Epidemiologie suchtbezogener Problem lagen und Struktur der Versorgung suchtkranker Menschen in Sachsen

 
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Epidemiologie suchtbezogener Problem lagen und Struktur der Versorgung suchtkranker Menschen in Sachsen
themenheft

Epidemiologie suchtbezogener Problem­
lagen und Struktur der Versorgung
suchtkranker Menschen in Sachsen
O. Rilke
                                        len und beruflichen Reintegration rea-     im Zusammenhang mit einer Medien-
Zusammenfassung                         lisieren. In den Hilfeprozess sind neben   Abhängigkeit (PC/Internet), die als ei­­
Übermäßiger Substanzkonsum, Sucht­ direkt Betroffenen auch Angehörige,             genständige Abhängigkeitserkrankung
erkrankungen und verhaltensbezogene insbesondere die mitbetroffenen Fami-          („ga­
                                                                                       ming disorder“) im neuen ICD-11
Abhängigkeitserkrankungen zählen in lien einzubeziehen.                            aufgenommen werden soll. In der
Deutschland und auch speziell in Sach-                                             Summe besteht bei einem nicht gerin-
sen zu den häufigsten Gesundheits- Epidemiologie – Umfang und                      gen Bevölkerungsanteil von etwa zehn
problemen mit gravierenden sozialen Differenzierung suchtbezogener                 Prozent mindestens eine behandlungs-
und ökonomischen Auswirkungen. Dies Problemlagen in Sachsen                        relevante Suchtproblematik. Be­­troffen
ist keine neue Feststellung, sondern Erhebungen zum Substanzkonsum und             sind von den Auswirkungen nicht nur
beschäftigt unsere Gesellschaft, insbe- substanzbezogenen Störungen in der         die suchtkranken Menschen, sondern
sondere die Sozial- und Gesundheits- Bevölkerung werden regelmäßig durch-          auch Angehörige in der Familie und im
politik und das Hilfe- und Behand- geführt, um bedarfsgerechte Angebote            sozialen Umfeld.
lungssystem, seit vielen Jahrzehnten.   der Suchthilfe zu planen und suchtpoli-
                                        tische Maßnahmen, die zum Beispiel         Aussagen zur Häufigkeit suchtbezoge-
Deutlich ausgeprägt ist aktuell der die Verfügbarkeit von Suchtmitteln ein-        ner Problemlagen werden auf Grund-
Trend einer stärkeren Differenzierung schränken, zu be­­gründen.                   lage repräsentativer Erhebungen (= Epi­
und Komplexität suchtbezogener Prob-                                               demiologische Suchtsurveys) ge­­troffen,
lemlagen durch Veränderungen in der Rechnerisch ergibt sich für die in Abbil-      die jedoch methodisch begrenzt sind,
Verfügbarkeit psychoaktiver Substan- dung 1 aufgeführten Suchtformen ein           da die Teilnahme an der Befragung frei-
zen (NPS, Crystal in Sachsen), Konsum- Gesamtumfang von circa 4,2 Millionen        willig erfolgt und durch den Befra-
muster (Mischkonsum), Ausdehnung sucht­kranker Menschen (nach ICD-10)              gungsmodus bestimmte, unter Um­­
auf verschiedenste Konsumentengrup- in Deutschland beziehungsweise bezo-           ständen stark suchtbelastete Bevölke-
pen sowie aufgrund zunehmender gen auf Sachsen etwa 210.000 Einwoh-                rungsgruppen, wie Wohnungslose und
stoffungebundener Suchtproblemati- ner. Hinzu kommen betroffene Men-               Gefängnisinsassen, nicht erfasst wer-
ken, zum Beispiel im Zusammenhang schen mit anderen Suchtstörungen, so             den. Dies führt zu Verzerrungen und
mit Glücksspielen oder exzessivem
Medienkonsum. Unabhängig davon
zählen nach wie vor alkoholbezogene
Störungen zu den häufigsten Suchtpro-
blemen in den verschiedensten Ver­
sorgungsbereichen suchtkranker Men-
schen.

