Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Infektionen - BIS 2030 - Bedarfsorientiert Integriert ...

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Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Infektionen - BIS 2030 - Bedarfsorientiert Integriert ...
Strategie zur Eindämmung von
HIV, Hepatitis B und C und anderen
sexuell übertragbaren Infektionen
BIS 2030 – Bedarfsorientiert · Integriert · Sektorübergreifend
BIS 2030 – Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Infektionen                   3

Vorwort
Sexuell und durch Blut                                                  Infektionskrankheiten zu betrachten. Zugleich
                                                                        gewinnen Hepatitis B und C aufgrund ihrer Verbrei-
übertragbare Infektionen im                                             tung, der schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen

Wandel                                                                  (u.a. Leberzirrhose und Leberkrebs) und neuer Behand-
                                                                        lungsmöglichkeiten sowohl national als auch interna-
Jeder Mensch kann im Laufe seines Lebens mit einer                      tional an Bedeutung. HIV, Hepatitis B und C sowie
sexuell oder durch Blut übertragbaren Infektion in                      andere sexuell übertragbare Infektionen haben
Kontakt kommen. Daher gilt es, dem Lebensalter und                      vergleichbare Übertragungswege und treten in
den Lebensumständen entsprechende Angebote                              ähnlichen Gruppen verstärkt auf. Deshalb werden sie
zugänglich zu machen, um Infektionen einzudämmen                        gemeinsam in einer integrierten Strategie adressiert.
und individuelle und gesellschaftliche Auswirkungen
zu minimieren. Dies beginnt mit Impfungen im                            Sexuell übertragbare Infektionen waren schon
Kindesalter und geht über Aufklärung und Prävention                     Bestandteil der bisherigen HIV/AIDS-Strategie.
im Jugend- und Erwachsenenalter bis zu altersunab-                      Dennoch ist es bislang nicht gelungen, in der Öffent-
hängigen Diagnostik- und Behandlungsangeboten                           lichkeit für diese Infektionen das gleiche Bewusstsein
sowie der Versorgung im Alter.                                          zu schaffen. Anders als bei HIV sind die Neuinfektions-
                                                                        zahlen von sexuell übertragbaren Infektionen wie
Mit der HIV/AIDS-Bekämpfungsstrategie von 2005 hat                      Syphilis in den letzten Jahren sowohl in Deutschland
die Bundesregierung erfolgreich die Grundlagen dafür                    als auch in europäischen Nachbarländern stark
gelegt, die HIV-Infektionen in Deutschland auf einem                    angestiegen. Chlamydien oder Humane Papillomviren
niedrigen Niveau zu halten. Gleichzeitig hat sie durch                  (HPV) sind insbesondere unter jungen Frauen und
ihr hohes internationales Engagement dazu beige-                        Männern weit verbreitet. Viele sexuell übertragbare
tragen, die HIV-Neuinfektionen weltweit zu senken.                      Infektionen sind sehr gut behandel- und heilbar,
                                                                        können jedoch unbehandelt schwerwiegende Folgen
HIV-Infektionen können heute in Deutschland durch                       wie Krebs oder Unfruchtbarkeit verursachen. Es gilt
Fortschritte in der Therapie – anders, als in den 1990er                daher, mehr Aufmerksamkeit und Bewusstsein für die
Jahren – als chronische Erkrankung betrachtet werden.                   Risiken und Schutzmöglichkeiten vor diesen und
Menschen mit HIV, die frühzeitig mit einer antiretrovi-                 anderen sexuell übertragbaren Infektionen zu erzielen
ralen Therapie beginnen, leiden seltener unter Neben-                   und zielgerichtet Bevölkerungsgruppen mit Präven-
wirkungen, haben weniger Beschwerden und sind in                        tions-, Test- und Versorgungsangeboten zu erreichen.
der Regel in den Alltag und das Arbeitsleben gut                        Hier setzt die Strategie an. Insbesondere bei Jugendli-
integriert. Trotz aller Bemühungen erfolgt die HIV-Dia-                 chen und jungen Erwachsenen sollen durch eine
gnose bei einem Drittel der Menschen in Deutschland                     alters- und zielgruppengerechte Ansprache Möglich-
erst in einem späten Stadium. Etwa 13% der infizierten                  keiten eröffnet werden, sich mit den verschiedenen
Menschen in Deutschland wissen nichts von ihrer                         Aspekten von Sexualität, inklusive der damit verbun-
Infektion. Daraus resultierende, schwerwiegende                         denen Risiken und Schutzmöglichkeiten, auseinander-
gesundheitliche Folgen sowie Todesfälle aufgrund von                    zusetzen. Zugleich gilt es, die Akzeptanz von verschie-
AIDS wären durch frühzeitigere Diagnostik und                           denen sexuellen Orientierungen sowie Lebenswelten
Behandlung vermeidbar. Um die bisherigen Erfolge                        zu fördern. Hürden, sich zu informieren und bei
nicht zu gefährden und HIV/AIDS nachhaltig einzu-                       Verdacht eine Ärztin oder einen Arzt aufzusuchen,
dämmen, ist daher ein fortgesetztes Engagement und                      sollen gesenkt werden.
eine Anpassung des Ansatzes unabdingbar. Die
Früherkennung von HIV-Infektionen und die Behand-                       Die Strategie mit ihren Leitgedanken „bedarfsorien-
lung müssen dabei gestärkt und Präventionsmaß-                          tiert“, „integriert“ und „sektorübergreifend“ bildet
nahmen erweitert werden.                                                den Rahmen für die nachhaltige und erfolgreiche
                                                                        Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C sowie
Neue wissenschaftliche Erkenntnisse bestärken den                       anderer sexuell übertragbarer Infektionen. Dieser
Ansatz, HIV nicht isoliert, sondern im Zusammenhang                     integrierte Ansatz ist wegweisend. Er stellt eine
mit anderen sexuell und durch Blut übertragbaren                        zukunftsorientierte Ausrichtung in der Eindämmung
4                       BIS 2030 – Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Infektionen

von HIV, Hepatitis B und C sowie anderer sexuell                  Grundpfeiler der bisherigen Erfolge und Leitlinien bei
übertragbarer Infektionen dar, der sowohl Gemein-                 der Umsetzung der Strategie. Im Mittelpunkt der
samkeiten nutzt als auch spezifische Anforderungen                Strategie steht dabei, Wissen zu vermitteln und
einzelner Infektionskrankheiten berücksichtigt.                   Kompetenzen zu erweitern, um die Voraussetzungen
                                                                  dafür zu schaffen, dass Menschen verantwortungsvoll
Sexuell übertragbare Infektionskrankheiten sind mit               mit sexuell übertragbaren Infektionen umgehen und
Scham und Stigma verbunden. Betroffene Menschen                   darin bestärkt werden, Präventions- und Versorgungs-
werden häufig ausgegrenzt und diskriminiert. Nur                  angebote wahrzunehmen.
wenn es gelingt, ein gesellschaftliches Klima zu
schaffen, das dem entgegenwirkt, kann einer Ausbrei-              Daten aus Forschung und Surveillance liefern uns
tung wirksam begegnet werden.                                     heute eine gute Grundlage zur Planung und Weiterent-
                                                                  wicklung von evidenzbasierten Präventions- und
Für die Umsetzung der Strategie müssen alle relevan-              Behandlungsmaßnahmen und für die Anpassung der
ten Akteure ebenenübergreifend zusammenarbeiten.                  Maßnahmen an sich verändernde Verhaltensweisen.
Bund, Länder, kommunale Selbstverwaltung, Öffentli-               Deutschland verfolgt gemeinsam mit seinen Partner-
cher Gesundheitsdienst, freie Träger, die Selbsthilfe,            ländern, das im Rahmen der nachhaltigen Entwick-
Ärzteschaft, Pflegekräfte sowie die Bereiche Justiz,              lungsziele der Agenda 2030 von der internationalen
Bildung und Arbeit sind gefordert. Die vorhandenen                Gemeinschaft vereinbarte Ziel, ein gesundes Leben für
Gremienstrukturen werden als Plattform für die                    alle Menschen jeden Alters zu gewährleisten und ihr
Umsetzung der Strategie genutzt und gegebenenfalls                Wohlergehen zu fördern. Als Teil dieses Ziels wurde
im Prozess angepasst. Alle Akteure sind eingeladen,               vereinbart, bis 2030 die Epidemien von AIDS und
sich hieran zu beteiligen.                                        Tuberkulose zu beenden, Hepatitis zu bekämpfen und
                                                                  den universellen Zugang zu Diensten und Informati-
Die Wahrung der sexuellen Rechte und die Akzeptanz                onen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und
von Diversität sowie die Selbstbestimmung des                     Rechte (SRGR) zu sichern. Um diese Ziele zu erreichen
Einzelnen und die Eigenverantwortung, sich selbst und             und die errungenen Erfolge nicht zu gefährden, bedarf
andere zu respektieren und zu schützen, sind dabei                es in den nächsten Jahren verstärkter Anstrengungen
wesentliche Prinzipien. Die Einbeziehung der Selbst-              aller Beteiligten. Ein ganzheitlicher Ansatz ist dafür
hilfe, Empowerment und Partizipation sind zentrale                erforderlich.
BIS 2030 – Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Infektionen    5

