Umwelt- und Umfeldmängel im Mietrecht
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Umweltmängel und Umfeldmängel im Mietrecht homepage.doc 1/38 MDR-Arbeitshilfe Umwelt- und Umfeldmängel im Mietrecht Rechtsanwalt Dr. Hans Reinold Horst, Hannover / Solingen Steigende Umweltbelastungen, Gesundheitsrisiken und eingetretene pathologische Krankheitszustände führen genauso wie hervortretende und sich verstärkende Überempfindlichkeiten gegen Allergene zu einer ver- stärkten Aufmerksamkeit gegenüber nachteilig gesehe- nen Umweltbedingungen. Mit steigender Umweltbelas- tung und Umweltverschmutzung wird der Mensch sprichwörtlich reizbarer und krankheitsanfälliger. Der Beitrag thematisiert Umwelt- und Umfeldmängel so- wohl für die Wohnungs- als auch für die Gewerbemiete und zeigt hierzu deren mietrechtliche Bewertung an Einzelbeispielen auf. I. Mangelbegriff und Definitionen 1. Begriff des Mangels Für die Frage, wann eine Mietsache mangelhaft ist, gilt der subjektive Fehlerbegriff. Es kommt also darauf an, welchen Zustand die Parteien des Mietvertrages verein- bart haben (§ 536 Abs. 1 S. 1 BGB). Danach ist eine Sache mangelhaft, wenn die Ist-Beschaffenheit gegen- über der Soll-Beschaffenheit nachteilig abweicht. 1 Da- mit ist unter einem Sachmangel die für den Mieter nachteilige Abweichung des tatsächlichen Zustandes (Ist-Tauglichkeit) von dem vertraglich geschuldeten Zu- stand (Soll-Tauglichkeit) zu verstehen. 2 Diese Abwei- chungen müssen zu einer Beeinträchtigung der Nutzung des Mietobjekts führen. Die Beeinträchtigungen kön- nen dabei rechtlicher oder tatsächlicher Art sein. Sie können aus der Beschaffenheit des Mietobjekts selbst, aus Rechten Dritter, aus öffentlich-rechtlichen Vor- schriften oder aus Beeinträchtigungen aus dem Umfeld des Mietobjekts herrühren. 3 Sie müssen zu einer erheb- lichen Nutzungsbeeinträchtigung führen. Denn eine nur unerhebliche Minderung der Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch bleibt außer Betracht (§ 536 Abs. 1 S. 3 BGB) und wird nicht als Mangel gewer- tet. Aus der Anmietung einer erkennbar mangelhaften Miet- sache kann sich aber auch die (konkludente) Vereinba- rung dieses Zustands als vertragsgemäß ergeben. Denn wie dargelegt kommt es für die Einordnung eines Sach- zustandes als mangelhaft nur auf die vertraglichen Ver- einbarungen zwischen den Mietparteien an. Deshalb können auch schlechte Zustände der Mietsache (Sub- 1 BGH, Urteil v. 26.9.1990 – VIII ZR 205/99, WM 1990, S. 546 2 (BGH, NZM 2005, S. 500; WuM 2004, S. 715; NJW 2000, S. 1714; ZMR 1991, S. 19/20). 3 Hinweisend Fritz, NZM 2008, 825 ff, 825
Umweltmängel und Umfeldmängel im Mietrecht homepage.doc 2/38 standards) konkret als vertragsgemäß vereinbart wer- den. 4 Das muss allerdings der Vermieter beweisen. Nur wenn keine ausdrückliche Vereinbarung getroffen wurde, ist die übliche Beschaffenheit der Mietsache ent- scheidend. Sind für die Soll-Beschaffenheit der Mietsa- che technische Normen, bzw. Grenzwerte zur Schad- stoffbelastung heranzuziehen, so kommt es auf den Rechtszustand bei Vertragsabschluß an. 5 Der Mangel- begriff erhält dann eine objektivierte Komponente. Denn der Vermieter schuldet nicht die Einhaltung be- stimmter Standards, sondern den störungsfreien Miet- gebrauch. Der Mieter hat keinen Anspruch auf Einhal- tung des jeweils technisch optimalen Zustands. Sachmängel können einmal an der Mietsache selbst be- stehen oder von außen als Umweltmängel auf die Miet- sache einwirken. 2. Definition und Abgrenzung des Um- welt-/ Umfeldmangels a) Definition des Umwelt- oder Umfeldmangels Im Gegensatz zum Mangel, der dem Mietobjekt unmit- telbar anhaftet, wie einem Baumangel im Hause, spricht man von einem Umwelt- oder Umfeldmangel, wenn das Mietobjekt an sich zwar mangelfrei und als solches gebrauchstauglich ist, die Situation im Umfeld des Mietobjektes jedoch den Mietgebrauch beeinträchtigt 6 . Der Mangel muss sich also auf die Mietsache selbst auswirken, die Nutzbarkeit der Wohnung selbst oder der dazugehörigen Gemeinschafts- und Außenflächen ein- schränken. 7 Es kann sich um einzelne Umweltmängel handeln. Typisch ist aber auch, dass mehrere einzelne Mängel mit unterschiedlicher Ursache zusammen auf- treten, wie etwa Zugangsmängel, Baulärm aus der Nachbarschaft etc. oder Kanalrückstau und Defekt eines Rückstauventils oder Hochwasser und fehlende Hoch- wasserschutztüren, die erst in der Kombination von Umweltmangel und Baumangel zu einer Beeinträchti- gung der Gebrauchstauglichkeit des Mietobjekts füh- ren. 8 Da bei den Umweltmängeln die Beeinträchtigung des Mietobjekts von außen mit Einfluss auf die Gebrauchstauglichkeit im Vordergrund steht, ist hier 4 BGH, Urteil vom 18.4.2007 – XII ZR 139/05, NZM 2007, 484 (485 re. Sp.); BGH, NJW-RR 1993, 522); Lehmann-Richter, NJW 2008, 1196(1196); Blank / Börstinghaus, Miete, 3. Aufl. 2008, § 536 b BGB Rn. 10; Emmerich / Sonnenschein, Miete, 9. Aufl.2007, § 536 b BGB Rn. 2 5 KG, Urteil vom 28.4.2008 – 12 U 6/07, ZMR 2008, 892; BayObLG, RE vom 04.08.1999 – RE-Miet 6/98, DWW 1999, S. 350 (352); einschränkend: BVerfG, Beschl. vom 04.08.1998 – 1 BvR 171/94, GE 1998, S. 1208 f 6 BGH,Urteil vom 1.7.1981 – VIII ZR 192/91, NJW 19981, 2405; kritisch: Koller, Umweltmängel von Mietobjekten, NJW 1982, 201 ff; dazu im einzelnen: Fritz, NZM 2008, S. 825 ff.; ders., in Festschrift für Hubert Blank (2006), Seite 153 ff 7 AG Hamburg, Urteil vom 23 März 2006 - 49 C 474/05; 8 Hinweisend Fritz, NZM 2008, S. 825 ff, 825.
