Umweltpolitische Forderungen zur Bundestagswahl 2013

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Umweltpolitische Forderungen zur Bundestagswahl 2013
Umweltpolitische Forderungen
zur Bundestagswahl 2013

                               www.greenpeace.de
Greenpeace-Forderungen zur Bundestagswahl 2013                                          2

                Inhalt

                Auf einen Blick: Greenpeace-Kernforderungen an eine
                neue Bundesregierung                                               3

                1. Keine Profite auf Kosten von Natur und Gesellschaft: Für eine
                   handlungsfähige Politik gegen die Dominanz der Konzerne         5

                2. Energiepolitik und Klimaschutz: Für eine echte Energiewende

                    2.1 Energiewende in der Strom- und Wärmeversorgung             8

                    2.2 Energiewende im Verkehr                                    11

                    2.3 Energiewende und Klimaschutz international                 13

                3. Natur- und Artenschutz: Für natürliche Landschaften, Wälder
                   und Meere

                    3.1 Landwirtschaft                                             14

                    3.2 Waldschutz und Forstwirtschaft                             17

                    3.3 Meeresschutz und Fischerei                                 19
Greenpeace-Forderungen zur Bundestagswahl 2013                                                                         3

                Auf einen Blick: Kernforderungen von
                Greenpeace an eine neue Bundesregierung
                1. Handlungsfähigkeit der Politik gegenüber der Wirtschaft zurückgewinnen und starke Nachhal-
                   tigkeit durchsetzen.
                 • Die Bundesregierung muss der Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen und Gemeingüter
                   neue Priorität einräumen und absolute Ziele für den Energie- und Ressourcenverbrauch setzen.
                 • Umfassende Informationspflichten und Haftungsregeln für Unternehmen einführen.
                 • Umweltschädliche Subventionen und Privilegien abbauen und Unternehmen an den ökologischen
                   und sozialen Kosten ihrer Aktivitäten beteiligen.
                 • Öffentlichen Beschaffung an ökologisch-sozialen Kriterien ausrichten.
                 • Gesellschaftliche Debatte über die Grenzen von Wachstum und Ressourcenverbrauch anstoßen
                   und neue Maßstäbe für gesellschaftliche Wohlfahrt neben dem Bruttosozialprodukt entwickeln
                   und einführen.

                2. Eine echte Energiewende einleiten – ohne Atom und Kohle.
                 • Die Bundesregierung muss den Energieverbrauch und Treibhausgas-Emissionen stärker senken –
                   durch ein Klimaschutzgesetz und konkrete Einsparziele.
                 • Rahmenbedingungen für die Energiewende als dezentrales Bürgerprojekt schaffen.
                 • Kohleausstieg gesetzlich verankern.
                 • Atomausstieg beschleunigen (bis 2015) und Endlagersuche neu gestalten.
                 • Erneuerbare Energien verstärkt, aber naturverträglich ausbauen.
                 • Umweltschädliche Subventionen im Strommarkt abbauen – vor allem bei energieintensiven
                   Industrien und Energieversorgern.
                 • Versorgungssicherheit garantieren durch Reform des Energiemarktes.
                 • Energieverschwendung eindämmen – durch gesetzliche Energieeinsparziele, Gebäudesanierung und
                   Top Runner-Ziele.
                 • Netzausbau begrenzen und Speicherforschung verstärken.

                3. Klima- und menschenfreundliche Mobilität statt Autochaos und Billigflüge.
                 • Die Bundesregierung muss die CO2-Emissionen im Verkehrsbereich deutlich senken – u.a. durch
                   ehrgeizige CO2-Ziele, eine ökolo-gische Kfz-Steuer und ein Tempolimit auf Autobahnen.
                 • Städte vom Autoverkehr entlasten und Alternativen zum Autoverkehr umsetzen.
                 • Flugticketsteuer stufenweise erhöhen.
                 • Umweltschädliche Subventionen im Verkehrsbereich abschaffen – vor allem bei Dienstwagen, Kraft-
                   stoffen und im Flugverkehr.

                4. Vorreiter im internationalen Klimaschutz werden und Ölkonzerne stoppen.
                 • Die Bundesregierung muss ehrgeizige Zwischenziele der EU für CO2-Reduktion, den Ausbau Erneu-
                   erbarer Energien und Energieeinsparung für 2030 unterstützen auf dem Weg zu einer vollständigen
                   Dekarbonisierung Europas bis 2050.
                 • Weltweiten Klimaschutz voran bringen – durch Koalitionen mit progressiven Staaten und konti-
                   nuierliche Finanzhilfen für ärmere Länder.
                 • Einsatz gegen die Ausweitung der Öl- und Gasförderung national und weltweit – bei Ölbohrungen
                   im deutschen Wattenmeer ebenso wie in Tiefseegebieten.
                 • Einsatz für ein Schutzgebiet in der Hohen Arktis, um Ölbohrungen in diesem Gebiet auszuschließen.

                5. Industrielle Landwirtschaft eindämmen und Ökolandbau ausweiten.
                 • Die Bundesregierung muss die Emissionen und Schadstoffeinträge der Landwirtschaft reduzieren –
                   durch ein CO2-Reduktionsziel und Verminderung der Überdüngung von Böden und Gewässern.
Greenpeace-Forderungen zur Bundestagswahl 2013                                                                            4

                 • Umweltschädliche Subventionen abbauen, Exportsubventionen verbieten und Beihilfen an Umwelt-
                   leistungen koppeln.
                 • Anteil der ökologischen Landwirtschaft von heute 6 % auf 20 % bis 2020 erhöhen.
                 • Monomaisanbau und Umbruch von Grünland verbieten, fruchtbare Böden erhalten und Pestizid-
                   einsatz deutlich reduzieren.
                 • Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen dauerhaft verhindern.
                 • Auswüchse bei der Biomasse-Produktion eindämmen – u.A. durch weniger Biomasse-Anbau und
                   eine Abschaffung der Biotreibstoff-Quote.
                 • Billigfleisch und qualvolle Tiermast verhindern – durch höhere Steuern auf Fleisch, drastisch weni-
                   ger Einsatz von Antibiotika in der Tiermast und deutliche Verbesserung der Tierhaltung.

                6. Wälder national und weltweit schützen und Urwälder von morgen schaffen.
                 • Die Bundesregierung muss die Waldgesetzgebung auf Bundesebene reformieren (Bundeswaldgesetz,
                   Bundesjagdgesetz), um Naturschutz in Wäldern und Gemeinwohl zu stärken.
                 • Alte Laubwälder schützen – u.a. durch einen Einschlagstopp für öffentliche Buchen- und Laub-wäl-
                   der, die über 140 Jahre alt, Unterstützung für neue Nationalparke und eine ökologisch-soziale Zerti-
                   fizierung von Wäldern (FSC).
                 • Klimaschutz durch Wälder sichern – durch konkrete Ziele für CO2-Bindung in Wäldern und
                   für Holzvorräte.
                 • Öffentliche Beschaffung wald- und klimagerecht gestalten – durch Papiervermeidung und Bezug
                   glaubwürdig zertifizierter Hölzer.
                 • Internationalen Wald- und Urwaldschutz vorantreiben – durch Stopp von Produkten aus Urwald-
                   zerstörung (Soja, Palmöl), Verhinderung illegaler Holzeinfuhren und finanzielle Unterstützung für
                   Waldschutz in Entwicklungsländern.