Inhaltsverzeichnis
Sexuell und durch Blut übertragbare Infektionen im Wandel                                                       3

I. Entwicklungen und
Herausforderungen in Deutschland                                                                                6

1. Daten und Fakten – epidemiologische Trends                                                                   6

2. Medizinische Erkenntnisse und Entwicklungen                                                                  8

3. Neue Herausforderungen durch veränderte Verhaltensweisen                                                     9

4. Lücken in Prävention, Testung und Versorgung                                                                 9

5. Stigmatisierung und Diskriminierung                                                                         11

II. Ziel der Strategie                                                                                         12

III. Handlungsfelder                                                                                           13
1. Gesellschaftliche Akzeptanz schaffen                                                                        13

2. Bedarfsorientierte Angebote weiter ausbauen                                                                 14

3. Integrierte Präventions-, Test- und Versorgungs­angebote weiterentwickeln                                   16

4. Sektorübergreifende Vernetzung der Akteure fördern                                                          20

5. Wissensgrundlage und Datennutzung weiter ausbauen                                                           20

IV. Internationale Beiträge                                                                                    22
1. Europa                                                                                                      22

2. Global                                                                                                      22
6                                           BIS 2030 – Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Infektionen

I. Entwicklungen und
Herausforderungen in Deutschland
                                                                                      Rate der HIV-Neuinfektionen stabilisiert
1. Daten und Fakten –                                                                 Seit 1987 fördert die Bundesregierung HIV-Präventi-
epidemiologische Trends                                                               onsmaßnahmen. Das Wissen über HIV und AIDS und
                                                                                      das Schutzverhalten in Deutschland sind insgesamt
Verbesserte Datenlage                                                                 hoch. Antiretrovirale Therapien sind in Deutschland
HIV, Hepatitis B und C sowie andere sexuell übertrag-                                 seit den 1990er-Jahren verfügbar. Immer mehr Men-
bare Infektionen werden durch eine heterogene                                         schen mit bekannten HIV Infektionen sind in anti-
Gruppe von Erregern verursacht, die durch sexuelle                                    re­troviraler Behandlung. Bei etwa 90% der Behan-
Kontakte und in einigen Fällen über Blut sowie                                        delten ist die Viruslast so niedrig, dass eine Übertra-
während der Schwangerschaft oder der Geburt von der                                   gung sehr unwahrscheinlich ist. Die geschätzte Zahl
Mutter auf das Kind übertragen werden können.                                         der HIV-Neuinfektionen hat sich seit 2006 auf einem
Während einige Erreger seit Langem bekannt sind, sind                                 erhöhten Niveau stabilisiert, nachdem sie bis zum Ende
andere Infektionen wie HIV und Hepatitis C erst in den                                der 1990er-Jahre stark gesunken war, und lag im Jahr
1980er-Jahren entdeckt worden. Aufgrund von                                           2014 bei 3.200 HIV-Neuinfektionen (Abbildung 1).
Meldedaten und zielgruppenspezifischen Studien für                                    Ende 2014 lebten in Deutschland etwa 84.000 Men-
die Gruppen Männer, die Sex mit Männern haben,                                        schen mit HIV. Fast drei Viertel der Menschen mit
injizierende Drogengebrauchende, Migrantinnen und                                     HIV gehören der Gruppe der Männer an, die Sex mit
Migranten aus Subsahara-Afrika sowie Sexarbeite-                                      Männern haben.
rinnen liegen konkrete Daten und Erkenntnisse zu HIV
und weiteren ausgewählten sexuell oder durch Blut                                     Steigende Bedeutung der
übertragbaren Infektionen vor, auf deren Basis das                                    Hepatitis B und C
Präventions-, Beratungs- und Behandlungsangebot                                       Hepatitis B und C gewinnen aktuell aufgrund ihrer
für diese Gruppen angepasst und weiter verbessert                                     Verbreitung, der schwerwiegenden gesundheitlichen
werden kann.                                                                          Folgen (u.a. Leberzirrhose und Leberkrebs) und neuer

                             6.000

                                                                                                   Männer, die Sex mit Männern haben
                             5.000
                                                                                                   Injizierende Drogengebrauchende
Anzahl der HIV-Infektionen

                                                                                                   Heterosexuelle
                             4.000

                             3.000

                             2.000

                             1.000

                                 0
                                     1975

                                            1980

                                                            1985

                                                                           1990

                                                                                          1995

                                                                                                          2000

                                                                                                                         2005

                                                                                                                                        2010

                                                                                                                                                    2014

                                                                                  Jahr der Infektion
Abbildung 1: Geschätzte Gesamtzahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland von 1975 bis 2014 nach
Transmissionsgruppen Quelle: Epidemiologisches Bulletin 45/2015, S. 478
BIS 2030 – Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Infektionen                          7

Behandlungsmöglichkeiten sowohl national als auch                       Starke Verbreitung anderer sexuell
international an Aufmerksamkeit. Mindestens jeweils                     übertragbarer Infektionen
300.000 Menschen sind in Deutschland mit dem                            Daten zu anderen sexuell übertragbaren Infektionen
Hepatitis-B- sowie dem Hepatitis-C-Virus infiziert.                     wie Syphilis weisen bei einigen dieser Erreger auf stark
Mehr als 2.300 Hepatitis-B- und 5.800 Hepatitis-C-                      ansteigende Trends hin. Im Jahr 2014 wurden circa
Infektionen wurden im Jahr 2014 in Deutschland                          5.700 Syphilis-Infektionen gemeldet, der überwiegende
diagnostiziert. Besonders verbreitet sind Hepatitis B                   Teil betraf Männer (Abbildung 2). Chlamydien und
und C bei Menschen, die Drogen intravenös oder auch                     Humane Papillomviren (HPV) sind in Deutschland
nasal konsumieren, bei Haftinsassen, bei HIV-positiven                  insbesondere bei jungen Frauen und Männern weit
Männern, die Sex mit Männern haben, und bei                             verbreitet. In der DEGS-Studie des Robert Koch-
Menschen, in deren Herkunftsländern Hepatitis B                         Instituts wurden Prävalenzen von 4,5 % bei 18- bis
und C weit verbreitet sind.                                             19-jährigen Frauen und 4,9 % bei 25- bis 29-jährigen
                                                                        Männern geschätzt. In einer Studie zur HPV-Prävalenz
                                                                        in Deutschland lag die Prävalenz von HPV-Hochrisiko-
                                                                        typen bei ungeimpften Frauen zwischen 20 und 25
                                                                        Jahren bei 34% (Delere et al. BMC Infectious Diseases
                                                                        2014, 14:87).