Umweltmängel und Umfeldmängel im Mietrecht homepage.doc 3/38 vor allem der subjektive Fehlerbegriff zu untersuchen. Der Unterschied zwischen Umwelt- und Umfeldmangel liegt bei ersterem in der Beeinflussung des Mietobjekts durch Naturereignisse, wie Hochwasser, während der Umfeldmangel aus Ereignissen in der Nachbarschaft des Mietobjekts resultiert, wie Bauarbeiten oder Zugangs- hindernissen. Häufig werden jedoch beide Bereiche ein- heitlich als „Umweltmängel“ bezeichnet. 9 b) Prüfungsverfahren Die Prüfung, ob ein Mangel vorliegt, der Rechte des Mieters auf Mietminderung, fristlose Kündigung, Män- gelbeseitigungs- oder Zurückbehaltungsrechte ohne Verschulden des Vermieters auslöst, sowie die weitere Frage, ob ein Verschulden des Vermieters vorliegt, das darüber hinaus Schadensersatzansprüche des Mieters eröffnet, oder ob der Vermieter für Anfangsmängel oh- ne Verschulden haftet, hat mehrstufig zu erfolgen. 10 Zunächst ist zu untersuchen, ob ein Mangel vorliegt. Danach ist zu klären, ob ein Verschulden des Vermie- ters angenommen werden muss, weil der Mangeleintritt vorhersehbar und mit zumutbarem Aufwand vermeidbar war, oder ob ein Anfangsmangel i.S. des § 536a Abs.1 BGB vorliegt, für den der Vermieter ohne Verschulden aus Garantiehaftung haftet. Schließlich ist zu prüfen, ob der Mieter den Mangel kannte oder der mögliche Man- geleintritt für den Mieter erkennbar war, so dass Rechte des Mieters nach § 536b BGB entfallen. 11 Dieser Prüfungsablauf zeigt bei Umweltmängeln die Besonderheit, dass der unmittelbare Einfluss dieser Sachlage auf die Gebrauchstauglichkeit des Mietobjekts erst einmal festgestellt werden muss, während er z. B. im Falle eines Heizungsausfalls bei tiefen Außentempe- raturen oder einer Flächenabweichung über 10% indi- ziert ist, ohne dass den Mieter eine besondere Darle- gungslast hinsichtlich der Gebrauchsbeeinträchtigung träfe. 12 Wie eingangs dargelegt setzt die Rechtspre- chung bei der Feststellung eines Mangels voraus, dass die Einflüsse von außen unmittelbare Einwirkungen auf die Gebrauchstauglichkeit der Mietsache haben und nicht lediglich mittelbare oder entfernte Einflüsse dar- stellen 13 . Die Abgrenzung zwischen einem vom Ver- mieter zu tragenden Risiko aus dem Bereich der Um- weltmängel einer Mietsache und den vom Mieter zu tra- genden allgemeinen Lebens- und Verwendungsrisiko, zu dem auch das wirtschaftliche Risiko des Geschäfts gehört, bereitet große Schwierigkeiten. 14 Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: auch wenn es bei der Sachmängelgewährleistungshaftung auf Verschuldens- gesichtspunkte beim Vermieter von einzelnen Ausnah- 9 Hinweisend, Fritz, Umwelt- und Umfeldmängel im Ge- werberaummietrecht, NZM 2008, S. 825 ff, 825. 10 Hinweisend Fritz, NZM 2008, S. 825 ff, 826. 11 So Fritz, a.a.O. 12 Hinweisend Fritz, NZM 2008, S. 825 ff, 826. 13 BGH NJW 1981, 2405 und NJW 2000, 1714, 1715; Emmerich in Staudinger § 536 BGB Rn 7 m.w.N. 14 Hinweisend Fritz, NZM 2008, S. 825 ff, 826.
Umweltmängel und Umfeldmängel im Mietrecht homepage.doc 4/38 men abgesehen 15 nicht ankommt, neigt die Rechtspre- chung dazu, eine Einschränkung der Gewährleistungs- pflicht vorzunehmen, wenn der Vermieter die Umstän- de, die zur Beeinträchtigung der Gebrauchstauglichkeit führen, nicht beherrschen kann. Beispiele sind: Verstel- len des Blicks auf Schaufenster durch parkende Fahr- zeuge 16 , Verstopfung einer Abwasserleitung Infolge vertragswidriger Einleitung ungeeigneter Stoffe durch andere Mieter. 17 Inwieweit jedoch Beeinträchtigungen durch nicht beherrschbare Umstände die Annahme eines Mangels ausschließen, ist umstritten. Die Grenzziehung ist im Einzelfall schwierig. 18 II. Einzelbeispiele zu Umweltmängeln 1. Altlasten Im mietrechtlichen Sinne 19 werden unter Altlasten zu- meist Kontaminierungen verstanden, die nach gesetzli- chen Vorschriften zu beseitigen sind (z.B.: BBodSchG oder landeseigene Abfallbeseitigungsgesetze), Es han- 15 Z. B. § 536 a Abs. 1, 2. und 3. Alt, Abs. 2 Nr. 1BGB 16 OLG Düsseldorf Urteil vom 13.12.1990 –10 U 84/90 – MDR 1991, 446 17 s. die Hinweise bei Blank/Börstinghaus, § 536 BGB Rn. 7 18 Vgl. etwa AG Kiel, Urteil vom 28.3.1980 – 14 C 577/78, WuM 1980, S. 235, das einen Mangel an- nahm, als Wasser infolge einer Naturkatastrophe (Schneesturm) durch die Decke tropfte - 30 % 19 Das Bundesbodenschutzgesetz (BBodSchG) definiert „Altlasten“ als belastete Grundstücke (hinweisend: Fritz, NZM 2008, 825, 826) - § 2 Abs. 5 BBodSchG: Altlasten im Sinne dieses Gesetzes sind 1. stillgelegte Abfallbeseitigungsanlagen sowie sonstige Grundstücke, auf denen Abfälle behan- delt, gelagert oder abgelagert worden sind (Altab- lagerungen), und 2. Grundstücke stillgelegter Anlagen und sonstige Grundstücke, auf denen mit umweltgefährdenden Stoffen umgegangen worden ist, ausgenommen Anlagen, deren Stilllegung einer Genehmigung nach dem Atomgesetz bedarf (Altstandorte), durch die schädliche Bodenveränderungen oder sonstige Gefahren für den einzelnen oder die Allgemeinheit hervorgerufen werden. § 2 Abs. 6: Altlastverdächtige Flächen im Sinne dieses Gesetzes sind Altablagerungen und Alt- standorte, bei denen der Verdacht schädlicher Bo- denveränderungen oder sonstiger Gefahren für den einzelnen oder die Allgemeinheit besteht.
Umweltmängel und Umfeldmängel im Mietrecht homepage.doc 5/38 delt sich also zumeist um giftige Chemikalien 20 (z.B. Quecksilber) oder Abfallstoffe, wie Klärschlamm im Untergrund der Umgebung des Mietobjekts, die Ursa- che für eine Gesundheitsgefährdung von Mensch oder Tier sein können. Die Ursachen dieser Gefahren liegen typischerweise in der Historie des Grundstücks und sei- ner früheren Nutzung begründet. Verursacher sind be- grifflich demnach weder der aktuelle Vermieter noch der aktuelle Mieter oder Nutzer des Objekts. 21 Gehen von den kontaminierten Grundstücken konkret festgestellte Gesundheitsgefahren für die Mieter oder Nutzer des Grundstücks aus, erfolgt die Behandlung des Problems nach der vorgestellten Prüfungsroutine. Das besondere (psychologische) Problem bei Altlasten liegt jedoch in der Tatsache, dass die Gefahren, die von diesen Altlasten ausgehen, erst einmal im Boden, also im Verborgenen lauern, und nicht so leicht quantifizier- bar und messbar sind, wie beispielsweise Lärm aus der Nachbarschaft. Rechtsprechung und Literatur befassen sich daher mit der Frage, ob bereits die drohende Gefahr für Menschen einen Mangel darstellt, wenn die frühere Nutzung des Geländes die Vermutung einer Bodenbe- einträchtigung nahe legt und sich eine Gesundheitsge- fährdung kurzfristig und ohne aufwändige Bodenunter- suchengen weder nachweisen noch ausschließen lässt. 22 Mangellagen werden schon dann angenommen, wenn der Mieter die Mieträume nur in der Befürchtung der Gefahrverwirklichung benutzen kann 23 . Schon ein Alt- lastenverdacht und eine latente Gefahr beeinträchtigen den Mietgebrauch. Es muss sich aber um eine begründe- te Gefahrbesorgnis handeln, die sich beispielsweise aus der früheren Nutzung des Grundstücks oder anderer konkreter Verdachtsmomente ergeben muss, und nicht nur um eine haltlose, hysterische Befürchtung 24 . Eine Gesundheitsgefährdung muss nicht mit Sicherheit fest- stehen, es genügt, dass sie nicht ausgeschlossen werden kann 25 . Ein Schadenseintritt oder ein tatsächlich erwie- sener Mangel sind bei dieser Fallgruppe also nicht vor- ausgesetzt. Fritz 26 plädiert dafür, die Aufklärungspflicht, die der Verkäufer eines kontaminierten Grundstückes oder ei- 20 OLG Hamm, Beschluss vom 25.03.1987 - 30 REMiet 1/86 DWW 1987, S. 226 – Bloßer Verdacht auf Ver- seuchung des Bodens mit giftigen Chemikalien 21 hinweisend: Fritz, NZM 2008, 825, 826 22 hinweisend: Fritz, NZM 2008, 825, 826 23 BGH NJW 1972, 944, 945; Staudin- ger/Emmerich § 536 BGB Rn. 8 24 OLG Hamm, Rechtsentscheid vom 25. 3. 1987 WuM 1987, 248; OLG München, Urteil vom, 21.04.1994 NJW 1995, 2566 – für Grundstücks- kauf 25 LG Mannheim, Urteil vom 20.03.1996 NJW-RR 1996, 776 = WuM 1996, 338; s. dazu auch Fritz, Gewerberaummietrecht, 4.Aufl. 2005, Rn. 269 Stichworte: Asbestverdacht und Gefahrstoffe. 26 hinweisend: Fritz, NZM 2008, 825, 826