Zur Bewältigung von Suchtproblemen
und Suchterkrankungen ist ein diffe-
renziertes Hilfesystem vernetzter An­­
gebote erforderlich, die multiprofessio-
nell aufgestellt sind und Hilfeleis­
tungen im Rahmen niedrigschwelliger
Arbeit, Beratung, Akutversorgung, Ent-
wöhnung beziehungsweise zur sozia-

Ärzteblatt Sachsen 08|2018                                                                                               319
Epidemiologie suchtbezogener Problem lagen und Struktur der Versorgung suchtkranker Menschen in Sachsen
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  Auswahl suchtbezogener Störungen in Deutschland/Sachsen:
                                                                                                                min, Ecstasy nicht erfasst. Die Erhe-
                                                                        Bundesweiter Durchschnitt               bungen charakterisieren eher einen
                                                                       (in Klammern: absolute Zahlen            bundesweiten Durchschnitt zur Häu-
   Art der suchtbezogenen Problematik                                  hochgerechnet für Sachsen-SN)
                                                                                                                figkeit eines problematischen Subs-
   Schätzungen zur Anzahl ausgewählter                                                                          tanzkonsums bei den vorherrschenden
   ­Abhängigkeitserkrankungen
                                                                                                                Problemsubstanzen beziehungsweise
                                     Alkohol-Abhängigkeit                   1,8 Mio. (90.000 in SN)
                                                                                                                Substanzgruppen. Demnach ist ein
                                               Medikamente                  1,9 Mio. (95.000 in SN)
                                                                                                                beträchtlicher Bevölkerungsanteil von
      Illegale Drogen (v.a. Cannabis, Stimulanzien, Opiate)                 319.000 (15.000 in SN)
                                                                                                                circa 20 Prozent mit einem klinisch
                           Pathologisches Glücksspielen                     200.000 (10.000 in SN)
                                                                                                                relevanten (= problematischen) Alko-
   12-Monats-Prävalenz von Hinweisen auf klinisch                                    19 – 20%                   holkonsum zu registrieren.
   relevanten Alkoholkonsum (AUDIT –Test)                           Männer: ca. 30%
                                                                    Frauen: ca. 9%             Des Weiteren wird eine Cannabis-­
                                                                                               Konsumprävalenz von sechs Prozent in
  12-Monats-Prävalenz des Konsums von                                               6%         der befragten Personengruppe der 18-
  Cannabis                                                        Männer: ca. 7,5%             bis 64-Jährigen festgestellt. Cannabis
                                                                  Frauen: ca. 4%               ist somit die am häufigsten konsu-
                                                                                               mierte illegale Droge in Deutschland
  12-Monats-Prävalenz eines klinisch relevanten                                    1,3%
  Konsums von Cannabis (SDS-Test)                                                              und speziell auch in Sachsen. Ein kli-
                                                                                               nisch relevanter Cannabiskonsum ist
 DHS (2018) Jahrbuch Sucht 2018
 Quelle: IFT (2017) Epidemiologischer Suchtsurvey in Deutschland, Befragung 18- bis 64-Jährige bei 1,3 Prozent der Befragten anzuneh-
                                                                                               men. Sig­  nifikante Unterschiede im
 Abb. 1: Daten zum Umfang der Sucht-Problematik in Deutschland (Sachsen)
                                                                                               Freistaat Sachsen zu den bundeswei-
                                                                                               ten Durchschnittswerten bestehen in
 zur Unterschätzung der Suchtproble- ferenzierte Konsumprofile, zum Bei- den ge­­wählten Parametern nicht. Zu
 matik vor allem im Bereich der illegalen spiel bei Stimulanzien die Unterschei- beachten sind jedoch geschlechtsspe-
 Drogen. Auch werden in der Regel dif- dung von Amphetamin, Methampheta- zifische Unterschiede.