                   7000
                                                                                       Männer               Frauen           Gesamt
                   6000

                   5000
Anzahl Meldungen

                   4000

                   3000

                   2000

                   1000

                      0
                          2001   2002   2003   2004   2005   2006   2007    2008    2009    2010     2011      2012   2013    2014
                                                        Jahr der Meldung/Diagnose

Abbildung 2: Syphilis-Meldungen in Deutschland nach Geschlecht und Jahr der Diagnose, IfSG-Meldezahlen 2001-2014
Quelle: Epidemiologisches Bulletin 49/2015, S. 515-527
8                       BIS 2030 – Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Infektionen

2. Medizinische                                                   meist mit einer erhöhten Hepatitis-C-Viruslast einher,
                                                                  was zu einer erhöhten Infektiosität beiträgt. Dies erklärt
Erkenntnisse und                                                  die erhöhten Hepatitis-C-Koinfektionsraten, die ins-

Entwicklungen                                                     besondere bei HIV-infizierten Männern, die Sex mit
                                                                  Männern haben, festgestellt werden.
Frühzeitiger Beginn der HIV-Behandlung
Aufgrund neuer Studiendaten empfehlen die HIV-Leit-               Anstieg von Resistenzen
linien aktuell einen frühzeitigen Behandlungsbeginn,              Bei Gonorrhö steigen weltweit die Fälle, in denen
möglichst zeitnah nach der Diagnose. Damit wird ein               Antibiotika aufgrund von Resistenzen wirkungslos
Absinken des Immunstatus verhindert und schwer-                   bleiben. Eine Behandlung der Gonorrhö wird daher
wiegende Folgeerkrankungen werden vermieden.                      schwieriger. Ohne erfolgreiche Therapie kann die
Zudem verringert eine Therapie, deren Wirksamkeit                 Infektion auf andere Organe übergreifen. Durch
regelmäßig ärztlich kontrolliert wird, das HIV-Über-              entzündliche Prozesse im Genitalbereich erhöht sich
tragungsrisiko erheblich und hat damit auch eine                  zudem das Risiko für eine HIV-Übertragung. Auch für
präventive Wirkung. Durch eine frühzeitige Diagnose               Chlamydien wird aktuell diskutiert, in welchem
und Behandlung kann AIDS vermieden werden.                        Ausmaß Therapieversagen auf antimikrobielle
                                                                  Resistenz zurückzuführen ist.
HIV als chronische Erkrankung
Durch die Fortschritte in der Therapie haben Men-                 Gegenseitige Einflüsse der Infektionen
schen mit HIV in Deutschland eine ähnliche Lebens-                Daten und Studien belegen, dass einige sexuell über-
erwartung wie nicht infizierte Menschen. Die HIV-                 tragbare Infektionen aufgrund gleicher bzw. ähnlicher
Infektion kann daher heute als eine chronische                    Übertragungswege gehäuft in bestimmten Gruppen
Krankheit betrachtet werden. Allerdings sind hierfür              vorkommen. Das Infektionsrisiko ist abhängig vom
eine lebenslange Therapie und eine engmaschige,                   Sexualverhalten. Einzelne Sexualpraktiken, beispiels-
medizinische Begleitung erforderlich, da Menschen                 weise Analverkehr, bergen höhere Übertragungsrisiken.
mit HIV ein deutlich erhöhtes Risiko für Krebs-,                  Gleichzeitig erhöhen andere sexuell übertragbare
Herz- und Gefäßerkrankungen haben.                                Infektionen wie z. B. Gonorrhö oder Syphilis aufgrund
                                                                  auftretender Entzündungen, Reizungen und Verlet-
Hepatitis-B-Impfangebote und neue                                 zungen der Mund-, Darm- oder Genitalschleimhaut
Behandlungsmöglichkeiten bei Hepatitis C                          das HIV-Übertragungsrisiko um ein Mehrfaches. Durch
Steigende Hepatitis-B-Impfquoten bei Kindern sowie                die gemeinsame Nutzung von Spritzen und anderen
bei Menschen mit erhöhtem Infektionsrisiko können                 Utensilien besteht ein hohes Hepatitis-B- und -C-Über-
zukünftig die Verbreitung und das Auftreten chroni-               tragungsrisiko in der Gruppe der Drogengebrauchen-
scher Krankheitsverläufe verhindern. Die Behand-                  den. Ko-Infektionen mit HIV und Hepatitis-Viren
lungsmöglichkeiten bei Hepatitis B sind bislang sehr              beschleunigen die jeweiligen Krankheitsverläufe und
langwierig und reduzieren lediglich die Symptomatik               führen häufiger und rascher zu schwerwiegenderen
und Folgeerkrankungen. Neue Therapieoptionen für                  Krankheitsfolgen.
Hepatitis B werden in den nächsten Jahren erwartet.
Dank neuer Therapien stehen für Hepatitis C wirksa-               Langzeitfolgen von sexuell übertragbaren
mere, zeitlich verkürzte und nebenwirkungsarme                    Infektionen bislang unterschätzt
Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung, die in                    Sexuell übertragbare Infektionen sind in der Regel sehr
vielen Fällen innerhalb weniger Monate eine Heilung               gut behandel- und heilbar. Da sie häufig symptomlos
ermöglichen.                                                      verlaufen oder Symptome auch unbehandelt abklingen
                                                                  und die Infektionen teilweise sogar von allein
Sexuelle Übertragbarkeit von Hepatitis C                          ausheilen, werden sie bislang zu selten erkannt.
Auf der Grundlage neuer Studiendaten wurde nachge-                Unbehandelte Infektionen können schwerwiegende
wiesen, dass Hepatitis C nicht nur durch Blut, sondern            Folgen verursachen. HPV ist für den bei Frauen
auch sexuell übertragen werden kann. Betroffen sind               verbreiteten Gebärmutterhalskrebs ursächlich. Bei
hauptsächlich HIV-positive Männer, die ungeschützten              Männern kann HPV zu Analkrebs oder einem Penis-
Analverkehr oder verletzungsträchtige Sexualprak-                 karzinom führen. Eine unbehandelte Syphilis kann
tiken ausüben. Eine HIV-Hepatitis-C-Koinfektion geht              schwere bis lebensbedrohliche Spätfolgen verursachen.
BIS 2030 – Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Infektionen                             9

Andere Infektionen, wie beispielsweise Chlamydien
oder Gonorrhö, können unbehandelt zur Unfruchtbar-
                                                                        4. Lücken in Prävention,
keit führen und Fehlgeburten oder Erkrankungen des                      Testung und Versorgung
Neugeborenen verursachen.
                                                                        Wissen und Schutzverhalten
3. Neue Herausforderungen                                               Obwohl das Wissen über die Übertragungswege von
                                                                        HIV hoch ist, bestehen Unsicherheiten in Alltagssitua-
durch veränderte Verhal-                                                tionen und bei persönlichen Kontakten zu Menschen

tensweisen                                                              mit HIV. Das Wissen über andere sexuell übertrag-
                                                                        bare Infektionen wie Chlamydien und HPV ist ins-
Sexualverhalten im Wandel                                               gesamt gering. Vorhandene Impfangebote für HPV
Jeder Mensch kann sich mit einer sexuell übertrag-                      werden in unzureichendem Maße in Anspruch genom-
baren Infektion anstecken. Die Anzahl der Sexual-                       men (Abbildung 3).
partner, die sexuelle Orientierung, Sexualpraktiken
sowie psychosoziale Faktoren haben Einfluss auf das
Risiko, sich zu infizieren. Zusätzlich verändern und
erleichtern soziale Netzwerke und Internet-Datingpor-                                                               Deutschland gesamt
                                                                                                                    Alte Bundesläner
tale die Kontaktaufnahme. Dies hat Einfluss auf das                                                                 Neue Bundesländer
Sexualverhalten.                                                                        60