Umweltmängel und Umfeldmängel im Mietrecht homepage.doc 6/38 nes Grundstücks mit einem konkreten Altlastenverdacht gegenüber dem Käufer hat 27 . auch auf den Vermieter bei der Vermietung eines solchen Grundstückes zu übertragen, wenn entweder eine Gesundheitsgefahr für den Mieter oder die konkrete Gefahr besteht, dass der Mieter von der zuständigen Behörde als Zustandsstörer auf Beseitigung von Bodenkontaminationen in An- spruch genommen wird 28 . 2. Umweltgifte Die Rechtsprechung zu Umweltgiften wie Asbest in Nachtspeicherheizungen oder giftige Holzschutzmittel zeigt sich bis in die 1990er Jahre massiv. Entsprechend häufiger wurde aus diesem Grund um Gewährleistungs- rechte der Mieter gerungen 29 . Regelmäßig stellt sich 27 BGH, Urteil vom 20.10.2000 ZMR 2001, 1999 = MDR 2001, 149, Urteil vom 11.05.2001 NZM 2001, 1002 = MDR 2001, 982 – Arglistvorwurf bei Erinne- rungslücke des Verkäufers – und Urteil vom 03.03.1995 NJW 1995, 1549; OLG Düsseldorf, Ur- teil vom 21.08.1996 NJW 1996, 3284; OLG Hamm , Urteil vom 16.06.1997 DWW 1997, 383 28 BVerwG, Beschluss vom 14. 11. 1996 NJW 1997, 2192 29 Vgl. z.B. die umfangreichen Nachweise bei Ei- senschmid,in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 10. Aufl. 2011, § 536 BGB Rn. 153 – 181; Krämer in: Bub/Treier, Handbuch der Wohn- und Geschäfts- raummiete, 3. Aufl. München 1999, Rn. III.1333a und im einzelnen: Asbest LG Dortmund, WM 1996, S. 141 und LG Berlin, WM 1996, S. 71 (Asbest aus Nachtspeicheröfen; Formaldehyd AG Köln, WM 1987, S. 120 und AG Bad Säckingen, WM 1996, S. 140 (Formaldehyd), ); AG Köln, Urteil vom 30.9.1986 – 217 C 346/86, WuM 1987, S. 120, VuR 1987, S. 40, NJW-RR 1987, S. 972 - Überhöhte Formaldehyd-Belastung im Schlaf- und Kinderzim- mer - 56 %; AG Mettmann, Urteil vom 13.2.1990 – 21 C 202/88, VuR 1990, S. 208 - Die Mieterwohnung ist mit Formaldehyd so stark belastet, dass die Belas- tung über dem zulässigen Grenzwert liegt - 50 %; Heizölgeruch AG Augsburg, Urteil vom 12.10.2001 – 73 C 2442/01, WuM 2002, 605 - Störender Heizölgeruch in den Wohn- und Arbeitsräumen des gemieteten Einfamili- enhauses - 15 % Pentachlorphenol - PCP AG Rheinbach, Urteil vom 11.1.1989 – 3 C 454/88, VuR 1990, S. 212) - Die Holzdecke in der Mieterwohnung wurde mit dem Holzschutzmittel PCP und Lindan behandelt. In der Luft entwickeln sich giftige Dämpfe. Die Konzentration in der Raumluft wirkt gesundheits- schädlich - 30 %; BayObLG, WM 1999, S. 568 = Grundeigentum Berlin, S. 1124; LG Traunstein NJW- RR 1994, S. 1423; BverfG, WM 1998, S. 657; Bay- ObLG, NZM 1999, S. 899 = ZMR 1999, S. 751 - Luftbelastung durch PCP - 35 bis 60 %; Perchlorethylen (PER)
Umweltmängel und Umfeldmängel im Mietrecht homepage.doc 7/38 dabei die Frage, welche Tatsachen der Mieter darlegen und ggf. beweisen muss, damit unter dem Gesichtspunkt der Gesundheitsgefährdung ein Mangel anzunehmen ist. Dieselbe Frage stellt sich auch bei einer Raumluftbelas- tung durch Pilzsporen, wenn sich in der Wohnung Schimmel gebildet hat. 30 Umstritten ist dabei die Frage, ob der Mieter eine kon- krete Gesundheitsgefährdung durch den Aufenthalt in der Wohnung darlegen und beweisen muss oder ob ge- nau wie beim Altlastenverdacht schon eine „Gefahrbe- sorgnis“ ausreicht, also Umstände, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit einer Gesundheitsgefahr ergibt 31 . Verlangt man den Nachweis einer konkreten Gefahr 32 , sind im Prozess Gutachten über die zu erwartenden Auswirkungen eines bestimmten Stoffs in der festzustel- lenden Konzentration einzuholen. Bei den vielfach um- LG Hannover, ZMR 1990, S. 302, WuM 1990, S. 337, NJW-RR 1990, S. 972 - Chemische Reinigung im Haus unter der Wohnung, Perchlorethylen wird ver- wendet und dringt ins Mauerwerk ein: 50 %; LG Hannover, WM 1990, S. 337 (Perchloräthylen wegen einer im Haus gelegenen Reinigung - Überschreitung von Grenzwerten) - ab 25 bis über 90 %; LG Ham- burg, Urteil vom 2.6.1989 – 11 S 479/88, WuM 1989, S. 368 - Eine Perchlorethylenkonzentration aus einer chemischen Reinigung, deren Langzeitwert unter 0,1 mg pro Kubikmeter Raumluft liegt und deren Kurz- zeitwert nach 24 Stunden ohne Lüften 0,2 mg nicht überschreitet, begründet keine ernstzunehmende Besorgnis über die Schadensträchtigkeit der Raum- luft in der Wohnung und berechtigt nicht zur Miet- minderung; Polychlorierte Biphenyle (PCB) LG Traunstein, Urteil vom 4.8.1994 – 1 S 2198/94, NJW- RR 1994, S. 1423 - Die Belastung vermieteter Wohn- räume mit PCB aus dem Anstrich von Holzschutzmit- teln stellt keinen Fehler dar, der zur Minderung be- rechtigt, wenn die Schadstoffkonzentration unter den Werten liegt, die im Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrages vom Bundesgesundheitsamt empfoh- len waren. 30 Dazu LG Kaiserslautern, Urteil vom, Urteil vom 02.11.2005 - 1 S 67/05 , - das LG Kaiserslautern hat- te in der Berufungsinstanz einen Fall zu entscheiden, in dem die Mieterin Raumluftbelastungen sowohl durch Pilzsporen als auch durch giftige Holzschutz- mittel behauptete und daraus Schadensersatzan- sprüche ableitete. 31 Eine konkrete Gefahr verlangen z.B. AG Münsingen, Urteil vom 07.02.1996 - 2 C 429/94 - WM 1996, 336; AG Rheinberg, Urteil vom 25.05.1994 - 12 C 618/93 - WM 1996, 142; die h.M. lässt eine Gefahrbesorgnis ausreichen: OLG Hamm, Beschl. v. 25.03.1987 - 30 REMiet 1/86 - NJW-RR 1987, 968; LG Hamburg, Ur- teil vom 05.02.1991 - 16 S 33/88 - NJW 1991, 1898; LG Hannover, Urteil vom 25.04.1990 - 11 S 358/89 - NJW-RR 1990, 972, 973; LG Dortmund, Urteil vom 16.02.1994 - 11 S 197/93 - WM 1996, 141; LG Köln, Urteil vom 10.01.1991 - 6 S 143/90 - ZMR 1991, 223, 224; Emmerich in: Staudin- ger/Emmerich/Rolf/Weitemeyer, Mietrecht I, Bearbei- tung 2003, § 536 Rn. 8 32 So auch LG Kaiserslautern, Urteil vom 02.11.2005 - 1 S 67/