                7. Meeresschutz national und international vorantreiben
                 • Die Bundesregierung muss die Überfischung stoppen – u.a. durch Maßnahmen gegen industrielle
                    Überfischung, Förderung nachhaltiger Fangmethoden, Abschaffung von Überkapazitäten und stren-
                    gere Kennzeichnungspflichten für Fischprodukte.
                 • Meeresschutzgebiete in Nord- und Ostsee konsequent umsetzen und schädliche Aktivitäten wie
                    industrielle Fischerei oder Rohstoffabbau unterbinden.
                 • Vorreiterrolle beim internationalen Meeresschutz übernehmen – durch intensiven Einsatz für ein
                    UN Hochseeschutz-Abkommen.
                  • Einsatz für Schutzgebiete in den Polarregionen – in der Hohen Arktis ebenso wie im antarktischen
                    Rossmeer.
                  • Fortsetzung der deutschen Politik für einen umfassenden weltweiten Walschutz, ergänzt durch
                    nationale Maßnahmen (Transitverbot für Walfleisch in deutschen Häfen).
Greenpeace-Forderungen zur Bundestagswahl 2013                                                                             5

                1. Keine Profite auf Kosten von Natur und
                Gesellschaft: Für eine handlungsfähige Politik
                gegen die Dominanz der Konzerne
                Als größte Industrienation Europas und viertgrößte Volkswirtschaft der Welt trägt die Bundesrepublik
                eine besondere politische Verantwortung beim Umwelt- und Klimaschutz. Doch die deutsche Politik
                wird dieser Verantwortung nicht gerecht. In Deutschland wie in allen Industrienationen der Welt ver-
                lieren Regierungen immer weiter an Gestaltungskraft. Der Verlust des Primates der Politik gegenüber
                der Wirtschaft ist eine entscheidende Ursache der globalen Umweltzerstörung. Die Politik hat fahrlässig
                ihre Kernaufgabe vernachlässigt, langfristig stabile, am Gemeinwohl orientierte Rahmenbedingungen
                und Regeln zu setzen und diese gegenüber den kurzfristig orientierten Einzelinteressen der Wirtschaft
                konsequent durchzusetzen. Das ist im Bereich der „Umwelt- und Klimakrise“ nicht anders als bei der
                „Finanzkrise“ und anderen „Krisen“, die nicht unvorhersehbar über Regierungen hereinbrachen, son-
                dern von ihnen selbst mitverschuldet sind.

                In Deutschland pflügen Kohlekonzerne in der Lausitz ganze Landstriche um, alteingesessene Dörfer
                werden weggebaggert. Die Bohrplattformen der Mineralölindustrie und der Schiffsverkehr verschmut-
                zen die Nord- und Ostsee rund um die Uhr mit Öl, Chemikalien und Abfällen. Agrargifte der chemi-
                schen Industrie belasten Böden und Gewässer. Die Betreiber von Atomkraftwerken schieben das Risiko
                eines möglichen Atomunfalls auf die Allgemeinheit ab. Energieintensive Unternehmen setzen für sich
                großzügige Befreiungen von Steuern und Abgaben durch, für die private Haushalte höhere Energie-
                preise zahlen müssen. Allen diesen Unternehmen gestattet es die Bundesregierung, durch ihre Produkte
                und Produktionsweisen Gemeingüter zum Teil irreparabel zu schädigen und die dadurch entstehenden
                Kosten auf die Steuerzahler abzuwälzen, statt diese Unternehmen für ökologische und soziale Schäden
                haftbar zu machen und ungerechtfertigte Privilegien abzubauen.

                Deshalb muss die Politik ihre Gestaltungskraft zurückgewinnen. Wirtschaft, Soziales und Umwelt sind
                nicht – wie es der zur Floskel verkommene Begriff von den „Drei Säulen der Nachhaltigkeit“ unterstellt –
                gleichermaßen wichtige Politikbereiche. Vielmehr hat der Schutz der Lebensgrundlagen Priorität, denn
                ohne intakte Lebensgrundlagen können weder Gesellschaft noch Wirtschaft existieren. Im Sinne die-
                ser „starken Nachhaltigkeit“ muss die Bundesregierung Ziele formulieren, die den Erhalt der natür-
                lichen Gemeingüter wie Boden, Luft, Gewässer, Artenvielfalt und Klima sichert. Der Ressourcen- und
                Energieverbrauch muss auf ein Niveau gesenkt werden, das künftigen Generationen ein gleichwertiges
                Leben ermöglicht.

                Statt Konzernen das Feld zu überlassen, muss die Bundesregierung klare Regeln für Unternehmen
                setzen, die Schädigung von Gemeingütern ahnden und ungerechtfertigte Privilegien abbauen. Unter-
                nehmen müssen zur Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards und zu transparenten Informationen
                über ihre Produkte und deren Herstellung verpflichtet und für von ihnen verursachte Schäden haftbar
                gemacht werden. Zudem muss die Bundesregierung die Informationsrechte der Verbraucher gegenüber
                Unternehmen stärken.

                Regierung und Staat müssen zudem im eigenen Handeln Vorbild sein – zum Beispiel durch vorbildliche
                öffentliche Beschaffung, die energetische nachhaltige Sanierung von öffentlichen Gebäuden oder Na-
                turschutz in öffentlichen Wäldern.

                Nachhaltigkeit ist zum Scheitern verurteilt, solange nicht-nachhaltiges Handeln staatlich belohnt wird.
                Strommarkt, Kraftstoffe, Verkehr – allein in Deutschland belaufen sich die umweltschädlichen Subven-
                tionen auf rund 50 Milliarden Euro pro Jahr. 1 Eine Reform des Steuer- und Abgabensystems nach öko-
                logischen und sozialen Kriterien ist überfällig.

                     1
                         Vgl. Umweltbundesamt: Umweltschädliche Subventionen in Deutschland (2010),
                         www.umweltbundesamt.de/uba-info-medien/4048.html
Greenpeace-Forderungen zur Bundestagswahl 2013                                                                                  6

                Insgesamt muss sich die Bundesregierung von der bisherigen Fixierung auf Wirtschaftswachstum verab-
                schieden. Unbegrenztes Wachstum in einer begrenzten Welt, in der die „planetarischen Grenzen“ 2 zum
                Teil schon überschritten sind, ist eine gefährliche Illusion. Wachstum, das Gesellschaft und Natur scha-
                det, kann nicht richtig sein. In einer zukunftsfähigen Bundesrepublik kann das Bruttosozialprodukt,
                das bei jeder Naturkatastrophe und jedem Unfall zunimmt, alleine kein Indikator für das Wohlergehen
                der Gesellschaft sein.

                Ebensowenig genügt es, eine „grüne Wirtschaft“ („Green Economy“) als Leitbild zu deklarieren, die das
                bisherige Wachstumsmodell nur unter anderen Vorzeichen fortsetzt. Eine „Green Economy“, die allein
                auf Effizienzsteigerung und umweltfreundlichere Energien setzt, wird den ökologischen Kollaps nur
                verzögern, aber nicht verhindern. Die Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenver-
                brauch ist nur begrenzt möglich, und durch Produktionsverlagerung werden Emissionen ins Ausland
                verschoben. Effizienzgewinne führen häufig zu Mehrverbrauch, und regenerative Energien müssen
                fossile und nukleare Energien ersetzen, nicht nur ergänzen. Deshalb ist eine „Green Economy“ ohne
                eine absolute Reduktion des Energie- und Ressourcenverbrauchs und deren Emissionen keine Lösung.
                Stattdessen muss die Verschwendung von Energie und Rohstoffen verhindert und ein realer Rückgang
                des Naturverbrauchs erreicht werden.

                Greenpeace fordert deshalb von einer neuen Bundesregierung:

                Alle Politikbereiche auf das Ziel einer „starken Nachhaltigkeit“ verpflichten.
                 • Verabschiedung einer revidierten Nachhaltigkeitsstrategie mit Vorrang der Sicherung der natürlichen
                   Lebensgrundlagen vor ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeitszielen. Dabei müssen absolute
                   Ziele für den Energie- und Ressourcenverbrauch (Reduktion des Gesamtverbrauchs) gesetzt werden,
                   und nicht nur relative (bezogen z.B. auf den Energieverbrauch pro produzierter Einheit). Beispiele
                   sind die Reduktion des Primärenergieverbrauchs (Verbrauch von natürlich vorkommenden Energie-
                   trägern wie Kohle, Gas, Öl) um 30 % bis 2020 und um 60 % bis 2050; gesetzlich fest geschriebene
                   statt freiwillige nationale Reduktion der Treibhausgase gegenüber 1990 um 40 % bis 2020, 60 % bis
                   2030, 80 % bis 2040 und 95 % bis 2050; 20 % ökologische Landwirtschaft bis 2020 u.a.m..
                 • „Nachhaltigkeitsprüfung“ für jedes Gesetz auf seine ökologischen, ökonomischen und sozialen Folgen
                   nach den revidierten Kriterien der Nachhaltigkeitsstrategie.
                 • Start einer bundesweiten öffentlichen Debatte um Zukunft und Grenzen des Wachstums unter
                   Beteiligung aller Bevölkerungsgruppen, und dauerhafte Einsetzung eines Gremiums aus Vertretern
                   von Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu „Grenzen des Wachstums und des Ressourcen-
                   verbrauchs“ zur Erarbeitung konkreter Handlungsempfehlungen.
                 • Ergänzung des Bruttosozialprodukts durch Gemeinwohl-Indikatoren, die ökologische, soziale und
                   humanitäre Faktoren neben der Summe der Güter und Dienstleistungen berücksichtigen.