                                                                                        50
Neue Drogenkonsummuster
                                                                       Impfquote in %

Injizierende Drogengebrauchende sind besonders von                                      40
HIV-, Hepatitis-B- und Hepatitis-C-Übertragungen
                                                                                        30
durch Blutkontakte betroffen. Neben den Opioidkon-
sumenten gibt es neue Gruppen von Drogengebrau-                                         20
chenden, die vor allem Crystal, Speed, GHB und andere
                                                                                        10
aufputschende Drogen (Partydrogen) konsumieren.
Durch den Konsum dieser Drogen werden sowohl                                             0
das Sexual- als auch das Schutzverhalten beeinflusst.                                        2011            2012             2013
Hierdurch sowie durch das gemeinsame Benutzen                                                       Ende des Kalenderjahres
von Injektions- bzw. Inhalationsutensilien steigt das
Infektionsrisiko.                                                       Abbildung 3: Impfquoten für eine vollständige Impfserie gegen
                                                                        HPV-Infektionen unter 15-jährigen Mädchen der Jahre 2011–2013
                                                                        nach der seit 2014 gültigen Impfempfehlung der STIKO
Mobilität                                                               Quelle: Epidemiologisches Bulletin 1/2016, S. 5
Die Mobilität innerhalb Deutschlands, in Europa und
weltweit nimmt weiterhin zu. Dabei spielen sowohl
die berufliche Mobilität als auch das Freizeitverhalten                 Das Wissen über Übertragungswege von Hepatitis B
eine Rolle. Aufgrund der Mobilität ergeben sich in                      und C, den Verlauf der Infektionen, über Präventions-,
Deutschland, aber auch für Auslandsreisende Vulnera-                    Behandlungs- und Heilungsmöglichkeiten ist allge-
bilitäts- und Risikofaktoren, wie z. B. die Entstehung                  mein gering. Jugendliche und Erwachsene mit Migrati-
sexueller Netzwerke innerhalb der Gruppe der Männer,                    onshintergrund werden bislang ungenügend im
die Sex mit Männern haben, die Inanspruchnahme                          Rahmen von Hepatitis-B-Impfungen erreicht. Auch
sexueller Dienstleistungen oder der Substanzkonsum.                     Hepatitis-B-Impfungen für Menschen mit HIV,
Tattoo- oder Piercingstudios, die im Ausland genutzt                    Männer, die Sex mit Männern haben, injizierende
werden, entsprechen häufig nicht den notwendigen                        Drogengebrauchende und Haftinsassen werden gegen-
Hygienestandards.                                                       wärtig zu wenig angeboten bzw. in Anspruch genom-
                                                                        men. Ausreichende Präventionsutensilien, wie z. B.
                                                                        Spritzen und Nadeln, stehen nicht in allen Bundeslän-
                                                                        dern in ausreichender Zahl zur Verfügung.
10                                          BIS 2030 – Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Infektionen

Undiagnostizierte Fälle                                                               Versorgungsangebote für Menschen mit
Wissensdefizite, symptomlose Verläufe sowie eine teils                                erhöhtem Infektionsrisiko
unzureichende Anbindung betroffener Menschen an                                       Angebote zur Beratung, Diagnostik und Behandlung
das Beratungs- und Versorgungssystem haben Einfluss                                   von sexuell übertragbaren Infektionen (v.a. für junge
auf den hohen Anteil nicht diagnostizierter Infekti-                                  Frauen und Männer sowie Männer, die Sex mit
onen. Niedrigschwellige Beratungs- und Testangebote                                   Männern haben) sind teilweise nicht ausreichend
sind nicht überall dort, wo es notwendig wäre, vor-                                   bekannt, in einzelnen Regionen bislang nicht vor-
handen. Trotz vorhandener Testangebote steigt der                                     handen und für die Gruppe der Männer, die Sex
Anteil der Menschen, die nichts von ihrer HIV-Infek-                                  mit Männern haben, nicht ausreichend ausgebaut.
tion wissen, leicht an und liegt derzeit geschätzt bei                                Angebote für die Prävention und die Therapie von
etwa 13 % (Abbildung 4). Ein Drittel der Menschen                                     sexuell und durch Blut übertragbaren Infektionen
erhält die HIV-Diagnose erst in einem fortgeschrit-                                   sind in Teilen unzureichend mit dem Suchthilfe-
tenen Krankheitsstadium. Schätzungen zufolge ist                                      system vernetzt und abgestimmt. Innerhalb des
der Anteil nicht diagnostizierter Hepatitis-B- und                                    Justizvollzugs gibt es für die hohe Zahl der inhaftierten
Hepatitis-C-Fälle in Deutschland wesentlich höher.                                    Drogengebrauchenden Verbesserungsbedarf bei der
Vorhandene Screeningangebote z.B. für Chlamydien                                      Prävention von HIV-, Hepatitis-B und Hepatitis-C-
werden in unzureichendem Maße von Frauen in An-                                       Infektionen sowie der Diagnostik und Behandlung
spruch genommen bzw. durch die Ärzteschaft ange-                                      dieser Infektionen.
boten. Im Jahr 2014 haben nur 12% der Frauen unter
25 Jahren das Chlamydienscreening durchgeführt.

                           Anzahl Therapierte
                           Diagnostiziert, aber nicht behandelt
                           Nicht diagnostizierte Infektionen
                           Anteil der Diagnostizierten unter Therapie
                           Anteil der Infizierten unter Therapie

                  100.000                                                                                                                      100

                       90.000                                                                                                                  90

                       80.000                                                                                                                  80

                       70.000                                                                                                                  70
 Anzahl der Menschen

                       60.000                                                                                                                  60

                       50.000                                                                                                                  50
                                                                                                                                                    Anteil in %

                       40.000                                                                                                                  40

                       30.000                                                                                                                  30

                       20.000                                                                                                                  20

                       10.000                                                                                                                  10

                           0                                                                                                                   0
                                   2006         2007       2008         2009        2010         2011        2012         2013        2014

Abbildung 4 : Anzahl und Anteile der in Deutschland lebenden Menschen mit HIV-Infektionen nach Diagnose- und Therapiestatus
Quelle: Epidemiologisches Bulletin 45/2015, S. 481
BIS 2030 – Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Infektionen                            11

5. Stigmatisierung und                                                  wie vor Diskriminierung im Alltag, in Beziehungen, im
                                                                        Arbeitsleben, im Gesundheitswesen, im Pflegebereich,
Diskriminierung                                                         im Justizvollzug und in anderen Bereichen (Abbildung
                                                                        5). Bestehende Wissensdefizite und Diskriminierungen
Tabus, Scham und Vorurteile verhindern in hohem                         im Gesundheitssystem abzubauen ist besonders
Maße eine offene Kommunikation über sexuell und                         wichtig, da ein eingeschränkter Zugang zum Behand-
durch Blut übertragbare Infektionen in Beziehungen                      lungssystem schwerwiegende, gesundheitliche Folgen
sowie zwischen Arzt und Patient. Insbesondere                           haben kann.
Menschen mit HIV, Hepatitis B und C erfahren nach

                                                                                            Mehr Berufstätige
            Jeder 5. Person                                                            verloren ihren Job auf­grund
        wurde eine medizinische                                                            von Diskriminierung
        Behandlung verweigert                                                          als wegen eines schlechten
                                                                                         Gesundheitszustandes!

       10 % gingen nicht                                                                             26 % der Arbeitneh-
       in eine Arztpraxis,                                                                           merinnen und Arbeit-
       als es nötig                                                                                  nehmer, die offen mit
       gewesen wäre.                                                                                 ihrer HIV-Infektion
                                                                                                     umgehen, berichten
                                                                                                     von diskriminierenden
               13 % halten ihre                                                                      Reaktionen ihrer Ar-
               medizinischen                                                                         beitgeber
               Unterlagen für nicht
               vertraulich.

                                                    1.148
                                               Menschen mit HIV
                                                  berichten

Abbildung 5: Diskriminierung von Menschen mit HIV
Quelle: Positive Stimmen verschaffen sich Gehör – Die Umsetzung des PLHIV Stigma Index in Deutschland; Deutsche AIDS-Hilfe e.V., 2012
12                        BIS 2030 – Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Infektionen

II. Ziel der Strategie
Das Ziel der Strategie ist die nachhaltige Eindämmung               →→ bedarfsgerechte Angebote weiter auszubauen, um
von HIV, Hepatitis B und C, Syphilis, Gonorrhö, Chla-                  unterschiedliche Lebenssituationen zu berücksich-
mydien, HPV und anderen sexuell übertragbaren                          tigen, sich an besonders betroffenen Gruppen ausge-
Infektionen. Damit kann insgesamt die Gesundheit der                   richtet auf unterschiedliche Lebenssituationen,
Bevölkerung verbessert werden, indem schwere                           besonders betroffene Gruppen und die sehr unter-
gesundheitliche Folgeerkrankungen wie AIDS, Krebs                      schiedlichen, regionalen Prävalenzen;
oder Leberzirrhosen verhindert werden. Ungewollter                  →→ integrierte Angebote zu entwickeln, die die verschie-
Kinderlosigkeit und Fehlgeburten wird vorgebeugt und                   denen Erreger berücksichtigen und aufeinander
die Erkrankung Neugeborener verhindert. Neben                          abgestimmte Präventions-, Test- und Versorgungsan-
positiven individuellen und gesellschaftlichen Effekten                gebote bereitstellen, um Übertragungen und Koinfek-
kann die Vorbeugung, Früherkennung und Verhinde-                       tionen zu verhindern und Infektionen frühzeitig zu
rung von Infektionen auch zu einer Verringerung der                    erkennen und zu behandeln. Testung, als Bindeglied
Gesundheitsausgaben beitragen.                                         zwischen Prävention und Versorgung, kommt dabei
                                                                       eine zentrale Bedeutung zu;
Die Strategie zielt darauf ab,                                      →→ sektorübergreifend Akteure miteinander zu vernet-
                                                                       zen, um Menschen in ihren jeweiligen Lebenswelten
→→ ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, das die                   zu erreichen und eine abgestimmte, integrierte
   Akzeptanz von sexuellen Orientierungen und unter-                   Vorgehensweise in der Prävention, Testung und
   schiedlichen Lebensstilen fördert, das unterschiedliche             Versorgung zu ermöglichen;
   Sexualpraktiken nicht tabuisiert, das die Kommunika-             →→ aktuelle Daten als Grundlage für die Planung und
   tion über Sexualität und sexuell übertragbare Infektio-             Umsetzung von Präventions-, Test- und Behandlungs-
   nen fördert und das betroffene Menschen nicht                       maßnahmen zu generieren und die Wissensgrundla-
   ausgrenzt;                                                          gen weiter auszubauen.
BIS 2030 – Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Infektionen                 13

