Krankenhausstatistik sind die sonderer Problemlagen im Zusammen- F10 (alkoholbezogenen)-Diagnosen mit Berichte des Bundeskriminalamtes zu hang mit Schwangerschaft und Eltern- einem Anteil von 74 Prozent bei den den Drogen-Sicherstellungen und Dro- schaft sowie in den Anforderungen für suchtbezogenen Diagnosen in Sachsen gendelikten verdeutlichen die Konzen- die Vermittlung in suchtspezifische vertreten [2]. Besorgniserregend sind tration crystalbezogener Problemfälle Beratung und Behandlung (das heißt die seit 2014 zunehmenden Fallzahlen im Freistaat Sachsen und den angren- niedrigschwellig, zeitnah, nahtlos) [1]. von Kindern und Jugendlichen mit einer zenden Regionen. Ähnliche Muster der Alkoholintoxikation in den sächsischen regionalen Verteilung liefern aktuelle In Abbildung 3 sind die Verhältnisse Krankenhäusern (Zunahme auf 745 Untersuchungen von Crystal-Abbau- zur Inanspruchnahme der ambulanten Fälle in 2016 im Vergleich zu 515 Fällen produkten in den Abwässern ausge- Suchthilfe in Sachsen im Bereich der im Jahr 2014). wählter Regionen in Deutschland. Stimulanzien (F15-Diagnosen nach Diese Untersuchungen haben sich seit ICD10) im Zeitverlauf sowie im Ver- In den sächsischen Suchtberatungs- 2010 europaweit etabliert und erstma- gleich zu bundesdeutschen Durch stellen besteht bei 56 Prozent der Hil- lig nahmen im letzten Jahr 16 Städte in schnittswerten dargestellt. Zusammen fesuchenden eine Alkoholproblematik Deutschland an Abwasseruntersuchun gefasst werden unter der Diagnose F15 (Abb. 4). Circa ein Drittel aller Beratun- gen zu Kokain, Amphetamin, Metham- Stimulanzien, das heißt in Abgrenzung gen werden aufgrund von Suchtproble- phetamin (= Crystal) und MDMA (= Ecs- zum Kokain die „anderen Stimulanzien“, men im Zusammenhang mit illegalen tasy) teil. Deutschlandweit wurden wie Ecstasy, Amphetamin und Meth- Drogen (vor allem Crystal, Cannabis 2017 die mit Abstand höchsten meth- amphetamin (= Crystal). In Sachsen ist und Opiate) geführt. Die sogenannten amphetaminbezogenen Abwasserwer diese Kategorie zu circa 95 Prozent stoffungebundenen (= verhaltensbezo- t e in den Städten Chemnitz, Erfurt und aufgrund crystalbezogener Problemla- genen) Suchtformen (pathologisches
themenheft Stimulanzien (F15, u.a. Crystal)-bedingter Hilfebedarf in der ambulanten Suchthilfe, 2009 – 2016 anderen sogenannten „Doppeldiagno- sen“), das heißt suchtbezogener Prob- lemlagen und psychische Erkrankung, wie Depression, Angststörungen sowie Mehrfachabhängigkeit in den verschie- densten Ausprägungen, zum Beispiel der Kombination von Alkoholabhän gigkeit und Crystalproblematik oder pathologisches Glücksspielen und Crystalkonsum. Struktur der Versorgung suchtkranker Menschen in Sachsen Abb. 3: Beratungsanteile aufgrund Stimulanzien in der ambulanten Suchthilfe (2009 – 2016) im Vergleich Sachsen und Bundesdurchschnitt Die dargestellte Vielfalt suchtbezoge- Quelle: DSHS 2009 – 2016 aus Sucht 2017, Bericht der Suchtkrankenhilfe in Sachsen SLS e.V. ner Störungen und der durch diese beeinträchtigten Bereiche (zum Bei- Glücksspielen, Medienabhängigkeit) neben medizinischen/psychotherapeu- spiel Gesundheit, Familie, Kinder, spielen mit jeweils ein bis zwei Prozent tischen Ansätzen ein wichtiges Hand- Arbeitswelt, Sicherheit) erfordern ein eine untergeordnete Rolle. Steigende