                Einen rechtlichen Rahmen für mehr Unternehmensverantwortung und Unternehmenshaftung
                schaffen.
                 • Verbindliche Offenlegungspflichten für Unternehmen über die gesamte Lieferkette einführen. Unter-
                   nehmen müssen transparent Rechenschaft ablegen über Einhaltung von Menschenrechten, Um-
                   weltstandards, Arbeitsnormen sowie über Korruptionsfälle und Lobbyaktivitäten. Entsprechende
                   Vorschläge der EU-Kommission für Informationspflichten von Unternehmen 3 müssen unterstützt
                   und wo nötig verschärft werden (z.B. Erweiterung der Informationspflicht auf die Lieferkette, Erwei-
                   terung des Risikobegriffs auf Umweltrisiken).
                 • Einsatz auf Ebene der EU und der UN für die Entwicklung sozialer und ökologischer Kernindikatoren,
                   um die Praxis von Unternehmen einheitlich beurteilen und vergleichen zu können.

                     2
                         Johan Rockström definierte 2009 neun „planetarische Grenzen“, die nicht überschritten werden dürfen,
                         wenn katastrophale Veränderungen auf der Erde ausgeschlossen werden sollen. Nach Rockström hat
                         die Menschheit in drei Bereichen – Klimawandel, Verlust von Biodiversität und Stickstoff-Kreislauf –
                         diese Grenzen bereits überschritten. http://www.stockholmresilience.org/planetary-boundaries
                     3
                         EU-Strategie für die soziale Verantwortung von Unternehmen (CSR) (KOM (2011) 681) und Richtlinien-
                         entwurf zur Offenlegung von nichtfinanziellen Informationen durch Unternehmen (KOM (2013) 207)
Greenpeace-Forderungen zur Bundestagswahl 2013                                                                            7

                 • Einsatz auf internationaler Ebene für ein globales Instrument zur Unternehmenshaftung: Unterneh-
                   men müssen für von ihnen verursachte ökologische und soziale Schäden weltweit haftbar gemacht
                   werden. Dies muss die gesamte Lieferkette umfassen.
                 • Schutz der ökologischen Gemeingüter z.B. durch eine Reform des Eigentums- und Wettbewerbs-
                   rechts (Einführung einer Nachhaltigkeitspflicht für die Nutzung von Eigentum und Berücksich-
                   tigung von Wettbewerbsverzerrungen durch Unternehmen, die Nutzung von Gemeingütern nicht in
                   ihre Kosten einberechnen.) 4
                 • Keinem Freihandelsabkommen zustimmen, dass europäische Standards des Umwelt- und Verbrau-
                   cherschutzes abschwächt oder aushebelt.

                Weiterentwicklung der bestehenden Informationsrechte nach Verbraucher-informationsgesetz
                (VIG), Informationsfreiheitsgesetz (IFG) und Umweltinformationsgesetz (UIG) anhand folgender
                Kriterien:
                 • Zusammenfassung der bestehenden Gesetze in einer einzigen weitreichenden Regelung, die sich an
                   den Transparenzvorgaben des Umweltinformationsgesetzes orientiert. 5
                 • Umfassende Verankerung aktiver Informationsverpflichten, d.h. Festlegung von Kategorien,
                   welche Informationen auch ohne Antrag automatisch im Internet zu veröffentlichen sind.
                   Dies betrifft vor allem:
                    – Kontroll- und Messergebnisse der Lebensmittelüberwachung, auch ohne Grenzwertüberschrei-
                       tung oder unmittelbare Gesundheitsgefährdung;
                    – Gutachten und Studien im Auftrag der öffentlichen Hand;
                    – Daten oder Zusammenfassungen von Daten aus der Überwachung von Tätigkeiten, die sich auf
                       die Umwelt auswirken oder wahrscheinlich auswirken;
                    – Verträge der öffentlichen Hand im Bereich der Daseinsvorsorge.
                 • Rechtsprinzip des Public Interest Test anwenden: alle Ausnahmen vom Informationsanspruch, z.B.
                   aus Gründen des Datenschutzes oder der Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, sind
                   mit dem öffentlichen Interesse an der Freigabe der Information abzuwägen.
                 • Ausnahmeklauseln eng fassen: Aussnahmen sind grundsätzlich eng zu formulieren und am konkre-
                   ten Schutzgut festzumachen, anstelle von vagen und ganze Bereiche ausklammernden Regelungen
                   wie beim derzeitigen Informationsfreiheitsgesetz.
                 • Bürgerfreundliche Verfahrensregeln einführen: verbindliche Fristen nach dem Mindeststandard des
                   Umweltweltinformationsgesetzes, Kostenfreiheit bei Akteneinsicht sowie für die Übermittlung der
                   ersten 100 Kopien.
                 • Ombudsregelung einführen: wie beim Informationsfreiheitsgesetz sollte der Bundesdatenschutzbe-
                   auftragte als Vermittler in Konflikten zwischen Ämtern und Antragstellern auch im jetzigen Anwen-
                   dungsbereich von Verbraucherinformationsgesetz und Umweltinformationsgesetz zuständig sein.
                 • Berücksichtigung von Open Data-Prinzipien bei allen Gesetzesvorhaben, die den Informationszugang
                   betreffen: Daten der Verwaltung müssen in einem Format zugänglich sein, das die elektronische
                   Weiterverarbeitung zulässt, und es sollte keine lizenzrechtlichen Nutzungsbeschränkungen geben.

                Umweltschädlichen Subventionen und Privilegien abbauen sowie Unternehmen stärker an den öko-
                logischen und sozialen Kosten beteiligen.
                  • Vorrangig umweltschädliche Subventionen in den Bereichen Energie, Verkehr, Landwirtschaft und
                    Fischerei abbauen (z.B. Subventionierung von energieintensiven Unternehmen, von Stein- und
                    Braunkohle sowie Atomkraft, die Steuerbefreiungen des Luftverkehrs, die Subventionierung von
                    Dieselkraftstoff sowie von Dienstwagen mit hohem Verbrauch, Subventionen für Fischereiflotten,
                    Tiermastanlagen etc. (Details s.u. unter den jeweiligen Einzelkapiteln).
                  • Einführung einer Umsatzsteuer auf Finanzgeschäfte (Finanztransaktionssteuer) ab 2014, 6 deren
                    Einnahmen zu je einem Drittel für nationale Haushaltssanierung sowie Armutsbekämpfung und
                    Klimaschutz in Entwicklungsländern verwendet werden sollen.

                     4
                         Zu näheren Details siehe die Initiative „Nehmen und Geben“ (www.nehmenundgeben.de)
                     5
                         Nach dem Vorbild des Entwurfs für ein Bürgerinformationsgesetz, präsentiert von Greenpeace im
                         Dezember 2010; vgl. http://www.greenpeace.de/fileadmin/gpd/user_upload/themen/sonstige_themen/
                         Buergerinformationsgesetz-Gesetzestext.pdf
Greenpeace-Forderungen zur Bundestagswahl 2013                                                                                      8

                Das öffentliche Beschaffungswesen nach ökologisch-sozialen Kriterien ausrichten.
                 • Umstellung öffentlicher Gebäude und Einrichtungen auf 100 % Ökostrom und energieeffiziente
                   Wärmeversorgung (z.B. Solarthermie, Kraft-Wärme-Kopplung). Dachflächen öffentlicher Gebäude
                   und sonstige Flächen sollten zur Energiegewinnung (Solarstrom, Solarwärme, Windenergie) genutzt
                   werden.
                 • Erarbeitung einer Papiervermeidungsstrategie für alle Bundesbehörden und deren Umsetzung sowie
                   Umstellung auf Recycling-Papierprodukte mit Blauem Engel.
                 • Umstellung der öffentlichen Holzbeschaffung auf FSC-zertifizierte Produkte (FSC: Forest Stewartship
                   Council).
                 • Umstellung staatlicher Kantinen und Verpflegungsangebote auf ökologisch und fair erzeugte
                   Nahrungsmittel. In öffentlichen Kantinen sollten fleisch- und fischfreie Tage eingeführt werden.
                 • Umstellung der öffentlichen Fahrzeugflotten auf Fahrzeuge mit geringem Sprit- bzw. Energie-
                   verbrauch.
                 • Aktive Unterstützung der Reform der EU-Beschaffungsrichtlinie.