III. Handlungsfelder
1. Gesellschaftliche                                                    und Tabus abzubauen und eine offene Kommunikation
                                                                        über sexuell übertragbare Infektionen zu fördern.
Akzeptanz schaffen
                                                                        Maßnahmen:
Sexuell übertragbare Infektionen                                        →→ Weiterentwicklung massenkommunikativer und
enttabuisieren                                                             personalkommunikativer Kampagnen und Maßnah-
Sexualität ist Teil des Lebens und für das körperliche,                    men für die Gesamtbevölkerung und spezifische
emotionale und mentale Wohlergehen wichtig.                                Gruppen, unter Einbindung von Selbsthilfe und
Sexualität und insbesondere sexuell übertragbare                           ehrenamtlichen Unterstützern, die Wissen vermitteln,
Infektionen sind jedoch häufig mit Scham und Tabus                         Tabuisierung entgegenwirken und das Schutzverhalten
behaftet. So werden sexuell übertragbare Infektionen                       fördern
oft einem Fehlverhalten sowie einem Selbstver-                          →→ Erarbeitung und Bereitstellung von Materialien für
schulden zugeordnet. Hinzu kommt, dass es den                              Schulen, um das Thema im Rahmen der Sexualaufklä-
meisten Menschen nicht leichtfällt, über Sexualität                        rung im Unterricht zu behandeln. Freie Träger können
und sexuell übertragbare Infektionen zu sprechen. Eine                     dabei die Lehrkräfte unterstützen.
offene Kommunikation darüber ist wichtig, um sich                       →→ Erweiterung der Fort- und Ausbildungsangebote für
und andere vor einer Infektion zu schützen und bei                         die Ärzteschaft (u. a. Allgemeinmediziner, Gynäkolo-
Bedarf diagnostische und therapeutische Angebote in                        gen, Dermatologen, Urologen, Jugendmediziner) und
Anspruch zu nehmen. Eine wesentliche Voraussetzung                         medizinisches Personal, um die Kommunikation über
für eine vertrauensvolle Kommunikation über Sexua-                         Sexualität und sexuell übertragbare Infektionen im
lität und sexuell übertragbare Infektionen ist die                         Arzt-Patienten-Verhältnis zu erleichtern, sowie
Beachtung der sexuellen und reproduktiven Rechte                           Erarbeitung von Materialien zur Verbesserung der
und in diesem Zusammenhang die Akzeptanz und                               Sexualanamnese
Vorurteilsfreiheit gegenüber unterschiedlichen
sexuellen Orientierungen, sexuellen Praktiken sowie                     Stigmatisierung und Diskriminierung
Lebensstilen.                                                           abbauen
                                                                        Angst vor Ansteckung und Stigmatisierung im Kontext
Durch Wissensvermittlung und Präventionsmaß-                            von HIV, Hepatitis B und C sowie von anderen sexuell
nahmen können Menschen darin unterstützt werden,                        übertragbaren Infektionen wird häufig verstärkt durch
mit ihrem Sexualpartner oder ihrer Sexualpartnerin                      Vorbehalte gegenüber anderen sexuellen Lebensweisen
über Sexualität und insbesondere sexuell übertragbare                   und Orientierungen, illegalem Substanzkonsum,
Infektionen reden zu können. Um Infektionsketten zu                     Menschen anderer Herkunft oder Sexarbeit. Die Angst
unterbrechen, ist der Aspekt der Partnerinformation                     vor einer Stigmatisierung kann Menschen davon
besonders wichtig. Denn viele sexuell übertragbare                      abhalten, Test- und Beratungsangebote wahrzu-
Infektionen verursachen kaum Beschwerden, sodass                        nehmen und sich dem Umfeld mitzuteilen. Stigmati-
die Infektion über lange Zeit unbemerkt bleibt. Neben                   sierung und diskriminierende Behandlung beeinträch-
der Kommunikation zwischen Sexualpartnerinnen                           tigen die Lebensqualität Betroffener. Sie führen dazu,
und -partnern ist die Kommunikation in Beratungs-                       dass Menschen sich ihrem Umfeld nicht anvertrauen
stellen und Arztpraxen wichtig. Für die Inanspruch-                     und sich von Freunden oder der Familie zurückziehen
nahme von Test- und Behandlungsangeboten ist eine                       und weniger Anteil am gesellschaftlichen Leben
offene und vorurteilsfreie Kommunikation über                           nehmen. Dies kann sowohl die psychische und
Sexualität eine wesentliche Voraussetzung. Eine                         physische Gesundheit als auch das Gesundheits- und
Sexualanamnese ist ein geeignetes Mittel, um zunächst                   Schutzverhalten Betroffener beeinträchtigen.
etwas über das Sexual- und Risikoverhalten der                          Aufgrund von Unwissenheit, Vorurteilen und Ängsten
Klientinnen und Klienten sowie der Patientinnen und                     kommt es immer noch dazu, dass mit HIV und
Patienten zu erfahren und im Anschluss entsprechende                    Hepatitis infizierte Menschen im Gesundheitswesen,
diagnostische Tests zu veranlassen. Es gilt daher, Scham                im Pflegebereich, im Strafvollzug, im Arbeitsleben und
                                                                        in anderen Bereichen benachteiligt werden.
14                       BIS 2030 – Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Infektionen

Schweigepflicht und Datenschutz werden nicht in allen              Fokus auf spezifische Gruppen
Fällen eingehalten. Es gilt, Diversität zu akzeptieren,            In der Allgemeinbevölkerung soll das Wissen zu HIV
Stigma und Diskriminierung weiterhin abzubauen und                 sowie das Schutzverhalten auf hohem Niveau gehalten
die Rechte Betroffener zu wahren.                                  werden. Das Basiswissen zu anderen sexuell übertrag-
                                                                   baren Infektionen und Hepatitis B und C soll aufgebaut
Maßnahmen:                                                         werden. Menschen sollen motiviert werden, bei
→→ Fortführung und Weiterentwicklung von Maßnahmen                 Verdacht auf eine Infektion zum Arzt zu gehen. Eine
   und Kampagnen zum Abbau von Stigma und Diskri-                  geplante Studie zur Erwachsenensexualität wird
   minierung                                                       zukünftig Daten liefern, um Präventionsangebote
→→ Fortführung und Schaffung zusätzlicher Fortbildungs-            weiter auszudifferenzieren.
   angebote für Gesundheitsberufe, um eine diskriminie-
   rungsfreie Versorgung Betroffener zu gewährleisten              Junge Mädchen können durch frühzeitige Impfungen
   und eine bessere Anwendung der Empfehlungen der                 vor Gebärmutterhalskrebs geschützt werden. Um die
   Kommission für Krankenhaushygiene und Infektions-               HPV-Impfquoten zu erhöhen, sollen Eltern und die
   prävention (KRINKO) zur Prävention nosokomialer                 Ärzteschaft sensibilisiert werden. Die Ausdehnung der
   Infektionen speziell zu HIV oder anderen durch Blut             HPV-Impfung auf Jungen wird derzeit durch die
   übertragbaren Infektionen zu erzielen                           Ständige Impfkommission (STIKO) geprüft.
→→ Weiterentwicklung von Maßnahmen, die für Men-
   schen mit HIV eine diskriminierungsfreie Versorgung             Jugendliche sind eine zentrale Gruppe für die Präven-
   in der Pflege gewährleisten                                     tion von HIV und anderen sexuell übertragbaren Infek-
→→ Fortführung und Entwicklung von Maßnahmen, um                   tionen. Nachwachsende Generationen müssen immer
   Stigma und Diskriminierung innerhalb von Institutio-            wieder mit aktuellen Informationen erreicht werden.
   nen wie Justizvollzugsanstalten, Polizeivollzugsdienst          Durch frei zugängliche Aufklärungsmedien zu HIV und
   oder Arbeitsagenturen entgegenzuwirken                          anderen sexuell übertragbaren Infektionen, Präven­
→→ Fortführung von Maßnahmen der Selbsthilfe inklusive             tionsangeboten im Bereich sozialer Medien sowie eine
   der Patientenaufklärung                                         qualitätsgesicherte Sexualaufklärung in Schulen sollen
                                                                   junge Menschen möglichst frühzeitig an einen