Umweltmängel und Umfeldmängel im Mietrecht homepage.doc 8/38 strittenen Wirkungen bestimmter Chemikalien hängt der Ausgang des Prozesses dann von der Person des Gut- achters ab. Bei nicht abschließend geklärten Wirkungen unterliegt der Mieter. Lässt man eine „berechtigte Ge- fahrbesorgnis“ genügen, reicht in der Regel die Über- schreitung von Grenzwerten aus, die sich etwa in Richt- linien des BGVV (Bundesamt für Gesundheit, Verbrau- cherschutz und Veterinärmedizin, früher Bundesge- sundheitsamt) finden lassen. Einen darüber hinaus ge- henden Nachweis braucht der Mieter dann nicht zu füh- ren 33 . Ähnlich ist die Problematik bei einer Belastung durch Schimmelpilzsporen. Auch hier soll es zur Bejahung einer Gesundheitsgefahr schon ausreichen, dass jeden- falls ein erheblicher Schimmelpilzbefall generell geeig- net sei, Allergien und Asthma hervorzurufen 34 . Der Mieter muss dann nicht beweisen, dass die in seiner Wohnung vorhandenen Pilzsporen gerade zu den ge- fährlichen gehören. 3. Allergene Stoffe Einigkeit besteht darin, dass eine individuelle Dispositi- on, wie eine Allergie gegen sonst unbedenkliche Mate- rialien, nicht zur Mangelhaftigkeit einer Wohnung führt 35 . Die Rechtsprechung stellt gewachsene Über- empfindlichkeiten als Auslöser für Mietminderungen noch in Abrede. Sie begründen keinen Sachmangel der Mieträume 36 . Das gilt neben Überempfindlichkeiten ge- gen Lärm 37 auch für Tierallergiker. Deswegen begrün- det die Katzenhaltung durch Mitmieter anders als Un- sauberkeiten im Haus oder auf dem Grundstück infolge der Katzenhaltung keinen Mangel der von einem Kat- zenallergiker angemieteten Wohnung. 38 Das Problem liegt hier eben nicht in Umwelteinflüssen, die auf die Mietsache einwirken, sondern in subjektiven Befind- lichkeiten der Bewohner. 33 So: LG München I, Urteil vom 26.09.1990 - 31 S 20071/89 - NJW-RR 1991, 975; OLG Köln, Urteil vom 30.04.1991 - 22 U 277/90 - NJW 1992, 51; LG Hamburg, Urteil vom 05.02.1991 - 16 S 33/88 - NJW 1991, 1998), LG Hannover, WM 1990, S. 337 (Perchloräthylen wegen einer im Haus gelegenen Reinigung); AG Mettmann, Urteil vom 13.2.1990 – 21 C 202/88, VuR 1990, S. 208 34 (Zu § 569 Abs. 1 Satz 1 BGB: LG Duisburg, Urteil vom 23.01.2001 - 13/23 S 359/00 - NZM 2002, 214; LG München I, Urteil vom 26.09.1990 - 31 S 20071/89 - NJW-RR 1991, 975, 976 35 Vgl. Krämer in: Bub/Treier, Mietrecht, 3. Aufl. 1999, Rn. III 1333a a.E.; AG München, Urteil vom 17.12.1984 - 20 C 5090/83 36 Vgl. Krämer in: Bub/Treier, Mietrecht, 3. Aufl. 1999, Rn. III 1333a a.E.; AG München, Urteil vom 17.12.1984 - 20 C 5090/83 37 AG Charlottenburg, Urteil vom 25.11.2004 – 211 C 476/02, GE 2005, S. 1199 38 AG Bad Arolsen, Urteil vom 08.03.2007 – 2 C 18/07, NZM 2008, S. 83
Umweltmängel und Umfeldmängel im Mietrecht homepage.doc 9/38 4. Baulärm und Straßenlärm a) Baulärm aus der Nachbarschaft Bauarbeiten in der Nachbarschaft beeinträchtigen die Lebensqualität der Anwohner sowie das Umfeld für die Ausübung eines Gewerbes. Hier drohen Umsatzeinbu- ßen infolge verminderter Kundenströme. Diese Nachtei- le betreffen Eigentümer und Mieter von Gebäuden glei- chermaßen. Dem Eigentümer eines von ihm selbst ge- nutzten Grundstücks können Schadensersatz- und Aus- gleichsansprüche gegen den Bauherrn zustehen. Ist das Grundstück vermietet, so gibt § 536 BGB bei der Beein- trächtigung der Nutzung des Mietobjekts durch Bau- lärm, Staub und Schmutzentwicklungen ein Mietminde- rungsrecht. Denn Baulärm und sonstige durch den Be- trieb einer Baustelle anfallende Immissionen wie Staub, Dreck sowie die (teilweise) Sperrung von Straßen und Zugängen zu den Mietobjekten stellen als Umweltfehler einen Mangel der Mietsache dar. 39 Denn das Minde- rungsrecht des Mieters als Teil der mietrechtlichen Sachmängelgewährleistung trägt für den Vermieter den Charakter einer Garantiehaftung. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob der Vermieter als Voraussetzung ei- nes Minderungsrechts die Beeinträchtigungen verhin- dern kann oder selbst dulden muss. Ebenso ist es ohne Belang, ob der Vermieter als Grundstücksnachbar die Beeinträchtigungen selbst zu dulden hat oder gegen den störenden Bauherrn Schadensersatz- und Ausgleichsan- sprüche erfolgreich geltend machen kann. 40 Ursächlich 39 BayObLG, Rechtsentscheid vom 04.02.1987 – RE- Miet 2/86, NJW 1987, S. 1950; OLG München, Urteil vom 26.03.1993 – 21 U 6002/02, NJW-RR 1994, S. 654 f; AG Frankfurt/Main, Urteil vom 23.09.2004 – 33 C 1747/04-26, NZM 2005, S. 217; AG Freiburg, Urteil vom 11.06.1999 – 51 C 4925/98, GuT 2002, S. 18 (mit vollständigem Entscheidungsabdruck in: www.GuT.prewest.de/GuT226); LG Göttingen, Urteil vom 15.01.1986 – 5 S 60/85, NJW 1986, S. 1112; LG Hamburg, Urteil vom 16.06.2004 – 311 O 291/03, NZM 2004, S. 948; OLG Hamburg, Urteil vom 02.04.2003 – 4 U 57/01, GuT 2004, S. 168; LG Hamburg, Urteil vom 03.12.1998 – 327 S 97/98, NZM 1999, S. 169; AG Hamburg, Urteil vom 11.11.2004 – 49 C 172/04, NZM 2005, S. 222; AG Ahrensburg, Urteil vom 04.08.2004 – 48 C 908/03, ZMR 2005, S. 197; AG Kerpen, Urteil vom 10.01.1997 – 21 C 414/96, in: Lützenkirchen, Kölner Mietrecht, Nr. 35, Entscheidung Nr. 29, S. 37 f; Kraemer, in: Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Auflage 1999, Teil III B Rn. 1341; siehe weitere Nachweise der Instanzrecht- sprechung für Baulärm, Baumaßnahmen, gelagertes Baumaterial, sowie für Bauarbeiten innerhalb des Hauses bei: Horst, Mietminderung, 2. Auflage 2004, S. 33 ff 40 BayObLG, Rechtsentscheid vom 04.02.1987 – RE- Miet 2/86, NJW 1987, S. 1950 (1951 f); LG Ham- burg, Urteil vom 03.12.1998 – 327 S 97/98, NZM 1999, S. 169 (169); LG Göttingen, Urteil vom 15.01.1986 – 5 S 60/85, NJW 1986, S. 1112 (1113 f); AG Kerpen, Urteil vom 10.01.1997 – 21 C 414/96, in: Lützenkirchen, Kölner Mietrecht, Nr. 35, Ent- scheidung Nr. 29, S. 37 (37-38); Blank/Börstinghaus, Miete, 2. Auflage 2004, § 536 BGB Rn. 142; Sche-
Umweltmängel und Umfeldmängel im Mietrecht homepage.doc 10/38 hierfür ist die Unabhängigkeit und Selbständigkeit des Mietminderungsrechts in § 536 BGB einerseits und ein zu prüfender nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch in § 906 Abs. 2 S. 2 BGB andererseits. Beide Rechte sind im Entstehungstatbestand sowie in der Bewertung von- einander unabhängig. Durch § 906 BGB wird lediglich die Duldungspflicht unter benachbarten Grundstücksei- gentümern, nicht aber die Frage geregelt, ob und in wieweit ein Mieter berechtigt ist, die Miete wegen et- waiger, vom Vermieter etwa nach § 906 BGB zu dul- dender, den Gebrauch der Mietsache aber beeinträchti- gender Immissionen zu mindern. Versuche in der älte- ren Rechtsprechung und Literatur, über den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) wegen der ansons- ten entstehenden Konfliktsituation beim Vermieter Ab- hängigkeiten des nachbarrechtlichen Ausgleichsan- spruchs zum Minderungsrecht des Mieters zu konstruie- ren, sind mittlerweile aufgegeben. 