                2. Energiepolitik und Klimaschutz:
                Für eine echte Energiewende
                2.1 Energiewende in der Strom- und Wärmeversorgung

                Deutschland ist die viertgrößte Industrienation der Welt und innerhalb der EU der Staat mit dem
                höchsten Energieverbrauch und den höchsten CO2-Emissionen. 2011 lag der deutsche Jahresausstoß bei
                810 Millionen Tonnen CO2 (EU-weit Rang 1), pro Kopf emittierten die Deutschen 9,9 Tonnen CO2
                (EU-weit Rang 5).

                Die nach der Atomkatastrophe von Fukushima 2011 eingeleitete Energiewende ist eines der größten
                Transformationsprojekte der deutschen Nachkriegsgeschichte. Greenpeace unterstützt die Energiewende,
                drängt jedoch auf eine schnellere und konsequentere Umsetzung und ein umfassenderes Verständnis
                von „Energiewende“: sie wird in Deutschland auf den Strommarkt verengt, muss aber nicht weniger
                dringlich in anderen Bereichen wie Verkehr und Wärmeversorgung erfolgen.

                Energiewende heißt daher nicht nur Atomausstieg, sondern auch Ausstieg aus den fossilen Energien,
                insbesondere aus Kohle und Öl. Rund 50 % des Stroms und über 90 % der Wärme und der Transport-
                energie werden in Deutschland noch immer aus den fossilen Brennstoffen Kohle, Öl und Gas erzeugt.
                Während im Stromsektor flexible Gaskraftwerke als Brücke zu einer Vollversorgung mit Erneuerbaren
                Energien einsetzbar sind, stellen Kohlekraftwerke ein direktes Hindernis für die Energiewende dar.

                Kohle ist der klimaschädlichste Energieträger. Ein Nebeneinander von erneuerbaren und fossilen Ener-
                gien ist ein Widerspruch in sich: die überwiegend dezentrale, fluktuierende Strom- und Wärmeerzeu-
                gung aus Erneuerbaren Energien steht in einem unauflösbaren Systemkonflikt mit einer zentralen, auf
                Grundlast ausgerichteten und von Importen fossiler und nuklearer Brennstoffe abhängigen Strom- und
                Wärmeproduktion.

                Im Energiebereich profitieren insbesondere Großunternehmen von zahlreichen umweltschädlichen
                Subventionen und Vergünstigungen, die sich auf über 10 Milliarden Euro pro Jahr summieren. Ins-
                besondere die Ausnahmeregelungen für die energieintensive Industrie müssen auf ein Mindestmaß
                zurückgefahren werden.

                     6
                         Greenpeace ist Unterstützer der Initiative „Steuer gegen Armut“. Details zur Ausgestaltung einer Finanz-
                         transaktionssteuer unter www.steuer-gegen-armut.org
Greenpeace-Forderungen zur Bundestagswahl 2013                                                                               9

                Greenpeace fordert deshalb von einer neuen Bundesregierung:

                Energieverbrauch und Treibhausgas-Emissionen senken
                 • Reduktion des Primärenergiebedarfs um 30 % bis 2020 und um 60 % bis 2050. 7
                 • Die bisher nur freiwilligen nationalen Klimaziele müssen in einem Klimaschutzgesetz mit Einzel-
                   zielen für alle Sektoren festgeschrieben werden: Reduktion der Treibhausgase gegenüber 1990 um
                   40 % bis 2020, 60 % bis 2030, 80 % bis 2040 und 95 % bis 2050.
                 • Aufnahme des Klimaschutzes als Staatsaufgabe in das Grundgesetz. 8

                Rahmenbedingungen für Energiewende als Bürgerprojekt schaffen
                 • Die Energiewende ist ein Bürgerprojekt. Die Bundesregierung muss Akzeptanz und Transparenz
                   sowie Möglichkeiten zur aktiven Teilhabe der Bürger als Energieproduzenten schaffen.
                 • Die Energiewende ist ein dezentrales Projekt. Vielfältige Akteure wie Landwirte, Energiegenossen-
                   schaften und Einzelbürger müssen tragende Säule der Energiewende bleiben. Zentrale Großprojekte
                   können den dezentralen Umbau unserer Energieversorgung unterstützen, aber nicht ersetzen.
                 • Das BMU sollte die Federführung für die Energiewende erhalten. Das BMWi hat sich als unfähig
                   erwiesen hat, die Ziele der Bundesregierung für eine ambitionierte Energiewende mitzutragen. Zu-
                   dem schadet die ständige Auseinandersetzung zwischen beiden Ministerien der Umsetzung und der
                   Außenwirkung der Energiewende.
                 • Deutschland muss die Energiewende exportieren. Der zunehmende Systemkonflikt mit den
                   unflexiblen Energieversorgungsstrukturen einzelner Nachbarländer gefährdet die Energiewende.
                   Daher muss sich die Bundesrepublik für eine ambitionierte Energiewende in Europa und weltweit
                   stark machen.

                Kohleausstieg gesetzlich verankern
                 • Ausstieg aus der Kohlenutzung – Braunkohleausstieg bis spätestens 2030, Steinkohleausstieg bis spä-
                   testens 2040. Um einen geordneten Ausstieg aus der Kohle zu ermöglichen und gleichzeitig Investi-
                   tionssicherheit, Planungssicherheit und Versorgungssicherheit zu gewährleisten, reicht es nicht auf,
                   auf die Kräfte des Marktes und die Lenkungswirkung des Emissionshandels zu vertrauen. Deshalb
                   muss der Ausstieg aus der Kohle in Form eines Kohleausstiegsgesetzes beschlossen werden. 9

                Atomausstieg beschleunigen und Endlagersuche neu gestalten
                 • Der Atomausstieg sollte bis 2015 abgeschlossen werden. Restlaufzeiten für Atomkraftwerke bis 2022
                   sind weder ethisch vertretbar noch für die Stromversorgung nötig. Die Schließung der in Betrieb
                   verbliebenen 9 Atomreaktoren sollte – wie die Ethikkommission 2011 empfahl – so schnell wie
                   möglich erfolgen.
                 • Die Sicherheitsdefizite der verbliebenen Atomkraftwerke müssen behoben und die Sicherheitsanfor-
                   derungen insbesondere in Bezug auf Terrorangriffe deutlich verschärft werden.
                 • Ein Neustart in der Endlagersuche auf Basis der nationalen Verantwortung für die Endlagerung von
                   Atommüll sollte maximale Transparenz und Öffentlichkeitsbeteiligung gewährleisten. Der geo-
                   logisch ungeeignete Standort Gorleben muss aus einem Suchverfahren ausgeschlossen werden.
                   Es dürfen keine weiteren Atommülltransporte nach Gorleben erfolgen. Bis ein nationales Endlager
                   gefunden ist, muss Atommüll an den jeweiligen Kraftwerken zwischengelagert werden. Startpunkt
                   für ein neues, bundesweites Suchverfahren sollte eine gesellschaftliche Grundsatzdebatte über den
                   Umgang mit Atommüll und die Einsetzung einer Ethikkommission sein.
                 • Umgehende Beendigung der Vergabe von Finanzhilfen und Bürgschaften für Atomkraftprojekte
                   im Ausland.
                 • Die bisher steuerfreien Rückstellungen der Atomkraftwerksbetreiber für den Rückbau ihrer Anlagen
                   müssen in einen öffentlich-rechtlichen Fonds eingezahlt werden.
                     7
                         Siehe Greenpeace: Klimaschutz Plan B 2050 – Energiekonzept für Deutschland (2011)
                     8
                         Greenpeace hat 2011 eine entsprechende Petition im Petitionsausschuss des Bundestages eingereicht
                         http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2011/33288330_kw05_pa_petitionen/index.html
                     9
                         Vgl.: Greenpeace-Gesetzentwurf für ein Kohleausstiegsgesetz (2008/2012) :
                         http://www.greenpeace.de/fileadmin/gpd/user_upload/themen/klima/Kohleausstiegsgesetz.pdf
                         http://www.greenpeace.de/fileadmin/gpd/user_upload/themen/energie/GP_Studie_Kohleausstiegs-
                         gesetz.pdf
Greenpeace-Forderungen zur Bundestagswahl 2013                                                                         10