2. Bedarfsorientierte                                              verantwortungsvollen Umgang mit Sexualität und das
                                                                   Wissen über sexuell übertragbare Infektionen herange-
Angebote weiter ausbauen                                           führt werden. Information und Akzeptanz von
                                                                   sexueller Vielfalt und Lebensweisen sind dabei ein
HIV, Hepatitis B und C und andere sexuell übertrag-                wichtiger Bestandteil. Insbesondere das Bewusstsein zu
bare Infektionen sind in Deutschland nicht gleich-                 den möglichen Langzeitfolgen von Chlamydien-Infek-
mäßig innerhalb der Bevölkerung und über geogra­                   tionen soll gesteigert und die Nutzung von Screening­
fische Regionen hinweg verteilt. Aufgrund                          angeboten erhöht werden.
unterschiedlicher Vulnerabilitäts- und Risikofaktoren
ergeben sich daher spezifische Bedarfe für Teile der               Männer, die Sex mit Männern haben, bilden die
Bevölkerung. Um eine größere Wirkung zu erzielen                   größte Gruppe derjenigen, die mit HIV leben. Die
und vorhandene Ressourcen optimal einzusetzen, ist es              HIV-Prävalenz sowie die Infektionsraten mit weiteren
sinnvoll, Maßnahmen der Prävention, Testung und                    sexuell übertragbaren Erregern wie Syphilis sind
Behandlung auf die Bedarfe der Menschen abzu-                      ebenfalls hoch. Bei HIV-positiven Männern, die Sex mit
stimmen und durch Maßnahmen zur Förderung der                      Männern haben, sind zusätzlich Koinfektionen von
Selbsthilfe und des Empowerments zu ergänzen. Wohl                 HIV und Hepatitis C zu berücksichtigen. Das Wissen
wissend, dass Menschen in der Regel nicht nur einer                über HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen
bestimmten Gruppe zuzuordnen sind, ergeben sich                    sowie das Schutzverhalten von Männern, die Sex mit
aufgrund verschiedener Merkmale Gruppen, für die                   Männern haben, ist insgesamt weiterhin hoch. Über
Maßnahmen anzupassen, neu zu erarbeiten und                        effektive Schutz- und Risikomanagementstrategien gilt
entsprechend den regionalen Prävalenzen stärker                    es kontinuierlich aufzuklären und zu informieren, um
auszurichten sind. Dabei sind genderbezogene Aspekte               Risikofehleinschätzungen zu minimieren. Denn
zu berücksichtigen.                                                aufgrund der erhöhten Risiken bei einzelnen Sexual-
                                                                   praktiken und anderer Faktoren, wie z. B. Anzahl der
BIS 2030 – Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Infektionen                 15

Sexpartner, sind die Infektionsrisiken für Männer, die                  Infektionen ist wichtig. Durch niedrigschwellige und
Sex mit Männern haben, höher als in anderen                             kultursensible Informationsportale in verschiedenen
Gruppen. Spezifische Informations- und Wissenspor-                      Sprachen, kultursensible Beratungs- und Versorgungs-
tale, Beratungs- und Testangebote werden durch die                      angebote sowie den verstärkten Einsatz von Sprach-
Deutsche AIDS-Hilfe, regionale AIDS-Hilfen und                          mittlern sollen bestehende Hürden weiter abgebaut
Schwulenberatungsstellen angeboten. Die Bedeutung                       werden. Best-Practice-Beispiele aus den Herkunftslän-
von Datingportalen zur Kontaktanbahnung sowie der                       dern sollten dabei genutzt werden.
Konsum von Party- und Sexdrogen in einer Teilgruppe
von Männern, die Sex mit Männern haben, sind in der                     Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, die über Erfahrung
Prävention besonders zu berücksichtigen. Ein beson-                     in der Sexarbeit verfügen, haben in der Regel gute
derer Fokus liegt in der Aufklärung und Förderung                       Kenntnisse über sexuell übertragbare Infektionen und
eines selbstverantwortlichen Schutzverhaltens junger                    eine hohe Schutzmotivation. Spezifische niedrig-
Männer, die Sex mit Männern haben. Ebenso sollte                        schwellige und anonyme Beratungs- und Testangebote
insbesondere in dieser Gruppe die Testbereitschaft für                  werden insbesondere durch den Öffentlichen Gesund-
HIV und weitere sexuell übertragbare Infektionen                        heitsdienst und freie Träger angeboten. Besondere
erhöht werden. Eine Erhöhung der Hepatitis-B-Impf-                      Bedarfe hinsichtlich Prävention und Versorgung haben
quoten bei Männern, die Sex mit Männern haben, wird                     Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter mit niedrigem
angestrebt. Beratungs-, Diagnostik- und Behandlungs-                    Lebensalter, wenig Erfahrung und geringen Deutsch-
angebote, die auf die Bedarfe dieser Gruppe besonders                   kenntnissen. Präventionsmaßnahmen sollten in jedem
eingehen, sind notwendig, um die Akzeptanz und                          Fall Kundinnen und Kunden einbeziehen, da diese
regelmäßige Inanspruchnahme zu erhöhen.                                 zum Teil ungeschützten Sexualverkehr nachfragen. Für
                                                                        Sexarbeiterinnen sind neben Testangeboten auf sexuell
Bei Menschen mit injizierendem Drogengebrauch gilt                      übertragbare Infektionen auch gynäkologische
es, das Wissen über Infektionskrankheiten, insbeson-                    Untersuchungsangebote wichtig. Ein bedarfsorien-
dere über Hepatitis B und C, über die Übertragungs-                     tierter Ausbau niedrigschwelliger Beratungs-, Test- und
wege und die Konstanz im Schutzverhalten zu verbes-                     Behandlungsangebote ist geboten, ebenso wie ein
sern. Infektionsrisiken durch riskanten                                 ausreichendes Angebot an kultursensibler Sprach­
Substanz­­konsum sollen verringert werden. Durch                        mittlung.
Hepatitis-B-Impfungen kann Infektionen bei
Menschen mit injizierendem Substanzkonsum                               Bei Trans*Personen ist bislang wenig über die Prä-
vorgebeugt werden. Verstärkt soll das zusätzliche                       valenz von HIV-Infektionen, Virushepatitiden und
Risiko der sexuellen Übertragung bei Menschen mit                       sexuell übertragbaren Infektionen sowie über die
Substanzkonsum thematisiert werden. Bei Menschen                        Risiken, Präventions- und Versorgungsbedarfe hin-
mit injizierendem Drogengebrauch sollten die Behand-                    sichtlich sexuell übertragbarer Infektionen bekannt.
lungsraten von Hepatitis B, C und HIV erhöht werden.                    Internationale Studien weisen auf ein erhöhtes HIV-
Zur Verbesserung der Versorgung von Menschen mit                        Risiko bei Trans*Frauen sowie auf eine insgesamt
injizierendem Drogengebrauch sollten Hepati-                            inadäquate medizinische und psychologische Versor-
tis-B-Impfangebote und Hepatitis-C-Testungen besser                     gung sowie Diskriminierungen im Gesundheitsbereich
in die Betreuungsangebote der Suchtmedizinerinnen                       hin. In Deutschland werden Trans*Frauen sowie
und Suchtmediziner integriert werden. Daneben                           Trans*Männer bislang nicht systematisch in Präventi-
sollten regionalspezifische, niedrigschwellige Präven-                  onsmaßnahmen einbezogen. Hierzu sollen Bedarfe für
tions-, Test- und Versorgungsangebote z. B. in Drogen-                  Trans* ermittelt und gegebenenfalls entsprechende
hilfeeinrichtungen fortgesetzt und gegebenenfalls                       Angebote entwickelt werden.
ausgebaut werden.
                                                                        Die Übertragung von HIV-, Hepatitis-B, Hepatitis-C
Migrantinnen und Migranten haben besondere                              und Syphilis-Infektionen von der Mutter auf das Kind
Präventionsbedarfe und sind teilweise weniger gut an                    kommen aufgrund der umfassenden und gut in
das Gesundheitssystem angebunden. Ein kulturell und                     Anspruch genommenen Schwangerschaftsvorsorgeun-
auf die Herkunftsregion zugeschnittenes Präventions-,                   tersuchungen nur vereinzelt vor. Neue medizinische
Beratungs-, Test- und Versorgungsangebot zu HIV,                        Erkenntnisse gilt es, beispielsweise bei der Weiterent-
Hepatitis B und C sowie anderen sexuell übertragbaren                   wicklung der Mutterschaftsrichtlinie, regelmäßig
16                      BIS 2030 – Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Infektionen