41 Der Vermieter erleidet in diesem Fall infolge der ge- minderten Miete einen Vermögensschaden. Daraus er- wächst die Frage, ob und unter welchen Voraussetzun- gen er seinen Mietausfall bei dem störenden Bauherrn liquidieren kann. 42 Dem Vermieter steht nur dann ein Schadensersatzanspruch gegen den bauenden Nachbarn aus §§ 903, 862 BGB, §§ 823 Abs. 2, 1004 Abs. 1 BGB, §§ 823 Abs. 2, 906 Abs. 1 BGB, § 14 S. 2 BImSchG, eventuell auch aus der positiven Forderungsverletzung des gesetzlichen Nachbarschaftsverhältnisses (§§ 903 bis 924 BGB) gemäß §§ 280 Abs. 1, 281 Abs. 1 S. 1, 282, 241 Abs. 2 BGB zu, wenn dieser bei den Bauarbei- ten die Grenzwerte der öffentlich-rechtlichen Vorschrif- ten, wie die Regeln des Bundesimmissionsschutzgeset- zes mit seinen zahlreichen Verordnungen, der Lande- sImSchG oder der Lärmschutzverordnungen überschrit- linski, NZM 2005, S. 211 (212); Elshorst, NJW 2001, S. 3222 (3224-3225); Schmidt, NJW 1991, S. 153 (154) 41 Vgl. dazu LG Wiesbaden, ZMR 1958, S. 15; AG Frankfurt/Main, ZMR 1961, S. 82; AG Essen, ZMR 1961, S. 260; LG Hannover, ZMR 1969, S. 281; AG Hamburg, ZMR 1982, S. 279; Soergel-Siebert, BGB- Kommentar, 11. Auflage 1980, §§ 535, 536 BGB, Rn. 215; Palandt-Putzo, Kurzkommentar zum BGB, 46. Auflage 1987, § 537 BGB Anm. 2 d, ab der 47. Auflage (a.a.O.) unter Bezug auf den Rechtsent- scheid des BayObLG, NJW 1987, S. 1950 aufgege- ben; Staudinger-Emmerich, BGB-Kommentar, 12. Auflage 1978, § 537 BGB, Rn. 27 f 42 Dazu eingehend: Schelinski, Ausgleichsansprüche des Vermieters gegen den störenden Bauherrn nach § 906 BGB, NZM 2005, S. 211 ff; Elshorst, Ersatzan- sprüche benachbarter Grundstücksbesitzer gegen Bauherrn bei Beeinträchtigungen durch Baumaß- nahmen, NJW 2001, S. 3222 ff; Schmidt, Der Rück- griff des Vermieters gegen den bauenden Nachbarn wegen berechtigter Mietzinsminderung des Mieters, NJW 1991, S. 153 ff; auch Börstinghaus, Verwahrlo- sung, Lärm und Nachbarstreit im Wohnraummiet- recht, NZM 2004, S. 48 ff; Woitkewitsch, Der Haf- tungsausschluss für durch Dritte bewirkte Mietmän- gel – ein Fall der Drittschadensliquidation?, ZMR 2004, S. 401 ff
Umweltmängel und Umfeldmängel im Mietrecht homepage.doc 11/38 ten 43 oder rechtswidrig, also ohne Baugenehmigung oder eine erteilte Baugenehmigung überschreitend, ge- baut hat. Der nachbarrechtliche Entschädigungsanspruch aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB besteht zwar auch verschuldensu- nabhängig, setzt aber voraus, dass der Nachbar durch ortsübliche Benutzung seines Grundstücks das eigene Grundstück des Anspruchstellers oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt. Auf ein Verschulden an der Beeinträchtigung kommt es dabei alsonicht an. 44 Die Miete ist als Ertrag aus dem Grund- stück anzusehen. 45 Die erlittene Mietminderung wirft im Rahmen von § 906 Abs. 2 S. 2 BGB die Frage nach ihrer Zumutbarkeit auf. Denn wenn die Beeinträchti- gung nicht das zumutbare Maß übersteigt, besteht nach der genannten Vorschrift kein Ausgleichsanspruch. Um die Frage nach dem Rechtsgrund eines nachbarli- chen Ausgleichsanspruchs und auch um dessen Höhe beantworten zu können, sind deshalb Zumutbarkeitskri- terien zu entwickeln, jenseits derer ein Anspruch des Vermieters ausgelöst wird. Dabei soll die Höhe der er- littenen Mietminderung als Ansatz ausscheiden, da zwi- schen der Höhe des Mietminderungsbetrags und der Höhe des Ausgleichsanspruchs des Vermieters gegen den Bauherrn kein Zusammenhang besteht. 46 Aufgrund der rechtsdogmatischen Unabhängigkeit von Minde- rungsrecht und nachbarrechtlichem Ausgleichsanspruch ist dieser Ansicht beizupflichten. Das LG Hamburg 47 stellt – anstatt auf die Höhe der er- littenen Mietminderung – auf die Frage ab, ob unter ein- schließender Betrachtung der Mietminderung das Grundstück noch wirtschaftlich betrieben werden kann. Dabei geht das erkennende Gericht auf der Grundlage von § 287 ZPO von einer – gerichtsbekannten – Rendi- tesituation innerhalb der Immobilienbewirtschaftung von 6 Prozent aus. Daraus zieht das LG Hamburg den Schluss, dass Mietminderungsbeträge höher als 6 Pro- zent im Rahmen der Betrachtung eines nachbarrechtli- chen Ausgleichsanspruchs nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB 43 Siehe dazu die Auflistung bei Palandt/ Bassenge § 906 BGB Rn. 2; LG Hamburg, Urteil vom 3. 12. 1998 NZM 1999, 169 = NJW-RR 1999, 378. 44 Zum nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch ausführ- lich: Horst, Rechthandbuch Nachbarrecht, Rnrn. 379 ff, S. 116 ff mit zahlreichen weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung 45 BayObLG, Rechtsentscheid v. 04.02.1987 – RE-Miet 2/86, NJW 1987, S. 1950 (1952) 46 So die herrschende Meinung: Blank/Börstinghaus, Miete, 2. Auflage 2004, § 536 BGB Rn. 142; Ei- senschmid, in: Schmidt-Futterer, Kommentar zum Mietrecht, 8. Auflage 2003, § 536 BGB Rn. 10; Els- horst, NJW 2001, S. 3222 (3224); Schelinski, NZM 2005, S. 211 (212); Schmidt, NJW 1991, S. 153 (154); BayObLG, NJW 1987, S. 1950 (1951); NJW- RR 1994, S. 634; LG Kassel, NJW-RR 1989, S. 1292; LG Köln, WuM 1990, S. 385; LG Siegen, WuM 1990, S. 17 47 LG Hamburg, Urteil vom 03.12.1998 – 327 S 97/98, NZM 1999, S. 169 (169)
Umweltmängel und Umfeldmängel im Mietrecht homepage.doc 12/38 den Vermieter unzumutbar und damit beim störenden Bauherrn liquidierbar sind. Im Umkehrschluss bedeutet dies die Auffassung des LG Hamburg, dass die ange- nommene Rendite aus der Vermietung in Höhe von 6 Prozent bis zum Stand 0 durch vom Vermieter nicht vertretbare störende Einflüsse von außen entschädi- gungslos aufgesogen werden dürfen. Kurz: Das Gericht betrachtet eine nur kostendeckende Immobilienbewirt- schaftung mit dem kompletten Verlust eines Ertrags noch als zumutbar und sieht jenseits dieser Grenze nur Verluste, die als Gesamtergebnis der Immobilienbewirt- schaftung unabhängig von der Höhe einzelner Mietmin- derungen verbleiben. Wiederum einen anderen Ansatz vertritt der Bundesge- richtshof zu Inhalt und Umfang des Ausgleichsan- spruchs. Der stellt auf eine angemessene Geldentschä- digung ab, die nach den Grundsätzen der Enteignungs- entschädigung zu bemessen ist. 48 Obgleich der BGH den Unterschied zur Naturalrestitution im Rahmen des Schadensersatzes aus § 249 Abs. 1 BGB betont, bekräf- tigt er, dass sich der Ausgleichsanspruch auf die Besei- tigung der durch die Störung eingetretenen Vermögens- einbußen beschränkt. Insoweit sieht er auch – im Ge- gensatz zum LG Hamburg – einen Ertragsverlust als entschädigungspflichtig an. Dann aber kann ein in unge- schmälerten Mieteinkünften wurzelnder Ertrag aus einer Immobilienbewirtschaftung nicht pauschal im Rahmen des nachbarlichen Ausgleichsanspruchs verweigert wer- den. Vielmehr ist es dann Aufgabe des vermietenden Eigentümers, in einer konkreten Wirtschaftlichkeitsbe- rechnung die Ertragssituation seines Mietgrundstücks und damit auch seine Rendite vor den störenden nach- barlichen Baumaßnahmen unter Berücksichtigung einer ungekürzt erhaltenen Miete vorzutragen und unter Be- weis zu stellen. Gelingt ihm dieser Beweis, dann ist ihm auch im Rahmen des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB der durch Mietminderung eingetretene Wegfall seiner Grund- stücksrendite zu entschädigen. 49 b) Bekanntheit oder Vorhersehbarkeit des zukünfti- gen Baulärms Gegen den Vorwurf eines Sachmangels kann sich der Vermieter damit verteidigen, dass der Mieter die Miet- sache schon in Kenntnis des gerügten Mangels ange- mietet habe. Dem wird der Fall gleichgestellt, in dem der Mangel vorhersehbar war. Davon ist auszugehen, wenn der Mieter die Tatsachen kennt, die zur Beein- 48 BGH, Urteil vom 23.02.2001 – V ZR 389/99, NJW 2001, S. 1865 ff 49 Daneben betont der BGH im Falle einer gewerbsmä- ßigen Nutzung des gestörten Grundstücks die Ent- schädigungspflicht von Aufwendungen im Rahmen von § 906 Abs. 2 S. 2 BGB, die sonst erforderlich waren, um eine ungestörte Fortsetzung des Gewer- bebetriebes wieder zu gewährleisten (BGH, Urteil vom 23.02.2001 – V ZR 389/99, NJW 2001, S. 1865 ff unter III. 5. c) der Entscheidungsgründe); Auch dieser Anspruchsinhalt des Gewerbemieters kann im Rahmen der Analyse des Vermieterregresses aus den Betrachtungen ausscheiden.