                Erneuerbare Energien verstärkt, aber naturverträglich ausbauen
                 • Ambitionierte Ausbauziele: Um die klimapolitischen Ziele zu erreichen, muss Deutschland bis 2020
                   mindestens 45 Prozent seines Stromverbrauchs mit Erneuerbaren Energien bestreiten. 2030 muss
                   deren Anteil mindestens 70 Prozent betragen, 2050 dann 100 %.
                 • Das Energie-Einspeisegesetz (EEG) muss das maßgebliche Instrument zum Ausbau der Erneuerbaren
                   Energien bleiben, aber an deren Zuwachs angepasst werden. Die Grundprinzipien des Einspeise-
                   vorrangs, der technologiebezogenen Förderung und der festen Vergütungssätze müssen erhalten
                   bleiben.
                 • Die Kosten des EEG müssen zwischen Verbrauchern und Unternehmen fair aufgeteilt werden. Die
                   bisherige Bevorteilung von Unternehmen durch Ausnahmeregelungen zulasten der Verbraucher
                   muss beendet werden (s. u. Abbau von Subventionen).
                 • Die Windenergie als tragende Säule der Energiewende muss sowohl im Norden als auch im Süden
                   ausgeweitet werden. Dieser Ausbau sollte jedoch vorzugsweise nicht in Waldgebieten erfolgen, und
                   wenn, dann nur in naturfernen Forsten außerhalb von Naturschutzgebieten, Natura2000-Gebieten
                   sowie Nationalparken und Biosphärenreservaten. Alte Buchen- und Laubwälder über 140 Jahre
                   müssen als Windstandorte ebenfalls ausgenommen werden.
                 • Reform des „Regenerativen Wärmegesetzes“, das Nutzungspflichten auf den Gebäudebestand aus-
                   weitet und durch ein Bonusmodell zu langfristigen und stabilen Förderbedingungen führt. Die
                   Finanzierung sollte nicht aus dem Bundeshaushalt, sondern aus Abgaben auf fossile Energieträger
                   erfolgen. Ineffiziente Arten der Wärmeerzeugung wie Nachtspeicherheizungen müssen konsequent
                   abgeschafft werden.
                 • Der Anbau von Energiepflanzen, insbesondere von Mais, darf nicht weiter gefördert werden. Bio-
                   masse sollte nur in Form von Reststoffen zum Ausgleich von Schwankungen bei Wind und Sonne
                   eingesetzt werden. Anbauflächen für Biomasse sind zu begrenzen und nicht weiter auszubauen.

                Umweltschädliche Subventionen im Strommarkt abbauen
                 • Reform der Umlagebefreiungen im EEG und Einführung klarer Kriterien
                    – Ausnahmen begrenzen: von der EEG-Umlage befreit sollten ausschließlich Unternehmen sein, die
                      im intensiven internationalen Wettbewerb stehen (Handelsintensität von mindestens 20 Prozent
                      an der Bruttowertschöpfung) sowie sehr viel Energie für ihre Produktionsprozesse benötigen
                      (Energieintensität von mindestens 20 Prozent an der Bruttowertschöpfung).
                    – Begrenzung der Ausnahmen auf energieintensive Prozesse statt auf ganze Unternehmen.
                    – Einführung einer Mindestbeteiligung aller Unternehmen an der EEG-Umlage in Höhe ihrer
                      Entlastung durch gesunkene Börsenstrompreise (Merit-Order-Effekt).
                    – Abschaffung des Eigenstromprivilegs und Eingruppierung der Strommenge gemäß der neuen
                      Kriterien (s.o.).
                    – Abschaffung der sachlich nicht begründbaren Befreiungen bei den Netzentgelten.
                    – Begrenzung der Vergünstigungen zur Energie- und Stromsteuer sowie beim Spitzenausgleich auf
                      energie- und handelsintensive Unternehmen. Spitzenausgleich sollte nur dann gewährt werden,
                      wenn ein Unternehmen konkrete Fortschritte bei der Energieeffizienz vorweisen kann.
                    – Aufkommensneutrale Umgestaltung der Stromsteuer in eine Primärenergiesteuer, um verschiedene
                      Energieträger je nach Umweltschädlichkeit unterschiedlich besteuern zu können und sie so wie-
                      der zu einer Umweltsteuer zu machen. Erneuerbare Energien müssen von der Steuer befreit und
                      konventionelle Energieträger entsprechend höher besteuert werden.

                Versorgungssicherheit garantieren durch Reform des Energiemarktes
                 • Ziel der Energiewende ist nicht ein Nebeneinander von fossilen und erneuerbaren Energien, sondern
                   die Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien. Deshalb muss der Strommarkt so gestaltet werden,
                   dass die fluktuierenden Erneuerbaren Energien im Mittelpunkt stehen und Reservekraftwerke, Spei-
                   cher und Nachfragemanagement als Instrumente zu deren Flankierung betrachtet werden.
                 • Kraftwerksneubau erst an zweiter Stelle: Deutschland braucht einen flexiblen Kraftwerkspark, um
Greenpeace-Forderungen zur Bundestagswahl 2013                                                                                11

                   die schwankende Einspeisung von Wind und Sonne auszugleichen. Vorrang bei der Deckung des
                   verbleibenden Kapazitätsbedarfs müssen ökologisch vorteilhaftere Lösungen wie regelbare Erneuer-
                   bare Energien, Lastmanagement, Netze, KWK-Anlagen und Speicher haben. Erst nachrangig sollten
                   flexible und hocheffiziente Gaskraftwerke als Übergang zur Vollversorgung mit Erneuerbaren Ener-
                   gien ausgebaut werden.
                 • Keine vorschnelle Festlegung auf Kapazitätsmärkte: In der Debatte um die zukünftige Rolle konven-
                   tioneller Kraftwerke müssen unabhängige Untersuchungen zunächst die Wirtschaftlichkeit von
                   Bestandskraftwerken sowie den zukünftigen Kapazitätsbedarf klären. 10
                 • Keine Förderung für bestehende oder neue Braun- und Steinkohlekraftwerke sowie Atomkraftwerke.

                Verschwendung von Energie eindämmen
                 • Deutschland braucht ein nationales Energieeinspargesetz, das eine absolute Senkung des Energiever-
                   brauchs gewährleistet.
                 • Deutschland muss die europäische Effizienzrichtlinie zügig und so ambitioniert umsetzen, dass bis
                   zum Jahr 2020 der Primärenergieverbrauch um mindestens 30 % und der Stromverbrauch um
                   mindestens 20 % reduziert werden. Neben einem absoluten Effizienzziel, das somit deutlich über
                   den bisherigen 1,3 % pro Jahr liegen muss, gehören dazu auch verbindliche Maßnahmen wie eine
                   Einsparverpflichtung für Stromanbieter.
                 • Engagement für ein europäisches Top-Runner-Programm, mit dem die effizientesten Geräte zum
                   Standardprodukt von morgen werden. Flankierend sind Förderprogramme und Anreize für den
                   Erwerb besonders energiesparender Produkte aufzusetzen.
                 • Zur Finanzierung dieser Maßnahmen sollte ein Energieeffizienzfonds in Höhe von mindestens
                   1 Mrd. EUR pro Jahr eingerichtet werden.
                 • Die Gebäudesanierung muss ausreichend finanziert und endlich steuerlich gefördert werden. Pro
                   Jahr sollten 3 % des Gebäudebestandes energetisch saniert werden.