                                                                                                b: Interaktive Karte mit der Darstellung von Abwasseruntersuchungen
                                                                                                von Crystal (Methamphetamin) und Abbauprodukten im Jahr 2017.
 a: Die Häufigkeit der Crystal-Delikte korreliert mit der Blau-Einfärbung                       Alle untersuchten Städte werden mit einem Kreissymbol gekenn-
 in den Regionen.                                                                               zeichnet. Die Höhe der Belastung korreliert mit dem Kreisumfang.
 Quelle: aus BKA (2017) Rauschgiftkriminalität. Bundeslagebild 2016                             Quelle: www.emcdda.europa.eu/topics/pods/waste-water-analysis
  Abb. 2 a, b: Indikatoren zur regionalen Verbreitung der Crystal (Methamphetamin)-Problematik in Deutschland

320                                                                                                                                       Ärzteblatt Sachsen 08|2018
Epidemiologie suchtbezogener Problem lagen und Struktur der Versorgung suchtkranker Menschen in Sachsen
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Wie bereits erwähnt, sind Verzerrun-      Dresden gemessen (siehe Abb. 2 a, b).     gen belegt. Der Beratungsanteil im
gen in der Konsumprävalenz mit Unter-     Die besondere epidemiologische Situa-     Bereich der Stimulanzien ist in Sachsen
schätzung der Problematik im Zusam-       tion in Bezug auf den Crystal-Miss-       um mehr als das Dreifache höher im
menhang mit illegalen Drogen zu           brauch im Freistaat Sachsen bildet sich   Vergleich zum Bundesdurchschnitt. Für
berücksichtigen. Auch sind deutsch-       seit 2011 in der zunehmenden Inan-        2015 und 2016 wird eine leicht rückläu-
landweite Repräsentativerhebungen         spruchnahme suchtbezogener Hilfen         fige Entwicklung der Beratungsanteile
weniger geeignet, um regionale Beson-     in der ambulanten und stationären         in Sachsen dokumentiert, die sich wohl
derheiten in der Problemhäufung mit       Suchthilfe ab. Aktuell werden mehr als    auch im Jahr 2017 fortsetzt [2].
speziellen illegalen Drogen zu registrie- ein Fünftel der Beratungsleistungen in
ren und differenzierte Aussagen zu        den sächsischen Suchtberatungsstel-       Unabhängig von der geschilderten
substanzspezifischen Auswirkungen         len auf Grund einer Crystal-Problema-     Crystal-Problematik spielen alkohol­
zu treffen. Insbesondere wird die be­­    tik geführt. Besondere Herausforde-       bezogene Störungen im Vergleich der
sondere sächsische Problematik im         rungen bestehen in den häufigen           verschiedenen Suchtprobleme eine
Zusammenhang mit Methamphetamin           komorbiden psychischen Störungen,         dominierende Rolle in der Suchthilfe.
(= Crystal) nicht deutlich.               der notwendigen Berücksichtigung be­­     Laut Krankenhausstatistik sind die
                                          sonderer Problemlagen im Zusammen-        F10 (alkoholbezogenen)-Diagnosen mit
Berichte des Bundeskriminalamtes zu hang mit Schwangerschaft und Eltern-            einem Anteil von 74 Prozent bei den
  den Drogen-Sicherstellungen und Dro- schaft sowie in den Anforderungen für        suchtbezogenen Diagnosen in Sachsen
  gendelikten verdeutlichen die Konzen- die Vermittlung in suchtspezifische         vertreten [2]. Besorgniserregend sind
 tration crystalbezogener Problemfälle Beratung und Behandlung (das heißt           die seit 2014 zunehmenden Fallzahlen
  im Freistaat Sachsen und den angren- niedrigschwellig, zeitnah, nahtlos) [1].     von Kindern und Jugendlichen mit einer
zenden Regionen. Ähnliche Muster der                                                Alkoholintoxikation in den sächsischen
regionalen Verteilung liefern aktuelle In Abbildung 3 sind die Verhältnisse         Krankenhäusern (Zunahme auf 745
  Untersuchungen von Crystal-Abbau- zur Inanspruchnahme der ambulanten              Fälle in 2016 im Vergleich zu 515 Fällen
produkten in den Abwässern ausge- Suchthilfe in Sachsen im Bereich der              im Jahr 2014).
wählter Regionen in Deutschland. Stimulanzien (F15-Diagnosen nach
Diese Untersuchungen haben sich seit ICD10) im Zeitverlauf sowie im Ver-            In den sächsischen Suchtberatungs-
2010 europaweit etabliert und erstma- gleich zu bundesdeutschen Durch­              stellen besteht bei 56 Prozent der Hil-
  lig nahmen im letzten Jahr 16 Städte in schnitts­werten dargestellt. Zusammen­    fesuchenden eine Alkoholproblematik
Deutschland an Abwasseruntersuchun­ gefasst werden unter der Diagnose F15           (Abb. 4). Circa ein Drittel aller Beratun-
 ­gen zu Kokain, Amphetamin, Metham- Stimulanzien, das heißt in Abgrenzung          gen werden aufgrund von Suchtproble-
phetamin (= Crystal) und MDMA (= Ecs- zum Kokain die „anderen Stimulanzien“,        men im Zusammenhang mit illegalen
tasy) teil. Deutschlandweit wurden wie Ecstasy, Amphetamin und Meth-                Drogen (vor allem Crystal, Cannabis
2017 die mit Abstand höchsten meth- amphetamin (= Crystal). In Sachsen ist          und Opiate) geführt. Die sogenannten
amphetaminbezogenen Abwasserwer­ diese Kategorie zu circa 95 Prozent                stoff­ungebundenen (= verhaltensbezo-
t­ e in den Städten Chemnitz, Erfurt und aufgrund crystalbezogener Problemla-       genen) Suchtformen (pathologisches
Epidemiologie suchtbezogener Problem lagen und Struktur der Versorgung suchtkranker Menschen in Sachsen
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  Stimulanzien (F15, u.a. Crystal)-bedingter Hilfebedarf in der
  ambulanten Suchthilfe, 2009 – 2016                                                              anderen sogenannten „Doppeldiagno-
                                                                                                  sen“), das heißt suchtbezogener Prob-
                                                                                                  lemlagen und psychische Erkrankung,
                                                                                                  wie Depression, Angststörungen sowie
                                                                                                  Mehrfachabhängigkeit in den verschie-
                                                                                                  densten Ausprägungen, zum Beispiel
                                                                                                  der Kombination von Alkoholabhän­
                                                                                                  gigkeit und Crystalproblematik oder
                                                                                                  pathologisches Glücksspielen und
                                                                                                  Crystalkonsum.