lungsfeld, das zur Bewältigung sucht- Netz differenzierter und leicht zugäng- Trends zeichnen sich aber ab, sodass bezogener Problemlagen beiträgt. licher Einrichtungen mit Betreuungs-/ die Bedeutung dieser Suchtproblemati- Eine besondere Herausforderung für Unterstützungsangeboten, die sich an ken zukünftig weiter zunehmen und die Suchtkrankenbehandlung und individuellen Bedarfslagen ausrichten, eine differenzierte Angebotsentwick- -betreuung besteht aktuell in der Zu flexible Übergänge zwischen den lung in den Suchthilfeeinrichtungen nahme komorbider Störungen (unter Betreuungs- und Behandlungsangebo- notwendig wird. Festzuhalten ist eine zunehmende Breite suchtbezogener Problemlagen 409 230 sowohl innerhalb der stoffgebundenen 655 als auch stoffungebundenen Suchtfor- 919 men, die keine Randgruppen, sondern 959 viele Menschen in nahezu allen Alters- gruppen und unabhängig vom Ge schlecht betreffen. Werden Hilfeange- 12.670 bote zu spät angenommen, führen 2.160 Suchtprobleme häufig zu Abhängig- keitserkrankungen mit erheblichen ge sundheitlichen und sozialen Beein- Gesamtzahl trächtigungen, wie familiäre Belastun- 22.546 Alkohol gen, berufliches Scheitern, Schulden Crystal und sozialer Rückzug. So liegt der Cannabioide Anteil erwerbsloser, suchtkranker Men- Sonstige schen, die in den sächsischen Suchtbe- Opioide ratungsstellen betreut werden, zwi- Glücksspiel schen 47 Prozent bei Alkoholabhängig- 4.544 andere ill. Drogen keit und bis zu 70 Prozent bei einer Suchtproblematik im Zusammenhang Medien mit Opioiden beziehungsweise Crystal. Die Verbesserung der Ausbildungs- und Abb. 4: Anzahl der Hilfesuchenden und Anteile der verschiedenen Suchtproblematiken in den sächsischen Beschäftigungssituation ist somit Suchtberatungsstellen 2017 322 Ärzteblatt Sachsen 08|2018
themenheft ten zulassen und multiprofessionelle Hilfestellungen für die bio-psycho- sozialen Krankheitsaspekte realisieren. Die jeweiligen Behandlungsziele bilden ein gestuftes Bedarfsspektrum ab und reichen von dringlichen kurzfristigen Zielen zur Sicherung des Überlebens bis hin zu weitreichend langfristigen Ent- wicklungen (berufliche/soziale Reinte- gration; autonome Lebensgestaltung). Ein wichtiger Handlungsansatz ist ein möglichst frühzeitiges Erkennen und Intervenieren bei suchtbezogenen Pro- blemlagen, um Folgeschäden zu mini- mieren und Chronifizierung mit einher- gehenden schweren gesundheitlichen und sozialen Beeinträchtigungen zu vermeiden. In der Umsetzung differenzierter Hilfe- stellungen bereiten die unterschiedli- chen Zuständigkeiten (= Kosten-/Leis- tungsträgerschaft, geregelt im jeweili- gen Sozialgesetzbuch �SGB�) Schwie rigkeiten und erfordern eine enge Zu sammenarbeit zwischen den Akteuren, um bedarfsgerechte, nahtlose und nach haltige Hilfeleistungen zu realisieren. In Abbildung 5 sind wichtige Versor- gungsgrundsätze und Bausteine im Suchthilfesystem zusammengefasst. Während früher von der Behandlungs- Abb. 5: Kurzdarstellung zu Anforderungen und Bausteinen des Hilfenetzes für suchtbezogene Problemlagen kette gesprochen wurde, spricht man heute vom Behandlungsnetz, da die Behandlungspfade weniger linear sind, schen, beraten und unterstützt. Regio- halb des Sächs.PsychKG (Sächsisches sondern die Behandlung/Betreuung/ nale Angebote von Suchtberatungs- Gesetz über