Umweltmängel und Umfeldmängel im Mietrecht homepage.doc 13/38 trächtigung des Mietgebrauchs führen können. 50 Diese Strategie wird praktisch, wenn die Mieträume neben ei- ner Großbaustelle 51 oder neben einer Bauruine 52 oder schließlich in einem Gebiet mit älterem Baubestand 53 liegen. In all diesen Fällen wird eine Vorhersehbarkeit des Mangels unterstellt (§ 536b BGB).Liegt das Mietob- jekt zum Beispiel in einem Gebiet mit älteren Anwesen, muss der Mieter im Hinblick auf die ältere Bausubstanz jederzeit mit Lärmstörungen aufgrund von baulichen Veränderungen und Reparaturen rechnen. Der Mieter kann also keine Rechte geltend machen, wenn er auf- grund von Umständen, die bei Vertragsschluss erkenn- bar waren, mit dem Eintritt einer konkreten Störung rechnen musste. Eine Fehleinschätzung der vor Anmie- tung in ihrem Ausmaß erkennbaren Baumaßnahmen wird für unerheblich gehalten 54 . Es ist also nicht erfor- derlich, dass das Mietobjekt bei Anmietung in einem Sanierungsgebiet liegt oder dass sich eine Baulücke oder einer Bauruine in der Nachbarschaft befunden hat. 55 In diesen Fällen verliert der Mieter sein Minderungs- recht (§ 536b BGB). Ist dem Mieter der Mangel in Fol- ge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben, so stehen ihm die mietrechtlichen Gewährleistungsrechte nur zu, wenn der Vermieter den Mangel arglistig verschwiegen hat (§ 536b S. 2 BGB). Die Kenntnis des Mieters muss sich auf konkrete Män- gel sowie auf deren Auswirkungen auf die Gebrauchs- tauglichkeit der Sache beziehen. Die Rechtsprechung stellt an die Erkennbarkeit eines Mangels sehr hohe An- forderungen. Für den Mieter müsse zumindest in etwa Art und Umfang der Beeinträchtigung abschätzbar sein. Dazu gehöre auch eine Zeitvorstellung, wann der Lärm beginne und wie lange und mit welcher Intensität er voraussichtlich dauern werde. Fritz 56 weist daraufhin, im Altbaugebiet könne die Sanierung des Hauses in der Nachbarschaft unmittelbar nach Beginn des Miet- verhältnisses liegen, sie könne aber auch fünf Jahre auf sich warten lassen oder während der Mietzeit überhaupt nicht in Angriff genommen werden. Das LG Mannheim stellt daher nicht nur auf die generellen Erkenntnisse zur Vorhersehbarkeit einer kommenden Großbaustelle ab, 50 LG Berlin, Urteil vom 26.8.2006 – 62 S 73/06, GE 2006, S. 12.95; OLG Düsseldorf, Urteil vom 7.3.2006 – I-24 U 112/05, ZMR 2006, S. 518; AG Münster, Ur- teil vom 17.5.2007 – 453 C 37357/06, NZM 2008, S. 320 51 LG Mannheim WuM 2000, 185 52 OLG München, Urteil vom 26. 3. 1993 WuM 1993, 607 = NJW-RR 1994, 654 53 KG, Beschluss vom 03.06.2002 NZM 2003, 718 = GE 03. 115; a.A. LG Frankfurt/Main 06.03.07 ZMR 2007, 698; LG Berlin 28.08.06 WuM 2007, 386 54 Eisenschmid in Schmidt-Futterer, Mietrecht § 536b BGB Rn 8 55 Fritz, NZM 2008, 825 (827) 56 Fritz, NZM 2008, 825 (827)
Umweltmängel und Umfeldmängel im Mietrecht homepage.doc 14/38 sondern verlangt eine Kenntnis des Mieters über Ein- zelheiten zum Ausmaß von Dauer und Beeinträchti- gung. 57 Die oben zitierte neuere Rechtsprechung 58 lässt aber bereits die latente Gefahr von Bautätigkeit in der Nachbarschaft ausreichen, um die Erkennbarkeit des Mangels bei Vertragsabschluss zu bejahen. Streitverhü- tend sollte daher in veranlassten Fällen bereits eine Re- gelung im Mietvertrag aufgenommen werden. c) Straßenlärm durch hohes Verkehrsaufkommen Liegt das Grundstück an einer stark befahrenen Straße, so sind die Umstände bei Vertragsabschluss ersichtlich, vom Mieter bei dem geplanten Verwendungszweck be- rücksichtigt und haben Einfluss in die Mietpreisbildung gefunden. Eine vorhersehbare Zunahme des Straßen- lärmes durch steigendes Verkehrsaufkommen wird dann nicht als Fehler gewertet 59 . Entscheidend ist auch hier, ob mit dem steigenden Verkehrsaufkommen gerechnet werden musste 60 . d) Straßenbauarbeiten Mit Straßenbau muss der Mieter bei einer innerstädti- schen Lage der gemieteten Räume rechnen. Es liegt dann zwar ein Mangel vor, der aber wegen der Erkenn- barkeit oder wegen seiner Vorhersehbarkeit nach § 536b BGB nicht zu einer Mietminderung berechtigt 61 . e) U-Bahnbaustelle Wird im Zuge einer U-Bahnbaustelle die Straße aufge- rissen, in der das gemietete Geschäftslokal liegt, und wird dadurch der Zugang erheblich erschwert, so liegt ein Mangel vor, der den Mieter (eines Kiosks) zur frist- losen Kündigung berechtigt. 62 Daran ändert nichts, dass der Vermieter die Bauarbeiten dulden muss. In einem solchen Fall erkennt das OLG Düsseldorf nur Ansprü- che gegen die Stadt auf Entschädigung für enteignungs- gleichen Eingriff 63 zu, nicht aber Gewährleistungsrechte und -Ansprüche gegen den Vermieter, wenn der Mieter die genannte Möglichkeit, sich schadlos zu halten, nicht 57 LG Mannheim, Urteil vom 08.10.1999 WuM 2000, 185 58 siehe Fn 49 bis 53 59 LG Kleve NJW 1970, 1975; Kraemer in Bub/Treier III B 1344 60 LG Lüneburg WuM 1991, 683 61 OLG Hamburg, Urteil vom 6. 12. 2000 WuM 2003, 146; OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.11.1997 NZM 1998, 481 62 OLG Köln, Urteil vom 09.05.1972 - 15 U 180/71; NJW 1972, 1814 63 OLG Düsseldorf, Urteil vom 18. 11. 1997 NZM 1998, 481 = NJW-RR 1998, 1236 = MDR 1998, 768 ZMR 1999, 471 und 24. 2. 1994 NJW 1994, 3173
Umweltmängel und Umfeldmängel im Mietrecht homepage.doc 15/38 wahrnimmt. Dies kann nicht überzeugen 64 . Mit Fritz 65 kommt es bei der Frage, ob ein Mangel vorliegt oder nicht, nicht entscheidend darauf an, ob der Mieter eine Entschädigung für die Beeinträchtigung von der öffent- lichen Hand erhalten kann oder nicht, da das Rechtsver- hältnis zwischen den Mietparteien ausschließlich privat- rechtlicher Natur ist, und eine Mietminderung daher nicht erst subsidiär zur Verfügung steht, wenn andere Möglichkeiten des Mieters, eine Entschädigung zu er- langen, versagen. Außerdem setze eine Entschädigung nach § 20 Abs. 6 StrWG NRW voraus, dass die wirt- schaftliche Existenz des Straßenanliegers durch die Straßenbauarbeiten gefährdet sei. Vor allem müsse er einige Monate die Bauarbeiten entschädigungslos hin- nehmen. 