                                                                                                  Struktur der Versorgung
                                                                                                  suchtkranker Menschen in Sachsen
  Abb. 3: Beratungsanteile aufgrund Stimulanzien in der ambulanten Suchthilfe
  (2009 – 2016) im Vergleich Sachsen und Bundesdurchschnitt
                                                                                                  Die dargestellte Vielfalt suchtbezoge-
  Quelle: DSHS 2009 – 2016 aus Sucht 2017, Bericht der Suchtkrankenhilfe in Sachsen SLS e.V.      ner Störungen und der durch diese
                                                                                                  beeinträchtigten Bereiche (zum Bei-
 Glücksspielen,    Medienabhängigkeit)                  neben medizinischen/psychotherapeu-       spiel Gesundheit, Familie, Kinder,
 spielen mit jeweils ein bis zwei Prozent               tischen Ansätzen ein wichtiges Hand-      Arbeitswelt, Sicherheit) erfordern ein
 eine untergeordnete Rolle. Steigende                   lungsfeld, das zur Bewältigung sucht-     Netz differenzierter und leicht zugäng-
 Trends zeichnen sich aber ab, sodass                   bezogener Problemlagen beiträgt.          licher Einrichtungen mit Betreuungs-/
 die Bedeutung dieser Suchtproblemati-                  Eine besondere Herausforderung für        Unterstützungsangeboten, die sich an
 ken zukünftig weiter zunehmen und                      die Suchtkrankenbehandlung und            individuellen Bedarfslagen ausrichten,
 eine differenzierte Angebotsentwick-                  -be­­treuung besteht aktuell in der Zu­­   flexible Übergänge zwischen den
 lung in den Suchthilfeeinrichtungen                    nahme komorbider Störungen (unter         Betreuungs- und Behandlungsangebo-
 notwendig wird.