die Hilfen und die Unter- Unterstützung idealerweise flexibel auf und Behandlungsstellen (in Sachsen = bringung bei psychischen Krankheiten, Grundlage des individuellen Bedarfes SBB) werden als Pflichtaufgaben inner- aktuelle Fassung vom 7. August 2014) ausgerichtet ist. Dies erfordert häufig koordinierende Unterstützungen im Sinne eines Fallmanagements, das regionale Suchtberatungsstellen über- nehmen. Auch die ersten Kontakte zur Auseinandersetzung mit der Sucht fin- den häufig über Suchtberatungsstellen statt, sodass eine kontinuierliche Begleitung in der Krankheitsbewälti- gung stattfinden kann. Zusätzlich wer- den Bezugspersonen, wie zum Beispiel Angehörige von suchtkranken Men- Ärzteblatt Sachsen 08|2018 323
themenheft Ambulante Suchthilfe in den sächsischen Regionen zum 31.12.2017: vorgeschrieben. Mit der finanziellen Fachkraft-Versorgung: Einwohner pro Fachkraft Unterstützung durch den Freistaat Sachsen erfolgt die Ausgestaltung und Umsetzung der ambulanten Suchthilfe in der Verantwortung der kommunalen Gebietskörperschaft auf Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte. In den letzten Jahren fand für die gestie- genen suchtbezogenen Aufgaben eine Angebotsentwicklung mit der Verbes- serung der Fachkraft-Ausstattung statt [2]. In der Mehrzahl sächsischer Regionen wird aktuell (Stand 31. De zember 2017) ein Versorgungsgrad von mindestens einem Suchtberater pro 20.000 Einwohner registriert (Ab bildung 6). Abb. 6: Regionaler Vergleich zur Fachkraft-Situation in der ambulanten Suchthilfe/Suchtberatung (dargestellt als Fachkraft-Schlüssel, Einwohner pro Fachkraft). Regionen mit grün-dargestellten Balken Therapievorbereitung und -vermittlung erreichen eine Versorgungsdichte von 1:20.000 oder günstiger. zählen zu den wichtigen Aufgaben von Suchtberatungsstellen. Kooperations- nestische Erfolgsquote ein Jahr nach nahen Angebote der Suchthilfe und partner sind sowohl die Einrichtungen der Beendigung einer Alkoholentwöh- kooperierende Einrichtungen (wie Job- der Akutversorgung, Entwöhnungsbe- nungsbehandlung über 40 Prozent [3]. center, Jugendhilfe). Nachsorgeange- handlung aber auch Jugendhilfe oder bote in den Suchtberatungsstellen als Eingliederungshilfe. Aufgrund der zu Von Seiten der Kostenträger und Leis- auch Arbeits-/Beschäftigungs- und nehmenden Crystal-Problematik haben tungserbringer erfolgten in den letzten Freizeitangebote fördern die soziale sich die erbrachten Hilfeleistungen in Jahren verschiedene Bemühungen, Reintegration und gesellschaftliche Kooperation mit Trägern der Jugend- Übergänge von der Akutbehandlung in Teilhabe suchtkranker Menschen. Diese hilfe (zum Beispiel bei Crystalkonsum die Entwöhnungsbehandlung (= Post Angebote nehmen einen wichtigen im Kontext Schwangerschaft und akutbehandlung) über sogenannte Platz im Hilfesystem ein. Dennoch fehlt Elternschaft, Realisierung von Unter- Nahtlosverfahren mittels gemeinsamer häufig eine Regelfinanzierung und die stützungsangeboten für suchtbelas- Rahmenkonzepte der Kostenträger zu Angebotsentwicklung findet nicht flä- tete Familien, für Kinder beziehungs- verbessern und die Behandlungsfor- chendeckend in Sachsen statt. Wün- weise Eltern) um ein Vielfaches erhöht. men flexibel umzusetzen mit der Ziel- schenswert wären zukünftige Projekt- Aber auch niedergelassene