5. Lärm aus dem Wohnumfeld /Spiellärm Beim Freizeitlärm aus dem Wohnumfeld, insbesondere beim Spiellärm, kommt es auf seine Ortsüblichkeit an. Dies umfasst die Art, die Dauer und auch den Zeitraum des Lärms. Ein Recht auf absolute Ruhe wird heute auch für empfindsamere, ältere und kranke Menschen in Abrede gestellt. Andererseits muss nicht jede Art der „akustischen Umweltverschmutzung“ geduldet werden. Zwei Beispiele aus der Rechtsprechung mögen dies verdeutlichen: Lärmbeeinträchtigungen, die von einer Skaterbahn in einem Mischgebiet ausgehen, das insbesondere für schulische und sportliche Zwecke ausgewiesen ist, be- rechtigen die Mieter zur Minderung der Miete um 5%, wenn der aufgrund der spezifischen Rollgeräusche nicht mehr ortsübliche Lärm auch in erheblichem Umfang außerhalb der Schulzeiten und abends verursacht wird. 66 Dass aber Kinder auf dem Garagenhof statt auf dem an- grenzenden Spielplatz spielen, stellt nach Auffassung des LG Wuppertal 67 keine erhebliche Verletzung miet- vertraglicher Pflichten dar. Die Beschwerde führenden 64 Fritz, in Festschrift für Blank (2006), S. 153 (158); Haase, ZMR 1999, 448 65 A.a.O., 158 66 Skaterbahn in der Nachbarschaft: AG Emmerich, Ur- teil vom 05.05.2000 – 9 C 72/00, NZM 2000, S. 544 Ausführlich dazu: Horst, Rechtshandbuch Nachbar- recht, 2. Auflage 2006, Rdn. 756 ff 67 LG Wuppertal, Urteil vom 29.7.2008 – 16 S 25/08, WuM 2008, 563 = MietRB 2009, 34; ebenso kinder- freundlich: OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.10.1995 – 9 U 51/95, MDR 1996, 477; OLG Schleswig, Urteil vom 10.10.2001 – 2 W 53/01, MDR 2002, 449; LG München, Urteil vom 24.2.2005 – 31 S 20796/04, NZM 2005, S. 339 zum Geschrei eines Kleinkindes als Mietmangel – verneint; AG Frankfurt / Main, Urteil vom 9.9.2005 – 33 C 3943/04, WuM 2005, 764 zur enttäuschten Erwartung auf „kinderfreies“ Wohnen; BGH, Urteil vom 5.2.1993 – V ZR 62/91; MDR 1993, 41; BGH, Urteil vom 22.1.2003 – VIII ZR 244/02, MDR 2003, 562
Umweltmängel und Umfeldmängel im Mietrecht homepage.doc 16/38 Nachbarn seien durch den Spiellärm nicht unzumutbar beeinträchtigt. Eine Kündigung komme erst dann in Be- tracht, wenn die Nachbarn so stark beeinträchtigt seien, dass eine Mietminderung greife. Davon sei aber nicht auszugehen, Vielmehr sei im Hinblick auf die vielen in der Wohnanlage lebenden Kinder sowie des angrenzen- den Spielplatzes der „nicht über das übliche Maß“ hin- aus gehende Kinderlärm hinzunehmen. 6. Strahlung / Funkwellen a) Mikro- und Radiowellen Enthält der Mietvertrag keine ausdrückliche Vereinba- rung, eine Wohnung ohne Quellen von Funkwellen ge- mietet zu haben, so kann angesichts der Alltäglichkeit von Mikro- und Radiowellen, die sowohl natürlich (aus dem Weltraum oder durch Gewitterblitze verursacht) wie auch für gebräuchliche technische Hilfsmittel des täglichen Lebens (Funk, Radio, Fernsehen, Funkuhren, Mikrowellenherd usw.) überall entstehen, eine solche Abrede auch nicht als stillschweigend getroffen unter- stellt werden. 68 Die Annahme eines Sachmangels schei- det dann ebenso aus. b) Elektrosmog/Mobilfunkstation 69 Auch bei der Beeinträchtigung des Mietobjekts durch Mobilfunkstationen spielt das psychologische Moment eine große Rolle. So erkennt das AG München 70 eine Mietminderung bereits dann zu, wenn der Mieter, der im Obergeschoss unter dem mit sechs Mobilfunkanten- nen bestückten Flachdach wohnt, Gesundheitsbeein- trächtigungen durch Elektrosmog nur befürchtet. Bei der Anhörung vor dem Umweltausschuss des Deutschen Bundestages am 18.06.2001 kamen die Sachverständi- gen zu dem Ergebnis, dass sich eine Gefahr durch Elekt- 68 LG Heidelberg, Urteil vom 19.11.2010 - 5 S 34/10, WuM 2011, 14 69 Zum Forschungsstand über elektromagnetische Felder Gablenz NZM 1998, 364; Anhörung vor dem Umweltausschuss des Dt. Bundestages WuM 2001, 431; zur Vertragsgestaltung bei der Vermie- tung von Mobilfunkbasisstationen: Lindner-Figura NZM 2001, 401; Kniep, Mobilfunkantennen und Eigentum, DWW 2001, S. 324 ff; Kniep, Mobilfunk und Mietumfeld WuM 02,598; Roth, Elektrosmog und Mietminderung im Wohnraummietrecht – eine Spielwiese für das Ausleben subjektiver Empfind- lichkeiten?, NZM 2000, S. 522; Eisenschmid, Elektrosmog und Gewährleistung im Mietrecht, WM 1997, S. 21 ff;; Frenzel, Mobilfunkantennen in Wohngebieten, WM 2002, S. 10 ff 70 AG München, Urteil vom 1.4.1998 – 432 C 7381/95, WuM 1999, S. 111 - Mietminderung bejaht bei 6 An- tennen auf einem Flachdach, unter dem der Mieter direkt wohnt; Furcht vor gesundheitsbeeinträchtigen- der Strahlung reichte dem Gericht aus. (ohne Anga- be der Miethöhe)
Umweltmängel und Umfeldmängel im Mietrecht homepage.doc 17/38 rosmog weder bestätigen noch ausschließen lässt 71 . Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz u. Arbeitsmedizin hält Umweltrisiken bei eingehaltenen Grenzwerten für nicht erkennbar, sie hat keinen Anlass gesehen, die Grenz- werte zu senken 72 . Dies ist auch der einheitliche Tenor in der Rechtsprechung: Werden die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen fest- gelegten Grenzwerte eingehalten, dann sind Strahlenbe- lastungen als unwesentliche Beeinträchtigungen zu dul- den 73 (z.B. 26. BImSchV 74 zum Schutze der Allge- meinheit und der Gesundheit des Einzelnen vor Schäden durch elektromagnetische Felder). Die VO ist u.a. auf Antennen für den Mobilfunk anwendbar. Werden die vorgeschriebenen Grenzwerte eingehalten, so muss der Betrieb der Anlage hingenommen werden. Es besteht keine Minderungsbefugnis. Die subjektive Furcht eines Mieters vor Gesundheitsgefahren oder Beeinträchtigung seines Wohlbefindens reicht nach h.M. nicht aus. 75 Werden die Grenzwerte für elektromagnetische Felder (26. BImmSchV) nicht überschritten, so spielt es nach Ansicht des BGH 76 auch keine Rolle, dass die wissen- schaftliche Diskussion über die Gefahren von Musik- funksendeanlagen noch nicht abgeschlossen ist. Ein „Restrisiko“ einer Gesundheitsgefährdung ist unver- meidbar. 100 Mikrotesla für die magnetische Flussdichte nie- derfrequenter Felder sind danach unbedenklich. Dann wird indiziert, dass es sich nur um unwesentliche Beein- trächtigungen von Rechtsgütern handelt 77 . Folglich be- 71 Wüstefeld, Anhörung zu Gefahren durch Mobilfunk- strahlung, WuM 2001, 431, auch so Fritz, NZM 2008, Seite 825 (827); 72 WuM 2001,431; dazu auch Hitpaß , ZMR 2007, 340 73 LG Frankfurt, Urteil v. 21.8.1997 - 3/10 O 54/97, NZM 1998, S. 371 - Beim Mieter verschwimmen die Com- puter-Bildschirme, weil eine Oberleitung der Bahn für die Straßenbahn geändert wurde. Sofern die Grenz- werte der Bundes-Immissions-Schutzverordnung ein- gehalten wurden, stellt dies keinen Mangel der Miet- sache dar – keine Minderung; 74 Sechsundzwanzigste Verordnung zur Durchfüh- rung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - Verordnung über elektromagnetische Felder vom 16.12.1996, BGBl I 1996, 1966 75 Blank/Börstinghaus, § 536 BGB Rn. 9 76 BGH, Urteil vom 15.3.2006 -VIII ZR 74/05, DWW 2006,195 = WuM 2006, 304 = GE 2006, 777 = NZM 2006, 504 = NJW 2006, 2625 = ZMR 2006, 670 = MDR 2006, 1218; LG Hamburg, Urteil vom 21.06.2007 – 307 S 15/07, WuM 2007, S. 692, AG Gießen, Urteil v. 9.7.2001 - 48-M C 903/00, ZMR 2001, S. 806 77 BGH 15.03.06 NZM 2006, 504 = WuM 2006, 304 = ZMR 2006, 670OLG Frankfurt/M. 23.6. 05 NZM 838 + BGH 13.02.2004 WuM 2004, 217; OVG Koblenz 20.08.2001 WuM 2001, 561; BVerfG 17.02.1997 NJW 1997, 25092 und 08.02.2002 NJW 2002, 1638 = NZM 2002, 496 = ZMR 2002, 578; OVG Lüneburg 19.01.2001 DWW 2002, 128;