 Festzuhalten ist eine zunehmende
 Breite suchtbezogener Problemlagen
                                                                          409 230
 sowohl innerhalb der stoffgebundenen                              655
 als auch stoffungebundenen Suchtfor-                       919
 men, die keine Randgruppen, sondern
                                                   959
 viele Menschen in nahezu allen Alters-
 gruppen und unabhängig vom Ge­­
 schlecht betreffen. Werden Hilfeange-                                                                            12.670
 bote zu spät angenommen, führen 2.160
 Suchtprobleme häufig zu Abhängig-
 keitserkrankungen mit erheblichen ge­­
 sundheitlichen und sozialen Beein-                                        Gesamtzahl
 trächtigungen, wie familiäre Belastun-                                      22.546                                        Alkohol
 gen, berufliches Scheitern, Schulden                                                                                      Crystal
 und sozialer Rückzug. So liegt der                                                                                        Cannabioide
 Anteil erwerbsloser, suchtkranker Men-
                                                                                                                           Sonstige
 schen, die in den sächsischen Suchtbe-
                                                                                                                           Opioide
 ratungsstellen be­­treut werden, zwi-
                                                                                                                           Glücksspiel
 schen 47 Prozent bei Alkoholabhängig-      4.544
                                                                                                                           andere ill. Drogen
 keit und bis zu 70 Prozent bei einer
 Suchtproblematik im Zusammenhang                                                                                          Medien

 mit Opioiden beziehungsweise Crystal.
 Die Verbesserung der Ausbildungs- und Abb. 4: Anzahl der Hilfesuchenden und Anteile der verschiedenen Suchtproblematiken in den sächsischen
 Beschäftigungssituation ist somit Suchtberatungsstellen 2017

322                                                                                                                    Ärzteblatt Sachsen 08|2018
Epidemiologie suchtbezogener Problem lagen und Struktur der Versorgung suchtkranker Menschen in Sachsen
themenheft

ten zulassen und multiprofessionelle
Hilfestellungen für die bio-psycho-
sozialen Krankheitsaspekte realisieren.
Die jeweiligen Behandlungsziele bilden
ein gestuftes Bedarfsspektrum ab und
reichen von dringlichen kurzfristigen
Zielen zur Sicherung des Überlebens bis
hin zu weitreichend langfristigen Ent-
wicklungen (berufliche/soziale Reinte-
gration; autonome Lebensgestaltung).
Ein wichtiger Handlungsansatz ist ein
möglichst frühzeitiges Erkennen und
Intervenieren bei suchtbezogenen Pro-
blemlagen, um Folgeschäden zu mini-
mieren und Chronifizierung mit einher-
gehenden schweren gesundheitlichen
und sozialen Beeinträchtigungen zu
vermeiden.
In der Umsetzung differenzierter Hilfe-
stellungen bereiten die unterschiedli-
chen Zuständigkeiten (= Kosten-/Leis-
tungsträgerschaft, geregelt im jeweili-
gen Sozialgesetzbuch �SGB�) Schwie­
rigkeiten und erfordern eine enge Zu­­
sammenarbeit zwischen den Akteuren,
um bedarfsgerechte, nahtlose und nach­
haltige Hilfeleistungen zu realisieren.

In Abbildung 5 sind wichtige Versor-
gungsgrundsätze und Bausteine im
Suchthilfesystem zusammengefasst.
Während früher von der Behandlungs-         Abb. 5: Kurzdarstellung zu Anforderungen und Bausteinen des Hilfenetzes für
                                            suchtbezogene Problemlagen
kette ge­­sprochen wurde, spricht man
heute vom Behandlungsnetz, da die
Behandlungspfade weniger linear sind,       schen, beraten und unterstützt. Regio-               halb des Sächs.PsychKG (Sächsisches
sondern die Behandlung/Betreuung/           nale Angebote von Suchtberatungs-                    Gesetz über die Hilfen und die Unter-
Unter­­stützung idealerweise flexibel auf   und Behandlungsstellen (in Sachsen =                 bringung bei psychischen Krankheiten,
Grundlage des individuellen Bedarfes        SBB) werden als Pflichtaufgaben inner-               aktuelle Fassung vom 7. August 2014)
ausgerichtet ist. Dies erfordert häufig
koordinierende Unterstützungen im
Sinne eines Fallmanagements, das
regionale Suchtberatungsstellen über-
nehmen. Auch die ersten Kontakte zur
Auseinandersetzung mit der Sucht fin-
den häufig über Suchtberatungsstellen
statt, sodass eine kontinuierliche
Begleitung in der Krankheitsbewälti-
gung stattfinden kann. Zusätzlich wer-
den Bezugspersonen, wie zum Beispiel
Angehörige von suchtkranken Men-