anzupassen und zu berücksichtigen. Herausforde-                   ländlichen Regionen. Syphilis-Infektionen sind vor
rungen bestehen bei einzelnen Migrantinnengruppen,                allem auf Männer, die Sex mit Männern haben,
die bisher durch die Vorsorgeuntersuchungen nicht                 konzentriert und steigen auch in ländlichen Regionen
rechtzeitig oder gar nicht erreicht werden. Eine gute             an. Die Nutzung differenzierter, evidenzbasierter Daten
Beratung und Abstimmung zwischen Gynäkologinnen                   zur Ermittlung geografischer Schwerpunktgebiete für
und Gynäkologen, HIV-Schwerpunktmedizinern und                    die Planung und Durchführung von spezifischen
Hebammen sollte bei von HIV betroffenen Paaren mit                Maßnahmen soll daher weiter ausgebaut werden. Die
Kinderwunsch vor, während und nach der Schwanger-                 epidemiologischen Daten aus den Meldedaten sowie
schaft gewährleistet werden.                                      zielgruppenspezifische Studien liefern hierfür Ansatz-
                                                                  punkte. Gleichzeitig gilt es verstärkt darauf zu achten,
In Justizvollzugsanstalten bestehen besondere                     dass auch Menschen in ländlichen Regionen einen
Herausforderungen hinsichtlich der Prävention und                 niedrigschwelligen Zugang zu Präventions- und
Versorgung von HIV, Hepatitis B und C sowie von                   Versorgungsmaßnahmen haben.
anderen sexuell übertragbaren Infektionen. Anhand
der verfügbaren Daten ist davon auszugehen, dass die              Maßnahmen:
Hepatitis-B- und Hepatitis-C- sowie HIV-Prävalenzen               →→ Ermittlung regionaler und/oder gruppenspezifischer
bei Haftinsassen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung                  Bedarfe
deutlich höher liegen, was unter anderem mit dem                  →→ Initiierung und Förderung von Fachveranstaltungen
hohen Anteil von injizierenden Drogengebrauchenden                   zur Analyse und Auswertung vorhandener Daten
unter den Haftinsassen zusammenhängt. Anerkannte                     sowie zur Entwicklung bedarfsgerechter Angebote für
Präventionsmaßnahmen, einschließlich der Substituti-                 spezifische Gruppen und regionaler Schwerpunkte
onstherapie für Drogengebrauchende oder die                       →→ Erstellung von Best-Practice-Beispielen, um die
Bereitstellung von Kondomen und Gleitgel, können die                 Nutzung bedarfsgerechter und wirkungsorientierter
HIV-, Hepatitis-B- und Hepatitis-C-Übertragungsrisi-                 Ansätze zu fördern
ken minimieren. Diese werden bislang nicht in                     →→ Ausrichtung der Maßnahmen entsprechend den
gleichem Maße flächendeckend umgesetzt bzw. zur                      ermittelten Bedarfen
Verfügung gestellt. Aufgrund des Wechsels der Zustän-
digkeiten hinsichtlich der Gesundheitsversorgung bei
Haftantritt und -entlassung sowie je nach Dauer der
                                                                  3. Integrierte Präventions-,
Inhaftierung ist die leitliniengerechte Durch- und                Test- und Versorgungs­
Weiterführung von Therapien (z. B. Hepatitis C) sowie
der Substitution mitunter eine Herausforderung. Eine
                                                                  angebote weiterentwickeln
verstärkte Zusammenarbeit zwischen Akteuren                       Zur effektiven Eindämmung von HIV, Hepatitis B und
innerhalb und außerhalb des Justizvollzugs, unter                 C sowie von anderen sexuell übertragbaren Infekti-
Einbindung von AIDS-Hilfen und weiteren freien                    onen ist eine Verzahnung von Prävention, Testung,
Trägern, sowie eine verbesserte Datenlage können dazu             Behandlung und Versorgung notwendig. Durch
beitragen, die Kontinuität der Substitutionstherapie              Information, Aufklärung und Stärkung der Handlungs-
sowie die Behandlung von Infektionskrankheiten                    kompetenzen sollen Menschen motiviert werden,
während der Haft und nach der Haftentlassung zu                   Risiken zu vermeiden, das Schutzverhalten aufrechtzu-
verbessern und bestehende Präventionskonzepte                     erhalten und sich bei einem Infektionsrisiko testen zu
bedarfsgerecht anzupassen.                                        lassen. Das frühzeitige Erkennen von Infektionen
                                                                  ermöglicht in der Regel entweder eine Heilung (u. a.
Fokus auf regionale Schwerpunkte                                  Syphilis, Gonorrhö, Chlamydien, Hepatitis C) oder
Aufgrund der Historie, der Bevölkerungszusammen-                  zumindest eine Behandlung (HIV, Hepatitis B), die das
setzung sowie spezifischer Lebenskontexte treten                  Fortschreiten der Erkrankung und/oder Spätfolgen
sexuell übertragbare Infektionen in den verschiedenen             (Krebserkrankungen, Organschäden) verhindert. Die
Bundesländern und Kommunen unterschiedlich                        wirksame und ärztlich kontrollierte HIV-Behandlung
verteilt auf. So ist die HIV-Prävalenz in den neuen               mindert zudem das Übertragungsrisiko erheblich.
Bundesländern bislang niedriger als in den alten                  Beratungs- und Teststellen der AIDS-Hilfen, weiterer
Bundesländern. Die HIV-Prävalenzen in städtischen                 freier Träger sowie des Öffentlichen Gesundheits-
Ballungsgebieten sind um ein Vielfaches höher als in              dienstes bieten gleichzeitig die Möglichkeit einer
BIS 2030 – Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Infektionen                                     17

niedrigschwelligen, personalkommunikativen Präven-                             Übertragungen reduzieren
tionsberatung (u. a. Risiken und Schutzmöglichkeiten),                         Impfungen bieten einen sicheren Schutz vor be­stim­
um Infektionen und Re-Infektionen zu verhindern.                               mten Infektionen und spielen eine große Rolle bei der
Personenbezogene, integrierte Präventions- und                                 Eindämmung und Eliminierung impfpräventabler
Versorgungsangebote für HIV, für andere sexuell                                Infektionskrankheiten. Eine Erhöhung der HPV-Impf-
übertragbare Infektionen sowie für Hepatitis B und C                           quoten wird angestrebt. Bislang gibt es in Deutschland
sichern eine gute Versorgung betroffener Menschen,                             eine Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission
verhindern Folgeerkrankungen und mindern Morbidi-                              (STIKO) für Mädchen zwischen 9 und 14 Jahren. Eine
täten und Mortalitäten. Psychosoziale Hintergründe                             Nachimpfung bis zum vollendeten 18. Lebensjahr ist
sollten in Prävention, Diagnose und Versorgung                                 möglich. Die Ausdehnung auf andere Gruppen wie
berücksichtigt werden.                                                         Jungen oder Männer, die Sex mit Männern haben, wird
                                                                               derzeit durch die STIKO überprüft. Eine Steigerung der
Jeder Mensch kann im Laufe seines Lebens mit einer                             Hepatitis-B-Impfquoten wird insbesondere für
sexuell oder durch Blut übertragbaren Infektion in                             Menschen mit HIV, injizierende Drogengebrauchende,
Kontakt kommen. Daher sollen bedarfsgerechte,                                  Männer, die Sex mit Männern haben, und Haftinsassen
gendersensible, dem Lebensalter und den Lebensum-                              angestrebt. Bei diesen Gruppen sollte der Impfstatus in
ständen entsprechende Impf-, Aufklärungs-, Präven-                             gewissen Abständen überprüft werden. Dies gilt ebenso
tions-, Diagnostik-, Behandlungs- und Versorgungsan-                           für Menschen mit einem beruflichen Expositionsrisiko
gebote bereitgestellt werden (Abbildung 6).                                    wie Gesundheitspersonal, Justiz- und Polizei­
                                                                               vollzugsdienst.