Umweltmängel und Umfeldmängel im Mietrecht homepage.doc 18/38 steht auch kein vorbeugender Abwehranspruch gegen die Errichtung einer Mobilfunkbasisstation. Der Mieter hat keinen Anspruch auf Auflösung des Vertrages we- gen Umweltgefährdung und keine Mietminderungsrech- te, wenn die Grenzwerte eingehalten sind 78 . Gesund- heitsängste des Mieters reichen nach herrschender Mei- nung nicht aus, wenn nach dem Stand der Wissenschaft eine Gesundheitsgefährdung ausgeschlossen ist 79 Die vorstehenden Darlegungen bilden allerdings nur den ak- tuellen Stand in Rechtsprechung und Literatur ab. Mit gesteigertem Umweltbewusstsein und erhöhter diesbe- züglicher Sensibilität werden für die Zukunft abgesenk- te Grenzwerte denkbar. Ein Blick in die Schweiz, in der weitaus geringere Grenzwerte zur Unbedenklichkeit elektromagnetischer Strahlungen gelten, zeigt, dass die- ser Prozess in Deutschland auch in Fluss geraten und zu einer Absenkung von Grenzwerten als Folge aktuellerer wissenschaftlicher Erkenntnisse führen kann. c) Ionisierende Strahlung Harrisburg/USA 1979, Tschernobyl/Ukraine 1986, und aktuell Fukushima/Japan sind Meilensteine nuklearer Katastrophen 80 aus der friedlichen Nutzung von Kern- energie, die jeden Lebensraum weltweit zerstören kön- nen, weite Bereiche auf unabsehbare Zeit unbewohnbar gemacht, und menschliche Existenz infolge der Auf- nahme nuklearer Verseuchung über die Nahrungskette, den Boden und über die Luft extrem gefährdet haben. 81 Gerade die erdbebenbedingte nukleare Katastrophe in Japan hat der Diskussion erheblich an Wucht verliehen, unter welchen Voraussetzungen die drohende Vernich- tung von Lebensraum und eigener Existenz durch nuk- leare Verstrahlung abgewendet werden kann. Mietrecht- lich drängt sich die Frage auf, ob erhöhte Strahlenbelas- tungen aus ausländischen Nuklearunfällen oder neue Erkenntnisse über die Betriebs(un)sicherheit nationaler Atomkraftwerke als Umweltmängel eingestuft werden können. Eine parallele Betrachtung im Nachbarrecht zeigt die Einordnung ionisierender Strahlung als - anspruchsaus- ; OLG Karlsruhe 16.03.1994 NJW 1994, 2100 m.w.N. in der Anmerkung; VGH Mannheim 02.01.1997 NJW 1997, 3461 Ls.); LG Frankfurt/M. 21.08.1997 NZM 1998, 371; VG Schleswig 22. 8. 1997 NZM 1998, 1883 Ls. 78 LG München I 27.03.2002 NZM 2002, 671; AG Tiergarten 04.12 2001 NZM 2002, 949 79 AG Traunstein 03.03.1999 ZMR 2000, 389 m. Anm. Schläger; AG Gießen 09.07. 2000 ZMR 2001, 806; AG Frankfurt/M. 25. 6. 2001 NZM 2001, 1031; ; Berufung durch LG Frankfurt/Main zurück- gewiesen und Revision nicht zugelassen 04.03.2003 NZM 2004,80; a. A.: AG München 01.0 4.1998 WuM 1999, 111 80 Vgl. die „Liste der Unfälle in kerntechnischen Anlagen“ in www.wikipedia.org 81 Näher zu den gesundheitlichen Auswirkungen: Hill / Hille, Radiologische Folgen des Reaktorunfalls in Tschernobyl, atw 2002, S. 31 ff
Umweltmängel und Umfeldmängel im Mietrecht homepage.doc 19/38 lösende - ähnliche Einwirkung im Sinne von § 906 BGB. 82 Auch im Rahmen des zivilen Nachbarrechts- schutzes gelten aufgrund der Ausschlusswirkung von Betriebsgenehmigungen für Atomkraftwerke die öffent- lich-rechtlichen Einschränkungen und Messwerte. Auf diese Messwerte, verstanden als Grenzwerte für die Un- bedenklichkeit ionisierender Strahlenbelastung, könnte mit der Rechtsprechung zur Begründung von Sachmän- geln im Falle elektromagnetischer Wellen auch im Rahmen der mietrechtlichen Betrachtung abgestellt werden. Atomrechtlich gilt: Bei der Ermittlung der zulässigen Strahlendosis durch den Betrieb kerntechnischer Anlagen ist gemäß § 45 StrSchV 83 die aus Störfällen oder Unfällen resultierende Strahlenbelastung nicht zu berücksichtigen. 84 Nur auf Immissionen im Rahmen des Normalbetriebs ist abzu- stellen, nicht aber auf die Belastung am Ort durch (aus- ländische) Störfälle und Unfälle. Diese Erkenntnis aus der damaligen Rechtsprechung zu den Folgen des Reak- torunfalls von Tschernobyl am 24 April 1986 gipfeln in der wörtlichen Diktion des OVG Lüneburg in seinem Leitsatz 2: „Kernschmelzunfälle sind dem Restrisikobe- reich zuzurechnen.“ 85 Bezogen auf das Mietrecht bedeutet das, dass die jüngs- te Reaktorkatastrophe in Japan keine Auswirkungen auf die mietrechtlichen Bewertung hat: ein Umweltmängel ergibt sich dadurch nicht; selbst dann nicht, wenn sich tatsächlich eine erhöhte Strahlenbelastung als Folge die- ses Unfalls zeigen sollte. Im Übrigen kommt es nur dar- auf an, ob die beim störungsfreien Betrieb eines natio- nalen Atomkraftwerks einkalkulierte Strahlenbelastung der Umwelt eingehalten werden kann. Selbst wenn dies zweifelhaft würde, müsste nach der atomrechtlichen Wertung immer noch ein direkter Kausalitätszusam- 82 Palandt-Bassenge, 67. Aufl. 2008, § 906 BGB, Rdnr. 10; Säcker, in Münch-Komm zum BGB, Band 6, 5. Aufl. 2009, § 906 BGB Rn. 78, für ionisierende Strah- lung, entstanden durch den Zerfall radioaktiver Stof- fe, selbst wenn diese nur mit Messgeräten wahr- nehmbar sind; ebenso BVerfG, NJW 1997, 2509; OLG Naumburg, MDR.1999, 1193 83 VO über den Schutz von Schäden durch ionisierende Strahlen – Strahlenschutzverordnung – vom 20.7.2001, BGBl I 2001, 1714 (2002 I 1459) 84 BVerwG, Beschluss vom 23.5.1991 – 7 C 34/90, NVwZ 1991, 1185; ebenso bereits OVG Lüneburg, Beschluss vom 16.09.1988 - 7 D 10/86, 7 D 4/87, RdE 1990, 61; OVG Lüneburg, Beschluss vom 28.10.1986 - 7 D 8/86, 7 D 10/86, NVwZ 1987, 75; dazu deutlich kritisch: Sterzel; Tschernobyl und keine Rechtsfolgen, KJ 1987, 394-410, der ein Umdenken der Justiz in eine neue atomrechtliche Sicherheitsphilosophie vermisst und für einen kompromisslosen Ausstieg aus der Kernenergie plädiert; a. A. und für eine Berücksichtigung erhöh- ter Strahlenwerte nach ausländischen Reaktorun- fällen: VG Regensburg, Urteil vom 13.03.1989 - 5 K 88/274, NVwZ 1989, 1195 85 OVG Lüneburg , Beschluss vom 16.09.1988 - 7 D 10/86, 7 D 4/87, RdE 1990, 61
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