Ärzteblatt Sachsen 08|2018                                                                                                          323
Epidemiologie suchtbezogener Problem lagen und Struktur der Versorgung suchtkranker Menschen in Sachsen
themenheft

                                            Ambulante Suchthilfe in den sächsischen Regionen zum 31.12.2017:
 vorgeschrieben. Mit der finanziellen Fachkraft-Versorgung: Einwohner pro Fachkraft
 Unterstützung durch den Freistaat
 Sachsen erfolgt die Ausgestaltung und
 Umsetzung der ambulanten Suchthilfe
 in der Verantwortung der kommunalen
 Gebietskörperschaft auf Ebene der
 Landkreise und kreisfreien Städte. In
 den letzten Jahren fand für die gestie-
 genen suchtbezogenen Aufgaben eine
 Angebotsentwicklung mit der Verbes-
 serung der Fachkraft-Ausstattung
 statt [2]. In der Mehrzahl sächsischer
 Regionen wird aktuell (Stand 31. De­­
 zember 2017) ein Versorgungsgrad
 von mindestens einem Suchtberater
 pro 20.000 Einwohner registriert (Ab­­
 bildung 6).
                                            Abb. 6: Regionaler Vergleich zur Fachkraft-Situation in der ambulanten Suchthilfe/Suchtberatung
                                            (dargestellt als Fachkraft-Schlüssel, Einwohner pro Fachkraft). Regionen mit grün-dargestellten Balken
 Therapievorbereitung und -vermittlung      erreichen eine Versorgungsdichte von 1:20.000 oder günstiger.
 zählen zu den wichtigen Aufgaben von
 Suchtberatungsstellen. Kooperations-        nestische Erfolgsquote ein Jahr nach nahen Angebote der Suchthilfe und
  partner sind sowohl die Einrichtungen      der Beendigung einer Alkoholentwöh- kooperierende Einrichtungen (wie Job-
  der Akutversorgung, Entwöhnungsbe-         nungsbehandlung über 40 Prozent [3]. center, Jugendhilfe). Nachsorgeange-
  handlung aber auch Jugendhilfe oder                                                bote in den Suchtberatungsstellen als
 Eingliederungshilfe. Aufgrund der zu­­      Von Seiten der Kostenträger und Leis- auch Arbeits-/Beschäftigungs- und
  nehmenden Crystal-Problematik haben        tungserbringer erfolgten in den letzten Freizeitangebote fördern die soziale
 sich die erbrachten Hilfeleistungen in      Jahren verschiedene Bemühungen, Reintegration und gesellschaftliche
 Kooperation mit Trägern der Jugend-         Übergänge von der Akutbehandlung in Teilhabe suchtkranker Menschen. Diese
  hilfe (zum Beispiel bei Crystalkonsum      die Entwöhnungsbehandlung (= Post­ Angebote nehmen einen wichtigen
  im Kontext Schwangerschaft und             akutbehandlung) über sogenannte Platz im Hilfesystem ein. Dennoch fehlt
 Elternschaft, Realisierung von Unter-       Nahtlosverfahren mittels gemeinsamer häufig eine Regelfinanzierung und die
 stützungsangeboten für suchtbelas-          Rahmenkonzepte der Kostenträger zu Angebotsentwicklung findet nicht flä-
  tete Familien, für Kinder beziehungs-      verbessern und die Behandlungsfor- chendeckend in Sachsen statt. Wün-
  weise Eltern) um ein Vielfaches erhöht.    men flexibel umzusetzen mit der Ziel- schenswert wären zukünftige Projekt-
 Aber auch niedergelassene Ärzte, Ein-       stellung einer weiteren Stärkung der entwicklungen in gemeinsamer Ver-
  richtungen der medizinischen Grund-       Therapie-Inanspruchnahme und des antwortung von Jobcenter, Rentenver-
 versorgung sind wichtige Netzwerk-          Behandlungserfolges. Nunmehr stehen sicherung und Suchthilfeträger. Chan-
  partner und fungieren häufig als           flexible Therapieformen (ambulant, cen dafür bietet ein neuer gesetzlicher
 Anlaufstelle für suchtkranke beziehungs­    stationär, Kombitherapie, Adaption, Rahmen unter § 11 SGB IX, der eine
  weise sucht­gefährdete Menschen ins-       Wechsel in ambulante Entlassungs- Modellförderung zur Stärkung der
  besondere im Zusammenhang mit              form mit Therapieverkürzung, Wechsel Rehabilitation bis 2022 mit einem Ge­­
  somatischen und/oder psychischen Be­­      in ambulante Rehabilitation mit Thera- samtvolumen von jeweils 500 Millionen
 ­schwerden und durch die Einbeziehung       pieverlängerung, Nachsorge) für eine Euro deutschlandweit vorsieht.
  suchtspezifischer Diagnostik, Kurzin-      bedarfsgerechte Therapieplanung und
  tervention und Weitervermittlung.         -durchführung zur Verfügung.             Bestandteile des Hilfenetzes sind ver-
 Zu den wirksamsten suchtspezifischen                                                schiedene Formen der Eingliederungs-
 Behandlungsoptionen zählen Entwöh-          Wichtige Beiträge für den Zugang zu hilfe (Betreuung im Einzelwohnen,
  nungsbehandlungen unter anderem im         suchtspezifischen Hilfen beziehungs- Wohngruppe oder sozialtherapeutische
 Anschluss an eine qualifizierte Ent-        weise zur Sicherung und Festigung von Wohnstätte), die bei schweren Sucht-
 zugsbehandlung. So beträgt die katam-      Therapieerfolgen leisten die gemeinde- verläufen notwendig sind. Diese Men-