Ärzte, Ein- stellung einer weiteren Stärkung der entwicklungen in gemeinsamer Ver- richtungen der medizinischen Grund- Therapie-Inanspruchnahme und des antwortung von Jobcenter, Rentenver- versorgung sind wichtige Netzwerk- Behandlungserfolges. Nunmehr stehen sicherung und Suchthilfeträger. Chan- partner und fungieren häufig als flexible Therapieformen (ambulant, cen dafür bietet ein neuer gesetzlicher Anlaufstelle für suchtkranke beziehungs stationär, Kombitherapie, Adaption, Rahmen unter § 11 SGB IX, der eine weise suchtgefährdete Menschen ins- Wechsel in ambulante Entlassungs- Modellförderung zur Stärkung der besondere im Zusammenhang mit form mit Therapieverkürzung, Wechsel Rehabilitation bis 2022 mit einem Ge somatischen und/oder psychischen Be in ambulante Rehabilitation mit Thera- samtvolumen von jeweils 500 Millionen schwerden und durch die Einbeziehung pieverlängerung, Nachsorge) für eine Euro deutschlandweit vorsieht. suchtspezifischer Diagnostik, Kurzin- bedarfsgerechte Therapieplanung und tervention und Weitervermittlung. -durchführung zur Verfügung. Bestandteile des Hilfenetzes sind ver- Zu den wirksamsten suchtspezifischen schiedene Formen der Eingliederungs- Behandlungsoptionen zählen Entwöh- Wichtige Beiträge für den Zugang zu hilfe (Betreuung im Einzelwohnen, nungsbehandlungen unter anderem im suchtspezifischen Hilfen beziehungs- Wohngruppe oder sozialtherapeutische Anschluss an eine qualifizierte Ent- weise zur Sicherung und Festigung von Wohnstätte), die bei schweren Sucht- zugsbehandlung. So beträgt die katam- Therapieerfolgen leisten die gemeinde- verläufen notwendig sind. Diese Men- 324 Ärzteblatt Sachsen 08|2018
themenheft Abb. 7: Screenshot der online Suchthilfe-Datenbank unter www.suchthilfe-sachsen.de schen sind aufgrund erheblicher kör- beziehungsweise Mischkonsum bei zielle Betreuungsangebote an drei perlicher, psychischer und sozialer Be jüngeren Menschen (bis circa 35 Jahre) sächsischen Standorten zur Verfügung einträchtigungen vorübergehend (unter registriert, für die ein längerfristiger stehen. Umständen dauerhaft) nicht in der sozialtherapeutischer Unterstützungs- Sucht-Selbsthilfegruppen sind Zusam- Lage, selbstständig und eigenverant- bedarf, zum Beispiel zur Wiederherstel- menschlüsse von Betroffenen (Sucht- wortlich ihr Leben zu bewältigen und lung der Reha-Fähigkeit, besteht. Ende kranke, Angehörige von Suchtkranken) zu organisieren. Langjähriger chroni- 2018 werden für diese Menschen spe- zur gegenseitigen Unterstützung. In scher Alkoholmissbrauch ist die häu- figste Ursache für die schweren gesundheitlichen Folgeschäden (soma- tisch, psychiatrisch-neurologisch), die die Arbeits- und Teilhabefähigkeit erheblich einschränken. Zunehmend werden auch schwere chronifizierte Suchtverläufe im Zusammenhang mit illegalen Drogen (Crystal, Opioide) Ärzteblatt Sachsen 08|2018 325