                Netzausbau begrenzen, Speicherforschung verstärken
                 • Neue Stromnetze sollten auf das nötige Minimum beschränkt werden. Es sollten nur Netze neu
                   gebaut werden, die für den Ausbau der Erneuerbaren unabdingbar sind und nicht etwa der besseren
                   Auslastung von konventionellen Kraftwerken dienen.
                 • Die Prioritäten beim Netzausbau und die Begutachtung von Maßnahmen zu seiner Minimierung
                   müssen gesetzlich festgeschrieben werden. Die Netzplanung muss transparent erfolgen und betrof-
                   fene Bürger einbeziehen.
                 • Als Grundpfeiler der staatlichen Daseinfürsorge muss der Netzbetrieb durch eine Bundes-Netz-AG
                   unter mehrheitlich staatlicher Beteiligung erfolgen.
                 • Die Energieforschung für Speichertechnologien und ihre Markteinführung muss ausgeweitet wer-
                   den. Insbesondere die Erforschung der Umwandlung von überschüssigem Erneuerbaren Strom in
                   Wasserstoff und / oder Methan (Power-to-Gas) sollte ausreichend finanziert werden.

                2.2 Energiewende im Verkehr

                Dringend nötig, aber von der deutschen Politik bisher sträflich vernachlässigt, ist die Energiewende im
                Verkehrsbereich. Die CO2-Emissionen dieses Sektors steigen seit Jahren an, vor allem im Flugverkehr und
                im Straßengüterverkehr. Insbesondere der Flugverkehr profitiert von umweltschädlichen Subventionen,
                z.B. der Steuerbefreiung von Flugbenzin. Aber auch im Pkw-Sektor führen die Subventionierung von
                Dieselkraftstoff und das Dienstwagenprivileg, das den Kauf großer Autos mit hohem Verbrauch fördert,
                zu überhöhten CO2-Emissionen.

                Den größten Anteil am Ölverbrauch aber hat weiterhin der Pkw-Verkehr, dessen CO2-Emissionen in
                Europa weiter steigen. In Deutschland gehen die Pkw-Emissionen nur langsam zurück. Der Durch-

                     10
                          Vgl. den Vorschlag für einen „Aktionsprogramm Flexible Kapazitäten“ von Greenpeace und BUND (Juni
                          2013): http://www.greenpeace.de/fileadmin/gpd/user_upload/themen/energie/20130613-Positions-
                          papier-BUND-GP-Flexibilitaeten-im-Stromsystem.pdf
Greenpeace-Forderungen zur Bundestagswahl 2013                                                                         12

                schnittsverbrauch deutscher Neuwagen lag laut Angaben der Autohersteller im Normprüfzyklus 2012
                bei 142 Gramm CO2 pro Kilometer (entspricht rund 6 Litern auf 100 km). Er ist real aber erheblich
                höher, da der Normtest die tatsächliche Fahrweise nicht widerspiegelt: laut Bundesverkehrsministe-
                rium lag der Verbrauch im Schnitt bei 7,4 Liter. 11 Deutschland ist noch immer weltweit das einzige
                Industrieland ohne Tempolimit auf Autobahnen, obwohl CO2-Emissionen und Unfallrisiko ab Tempo
                120 stark ansteigen. Deutsche Autohersteller haben bislang – mit Unterstützung durch die Politik –
                sehr erfolgreich ehrgeizige CO2-Grenzwerte auf EU-Ebene verhindert und bestehende Zielwerte durch
                Schlupflöcher aufgeweicht, etwa durch die Mehrfachanrechnung von Autos mit niedrigen Emissionen,
                deren Stromverbrauch als „Nullemission“ unter den Tisch fällt.

                Greenpeace fordert deshalb von einer neuen Bundesregierung:

                CO2-Emissionen im Verkehrsbereich deutlich senken
                 • Festschreibung eines ambitionierten Klimaschutzziels für den Sektor Verkehr in einem Klimaschutz-
                   gesetz.
                 • Unterstützung eines europäischen CO2-Grenzwertes für PKW von durchschnittlich 80g / km (rund
                   3 Liter auf 100 km) in 2020 und höchstens 60 g/km in 2025 ohne Aufweichungen wie „Supercredits“
                   für Elektrofahrzeuge oder die Anrechnung von „Öko-Innovationen“ außerhalb des Testverfahrens.
                   Für leichte Nutzfahrzeuge (Transporter etc.) sollte der Grenzwert analog 110g / km betragen.
                 • Unterstützung der Bemühungen auf EU-Ebene zur Einführung eines neuen Testzyklus für Fahrzeug-
                   Emissionen, der realitätsnahe Angaben zum Kraftstoff- bzw. Energieverbrauch ermöglicht und damit
                   die gegenwärtige Verbrauchertäuschung bei den Verbrauchsangaben beendet.
                 • Stärkere Ausrichtung der Kfz-Steuer am CO2-Ausstoß: Fahrzeuge mit hohem Spritverbrauch müssen
                   deutlich höher besteuert werden.
                 • Einführung eines Tempolimits auf Autobahnen von 120 km / h.
                 • Abschaffung der Biokraftstoff-Quote.
                 • Umstellung des Bahnstroms weg von Kohle und Atom auf erneuerbare Stromquellen.
                 • Stärkere Verlagerung des Güterverkehrs auf Bahn und Schiffe.

                Maßnahmen zur Entlastung der Städte vom Autoverkehr umsetzen
                 • Forcierter Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in Städten und ländlichen
                   Regionen durch verbesserte Rahmenbedingungen (z.B. einfache und kostengünstige Tarifstruktur,
                   Nutzerfreundlichkeit).
                 • Parallel zum Ausbau des ÖPNV müssen Maßnahmen zur Verringerung des Autoverkehrs in Städten
                   umgesetzt werden (z.B. Einführung von City Mauts, massiver Ausbau des Radwegenetzes bei gleich-
                   zeitiger Reduktion des Flächenbedarfs des Autoverkehrs, Reduktion und strengere Bewirtschaftung
                   von Parkplätzen u.a.m.)
                 • Sonderabgabe für Geländewagen aufgrund des höheren Platzbedarfes und der größeren Gefährdung
                   anderer Verkehrsteilnehmer.

                Umweltschädliche Subventionen im Verkehrsbereich abschaffen
                 • Ausrichtung der Dienstwagenbesteuerung am CO2-Ausstoß: Emissionsbezogene Staffelung, keine
                   Förderung für Autos, die mehr als 120 g/km CO2 emittieren.
                 • Abbau der Subventionierung von Dieselkraftstoff. Kraftstoffe sollten nach Energiegehalt besteuert
                   werden. Im Gegenzug sollten Dieselfahrzeuge bei der Kfz-Steuer nicht höher besteuert werden
                   als Benziner.
                 • Aufhebung der Mehrwertsteuerbefreiung von Auslandsflügen.
                 • Verstärkter Einsatz für eine europaweite Besteuerung von Flugbenzin.
                 • Periodische Erhöhung der Flugticketsteuer, deren Einnahmen für Klimaschutz- und Anpassungs-
                   maßnahmen in Entwicklungsländern verwendet werden sollten.

                     11
                          Verkehr in Zahlen (2012)
Greenpeace-Forderungen zur Bundestagswahl 2013                                                                              13

                2.3 Energiewende und Klimaschutz international

                Die Energiewende in Deutschland ist eingebettet in die europäische Energie- und Klimapolitik. Doch
                der europäische Klimaschutz steckt in einer tiefen Krise. Das Reduktionsziel der EU – 20 Prozent weni-
                ger CO2-Emissionen bis 2020 gegenüber 1990 – ist ein schwaches Ziel, das faktisch schon erreicht wur-
                de. Der EU-Emissionshandel, das zentrale Instrument des EU-Klimaschutzes, steht vor dem Kollaps: der
                CO2-Preis erreicht historische Tiefststände und bietet keinen Anreiz für Investitionen in klimafreund-
                liche Technologien. Damit steht auch eine wichtige Finanzierungsquelle für die deutsche Energiewende,
                der Energie- und Klimafonds (EKF), in Frage, da die erwarteten Einnahmen aus der Auktionierung von
                Emissionszertifikaten ausbleiben.

                Zugleich ist die EU über Ziele und Wege in der Klima- und Energiepolitik für die Zeit nach 2020 zerstrit-
                ten: Länder mit hohem Kohleanteil wie Polen lehnen neue Ziele rundweg ab, andere Mitgliedsstaaten
                wie Großbritannien wollen von der EU Beihilfen für den Bau neuer Atomkraftwerke erhalten. Die drin-
                gend nötige politische Einigung auf rechtsverbindliche Ziele für 2030 in den Bereichen CO2-Reduktion,
                Ausbau erneuerbarer Energien und Energieeinsparung scheint derzeit in weiter Ferne. Damit läuft die
                deutsche Energiewende Gefahr, isoliert und auf europäischer Ebene konterkariert zu werden.