324                                                                                                                         Ärzteblatt Sachsen 08|2018
themenheft

Abb. 7: Screenshot der online Suchthilfe-Datenbank unter www.suchthilfe-sachsen.de

schen sind aufgrund erheblicher kör-                beziehungsweise Mischkonsum bei            zielle Betreuungsangebote an drei
perlicher, psychischer und sozialer Be­­            jüngeren Menschen (bis circa 35 Jahre)     sächsischen Standorten zur Verfügung
einträchtigungen vorübergehend (unter               registriert, für die ein längerfristiger   stehen.
Umständen dauerhaft) nicht in der                   sozialtherapeutischer Unterstützungs-      Sucht-Selbsthilfegruppen sind Zusam-
Lage, selbstständig und eigenverant-                bedarf, zum Beispiel zur Wiederherstel-    menschlüsse von Betroffenen (Sucht-
wortlich ihr Leben zu bewältigen und                lung der Reha-Fähigkeit, besteht. Ende     kranke, Angehörige von Suchtkranken)
zu organisieren. Langjähriger chroni-               2018 werden für diese Menschen spe-        zur gegenseitigen Unterstützung. In
scher Alkoholmissbrauch ist die häu-
figste Ursache für die schweren
gesundheitlichen Folgeschäden (soma-
tisch, psychiatrisch-neurologisch), die
die Arbeits- und Teilhabefähigkeit
erheblich einschränken. Zunehmend
werden auch schwere chronifizierte
Suchtverläufe im Zusammenhang mit
illegalen Drogen (Crystal, Opioide)

Ärzteblatt Sachsen 08|2018                                                                                                       325
themenheft