themenheft Sachsen bestehen über 340 Gruppen- linien suchtbezogener Störungen [3, 1]. tungen aber auch die zahlreichen angebote (als trägerunabhängige Gegenwärtig werden zunehmend auch Selbsthilfegruppen wichtige Aufgaben. Gruppe, als Gruppe der Suchtselbsthil- andere Formen der gegenseitigen Ein Überblick zu den Einrichtungen in feverbände Blaues Kreuz, Freundes- Unterstützung unter Verwendung digi- Sachsen beziehungsweise in den säch- kreise, Kreuzbund oder als Meeting der taler Kommunikationsmittel genutzt. sischen Landkreisen/Kreisfreien Städ- Anonymen Alkoholiker), die bei ver- So bestehen zum Beispiel online-Mee- ten ist in der online-Datenbank der Säch schiedensten suchtbezogenen Prob- tings der Anonymen Alkoholiker und sischen Landesstelle gegen die Sucht lemlagen genutzt werden. Traditionell unter www.breaking-meth.de finden gefahren e. V. unter www.suchthilfe- nehmen vor allem Menschen mit Alko- Crystal-Konsumenten ein niedrig- sachsen.de verfügbar (Abb. 7). holproblemen an den Gruppen- treffen teil. Aber auch Menschen Im Mittelpunkt aller suchtbezo- mit einer anderen Suchtproble- „Angebote der Selbsthilfe ermög genen Hilfeleistungen stehen die matik, wie im Bereich der illega- len Drogen, Spielsucht, Ess-Stö- lichen in der niedrigschwelligen, betroffenen Menschen, Angehö- rige und Bezugspersonen, denen rungen, als auch Angehörige von bedingungslosen Form erste weiteres Leid erspart wird und suchtkranken Menschen, speziell Schritte aus der Sucht, sind für die sich neue Lebensperspek- auch Eltern suchtkranker Kinder, aber primär bewährte tiven eröffnen. Zudem können nutzen zunehmend die Selbsthil- beträchtliche, suchtbedingte Fol- feangebote für die Problembe- Bestandteile der Rückfall gekosten für die Gesellschaft ver- wältigung. Angebote der Selbst- verhütung und Stabilisierung.“ mieden werden, sodass Bemü- hilfe ermöglichen in der niedrig- hungen und Investitionen der schwelligen, bedingungslosen beteiligten Kosten-/Verantwor- Form erste Schritte aus der Sucht, sind schwelliges Selbsthilfeangebot mit tungsträger und Leistungserbringer in aber primär bewährte Bestandteile der professioneller Moderation. den leistungsfähigen Strukturen der Rückfallverhütung und Stabilisierung, Abschließend ist festzuhalten, dass Suchthilfe und Suchtprävention loh- denn hier erfolgt langfristige soziale Suchterkrankungen als Rezidiverkran- nend sind. Unterstützung und wird der Umgang in kungen verschiedenste Hilfestellungen, Literatur beim Autor schwierigen Situationen und bei Rück- unter Umständen auch Therapiewie- fällen thematisiert. Die Wirksamkeit derholungen, und generell langfristige Interessenkonflikte: keine der Selbsthilfe ist wissenschaftlich Unterstützungen für Gesundheitssta- Dr. rer. medic. Olaf Rilke anerkannt und die Empfehlung zum bilisierung und Krankheitsbewältigung Leiter der SLS-Geschäftsstelle regelmäßigen, langfristigen Besuch von erfordern. Hier übernehmen medizini- Sächsische Landesstelle gegen die Suchtgefahren e. V. (SLS) Selbsthilfegruppen ist ein wichtiger sche Einrichtungen, Suchtberatungs- Glacisstraße 26, 01099 Dresden Bestandteil der S3-Behandlungsleit stellen, weitere kooperierende Einrich- E-Mail: rilke@slsev.de Anzeige Einladung 10. Netzwerktreffen Vom Piloten in die Regelversorgung Neue Ansätze der ärztlichen Nachwuchsgewinnung 12. September 2018, 14.00 Uhr, # Pilotprojekte für Modellregionen im E-Werk Weißwasser/O.L., Straße des Friedens 13-19 # Telemedizin im Vogtlandkreis # Eigenpraxis Mügeln # Ärzte für Ostsachsen Die Teilnahme an der Veranstaltung ist kostenfrei. # CWE Nachwuchs-Kampagne Anmeldung: info@aerzte-fuer-sachsen.de oder 0351 8267 136 # LEADER-Förderungen 326 Ärzteblatt Sachsen 08|2018
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