  Sexuell und durch Blut übertragbare Infektionen
  Präventions-, Test- und Versorgungsangebote
 0                10                  20                  30                40                 50                 60               70    Alter
                       Aufklärung
   Hepati-
                          und
    tis-B-
                       Verhaltens­
  Impfung
                       prävention

                 HPV-            Chlamydien­
                Impfung            screening
                Mädchen          junge Frauen

                                                 Wissensvermittlung und Sensibilisierung der Gesamtbevölkerung

                                           Spezifische Präventionsangebote u. a. für Männer, die Sex mit Männern haben;
                                            Menschen mit injizierendem Drogenkonsum; Migrantinnen und Migranten;
                                                  Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern sowie Kundinnen und Kunden

                                                  Hepatitis-B-Impfangebote für Menschen mit erhöhtem Risiko

                                                   Niedrigschwellige Testangebote bei Gesundheitsämtern,
                                                  freien Trägern und niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten

                                       Abklärung und ggf. Behandlung von HIV,
                                        Hepatitis B, Syphilis und Chlamydien im
                                       Rahmen der Schwangerschaft und Geburt

                                     Medizinische Versorgungsangebote durch Ärzteschaft und Gesundheitsämter

                                                                                                          Pflege von Menschen mit HIV,
                                                                                                                Hepatitis B und C

Abbildung 6: Übersicht über die Präventions-, Test- und Versorgungsangebote für sexuell und durch Blut übertragbare Infektionen nach
Lebensalter in Deutschland
18                       BIS 2030 – Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Infektionen

Aufklärung, Motivation und Kompetenzen zum                            und durch Blut übertragbare Infektionen sowie
Schutzverhalten bleiben wesentlicher Bestandteil der                  der Handlungskompetenzen für unterschiedliche
Strategie. Insbesondere das Wissen über sexuell                       Gruppen. Dabei gilt es, die Medienangebote an die
übertragbare Infektionen wie Syphilis, Gonorrhö,                      Mediengewohnheiten der Zielgruppen anzupassen
Chlamydien und HPV soll gesteigert werden. Für                        und verstärkt soziale Medien und Apps zu berück­
betroffene Bevölkerungsgruppen sollen Hepatitis B                     sichtigen.
und C stärker in die Prävention integriert werden. Eine            →→ Bedarfsgerechte Anpassung und Sicherstellung
hohe Kondomakzeptanz und -nutzung bleiben von                         niedrigschwelliger Präventionsangebote für Männer,
zentraler Bedeutung.                                                  die Sex mit Männern haben, unter Berücksichtigung
                                                                      strukturschwacher Regionen
Neben der Aufklärung sind Maßnahmen zur Schadens-                  →→ Prüfung neuer Präventionsansätze
minimierung wesentlicher Bestandteil der deutschen
Präventionspolitik für Menschen mit injizierendem                  Diagnoseraten erhöhen und
Substanzkonsum. Die anerkannte Substitutionsbe-                    Spätdiagnosen senken
handlung wird fortgesetzt und niedrigschwellige                    Symptomlosigkeit, Scham, Ängste sowie ein geringes
Präventionsangebote für intravenös oder auch nasal                 Bewusstsein und Wissen über sexuell und durch Blut
drogengebrauchende Menschen sollen angepasst und                   übertragbare Infektionen und eine teilweise unzurei-
erweitert werden. Hygieneutensilien wie Nadeln,                    chende Anbindung betroffener Menschen an das
Spritzen oder Sniefröhrchen können wesentlich zur                  Gesundheitssystem sind Faktoren, weshalb Infektionen
Verhinderung von HIV-, Hepatitis-B- und Hepatitis-C-               nicht oder erst in einem fortgeschrittenen Stadium
Infektionen beitragen. Maßnahmen für Menschen, die                 diagnostiziert werden. Die frühzeitige Diagnose
(Sex-)Partydrogen gebrauchen sollen ausgebaut und                  bekommt aufgrund der verbesserten Behandlungs-
Präventionsmaßnahmen verstärkt in (Sex-)Partyset-                  und Heilungsmöglichkeiten eine höhere Bedeutung.
tings bereitgestellt werden.                                       Gleichzeitig ist die Testung ein Teil der Prävention und
                                                                   sollte daher stets in ein umfassenderes Beratungsan-
Die antiretrovirale Behandlung und die Postexposi­                 gebot eingebettet sein. Dieses sollte kultursensibel
tionsprophylaxe (PEP) sind ein zusätzlicher Baustein in            ausgerichtet sein und genderbezogene sowie psychoso-
der HIV-Prävention. Eine effektive und ärztlich                    ziale Aspekte berücksichtigen. Eine Erhöhung der
kontrollierte Behandlung minimiert das Übertragungs-               Diagnoseraten und eine Reduzierung der Spätdia­
risiko von der Mutter auf das Kind sowie bei sexuellen             gnosen wird angestrebt.
Kontakten. Durch Studien konnte aufgezeigt werden,
dass die präventive Einnahme von antiretroviralen                  Die Anbieterstruktur in Deutschland ist vielfältig und
Arzneimitteln (orale PrEP) das Übertragungsrisiko                  reicht von anonymen Beratungs- und Testangeboten
reduzieren kann. Die Risiken möglicher Resistenzent-               des Öffentlichen Gesundheitsdienstes über niedrig-
wicklungen und Verhaltensänderungen aufgrund der                   schwellige Beratungs- und Testangebote von AIDS-
Einnahme sind derzeit ungeklärt. Inwieweit die orale               Hilfen und weiteren freien Trägern bis zu Testungen in
PrEP zukünftig als ergänzender Präventionsbaustein in              Kliniken und bei niedergelassenen Ärzten. Dabei
Deutschland empfohlen wird, kann derzeit noch nicht                variiert das Angebot unter den Anbietern und
abschließend beurteilt werden.                                     zwischen verschiedenen Bundesländern. Anpassungen
                                                                   sowohl hinsichtlich des getesteten Erregerspektrums
Maßnahmen:                                                         als auch der Testintervalle für spezifische Risiko-
→→ Erstellung von Materialien und Förderung von                    gruppen auf der Basis von medizinischen Leitlinien
   Maßnahmen zur Steigerung der Impfquoten bei                     sind notwendig, um die Diagnoseraten zu erhöhen.
   impfpräventablen Infektionskrankheiten                          Dabei werden technologische Vereinfachungen und
→→ Förderung von gezielten Maßnahmen zur Steigerung                Weiterentwicklungen in der Diagnostik berücksichtigt.
   der Impfquoten bei schwer erreichbaren und beson-
   ders betroffenen Gruppen                                        Aktuelle zielgruppenspezifische Studien weisen auf
→→ Erprobung und gegebenenfalls Ausbau von Impfange-               spezifische Bedarfe und Ansatzpunkte für die Optimie-
   boten z. B. im schulischen Kontext                              rung der Test- und Diagnostikangebote für injizierende
→→ Anpassung und Weiterentwicklung der Präventions-                Drogengebrauchende, Migrantinnen und Migranten
   maßnahmen zur Steigerung des Wissens über sexuell               aus Subsahara-Afrika, Sexarbeiterinnen und
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