 Sachsen bestehen über 340 Gruppen- linien suchtbezogener Störungen [3, 1]. tungen aber auch die zahlreichen
 angebote (als trägerunabhängige Gegenwärtig werden zunehmend auch Selbsthilfegruppen wichtige Aufgaben.
 Gruppe, als Gruppe der Suchtselbsthil- andere Formen der gegenseitigen Ein Überblick zu den Einrichtungen in
 feverbände Blaues Kreuz, Freundes- Unterstützung unter Verwendung digi- Sachsen beziehungsweise in den säch-
 kreise, Kreuzbund oder als Meeting der taler Kommunikationsmittel genutzt. sischen Landkreisen/Kreisfreien Städ-
 Anonymen Alkoholiker), die bei ver- So bestehen zum Beispiel online-Mee- ten ist in der online-Datenbank der Säch­
 schiedensten suchtbezogenen Prob- tings der Anonymen Alkoholiker und sischen Landesstelle gegen die Sucht­
 lemlagen genutzt werden. Traditionell unter www.breaking-meth.de finden gefahren e. V. unter www.suchthilfe-
 nehmen vor allem Menschen mit Alko- Crystal-Konsumenten ein niedrig- sachsen.de verfügbar (Abb. 7).
 holproblemen an den Gruppen-
 treffen teil. Aber auch Menschen                                                   Im Mittelpunkt aller suchtbezo-
 mit einer anderen Suchtproble-        „Angebote der Selbsthilfe ermög­             genen   Hilfeleistungen stehen die
 matik, wie im Bereich der illega-
 len Drogen, Spielsucht, Ess-Stö-
                                       lichen in der niedrigschwelligen, betroffenen                Menschen, Angehö-
                                                                                    rige und Bezugspersonen, denen
 rungen, als auch Angehörige von         bedingungslosen Form erste                 weiteres Leid erspart wird und
 suchtkranken Menschen, speziell          Schritte aus der Sucht, sind              für die sich neue Lebensperspek-
 auch Eltern suchtkranker Kinder,            aber primär be­­währte                 tiven  eröffnen. Zudem können
 nutzen zunehmend die Selbsthil-                                                    beträchtliche, suchtbedingte Fol-
 feangebote für die Problembe-
                                           Bestandteile der Rückfall­               gekosten für die Gesellschaft ver-
 wältigung. Angebote der Selbst-        verhütung und Stabilisierung.“              mieden werden, sodass Bemü-
 hilfe ermöglichen in der niedrig-                                                  hungen und Investitionen der
 schwelligen, bedingungslosen                                                       beteiligten Kosten-/Verantwor-
 Form erste Schritte aus der Sucht, sind schwelliges Selbsthilfeangebot mit tungsträger und Leistungserbringer in
 aber primär be­­währte Bestandteile der professioneller Moderation.           den leistungsfähigen Strukturen der
 Rückfallverhütung und Stabilisierung, Abschließend ist festzuhalten, dass Suchthilfe und Suchtprävention loh-
 denn hier erfolgt langfristige soziale Suchterkrankungen als Rezidiverkran- nend sind. 
 Unterstützung und wird der Umgang in kungen verschiedenste Hilfestellungen,                             Literatur beim Autor
 schwierigen Situationen und bei Rück- unter Umständen auch Therapiewie-
 fällen thematisiert. Die Wirksamkeit derholungen, und generell langfristige                       Interessenkonflikte: keine

 der Selbsthilfe ist wissenschaftlich Unterstützungen für Gesundheitssta-                            Dr. rer. medic. Olaf Rilke
 anerkannt und die Empfehlung zum bilisierung und Krankheitsbewältigung                       Leiter der SLS-Geschäftsstelle
 regelmäßigen, langfristigen Besuch von erfordern. Hier übernehmen medizini-              Sächsische Landesstelle gegen die
                                                                                                    Suchtgefahren e. V. (SLS)
 Selbsthilfegruppen ist ein wichtiger sche Einrichtungen, Suchtberatungs-                    Glacisstraße 26, 01099 Dresden
 Bestandteil der S3-­Behandlungs­leit­ stellen, weitere kooperierende Einrich-                         E-Mail: rilke@slsev.de

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      im E-Werk Weißwasser/O.L., Straße des Friedens 13-19                     # Telemedizin im Vogtlandkreis
                                                                               # Eigenpraxis Mügeln
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       Die Teilnahme an der Veranstaltung ist kostenfrei.                      # CWE Nachwuchs-Kampagne
       Anmeldung: info@aerzte-fuer-sachsen.de oder 0351 8267 136               # LEADER-Förderungen

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