                Doch Deutschland selbst spielt bei dieser Klimakrise der EU eine unrühmliche Rolle: insbesondere das
                Bundeswirtschaftsministerium unter verschiedenen Ministern blockiert seit Jahren Fortschritte beim
                EU-Klimaschutz. Zugleich fehlt es der Bundesregierung an einer kohärenten Klimaaußenpolitik, die
                die Aktivitäten aller Ministerien für den Klimaschutz bündelt. Wenn die Energiewende erfolgreich sein
                soll, muss Deutschland auf EU-Ebene und international eine Führungsrolle übernehmen.

                Für das Ziel, die Erderwärmung in diesem Jahrhundert unterhalb von 2 Grad zu halten, ist der geplante
                Abschluss eines Weltklimavertrages bis 2015 eine zentrale politische Etappe. Deutschland ist gefor-
                dert, eine Koalition von Vorreiterstaaten zu bilden und anzuführen, um einen Vertrag mit bindenden
                Verpflichtungen für alle Emittenten zu erreichen. Dazu muss die Bundesregierung auch angemessene
                Finanzhilfen für Klimaschutz und Anpassung in Entwicklungsländern bereit stellen und sich für den
                weltweiten Schutz der Wälder als eine der wichtigsten Maßnahmen zum Klimaschutz einsetzen. Neben
                der Klimapolitik muss sich die Bundesregierung für ein Ende riskanter Öl- und Gasprojekte wie in der
                Tiefsee oder in der Arktis einsetzen, die nicht nur enorme Umweltzerstörungen verursachen, sondern
                auch das Klimaproblem weiter verschärfen.

                Greenpeace fordert daher von einer neuen Bundesregierung:

                Europäischen Klimaschutz stärken
                 • Aktiver Einsatz für eine Erhöhung der EU-Klimaziele: mindestens 30 % Reduktion innerhalb der EU
                   bis 2020, 55 % bis 2030 und 95 % in 2050 (Basisjahr 1990). Im Ausland erbrachte CO2-Reduktionen
                   (sog. CDM-Emissionsrechte), die hauptverantwortlich für den massiven Überschuss an Emissions-
                   rechten im Europäischen Emissionshandel sind, dürfen nicht mehr angerechnet werden.
                 • Aktiver Einsatz für eine Reform des Europäischen Emissionshandels-Systems (ETS), die zu einem
                   CO2-Preis von mindestens 30 Euro pro Tonne führen sollte, wie er den Szenarien der EU-Klima-
                   gesetzgebung zugrunde gelegt wird. 12 Hierbei ist auch die Festlegung eines Mindestpreises für
                   CO2 zu prüfen.
                 • Unterstützung für die Festlegung ehrgeiziger EU-Energieziele für 2030: mindestens 55 % CO2-Reduk-
                   tion (gegenüber 1990) und mindestens 45 % Anteil Erneuerbarer Energien im Endenergieverbrauch
                   sowie eine deutliche Steigerung der Energieeffizienz (45 % gegenüber 2005).

                     12
                          Zu Details einer ETS-Reform siehe  die Studie von Greenpeace und WWF (2012): http://www.green-
                          peace.de/fileadmin/gpd/user_upload/themen/klima/20120610-Studie-Emissionshandel-englisch.pdf
                          http://www.greenpeace.de/fileadmin/gpd/user_upload/themen/klima/2012-11-06_Deutsche_Zusam-
                          menfassung_ETS_Studie.pdf
Greenpeace-Forderungen zur Bundestagswahl 2013                                                                            14

                Vorreiterrolle beim internationalen Klimaschutz einnehmen
                 • Vorreiter-Koalitionen mit anderen Staaten bilden und in internationalen Verhandlungen (UN-Klima-
                   rahmenkonvention UNFCCC, G20 u.a.) auf ambitionierten Klimaschutz drängen.
                 • Fairen Beitrag zur Finanzierung von Klimaschutz und Anpassungsmaßnahmen wie z.B. Schutz
                   gegen Stürme und Überflutungen („Klimafinanzierung“) in Entwicklungs- und Schwellenländern
                   sicher stellen. Dazu muss ein verbindlicher Stufenplan für die Klimafinanzierung bis 2020 ent-
                   wickelt werden.
                 • Verwendung eines Drittels der Einkünfte aus einer Umsatzsteuer für Finanzgeschäfte (Finanztrans-
                   aktionssteuer) für Klima- und Naturschutz.
                 • Einsatz für die Einführung von Abgaben auf den internationalen Flug- und Schiffsverkehr zur Klima-
                   finanzierung in Entwicklungsländern.
                 • Einsatz für den weltweiten Abbau von Subventionen für fossile Energieträger.
                 • Aufbau einer kohärenten Klimaaußenpolitik als integraler Bestandteil der Außen-, Wirtschafts-,
                   Finanz- und Entwicklungspolitik Deutschlands.

                Einsatz gegen eine Ausweitung der Öl- und Gasförderung national und weltweit
                 • Deutschland sollte sich auf europäischer und internationaler Ebene für ein Verbot von hochris-
                   kanten Ölbohrungen in Tiefseegebieten einsetzen. Neue Ölbohrungen in Naturschutzgebieten (z.B.
                   im Nationalpark Wattenmeer) sind abzulehnen.
                 • Die Bundesregierung muss sich auf UN-Ebene für ein internationales Abkommen zum Schutz der
                   Arktis einsetzen, das die Ausbeutung der arktischen Ressourcen verhindert.
                 • Unterstützung für ein Importverbot für Ölprodukte aus Teersanden in die EU.

                3. Natur- und Artenschutz: Für natürliche Land-
                schaften, Wälder und Meere
                3.1 Landwirtschaft

                Natur und Landschaft in Deutschland sind seit Jahrhunderten durch landwirtschaftliche Nutzungen
                geprägt. Etwa die Hälfte der deutschen Landfläche wird landwirtschaftlich genutzt. Doch in den ver-
                gangenen Jahrzehnten hat die Intensität dieser Landwirtschaft mit Monokulturen, einem steigenden
                Einsatz von Agrargiften und Düngemitteln und einer stetig wachsenden industriellen Tiermast massiv
                zugenommen, mit erschreckenden Auswirkungen auf die Natur.

                Die Intensivierung von Ackerbau und Viehhaltung ist hauptverantwortlich für den Rückgang der
                Artenvielfalt in Deutschland, die Verschmutzung von Böden und Gewässern, den Ausstoß großer
                Mengen an klimaschädlichen Gasen und einen zutiefst achtlosen, quälerischen Umgang mit Tieren.
                Stickstoffe aus industriellen Düngemitteln und Gülle belasten Böden und Gewässer. Die Ammoniak-
                gasbelastung aus der Tierhaltung verharrt auf sehr hohem Niveau und führt zur Versauerung der Wäl-
                der. Der Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung belastet Fleischprodukte und gefährdet die
                humanmedizinische Versorgung. Bienengefährliche Pestizide, das Wegspritzen der Ackerbegleitflora
                durch steigenden Einsatz von Totalherbiziden und die Fruchtfolgeverarmung bedrohen die Bienenhal-
                tung in ihrer Existenz. Teil des Problems ist auch eine aus den Fugen geratene Produktion von Biomasse,
                die zur „Vermaisung“ ganzer Landstriche führte. Der anhaltende Umbruch von Grünland und die
                Trockenlegung von Moorgebieten treiben die Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft in die Höhe.

                Politische Ziele für mehr Umweltschutz in der Landwirtschaft werden konstant verfehlt: so sollten die
                Stickstoffüberschüsse bis zum Jahr 2010 auf 80 kg Stickstoff pro Hektar und Jahr reduziert werden,
Greenpeace-Forderungen zur Bundestagswahl 2013                                                                             15

                liegen 2013 aber noch bei knapp unter 100 kg. In vielen Trinkwasserbrunnen steigen die Nitratwerte an,
                eine Folge insbesondere der Übergüllung aus der Massentierhaltung. Die hohe Belastung beeinträchtigt
                nicht nur die Umwelt, sondern stellt auch eine Gefahr für die Gesundheit dar. Zahlreiche Brunnen sind
                wegen zu hoher Nitratwerte nicht zur Trinkwassergewinnung geeignet. Deutschland wird die Ziele der
                europäischen Wassergesetzgebung (Wasserrahmenrichtlinie) bis 2015 sicher nicht erreichen, es droht
                ein Vertragsverletzungsverfahren. Die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie strebt einen Anteil des Ökoland-
                baus von 20 % bis 2020 an – 2013 machen ökologisch bewirtschaftete Flächen jedoch nur magere 6,3 %
                aus. Auch auf EU-Ebene ist ein „Greening“ der Landwirtschaft nicht voran. Hohe Subventionen für die
                industrialisierte Landwirtschaft zementieren deren hochgradig umweltschädliche Auswirkungen.

                In Deutschland findet bislang kein Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen statt, die von der
                Mehrheit der Verbraucher seit Jahren abgelehnt werden. Weiterhin sind die Umweltrisiken ungeklärt,
                zudem führen Gentechnik-Pflanzen letztlich zu erhöhtem Einsatz von Agrargiften. Dennoch bezieht die
                Bundesregierung seit vielen Jahren auf EU-Ebene keine entschiedene Stellung, wenn es um angemes-
                sene Risikokontrollen von Gen-Pflanzen und die Sicherung der gentechnikfreien Landwirtschaft geht.
                Eine Agrarwende ist heute dringender denn je notwendig. Sie muss sich durch naturnahe Formen
                der Landnutzung in der Gesamtlandschaft, eine Begrenzung von Emissionen und einen schonenderen
                Umgang mit Böden, Gewässern, Tieren und Ökosystemen auszeichnen. Nur so kann die Artenviel-
                falt erhalten, die Produktionsgrundlagen für unsere Lebensmittel und die Lebensqualität heutiger und
                zukünftiger Generationen dauerhaft gesichert werden.

                Greenpeace fordert deshalb von einer neuen Bundesregierung:

                Emissionen und Schadstoffeinträge der Landwirtschaft reduzieren
                 • Ambitioniertes Klimaschutzziel für die Landwirtschaft in einem Klimaschutzgesetz festlegen
                   (z.B. -35 % Reduktion von Klimagasen gegenüber 1990 bis 2025).
                 • Abhängigkeit von Sojaschrotimporten reduzieren durch gezielte Förderung des Anbaus heimischer
                   Eiweißfuttermittel.
                 • Maßnahmen umsetzen, die zu einer Reduzierung von Stickstoffverlusten- und überschüssen führen
                   (verpflichtender Einsatz von emissionsmindernden Gülleausbringungstechniken, bundesweites
                   Güllekataster, Reduzierung des betrieblich erlaubten N-Überschusses auf maximal 50 kg N/ha,
                   scharfe Sanktionierung von Überdüngung).
                 • Spezieller Schutz von Moorböden zur Reduktion der Klimagas-Emissionen.

                Ökologisch schädlicher Subventionen und Vergünstigungen abbauen
                 • Bindung aller Direktzahlungen an echte ökologische Leistungen (eng gefasste „Greening“-Maßnahmen
                   auf 7 % ökologische Vorrangflächen, auf denen weder Pestizideinsatz noch Düngung erlaubt sein
                   dürfen).
                 • Nationale Umschichtung von mindestens 15 % der EU Agrarsubventionen weg von den Direktzah-
                   lungen hin zu gezielten Umweltprogrammen in der „2. Säule“ der EU-Agrarreform (GAP). Lang-
                   fristig sollten alle Agrarzahlungen an konkrete Umweltleistungen geknüpft werden.
                 • Verbot von Exportsubventionen.
                 • Maximale Transparenz über Empfänger von Agrarbeihilfen herstellen.
                 • Subventionierung von Agrardiesel beenden.

                Nachhaltige Landwirtschaft fördern
                 • Ziel der Nachhaltigkeitsstrategie von 20 % Ökolandbau bis 2020 forciert angehen durch Förderung
                   der Nachfrage und der Umstellung von Betrieben.
                 • Verbot von Monomaisanbau, also dem mehrjährigen Anbau von Mais auf derselben Ackerfläche.
Greenpeace-Forderungen zur Bundestagswahl 2013                                                                           16

                 • Bodenfruchtbarkeit erhalten und Bodenerosion bekämpfen durch Mindestbegrünungsgebot, Unter-
                   saaten und Mindestfruchtfolgeanforderungen.
                 • Verbot des Umbruchs von Grünland.
                 • Verbot von Patenten auf Gene von Menschen, Tiere und Pflanzen.

                Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen dauerhaft verhindern
                 • Verbot des Anbaus von Genpflanzen auf bundeseigenen Flächen.
                 • Verhinderung der Neuzulassung von Genpflanzen auf EU Ebene.
                 • Maßnahmen zum Schutz GVO-freier Regionen sowie der ökologischen Landwirtschaft und der Imkerei
                   (über Abstandsregelungen, detaillierteres Standortregister, konsequente Haftungsregeln).
                 • Ausweitung der Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte tierische Erzeugnisse wie Milch,
                   Eier und Fleisch von Tieren, die mit GV Futtermitteln gefüttert wurden.
                 • Nulltoleranz: keine Verunreinigungen durch nicht zugelassene GV-Pflanzen sowohl in Lebensmitteln
                   als auch in Saatgut.

                Auswüchse bei der Biomasse-Produktion eindämmen
                 • Flächenverbrauch für Biomasse begrenzen.
                 • Abschaffung der Biotreibstoff-Quote.
                 • Nicht nur direkte, sondern auch indirekte Emissionen des Biomasse-Anbaus in das Berechnungs-
                   system für Treibhausgas-Emissionen integrieren (z.B: wenn Biomasse-Anbau in Indonesien andere
                   Nutzungsformen verdrängt, die dann ihrerseits in Waldgebiete vordringen).
                 • Ausstieg aus der Nutzung von flächenbasierten Agrotreibstoffen forcieren: Einsatz allein von Roh-
                   stoffen, die inklusive der Einberechnung indirekter Landnutzungsänderungen deutlich besser
                   abschneiden als fossiler Kraftstoff und nicht zu Konkurrenzen von Tank und Teller führen.
                 • Streichung der Sonderzahlung aus der Einsatzstoffvergütungsklasse beim Einsatz von konventio-
                   nellen Energiepflanzen wie Mais und Getreide in Biogas-Neuanlagen.

                Pestizideinsatz deutlich reduzieren
                 • Pestizid-Reduktionsprogramm ausbauen.
                 • Verbot von bienengefährlichen Pestiziden (Neonikotinoiden).
                 • Nationalen Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pestiziden nachbessern.

                Billigfleisch und qualvolle Tiermast verhindern
                 • Erhöhung der Mehrwertsteuer für Fleisch und andere tierische Produkte auf 19 %.
                 • Drastische Reduktion des Antibiotikaeinsatzes in der Tierhaltung.
                 • Verbesserung der Tierhaltungsstandards: mehr Platz in den Ställen, Abschaffung der Vollspalten-
                    haltung, Verbot von Ferkelkastration und Schwanzkupieren.
                 • Schaffung eines staatlichen Tierschutzlabels mit hohen Anforderungen an Haltung und Fütterung
                    (u.A. verbesserte Tierhaltung; Verbot des Einsatzes von Antibiotika und GVO-Futtermitteln).
                 • Novellierung des Baurechts: kein privilegiertes Bauen von Ställen, die immissionsschutzrechtlicher
                    Genehmigung bedürfen, kein Stallbau in Regionen mit hoher Viehdichte ohne Nachweis einer
                    eigenen Futtergrundlage.
                 • Förderung von Weidehaltungsverfahren durch klare Kennzeichnungsanforderungen.
                 • Verbot der täuschenden oder irreführenden Werbung mit Bildern, die mit der realen Produktion nichts
                    zu tun haben, sowie Anforderungen festlegen für Werbung, z.B. durch Schutz von Begriffen wie
                    Weidemilch, Bergmilch, Alpenmilch.
                 • Aufklärung über gesundheitliche und ökologische Folgen eines hohen Fleischkonsums: die Empfehlung
                    der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), den Fleischkonsum zu reduzieren, öffentlich aner-
                    kennen und eine Kampagne zum nachhaltigen Konsum initiieren.
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